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Nira und der Kristall des ewigen Wassers
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Ebook249 pages4 hours

Nira und der Kristall des ewigen Wassers

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About this ebook

Unglaublich! Der Kristall des ewigen Wassers ist aus dem Dorfbrunnen der Snowlies verschwunden. Wie konnte das geschehen?
Ohne diesen wertvollen Kristall ist die Dorfgemeinschaft verloren!
Doch woher sollten sie einen Neuen bekommen?
Deshalb traut Nira ihren Ohren kaum, als sie am Fenster ihres Großpapos lauscht und erfährt, dass sie die Einzige sei, die das Dorf retten kann. Dafür muss sie in die kalte nördliche Welt reisen, wo sich die Kristalle des ewigen Wassers befinden.
Doch die Reise ist nicht ungefährlich. Diese fremde Welt steckt voller Zauber und Magie, unbekannte Wesen und böse Kreaturen stellen sich ihnen in den Weg, um Nira an ihrer Mission zu hindern.
Wie gut, dass ihr Freund Berry sie begleiten darf.
Gemeinsam erleben sie ein atemberaubendes Abenteuer voller Spannung, Humor und Weisheit.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateNov 12, 2020
ISBN9783347082724
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    Nira und der Kristall des ewigen Wassers - Elchen Liebig

    Die Snowlies

    Versteckt zwischen den sieben tobenden Meeren unserer Erde verbarg sich für uns ein unbekanntes Land. Geschützt von Gipfeln hoher Berge und umringt von dichten Wäldern, lag friedlich inmitten eines Tals ein kleines Dorf.

    Die Bewohner des Dorfes hatten es noch nie erlebt, dass ein Fremdling sie besuchte oder sich zu ihnen verlief. Dennoch fanden sie es vor Hunderten von Jahren dringend erforderlich, ihrem Ort einen Namen zu geben, obwohl kein anderes Volk in Sicht war, von dem sie sich hätten unterscheiden müssen. Das sorgte für viel Aufregung. Ob groß oder klein, jeder Bewohner hatte einen Vorschlag, wie sie ihr Zuhause nennen könnten. Nach etliche langem Hin und Her und kurzen Streitereien beschloss der damalige Bürgermeister kurzerhand, aus den Anfangsbuchstaben der vier Hauptstraßen den Namen zu bilden. Es waren die Süd-, Nord-, Ost- und die Weststraße, die vom großen Dorfplatz aus in ihre jeweiligen Himmelsrichtungen verliefen und sich dann rundum innerhalb des Dorfes miteinander verbanden. Und so wurden sie sich schließlich einig, ihrer Ortschaft den Namen „Snow zugeben. Von da an nannten sich die Dorfbewohner mit ganzem Stolz „Snowlies. Diese liebenswerten, klein gewachsenen Geschöpfe ausgewachsen waren sie gerade mal einen Meter groß, hatten meist rotblonde Haare und eine kleine spitze Nase, die zwischen ihren vollen Wangen hellrot leuchtete. Ihre runden Augen wurden von langen geschwungenen Wimpern umrahmt, die im Sonnenlicht azurblau blitzten. Und noch eine Gemeinsamkeit teilten sie. Sie hatten alle ein sehr rundes, üppiges Gesäß, was bei dem einem mehr und bei dem anderen weniger ausfiel. Da die Frauen eitel waren, trugen sie immer lange weitgeschwungene Röcke, um es ein wenig zu verstecken. Den Herren blieb nichts anderes übrig, als sich in Hosen zu kleiden, was ihnen aber letztendlich schnurzegal war. Die Snowlies waren ein fleißiges und vergnügtes Völkchen und sie besaßen alles, was sie zum Leben brauchten. Sie wohnten in rundförmigen, aus Lehm und Feldsteinen erbauten Häusern, aus deren Dächern schiefe und krumme Schornsteine herausragten. Auch die Fenster und Haustüren wurden so eingelassen, wie es eben passte. Mal rund, mal eckig, mal hoch oder niedrig. Ja, man könnte sagen, dass jedes einzelne Haus seine persönliche Note besaß und keines dem anderen glich. Kleine Gärten schmückten die einzelnen Anwesen und in den Sonnenmonaten waren sie alle schwer damit beschäftigt, ihre eigene Blumenlandschaft zu hegen und pflegen. Dazu müsst ihr wissen, dass es dort nur zwei Jahreszeiten gab, die sie die Sonnenmonate und die Schneemonate nannten.

