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YULZEIT
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YULZEIT

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About this ebook

Weihnachten - scheinbar vertraut und doch so voller Geheimnisse und Überraschungen! Das müssen auch die jungen Leute erfahren, die sich am 24. Dezember zu einer Party bei Freunden zusammenfinden und im Laufe des Abends spontan beschließen, das eigentliche Weihnachten zu hinterfragen und womöglich zu ergründen. Dabei gelingt es ihnen tatsächlich, einige der Schleier zu heben, die das Fest verhüllen. Hinter den Schleiern aber begegnen ihnen andere Dinge und Wesen als sie erwarten.
Einige der Party-Gäste dringen bis zu Elementen des alten Yulfests vor und geraten in die Wirbel der Anderswelt, andere schaffen es in die noch älteren Regionen des uralten Yulfests und gelangen so zum Erleben der Großen Mutter.
Doch nach dem Überschreiten von Schwellen können die Dinge leicht aus dem Ruder laufen …
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateNov 28, 2018
ISBN9783746992648
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    YULZEIT - Michael Duesberg

    I. ORAKEL

    1.

    „Du kannst darüber denken, wie du willst, aber ich finde diesen Orakelkram einfach unheimlich, er macht mir Angst, verstehst du? Anna-Maria blickte zur Bude des Wahrsagers hinüber. Dort stand in gelben Großbuchstaben auf violettem Grund: „Vertrauen Sie dem Orakel! Ganze Reihen von Hütten und Verkaufsstände drängten sich vor und hinter der Orakelbude über den Marktplatz hin, ebenso auf der Gegenseite, im Rücken von Benni und Anna-Maria. Die Besucher schlenderten die Wege entlang, die sich zwischen den Buden gebildet hatten oder standen schwatzend und lachend in Gruppen beieinander, vor allem vor den Ständen mit Essen und Getränken, wo sie sich bei einem Glühwein oder Schnaps aufwärmten.

    Das Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt war jetzt überschaubar geworden. Am frühen Nachmittag hatte es einen Höhepunkt gegeben, da konnte man sich kaum noch durch die quirlenden Massen durchschieben; mittlerweile war es deutlich ruhiger. Benjamin lachte über Anna-Marias Worte. „Solcher Hokuspokus soll doch nur den Markt hier spannend machen; da ist nichts dran, auch nichts Unheimliches, und erst recht nichts dahinter!", sagte er.

    „Ich weiß schon, wie du darüber denkst", entgegnete Anna-Maria und nestelte an einer ihrer Anoraktaschen herum.

    „Suchst du etwas?", fragte Benni.

    „Ja. Vorhin hab ich doch den Geldbeutel in die rechte Tasche gesteckt; aber die ist leer."

    „Und links?"

    Sie suchte weiter. „Ebenfalls leer", sagte sie.

    „Und in der Hose?"

    „Frauenhosen haben keine Taschen, das solltest du allmählich wissen, diese hier macht keine Ausnahme." Sie wühlte eine Zeit lang in ihren beiden Einkaufstüten herum, aber der gesuchte Gegenstand blieb verschwunden. Anna-Maria wurde nervös.

    „Jetzt wäre doch eine passende Gelegenheit, uns von dem Zaubermaxe dort drüben sagen zu lassen, wo das gute Stück abgeblieben ist", meinte Benni.

    Anna-Maria musste lachen: „Okay, sagte sie, „also doch da rein!

    Sie gingen auf die Bude zu, klopften an die Holztür und warteten. Als ein deutliches „Herein! ertönte, öffneten sie und traten ein. Ein schwarzer Vorhang trennte den Vorraum vom Innern der Hütte. Die einzige Glühbirne war dreckig und verbreitete wenig Licht. Ein hagerer Mann im schwarzen Frack trat geräuschlos hinter einem der Vorhänge hervor. „Willkommen, die Herrschaften! sagte er. „Sie suchen sicher Ihre Börse, nicht wahr? Er griff in die Brusttasche seines schwarzen Fracks, zog Anna-Marias Geldbeutel daraus hervor und hielt ihn ihr vor die Nase. „Nehmen Sie einstweilen diese hier!

