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Deutschlands Bürgerkrieg Saga - Band 4 : Feuersturm: Historische Romane Bestseller
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eBook318 Seiten4 Stunden

Deutschlands Bürgerkrieg Saga - Band 4 : Feuersturm: Historische Romane Bestseller

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Über dieses E-Book

Feuersturm - Der finale Band der Deutschlands Bürgerkrieg Saga
»Frieden? Was wird dann aus all den Soldaten?«

Deutschland 1635: Allen Hoffnungen zum Trotz geht der Krieg weiter. Frankreich und Schweden haben sich verbündet und sind entschlossen, das Reich zu vernichten. Um sie aufzuhalten schließt der Kaiser eine Allianz mit den wichtigsten deutschen Fürsten. Doch das verwüstete Deutschland kann seine Feinde nur noch abwehren, aber nicht mehr besiegen. Die Kämpfe gehen solange weiter, bis irgendwann niemand mehr weiß, warum eigentlich gekämpft wird. Wie ein Feuersturm dringt der Krieg selbst in die entlegensten Winkel des Reiches. In dieser Lage ist der Diplomat Richard von Hoheneck entschlossen die Konfliktparteien endlich an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch das erweist sich als schwerer, als irgendjemand für möglich gehalten hätte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Jan. 2023
ISBN9786197713138
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    Buchvorschau

    Deutschlands Bürgerkrieg Saga - Band 4 - Markus R. Willinger

    Benjamin

    (Niederbayern, Herbst 1635)

    Benjamin sah die Ratte nicht. Aber er fühlte sie an sich vorbeihuschen. Rasch ließ er seine Hand nach vorne schnellen. Er spürte Fell, irgendetwas Schlängelndes und dann einen heftigen Schmerz.

    »Verdammt!«, rief er. »Das Mistvieh hat mich gebissen!«

    Die Männer, die die Zelle mit ihm teilten, lachten düster. »Keine Ahnung, warum du dir die Mühe machst«, hörte er Miguel sagen. »Für jede Ratte, die du fängst, kommen drei andere nach.«

    Benjamin schwieg. Er hätte Miguel darüber aufklären können, dass die Ratten von irgendwoher kamen und dass sie Krankheiten übertrugen. Es also besser war, sie loszuwerden. Aber das hätte vielleicht zu einem Streit geführt. Nach elf Monaten Gefangenschaft waren sie alle mit den Nerven am Ende und jede Kleinigkeit konnte in Handgreiflichkeiten enden.

    Er rieb sich die verletzte Hand und wankte in den hinteren Bereich des Lochs. Ihr Gefängnis war überraschend weitläufig. Man konnte dreißig Schritte in die eine und fünfzehn Schritte in die andere Richtung gehen. Aus einer Lücke in der Felsdecke im hinteren Bereich drangen Tageslicht und frische Luft. Gerade genug, um sie nicht vergessen zu lassen, dass dort draußen das Leben wartete. Unter der Lücke, die sie das Fenster nannten, saß Zwielicht.

    Zwielicht war ein seltsamer Kerl. Er hatte einen verfilzten, grauen Bart, sprach jedoch wie ein Edelmann. Niemand wusste, wie lange er schon hier war, und niemand wusste, weswegen man ihn eingesperrt hatte. Nicht einmal seinen Namen kannten sie, doch weil Zwielicht immer am Fenster und damit im Zwielicht saß, hatten die Männer ihm seinen Namen gegeben.

    »Ah Benjamin«, sagte Zwielicht. Er sprach kaum jemals mit einem anderen außer mit Benjamin.

    »Ich denke, es ist meine Schicht.«

    »Ist es das? Ich dachte, du arbeitest erst bei Sonnenuntergang.«

    Benjamin zuckte die Achseln. »Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Hast du den Hacken?«

    Der Hacken war eine handlange Metallstange. Zwielicht hatte sie in seinen ersten Jahren in der Zelle gefunden und seitdem wie einen Schatz behütet. Der Hacken war ihre einzige Waffe. Seit sie von der Metallstange erfahren hatten, spielten die Gefangenen mit dem Gedanken, die Wachen zu überwältigen und sich die Freiheit zu erkämpfen. Aber Benjamin hatte einen besseren Weg gefunden.

