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Nicht nur über den Rücken der Pferde: Eine Rückbesinnung zum wahren Wesen des Pferdes
Nicht nur über den Rücken der Pferde: Eine Rückbesinnung zum wahren Wesen des Pferdes
Nicht nur über den Rücken der Pferde: Eine Rückbesinnung zum wahren Wesen des Pferdes
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Nicht nur über den Rücken der Pferde: Eine Rückbesinnung zum wahren Wesen des Pferdes

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Endlich ein Buch aus der Sicht der Pferde! Dieses Buch wurde nicht über, sondern mit den Pferden geschrieben. Auch Nicht-Pferdemenschen können aus einer ganz anderen Perspektive nachfühlen, welche Bedeutung das Pferd für uns und die gesamte Entwicklung der Menschheit schon immer hatte, und die Gefühle verstehen, die wir empfinden, wenn wir mit Pferden in Kontakt kommen.
Noch immer wird das Pferd nicht als das gesehen, was es ist: ein Wesen mit ganz eigenen Bedürfnissen jenseits unserer Erwartungen. Die Autorin und ehemalige Berufsreiterin Romy Seilheimer sieht ungeschönt und genau hin. Es gelingt ihr, nicht nur auf Missstände im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung der Pferde aufmerksam zu machen, sondern die spezielle Beziehung zwischen Mensch und Pferd auf eine neue Stufe zu stellen. Hier geht es jetzt um eine Begegnung zum Wesen des Pferdes und dadurch wird es berührend.

Ein Pferd ist ein Pferd und sein anmutiger Körper wird für uns zu einem Bild, einem Gefühl, einer Empfindung von wahrer Liebe. Es geht um das Helle und das Dunkle, aber nicht um Schwarz-Weiß, ganz im Gegenteil. Das Buch ist bunt, so bunt wie unser Erleben, und erinnert uns daran, was wir im Jetzt tun können, denn unser Pferd ist das schönste Jetzt, das wir haben.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateMar 9, 2020
ISBN9783347036536
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    Book preview

    Nicht nur über den Rücken der Pferde - Romy Seilheimer

    Das Dazwischen

    Vor drei Jahren kam Sahir, ein damals sechsjähriger dunkelbrauner Shagya-Araber-Wallach mit einer kleinen weißen Flocke auf der Stirn zu mir – oder besser gesagt zu meinem Mann, meiner jüngsten Tochter und mir. Mein Mann war damals von meinem Vorhaben, ein Pferd zu kaufen, nicht gerade begeistert, aber er hielt mich auch nicht davon ab. Er wusste wohl, dass es sinnlos gewesen wäre. Er hatte zwar keinen Bezug zu Pferden, aber mochte Sahir vom ersten Tag an.

    Monate bevor ich überhaupt auf die Idee kam, ein Pferd zu kaufen, regte sich aus unerklärlichem Grund etwas in mir, das mich immer mehr dazu bewog, Ausschau nach einem geeigneten Pferd zu halten. Es waren zu dieser Zeit viele Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal mit Pferden zu tun gehabt hatte, und in den Jahren danach hatte ich aufgrund der schmerzlichen Erinnerungen den Kontakt zu allem, was mit Pferden zu tun hatte, vermieden. Ich suchte sie nicht mehr, sie suchten mich nicht und so sollte es eigentlich auch bleiben – bis diese schicksalhafte Stimme immer wieder flüsternd zu mir sprach.

    Nach monatelangem Abwägen, bei dem das Gefühl nicht verebbte, sondern sich im Gegenteil zu einer Unausweichlichkeit entwickelte, fand ich unter den mehreren tausend Pferden, die täglich in diversen Internetportalen inseriert werden, Sahir. Es war das Foto, das mich ansprach. Er stand da, ganz andächtig, mit einem kleinen Kind von zwei bis drei Jahren auf seinem Rücken. Ich kaufte ihn, weil seine gutmütige Ausstrahlung im ersten Kontakt dem Foto entsprach. Ich kaufte ihn, weil ich wieder reiten wollte, ich wollte mit ihm durch die Wiesen und Wälder galoppieren – denn Galoppieren ist wie Fliegen ohne Flügel, wie schwerelos zu sein und allem entfliehen zu können, mit jemandem, der alles trägt. Ich wollte wieder Zeit mit einem Pferd verbringen.