    Anna-Maria schnappte nach Luft. Benni lachte, halb ungläubig, halb anerkennend; dann fragte er: „Jetzt lassen wir uns aber auch noch die Zukunft voraussagen, oder? Er blickte seine Begleiterin auffordernd an. Als diese nicht reagierte, wandte er sich an den Zauberer: „Zweimal Zukunft, bitte. Was kostet das?

    „Fünf Euro pro Person und Cluster. Ein Cluster ist ein Themenkreis. Bitte gedulden Sie sich einen Moment, ich bin in zwei Minuten zurück." Damit verschwand er geräuschlos hinter einem Vorhang.

    „Hat das denn sein müssen, dass wir uns jetzt auch noch die Zukunft vermiesen lassen? Anna-Maria blickte ihren Freund vorwurfsvoll an. „Schließlich haben wir doch den Geldbeutel zurück; wozu da noch mehr Zukunft? Sie zählte das Geld in der Börse: „Boah, alles noch drin!"

    Benni fand die Situation zum Lachen komisch und konnte kaum ernst bleiben: „Hokuspokus, deutete er auf Anna-Maria, „Sie sind ein weiblicher Mensch und heißen … Er kratzte sich am Kopf, als würde er nachdenken.

    Anna-Maria schwang eine ihrer Tüten mit Stoffsachen darin und klatschte sie Benni um die Ohren.

    Doch der ließ sich nicht aus dem Konzept bringen: „… und Sie heißen Frieda-Helena …"

    Patsch! knallte ihm die Tüte um das andere Ohr. Jetzt ergriff er die Flucht Richtung Ausgang. Als er die Holztür öffnen wollte, war sie jedoch verschlossen. Verdutzt blickte er die Freundin an. „Das darf doch nicht wahr sein", murmelte er.

    Ein Räuspern hinter ihnen ließ sie herumfahren. „Da drinnen ist jetzt frei", bemerkte der Zauberer höflich.

    Die jungen Leute wandten sich um und traten durch den Vorhang in einen kleinen Raum mit Stühlen, wo Zeitungen und Bücher auf einem Beistelltisch zur Auswahl lagen, gerade so wie beim Zahnarzt oder Frisör. Der Hagere im Frack bat Benjamin, hier zu warten, er selbst ging mit Anna-Maria nach nebenan, schloss die Tür hinter ihnen und setzte sich an einen wuchtigen Schreibtisch. Anna-Maria nahm ihm gegenüber Platz und sah sich um. Schwere violette Vorhänge hingen an den Wänden und dämpften den Lärm von draußen. Der Jahrmarkt klang nur noch wie fernes Brausen herein.

    „Was genau möchten Sie wissen?", riss der Zauberer sie aus ihrer Betrachtung.

    „Ähm, ja, die Zukunft, dachte ich, stotterte Anna-Maria, „also wen ich mal heirate. Und natürlich wann und wo. Und ob meine Ehe glücklich sein wird. Und wie viele Kinder ich …

    „Nun, das wird Sie stattliche 20 € kosten; es sind vier Cluster."

    „Ja okay, ich mache das trotzdem, sagte sie, „ich habe ja jetzt meinen Geldbeutel wieder.

    Der Mann lächelte, nahm einen verschnürten Stoffbeutel aus einer Schublade, drehte und schüttelte ihn, öffnete die Schnüre und ließ eine Fülle gleichartiger kleiner Holzstückchen in ein Tuch auf dem Tisch fallen. Die Hölzer waren beiderseits geschliffen und trugen auf der Vorderseite schwarze Zeichen, die Anna-Maria nicht kannte. „Schließen Sie jetzt bitte die Augen, wühlen Sie mit beiden Händen in diesen Runenstäben, und nehmen Sie sich dreimal drei davon aus dem Stoß. Lassen Sie sich viel Zeit dabei und achten Sie darauf, dass Sie nur solche Stäbe anfassen, die für Sie persönlich bestimmt sind!"

    „Und woher soll ich wissen, was für mich bestimmt ist?", fragte Anna-Maria und der Mann lächelte sie wieder an.

    „Spüren Sie dem beim Wühlen bewusst nach; Sie werden es ganz sicher erleben."