    Zwielicht hielt ihm den Hacken hin. Doch anstatt nach ihm zu greifen, hockte Benjamin sich hin und ließ seine Finger über den kalten Boden wandern. Nach einigen Augenblicken fand er die Versenkung, nach der er gesucht hatte, griff danach und hob die gesamte Bodenplatte heraus. Erst dann nahm er die Stange entgegen. Der Hacken war als Werkinstrument denkbar schlecht geeignet, aber er war hart genug, um den Granitstein der Burg zu zerschlagen.

    »Wie weit sind wir?«, fragte Zwielicht wie jeden Tag. Sie arbeiteten seit zehn Monaten an dem Tunnel.

    »Fünf Fuß«, antwortete Benjamin. »Bald sind wir durch den Granit und erreichen die Erde, dann wird es schneller gehen.«

    Zwielicht nickte und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Er glaubte nicht daran, dass sie einen Weg in die Freiheit schaufeln konnten. Niemand glaubte daran. Nur Benjamin. Er hatte einen Schichtplan erstellt und überschlagen, wo sie am besten graben sollten. Die anderen hielten sich an seinen Plan. Trotzdem wusste Benjamin, dass sie nur im Dunklen rumsitzen würden, wenn er sie nicht antriebe.

    Er ließ den Hacken niedersausen. Es war Knochenarbeit. Der Stein wurde weicher, trotzdem machte er nur quälend langsame Fortschritte. Er musste den Granit wegschlagen und dabei achtgeben, dass er nicht die eigenen Füße traf. Alle zwei Minuten griff er nach dem lockeren Geröll und warf es auf einen Haufen in der Ecke. Die Arbeit war hart und deprimierend. Doch Benjamin hatte nicht vor, sein restliches Leben in Gefangenschaft zu verbringen. Mit bitterer Entschlossenheit ließ er den Hacken wieder und wieder auf den Stein niedersausen.

    Als er eine kurze Pause machte, hörte er Zwielichts Stimme: »Was hast du vor, wenn du es raus schaffst?«

    Benjamin wandte sich um. »Den Himmel sehen, auf einem Pferd reiten und ein Mädchen küssen«, sagte er ohne Scham. Sie lebten seit einem Jahr zusammen im Loch. Da ging die Scham verloren.

    Zwielicht zog eine Braue nach oben. Seine grauen Augen glitzerten spöttisch. »Das will jeder Gefangene. Was sonst? Du warst ein Adjutant von General Horn, oder? Kommandant deiner eigenen Truppe, habe ich gehört. Graf von Semlitz?«

    Benjamin erstarrte und ließ den Hacken sinken. »Woher kennst du meinen Namen?« Benjamin hatte seinen Titel niemandem genannt und seinen Männern gesagt, sie sollten ihn als einen der ihren behandeln. Wenn die Kaiserlichen erfuhren, dass Benjamin in Wirklichkeit ein böhmischer Exilant war, würde er hingerichtet.

    Zwielicht zuckte die Achseln. »Männer reden.«

    »Klatschweiber reden«, knurrte Benjamin.

    »Also? Was hast du vor?«, wiederholte Zwielicht seine Frage. »Wirst du versuchen, General Horn zu befreien?«

    Benjamin schüttelte den Kopf. »Der wird ohnehin ausgelöst. Die Schweden werden irgendeinen hohen Kaiserlichen gefangen nehmen und dann wird getauscht.«

    »Aber schließt du dich wieder den Schweden an?«

    Benjamin spuckte aus. »Die Schweden sind Versager. Sie hatten ganz Deutschland unter ihrer Kontrolle. Jetzt sind sie auf der Flucht nach Norden und die Kaiserlichen stärker denn je.« Benjamin wusste eine Menge über die Kriegsereignisse. Der Kommandant der Festung, Major Hauer, ließ Benjamin alle paar Wochen zu sich kommen, um ihn zu befragen. Der Major ahnte, dass Benjamin mehr war, als er vorgab zu sein. Oft gefiel es dem Major auch, Benjamin als Pagen arbeiten zu lassen. Er musste bei solchen Gelegenheiten Essen für Hauer und seine Gäste auftragen und ihnen Wein und Bier einschenken. Dabei hörte Benjamin vieles und er bekam mit, dass sich seit der Schlacht von Nördlingen und dem Frieden von Prag der Wind in Deutschland gedreht hatte. Die Kaiserlichen befanden sich auf dem Vormarsch.