    Weit in die Welt hinaus konnte keiner von ihnen gehen. Nur bis zum Rande der Wälder, wofür man fast einen halben Tagesmarsch brauchte. Doch hin und wieder machten sie einen kleinen Ausflug und ließen sich mit Proviant auf ihren sattgrünen Wiesen und Felder nieder und bestaunten ihr rundes Dorf aus der Ferne. Am schönsten war es auf der südlichen Seite des Dorfes, wo sich aus dem Wald ein plätschernder Gebirgsbach quer durch das Tal zog und im nördlichen Wald wieder verschwand. Die Kinder spielten mit ihren selbst gebastelten Schiffchen vergnügt am Strom des Wassers, während die ruhenden Snowlies auf den satten Wiesen gern ihre Gesichter der Sonne entgegen hoben, wobei ihr Blick immer auf die schneebedeckten Gipfel der Berge fiel, die sich hinter den Wäldern majestätisch emporstreckten. Oftmals grübelten sie für sich oder untereinander, ob es an oder auf den Bergen Lebewesen gab. Diese hohen Felsriesen waren ihnen immer fremd geblieben, denn die Wälder, die dieses Dorf umringten, gaben keinen Einlass, eines der dahinterliegenden Gebirge zu erreichen. Von jeher standen die Tannen so dicht an dicht, dass es schier unmöglich war, in das Gehölz hinein zu gelangen. Die starken Zweige und Äste der Bäume krallten sich vom Erdboden an ineinander und waren bis zu ihrer Krone wie eine Schutzmauer fest miteinander verankert. Unglaublicherweise hatten sie trotzdem immer genügend Holz, um sich ihre Tische, Stühle, Schränke oder ihre Eingangstüren zu tischlern. Auch gab es reichlich Brennholz, um ihre Häuser während der Schneemonate zu wärmen. Wie selbstverständlich lagen auf der westlichen Seite des Dorfes immer Baumstämme, die sie verarbeiten konnten. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie diese dorthin kamen, hatten sie schon lange aufgegeben. Vergeblich versuchten sie, in der Vergangenheit dieses Rätsel zu lüften, doch irgendwann nahmen sie es hin und erfreuten sich an dem vorhandenen Holz. Es gab immer nur einen Snowlie, der die Macht besaß, die dichten Baumschranken der Wälder zu durchbrechen. Dieser Auserwählte war der Bürgermeister, der auch nur dann den Wald betrat, wenn die Dorfgemeinschaft in eine gefährliche und aussichtslose Situation geriet und er mit seiner Weisheit am Ende war. Hilfe boten die vier Himmelsrichtungen Süden, Norden, Osten oder Westen, deren geheimnisvolle Welten sich im Verborgenen hielten und der Wald ihr Portal hergab. Sehr froh war die Bevölkerung, wenn ihr Bürgermeister gesund und munter und mit der Rettung im Gepäck wiederkehrte, was nicht immer der Fall war. Doch so lange, wie es diesen Ort schon gab und viele, viele Bürgermeister in all den Hunderten von Jahren dieses wichtige Amt trugen, gab es keinen darunter, der von seiner abenteuerlichen Reise berichtete. Alle Bürgermeister fanden es von extremer Wichtigkeit, nichts darüber zu erzählen, um niemanden in Furcht oder Schrecken zu versetzen. Nur ihren Nachfolgern mussten sie davon unterrichten, damit diese aus den Erfahrungen lernen konnten. Trotzdem hätten die Snowlies zu gern den Geschichten gelauscht und sie mit neugierigen Fragen gelöchert. Doch die Bürgermeister hüllten sich immer in Schweigen. Letztendlich waren alle Snowlies froh, wenn wieder der normale Alltag und statt Unruhe herrschte. Es war schon eine lange Zeit her, als die Dorfgemeinde in den Fängen eines schrecklichen Geschehens war und sie sich mit Schaudern daran zurückerinnerten.

