Liebe im Schatten der Berggipfel: 3 gefühlvolle Heimatromane
Von Klaus Tiberius Schmidt und Glenn Stirling
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Über dieses E-Book
Bergromane von
Wem der Berg zürnt (Glenn Stirling)
Denk nicht mehr an die Schatten (Glenn Stirling)
Gegen den Willen der Väter (Klaus Tiberius Schmidt)
Wenn jemand zu Erika Dammeier gesagt hätte, sie würde einmal allen Grund haben, auf eine andere Frau eifersüchtig zu sein und an Trennung von ihrem Ferdl zu denken, hätte sie nur gelacht. Aber dann wurde die Fernsehschauspielerin Sonja Bergheim ins Krankenhaus von Sankt Hildegard eingeliefert ...
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Liebe im Schatten der Berggipfel - Klaus Tiberius Schmidt
Liebe im Schatten der Berggipfel: 3 gefühlvolle Heimatromane
Glenn Stirling, Klaus Tiberius Schmidt
Dieser Band enthält folgende
Bergromane von
Wem der Berg zürnt (Glenn Stirling)
Denk nicht mehr an die Schatten (Glenn Stirling)
Gegen den Willen der Väter (Klaus Tiberius Schmidt)
Wenn jemand zu Erika Dammeier gesagt hätte, sie würde einmal allen Grund haben, auf eine andere Frau eifersüchtig zu sein und an Trennung von ihrem Ferdl zu denken, hätte sie nur gelacht. Aber dann wurde die Fernsehschauspielerin Sonja Bergheim ins Krankenhaus von Sankt Hildegard eingeliefert ...
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Alles rund um Belletristik!
Wem der Berg zürnt
von Glenn Stirling
Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.
Verträumt liegt das Rudeggertal in den Alpen. Obwohl am Talende ein Stausee und ein Kraftwerk entstehen, scheint es oft so, als sei die Zeit hier stehen geblieben. Doch wie überall, ist auch das Leben der Leute im Rudeggertal stets voller Probleme, und einer hat mit allem zu tun, mit Freundschaften und Feindschaften, Glück und Leid:
Dr. Dammeier, der als Arzt ursprünglich die Arbeiter der Kraftwerkbaustelle betreuen sollte, doch nun auch für die übrigen Bewohner des Tals zur Verfügung steht. Er stammt aus St. Hildegard, das in diesem Tal liegt, und alle nennen ihn da den Ferdl-Doktor.
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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Prolog
Es war ein strahlend schöner Sonntagmorgen. Blauer Himmel wölbte sich über dem Rudeggertal. Die Vögel zwitscherten in den blühenden Obstbäumen, Insekten summten um die Blüten, und aus der Kirche St. Hildegard drang leises Orgelspiel bis hinaus auf den sonnenüberfluteten Platz und vermischte sich mit dem gelegentlichen Glockengeläut der Kühe auf den Hofweiden.
Aus der Küche des Wirtshauses erscholl das Geklapper und Geschepper von Geschirr, ertönte ab und zu die schrille Stimme der Wirtsfrau, die ihrem Personal Anweisungen erteilte, denn in knapp zwei Stunden musste das Mittagsmahl gerichtet sein. Viele Gäste würden heute am Sonntag kommen. Selbst von Innsbruck kamen sie neuerdings hier herein ins Rudeggertal, um die herrliche Natur zu genießen.
Aber manche von ihnen kamen mit Ach und Krach nur bis zu Dagobert Hofers Wirtshaus und blieben dann bei diesem herrlichen Essen, das so viel billiger war als in der Stadt und so viel besser. Vor allen Dingen, wenn der Dagi seinen Sonntagswein aus dem Keller heranschaffte. Das ließ so manchen den Spaziergang vergessen. Und draußen im Biergarten zu sitzen, war auch ein herrliches Erlebnis für sich.
1
Roswitha war das letzte Stück des Weges zu Fuß gegangen, hatte ihren Wagen vorn am Dorfeingang stehen lassen und erreichte nun den Marktplatz.
Sie stand im Schatten und lauschte dem Gesang der Gemeinde, der jetzt, begleitet vom Orgelspiel, aus der Kirche herausdrang, und dieses Bild des Sonntagsfriedens, der über St. Hildegard lag, nur unterstrich. Drüben an der Kirche scharrten ein paar Hühner, weiter links marschierte eine Ente, gefolgt von sechs Jungen, auf den Dorfweiher zu.