    »Du hast gesagt, dass die Franzosen in den Krieg eingetreten sind«, überlegte Zwielicht. »Die Protestanten könnten immer noch gewinnen und du die Grafschaft deines Vaters zurückerobern.«

    »Die Grafschaft meines Vaters ist verloren«, antwortete Benjamin bitter. Er zögerte. Selbst Richard von Hoheneck hat auf seine Grafschaft verzichtet und sich auf die Seite der Kaiserlichen gestellt, hatte er sagen wollen. Aber er würde den Teufel tun und von Richard sprechen.

    »Was also dann?« Zwielicht ließ nicht locker. »Gehst du zurück nach Hause?«

    Nach Hause. Benjamin lachte innerlich. »Wenn ich hier rauskomme, werde ich frei sein«, sagte er und wusste selbst nicht genau, wie er sich die Freiheit vorstellte.

    Er beendete seine Pause und schwang den Hacken erneut. Ein-, zwei-, dreimal ließ er ihn niedersausen. Wieder und wieder und wieder. Nach einer Weile beugte er sich hinab, um den Schutt herauszuholen. Sie mussten den Schutt regelmäßig entfernen, damit sie die Splitter nicht wieder versehentlich in den Boden traten. Benjamin ließ seine Finger über den Boden wandern und runzelte die Stirn. Seine Hand war voll. In der Regel hatte er nach ein paar Minuten nicht mehr als maximal ein paar Splitter Granit in den Fingern. Er hob die Hand und hielt sie gegen die Wange.

    Das ist kein reiner Granit. Da ist zur Hälfte Erde!

    Aufgeregt warf er den Schutt auf den Haufen und ließ den Hacken wieder niedersausen. Wieso hatte er das nicht eher bemerkt? Nach einer Weile griff er erneut hinab und brauchte diesmal beide Hände, um den Schutt wegzubringen.

    Wir brechen durch!

    Benjamin wiederholte die Prozedur. Beim fünften Mal hielt er nur noch Erde in den Händen. Sie hatten es durch den Stein geschafft!

    Wie bringe ich das den anderen bei?

    Sie saßen seit Ewigkeiten hier fest. Wenn es eine Chance auf einen Ausweg gab, könnte rasch eine Panik ausbrechen. Sie waren neun Männer in diesem Loch. Wenn sie alle gleichzeitig aufgeregt auf den Tunnel zuliefen, könnten ihre Wärter Wind von der Sache bekommen. Benjamin musste mit Bedacht vorgehen.

    »Zwielicht?«, flüsterte er in die Dunkelheit. »Kannst du einen Augenblick kommen?«

    Zwielicht kam sofort.

    »Hier«, sagte Benjamin und hielt ihm die Erde hin.

    Zwielicht holte Luft. »Ist das …?«

    »Ja.«

    Er starrte eine Weile schweigend auf die Erde. Dann ging er los und kehrte mit Maurice zurück. Maurice war der Hauptmann von Benjamins Truppe gewesen. Auch jetzt hörten die Männer noch auf ihn. Benjamin erklärte ihm die Lage.

    Maurice zitterte. Die Gefangenschaft tat ihm nicht gut. Seine Haut war fahl und sein Gesicht abgemagert. Genau wie Zwielicht holte er erstmal Luft.

    »Wir müssen ab jetzt zwei Männer pro Schicht einteilen. So können wir den Schutt schneller wegschaffen«, schlug Maurice vor.

    Benjamin nickte. »Sagst du ihnen Bescheid? Ich will, dass sie Ruhe bewahren.«

    Maurice spuckte aus. »Ich kann selbst kaum Ruhe bewahren.« Er klopfte Benjamin auf die Schulter. »Gut gemacht. Ich weiß schon, warum du uns anführst.«

    Ich führe euch nicht an. Ich bin kein Graf mehr, wollte Benjamin sagen, aber er schwieg.