    Umso mehr schlich die Angst der Snowlies durch ihre Häuser, als sie erfuhren, dass ihr Kristall des ewigen Wassers aus dem Dorfbrunnen verschwunden war. Tag für Tag hofften sie aufs Neue, dass ihr wertvoller Wasserstein sich auffinden würde. Dieses Ereignis war gerade in den Sonnenmonaten sehr besorgniserregend und wurde immer bedrohlicher, wovon diese Geschichte erzählen wird.

    Der Kristall des ewigen Wassers

    Der Kristall des ewigen Wassers, der auf dem Grund des Dorfbrunnens lag, versorgte die Bevölkerung, die Tiere, Felder und Wiesen mit Wasser. Dieser Wasserstein war für sie besonders wertvoll, weil es in diesem Land nie in den Sonnenmonaten zu regnen pflegte. Das war eine sehr lange Zeit. Auf unerklärliche Weise sprudelte das kühle, klare Nass unentwegt aus dem handgroßen, klar glänzenden Stein heraus und verteilte sich auf ihr ganzes Land, ja sogar auf alle Brunnen der Bewohner, welche in den Gärten ihren Platz hatten. Zuerst wurde diese diebische Tat gar nicht bemerkt, bis die Snowlies aus ihrer eigenen Quelle keinen Tropfen mehr pumpen konnten und die Fülle des Dorfbrunnens zunehmend weniger wurde. Einer von ihnen stieg in den Brunnen, tauchte bis in die Tiefe zum Grund hinab, um zu sehen, was die Ursache dafür sein konnte. Ihr kostbarer Kristall war verschwunden. Die Snowlies waren entsetzt und es herrschte eine große Aufregung. Erschrocken und fassungslos fragten sich die Snowlies, wie so etwas geschehen konnte und welches Ungetüm sich unter ihnen versteckte, welches ihnen den Stein entwendet hatte. Keiner unter ihnen hegte einen Verdacht oder traute irgendjemandem eine böse Tat zu. Jeder Snowlie musste beim Bürgermeister antreten und wurde befragt, ob er in der letzten Zeit etwas gesehen oder gehört hatte, was vielleicht auf einen Diebstahl hindeuten könnte. Die Tage verstrichen und die zunehmende Dürre wurde zu einer Last. Sie hofften immer aufs Neue, dass der Dieb den Wasserkristall wieder in den Brunnen legen würde und es nur ein dummer Streich gewesen sei. Aber sie warteten vergebens und das Trinkwasser wurde knapper und knapper. Damit alle Snowlies gerecht behandelt wurden, verteilten freiwillige Helfer jeden Morgen an jeden Haushalt nur noch einen einzigen gefüllten Wasserkrug. Es war der Tag gekommen, an dem der Bürgermeister sich selbst an den Brunnen stellte, um zu helfen. Der Anblick der traurigen und angstvollen Augen zerriss ihm fast das Herz. Er wusste, es musste jetzt dringend eine Lösung her. Er rief die Bevölkerung auf, sich