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GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS: Von der Antike bis zur Moderne - Eine kultur- bzw. sozialhistorische Betrachtung
GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS: Von der Antike bis zur Moderne - Eine kultur- bzw. sozialhistorische Betrachtung
GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS: Von der Antike bis zur Moderne - Eine kultur- bzw. sozialhistorische Betrachtung
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GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS: Von der Antike bis zur Moderne - Eine kultur- bzw. sozialhistorische Betrachtung

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Seit der letzten Finanzkrise hat sich die Diskussion um die Themen »Geld, Gold, Gier und Kapitalismus« wesentlich intensiviert. Zentrales Thema dieser Veröffentlichung ist es, das undurchschaubare Gebilde »Finanzsystem« zu entwirren und historisch zurückblickend in einem Gang durch die Geschichte und die einzelnen Epochen zu entmystifizieren. Kultur- bzw. sozialhistorische Betrachtungen ermöglichen es, Geld, Gold, Gier und Kapitalismus aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten und einen ganzheitlichen Ansatz zu bieten. Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Wissenschaftszweigen und auch der schönen Künste werden berücksichtigt. Auch in der schönen Literatur hat der Kampf gegen die Herrschaft des Geldes und der Kampf der Menschen um das Geld deutliche Spuren hinterlassen.

Die Beziehungen zwischen Kultur und Ökonomie können enger sein, als gemeinhin erwartet. Welche Aspekte beeinflussen denn das Denken über die Wirtschaft? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen historischer Forschung, Gegenwartsdiagnostik und Überlegungen für eine Gestaltung der Zukunft?
Beim Gang durch die Epochen wird der Leser erkennen, wie grundlegend sich das Verhältnis der Menschen zum Geld im Laufe der Geschichte verändert hat.

Heinz-Kurt Wahren plädiert eindringlich für eine Perspektiverweiterung und hofft, dass der Leser durch die Lektüre ein besseres Verständnis des »großen Bildes« gewinnt.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateNov 26, 2018
ISBN9783746981345
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    GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS - Heinz-Kurt Wahren

    GELD, GOLD, GIER UND KAPITALISMUS

    Teil 1

    Von der Antike bis zur frühen Neuzeit

    Inhalt

    Teil I

    1. Einleitende Bemerkungen: Eine erste Annäherung

    2. Erläuterungen zu den Begriffen Geld, Gier und Kapitalismus: Eine zweite Annäherung

    Eine kleine Geschichte des Geldes

    Eine kleine Geschichte der Gier

    Was versteht man unter „Kapitalismus"?

    Benötigt man eigentlich den Begriff „Kapitalismus"?

    Theorien & Phasenmodelle zur Entwicklung des Kapitalismus

    3. Antike: Gold, Geld und Gier in einer vorkapitalistischen Gesellschaft

    3.1 Griechische Antike

    Philosophen und Literaten beschäftigen sich mit Aspekten der Ökonomie

    3.2 Das Römische Reich

    Vom „guten zum „besseren Leben

    Gab es in der Antike Kapitalismus?

    4. Mittelalter: Ein erster Schritt in Richtung Kapitalismus

    4.1 Frühes Mittelalter

    4.2 Aufblühen des Geldgebrauchs

    4.3 Geldkrise und Wiedererholung

    4.4 Was waren die wesentlichen Veränderungen?

    Die Entwicklung eines professionellen Kaufmannswesens

    Der Umgang mit Wucher

    Gab es im Mittelalter Kapitalismus?

    5. Frühe Neuzeit: Ein zweiter Schritt in Richtung Kapitalismus.…

    5.1 Renaissance & Reformation: Der Kampf um eine neue Ordnung

    5.2 Absolutismus, Merkantilismus & Rationalismus:

    Der Aufstieg der Kaufleute

    Geld und Gier in der Literatur

    5.3 Aufklärung: Die „Klassiker" entdecken die Mechanik der Interessen und des Marktes

    5.4 Übergänge und Gleichzeitigkeiten

    Von Fortuna zum Fortunatus

    Von der Magie des Goldes zur Magie des Geldes

    Von der Tauschzur Geldwirtschaft

    Vom arkanen zum neuzeitlichen Denken

    Von der Gier zu den Interessen

    Vom mäßig engagierten zum ökonomischen Menschen

    Kapitalismuskritik in der Literatur

    Gab es in der frühen Neuzeit Kapitalismus?

    1. EINLEITENDE BEMERKUNGEN:

    EINE ERSTE ANNÄHERUNG

    Seit der letzten Finanzkrise hat sich die Diskussion um die Themen Geld, Gold, Gier und Kapitalismus ganz wesentlich intensiviert. Eine kaum mehr zu überblickende Anzahl von Büchern wurde zu diesen Themen publiziert: Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen widmeten ihnen eine Unzahl von Berichten; Theater nahmen sie in ihr Repertoire auf und eine Vielzahl von Schriftsteller lies ihre Romanhandlungen um sie kreisen. Trotz der gewaltigen Flut von Informationen, die sich hier über den Einzelnen ergoss, handelt es sich um Themenbereiche bzw. Begriffe, die man im Sinne Roland Barthes als „Mythen des Alltags¹ bezeichnen kann: Mythen, die wiederum mit anderen Mythen in Verbindung stehen, so zum Beispiel mit den Begriffen Markt, Zins, Wettbewerb, Globalisierung, Krise, Schuld(en), Umverteilung oder Gerechtigkeit – Begriffe, die in „mythischer Rede Intentionen oder Ideologien transportieren, dabei aber ihre Interessengeleitetheit verschleiern. Werden mythische Begriffe in Verbindung zueinander gebracht, schaffen sie einen Gesamt-Mythos, der für viele ein undurchschaubares, miteinander verwobenes, vielfach unheilvolles und deshalb Angst machendes Gebilde (hier „Finanzsystemsystem genannt) darstellt: Ein System, das auf das Leben der Menschen – zumeist ungewollt und ohne Möglichkeit, dies beeinflussen zu können – einwirkt und sie schließlich in den Zustand einer Aporie, des Gefühls der Rat- und Ausweglosigkeit versetzt. Will man das Gebilde „Finanzsystem besser verstehen, bleibt einem, wie Barthes bemerkte, nichts anderes übrig, als es zu entwirren, Einzelteile zu beschreiben und in diachronischer, also historischrückblickender Form zu entmystifizieren. Dies ist ein erstes und zentrales Anliegen des vorliegenden Buches.

    Ohne Vergangenheit keine Zukunft

    1789 bemerkte Wilhelm von Humboldt anlässlich einer Reise nach Paris: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft" – eine Erkenntnis, die zwischenzeitlich von vielen anderen in ähnlicher Form formuliert wurde. Immer wieder bemängeln Ökonomen, die sich ja mit den Themen Gold, Geld, Gier und Kapitalismus beschäftigen, dass ihre Profession historische Zusammenhänge nicht oder nicht ausreichend beachtet – und sehen darin auch eines der Probleme der gegenwärtigen Krise der ökonomischen Wissenschaften. So beklagte beispielsweise Horst Claus Recktenwald 1971 in den einleitenden Bemerkungen seiner Geschichte der Politischen Ökonomie, dass die „[m]oderne Theorie den Historismus so gründlich totgeschlagen (hat), dass sogar das geschichtliche Denken daran gestorben ist, wobei „die Geschichte uns auf der Suche nach Wahrheit und beim Verstehen und Gestalten unserer sich rasch verändernden Umwelt eine wesentliche Hilfe sein kann.

    Insbesondere seit der letzten Finanzkrise mehren sich Stimmen, die fordern, dass sich Ökonomen verstärkt mit geschichtlichen Aspekten befassen, eine Forderung, die – wie es scheint – langsam zu wirken beginnt. So berichtet Jennifer Schuessler in der New York Times von einem geradezu boomhaft zunehmenden Interesse an der Geschichte der Ökonomie. Ihren Bericht beginnt sie mit der beziehungsreichen Feststellung: „A spector is haunting university history departments: the spector of capitalism.² „Mehr und mehr Forscher suchen nach Antworten für die Probleme von heute in den vergangenen Jahrhunderten, verkündete die FAZ unter der Überschrift: „Warum ist Wirtschaftsgeschichte plötzlich sexy?"³ Ähnliche Bemerkungen fand man in den vergangenen Jahren in anderen überregionalen Tageszeitungen und wichtigen Wirtschaftsjournalen, sowie in Statements von bedeutenden Ökonomen und Politikern.

    Dass hier – trotz aller zwischenzeitlichen Bemühungen – immer noch ein erhebliches Defizit vorhanden ist, beklagt beispielhaft der Wirtschafts-Nobelpreisträger Amartya Senn in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Unsere Disziplin hat die Ideengeschichte in den letzten Jahrzehnten sehr vernachlässigt. Das war einer unserer größten Fehler."⁴ Ähnlich äußert sich Thomas Piketty in seiner Veröffentlichung Das Kapital im 21. Jahrhundert (2014: 53): „Sagen wir es klipp und klar: Die wirtschaftswissenschaftliche Disziplin hat ihre kindliche Vorliebe für die Mathematik und für rein theoretische und oftmals sehr ideologische Spekulationen nicht abgelegt, was zu Lasten der historischen Forschung und der Kooperation mit anderen Sozialwissenschaften geht. Und er ergänzt (2014: 790): Häufig versäumen es Ökonomen „Lehren aus der Geschichte zu ziehen, und verlieren aus dem Auge, dass die Geschichte unsere wichtigste Erkenntnisquelle bleibt.

    Die notwendige Auseinandersetzung mit der Geschichte macht erst Sinn, wenn man die Entwicklungen – wie dies Vertreter der Annales-Schule⁵ beispielhaft praktizieren – über längere Zeiträume, eine „longue durée" (Braudel), betrachtet und analysiert. Angesichts der Probleme, die der zunehmend giergetriebene Umgang mit Geld und ein immer aggressiver agierender Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten mit sich brachten, geht es hierbei natürlich auch um die Frage, was im Laufe der Zeit schief gelaufen sein könnte: Welche Theorien, Einstellungen, Motive, Verhaltensweisen… obsolet geworden und damit zukünftig zu ändern sind, um die Dinge halbwegs wieder ins Lot zu bringen. Die historische Betrachtung soll so vor allem helfen – dies ist mein zweites Anliegen –, die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wieder herzustellen. Sie soll ermöglichen, Wahrnehmungen und Denkstrukturen zu überprüfen, Fehlentwicklungen und Irrtümer zu erkennen sowie Handlungsspielräume für zukunftsorientiertes Handeln zu erweitern.