    Anna-Maria stellte ihre Tüten neben den Sessel und legte beide Hände auf die Stäbe. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl der Hölzer zwischen den Fingern. Diese waren fest und warm und fühlten sich angenehm an. Nach einiger Zeit bemerkte sie, dass einige Runenstäbe tatsächlich etwas anders in der Hand lagen als andere, fast so, als wirkten sie abweisend und wollten nichts mit ihr zu tun haben; andere dagegen schmiegten sich gut an und waren berührungsfreundlich. Sie tastete ruhig weiter, nahm schließlich drei der Stäbe auf und legte sie vor dem Hageren auf den Tisch. Das wiederholte sie noch zweimal. Dann blickte sie den Mann erwartungsvoll an.

    „Sehr gut!, sagte der Wahrsager, der bisher geschwiegen und sie betrachtet hatte, „fast schon professionell! Ich habe doch vorhin gleich bemerkt, dass jemand Besonderes in die Nähe der Bude kommt. Anna-Maria wusste nicht, was sie auf derlei Schmeicheleien antworten sollte und schwieg.

    Der Mann strich die übrig gebliebenen Stäbe mit dem Handrücken beiseite und legte die neun ausgesuchten Hölzer so auf die freie Fläche, dass ein aufrechtes Rechteck vor der jungen Frau lag. Ein leichter Schwindel erfasste sie. „Ja, das wirkt verdammt stark, murmelte der Mann; „Sie könnten ihre Fragen fast schon ohne Runen beantworten. Er betrachtete aufmerksam die Anordnung der Hölzer. „Soll ich darüber sprechen oder wollen Sie die Ergebnisse lieber selbst sehen und erleben?", fragte er.

    „Ich würde sie gern selbst sehen", antwortete sie.

    „Gut. Dann schließen Sie bitte die Augen, lehnen sich entspannt zurück und schweigen. Ab jetzt bin auch ich still."

    Anna-Maria konzentrierte sich auf die Hölzer.

    Zuerst war alles nur dunkel. Dann sah sie einen Punkt in der Ferne, der tanzte. Sie fixierte ihn. Neugierig und zugleich fasziniert sah sie, wie er auf sie zukam. Es war ein kleiner Lichtpunkt. Er kam näher und näher. Er glühte in einer Laterne in der Hand einer verhüllten Gestalt. Alles darum herum wirkte verschwommen und irgendwie fremdartig. Dann aber wurden die Konturen deutlicher. Die Gestalt trat vor Anna-Maria hin. Ein starkes Glücksgefühl durchströmte sie und sie verlor einen Augenblick lang fast das Bewusstsein. Zugleich aber wurde sie sich ihrer selbst und der Umgebung auf merkwürdige Weise bewusst und war wach und gegenwärtig. Die Gestalt stand noch immer vor ihr. Es war eine verschleierte Frau. Die hob jetzt ihren Schleier auf und Anna-Maria blickte in ein Gesicht, das so schön und vertraut war, dass es fast wehtat. Die Frau strich sich übers Haar: „Was du auch sehen magst, sagte sie freundlich, „bedenke, dass es nur zu deinem Besten ist und dass du selbst es gewollt und gesucht hast!

    Da war es Anna-Maria, als sinke sie in einen tiefen Schlaf. Träume kamen wie eine Bilderflut über sie. Sie sah einzelne Szenen sich abspielen: wie sie als Braut glücklich zu einem Altar schritt; wie sie als Geliebte einen Mann in den Armen hielt; wie sie als junge Mutter selig ihr erstes Kind wiegte; wie sie dann nach und nach vier weitere Kinder im Arm hielt, herzte und fütterte. Nach einer Weile sah sie sogar, wie sie als Großmutter im Kreise ihrer Lieben Weihnachten feierte. In einem stattlichen Zimmer stand ein herrlich geschmückter Baum. Seine Spitze berührte die Decke, und seine Zweige trugen Kerzen, bunte Holzfiguren, Strohsterne und rote Rosen. „Oh, ist das schön", murmelte sie. Allmählich wurde der Traum dann durchsichtiger und drohte sich aufzulösen. Das Bild ihres künftigen Ehemanns blieb ihr vor dem inneren Auge stehen. Diese Gestalt drehte sich jetzt zu ihr um, trat aus den Schleiern ihres Traums heraus, und Anna-Maria fuhr entsetzt zusammen: Der Schwarzhaarige war ihr Bruder Peter! Es fehlte nicht viel, und sie hätte vor Überraschung aufgeschrien. Schnell presste sie die Hände vor den Mund und stöhnte leise.

    „Ist Ihnen nicht wohl?", fragte der Zauberer sogleich.