am frühen Abend am Dorfbrunnen zu versammeln. Der Tag neigte sich dem Ende zu und hinterließ eine erdrückende, schwüle Wärme. Erwartungsvoll drängten sich alle Snowlies in die Dorfmitte. Lautes Gerede, Geschimpfe und Geplapper hallte durch die Menge, bis eine tiefe, laute Stimme ertönte und um Ruhe bat. „Ruhe! Ich bitte euch alle um Ruhe!", rief der Bürgermeister ihnen zu. Mit hochrotem Kopf stand er auf einem Treppenpodest direkt am Brunnen, um von jedem gesehen werden zu können. Sein grünes Hemd, welches mit einem gestickten goldfarbenen „B auf der rechten Brusttasche versehen war, klebte ihm vor Hitze auf der Haut. Sein Haar, was im Abendrot silbern weiß glänzte, verriet sein fortgeschrittenes Alter. Sofort wurde es mucksmäuschenstill und nur ein weinendes Kind durchbrach die beklemmende Stille. „Meine lieben großen und kleinen Snowlies! Herzlichen Dank, dass ihr euch alle hier versammelt habt!, rief der Bürgermeister zu seiner Gemeinde und hüstelte nervös, bevor er weitersprach. „Wie ihr ja leider wisst, ist unsere Wassernot unaufhaltsam und es ist unumgänglich, jetzt einige Maßnahmen zu unserem eigenen Schutz durchzuführen, bis wir wieder ausreichend mit Wasser versorgt sind. Somit beschließe ich ab heute, dass alle Arbeit nur noch auf das Mindeste beschränkt oder gar niedergelegt wird, sofern es möglich ist. Auch die Schule bleibt ab morgen geschlossen. Jedes kleinste Feuer im Freien ist ab sofort strengstens verboten, nur eure Laterne für die Nacht ist erlaubt. Haltet euch hauptsächlich im Schatten oder in euren Häusern auf und unternehmt keine körperlichen Anstrengungen. Teilt euch euer Wasser so gut, es geht ein, denn denkt daran, der Brunnen gibt nicht mehr viel her! Unsere Kräutermillie verteilt im Anschluss auf der Nordseite für jeden ein Tröpfelblatt, was ihr euch unter die Zunge legen könnt, sollte der Durst euch übermannen. Millie wird euch alles, was ihr darüber wissen müsst, erklären. Auf jeden Fall wird euch das vorübergehend helfen, rief der Bürgermeister laut in die Snowlie Menge hinein. Schwitzend holte er aus seiner Hosentasche ein weißes Tuch hervor und wischte sich damit die Schweißperlen von der Stirn. Doch bevor er weitersprechen konnte, grölten ihm empörte Zwischenrufe entgegen. „Das ist alles? „Du weißt wohl nicht, wie es weiter gehen soll, hä? „Was verlangst du von uns, dass wir hier sitzen und abwarten sollen, bis wir alle verdursten? „Es muss jetzt unbedingt etwas geschehen. Ich habe für meine Kinder nicht mehr ausreichend Trinken!"