    Wenn wir wissen wollen, was die Zukunft bringt, sollten wir, wie Galbraith (1990:15 und llf) sagt, „versuchen, die Gegenwart zu verstehen, denn die Zukunft wird unvermeidlicherweise deutliche Züge dessen, was heute besteht, beinhalten. „Und die Gegenwart ist, wie er ergänzt, „ihrerseits im tiefsten Grunde ein Produkt der Vergangenheit. So „hat das, was wir in den Wirtschaftswissenschaften heute glauben, tiefgreifende Wurzeln in der Geschichte, wobei die „ökonomischen Ideen, wie er an anderer Stelle sagt, „im hohen Maß Ergebnis ihrer eigenen Zeit und Umwelt sind – „losgelöst von der Welt, die sie deuten, lassen sie sich nicht betrachten".

    Historische Forschung, Gegenwartsdiagnostik und Überlegungen für eine Gestaltung der Zukunft stehen somit in einem engen Zusammenhang. So ermöglicht die historische Perspektive, wie die Wirtschaftshistoriker Abelshauser, Gilgen & Leutzsch (2012) sagen, immer auch „Antworten auf gegenwärtige Fragestellungen zu finden". Durch eine ausreichende und sinnvolle Auseinandersetzung mit der Geschichte können Menschen, wie der große Kunst- und Kulturhistoriker Jacob Burckhardt in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen vor über 100 Jahren schon treffend bemerkte, „sowohl klug (für ein andermal) als weise (für immer) werden".

    Bei unserem Gang durch die Geschichte wird der Leser erkennen, wie grundlegend sich das Verhältnis der Menschen zum Geld im Laufe der Geschichte verändert hat und dass wir heute in einer Zeit leben, in der das egoistisch-giergetriebene Bedürfnis nach einer ständigen Vermehrung des Kapitals zu einem zentralen, allgemein akzeptierten, gesellschaftlich sogar honorierten Motiv menschlichen Strebens geworden ist – einem Verhalten, das zu Zeiten Aristoteles noch als völlig absurd angesehen wurde, sich jedoch im Laufe der letzten Jahrhunderte immer tiefer in die Gesellschaft eingeschlichen hat. Der Soziologe Norbert Elias hat den „Prozess der Zivilisation als eine allmähliche, über große Zeitspannen sich erstreckende „Veränderung des menschlichen Verhaltens und Empfindens in eine ganz bestimmte Richtung bezeichnet, die sich „als Ganzes ungeplant, (…) aber dennoch nicht ohne eine eigentümliche Ordnung vollzieht.⁶ Bei dieser Veränderung verwandeln sich, wie Elias sagt, „Fremdzwänge in Selbstzwänge – und es entsteht eine Ordnung, Elias nennt sie „Verflechtungsordnung, „die zwingender und stärker ist, als Wille und Vernunft der einzelnen Menschen.

    Dies trifft, wie ich meine, weitgehend auch für unser Verhältnis zum Geld und für die Entwicklung des Kapitalismus zu. So geht es mir in der vorliegenden Veröffentlichung vor allem auch darum zu beschreiben, wie sich mit der zunehmenden Bedeutung ökonomischer Aspekte die Gewohnheiten, Denkweisen, Wünsche, Motivationen, Werte, Ideale, Begierden der Menschen sowie ihre moralischen Vorstellungen veränderten – und damit zunächst eine geänderte Einstellung gegenüber dem Geld sowie in der Folge die Entwicklung des Kapitalismus gefördert haben.

    Dargestellt werden soll in diesem Zusammenhang auch, warum trotz der vielen negativen Effekte und den in der Folge auftretenden Krisen, die die Hinwendung zu kapitalistischen Denk- und Handlungsformen bis in die jüngste Zeit verursacht hat, die Menschen aus diesen nicht gelernt haben und auch heute noch wenig Bereitschaft erkennbar ist, fernab von Ideologien über alternative, den derzeit herrschenden Kapitalismus abmildernde, unter Umständen gar ersetzende Wirtschaftssysteme oder über gerechtere Formen einer Verteilung von Einkommen und Vermögen ernsthaft nachzudenken. Hier bestätigt sich ganz offensichtlich Hegels Diktum, dass „Geschichte sich wiederholt, wodurch das, „was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten wird – wobei Marx ergänzte: „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce".

    Plädoyer für eine Perspektiverweiterung

    Geschichtliche Betrachtung ist so etwas wie eine „second-orderobservation (Luhmann⁷), bei der man beobachtet, welche Beobachtungen frühere Beobachter machten, welche Begriffe, Modelle und Theorien sie entwickelten und wie sich dies alles im Zeitablauf veränderte. Bei dieser „Beobachtung von Beobachtern, wie Luhmann es nannte, kann man den Focus eng stellen, und lediglich zur Kenntnis nehmen, was Ökonomen von sich gegeben haben, oder sehr breit, und dann beobachten, was – neben Ökonomen – beispielsweise Theologen, Psychologen, Soziologen, Historiker, Politiker, Revolutionäre, Schriftsteller, Künstler, Bankiers, Adelige, einfache Bürger oder weniger Begüterte im Laufe der Geschichte über sich, ihre Zeit und die Dinge, die sie in ökonomischer Sicht bewegten, berichtet haben. Auf diese Weise erhält man ein fakten- und facettenreiches, unterschiedlichste „Sinnfelder" (Gabriel⁸) berücksichtigendes, nie aber alles erklärendes Bild der Dinge, das mitunter auch widersprüchlich sein wird – aber weit über das hinausgeht, was man aus einer eindimensionalen Beobachterposition heraus zu erkennen vermag.

    Im Gegensatz zu den üblichen, wissenschaftsorientierten Monografien zur Geschichte des Geldes, des Goldes, der Gier und des Kapitalismus werde ich in den folgenden Ausführungen Erkenntnisse aus den Wirtschaftswissenschaften, der Wirtschaftsgeschichte, der Politischen Ökonomie, der Philosophie, der Theologie, der Psychologie, der Soziologie, der Kulturwissenschaft, der Kunst und der Literatur in eine möglichst ganzheitliche Betrachtung zusammenfließen lassen. Hierbei sollen vor allem die gesellschaftlichen, psycho- und soziodynamischen sowie kulturellen Aspekte betrachtet werden, die nach und nach dazu beigetragen haben, ein geistig-intellektuelles Klima zu schaffen, in dem sich zunächst die Einstellung der Menschen zum Geld und zur Gier veränderten – und in der Folge der Kapitalismus sich zu seiner vollen Blüte entfalten konnte.

    Hierbei konzentriere ich mich vor allem auf die Wirkungen des Kapitalismus auf den Bereich der Finanzen. Andere, sicherlich nicht weniger wichtige Bereiche, so z.B. seine Wirkungen auf die Arbeit, die Umwelt, den Konsum, auf die Sozialordnung oder die Politik, werden bewusst ausgeklammert oder nur am Rande behandelt. Außerdem konzentriere ich mich auf Entwicklungen in der sogenannten westlichen Welt, die sich zumeist in Europa abgespielt haben. So hat es beispielsweise, wie Max Weber (1922: 379) einmal feststellte, in keiner anderen Region der Welt so etwas wie den „kapitalistischen Geist gegeben: ein „Geist der nicht nur die Entwicklung des „modernen Kapitalismus, sondern auch einer kapitalistischen Gesellschaft ermöglichte, Wirtschaftsbzw. Gesellschaftsformen, die in den letzten Jahrzehnten nahezu die gesamte Welt „erobert haben. Die sicherlich interessante Frühgeschichte der Ökonomie des vorderen Orients, des nördlichen Afrikas, Indiens sowie Chinas, die – bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts – vielfach der Entwicklung im Okzident vorauseilte, bleiben deshalb außerhalb meiner Betrachtung.

    Seit der letzten Finanzkrise beklagen Ökonomen nicht nur ein mangelndes Geschichtsverständnis ihrer Zunft, sondern auch eine Begrenzung ihrer Perspektive auf ökonomisch relevante Gegebenheiten – ein Sachverhalt, den Piketty (2014: 54) in den einleitenden Bemerkungen zu seinem Werk Das Kapital im 21. Jahrhundert wie folgt beklagt: „Die Wirtschaftswissenschaften hätten sich nie von den anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen trennen sollen; sie können sich nur in diesem Rahmen entwickeln. Wir [die Wirtschaftswissenschaftler; HKW] verfügen über zu wenige sozialwissenschaftliche Kenntnisse, um uns so töricht abzukoppeln." Wie Piketty bemängeln zwischenzeitlich viele Ökonomen die zu engen, zumeist mathematisch ausgerichteten Ausbildungsinhalte ihres Fachs und plädieren für eine Ausdehnung in Richtung Wirtschaftsgeschichte, politische Ökonomie, Psychologie, Soziologie und Philosophie. Die vorliegende Veröffentlichung kann deshalb auch als Versuch betrachtet werden, mittels einer synthetischen Vorgehensweise, dies wäre mein drittes Anliegen, disziplinäre Einseitigkeiten bewusst zu vermeiden – und damit das Gebiet ökonomisch relevanten Wissens gezielt zu erweitern.

    Die Beziehungen von Wirtschaftssystem und Kultur

    Da diese Veröffentlichung den Untertitel „Eine kulturbzw. sozialhistorische Betrachtung" trägt, möchte ich noch kurz hierauf eingehen. Das Denken über die Wirtschaft entwickelt sich nicht in einem luftleeren Raum. Und es gibt Gründe, warum sich bestimmte Gedanken oder Ideen zu dieser und nicht zu einer anderen Zeit, also innerhalb einer jeweils spezifischen Gesellschaft bzw. Kultur entwickelt haben. Deshalb sind die Beziehungen zwischen Kultur und Ökonomie zumeist auch enger, als gemeinhin angenommen wird. So orientiert sich das ökonomische Denken über den größten Teil der Geschichte vor allem an den den Geist einer spezifischen Epoche prägenden kulturspezifischen Weltsichten, Denkweisen, moralischen Ideen und vorherrschenden Diskursen.

