Kommissar Mareks Déjà-vu
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Volker Jochim
Volker Jochim, geboren 1953 in Frankfurt am Main. Lebt heute in Mühlheim am Main.
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Book preview
Kommissar Mareks Déjà-vu - Volker Jochim
1
Es herrschte rege Betriebsamkeit an diesem ersten milden Frühlingstag auf dem kleinen Platz neben dem neuen alten Rathaus, in das die Stadtverwaltung nach dem umfangreichen Umbau wieder eingezogen war.
Mitglieder des Stadtrates und Vertreter der kommunalen Wirtschaft standen in kleinen Gruppen um diesen hässlichen neuen Brunnen, in dessen Mitte ein spitzes Gebilde aus Metall was auch immer darstellen soll, und diskutierten heftig.
Einige dieser elegant gekleideten Menschen wechselten dann auf einmal ihre Gesprächspartner. Es formierten sich neue Grüppchen und die Diskussionen begannen aufs Neue.
Das Ganze sah aus wie die Vorgespräche im Foyer der FIFA Zentrale in Zürich bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaften, nur dass hier noch keine fetten Schecks den Besitzer gewechselt hatten.
Silvana Rafaeli, Journalistin beim Gazzettino und Freundin von Commissario Marek, hatte einen anonymen Hinweis erhalten, dass heute eine außerordentliche Versammlung im Rathaus stattfinden sollte. Ihr Informant hatte zwar nicht verraten um was es konkret ging, aber angeblich sei eine größere Schweinerei im Gange, wie er sich ausdrückte. Das konnte und wollte sie sich natürlich nicht entgehen lassen. Kommunalpolitische Schweinereien ergaben immer eine gute Schlagzeile.
Sie schlenderte über den Platz und hoffte irgendwelche Gesprächsfetzen aufschnappen zu können, die Hinweise auf den Grund der außerordentlichen Sitzung ergaben. Da man sie aber erkannte, beäugte man sie argwöhnisch und die Gespräche verstummten, sobald sie in der Nähe war.
Plötzlich sah sie, wie der Bürgermeister gestenreich auf eine Frau in einem grünen Kostüm einredete und glücklich sahen sie dabei beide nicht aus.
Es handelte sich um Franca Romano, die im Senat für die Planung und Gestaltung der Infrastruktur zuständig war und das war insofern interessant, als sie für ihre hochtrabenden Entwicklungspläne und ihren krankhaften Ehrgeiz bekannt war. Auch machten Korruptionsvorwürfe die Runde, von denen Silvana gehört hatte. Alles allerdings, wie in solchen Fällen üblich, nur hinter vorgehaltener Hand.
Hier und da konnte sie ein paar Gesprächsfetzen aufschnappen, deren Zusammenhang sie sich aber selbst zusammenreimen musste. Offenbar ging es um ein größeres Grundstücksgeschäft, bei dem wohl sehr viel Geld im Spiel war.
Auf ein stilles Kommando hin verschwanden plötzlich alle im Gebäude. Silvana machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen und fuhr in die Redaktion. Jetzt ging es an die Recherche. Sie musste unbedingt mehr darüber erfahren. Wenn hier eine Schweinerei im Gange war, musste sie es unbedingt herausfinden und publik machen.
***
Im Sitzungssaal ging es hoch her. Es wurde anfänglich noch lautstark diskutiert, bis sich zwei Fraktionen herauskristallisiert hatten, die sich in verhärteten Fronten gegenüber standen.
Die eine Fraktion war die des Bürgermeisters, die andere die von Franca Romano.
Und eben jene Signorina Romano sprang wütend auf, nachdem die Sitzung tumultartige Züge angenommen hatte.
„…Sie sind für diese Stadt verantwortlich, Signor Sindaco, wie können Sie da so stur sein und sich ein Millionengeschäft durch die Lappen gehen lassen?"
„Meine liebe Franca, es geht hier in erster Linie nicht um ein Geschäft, sondern um die mögliche Zerstörung einer Kulturlandschaft, und das kann und will ich nicht zulassen."
„Kulturlandschaft? Das ist doch nur ein Stück nutzloses Brachland, was niemand wirklich braucht", erwiderte sie wütend.
„Dieses Stück Brachland, wie Sie es nennen, liegt mitten im Natur- und Landschaftsschutzgebiet der Lagune."
„Ringsum gibt es doch noch genügend Natur, aber für dieses Stück Land würde ein Investor eine unverschämte Summe bezahlen."
„Muss ich aus dieser Äußerung entnehmen, dass Sie schon eigenmächtig mit einem Investor gesprochen haben?"
„Was heißt hier eigenmächtig? Die Entwicklung der Infrastruktur dieser Stadt liegt schließlich bei mir", ereiferte sich die Signorina.
„Das bestreitet ja auch niemand, aber wenn es um solch ein heikles Projekt geht, hätten Sie uns vorher umfassend informieren müssen…"
„Mich würde mal interessieren, was Sie persönlich von diesem Geschäft hätten?", warf Professore Pedrotti ein.