    Sahir wurde als Freizeitpferd verkauft, weil er für den Vielseitigkeitssport, für den er gezüchtet worden war, nicht genügte. Man sah es ihm sofort an: Sahir war kein Pferd für den Sport. Ich wollte ihm ein schönes Zuhause geben. Er sollte so frei wie möglich leben, also war ein Offenstall das Mindeste, und er sollte immer genügend Heu zur Verfügung haben. Die Bilder der Rennpferde in vergitterten Boxen mit spärlichen Heurationen hatte ich noch nicht vergessen. Wenn, dann sollte es diesmal ein eigenes Pferd sein, musste ich doch all die anderen Pferde, mit denen ich im Rennsport zu tun hatte, immer wieder gehen lassen. Ich hatte kaum Mitspracherecht, was diese Pferde betraf. Sie waren sozusagen Staatsbesitz im volkseigenen Betrieb. Der Trainer beziehungsweise die Rennbahnleitung entschied über die Pferde.

    Da ich, aus dem Rennsport kommend, mehr über die Schubkraft als über die Tragkraft wusste, machte ich mich nach dem Kauf von Sahir auf den Weg, diese Lücke zu füllen. Ich las alles rund um die Biomechanik, die neuesten Ausgaben der Pferdemagazine und was ich sonst noch fand. Ich nahm klassischen Reitunterricht und fuhr auf Seminare. Es ging ja auch um den Sitz, der nie wirklich sitzen will, um den, für den man ein Leben lang Sitzschulungen braucht, denn es ist der Sitz auf dem lebendigen Thron und den kann man nicht einfach so sitzen. Reiter suchen das Gleichgewicht der Welt in ihrem Schwerpunkt zusammen mit dem Pferd und eigentlich ist es das Geheimnis schlechthin, das Gleichgewicht (der Welt) mit dem Pferd in dieser Welt – aber ob es sich im Sitzen verbirgt? Nelly Sachs, die Nobelpreisträgerin für Literatur (1966), vermochte es nicht lyrischer und dramatischer zu (ver-)dichten, als sie sagte: »Weine aus die entfesselte Schwere der Angst, zwei Schmetterlinge halten das Gewicht der Welten für dich und ich lege deine Träne in dieses Wort: Deine Angst ist ins Leuchten geraten.« So sind es die Pferdemenschen, die nicht ganz so poetisch, aber manchmal umso dramatischer um die Gleichgewichte ihrer Welt kämpfen und diese ewig suchen.

    So suchte auch ich bei den unterschiedlichen Reitweisen, angefangen bei der akademischen, weiter über die klassische Reitlehre hin zu Linda Tellington-Jones, der Lehre von Sadko Solinski bis hin zu der Légèrete und natürlich Horsemanship-Kursen. Ich suchte in dicken Wälzern, dem Steinbrecht, dem Seunig, dem Bürger, dem Binding sowie in Fachliteratur neueren Datums. Aber meine Pferde, wir hatten mittlerweile drei, suchten etwas anderes, sprachen sich zuweilen dagegen aus. Sie wollten einfach etwas anderes und vor allem Sahir wollte noch nicht einmal das Training, in dem das Richtige leicht gemacht wird und das Falsche schwer. So fanden wir uns in keinem System und in keiner Methode. Es war so, alles wollte er mir sagen: Vergiss alles, was du bisher über den Umgang und das Verhalten von Pferden gelernt hast; der Boden unter meinen Füßen begann zu wanken, es war, als bekäme er Risse und aus diesen krochen anfangs auch Zweifel hervor.