    Maurice ging zu den Männern und informierte sie mit knappen Worten. Gleichzeitig ermahnte er sie. »Bewahrt Ruhe«, hörte Benjamin ihn drängen. »Wir dürfen uns jetzt keine Fehler leisten.«

    Zwei Männer, Leif und Friedrich, kamen zum Tunnel und erklärten, dass sie die nächste Schicht übernehmen würden.

    »Gut«, sagte Benjamin. Die beiden waren die Kräftigsten.

    Seit Monaten versuchte er, die Männer zur Arbeit am Tunnel zu motivieren. Sie taten es, aber nur, wenn er sie antrieb. Gefangenschaft, so hatte Benjamin rasch gelernt, brachte einen Mann dazu, jegliche Energie zu verlieren. Er hatte von exotischen Wildtieren aus Afrika gehört, die zugrunde gingen, sobald man sie in einen Käfig sperrte. Mit manchen Menschen war es genauso.

    Doch von diesem Augenblick an herrschte Leben in ihrer Zelle. Wer nicht am Loch arbeitete, suchte nach passenden Steinen, die sie zusammen mit dem Hacken verwenden konnten, oder half, den Schutt zu verteilen. Zwei Männer saßen scheinbar reglos am Eingang, spitzten aber in Wirklichkeit die Ohren nach den Wachen.

    Neun Tage schufteten sie und mit jedem Tag kamen sie schneller voran. Benjamin entschied am vierten Tag, nicht mehr nach unten, sondern seitwärts zu graben. Er ahnte in etwa, wo ihr Kerker sich befand. Die Burg lag auf der Spitze eines Hügels. Der Kerker war im Kern nicht mehr als ein Loch in der Burg. Wenn sie waagerecht bohrten, mussten sie irgendwann den Abhang des Hügels erreichen.

    Benjamin nahm Zwielicht beiseite. »Wir sollten den Tunnel abstützen, sonst bricht er uns vielleicht zusammen.«

    Zwielicht hob die Hände. »Siehst du hier irgendwelche Balken?«

    »Natürlich nicht.«

    »Dann können wir nur auf das Beste hoffen. Der Tunnel wird gerade breit genug sein, dass ein Mann hindurchkriechen kann. Er wird schon halten.«

    Benjamin war nicht beruhigt. Er ging in der Zelle herum und überlegte, was sie verwenden könnten, um den Tunnel zu stützen. Ihm fiel nichts ein. Man hatte den Gefangenen nichts außer ihren Kleidern gelassen. Während er über eine Lösung nachdachte, sprang Albrecht, der am Ausgang saß, schlagartig auf. »Ich höre da was!«, zischte er.

    Die Gefangenen verharrten sofort in ihren Bewegungen. Auch Benjamin lauschte in die Dunkelheit.

    Die Luke an der Decke ihres Lochs wurde aufgemacht und eine Holzleiter heruntergelassen. »Gefangener Benjamin!«, ertönte die vertraute Stimme des Wachkommandanten von oben. »Heraufkommen! Und wehe, ein anderer versucht raufzuklettern! Den steche ich persönlich ab!«

    Benjamin zögerte. Er wollte nicht gehen. Aber die anderen warfen ihm auffordernde Blicke zu. Zieh jetzt bloß keine Aufmerksamkeit auf uns, sagten diese Blicke. Er schluckte und ergab sich in sein Schicksal.

    Die Sprossen der Leiter waren brüchig, außerdem schmerzte das Holz in seinen Händen. Als Benjamin die oberste Sprosse erreichte, saugte er die frische Luft ein. Drei Wochen hatte er die Welt jenseits des Lochs nicht gesehen.

    »Da bist du ja«, sagte der dicke Wachkommandant. Dick war eine Untertreibung. Er war so fett, dass er Probleme hatte, durch eine Tür zu gehen. Kein Wunder, dass er hier und nicht im Krieg eingesetzt wurde.

    Der Krieg. Benjamin wurde bewusst, dass er seit Wochen nichts mehr von den Schlachten gehört hatte. Gab es Neuigkeiten?