    Alle menschlichen Gemeinschaften sind nicht nur eine Kultur, sondern haben auch eine Kultur. Kultur wird hierbei verstanden als Bündel von innerhalb einer Gesellschaft geteilten, zeitlich relativ stabilen Werten, die auf den Einstellungen, Werten, Denk- und Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Weltbildern, Rationalitätsannahmen, sowie auf Erfahrungen über kollektiv bewältigte Herausforderungen bzw. Krisen und den hieraus sich entwickelnden mentalen Modellen (shared mental models) ihrer Mitglieder basieren – und zur Entwicklung (zumindest von vielen) geteilten Denk- und Handlungsweisen in ökonomischen Angelegenheiten, von Theorien über ökonomische Gegebenheiten, Zusammenhänge und Ideale, sowie eines für die jeweilige Gesellschaft spezifischen Wirtschaftssystems führen.⁹ Wirtschaftssysteme und das Verhalten der Menschen stehen dabei in einem sich gegenseitig beeinflussenden zirkulären Verhältnis: die Kultur einer Gesellschaft prägt das Wirtschaftssystem, und Wirtschaftssysteme wiederum prägen bzw. beeinflussen die Kultur einer Gesellschaft und damit das Denken und Verhalten der Menschen.¹⁰

    In diesem Sinne ist auch der Kapitalismus nicht nur ein ökonomisches, sondern stets auch ein kulturelles System, das sich zum einen in einer spezifischen Kultur entwickelt und von dieser getragen wird, zum anderen wiederum die ökonomischen Handlungen, Gewohnheiten, Denk- und Handlungsweisen sowie die ihnen zugrunde liegenden Weltbilder, Rationalitätsannahmen, mentalen Modelle der Menschen, ihre sittlichen und moralischen Werte in ganz erheblichem Maße prägen – und von diesen wiederum geprägt werden. Da sich diese Einflussfaktoren im Laufe der Zeit nicht unwesentlich verändern, sind Wirtschaftssysteme immer auch ein Spiegelbild ihrer Zeit.

    Auch hier ist vielfach nicht klar, was Ursachen und was Wirkungen sind: Ob der kulturelle Kontext und das Handeln der Menschen das Wirtschaftssystem, oder das Wirtschaftssystem den kulturellen Kontext und die Handlungsweisen der Menschen mehr bzw. stärker prägen. So wird seit dem 18. Jahrhundert auch über eine der zentralen Fragen der Ökonomie heftig diskutiert: Ob, wie Adam Smith sagte, die „natürlichen Neigungen des Menschen und die Befriedigung seiner „Begierden nahezu zwangsläufig zur Entwicklung des Kapitalismus führten, oder ob der Kapitalismus die Neigungen der Menschen und ihre Begierden veränderte und sie schlussendlich zu dem machte, wie sie heute gerne beschrieben werden, als ihre natürlichen Neigungen und Begierden realisierende Individuen.

    Diese vielfach parallel verlaufenden Entwicklungen und die hieraus resultierenden Veränderungen werden in der vorliegenden Veröffentlichung in einer chronologisch-synoptischen Form dargestellt, wobei ich in historischer Sicht – in Anlehnung an die Geschichtswissenschaften¹¹ – ganz grundsätzlich die Epochen Antike, Mittelalter, frühe Neuzeit und Moderne unterscheide, und diese dann, soweit notwendig, nochmals etwas auffächere. Auf diese Weise versuche ich, dies wäre mein viertes Anliegen, ein – wie man heute gerne sagt – „großes Bild (big picture) zu entwickeln: ein Bild, das für die lediglich ihr Fachgebiet betrachtenden Spezialisten oft unsichtbar bleibt und in dessen Zentrum die Begriffe „Geld, „Gold, „Gier und „Kapitalismus" mit ihren Beziehungen zu anderen Begriffen stehen.

    Die in diesem Bild deutlich erkenntlichen Epochenschwellen sind Ereignisse, in denen sich die für das Leben und Denken der Menschen wesentlichen Orientierungspunkte fundamental verändern und damit ein neues Epochenbewusstsein prägen. In der Entwicklung des ökonomischen Denkens und des Kapitalismus gibt es drei wesentliche Schwellen: Als erste Epochenschwelle kann die Zeit um das 4. Jahrhundert vor Christus bezeichnet werden. In dieser Zeit begann das ökonomische Denken sich zu etablieren. Platon, Aristoteles und Xenophon beschäftigten sich mit Fragen der Ökonomie – und ihre Gedanken bestimmten in der Folge über zwei Jahrtausende das Handeln der Menschen. Die zweite Epochenschwelle kann zum Ende des Mittelalters verortet werden. Die seit der Antike geltenden Regeln und Prinzipien wurden langsam aufgeweicht. Die Einstellung gegenüber dem Geld und der Gier veränderte sich allmählich und es entwickelten sich Denk- und Verhaltensweisen, die man als ersten wichtigen Schritt in Richtung Kapitalismus bezeichnen kann. Die dritte, in Bezug auf unser Thema sicherlich wichtigste Epochenschwelle liegt im 18. Jahrhundert, einer Zeit, in der der Begriff „Gier durch das „Interesse ersetzt und damit geradezu eine Voraussetzung zur Entwicklung des heute weltweit dominierenden Systems „Kapitalismus" geschaffen wurde. In dieser Zeit haben sich nicht nur die materiellen Voraussetzungen des Lebens fundamental verändert, sondern auch die Denk- und Handlungsgewohnheiten der Menschen.

    So können insbesondere die zurückliegenden vier Jahrhunderte als ein kultureller Prozess betrachtet werden, in dem – zunächst allmählich, während der letzten Jahrzehnte jedoch erheblich beschleunigt – ein immer größer werdender Teil der Gesellschaft zu „Kapitalisten erzogen wurde: Ein Prozess, in dem die Menschen mit den Usancen eines neuen Wirtschafts- und Finanzsystems vertraut gemacht und dazu bewegt wurden, dessen Grundprinzipien (Markt, Wettbewerb, Wachstum…) nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu verinnerlichen. Ein Prozess in dem sie außerdem lernten, sich in finanziellen Angelegenheiten zu engagieren und damit ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten, wobei dies immer auch mit der Forderung verbunden war, ökonomische Motive sowie finanzielle Begierden zu entwickeln und diese möglichst geschickt – im Sinne einer Erhöhung des „Eigennutzes – in hierfür geeignete Handlungsprogramme umzusetzen.

    Ökonomie und „ schöne " Literatur

    Häufig versuchen Philosophen, Theologen, Künstler und Literaten – wohl mit verschiedenen Ansprüchen – dasselbe Anliegen wie Ökonomen, indem sie nach Wegen suchen, das Leben der Menschen besser und schöner zu gestalten und dabei auch auf Verhältnisse hinweisen, die dies behindern. Die fundamentalen Veränderungen, die ein zunehmend geldorientiertes Denken und Handeln der Menschen mit sich brachten, provozierten insbesondere kritische Äußerungen im Bereich der Philosophie und Theologie, vor allem aber auch in der „schönen" Literatur.

    Mein fünftes Anliegen ist zu zeigen, welche Spuren der Kampf gegen die Herrschaft des Geldes und der Kampf der Menschen um das Geld in den belles lettres hinterlassen hat. „Wissenschaft und Poesie sind, wie Gilles Deleuze (1987: 34) einmal bemerkte, „gleichermaßen Wissen. Und Ökonomen unterscheiden sich gar nicht so sehr von Poeten: Beide erzählen, wie Deirdre McCloskey in Storytelling in Economics (1990) dies sehr schön beschrieben hat, Geschichten und schreiben Gedichte. „Literatur generiert", wie Ernst-Wilhelm Händler in seinem Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrumen. (2014: 5) kurz und bündig resümiert, „Erkenntnis, die Wissenschaft nicht produzieren kann. Und er fährt fort: „Ein Roman enthält keine Beweise. Die Romane der Weltliteratur haben jedoch häufig eine Erklärungsfunktion (…) machen Zustände und Ereignisse zugänglich, durchsichtig und begreifbar. Romane bieten „Messungen an der Realität. Außerdem stellen sie, wie Händler sagt, ein „Transportmittel für Handlungsmöglichkeiten dar.

    So liefert uns die Belletristik ein Wissen, das, wie Vogl (2008: 15) sagt, „weder in den Disziplinen und Wissenschaften aufgehoben ist, noch bloß lebensweltlichen Charakter besitzt, das vielleicht vorbegrifflich ist, das verstreut und zusammenhängend zugleich erscheint; ein Wissen, „das die Regeln zur Koordination und Subordination bereitstellt. In der Regel ist dies auch ein Wissen, das ein zumeist etwas anderes Bild unseres Selbst und der jeweiligen Zeit zeichnet – und uns dadurch einen anderen, erweiterten, zumeist auch unsere Erkenntnisse erheblich bereichernden Blick auf die Dinge ermöglicht. Es macht uns mit dem Sinn von Ambivalenz vertraut; rückt das, was uns normalerweise selbstverständlich ist, in ein merkwürdiges Licht. So bringen Belletristik und Poesie in oft verblüffender Klarheit zutage, was die Sprache der Wissenschaft eher verschleiert. Mitunter ist es geradezu eine Strategie, der sich insbesondere gerne Ökonomen bedienen, mit einer scheinbar wertneutralen Sprache das unsichtbar zu machen, auf das es schlussendlich ankommt. „Wahrheiten, die von der rationalen Sprache der säkularen Wissenschaften verschleiert werden, treten, wie Robert Skidelsky & Edward Skidelsky, der eine Wirtschaftswissenschaftler, der andere Philosoph, bemerken (2013: 79), „mit verblüffender und verwirrender Klarheit in der Poesie zutage.