    Ich habe in meinem Leben schon des Öfteren nach Antworten gesucht und sie oft dann gefunden, wenn ich aufgehört hatte zu suchen. Die anfängliche Suche war dabei genauso wichtig wie das Beenden selbiger. Es häufte sich immer mehr Wissen an. Wissen allein hat aber noch nie gereicht. Wissen ist gut, solange man selbst nicht zum Feind seines Wissens wird. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Leben trägt, und zwar gerade dann, wenn es nicht mehr nach den eigenen Vorstellungen und Erwartungen abläuft, die man hat. Ich wollte nach all den Jahren meinen eigenen Horizont erweitern, spürte aber, genau wie in meiner Kindheit, dass sich vieles nicht stimmig anfühlte. Heute kann ich die Dinge reflektieren und muss nicht einfach Wissen unreflektiert übernehmen.

    Vielleicht gab ich mich das ein oder andere Mal ahnungsloser, als ich war, das war mir aber zu der Zeit nicht bewusst. Ich wollte nun sehen, was sich und ob sich etwas geändert hatte in den Jahren, in denen ich nichts mit den Pferden zu tun hatte. Ich wollte unvoreingenommen sein und mir selber ein Bild machen. Ich wollte andere Pferde sehen; sie zeigten mehr als ihre angespannten Gesichter, mehr als das, was aus verhaltensbiologischer Forschung anhand von Stressindikatoren bis hin zum Grimace Scale (HGS) bereits zusammengefasst worden war. Sie zeigten es mir immer mehr, Puzzleteile, die zu einem Bild zusammengefügt werden konnten. Sie zeigten mir, wie sie sich fühlten.

    Vielleicht war es die Zeit, die uns trennte, die dazu beigetragen hatte, dass ich mein Gefühl von ihnen erst lösen konnte, um dann wirklich mit ihnen fühlen zu können. Vielleicht war es das Studium der Kunsttherapie, das ich begann, um zu verstehen. Vielleicht hat alles miteinander zu tun.

    Es gibt ein Sprichwort, das besagt, wenn eine Tür zugeht, geht woanders eine Tür auf. Vielleicht müssen wir uns von unseren inneren Bildern, den Vorstellungen und Erwartungen – wie das Pferd sein sollte, wie es sich verhalten sollte, wie es sich bewegen sollte, was es alles tun sollte – trennen, damit wir uns mit dem Bild, das ihrem Wesen, ihrem Sein entspricht, verbinden können. Das kann erst gelingen, wenn wir die eine Tür, unsere Tür der vielen Vorstellungen, schließen, wenn wir Platz machen, wenn wir dem Bild, das von den Pferden kommt, Raum geben. Vielleicht sehen wir sie erst, wenn wir nicht mehr sehen müssen, was wir zu sehen erwarten. Die meisten unserer Pferde sind bis oben hin voll mit unseren Erwartungen. Sie sind so voll, dass das Bild, das wir von ihnen haben, eigentlich nur noch überlaufen kann, damit wir endlich erkennen, was hinter dem Bild der Vorstellungen verborgen liegt. Vielleicht befindet sich dahinter ein Pferd – das Pferd, das immer noch ein Pferd ist.

    Warum uns die Pferde nicht mehr tragen wollen, ist die letzte Frage, die nach drei Jahren übrig blieb.

    Die Stille

    Und so waren nicht die Fragen, die ich hatte, entscheidend, genauso wenig, wie es die Antworten waren. Die Antworten hätten nichts gewusst. Es war kein Dialog, bei dem es ums Fragen und Antworten ging, es war das, was dazwischen entstand, in einer ganz besonderen Stimmung, einer Mischung aus Demut, Absichtslosigkeit und Hoffnung; später wurde es ein Gefühl, für das es keinen Namen gibt. Es waren Fragen, von denen ich nicht wusste, ob ich überhaupt jemals eine Antwort finden würde, und es war die Stille, die Ruhe, die einkehrte. Trotzdem schien alles so weiterzulaufen wie vorher, nur mit dem einen Unterschied, dass ich auf einmal mit allem Ausgedachten und Gewollten aufhörte.