Die junge und sehr hübsche Dunkelhaarige in heller Bluse und dunklem Faltenrock blickte durch die Gassen hinüber zu den noch immer schneebedeckten Bergriesen, die das Tal säumten.
Sie kannte die Namen alle. Drüben im Nordwesten der Glemmer, ein Dreitausender wie sein Nachbar zur Linken, der Pilzkogel, und ein Stück weiter, nicht ganz so hoch, die Kalkspitz Alpe. Darüber wölbte sich die Kuppel des azurblauen Himmels, nur weiter im Norden durch die hauchdünnen Schleier zweier Föhnwolken unterbrochen.
Nach zwölf Jahren der Abwesenheit war. Roswitha Lienzer wiedergekommen, zurück in das Tal, zurück in die Heimat.
Und sie war überzeugt davon, dass sie das Tal nie mehr verlassen würde. Ebenso überzeugt wie von ihrem nahen Tod.
Jetzt, wo sie an das scheinbar Unabänderliche dachte, spürte sie auch das Herzklopfen wieder, empfand diese schwäche, die in der letzten Zeit immer häufiger gekommen war und entsann sich der Worte ihres New Yorker Arztes, die sie wie ein Todesurteil empfand.
Ich bin daheim, dachte sie. Aber bin ich es wirklich? Die Eltern leben nicht mehr. Nur die Tante ist noch da, die beim Pfarrer als Haushälterin arbeitet. Eigentlich war sie sogar ihre Großtante.
Und dann wäre noch Tante Johanna gewesen, die Roswitha eigentlich auch sehr mochte. Nur hatte die einen reichen Bauern zum Mann, und den hatte Roswitha schon als Kind nie leiden können, diesen herrschsüchtigen, cholerischen Anton Kemmelmeier, der alle, die schwächer waren als er, seine Macht spüren ließ.
Am meisten aber freute sich Roswitha auf das Wiedersehen mit einem Menschen, dem sie damals vor einem Dutzend Jahren anlässlich des Begräbnisses ihrer Mutter nähergekommen war, obgleich sie ihn schon als Kind gekannt hatte.
Sie mochte es sich selbst kaum zugeben. Aber im Grunde war die Rückkehr hierher nur seinetwegen geschehen. Sie wusste nicht einmal, ob er noch hier lebte. Aber sie hoffte es.
Sie hoffte es so sehr, wie sie das Gesicht von Timo nie vergessen hatte. Ein Dutzend Jahre lang nicht.
Langsam überquerte sie den sonnenüberfluteten Platz und ging direkt auf das Pfarrhaus zu. Sie war sicher, dass Tante Sopherl nicht am Gottesdienst teilnahm. Sie hatte bestimmt, wie früher schon, die Frühmesse besucht und bereitete jetzt das Mittagsmahl für den Pfarrer vor, denn sie war ja seine Haushälterin.
Der Geruch von duftendem Braten drang Roswitha in die Nase. Sie brauchte nur diesem Geruch zu folgen. Unverwechselbar. Sie kannte keine bessere Köchin als Tante Sopherl. In Amerika hatte sie so manches Mal von den herrlichen Gerichten Tante Sopherls geträumt.
Und dann hörte sie das Geklapper aus der Küche. Die Fenster standen offen. Und sie beschloss, nicht an der Tür zu schellen, sondern um das Haus herumzugehen zum offenen Fenster der Küche hin, in die man hineinschauen konnte.
Aus einem Blumenkasten im Küchenfenster grünten Gewürze. Es hatte sich auch da nichts geändert. Und sie hörte das Summen einer Frauenstimme. Sie summte die Choräle, die von der Kirche herüberschallten, mit.
Und dann stand Roswitha am Fenster, schaute zwischen den grünenden Gewürzen hindurch in die Küche hinein und sah Tante Sopherl. Sie war ein wenig runzliger, ein wenig grauer geworden, und doch schien auch sie sich kaum verändert zu haben. Im Augenblick schnitt sie etwas auf einem Brett. Hurtig, wie früher schon, bewegten sich ihre Hände.
„Tante Sopherl", sagte Roswitha mit gedämpfter Stimme.
Die alte Frau hielt sofort in der Bewegung inne und lauschte, ohne zum Fenster zu blicken. Dann aber richtete sie sich ein wenig auf, schaute zu Roswitha herüber und erkannte sie sofort, obgleich doch so viele Jahre dazwischen lagen. Damals war Roswitha neunzehn gewesen, hatte noch ihr langes Haar gehabt, dass sie meist zu Zöpfen flocht.