    Franco Moretti, ein in Stanford lehrender Literaturwissenschaftler, der in seiner Studie Der Bourgeois Geschichte gezielt mit Literatur verbindet, begründet seine Vorgehensweise wie folgt (2014: 30): „Diese Form der historischen Forschung, bei der man sich mit den erhalten gebliebenen Lösungen nicht mehr direkt greifbarer Probleme befasst, hat ohne Frage etwas Gespenstisches. Doch wenn wir die Vorstellung akzeptieren, dass literarische Formen gleichsam versteinerte Überbleibsel einer einst lebendigen und problembeladenen Gegenwart sind, und nach dem Vorbild des reserve engineering von ihnen auf die zugrundeliegenden Probleme zurückschließen, dann kann eine formale Analyse unter Umständen (…) Dimensionen der Vergangenheit aufschließen, die ansonsten verborgen blieben. Hier liegt der potentielle Beitrag der Literatur zum Verständnis der Geschichte – (…) hier „betreten wir ein Schattenreich, in dem die Vergangenheit noch lebendig ist und zu uns spricht. Im Übrigen kamen viele Menschen durch die Lektüre der „schönen" Literatur zu der Erkenntnis, daß das gierhaft-egoistische Streben nach einer Vermehrung des Kapitals nicht grenzenlose Glücksgefühle, hingegen aber nicht unerhebliche soziale Konflikte erzeugt, die ein gedeihliches gesellschaftliches Miteinander erheblich behindern, mitunter sogar unmöglich machen. Zwei im Prinzip unumstößliche Erkenntnisse, die uns schon seit der griechischen Antike vertraut sind – aber in Zeiten eines allumfassenden, an kapitalistischen Prinzipien orientierten Denkens an Bedeutung verloren haben.

    Wir alle stehen auf den Schultern von Riesen

    Der wissenschaftsgeschichtliche Aphorismus: „Wenn ich weiter gesehen habe als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe, wird üblicherweise Isaac Newton zugeschrieben, ist aber, wie der „große Soziologe Robert K. Merton (1983) eindrucksvoll darstellt, wesentlich ältern Datums. Auch in der Geschichte des Geldes, der Gier und des Kapitalismus gibt es viele Riesen, die uns in den weiteren Ausführungen begegnen werden – Riesen, die man im Bereich der Philosophie, der Theologie, der Ökonomie, der Psychologie, der Soziologie, der Literatur und anderer Künste finden kann. In den folgenden Ausführungen werde ich einige dieser Riesen besonders herausstellen: Etwas ausführlicher über ihre Entwicklung, ihre Ideen und Ziele, sowie über ihre Werke, sofern sie unseren Themenbereich tangieren, berichten, und sie hierbei – was mit besonders wichtig ist – auch selbst zu Wort kommen lassen. Auf diese Weise kann man, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler (2014) fordert, vieles von den „Heroen der Frühzeit lernen – und der Leser bekommt, wie ich hoffe, ein besseres Verständnis des „großen Bildes, das ich mit der vorliegenden Veröffentlichung zu zeichnen versuche.

    ¹ Siehe hierzu Roland Barthes: Mythen des Alltags (2012).

    ² Jennifer Schuessler in der New York Times vom 6. April 2013.

    ³ Patrick Bernau in der FAZ vom 30.11.2012.

    ⁴ Dorit Heß & Olaf Storbeck im Handelsblatt vom 12.04.2012.

    ⁵ Siehe hierzu beispielhaft Peter Burke (1991).

    ⁶ Siehe hierzu Elias (1976: zweiter Band, 312ff).

    ⁷ Siehe hierzu Luhmann (1984).

    ⁸ Siehe hierzu Gabriel (2013).

    ⁹ Siehe hierzu und den folgenden Ausführungen Abelshauser, Gilgen & Leutsch (2012), Appelby (2011), Sedláček (2012) sowie Wahren (1996).

    ¹⁰ In diesem Sinne meint der Wirtschaftshistoriker Jürgen Kocka (2013: 128): „Der Kapitalismus lebt von seiner sozialen, kulturellen und politischen Einbettung, so sehr er sie gleichzeitig bedroht und zersetzt."

    ¹¹ Siehe hierzu z.B. Osterhammel (2011: 84ff).

    2. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN BEGRIFFEN GELD, GIER UND KAPITALISMUS: EINE ZWEITE ANNÄHERUNG

    Eine kleine Geschichte des Geldes – und dessen Beziehung zum Gold

    Wenn man nach den Ursprüngen von etwas sucht, beginnt man gern in der Antike. Hier entstand nicht nur das Geld, sondern auch das Nachdenken über die Gier. Am Anfang der Geschichte von Geld und Gier steht – zumindest in historischer Sicht – das Gold, das schon früh bei den Menschen den von Vergil beschriebenen und seither immer wieder zitierten „verfluchten Hunger nach Gold" (auri sacra fames) entfachte.¹² So ist die Entstehung und Geschichte des Geldes unmittelbar und – zumindest über weite Zeiträume – untrennbar mit der des Goldes verbunden. Aus diesem Grund werde ich in den folgenden Ausführungen nicht nur auf die Geschichte des Geldes, sondern kurz auch auf das Zusammenwirken von Gold und Geld eingehen.¹³

    „Das Volk interessiert sich", wie der Schriftsteller Botho Strauß 2011 in der FAZ schrieb, „nicht für Ökonomie (…). Geld ist, über die persönlichen Zuflüsse hinaus, kaum der näheren Erkundigung wert. (…) Auf dem Gebiet, von dem sein Wohlergehen am meisten abhängt, ist das Volk ein Stümper. Die Frage, was „Geld ist, wo es erstmals auftaucht, wie es entstanden ist, welche Funktionen es hat, in welchen Formen es uns begegnet, wie es „gedeckt ist und welche Sicherheiten es den Menschen bietet, wie es auf den Einzelnen und die Gesellschaft wirkt ist gar nicht so leicht zu beantworten.¹⁴ So könnte man – in Anlehnung an einen gebräuchlichen Kunstbegriff – Geld ganz allgemein wie folgt definieren: „Geld ist, was wir als solches gelten lassen. Schaut man in der Geschichte des Geldes zurück, haben viele Gegenstände, so beispielsweise Muscheln, Vieh, Steinräder, Kerbhölzer, Salz, Stockfisch, Tabakblätter, geprägte Metalle und bedruckte „Zettel die Funktionen des „Geldes übernommen. Hinter dieser allgemeinen Definition verbirgt sich die Idee des Geldes als „soziales Konstrukt, „soziale Konvention, oder, wie Aristoteles sagte, die einer gegenseitigen „Übereinkunft. Und er erläutert: „Es muß also Eines geben, welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heißt, gleichsam vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß.¹⁵ Und so kann alles Mögliche, so weit man sich einige ist, die Funktion des Geldes übernehmen. Bei den Yap, einem Volk in der Südsee das zeitweise unter deutscher Kolonialverwaltung stand, waren dies eben riesige Scheibenräder aus Stein, der wohl merkwürdigste bekannte Geldform, die, sofern sie für größere Transaktionen eingesetzt wurden, wegen ihres Gewichts nur von mehreren Menschen gemeinsam bewegt werden konnten.¹⁶ Genauso kann eine Gemeinschaft auch beschließen, was fürderhin nicht mehr als Geld gelten soll. In diesem Sinne sagte Thomas von Aquin: ‚,[W]enn der König oder die Gemeinschaft es beschließt, verliert es seinen Wert.¹⁷ Der Begriff „Geld bezieht sich hier also nicht auf das einzelne Geldstück oder einen Geldschein, sondern auf das, was zwischen den Menschen auf der Basis einer „Übereinkunft als „Wertmaß gelten soll: oder, wie Martin (2014: 48) dies beschreibt, Geld verstanden als „soziale Technologie: „eine Gesamtheit von Ideen und Praktiken, die (…) die Art unseres Zusammenlebens organisieren. Doch wenn man etwas tiefer in die Materie eintauchen will, hilft die oben vorgeschlagene allgemeine Definition des Geldes nicht so recht weiter.

    Auch heutige Ökonomen, die sich ja intensiv mit Geld beschäftigen, können auf die Frage, was es ist, zumeist keine zufriedenstellenden oder gar eindeutige Antworten geben, weswegen Hajo Riese (1998) meint, dass „Geld das letzte ungelöste Rätsel der Nationalökonomie" wäre. Nicht ohne Grund gibt Felix Martin seiner Veröffentlichung Geld, die wahre Geschichte (2014) deshalb den Untertitel: „Über den blinden Fleck des Kapitalismus. Beschäftigt man sich jedoch näher mit diesem Phänomen, führt das „Nachdenken über das Geld, wie Dirk Baecker (1998) sagt, leicht zur „Unruhe, einer „Unruhe, die das Geld [schon immer] in die menschliche Gesellschaft gebracht hat und sich nun auf die Auseinandersetzung mit diesem Thema überträgt. Trotz dieser Schwierigkeiten möchte ich in den folgenden Ausführungen kurz auf einige wesentliche Aspekte des Phänomens „Geld" eingehen.