    F. Perls bezeichnet das Dazwischen als Vorgang interpersoneller Begegnung: nur das Einlassen auf eine persönliche Beziehung bei gleichzeitigem Verzicht auf ein etwaiges Dirigieren der Geschehnisse von oben, das das Gegenüber zum Mitspieler im Dialog macht. Bezogen auf die Kommunikation mit den Pferden ist das dann überhaupt erst ein Dialog, nicht das, wovon im Kontext mit den Pferden oft gesprochen wird: Da wird so manches als Dialog bezeichnet, was dieser Grundlage entbehrt.

    Als ich nichts mehr vorhatte mit den Pferden, gab es diesbezüglich auch nichts mehr zu planen. Ich musste mir nicht mehr überlegen, mit wem ich ausreiten sollte, welche Gymnastizierungen ich vorher und hinterher machen sollte; ich musste mir keine Reitwege überlegen und auch nicht, welche Gangart ich wo und wie lange reiten wollte und sollte und so weiter. Da ich mir aber nicht vorgenommen hatte, mit dem Training, mit dem Reiten, mit der Bodenarbeit, mit der Gymnastizierung ganz aufzuhören, bestand auch kein Druck oder Gefühl einer auferlegten Askese, es sollte vielmehr eine Pause sein, während der ich einfach mal herausfinden wollte, was passiert, wenn ich innehalte und einfach mal mit allem aufhöre und zuhöre. Ich wollte herausfinden, ob sich dadurch etwas verändert.

    Ich war voller Gedanken und in mir war es laut, weil eine Stimme der anderen widersprach, was denn nun besser von der Zeit her wäre und was mehr Sinn machen würde etc. Irgendwie hatte ich meine eigene Konferenz im Kopf, bei der jeder noch so kleine Gedanke protestierte, wenn er nicht gehört wurde.

    Ich fragte mich, wie laut es wohl sein musste, wenn man mit schweren Kandaren, klirrenden Gebissen und Kinnketten sowie klappernden Hufeisen unterwegs war. In den Reitställen ist es mitunter noch viel lauter, manchmal läuft sogar ein Radio. Es ist so laut und man ist so voll mit Überlegungen und Erwartungen, die alles noch voller und vor allem schwerer machen. Es ist zu laut und zu voll, als dass sich, selbst wenn man eine Frage hätte, jenes Gefühl einstellen könnte, das die Antwort selbst entscheiden lässt, wann sie sich einem offenbaren möchte. Es ist zu laut!

    Die Umkehr

    Mein Gefühl sagte mir schon seit Längerem, dass ich vieles von dem, was ich in den vergangenen drei Jahren zu sehen und zu hören bekommen hatte, genau das war, was ich nicht mehr wollte. So kam ich durch das letzte Seminar, das ich besuchte, zu der Erkenntnis, dass ich genau noch dieses eine brauchte, um endlich zu wissen, dass ich das nicht mehr brauchte.

    Das Wichtigste, was ich von diesem Kurs mitnahm, waren zwei Aussagen beim Plaudern während des Mittagessens. Wir hatten Fragen zum Thema Freiarbeit und ob es so etwas wie eine Freiwilligkeit im Training mit den Pferden gibt. Wir wollten von der Trainerin wissen, ob sie wüsste, wie sie in Zukunft weiterarbeiten würde. Sie erzählte, dass ihr in all den Jahren nur ein einziges Mal ein Pferd freiwillig gefolgt sei: Es war an einem Abend in Spanien, da folgte ihr ein junger Hengst ganz freiwillig, ein einziges Mal. Alles andere sei Training und Konditionierung, mit Freiwilligkeit hätte das wenig zu tun. Auch die Freiheitsdressur hätte nichts, aber auch gar nichts mit Freiwilligkeit zu tun. Sie sprach darüber sehr offen und ehrlich. Sie erzählte weiter, dass sie sich vorstellen könnte, jederzeit als Trainerin aufzuhören und etwas ganz anderes zu tun, denn es würde ihr vollkommen genügen, nur noch mit den Pferden zusammen zu sein. Das erzählte sie so ganz nebenbei.

    Ich verabschiedete mich nach vier Stunden, obwohl ich das ganze Wochenende gebucht hatte, aber diesmal nicht, ohne eine ehrliche Rückmeldung zu geben, was mir nicht gefiel, womit ich nicht einverstanden war und dass ich deshalb gehen würde. Wir bedankten uns gegenseitig für unsere ehrlichen Rückmeldungen.