    Sie redeten und riefen alle laut durcheinander. Die Bevölkerung hatte Angst und sie gerieten in Panik. Nochmals bat der Bürgermeister um Ruhe. „Ruhe!, rief er erneut „Bitte seid ruhig und hört mich an! Die Snowlies wurden schweigsam und blickten zum Bürgermeister hoch, dem die Röte so in seine vollen Wangen stieg, dass seine kleine, hellrote Nase dazwischen nur zu erahnen war. Zum wiederholten Male wischte er sich mit dem Tuch sein Gesicht trocken und atmete tief durch. Er wusste nur allzu gut, was er von seinem Volk verlangte und fühlte sich dabei ganz elendig. Er hatte zwar schon gedanklich einen Plan, aber den konnte und durfte er noch nicht aussprechen. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Gemeinde erst einmal hinzuhalten. Er hob seine rechte Hand kurz in die Höhe, um zu zeigen, dass er weiterreden wollte, und sofort wurden die Snowlies wieder still. „Wenn einer von euch einen Vorschlag oder eine Lösung für unsere Wassernot hat, wäre ich demjenigen dafür sehr dankbar und er solle denn jetzt hervortreten, forderte der Bürgermeister die Snowlies auf. Leises Getuschel war unter ihnen zuhören, kaum einer rührte sich vom Fleck. Ihnen wurde in diesem Augenblick die Situation deutlicher, dass diese schwere Last ganz allein auf den Schultern ihres Bürgermeisters lag, und niemand hätte mit ihm tauschen wollen. Keiner trat in den Vordergrund, um einen Vorschlag zu machen, oder hatte den Mut zu fragen, ob vielleicht die vier Himmelsmächte ihnen in dieser misslichen Lage helfen würden. Und wenn es so wäre, müsste der Bürgermeister eine Reise antreten, die für ihn extrem gefährlich werden könnte. Somit verhielten sich die Snowlies nachdenklich und abwartend still. Der Bürgermeister nickte und ergriff mit ernster Miene das Wort. „Am besten wäre es natürlich, wenn der Dieb sich stellen und den Kristall des ewigen Wassers wieder in unseren Brunnen legen würde. Da das aber wohl nicht der Fall sein wird, wird es schwierig, einen Ausweg zu finden. Ich weiß, dass ich heute Abend sehr viel Geduld von euch verlange, aber habt Vertrauen und verliert nicht die Zuversicht. Ich werde für uns alle mein Bestes tun. Sofern es etwas Neues zu berichten gibt, lasse ich es euch so schnell wie möglich wissen. Und nun, meine lieben Snowliebürger, wünsche ich euch trotz unserer schwierigen Lage ein abendliches Gutwohl und vergesst nicht, euer Tröpfelblatt von unserer Kräutermillie abzuholen! Das wäre erst einmal alles. Der Bürgermeister schaute von oben herab in die hoffnungslosen Augen der Snowlies, die sich tuschelnd nach und nach an die Warteschlange zur Kräutermillie stellten. Die meisten wussten von ihm, dass sie sich auf ihn verlassen konnten, sobald ein Problem auftauchte. Aber dass es für diese höchst lebensbedrohliche Gefahr einen Ausweg geben würde, bezweifelten viele. Der Bürgermeister verließ schwitzend den Dorfplatz. Seine Gedanken kreisten hin und her. „Was soll ich bloß tun! Ja, doch… es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben", murmelte er leise vor sich hin.

    Nira

    Nira biss schweigsam von ihrem Brot ab und blickte in die Tischrunde in der Hoffnung, ihre Eltern würden ihre Meinung ändern. Noch einmal zwinkerte sie ihren Papo bittend an, doch sein Blick verriet ihr, dass er standhaft bleiben würde. Ihre Mamo senkte die Augen und ihr großer Bruder Jonathan, den alle Jo nannten, zuckte kurz mit den Schultern. Was war denn nur los? Soeben teilten ihre Eltern ihr mit, dass sie mit Jo zur späten Abendstunde zu Großpapo, der der Bürgermeister des Dorfes war, gehen würden und Nira zu Hause im Bett bleiben müsse. Sie hätten was Wichtiges zu bereden, hatten sie gesagt. Nira traute ihren Ohren nicht. Ohne sie? Sie war noch nie ausgeschlossen worden. Und nur weil sie sich diesmal zur nächtlichen Zeit treffen mussten, durfte sie nicht mit. Dabei fällt die Schule aus und was noch viel wichtiger war … Morgen ist ihr Geburtstag und sie wird 10 Jahre alt! Alt genug, um auch mal länger wach zu bleiben. Nira verstand die Welt nicht mehr. So eine Gemeinheit. Ob Großpapo das auch wollte? Aber Nira, wagte es nicht zu fragen, zu widersprechen oder sich lauthals zu beschweren. Sie wusste, dass es keinen Sinn machte, und schmollte kauend vor sich hin. Hinzu kam ihr der Gedanke, dass sie gern ihren Großpapo getröstet hätte. Immerhin war es für ihn heute nicht einfach gewesen, vor der versammelten Gemeinde zu sprechen. Sie waren alle so wütend auf ihn. Armer Großpapo! Nira stöhnte kurz auf und hing ihren Gedanken weiter nach. Ob sie sich beratschlagen werden, wie und woher Großpapo einen neuen Wasserkristall herbekommt? Aber was hatte das mit ihren Eltern und ihrem Bruder Jo zu tun. Großpapo entschied wichtige Dinge immer für sich allein, hatte Mamo einmal gesagt. Nira trank ein Schluck Milch, während sie weiter nachdachte. „Und, wenn ich einfach wach bleibe und ihnen heimlich nachgehe? Mit Sicherheit werden sie das Fenster in Großpapos Besprechungszimmer auflassen, sodass man von draußen gewiss hören kann, worüber sie sich unterhalten. Ha … und dann werde ich wissen, was sie ohne mich vorhaben", dachte sie trotzig und schmunzelte über ihren heimlichen Plan vor sich hin.