    Auch wenn „Geld", wie Historiker – nicht unstrittig – festgestellt haben, erstmals um 3200 v. Chr. in Mesopotamien auftaucht, kennt man es in Europa – in Form von aus Metall hergestellten Münzen – etwa seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. In der Zeit zuvor gab es, wie beispielsweise Moses Finley in Die Welt des Odysseus (1992: 67f) berichtet, zum einen den reinen Tauschhandel, bei dem der Wert der zu tauschenden Güter jeweils in Stück Vieh (z.B. Ochsen) gemessen wurde, wobei jedoch „der Wertmaßstab selbst, das Vieh, nicht als Mittel des Tausches fungierte – also nicht, wie später das Geld, als zirkulierendes Mittel quasi „von Hand zu Hand ging. Zum anderen wurden während dieser Zeit und in den folgenden Jahrhunderten verschiedenste, nach ihrem Gewichtszustand wohl abgemessene, aber ungemünzte Silber- und Goldstücke bei Bezahlvorgängen eingesetzt.¹⁸ So findet man in dem Gesetzeskodex des babylonischen Königs Hammurabi aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. Bestimmungen über Strafzahlungen in Silber, sowie die Vorgabe von Zinssätzen für Silberdarlehen. „Silber, Gold und Bronze waren somit, wie von Reden (2007: 120) schreibt, „monetäre Medien in Mesopotamien und Ägypten vor der Erfindung der Münze. Was diesem Geld jedoch fehlte, war die staatliche Verantwortung für seinen Wert, wobei nur jene Staaten dies verbürgen konnten, die über genügend Edelmetallressourcen verfügten und damit im Stande waren, die allgemein anerkannten, staatlich legitimierten Münzen – und damit „richtiges" Geld – zu prägen und in Umlauf zu bringen. Dies war zum ersten Mal während des 6. Jahrhunderts v. Chr. in der griechischen Welt der Fall.

    Als Erfinder des Münzegeldes gelten gemeinhin die Lydier, ein Volk im Westen der heutigen Türkei, die unter König Gyges die ersten Münzen prägten und deren letzten König Krösus wir heute noch gerne mit Geld und Reichtum verbinden. Da die Lydier, begünstigt durch ihre Lage an der Schnittstelle von Europa und Asien, schon früh im Handel aktiv wurden, benötigten sie ein Mittel, das ihnen die Tauschvorgänge erleichterte. Hierfür setzten auch sie zunächst abgewogene, aus edlen Metallen (Gold, Silber, Kupfer oder Legierungen) bestehende Stücke ein. Da es jedoch schwierig war, den wirklichen Wert dieser Metallstücke zu bewerten, gingen sie dazu über, diese mit spezifischen Prägemerkmalen (dem Wappen des jeweiligen Herrschers; z.B. einem Löwenkopf) zu versehen. Auf diese Weise verschuf man ihnen allgemeine Geltung und auch das notwendige Vertrauen in ihre Werthaltigkeit. Diese „normierten" Münzen, die um 550 v. Chr. unter der Herrschaft von Krösus in Umlauf kamen, gab es in verschiedenen Größen. Sie waren zumeist aus Gold, hatten alle die gleiche Form und ähnliche Motive. Von nun an brauchten Metallstücke nicht mehr gewogen und auf ihre Werthaltigkeit überprüft werden.

    Man hatte mit den Münzen ein „offizielles", Vertrauen erzeugendes, innerhalb einer Gemeinschaft von allen akzeptiertes Mittel, mit denen Tauschvorgänge erleichtert sowie Verbindlichkeiten (z.B. Steuerschulden oder Lohnforderungen) ausgeglichen, der Wert von Waren bestimmt, berechnet und verglichen, sowie Vermögen bei Bedarf auch gehortet werden konnte. Diese drei Grundfunktionen des Geldes: die Tauschbzw. Ausgleichsfunktion, die Wertbemessungsbzw. Rechenfunktion sowie die Wertaufbewahrungsfunktion werden bis in die heutige Zeit als die wesentlichen Funktionen des Geldes angesehen.

    In den letzten Jahren wurde insbesondere von Anthropologen und Kultgeschichtlern viel über die Entstehungsgeschichte des Geldes geschrieben: eine Geschichte, die sich doch erheblich von der, wie sie von Ökonomen seit Adam Smith beschrieben wird, unterscheidet.¹⁹ Wie David Graeber (2012) meint, handelt es sich bei der von Ökonomen üblicherweise verbreiteten Geschichte der Geldentstehung, die seit Aristoteles mit dem Bedürfnis nach einer Vereinfachung des sich entwickelnden Tauschhandels begründet wird, um einen beharrlich aufrecht gehaltenen Mythos, der das komplexe Geschehen, in dem sich das Geld und sein Gebrauch – beeinflusst vor allem vom Streben nach Macht, von Gewalt und Kriegen – allmählich entwickelten, völlig negiere. Bezug nehmend auf anthropologische Studien verortet Graeber den tieferen Ursprung des „Geldes²⁰ nicht im ökonomischen, sondern im theologischen bzw. sozialen Bereich, wo es erstmals als von Priestern verwaltete Opfergabe zur „Tilgung einer Urschuld gegenüber Göttern und der Gesellschaft gesehen wurde, die symbolisch an die Stelle realer Opfer trat. So erkennt beispielsweise Türcke (2015: 59) im steinzeitlichen „Menschenopfer (…) in ganz unmetaphorischem Sinne Geld – das Urgeld, von dem alle späteren Geldformen abstammen." Nach und nach wurde dann das Menschopfer, durch das Tieropfer und das Geldopfer ersetzt.

    „Überall scheint sich das Geld, so Graeber (2012: 66), „aus dem Gegenstand entwickelt zu haben, den man als Geschenk an die Götter am geeignetsten fand. Unterschiede erkennt man lediglich in den historischer Sicht. Entwickelte sich dieser Prozess bereits im Neolithikum, also um das vierzehnte bis zwölfte Jahrtausend v.Chr., wie Türcke annimmt, oder während der Blütezeit Mesopotamiens im vierten Jahrtausend v.Chr., oder erst mit dem Auftauchen erster geprägter Münzen in der Antike – ein Ereignis, das den Lauf der Welt nachhaltig verändern sollte. Den Übergang aus der sakralen in die profane Sphäre beschreibt Türcke (2015: 112f) dann wie folgt: „Die Münze (…) verkörpert eine finale Profanierung, eine, die nicht mehr in der sakralen Sphäre stattfindet, sondem aus ihr heraustritt und sie aufhebt. (…) [S]ie dringt aus einer anderen Sphäre in Naturaltauschverhältnisse ein und drückt ihnen ihre eigenen Regeln mit verstörender Kraft auf."

    Für Graeber (2012: 81) verkörpern „Münzen aus Gold und Silber (…) mit dem aufgeprägten Symbol des lokalen Machthabers den „Inbegriff des Geldes. ‚,[I]n unserer Vorstellung (…) überbrücken (sie) am besten die Scheidelinie, die definiert, was Geld ist und was kein Geld ist. Da alle Theorien über den Ursprung des „Geldes sich auf fragmentarisches oder spekulatives Wissen stützen, stellen, wie Graeber (2012:82) schließlich resümiert, der „Mythos vom Tauschhandel und der „Mythos von der Urschuld wohl die „zwei Seiten einer Münze dar, bei der „der eine Mythos den anderen voraussetzt.

    Darüber hinaus gibt es noch eine dritte Geschichte der Geldentstehung. Anthropologen und Kultgeschichtler gehen davon aus, dass der Kredit, also die Rückzahlungsverpflichtung eines Schuldners gegenüber einem Gläubiger – die gewisse Parallelen zum theologischen „Mythos der Urschuld erkennen lässt -, die erste Form des Geldes darstellt. So kann man das lange Zeit übliche Anschreiben von Forderungen im Gegensatz zum wesentlich später auftauchenden physischen Geld als eine entmaterialisierte bzw. fiktive Form des Geldes bezeichnen. Die Geschichte des Geldes hat seine Basis hier also nicht in einer Tauschwirtschaft, sondern in der Kreditwirtschaft, aus der sich dann – mit einer Verzögerung von nahezu 2500 Jahren – die uns bekannte Geldwirtschaft entwickelte. Auf einen kurzen Nenner gebracht könnte man sagen: Seit es Schulden gibt, gibt es „Geld – und Schulden gab es ganz offensichtlich lange bevor irgendwelche Münzen geprägt wurden. Geld nicht als Besitz, Sache oder besondere Ware, sondern, wie Martin (2014: 19ff) sagt, als ein „System von Kredit- und Verrechnungskonten" zu begreifen, wie dies hier der Fall ist, stellt für den Normalbürger sicherlich eine Herausforderung dar. Weimer fasst in seiner Geschichte des Geldes (1994: 7 und 11f) den Streit über die Funktionen und den Ursprung des Geldes sehr schön zusammen:

    „Geld verkleidet sich als Sache, als Funktion, als Instrument, als Vorstellung, als (Rechts-)Anspruch, als Mittel oder gar als Symbol – es bleibt ein kniffliges Paradoxon. Volkswirte nennen es Zahlungsmittel, Historiker einen Spiegel der Zeiten, Soziologen ein Mittel sozialer Differenzierung, für Moraltheologen ist es die Inkarnation des Diesseitigen, für Juristen ein Rechtsanspruch, für Ethnologen ein Kulturobjekt, für Merkantile das Blut des Handels, für Futurologen ein Motor der Evolution, für Literaten eine Chiffre der Habgier. (…) So alt wie das Geld ist der Streit um seine Anfänge. Für Adam Smith ist Geld aus dem Handel entstanden, für Bernhard Laum aus religiösen Motiven, für John Locke aus Bedürfnissen der Wertaufbewahrung, für Wilhelm Gerloff aus Prestigedrang, für Karl Marx aus dem Zwang, Werte zu messen, für Aristoteles aus dem Zahlungsmittelbedarf, für Georg Friedrich Knapp aus staatrechtlicher Konvention. In Wahrheit weiß man weder warum, noch wann, wo und wie Geld auf die Erde kam. Man weiß nur, daß Geld in vorhistorischer Zeit schon sehr viele Gesichter hatte: Kühe und Käse, Perlen und Pelze, Muscheln und Metalle, Waffen und Weiber, Salz und Sklaven."

    Auch wenn die Herkunft des Geldes unter Ökonomen und Historikern heftig diskutiert wird, dürfte es für die meisten Leser – sofern sie sich nicht gerade für jenen Aspekt interessieren – eher drittrangig sein, wann, unter welchen Umständen oder in welcher Form es erstmals in Erscheinung getreten sein soll. Entscheidend ist, was wir heute als „Geld" betrachten bzw. als solches gelten lassen. Und das ist, wie man noch sehen wird, diffizil genug. Wesentlich bedeutsamer als der Streit über die Entstehung ist vor allem auch, welche Bedeutung das Geld heute hat und wie es auf den Einzelnen und die Gesellschaft einwirkt.