    Der Wachkommandant zog ihn aus der Luke. Zwei weitere Wachen sprangen sofort vor, um die Leiter herauszuziehen. Wachen, so hatte Benjamin gemerkt, lebten in ständiger Furcht vor ihren Gefangenen. Sie fürchteten, dass ihre Opfer sich eines Tages rächen würden. Jene Wärter, die ihre Gefangenen am schwersten misshandelten, schliefen nachts am schlechtesten.

    Benjamin wurde über die Wehranlagen der Burg in die Waschräume geführt. Die kannte er bereits. Major Hauer wollte keinen stinkenden Pagen.

    »Beeil dich gefälligst«, sagte der Wachkommandant und deutete auf eine Wanne. Benjamin steckte einen Finger hinein. Das Wasser war eiskalt.

    »Habt Ihr Seife?«

    Einer der Wachen hielt ihm widerwillig ein Stück hin.

    »Danke«

    Benjamin streifte seine Kleider ab. Beim ersten Mal hatte er gehofft, dass die Wachen den Raum verlassen würden. Als er etwas in dieser Richtung angedeutet hatte, hatten sie gelacht. Er sei immer noch ein Gefangener und würde nicht aus den Augen gelassen werden.

    Benjamin sah an sich herab. Trotz der Zeit in der Gefangenschaft war sein Körper muskulös. Er hatte in seiner Zeit im schwedischen Heer und durch die Arbeit im Loch Muskeln aufgebaut. Fett besaß er keines, aber sein Körper war funktionsfähig. Eine Woche mit frischer Luft und Sonnenlicht, mehr brauchte er nicht.

    »Mach hinne!«, rief der Wachkommandant. Benjamin nahm an, dass es ihm unangenehm war, einen anderen Mann beim Baden beobachten zu müssen.

    Er kniete sich in das eiskalte Wasser und sah zu, wie es sich braun verfärbte. Rasch wusch er sich den Dreck vom Körper und tauchte selbst die Haare ein.

    Die Prozedur dauerte keine fünf Minuten. Nichtsdestotrotz fühlte Benjamin sich wie neugeboren. Er wollte nach seinen Gefängniskleidern greifen, aber der Wachkommandant hielt ihn zurück. »Nichts da«, sagte er und reichte ihm frische Kleider. »Der Major will sich deine Flöhe nicht einfangen!«

    Benjamin konnte sein Glück kaum fassen. Die Kleidungsstücke waren aus billigem Leinen gemacht, dennoch fühlten sie sich an, als wären sie aus asiatischer Seide.

    Benjamin rechnete damit, dass er nun den Gang entlang zum Hauptsaal der Burg geführt würde. Stattdessen stiegen sie die Stufen zum Wohnturm des Majors hinauf.

    Oben angekommen klopfte der Wachkommandant an der Tür. »Der Gefangene, Major«, sagte er.

    Eine tiefe Stimme antwortete: »Er soll hereinkommen. Ihr wartet vor der Tür.«

    »Jawohl.«

    Ein grober Stoß beförderte Benjamin durch die Tür. Er wäre hingefallen, wenn der Major ihn nicht festgehalten hätte.

    »Danke«, sagte Benjamin und trat einen Schritt zurück.

    Der Major nickte ihm zu. »Keine Ursache.«

    Benjamin sah sich um. Er war noch nie im Wohnturm des Majors gewesen. An einer Ecke stand ein massiger Tisch mit ein paar Stühlen und an der Wand ein Regal mit Büchern. Auf der anderen Seite hinter einem Vorhang befand sich wohl der Schlafbereich.

    Der Major trug wie immer eine Uniform. Er war ein Mann Ende vierzig mit grauem Bart und kurz geschnittenen Haaren.

    »Du siehst hungrig aus«, sagte er und deutete auf einen Teller mit Brot und verschiedenen Käsesorten. »Bedien dich.«

    Früher hätte Benjamin die Almosen seines Gefängniswärters abgelehnt. Die Zeit im Kerker hatte seine Ansichten jedoch verändert. Er würde nehmen, was er konnte, wenn er es konnte.

    Der Major sah ihm beim Essen zu. »Das Reich hungert. Wir dachten, der Krieg wäre vorüber. Aber so wie es aussieht, wird er weitergehen.«

    Benjamin schwieg. Der Major war redseliger, wenn man ihn nicht unterbrach.