„Ja, da schau her!, rief Tante Sopherl und legte das Messer beiseite, wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Roswitha!
, rief sie. „Gell, du bist’s?"
„Ja, Tante Sopherl, ich bin’s."
„Ja, sag Madel, wo kommst her? Ist das eine Freud!"
Da war Tante Sopherl schon am Fenster. Sie strahlte vor Freude, und so trübe die Gedanken von Roswitha bis vorhin noch gewesen waren, jetzt konnte sie gar nicht anders. Sie freute sich ebenfalls, die geliebte Tante wiederzusehen.
„Dass du den Weg zu uns findst, das hätte ich nie nimmer gedacht. Bist allein hier?"
Roswitha nickte. „Ja, Tant, allein. Ich möcht auch keine Umständ nicht machen. Nur Grüß Gott wollte ich dir sagen."
„Ja, Grüß Gott, mein Kind. Nun komm herein. Was stehst da draußen? Gut schaugst aus, Madel. Dass ich dich noch einmal seh? Da wird er Augen machen, unser Herr Pfarrer, wenn er dich sieht. Wart nur, bald schon ist die Messe vorbei. Aber dann geht er meist noch ins Wirtshaus. Aber wenn Mittagszeit ist, dann kommt er dann. Nur gut, dass ich mehr gemacht hab heut. Für dich reicht’s mit."
„O Tant, ich ess nicht viel."
„Magst net, oder kannst net?", fragte das Sopherl.
„Ich mag net."
„Ein Braten vom Rosenspitz ist’s. Da wirst schlecken. Hochwürden red allweil am Samstag von nix anderm."
„Wie schaut er denn jetzt aus, der Herr Pfarrer?", erkundigte sich Roswitha.
Sopherl lachte. „Allweil dicker ist er worden. Es schmeckt ihm halt so gut. Aber es gibt schon Tag, da steigt er auf die Berg, und da macht ihm kein Junger was vor. Höchstens der Ferdl-Doktor."
„Der Ferdl-Doktor? Wer ist das?"
„Ja, weißt nicht, Madel, dass die Talsperre oben, wo Mühlauer gewesen ist, gebaut wird?"
„Mühlauer ist nimmer?", fragte Roswitha.
Das Sopherl schüttelte seinen grauen Kopf. „Nein. Eine Talsperre haben sie baut. Noch net fertig ist’s. Aber nächstes Jahr wird’s fertig sein. Fürs Elektrische ist das, weißt. Und eine Menge Leut schaffen da droben. Fremde eben. Auch Welsche sind dabei. Nur der Ferdl-Doktor, den musst doch kennen, den Dammeier. Erinnerst dich net?"
„Der Bub von den Wagners Leuten?"
Sopherl nickte. „Ja, vom Wagner der Bub. Doktor ist er. Der ist damals schon früh weg. Ein studierter Bub ist das. Ein guter Doktor. Ein Glück für das Tal, daß er jetzt hier ist. Eigentlich ist er ja nur für die Bauleut kommen. Aber nun hat er zusammen mit dem Bürgermeister durchgesetzt, dass die Krankenstation auch für die Leut vom Tal is. Weißt, hier hat’s nie einen richtigen Doktor gehabt. Viele von die Leut sind zur Tränkl-Jule gegangen. Die kennst doch noch?"
„O ja, Tant. Die Tränkl-Jule kenn ich. Ist die auch noch am Leben?"
„Natürlich. Und weißt, es ist eine Hetz. Aber der Ferdl-Doktor und die Tränkl-Jule, die streiten gar net. Nur der andere Doktor, der Fellau. Weißt, das ist ein Chirurg, für die Unfälle ist er eben da. Aber der mag die Tränkl-Jule net. Ein Kräuterweibel ist's, hat er gesagt. Na ja, und es ist ja auch richtig. Aber sie weiß viel von den Kräutern, weißt. Sogar Hochwürden sagt, dass sie ein Gspür für die Kräuter hat. Sie helfen net allweil, aber bei mancher Sach schwör ich auf die Tränkl-Jule, auch wenn Hochwürden sagt, dass viel Larifari dabei ist."
„Und Aberglauben", meinte Roswitha lachend.
„Das darfst net so laut sagen. Wenn die Tränkl-Jule das hört, wird sie fuchtig."
Roswitha wollte etwas sagen, aber da entdeckte Sopherl, dass der Braten gedreht werden musste. „O je, rief sie, „jetzt muss ich gschwind den Braten wenden. Wennst willst, Madel, mach mir den Salat zurecht. Das wirst doch können?