    „Geht schon", antwortete sie matt. Dann schlief sie wieder ein.

    „Das war’s dann wohl, sagte der Zauberer nach einer Weile und weckte sie mit seinen Worten. Sie erwachte, erhob sich, griff gedankenlos nach ihren Tüten und wollte gehen. In diesem Moment kam ihr die Frauengestalt wieder in den Sinn. Sie wandte sich halb dem Zauberer zu und fragte: „Wer war diese Frau?

    „Sie sprechen von der Gestalt mit dem Licht?", fragte der Mann zurück.

    Sie nickte: „Ja, die so wunderschön und vertraut war."

    Haben Sie denn Ihr Antlitz gesehen?", fragte der Zauberer erstaunt.

    „Ja sicher. Sie hob doch ihren Schleier auf und sah mich dabei an. Ich kenne sie gut, weiß aber nicht, woher!"

    Der Zauberer pfiff leise durch die Zähne: „Millionen von Menschen würden Sie nie anders als verschleiert erblicken, und Ihnen zeigt Sie sich gleich beim ersten Mal unverschleiert, alle Achtung! Die Schöne ist die Mutter aller Mütter. Sie hat tausend Namen, soll ich sie Ihnen aufzählen?"

    „Nein danke, nicht nötig." Anna-Maria, in deren Erinnerung plötzlich etwas zu klingeln begann, schritt wie im Halbschlaf auf den Nebenraum zu, wo Benni bei ihrem Eintreten die Zeitschrift sinken ließ und sie erschrocken anstarrte.

    „Ist etwas passiert?", stieß er hervor.

    „Nein, beruhigte sie ihn, „jetzt geh du ruhig auch hinein, du wolltest ja unbedingt deine Zukunft erfahren.

    „Unsere Zukunft", verbesserte er sie, legte die Zeitung hin und stand auf. Als Anna-Maria sich setzte, war er schon verschwunden und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

    2.

    Benjamin setzte sich dem Wahrsager gegenüber in den Sessel und sah sich um. Der Zauberer blickte ihn gelassen an: „Was genau wollen Sie erfahren?", fragte er nach einer Weile.

    „Och, das habe ich mir noch gar nicht überlegt, antwortete Benni, „aber sagen Sie mir doch einfach etwas über meine Freundin und unsere gemeinsame Zukunft.

    „Darf ich Ihnen einen fachmännischen Rat geben?", fragte der Zauberer.

    Benni blickte erstaunt auf: „Klar", sagte er.

    „Versuchen Sie niemals, etwas über zwei oder mehr Persönlichkeiten gleichzeitig zu erfahren! Bleiben Sie stets bei einer einzigen Person!"

    „Ach ja?, sagte Benni irritiert; doch dann lachte er: „Gut, das lässt sich machen. Schließlich kommt meine Freundin ohnehin mit ins Spiel, wenn es um mich geht, oder?

    „Welcher Zeitraum interessiert Sie denn am meisten?", fragte der Zauberer, ohne auf Bennis Worte einzugehen.

    „Sagen wir, überlegte Benni laut, „wir werfen mal einen Blick auf mein künftiges Leben, so in fünf und dann noch einmal in zehn Jahren. Geht so was?

    „Das sind zwei verschiedene Cluster, sagte der Zauberer, „kostet Sie 10 €. Wollen Sie die Dinge von mir erzählt bekommen oder vor Ihrem inneren Auge sehen?

    „Gern Letzteres, wenn das möglich ist."

    Der Zauberer nickte, nahm einen Stapel Karten mit merkwürdigen Bildern zur Hand und mischte sie. Dann fächerte er die Karten in beiden Händen auf und hielt sie Benjamin entgegen. „Ziehen Sie bitte drei Karten aus dem Fächer und legen Sie diese von links nach rechts in waagerechter Reihe auf den Tisch. Gut. Nun schieben Sie die Reihe so weit von sich weg, dass zwischen Ihnen und den Karten eine zweite und eine dritte Dreierreihe Platz hat. Jawohl, so. Nehmen Sie jetzt bitte wieder drei Karten und legen Sie diese von links nach rechts als zweite Reihe vor die bereits liegende hin. Gut. Und jetzt wieder, ein letztes Mal, drei Karten von links nach rechts, diesmal direkt vor Ihnen. Fein. Ich drehe jetzt alle diese Karten um. Der Zauberer ließ den Blick über die Bilder schweifen, dann fixierte er den jungen Mann und sagte: „Bitte schließen Sie die Augen und lehnen Sie sich entspannt zurück. Was auch immer passieren mag, denken Sie bitte nicht, ich sei schuld daran! Behalten Sie das im Bewusstsein!