    Eine Vielzahl von Übungen hatte darin bestanden, den Pferden vom Boden aus das sogenannte Weichen beizubringen. Das ist eine Trainingsmethode, die auf dem Konzept des Pressure and Release (Druckaufbau und Druckminderung bis hin zum völligen Drucknachlass) arbeitet. Die Pferde haben dabei keine wirkliche Wahl. Bei dieser Methode besteht die Wahl lediglich zwischen einem gehorsamen Weichen/Beugen oder erneutem Druckaufbau. Wir würden so nicht wählen wollen. Wenn die Pferde mit der Vorhand nicht wichen, wurden sie mittels Körpersprache angerempelt, es wurde in sie hineingelaufen, getreu dem Motto: Das Pferd muss weichen, so ist die Rangordnung unter ihnen und die muss immer geklärt sein. Es war Druck- und Dominanztraining wie in all den anderen Seminaren meistens auch. Alles schien im Rahmen einer gemeinsamen Legitimierung, im Bann einer unsichtbaren Übereinstimmung zu verlaufen, bei der subtile Gewaltanwendung zur Normalität wird und dadurch aus der Sichtbarkeit, der Objektivität und Subjektivität aller Beteiligten entzogen wird, sodass keiner mehr sieht, was eigentlich geschieht. Aber nichts von dem spielt sich nur innerhalb dieser Grenzen ab, denn in diesen Grenzbereichen bewegt man sich dann allzu oft und unbemerkt in Richtung eigener Abgründe. Das Paradoxe dabei war, dass es niemandes Ziel war, vielmehr war der gut gemeinte Vorsatz, eine faire Kommunikation auf partnerschaftlicher Höhe mit dem Pferd zu führen. Die Anwesenden waren durchweg Frauen, alle sehr nett und mit einer unschuldigen Gläubigkeit im Herzen. Die Erfahrung sagt: Wir sehen nur, was wir wahrhaben wollen.

    Aber da ist ja noch das Unbewusste, das immer mitredet, in jeder Haltung, körperlich wie psychisch. Es waren nicht die Pferde, die distanzlos waren: Sie sprachen und zeigten zwischendurch immer wieder mal Gesten des Ärgers; je nach Charakter schlugen sie unwillig mit den Köpfen, wenn am Strick gezogen wurde, sie stampften und scharrten zuweilen mit den Hufen, aus den angespannten Nüstern kam der ein oder andere Protestschnauber. Die Pferde waren sauer und wahrscheinlich hätte ein Blinder gehört, was die Sehenden nicht sehen konnten, obwohl es offensichtlich war.

    Für mich fühlte es sich sinnentleert an und ich sah die Leere in den Augen der Pferde. Die Pferde wichen nicht wirklich, denn die meisten waren in einem tranceähnlichen Zustand. Es wurde nur gesendet, nicht empfangen. Nur bei einem Mädchen, das mit seinem Wallach arbeitete, war es anders, es schien eine wechselseitige Verständigung zu geben.

    Es waren die Touchiergerten, die nur touchieren sollten, die dann aber immer häufiger gezielt meist auf die Hinterhand des Pferdes zischten, immer mit der Betonung: Ich touchiere nur solange, bis das Pferd weicht, dann höre ich auf. Nach ersten Erkenntnissen einer Studie der australischen Veterinärin Dr. Lydia Tong mit dem Titel Does whipping hurt horses? ist genau das Gegenteil der Fall. Der basale Teil der Pferdehaut ist zwar einen Millimeter dicker als die menschliche Haut, aber dafür sind die oberen Hautschichten, in der die Nervenenden sitzen, dünner als beim Menschen. Zudem zeigen die Ergebnisse einer Pilotstudie, dass Pferdehaut mehr Nervenendungen pro Quadratzentimeter aufweist als das menschliche Pendant. Nach dieser wissenschaftlichen Arbeit müssen wir also davon ausgehen, dass Pferde den Schlag mit der Gerte intensiver wahrnehmen als wir.¹