    Er behielt recht. Hauer trank einen Schluck Wein und lehnte sich in seinen Stuhl. »Die verdammten Schweden sind endlich zurückgeschlagen«, erklärte er verächtlich. Benjamin wusste, warum. Sie befanden sich auf der Burg Burghausen in Oberbayern. Die Menschen in Bayern hassten die Schweden wie niemanden sonst auf der Welt. Als die Schweden nach Bayern gekommen waren, hatten sie bloß ein Ziel gehabt: das Land zu verwüsten und die Städte zu zerstören, sodass Bayern den Krieg nicht würde fortsetzen können.

    Die Schweden waren mittlerweile abgezogen, doch der Hass war geblieben.

    »Denkt Ihr, die Schweden werden aus dem Krieg austreten?«, fragte Benjamin beiläufig. Gustav Adolf war tot und Reichskanzler Oxenstierna ursprünglich gegen den Krieg in Deutschland gewesen. Wenn die schwedische Herrschaft in Deutschland zusammenbrechen würde, dann könnte es gut sein, dass sie Frieden schlossen.

    Der Major zuckte die Schultern. »Möglich. Ein Heer aus Sachsen und Brandenburgern verfolgt die Schweden nach Norden. Wenn sie Pommern und ihre nördlichen Häfen verlieren, müssen sie aus Deutschland abziehen.« Der Major schüttete Wein in einen zweiten Becher. »Trink«, sagte er und hielt Benjamin den Becher hin. Verwirrt nahm der ihn entgegen. Der Major hatte ihm noch nie Wein gegeben. Benjamin wusste immer noch nicht, warum er hier war. Es gab keinen Gast, den er bedienen konnte.

    Benjamin musterte das Gesicht des Majors. Will er sich einfach unterhalten?

    Manche Gefängniskommandanten wurden gelegentlich rührselig. Gerade dann, wenn sie tranken, fühlten sie sich schuldig und holten ihre Gefangenen aus dem Kerker heraus, um mit ihnen über das Leben zu philosophieren. Zumindest hatte Benjamin das gehört.

    Major Hauer trank eine Menge. Er leerte seinen Becher und schenkte sich gleich wieder ein. »Trink«, wies er Benjamin an.

    Benjamin trank und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Was wollte Hauer von ihm?

    »Warum verfolgen nur die Brandenburger und Sachsen die Schweden?«, fragte er, um die Stille zu unterbrechen. »Wo sind die Österreicher und Bayern?«

    Der Major lehnte sich nach vorne und stützte dabei die Ellbogen auf den Tisch. Er musste schon ordentlich betrunken sein, denn seine Augen schimmerten glasig.

    »Die haben andere Sorgen«, erklärte er. »Sie mobilisieren alle Kräfte gegen Frankreich. Ein vereintes Reichsheer. Sogar mir hat man einen Brief geschrieben und mir ein Kommando angeboten. Mich außerdem gefragt, ob ich Männer bereitstellen könne.« Er richtete sich auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Welche Männer?«, fragte der Major empört. Er schien nun weniger mit Benjamin als mit sich selbst zu sprechen. »Woher soll ich die nehmen? Ich habe vierzig Soldaten. Die meisten alt, viele fett und alle betrunken.« Er schenkte sich wieder ein. »Mit diesen vierzig Soldaten soll ich Gefangene bewachen, die Festung verteidigen und für Sicherheit in der Umgebung sorgen. Wie, frage ich.« Er leerte seinen Wein in einem Zug.

    »Warum lasst Ihr die Gefangenen nicht frei?« Sein Herz pochte, als er das sagte. »Oder nehmt sie in Eure Dienste. Es ist üblich für Soldaten, die Seiten zu wechseln. Was bringt es Euch, sie einzusperren und bewachen zu lassen?«

    Der Major hielt den Mund so lange offen, dass Benjamin seine rotgefärbten Zähne sehen konnte. Dann lachte er und klopfte sich auf den Schenkel. »Ich soll Horn freilassen? Der General ist mehr wert als die gesamte Burg. Der Kaiser würde mir den Kopf abschlagen!«