    Nach dem Abendbrot verabschiedete sich Nira beleidigt von ihrer Familie und kraxelte die Holzleiter hoch, die zu ihrem Zimmer führte. Mamo rief Nira nach, dass sie mit Sicherheit das nächste Mal wieder mitkommen dürfe. Nira war es in dem Moment egal und sie reagierte nicht auf die Worte ihrer Mutter. Sie war stinksauer. In ihrem kleinen Reich, was unter dem Dach des Hauses lag, hatte ihr Bett unter einer runden Dachluke seinen Platz. Links davon stand eine kleine Kommode mit einer bunten Kerze drauf, in dessen Schublade sich allerlei Krimskrams befand, wovon Nira sich nicht trennen konnte. Schräg gegenüber stand ein schmaler Kleiderschrank und ein kleiner Tisch passte noch genau in die Ecke, worauf eine Waschschüssel mit einem Wasserkrug platziert war. Nira fand ihr Zimmer gemütlich und ausreichend, denn die meiste Zeit des Tages verbrachte sie draußen. Sie sprang auf ihr Bett und kramte vorsichtig ihr kleines, gezacktes Tröpfelblatt aus ihrer Hosentasche und platzierte es auf die Kommode. Sie war drauf und dran, es sich unter die Zunge zu legen, weil sie Durst verspürte. Doch durch die Kräuterschule wusste sie, dass man das Tröpfelblatt nur wenige Male verwenden konnte, somit hob sie es sich lieber für einen späteren Zeitpunkt auf. Sie zog ihre Schuhe und ihre Hose aus und krabbelte unter ihre Bettdecke, die ihre Mamo vor Kurzem aus vielen bunten Stoffresten genäht hatte. Geduldig und munter wartete sie darauf, dass ihre Eltern und ihr großer Bruder das Haus verließen, um sich auf den Weg zu Großpapo zu machen. Währenddessen grübelte sie darüber nach, wo ihr kleiner Hund Berry wohl steckte. Denn er war nach der Versammlung auf dem Dorfplatz plötzlich verschwunden. Das war sehr ungewöhnlich, denn ihr kleiner Freund war immer in ihrer Nähe. Musste sie sich um ihn Sorgen machen? „Ach, ich glaube nicht, murmelte sie leise vor sich hin. Sie schmunzelte, als sie ihn gedanklich vor Augen sah. Er ging ihr bis zu den Knien und sie liebte sein kurz gelocktes, weißbraunes Fell, was sich kuschelig anfühlte. Seine kleinen Schlappohren, wovon das rechte Schwarz war und sich aufstellte, wenn er sich besonders viel Mühe gab, um etwas zu erlauschen, sahen immer lustig aus. Nira kicherte leise vor sich hin, weil sie auch daran denken musste, dass Berry oftmals die Wörter verdrehte und dabei die witzigsten Sätze herauskamen. „Vielleicht ist es ja gut so, dass er nicht weiß, was ich heute Nacht noch vorhabe. Er wäre bestimmt nicht damit einverstanden gewesen. Nira wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie die Haustür zuklappen hörte. „Ja … haha. Sie sind weg!", murmelte sie erfreut. Sie wartete eine Weile und horchte, ob nicht doch jemand im Haus war. Nein, es herrschte absolute Ruhe und sie konnte sich jetzt auf den Weg machen. Nira sprang aus ihrem Bett und zog sich für