    Doch kehren wir nach diesem kleinen Ausflug in die Geschichte des Geldes wieder zur klassisch-ökonomischen Betrachtung zurück und schauen, was nach dem Auftauchen der ersten offiziell geprägten, allgemein akzeptierten Goldmünzen geschehen ist. Schon kurze Zeit nach Einführung des Münzgeldes wurde das Vertrauen in dessen Wertbeständigkeit erstmals erschüttert. So soll Dionysos, der Herrscher des Stadtstaats Syrakus, im 4. Jahrhundert v. Chr. seine Geldprobleme dadurch gelöst haben, dass er seine Untertanen anwies, die ausgegebenen Münzen – unter Androhung der Todesstrafe – gegen die Ausgabe von Schuldscheinen einzutauschen. Die eingesammelten Münzen ließ er einschmelzen, versah die neu geprägten Stücke mit dem doppelten Nennwert und tauschte sie wieder gegen die ausgegebenen Schuldscheine ein. Auf diese Weise halbierte er nicht nur seine Schulden, sondern auch das Vermögen der Bürger; ein Vorgang, „Münzverschlechterung genannt, der sich im Laufe der Geschichte in gleicher oder ähnlicher Form wiederholt ereignete – und die Bürger dazu motivierte, ihre Münzen, damit man sie dem Zugriff der Herrschenden entzieht, zu vergraben („verschätzen).²¹ Um die Bürger um den Wert ihres Geldes zu bringen entwickelte man im Laufe der Zeit noch andere Techniken. So gab es bei Gold- und Silbermünzen die Möglichkeit, dass man ihren Wert dadurch minderte, indem man den Goldanteil durch Beimischung von Kupfer oder Blei verringerte, dass man das Gewicht der Münze durch ein Abschneiden des Münzrandes, das sogenannte „Clipping, reduzierte, oder dass Münzen, wie es bei den „Brakteaten üblich war, in regelmäßigen Abständen „verrufen" wurden, also eingezogen und mit einem Abschlag gegen neue Münzen eingetauscht wurden – alles Techniken, die über viele Jahrhunderte fast den Normalfall darstellten.

    Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. verbreitet sich die Geldwirtschaft – in etwa parallel zur Verbreitung des Alphabets und der Schrift – von Milet, einem Handelszentrum an der Westküste Kleinasiens, zunächst über die Ägäis und den südlichen Teil, später auch über die nördlichen Teile Europas. Zum Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. existierten in der griechischen Welt bereits fast einhundert Münzanstalten. Eine Unzahl Münzen in unterschiedlichen Währungen, Stückelungen und Materialien wird nun geprägt. Für die großen Geschäfte gab es Münzen in Edelmetallen, für die alltäglichen in minderwertigen Metallen; mal lag der Schwerpunkt auf Golddann auf Silbermünzen; mal waren viele Münzen im Umlauf, was die Wirtschaft aufblühen ließ, mal gab es wenige, weil es an Metallen fehlte oder die Menschen aus Angst ihre Münzen verschatzten. Bis zur Neuzeit gab es – von den üblichen Gaunereien abgesehen – aber stets eine Regel, deren Einhaltung eine offizielle Stelle, zumeist war das dies der jeweils Herrschende oder eine staatliche Institution, garantierte: dass der Metallwert der Münzen, von einem geringen Agio abgesehen, dem aufgeprägten Geldwert entsprach.²²

    Diese Regel wurde nun – für die meisten Menschen unmerklich – im Mittelalter durchbrochen, indem man zur Verbesserung der „Beweglichkeit des Geldes mit dem Wechsel eine Geldform etablierte, bei dem der Materialwert (Papier) sich völlig vom Geldwert löste. Der sich hier abzeichnende Prozess der Entmaterialisierung des Geldes, bei dem der (Material-)Wert einer Münze durch das Vertrauen in die Werthaltigkeit des empfangenen „Zettels ersetzt wird, verbunden mit dem Versprechen, diesen jederzeit in Gold eintauschen zu können, wurde im größeren Stil erstmals in Frankreich zu Beginn des 18. Jahrhundert mit der Einführung des Papiergeldes durch John Law realisiert. In den folgenden Jahrhunderten gab es immer wieder Versuche, das sich verbreitende Papiergeld vom Gold abzukoppeln, die, wie das Lawsche Experiment, vielfach zu einer ungezügelten Geldmengenvermehrung, mitunter auch zu Inflationen führten.

    Die immer weitergehende Entmaterialisierung des Geldes ist ein Prozess, der zur Ausbildung von zwei Theoriesträngen führte, die unser Verständnis vom Geld weitgehend prägen, das Fundament der neoklassischen Geldtheorie bilden und bis in die heutige Zeit hinein wirken: So vertreten „Metallisten die Meinung, dass der Wert des Geldes durch den Wert des Metalls (zumeist Gold oder Silber) bestimmt wird, aus dem es geprägt wird oder durch welches es gedeckt ist. Geld ohne materielle Deckung, also ohne „intrinsischen Wert, ist für sie ein „aus dem Nichts geschöpftes Geld (auch „Fiat-Geld genannt): Geld, das – wie sie sagen – in einem quasi „alchemistisch-mystischen Prozess in unbegrenzter Menge geschaffen werden kann (und zu ihrem Leidwesen von Zentralbanken auch heute noch geschaffen wird). Selbst honorige Leute, so beispielsweise Harald Lesch (Professor für Astrophysik und renommierter Wissenschaftsjournalist), scheuen sich nicht, das aus dem Nichts geschöpfte Fiatgeld als „Verbrechen zu bezeichnen.²³ Andere beschreiben Geld als etwas höchst Geheimnisvolles, Unverstehbares, manche erkennen in ihm gar ein „Wunder. Den „Metallisten gegenüber stehen die „Chartalisten (auch „Anti-Metallisten genannt). Für sie gründet der Wert des Geldes auf seiner sozialen Akzeptanz und der Macht des Staates, der ihn durch Gesetze sichert. Was immer Menschen akzeptieren, um ge-genseitig Geschäfte zu betreiben und Schulden auszugleichen, wird damit zu Geld. Wichtig ist vor allem, dass der Staat die jeweilige Währung akzeptiert. In diesem Sinne stellt Graeber (2012: 54) fest: „Denn was immer der Staat akzeptierte – es wurde zur Währung." Chartisten haben das Geld von seinen Mythen befreit. Für sie ist es auch nichts Geheimnisvolles, sondern ein höchst nutzbringendes Mittel, das für spezifische Zwecke geschaffen wurde. Entscheidend für sie ist, dass das Vertrauen ins Geld nicht verloren geht. Nur wenn dieses vorhanden ist kann es seinen Zweck erfüllen. Egal in welcher Form.

    Geld ohne materielle Deckung ist nichts Neues. In der Geschichte des Geldes gab es immer wieder Zeiten, in denen die Menschen ihre Geschäfte mit fiktiven oder entmaterialisierten Formen des Geldes tätigten.²⁴ So wurden Schulden seit der Antike, insbesondere wenn Gold, Silber oder staatliches Geld knapp waren, auf Tontafeln und Kerbhölzern festgehalten oder in Kladden „angeschrieben, die quasi einen Kreditvertrag darstellten und nach Rückerstattung des Geborgten zerstört bzw. korrigiert wurden. Schon während der römischen Kaiserzeit soll der überregionale Zahlungsverkehr von Banken mittels einer Art Handelswechsel abgewickelt worden sein. In der islamischen Welt wurden Geldtransaktionen seit dem 10. Jahrhundert mittels Wechsel, Scheck und Kreditbrief abgewickelt. Seit dieser Zeit verwendete man auch in China neben dem Münzgeld, dessen Materialwert nicht annähernd dem Nennwert entsprach, (bedingt konvertibles) Papiergeld, das man zur Abwicklung größerer Transaktionen einsetzte, weshalb man es auch als „bequemes Geld bezeichnete, aber den Nachteil hatte, dass es durch Inflationen häufig entwertet wurde. Der Gefahr, dass Noten gefälscht wurden, was ja – im Gegensatz zum Gold – relativ leicht möglich war, versuchte man stets dadurch entgegenwirken, dass man Geldfälschern mit der Todesstrafe drohte. Schon die ersten chinesischen Geldscheine, die lange vor denen in Europa im Umlauf waren, trugen den Aufdruck: „Wer Geldscheine fälscht oder gefälschte Scheine in Umlauf bringt, wird enthauptet. Ähnliche, wenn auch nicht so weitreichende Formulierungen kannte man bei uns bis zur Einführung des Euro. So entwickelte Karl Marx (MEW 23: 783) einmal die These, dass man mit der Einführung des Papiergeldes wohl damit aufhörte, Hexen zu verbrennen, und stattdessen dazu überging, Banknotenfälscher zu hängen. Auf diese Weise wurde die Fähigkeit der Staaten, „aus Nichts Geld zu machen, ergänzt um die (genauso wichtige) Notwendigkeit, andere daran zu hindern.

    Erst 1971 wurde letztmalig die Bindung des Geldes an das Gold durch einen Beschluss Nixons beendet. Seit dieser Zeit wird das von jeglicher dinglichen Deckung „befreite Geld, das man als „Fiatgeld bezeichnet, nach dem Motto: „Es werde Geld von Zentralbanken und Banken – zum Verdruss vieler – in immer größeren Mengen „aus dem Nichts geschaffen: ein Prozess, der lediglich durch vom Statt verfügte Regelungen und Gesetze begrenzt wird. „Der Prozess, durch den Banken Geld erzeugen, ist, wie der Ökonom John Kenneth Galbraith einmal gemeint hat, „so einfach, dass der Verstand davon zurückgestoßen wird und es gar nicht akzeptieren will.²⁵ Zwischenzeitlich ist es uns, um einen Begriff von Marx zu verwenden, zur „zweiten Natur" geworden, mit entmaterialisiertem, im Prinzip wertlosem, bzw. nur noch sinnlich wahrnehmbarem, fiktiv-virtuellem Geld umzugehen. So steht heute hinter der Bereitschaft, Geld entgegenzunehmen, lediglich die Annahme, der Glaube oder die Hoffnung, es in adäquater Form wieder einsetzen zu können. Außerdem bewegen sich immer mehr Zahlungsvorgänge auf rein virtueller Ebene: Dass uns unser Gehalt ausbezahlt wurde erkennen wir nur noch an einer Ziffernfolge auf dem Kontoauszug oder am Bildschirm; Einkäufe begleichen wir mit einer Kreditkarte, offene Rechnungen am Computer mit einem Mausklick oder mittels Smartphone. Den Spiegel reizte dies zu der Überschrift: „Byte ist Geld.²⁶ So rechnen Fachleute damit, dass in den nächsten zehn bis 15 Jahren das (greifbare) Bargeld weitgehend aus unserem Leben verschwindet und Transaktionen mit Geld nur noch in elektronischer Form, also als Informationen über „Geld erfolgen. (Auf den hier lediglich angedeuteten Prozess der Entmaterialisierung bzw. Virtualisierung werde ich, da er für unseren Umgang mit bzw. Verhältnis zum Geld sehr bedeutsam ist, im weiteren Verlauf noch zurückkommen.)

