Ich habe Angst - ist das gut oder schlecht?: Einfache Fragen und hilfreiche Antworten
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Jasper Vogt kennt das. Er hat mit der Psychologin und Therapeutin Edna Westmeier in einer lockeren Atmosphäre dazu Gespräche geführt und diese aufgezeichnet. Er hatte keine Angst vor Fragen, sie durften ganz einfach sein, und er hat interessante und sehr differenzierte hilfreiche Antworten erhalten. Jetzt hat er eine andere Art, mit seinen Ängsten umzugehen. Er hat die Erfahrung gemacht:
Wer Zusammenhänge begreift, der hat es leichter und dem geht es besser.
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Book preview
Ich habe Angst - ist das gut oder schlecht? - Edna Westmeier / Jasper Vogt
Teil 1: Fragen und Antworten
Kapitel 1: Ich fürchte mich
Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit und wusste sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen. Wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schauderte, so sprachen die Zuhörer manchmal: „Ach, es gruselt mir!. Der Jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nichts begreifen, was es heißen sollte. „Immer sagen sie, es gruselt mir! es gruselt mir! Mir gruselt’s nicht: das wird wohl einen Kunst sein, von der ich nichts verstehe.
(„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen")
Märchen der Brüder Grimm
Jasper Vogt: Es gibt bei den Brüdern Grimm das Märchen Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen Ich muss das nicht lernen
. ich kann es schon. Manchmal fühle ich mich vor Angst wie gelähmt.
Edna Westmeier: Angst ist ja erst einmal so etwas wie ein Erregungszustand. Im Deutschen ist es ganz deutlich: Angst kommt von Enge. Angst hat eine psychische, aber immer auch eine körperliche Komponente. In dem Moment, wo wir Angst haben, beschleunigt sich der Puls, krampft sich der Magen zusammen, wir haben so ein Gefühl wie einen Kloß im Hals …
JV: Das kenne ich natürlich alles. Aber Angst haben und sich fürchten – gibt es da einen Unterschied?
EW: Es kommt immer darauf an, wie man das Wort definiert. In der Fachliteratur gab es mal Bestrebungen, Angst und Furcht zu trennen. Man versuchte die Definition, dass Furcht das ist, was man vor etwas ganz Konkretem hat, während Angst ziemlich nebulös ist.
JV: Eher so etwas wie ein Zustand.
EW: Eigentlich bringt es nichts, das so zu differenzieren; denn wenn jemand sagt, er hat Angst, kann es sein, dass er dann konkrete Angst hat, z. B. an einer aktuellen Krankheit zu sterben. Oder er stellt sich nur vor, irgendetwas könnte passieren. Das ist durchaus ein Unterschied, aber da ist Furcht oder Angst egal. Zunächst einmal hat Angst eine natürliche Schutzfunktion, das bedeutet, dass man vorsichtig ist. Der berühmte Bergsteiger Reinhold Messner hat mal gesagt, Angst sei ein guter Begleiter; denn wenn er keine Angst mehr hätte, würde er leichtsinnig werden. Wenn er zu schnell oder zu hoch auf einen Berg steigt, dann hat er Angst, dass ihm dann die Luft ausgeht, er spürt, dass er das vielleicht nicht durchhält – ich würde das heute nicht mehr als Angst bezeichnen.
JV: Aber was ist es dann?
EW: Ich denke, das ist eher Vorsicht und Aufmerksamkeit. Angst, Furcht, was auch immer, kennt man aus der frühen Entwicklungsgeschichte, wo die Menschen noch sehr viel ungeschützter durchs Leben gelaufen sind. Da gab es viele wilde Tiere …
JV: … den Säbelzahntiger!
EW: Genau, den Säbelzahntiger zum Beispiel. Und wenn der kommt, dann passiert etwas physiologisch: Alles im Körper wird mobilisiert, entweder für die Flucht oder für den Angriff. Ich glaube, Menschen empfanden dann diese Erregung durchaus, aber das ist sicher nicht das, was wir heute allgemein als Angst bezeichnen. Heute sprechen Menschen oft von Angst, wenn sie sich vorstellen, dass etwas Unangenehmes passieren könnte. Damals hatten die Menschen in der konkreten Gefahrensituation natürlich gar nicht so viel Zeit, lange darüber nachzudenken, dass sie vielleicht Angst haben.
JV: Da ging es nur darum: Keule schwingen oder wegrennen.