    Etwas verwirrt schloss Benjamin die Augen und wartete. Zuerst geschah lange nichts. Dann erblickte er ein rundes zerfasertes Grau in der Ferne. Das kam ganz langsam näher und er sah eine düstere, felsige Wüstenlandschaft, kahl und unwirtlich, darin eine Gruppe dunkelhaariger, bärtiger Männer mit Rucksäcken auf den Rücken und Gewehren in der Hand. Jemand, der genau wie er selbst aussah, schien die Gruppe anzuführen, denn immer wenn sein Ebenbild einen Befehl brüllte, reagierten die anderen Männer darauf. Wie Benni so ganz versunken die Landschaft und die Personen betrachtete, hörte er plötzlich ganz nah ein helles Sirren und dann einen fernen Knall. Einer der Männer, der eben noch mit großen Schritten auf einen Felsen zugesprungen war, zuckte zusammen und fiel dann schlaff wie eine Puppe ins Geröll. Die anderen Männer und sein Ebenbild sprangen sofort in alle Richtungen auseinander und nahmen hinter Steinen und in Mulden Deckung. Dabei brachten sie auch schon ihre Gewehre in Anschlag und erwiderten das Feuer auf jenen Berghang gegenüber, von welchem der Knall gekommen war. Weitere Schüsse ertönten auch von drüben, sprengten aber, wo sie auftrafen, nur Splitter und Staub aus dem Gestein. Der Benni seines Traumbildes lag hinter einem großen Felsen und hatte den Rucksack auf den Boden gesetzt und geöffnet. Daraus holte er mehrere Rohre und Metallaufsätze heraus. Geübt schraubte er die Teile zusammen, legte sie auf einen ausziehbaren Ständer und schob das Rohr vorsichtig aus der Deckung heraus, bis es Richtung Berghang zeigte. Sucher und Ladevorrichtung befanden sich dabei noch im Schutze des Felsens. Er führte einen Metallzylinder in die Ladevorrichtung ein, schaltete den Sucher an und betrachtete das leuchtende Bild auf dem Schirm: Es zeigte den gegenüberliegenden Berghang. Mit einer Stellschraube konnte er die Landschaft heranzoomen und ihre Schärfe verstellen, bis jeder Stein am Hang drüben deutlich sichtbar war. Nun suchte er ohne Eile nach verräterischen Bewegungen oder anderen Zeichen, die sich als Ziel anboten. Eine minimale Bewegung in einer Felsspalte gegenüber verriet ihm kurz darauf die feindliche Stellung. Ein ruhiger Handgriff am Abzug: Ein Schlag ertönte und Bruchteile von Sekunden später riss das Geschoss am gegenüberliegenden Hang eine Fontäne aus Feuer, Rauch und Staub in die Luft. Die Männer in seiner Nähe brüllten vor Freude; der Tote aus den eigenen Reihen schien vergessen. Noch blieben sie in Deckung. Vor Benjamin, der in der Zauberbude saß, stand plötzlich die Frage, wo genau sich dieser andere Benni befand und wie er dazu kam, mit Kriegsgerät, von dem er nicht einmal den Namen kannte, so sicher umzugehen. Kaum aber hatte er sich die Frage gestellt, da hüllte sich die Szene auch schon in dichte Nebel und versank vor seinen Blicken, bis er nur noch samtige Schwärze um sich hatte.

    Doch gleich darauf spürte er eine ganz andere Stimmung in sich aufsteigen und sah das ferne zerfaserte Grau wieder heraufziehen. Abermals trieb es wie Gewölk auf ihn zu, bis er darin eingeschlossen war. Als der Nebel sich lichtete, fand Benni sich in einem Wohnzimmer sitzend in einer Gesellschaft wieder, die er zwar nicht kannte, die ihm aber urvertraut war. Ein hübscher kleiner Junge spielte unter dem Weihnachtsbaum mit Klötzchen und eine dunkelhaarige Schöne saß

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