„Freilich kann ich das, Tant."
Und Roswitha kam sich die nächsten zwanzig Minuten vor wie früher, wenn sie als Kind oder als junges Mädchen zur Tante gekommen war. Die hatte sie jedes Mal eingespannt zum Helfen in der Küche oder zum Obstpflücken. Aber es hatte immer Spaß gemacht. Eigentlich mehr Spaß als daheim. Der Vater war lange krank gewesen. Nach seinem Tod hatte auch die Mutter lange leiden müssen, bis sie erlöst worden war. Mit Hilfe eines Stipendiums hatte Roswitha erst ein Internat und später ein Konservatorium besuchen können.
Die Tante stellte Fragen, wollte wissen, was denn Roswitha all die Jahre getrieben hatte. Offenbar kamen die Nachrichten aus der weiten Welt nur sehr spärlich ins Rudeggertal, sonst hätte die Tante wissen müssen, dass aus dem kleinen Mädchen aus dem Kirchenchor draußen in dieser fernen Welt eine berühmte Sopranistin geworden war, die zuletzt sogar in der berühmten Met, der Metropolitan Opera in New York, gesungen hatte ... bis zum totalen Zusammenbruch vor vier Monaten.
Seitdem war Roswitha nicht mehr aufgetreten.
Aber daran dachte sie jetzt nicht. Ihre Gedanken konzentrierten sich auf Timo. Sie wusste nur nicht, wie sie nach ihm fragen sollte. Die Tante, daran erinnerte sie sich gut, konnte sehr hellhörig sein und reimte sich zwei und zwei zusammen.
Aber schließlich fasste sich Roswitha ein Herz und fragte: „Was ist aus dem Timo geworden?"
„Welchen Timo meinst?, fragte das Sopherl. „Den Knecht vom Wallbergbauer?
„Nein, den nicht."
„Ach, den Verwalter vom Grafen meinst, den Veith Timo."
„Genau den, Tant." Roswitha blickte die Tante gespannt an. Aber die würzte erst einmal die Soße, kostete, und als sie zufrieden den Löffel beiseite legte und sich der Vorbereitung zum Dessert zuwandte, da sagte sie:
„Ja, der Veith. Er ist immer noch beim Grafen. Wanns das Heu auf der Schwerdtner Alp machen, dann wird er wieder hier sein. Aber sonst ist er drunt im Innsbruckschen, da hat der Graf sein großes Gut. Das weißt du doch."
„Ja, ich weiß. Kommt er nimmer herauf? Nur zur Heumahd?"
„Gewiss, zur Heumahd, da kommt er ins Tal. Aber sonst ist er drunt auf dem Gut. Den Graf kümmerts Gut nimmer. Das macht der Veith jetzt. Inspektor heißen sie ihn. Aber er ist nicht anders worden all die Zeit. Er ist noch immer so, wie er früher war."
Eine ganz bestimmte Frage bedrängte Roswitha schon die ganze Zeit. Aber nun hatte sie doch Furcht, sie zu stellen. Denn da würde die Tante ganz sicher ahnen, warum Roswitha das wissen wollte. So zögerte sie und überlegte, wie sie es anstellen konnte, ganz unverfänglich danach zu fragen, ob der Timo verheiratet war oder nicht.
Ich sollte es nicht fragen, dachte sie. Bestimmt ist er verheiratet. Er ist damals ja schon ein Mann gewesen, wo die meisten eine Frau nehmen. Ende dreißig müsste er sein, der Timo. Ja richtig, zehn Jahre ist er älter als ich. Bestimmt hat er eine Frau. Vielleicht auch Kinder. Ich sollte wirklich nicht fragen. Aber dann kam ihr die Tante unbewusst zu Hilfe, indem sie sagte:
„Ein feiner Herr ist er worden, der Inspektor. Als sie abtrieben haben von den Almen im letzten Jahr, da ist er hier gewesen. Mastvieh hat er kauft. Der Ferdl-Doktor ist auch da gwesen. Und beim Dagi drüben haben die beiden und Hochwürden die ganze Nacht geredt. Und natürlich getrunken, bis in den Morgen. Hochwürden ist vom Dagi direkt zur Messe gangen. Und die beiden haben beim Dagi im Stadl gelegen und ihren Rausch ausgeschlafen. So ist’s, wenns keine Frau haben. Da könnens das machen. Ich, wenn ich ein Mannsbild hätt, das die ganze Nacht wie die drei redt und säuft, ich würd ihn schon heimholen und ihm was derzählen. Z’wegen die ganze Flasche nach der anderen vom Kälterer trinken, bis der Dagi keinen Tropfen mehr davon hat."