ihren nächtlichen Ausflug an. Im Dunkeln hüpfte sie in ihre geliebte kurze braune Hose, denn Röcke, wie sie alle Mädchen trugen, waren ihr ein Graus. Sie schlüpfte in ihre weichen Schuhe und zog ihren dunkelgrünen Kapuzenwollpullover über, damit sie eine Kopfbedeckung für ihren auffälligen Lockenschopf hatte. Oft genug hatte sie sich über ihre störrischen Haare aufgeregt. Egal wie sie sie kämmte, die dichten Locken wanderten immer dahin, wo sie nicht liegen sollten. Als ob das allein nicht schon reichte, denn alle Snowlies hatten rote Haare, nur sie war die Einzige im Dorf, die durch ihren weißblonden Lockenschopf auffiel, sodass man sie von Weitem sah. Sie hatte sie von ihrem Großpapo geerbt, seine waren jedoch mittlerweile hell ergraut. Sie nahm es in Kauf, dass es natürlich viel zu warm unter der selbst gestrickten Wolle werden würde, aber sie befürchtete, vielleicht erkannt zu werden, sollte sie jemandem begegnen. Sie kletterte leise die Holztreppe herunter und verließ das Haus. Unwohlsein spürte sie in ihrer Magengegend, als sie auf der lautlosen Straße stand. Ihr war mit einem Mal klar, dass sie sich bisher noch nie allein getraut hatte, nachts durch das Dorf zu ziehen. Und mit dem Bewusstsein, dass unter der Gemeinde wohl ein Dieb weilte, wurde das Gefühl im Magen nicht besser. Sie schaute zum Himmel hoch und stellte erleichtert fest, dass der Mond wie eine helle, gelbe Laterne herab schien, als wäre das letzte Strahlen der Sonne an ihm haften geblieben und somit die Dunkelheit ihr eigenes Licht bekam. Sie machte sich auf den Weg und während sie die Straße schleichend hinter sich ließ, hörte sie aus den halb geöffneten Fensterläden hier und da schlummernde Geräusche. Besonders aus dem Haus der dicken Frau Gresselhüpf ertönte so ein unüberhörbares Schnarchen, dass man annehmen konnte, sie würde in dieser Nacht einen Pokal für die lauteste Schnarchmusik bekommen. Nira musste sich sehr zusammen reißen, um nicht laut zu kichern, und hielt sich vorsichtshalber die Hand vor den Mund. Gleich hatte sie es geschafft. Es waren nur noch ein paar Schritte, um links in die Süd-Ost-Straße abzubiegen, ein kurzes Stück geradeaus, bis die Südstraße begann und dann war es nicht mehr weit, um zum Haus ihres Großpapos zu gelangen. Nira versuchte, sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal bei ihm war und stellte fest, dass es schon viele Tage her sein musste. Sie nahm sich vor, öfter ihren Großpapo zu besuchen. Ihr Magen begann wieder vor Unbehagen zu drücken und ihr Atem kroch laut in ihre Ohren. War es die Stille um sie herum? Nira schaute etwas ängstlich zurück. Niemand war weit und breit zu sehen. Sie zog die Kapuze vorsichtshalber noch tiefer ins Gesicht, obwohl ihr die Wärme unter ihrem Pullover bereits einen

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