    »Natürlich nicht Horn!«, sagte Benjamin rasch. »Aber was bringt es Euch, irgendwelche Soldaten gefangen zu halten?« Er sammelte seinen Mut: »Lasst uns andere frei.«

    Er hielt Hauers Blick stand. War das Reue in seinen Augen? Könnte es Benjamin wirklich gelingen, ihn zum Einlenken zu bewegen? Doch schon schüttelte der Major den Kopf. »Ich wünschte, es ginge. Aber nein. Wenn ich euch freilassen oder gar in meine Dienste stellen würde, könntet ihr euch verschwören und versuchen, den General zu befreien, und dann würde der Kaiser –«

    »Euch den Kopf abschlagen«, beendete Benjamin den Satz. »Warum habt Ihr mich holen lassen?«, fragte er dann.

    »Warum nicht? Horn hat von dir geredet. Er wollte mir nicht verraten, woher du stammst, aber er hält viel von dir. Ein junger Bursche sollte außerdem gelegentlich an die frische Luft.« Etwas im Ausdruck des Majors veränderte sich. »Gerade ein so hübscher junger Bursche wie du.«

    Benjamin fühlte sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut. »Das war sehr nett von Euch, aber –«

    »Ich kann mir schon vorstellen, warum Horn so viel von dir hält«, sagte der Major und verzog die Mundwinkel. »Oh ja. Das kann ich. Die Nächte im Heerlager sind kalt. Was liegt da näher, als sich einen hübschen Jungen zu besorgen, der draußen ein Feuer macht und auch ansonsten für Wärme sorgt.«

    Es konnte keinen Zweifel mehr daran geben, worauf der Major hinauswollte. Die Härchen auf Benjamins Armen stellten sich auf. Das kann er nicht ernst meinen!

    »Ich fürchte, Ihr habt den General missverstanden«, sagte Benjamin. »Der General und ich –«

    Der Major winkte ab. »Das spielt keine Rolle mehr.« Er stand auf. »Ich habe dir ein Angebot zu machen. Du solltest es dir gut überlegen.«

    Panisch suchte Benjamin den Raum ab. Der einzige Weg nach draußen führte über die Tür und dort standen die Wachen.

    »Was für ein Angebot?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.

    »Ich kann dich nicht freilassen. Aber ich kann dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt. Du kannst das Loch, in dem du haust, verlassen und wirst in ein bewachtes Turmzimmer verlegt.«

    Der Major warf ihm einen Blick zu, so als erwartete er, dass Benjamin in Verzücken ausbrechen würde. »Natürlich wirst du auch warme Mahlzeiten bekommen. Das Reich hungert, also rechne nicht damit, jeden Tag Fasan zu essen. Aber du bekommst regelmäßige Mahlzeiten. Horn sagt, du seist gebildet. Vielleicht also auch ein paar Bücher, um dir die Zeit zu vertreiben?«

    »Und die Gegenleistung?«

    Blut schoss in die Wangen des Majors. »Ich dachte, das versteht sich von selbst«, presste er hervor. »Du bist ein hübscher Knabe und ich will, dass du für mich die Rolle übernimmst, die du bei Horn übernommen hast.«

    Benjamin wurde bewusst, wie groß und kräftig der Major war und wie geschwächt er selbst. »Was genau meint Ihr?«, fragte er. Es war offensichtlich, was der Major meinte. Aber manche Männer mit derartigen Neigungen hatten Schwierigkeiten, ihre Wünsche direkt auszusprechen. Benjamin hoffte, dass die Scham den Major zur Besinnung bringen würde.

    Vielleicht hätte Benjamins Taktik Erfolg gehabt, wenn der Major nüchterner gewesen wäre. Nach mehr als einem Liter Wein kannte er jedoch keine Hemmungen mehr. Er packte Benjamin am Kragen und zog ihn zu sich. Benjamin spürte den stinkenden Atem in seinem Gesicht.

    »Ich will, dass du dich ausziehst«, hauchte der Major. »Ich will, dass du dich mit dem Bauch auf das Bett dort drüben legst und weich und geschmeidig bist. Verstanden?«

    Während der Schlacht von Nördlingen hatte Benjamin geglaubt, dass er niemals wieder eine solche Angst empfinden würde.

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