Also ist er nicht verheiratet, dachte Roswitha erleichtert. Doch gleichzeitig sagte sie sich, dass es im Grunde ja gar keine Bedeutung hat. Für sie war doch sowieso alles vorbei.
„Hat er keine Frau?"
Sopherl schüttelte den Kopf. „Nein. Wird wohl die Richtige net gfunden haben. Jesses, jetzt läuts schon auf Mittag. Hochwürden wird gleich kommen. Madel, schaug, dass die Teller eini trägst."
„Mach ich, Tant", sagte Roswitha und blickte zum Fenster hinaus. Da sah sie einen breitschultrigen, aber doch schlanken Mann vorbeikommen. Sein Gesicht erinnerte sie sofort daran, wer er war, obgleich er die Jahre ebenfalls älter geworden war. Zwölf Jahre älter ...
Da war er schon vorbei, und Roswitha sagte: „Der Wagner Bub, ich meine, der Dammeier-Ferdl ist eben vorbeigangen."
„Zu seine Leut wird er gehn. Alt sinds worden, die beiden. Nach der Messe schaut er immer nach ihnen, und sein Mutter kocht für ihn mit. Für die alten Leut ist es immer eine Freude, wenn der Bub bei ihnen ist."
„Gut sieht er aus. Es ist lang her, dass ich ihn gesehn hab. Damals ist er noch ein Student gwesen", erinnerte sich Roswitha.
„Und nun ist er der beste Doktor, der wo jemals im Tal gelebt hat", stellte das Sopherl fest und fischte die Klöße aus dem großen Topf, um sie in die Schüssel zu tun.
„Wann wird denn in diesem Jahr Heumahd sein?", erkundigte sich Roswitha.
„Unten am Bach, sagte Sopherl, ohne in ihrer Tätigkeit innezuhalten, „habens schon die letzt Woch mit der Mahd angefangt. Aber droben auf den Almen und an der Schwerdtner Alp wirds gewiss noch gut zehn Tag dauern.
Zehn Tage also, dachte Roswitha, bis ich den Timo wiedersehe. Hoffentlich halte ich durch …
2
„Das Schlimmste, sagte Dr. Jürgen Fellau, „sind die Wochenenden, wenn hier auf der Baustelle alles wie tot ist und man herumlungert, als wenn man die Zeit im Lotto gewonnen hätte.
Bernhard Kreuzbechner, der dem blonden zweiunddreißigjährigen Arzt zuhörte, grinste über sein breites Gesicht. Die ohnehin schmalen Augen waren nur mehr Striche. „Ja, was glaubst, Herr Doktor, sagte Kreuzbechner, „auf Pfingsten, also nächste Woch, sollst sehn, wies Volk aus der Stadt umeinand rennt. In jede Schlucht kraxelns eini. Und nauf auf die Berg müssens auch. Und kein End findens net. Und plötzlich, wenns dunkel is, stehns droben und wissen net, wies abikommen sollen. Dann schreins nach der Bergwacht. Und unsereins muss aufi. Aufn Sonntag. Verstehst, Herr Doktor. Und deswegen hat der Ferdl-Doktor das mit'm Notdienst eingericht.
„Ach was", meinte Fellau, und sah den untersetzten, vierschrötigen Kreuzbechner missmutig an. Er wusste ja, dass der Zweiundvierzigjährige zur Bergwacht gehörte und schon manchen Bergsteiger, vor allen Dingen aber Touristen, aus dem Berg geholt hatte, wenn sie nicht mehr herunterkamen oder sich verletzt hatten. Und natürlich sah er ein, dass der Notdienst am Wochenende sein musste, wenn die Touristen kamen. Aber heute waren, soviel er wusste, gar keine Touristen gekommen.
„Hast du denn überhaupt Touristen gesehen, Kreuzbechner? Ist überhaupt jemand nach St. Hildegard gekommen?"
„Touristen vielleicht net, sagte Kreuzbechner, der sich immer sehr bemühen musste, Hochdeutsch zu sprechen, so gut er das konnte, wenn er mit Dr. Fellau sprach, der ja aus dem Rheinland stammte. „Aber jemand ist doch gekommen.