EW: Oder erstarren in der Hoffnung, die Gefahr geht vorbei. Es gibt auch heute bei jedem Menschen diesen Anstieg von Adrenalin bei Gefahr. Dieser Umstand ist übrigens auch sehr interessant für die Stress-Forschung. Viele Menschen befinden sich heute in einem ständig überhöhten Adrenalinspiegel, und das kann kein Mensch lange aushalten. Was der Mensch aushalten kann, das ist der Moment, wo er eine Gefahr erkennt, z. B. „oh, ein Säbelzahntiger!". Und dann rennt er weg. Und wenn die Gefahr vorbei ist, fährt der Körper wieder runter. Unsere Vorfahren konnten sich dann nicht aufs Sofa legen und darüber nachdenken, was sie gerade erlebt haben, sondern sie mussten andere Probleme lösen: für ihr Essen oder für ihren Schlafplatz sorgen oder sich sonst irgendwie schützen.
JV: Wir wollten eigentlich über Angst reden, jetzt sind wir bei Stress.
EW: Das hängt alles zusammen; denn es geht darum, dass Menschen lernen, auch wieder ins Gleichgewicht zu kommen, wir nennen das heute umgangssprachlich „runterkommen". Burnout, ein ganz aktuelles Thema, tritt ganz oft dann ein, wenn Menschen ständig in diesem überhöhten Adrenalinspiegel sind. Dazu kommt dann, dass sie sich permanent in ihrem Kopf alles Mögliche ausmalen, was passieren könnte: Ich verliere meinen Job … mein Partner verlässt mich … meinen Kindern kann ich keine vernünftige Ausbildung geben … ich muss das Haus verkaufen – Resultat: Wir landen in der Gosse!
JV: Das sind Horror-Phantasien!
EW: Natürlich, und die sind selbstgemacht! Aber das Interessante ist: Sie werden nicht als selbstgemacht empfunden. Das sind sie aber, sie entstehen durch eigene Gedanken. Man könnte sich doch ebenso auch das Gegenteil vorstellen: Alles wird wunderbar! Und da sind wir bei der Frage: Warum gönnen wir Menschen uns permanent die Vorstellung, was alles Schlechtes passieren könnte.
JV: So einfach ist das ja nun nicht. Wenn ich irgendwo angestellt bin und lese in der Zeitung, dass genau meine Firma demnächst tausend Stellen abbaut, dann bin ich vielleicht einer davon, und dann habe ich ein Problem.
EW: Klar, da gibt es einen konkreten Auslöser, der ist in diesem Fall der, dass ich meine Arbeit verlieren könnte. Das ist kein gutes Gefühl, das macht mir Angst, da blinzelt der Säbelzahntiger schon um die Ecke. Aber ich bin nicht überfallen worden und muss sofort reagieren. Ich habe im Grunde genommen noch genügend Zeit, mir zu überlegen, wie ich damit umgehe. Noch ist mir der Himmel nicht auf den Kopf gefallen.
JV: Vielen Dank für das Stichwort. In Kleinbonum hat der Häuptling immer Angst, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt, ich kenne alle Geschichten von „Asterix und Obelix". Darüber haben wir gelacht, das fanden wir lustig. Aber wenn es konkret wird, ist der Witz weg. Dann fällt mir tatsächlich der Himmel auf den Kopf, dann bin ich arbeitslos, und das ist doch wohl ein Qualitätsunterschied. Oder ist das auch nur wieder meine Phantasie?
EW: Letztlich ist es nur deine Phantasie, weil es noch nicht passiert ist. Das heißt nicht, dass man nur blind durch die Welt läuft mit dem Gefühl, mir kann nichts passieren. Wir Menschen haben ja auch unseren Verstand, und der befähigt uns, Vorsorge zu treffen, Vorsorge – oder Fürsorge. Und das ist ja nicht schlecht, das passiert auch aus dem Wissen, dass da was instabil oder gefährlich werden kann.
JV: Da fallen mir die vielen Möglichkeiten ein, z. B. Versicherungen abzuschließen. Und genau dafür gibt es sie ja, die Versicherungen, zur Absicherung einer Instabilität und einer Gefährlichkeit. Einige sind notwendig, viele sind sinnvoll, manche auch überflüssig.
EW: Deshalb sollte man genau überlegen, welche wirklich notwendig sind; denn es geht auch da nur um Wahrscheinlichkeiten. Autoversicherung ist Pflicht, eine Haftpflichtversicherung ist sicher sinnvoll, aber ich sehe nicht, was das jetzt mit der Angst des Einzelnen zu tun hat.