Silvio Pedrotti war ein pensionierter Naturwissenschaftler, der früher an der Universität von Padua unterrichtete und sich nun wieder in seiner Heimatstadt niedergelassen hatte.
„Was unterstellen Sie mir da?", giftete Franca Romano ihn an.
„Ich unterstelle Ihnen gar nichts, entgegnete der Professore ruhig, „ich habe nur eine berechtigte Frage gestellt. Berechtigt deshalb, weil Sie dieses Geschäft verteidigen, wie eine Löwin ihre Jungen.
Bevor die Sache eskalierte, grätschte nun der Bürgermeister dazwischen.
„Bleiben wir doch bitte alle ruhig und besonnen. Franca, sagen Sie uns doch erst einmal um welchen Investor es sich handelt."
Signorina Romano überlegte kurz, ehe sie antwortete.
„Es ist eine chinesische Holding, die dort ein Wellness Resort errichten will. Die Lage wäre optimal. Weit genug weg vom Durchschnittstourismus, ruhig gelegen und mit einem traumhaften Strandabschnitt. Außerdem unverbaubar, weil eben ringsum alles unter Naturschutz steht. Ideal."
„Was?, schrie Marcella Moretti auf. „Sie wollen unsere Lagune an die Chinesen verhökern, damit die dort einen Kasten für Luxustouristen errichten können?
Signora Moretti war Inhaberin eines kleinen Hotels auf der Levante Seite der Stadt und seit der letzten Wahl auch im Stadtrat vertreten.
„Keine Angst. Für Sie bleiben noch genügend dieser Pauschaltouristen übrig", entgegnete Franca Romano schnippisch.
„Meine Damen!, versuchte der Bürgermeister zu schlichten. „Ich denke, Professore Pedrotti sollte uns aus der Sicht des Naturschutzes einmal erklären, welche Folgen so ein Projekt hätte. Bitte Professore.
Pedrotti erklärte ausführlich, welche katastrophalen Auswirkungen ein solches Projekt für die Flora und Fauna der Region hätte.
Franca Romano hörte missmutig und mit versteinerter Miene den Ausführungen zu.
„…und ganz davon abgesehen, dass dort noch eine Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden müsste, was zur Folge hätte, dass noch weitaus mehr Naturraum zerstört würde und das wurde offenbar nicht bedacht", beendete der Professore seinen Vortrag.
„Danke, wenn Sie uns diesbezüglich noch ein schriftliches Gutachten erstellen könnten?"
„Gerne. Sie bekommen es bis nächste Woche. Sagen wir am Montag."
Der Bürgermeister erhob sich.
„Ich denke, wir haben nun genug gehört, um eine solch wichtige Entscheidung zu vertagen. Das Gutachten sollte bei einer Entscheidungsfindung mit eingebunden werden. Wir treffen uns also kommende Woche Montag zur gleichen Zeit. Damit ist die Versammlung beendet."
Franca Romano war die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Dieses Projekt konnte und durfte nicht an diesen kleinkarierten Provinzpolitikern scheitern. Sie schnappte ihren Aktenkoffer, stapfte wütend hinaus, schlug die Tür hinter sich zu und fuhr in ihr Büro. Sie musste nun umgehend einen Anruf tätigen.
2
„Es gibt Probleme", sagte Franca Romano und sah sich in der kalten Atmosphäre der Hotelbar um, die ihr Gesprächspartner als Treffpunkt ausgewählt hatte.
„Inwiefern?", fragte der Mann im eleganten Anzug, der ihr gegenüber saß und runzelte die Stirn.
„Ich konnte nur die Hälfte der Leute auf meine Seite bringen. Der Bürgermeister lässt jetzt noch ein Gutachten erstellen. Ausgerechnet von einem Naturschützer. Bei einer Abstimmung nächste Woche könnte seine Stimme ausschlaggebend sein."
Ihr Gegenüber sah sie durchdringend an.
„Signorina Romano, ich muss Sie wohl nicht darauf hinweisen, dass unser Auftraggeber kein nein akzeptiert und ich denke, die einhunderttausend Euro sollten für Sie doch Anreiz genug sein um solche Probleme aus der Welt zu schaffen, oder?"
Franca Romano rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Was meinte er damit?
„Ja schon, aber…", begann sie unsicher.
„Wie ist denn der Name dieses Gutachters?", unterbrach sie der Mann.
„Professore Silvio Pedrotti, aber den können Sie nie umstimmen, Signor Bonato. Der ist für Geld nicht empfänglich."
„Wer weiß?, meinte Aldo Bonato vielsagend und erhob sich. „Nächste Woche erwarte ich Resultate.
Damit verschwand er und ließ eine sehr nachdenkliche Franca Romano zurück. Plötzlich hatte sie ein mulmiges Gefühl. Auf was hatte sie sich da eingelassen? Andererseits ein Vorschuss von einhunderttausend Euro war nicht zu verachten und noch eine halbe Millionen nach Vertragsabschluss…
***