    Mit der Erfindung des Papiergeldes vergrößerten sich für die Herrschenden – die schon immer die Angewohnheit hatten, über ihre Verhältnisse zu leben – die Möglichkeiten, mit dem Geld der Bürger ihre Bedürfnisse zu erfüllen, ganz erheblich. So hatten sie zum einen die Möglichkeit, durch den Druck von immer mehr „Scheinen, der lediglich einen geringen Aufwand erfordert, ihre Schulden zu begleichen, was dazu führte, dass die im Umlauf befindliche Geldmenge bald nicht mehr durch das zur Verfügung stehende Güterangebot gedeckt war. In den meisten Fällen führt dies zu einer Inflation der Preise – und damit zu einer schleichenden, mitunter auch abrupten Entwertung des Vermögens der Bürger. Zum anderen konnten die Herrschenden den Staatsbankrott verkünden: die vorhandenen Geldscheine damit für ungültig erklären oder ihren Finanziers die Möglichkeit einräumen, dass diese ihre Schuldtitel, natürlich unter Berücksichtigung eines entsprechenden Schuldenschnitts und einer Verschlechterung der Kreditbedingungen, gegen neue tauschen können. Beides Techniken, die im Laufe der Geschichte – von einigen Staaten sogar mehrmals – praktiziert wurden. Vor allem die Deutschen, verursacht durch die geradezu traumatischen Erfahrungen, die die Hyperinflation von 1922/1923 in ihrer „Volksseele hinterließen, große Angst, dass sich ähnliches wiederholen könnte – und versuchen gerade in jüngerer Zeit fast verzweifelt nach Möglichkeiten, ihr Geld dadurch in Sicherheit zu bringen, dass sie es in (vermeintlich sichere) Sachwerte (bevorzugt Gold, Silber, Immobilien, Land- und Waldbesitz, Diamanten, Schmuck, Kunst oder Oldtimer) investieren.²⁷ Geld fördert nicht nur kollektive Ängste, es prägt – insbesondere in seiner Form als Währung – auch nationale Identitäten. So waren wir Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg vor allem stolz auf die weltweit anerkannte Stärke „unserer D-Mark, die für viele auch den Übergang zum Euro so schwer machten. Daß dies nicht „typisch Deutsch ist, zeigt eine Episode aus der Geschichte Italiens. Dort galt der 1926 von Benito Mussolini ausgerufene „Kampf um die Lira als ein wesentliches Element zur Wiedererlangung der verloren gegangenen nationalen Souveränität und des geschundenen Prestige der Nation. „Unsere Lira, rief er im August jenes Jahres vor großem Publikum in Pesaro aus, „das Symbol der Nation, das Zeichen unseres Reichtums, die Frucht unserer Mühen, unserer Kraft, unserer Opfer, unserer Tränen, unseres Blutes, wird verteidigt und wird verteidigt werden.²⁸ Im Jahr 2014 fordert Beppe Grillo, Kopf der politischen Bewegung „5 Stelle, bei einer Rede im Circus Maximus eine Volksabstimmung zur Wiedereinführung der Lira, mit der Hoffnung, auf diesem Weg nicht nur die Wirtschaftskraft sondern auch das erschütterte Selbstvertrauen der Italiener wieder stärken zu können.

    Das Geld ist nicht nur ein Gegenstand, der das Interesse von Ökonomen weckt, sondern – da es (aus vielfältigen Gründen) sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft von erheblicher Bedeutung ist – auch ein „Phänomen", das seit jeher Philosophen, Soziologen, Psychologen, Poeten, Schriftsteller und Literaten beschäftigt hat. Schon Aristoteles sah im Geld ein wichtiges Element eines sich entwickelnden, die Bedürfnisse seiner Mitglieder erfüllenden Gemeinwesens. Geld wurde, wie er im ersten Buch der Politik darstellt, „aus den Bedürfnissen des Tauschverkehrs geschaffen²⁹. Den Vorteil, Geld als Tauschmittel einzusetzen, sah er vor allem in seiner Beweglichkeit: „Denn nicht alle naturgemäß notwendigen Güter sind leicht zu transportieren. Also kam man überein, beim Tausch gegenseitig eine Sache zu nehmen und zu geben, die selbst nützlich und im täglichen Verkehr handlich war, wie Eisen, Silber usw. Zuerst bestimmte man sie einfach nach Größe und Gewicht, schließlich drückte man ihr ein Zeichen auf, um sich das Abmessen zu ersparen.

    Wesentlich bedeutsamer, als diese eher ökonomischen Betrachtungen des Geldes, sind Aristoteles Ausführungen zu den moralischen Aspekten im Umgang mit Geld und der Berechnung von Zinsen für verliehenes Geld. Hinsichtlich des Bestrebens, sein Geld zu mehren, unterscheidet er zwei Arten: Zum einen die „rechte Erwerbskunst, die er als „natürlich erkennt und dazu dient, die Versorgung einer Gemeinschaft mit „notwendigen Gütern zu sichern. Zum anderen die unnatürliche „Bereicherungskunst, die vor allem vom Bestreben geleitet wird, einem im Prinzip grenzenlosen sowie überflüssigen „Reichtum" zu erzeugen. Da das Geld vor allem dazu da ist, Tauschvorgänge zu erleichtern, sieht er auch im Zinsnehmen ein unnatürliches Geschäft, das man tunlichst unterlassen sollte. Aristoteles Ausführungen über den Umgang mit Geld und zum Zinsnehmen prägten nahezu zwei Jahrtausende die Einstellung der Menschen. So nahmen in der Folge viele Denker, beispielsweise Horaz in den Epoden oder Ovid in den Metamorphosen, in denen man auch die Erzählung von Midas findet, eine durchweg kritische, das Geld ablehnende Haltung ein: eine moralisehe Position, die – zumeist mit Bezug auf die Ausführungen Aristoteles’ – bei vielen Autoren auch heute noch erkennbar ist.

    Erste Veränderungen in den Einstellungen gegenüber dem Geld zeigten sich im 15. Jahrhundert, nachdem Antonin von Florenz und Bernardin von Siena für eine Neuauslegung der thomistischen Regel und damit für eine Lockerung des Zinsverbots sowie ein „vernünftiges" Gewinnstreben plädierten. Bald darauf erschienen in Nord- und Mittelitalien auch erste Ratgeber, die die Verfolgung von Gewinnabsichten, sofern sie sich in Grenzen hielten, als etwas durchaus vernünftiges betrachteten und die Gier in ein besseres Licht stellten: So Leo Battista Albertis Della famiglia (um 1440), Gianfrancesco Poggio Bracciolinis De avarita (1428) und Bernardo Davanzati Bostichis Lezione delle monete (1587). Endgültig legitimiert wurden dann der Umgang und das Streben nach Geld während der Aufklärung. Eingeleitet hat diese Entwicklung Bernard Mandeville mit seiner Bienenfabel (1714), in der er die Meinung vertritt, dass eine florierende Gesellschaft sich nur dort entwickeln kann, wo das Geld herrscht. In der Folge entwickelte sich vor allem unter Philosophen eine breite Diskussion, in deren Verlauf sich, von einigen kritischen Stimmen abgesehen, die Meinung herausbildete, dass das Streben nach Geld ein durchaus vernünftiges, die Gesellschaft förderndes Verhalten wäre – eine Meinung die bis in die heutige Zeit das Denken der weit überwiegenden Zahl der Menschen prägt.

    Geld und Vernunft werden nun zunehmend gleichgesetzt. Voltaire beschreibt in der Diatribe à l’auteur des éphémérides (1775) Geld als ein Werkzeug zur Förderung der nationalen Produktivität und der Überwindung des Feudalismus. Auch Kant hat sich in seiner Metaphysik der Sitten (1785) relativ ausführlich mit dem Geld beschäftigt. So bezeichnete er es als „größtes und brauchbarstes Mittel des Verkehrs der Menschen mit Sachen. Der Wert des Geldes war für ihn nur indirekt zu verstehen: eine „Sache, (…) die den Preis aller Dinge (Waren) bestimmt.³⁰ Seit der Antike bildet die hier angesprochene Fähigkeit des Geldes, die Dinge auf einen ökonomischen Wert zu reduzieren, einen wesentlichen Ansatzpunkt der Geldkritik. Zweifel hatte Kant gegenüber dem damals sich vermehrenden Papiergeld. Papier-„Geld und Assignaten³¹, deren Herstellung „beinahe kein Geld kostet, war für ihn deshalb kein richtiges Geld.