JV: Versicherungen sind aus der Versicherung auf Gegenseitigkeit entstanden. Der Blitz kann in die Scheune einschlagen, keiner weiß, wen es treffen wird, deshalb zahlen alle in einen Topf, um den aufzufangen, den es dann trifft. Wenn die Gemeinschaft mich irgendwie auffängt, wenn die Gemeinschaft dafür sorgt, dass ich nicht so viel Angst haben muss, hat das Auswirkungen auf den Grad meiner Angst.
EW: Das könnte sein. Wenn jemand Angst vor Krankheit hat und sagt, er hat schon mal einen Arzt gehabt, der prima geholfen hat, zu dem gehe ich wieder, dann ist möglicherweise die Angst nicht so groß.
JV: Ich bin mit meinem Auto Vollkasko versichert, das reduziert meine Angst.
EW: Du sitzt doch nicht im Auto und hast Angst, das ist ja nicht das Angst-Thema! Du willst damit irgendwohin fahren.
JV: Aber neues Auto, Totalschaden, das wäre schon richtig blöd.
EW: Das sind doch nicht die Ängste, die das Leben schwer machen, oder? Es sei denn, jemand hat so viel Angst, dass er zwar einen Führerschein hat, aber lieber nicht Auto fährt, weil er Angst hat, einen Unfall zu verursachen. Das ist genau so, als würde ich mich nicht trauen zu leben, weil ich vielleicht sterben könnte.
JV: Es gibt aber Verlust-Ängste. Mein Auto ist kaputt, ich habe kein Auto mehr.
EW: Verlust-Angst gehört natürlich zu dem Thema Angst. Aber ich habe selten in meiner Praxis erlebt, dass Menschen zu mir kommen, die Angst haben, dass ihr Auto kaputt geht. Da geht es mehr um die Angst, dass der Vater, die Mutter stirbt, der Partner …
JV: Worin besteht denn nun der Unterschied zwischen der Angst, dass meine Frau oder mein Kind stirbt und der Angst, dass meine Auto kaputt geht? Das kann doch so ähnlich sein – es geht um Verlust, um Verlust-Angst!
EW: Im Extremfall kann es ähnlich sein, wenn sich jemand so identifiziert mit seinem Auto, dass er das als Verlängerung oder Ausweitung seines Ichs begreift. Wir müssen hier die unterschiedlichen Verlust-Ängste betrachten. Die meisten Verlust-Ängste betreffen die Familie und die Partnerschaft. Der Partner ist nicht mehr da und wir können dies und jenes nicht mehr mit ihm erleben. Es kann sogar sein, dass man das gemeinsames Streiten vermisst, denn auch das gehört zum lebendigen Miteinander. Eingetreten ist es ja noch nicht, aber das ist meine Angst: Oh, dann stehe ich alleine da, der wichtigste Inhalt meines Lebens ist weg, dann muss ich mir einen neuen Inhalt suchen, ein neues Leben aufbauen. Das ist nicht so leicht gemacht, bei einem Auto wäre das nicht ganz so kompliziert.
JV: Das ist das eine. Aber es gibt sicher einen tieferen Grund.
EW: Ja, den gibt es, das ist die Frage: Womit identifiziere ich mich, was gehört zu meinem Ich? Und wenn zu meinem Ich mein Partner gehört (und das passiert einfach in einer langjährigen Beziehung), dann geht etwas von meinem Selbstbild verloren. Tröstliche Botschaft: nicht wirklich! Natürlich bleibe ich der Mensch, der ich bin. Wir existieren ja nicht nur physisch, und wenn ein Mensch physisch nicht mehr da ist, dann heißt das ja nicht, dass alles das, was ich mit ihm erlebt habe, weg ist. Aber klar ist: Ich kann auf dieser Ebene keine neuen Erfahrungen mehr mit diesen Menschen machen. Dann denke ich, ein Teil von mir ist gestorben.
JV: So, als wenn man mir meinen sündhaft teurer Oldtimer geklaut hat.
EW: Du neigst offensichtlich dazu, dich mit einem Auto zu identifizieren. Ich kann mir das spontan nicht so recht vorstellen, aber es mag schon Menschen geben, für die das sehr schmerzlich ist. Nur wird diese Ich-Ausweitung bei einem Auto bei