    Wahrnehmen bedeutet immer für wahr nehmen. Pferde sind sehr dünnhäutig, in jeder Beziehung. Der am Menschen ausprobierte Oberschenkeltest – vor dem Kauf oder vor der Benutzung einer Touchiergerte – ist damit hinfällig beziehungsweise müsste um ein Vielfaches verstärkt werden, was die eigene Schmerzempfindlichkeit und deren Einstufung betrifft. Sehr viel präziser können Gerten getestet werden, wenn man sie auf die eigenen Fingerkuppen schlägt. Hier wird man schnell merken, dass selbst ein Touchieren schon schmerzhaft ist. Die menschlichen Fingerkuppen entsprechen eher dem Schmerzempfinden des Pferdes auf der Hinterhand oder auf den noch viel empfindlicheren Flanken als ein menschlicher Oberschenkel, der in einer Hose steckt.

    Mein vorzeitiges Verlassen des Kurses fühlte sich weder nach einem Triumph an, noch fühlte ich mich wirklich erleichtert, es war mehr ein inneres Durcheinander. Es war nichts, was ausschließlich mit den vier Stunden dort zu tun gehabt hätte. Es war vielmehr das, was ich insgesamt sah, als ich die Pferde beobachtete, und das hatte schon eine viel längere Geschichte. Ich wollte diesmal aber nicht einfach bleiben und weiter zusehen oder sogar mitmachen müssen. Ich wollte aber auch nicht nur einfach schnell weg, denn ich dachte, ich hatte keine Ahnung. Hätte ich Ahnung gehabt, hätte ich ja nicht zu einem Seminar gehen müssen, dachte ich.

    Und ich hatte wirklich keine Ahnung von dem, was man noch so alles mit Pferden anstellen kann, ohne dass in gebührendem Maße auf sie und ihre Art sich mitzuteilen geachtet wird. Mir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass bei den eben erlebten Übungen so wenig auf die Pferde geachtet wurde, dass sie genau jenen Sinn nicht erspüren konnten, der sie vielleicht dazu motiviert hätte, in die einzelnen Übungen hineinzuhorchen.

    Jetzt könnte man meinen, ich wäre wohl im falschen, einem schlechten Seminar gewesen, aber ich hatte im Vorfeld bei der Kursauswahl immer darauf geachtet, wie der Ansatz der Trainingsmethode war. Ich wollte kein Dominanztraining, also schaute ich schon hin, wer sein Training unter dem Prädikat pferdegerecht anbot. Irgendwo versteckt sich dieses Wörtchen jedoch fast immer, denn das ist ja eigentlich das, was wir wollen.

    Mein Nein war in all den Jahren schneller und größer geworden, mein Nein galt mir, mein Nein war meine Grenze zu dem, was ich nicht mehr mitverantworten wollte. Es richtete sich aber nicht in erster Linie gegen die Trainerin, mein Nein war vielmehr ein Ja für die Pferde. Wir sagen im alltäglichen Leben viel zu selten wirklich Ja. Wir haben unser Ja verloren, weil wir viel zu oft nicht Nein gesagt haben, obwohl das Gefühl ganz deutlich Nein meinte. Diese beiden kleinen Wörtchen sind sehr wichtig, denn sie sind der Wegweiser zu uns selbst.

    Es gab viele Kurse mit mehr oder weniger ähnlichem Inhalt. Es gab auch Kurse, da liefen Pferde mit heraushängenden Zungen, schiefer Kopfhaltung und die Reiter saßen mit eingedrehten Händen wie ungelernte und ungelenke Kutscher auf dem Pferd. Die Pferde trotteten in diesen und anderen Haltungen geistesabwesend ihre Runden und die Trainer waren wohl des Blickes, aber ohnmächtig, dem noch Sprache zu geben. War es Diplomatie, die ihnen gebot zu schweigen? So versuchten sie oft sehr höflich, auf das ein oder andere aufmerksam zu machen, was mitunter auch auf Akzeptanz traf, aber leider nur für den Bruchteil einer Sekunde im Gedächtnis,

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