    Georg Simmel erstellte in seiner 1900 erstmals erschienenen Philosophie des Geldes eine umfassende Analyse der Funktionen und der Bedeutung des Geldes für die nun in der Moderne angekommenen Menschen. Zum einen entwickelt Simmel einen wesentlich breiteren, soziologischen Blick auf die Funktionen des Geldes, der weit über die ökonomische Sicht des Geldes als – ein im Prinzip „neutrales – Tauschmittel hinausgeht. Sein Interesse gilt vor allem dem Zusammenhang zwischen der Ausbreitung der Geldwirtschaft und der Kultur- und Gesellschaftsentwicklung. In der Ausbreitung des Geldes erkennt er einen wesentlichen Auslöser gesellschaftlicher Wachstums- und Differenzierungsprozesse und menschlicher Individualisierung. So gibt es für Simmel (1989: 714) „kein deutlicheres Symbol (…) für den absoluten Bewegungscharakter der Welt (…) als das Geld. „Es ist, wie er an anderer Stelle sagt (1989: 652), „dem Blute vergleichbar, dessen kontinuierliche Strömung alle Verästelungen [einer Gesellschaft – HKW] durchdringt, und, alle gleichmäßig ernährend, die Einheit ihrer Funktion trägt. In diesem Sinne beeinflusst eine entwickelte Geldwirtschaft alle sozialen Beziehungen: versachlicht, objektiviert sowie nivelliert sie – und macht sie, da sie alles dem Geld unterwirft, „berechenbar. Zum anderen erkennt Simmel im Geld ein Mittel, das alle anderen Mittel und Objekte ersetzen kann³²: ein, wie er sagt, „absolutes Mittel, das, wenn es seine Funktion als Mittel zur Erfüllung von Zwecken verliert, den Menschen in die „Maßlosigkeit der Geldsucht treibt und damit zu einem „Endzweck menschlichen Strebens wird. An dieser Stelle ist der Punkt erreicht, an dem ein von den „Lebensinteressen des Menschen geförderten Streben nach Besitz und Wohlergehen zu einer, wie Simmel (1989: 312 und 326) sagt, „pathologischen Ausartung des Geldinteresses: der Gier wird, bei der Jeder erreichte Moment den Durst nach seiner Steigerung weckt, der aber nie erreicht werden kann".

    Parallel zu den Bemühungen, dem Geld – vor allem auch dem Streben (nach immer mehr) Geld – im Denken der Menschen einen positiven Anstrich zu verleihen, gab es im Bereich der Literatur und des Theaters immer wieder kritische Stimmen. Nach Dantes Göttlicher Komödie (um 1320) fanden insbesondere Shakespeares Kaufmann von Venedig (1600) und Molières Der Geizige (1668), beide ebenfalls als „Komödien" offeriert, in ihrer Zeit großen Widerhall und werden bis in die heutige Zeit an den Theatern inszeniert. Die seit dem 19. Jahrhundert sich wieder verstärkt bemerkbar machende ablehnende Haltung gegenüber einer vom Geld dominierten Gesellschaft, die zunächst von einer eher kleinen, im Laufe der Zeit aber zunehmenden Zahl von Bürgern und Wissenschaftlern vertreten wird, fand auch in der Literatur und im Theater ihren Widerhall. So bemerkte Leo Tolstoi 1809 in Was ist Geld?, „dass das Geld durchaus nicht jenes unschuldige Mittel der Wertmessung, der Verkehrserleichterung und der Sparmöglichkeit ist, als welches die Wissenschaft es gegenwärtig darstellt, sondern dass es das erste und unverzüglichste Mittel der Unterjochung des Menschen durch den Menschen ist, mit einem Wort, dass es ist: geronnene Gewalt". Und Heinrich Heine schrieb 1841 in Lutetia: „Das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rotschild sein Prophet." Balzac, Dickens und Zola dominierten und prägten mit ihren sozialkritischen Werken, in denen das Geld und die Gier nach Geld eine wesentliche Rolle spielt, die Literatur eines ganzen Jahrhunderts. Heinrich und Thomas Mann, Upton Sinclair, John Steinbeck, Bertold Brecht, Ödön von Horváth, Robert Walser, Hans Fallada, Friedrich Dürrenmatt, William Gaddis, Tom Wolfe, Don DeLillo, Martin Walser, René Pollesch, Ingo Schulze, Elfriede Jelinek, Dietmar Dath und Rainald Goetz – um nur ein paar Namen zu nennen – setzten diese Tradition bis in die heutige Zeit fort. Nach Oliver Stones Wallstreet beschäftigten sich auch der Film, das Fernsehen und Theater verstärkt mit Themen, die sich kritisch mit dem Einfluss des Geldes auf den Einzelnen und die Gesellschaft auseinandersetzen.

    Auch wenn Ökonomen sich mit dem „Geld eigentlich recht wenig oder nur sehr oberflächlich beschäftigt haben³³, kann man doch Gesamtbild abrundende Hinweise und Details liefern, über eine (doch wieder) einseitige, mitunter auch höchst fragwürdige Betrachtung des Geldes auch nicht hinauskommen. feststellen, dass es für die Menschen – wie die vorausgegangenen Ausführungen schon angedeutet haben – offensichtlich weit mehr ist und eine wesentlich umfassendere Bedeutung hat, als man zunächst einmal annimmt. Geld ist, wie Ökonomen lange Zeit gemeint haben, also nicht nur ein „Schleier, der sich über den realwirtschaftlichen Bereich legt, Tauschprozesse erleichtert und eine Wertaufbewahrung ermöglicht, sondern, wie Christoph Deutschmann (2007: 72) sagt, ein „umfassenderes gesellschaftliches Machtpotential, das alle Weltbezüge der menschlichen umschließt. (…) Es ist, wie die Alltagssprache sagt, ‚Vermögen’, also ‚Können schlechthin‘".

    Seine Erscheinungsformen und die Dinge, die es bei den Menschen bewirkt, sind höchst vielfältig: Es kann in der Form von Münz-, Papier-, Buch-, Giral-³⁴, „Plastik- oder reinem „Zcichcn- Geld, oder, wenn es zum Zwecke seiner Vermehrung angelegt wird, als Kapital auftreten, und entwickelt sich im Laufe der Zeit immer mehr zum Symbol, das keinen inneren, sondern nur einen von seiner Kaufkraft – und das Vertrauen in diesen – abgeleiteten Wert hat. Geld verleiht den Menschen Macht und Ansehen, weswegen in der Geschichte der Menschheit häufig Kriege um es geführt wurden. Wo Geld vorhanden ist, pulst das Leben und blühen Kulturen; wo es fehlt, verkümmert vieles. Es kann die Menschen zusammenbringen, aber auch trennenden Streit erzeugen; es kann sie beflügeln, ihr Ich stützen oder erweitern und damit glücklich, aber auch gierig, geizig und hartherzig werden lassen, oder, vor allem wenn es „entfleucht, auch sehr unglücklich machen… Nicht umsonst vertritt Deutschmann (2007: 76) deshalb die Auffassung, dass das zum Kapital fortentwickelte Geld, indem es ‚glicht weniger als die individuelle Verfügung über die Totalität menschlicher Möglichkeiten verspricht, zum Träger einer „religiösen Verheißung wurde, die andere Religionen zunehmend verdrängt – und Marx war einer der ersten, der kritisch hinter den „Fetisch Kapital blickte. Geld hat damit „Qualitäten", wie Simmel in seiner Philosophie des Geldes sagt, die es „spezialisieren, weit über eine ökonomische Betrachtung hinausheben und es quasi mit einem ‚Astralleib umgeben: „Wenn es eine Philosophie des Geldes geben soll, so Simmel (1989: 10), „so kann sie nur diesseits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen.

    Die kritische Haltung gegenüber dem Geld endete nicht bei Simmel. So wiesen in neuerer Zeit Robert und Edward Skidelsky, der eine Ökonom, der andere Philosoph, in Wie viel ist Genug? (2013) auf die Folgen einer sinnlosen Vermögensanhäufung hin, beschrieb der Philosoph Michael Sandel in Was man für Geld nicht kaufen kann (2012) sowie in Gerechtigkeit (2013) die Grenzen eines moralisch gerechtfertigten Umgangs mit Geld, stellte Felix Martin in Geld, die wahre Geschichte (2014) das Geld in einen moralischen Kontext – wobei sich alle auf die grundlegendkritischen Gedanken Aristoteles’ zum Geld und seinen Wirkungen beziehen.

    Eine kleine Geschichte der Gier

    Auch die Gier³⁵ hat, wie ich in den folgenden Kapiteln noch im Detail darstellen werde, eine lange Geschichte, die nahezu parallel zu der des Geldes verläuft.³⁶ Die Maßlosigkeit und der Wunsch eines stetigen mehr-haben-Wollens waren schon bei den Griechen verpönt. Man war der Meinung, dass ein allzu großes Streben nach Erfolg und Reichtum sich in perverse, unersättliche Begierden verwandelt, die man als Pleonexia bezeichnete. Die reine Akkumulation von Kapital wurde als widernatürlich betrachtet – und im Streben nach Bereicherung um der Bereichung Willen, das Aristoteles als „Chrematistik bezeichnete, erkannte man nicht nur eine Verführung zu Spekulantentum, Profitgier und unmoralischem Handeln, sondern vor allem auch die Verfehlung eines „geglückten Lebens.

    Die Kirchen verschärften später durch allerlei Verordnungen und Gebote den Kampf gegen ein allzu exzessives Streben nach Geldvermehrung. So warnte schon der Apostel Paulus seinen Gefährten Timotheus vor dem Wunsch reich werden zu wollen – und fügt hinzu, dass Habgier und Geiz die „Wurzel aller Übel seien". Grundlagen hierfür fand man insbesondere in der Bibel, wo es beispielsweise im Buch Sirach (31.5) heißt: „Wer Geld liebhat, der bleibt nicht ohne Sünde; und wer Gewinn sucht, der wird damit zugrunde gehen." Und im Lukasevangelium (12, 13-33) steht geschrieben: „Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines Vermögens im Überfluss lebt. (…) Verkauf eure Habe und gebt den Erlös den Armen!" Aus diesem Grund zählt die Gier aus theologischer Sicht auch heute noch zu den sieben Todbzw. Hauptsünden.

    Im Zentrum der klerikalen Missbilligung stand der berufsmäßige Umgang mit Geld und hier vor allem das Zinsnehmen für ausgeliehenes Kapital, das man, egal wie hoch der Zinssatz auch war, als Wucher bezeichnete. So wetterte der Kirchenvater Basilius – anknüpfend an die

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