„Jemand? Wer denn?", fragte Fellau, der sich so sehr langweilte, dass er schon froh war, den Kreuzbechner zur Gesellschaft zu haben.
„Als ich von der Messe kommen bin, hab ich sie gesehn, die Roswitha, die Lienzer Roswitha."
Fellau hatte nur mit einem Ohr hingehört, verstand aber plötzlich, was Kreuzbechner gesagt hatte und sah ihn verwundert an. „Lienzer Roswitha? Sie wollen doch nicht etwa sagen, Roswitha Lienzer, die Sängerin?"
„Ja mei, eine Sängerin ist sie auch? Sie hat allweil gesungen. Früher im Kirchenchor. Und dann hat ihr reicher Onkel aus Innsbruck das Geld für das Internat gegeben. Und im Internat hat sie so schön gsungen, dass sie das Stipendium bekommen hat. Und danach ist sie auf einem Konservatorium gewesen. Ein blitzgescheites Madel ist sie, die Roswitha. Und ich hab sie gsehn."
„Moment mal, sagte Fellau und hob beschwörend die Hände. „Sie wollen doch nicht sagen, dass die berühmte Roswitha Lienzer hier aus dem Ort stammt?
„Freilich will ich das sagen, beteuerte der Kreuzbechner. „Die Eltern sind schon lang tot. Aber deswegen ist sie doch von hier.
„Ich kann nicht glauben, dass wir von derselben Frau sprechen. Roswitha Lienzer hat an der Hamburger Staatsoper gesungen. Sie ist in Wien gewesen, und zuletzt war sie an der Metropolitan Opera in New York. Ich habe Platten von ihr."
„Kann schon sein, meinte der Kreuzbechner. „Aber sie ist es. Ich habe auch gehört, dass sie in Amerika drüben ist. Aber nun ist sie wieder heimkommen. Heim nach St. Hildegard.
„Ich werde verrückt, meinte Fellau. „Roswitha Lienzer stammt aus St. Hildegard. Das darf doch nicht wahr sein. Leute gibt’s hier! Der Dammeier ist von hier, und nun noch als Krönung Roswitha Lienzer. Haben Sie die schon mal singen hören, Kreuzbechner?
„Ja freili. Lang ist’s her. Da ist sie noch ein junges Madel gewesen. Da hab ich sie singen hören. Schön hat’s gesunge."
„Ich meine in einer Oper? Oder in einem Konzert?"
Der Kreuzbechner schüttelte traurig den Kopf. „Das ist für feine Leut. Dafür hab ich kein Geld net."
„Aber im Radio. Man hat sie auch im Radio hören können."
„Ja mei! Wissens, Herr Doktor, solche Musik ... die versteh ich net. Schlager, die mag ich schon. Oder ein Lied von hier. Das mag ich auch. Na ja, und sonntags in der Kirchen. Das hab ich schon als Kind glernt. Aber so feine Musik, so von Schubert, Beethoven und wie die alle heißen. Nein, Doktor, davon versteh ich nix."
„Also, ich würde etwas dafür geben, dieser Frau zu begegnen. Solchen Leuten gehört ein Denkmal gesetzt. Das sind Genies. Die machen den Menschen Freude. Aber die bekommen nie ein Denkmal. Eher setzt man irgendeinem General oder einem Politiker ein Denkmal, denen die Menschheit meistens nur Blut und Tränen verdankt. Aber wer den Menschen Freude schenkt, den vergessen die Leute schon, wenn er erst ein paar Monate tot ist. Ich würde wirklich etwas dafür geben, sie singen zu hören."
Hätte der Kreuzbechner nicht gewusst, dass Dr. Jürgen Fellau ein hervorragender Chirurg war und wirklich kein Spinner, so hätte er jetzt gedacht, dass der Doktor verrückte Einfälle hat. Aber so sah er den Arzt nur zweifelnd an und schwieg.
„Erzähl doch mal mehr von ihr! Du weißt das doch. Du bist doch von hier."
„Ja scho. Aber da gibt’s net viel zu verzähln. Sie war ein Kind gwesn, da ist sie schon nach Innsbruck ins Internat. Und nachher, als sie wiederkommen is, da war’s auch net lang, da ist sie fort zum Konservatorium. Zuletzt hab ich sie gsehn, als die Mutter gestorben ist. Da ist die Roswitha kommen, war beim Begräbnis. Da ist sie erst kurze Zeit beim Konservatorium gewesen. Sie ist dann wieder weg, nach Wien. Und dann hab ich sie nie nimmer in St. Hildegard gesehn, bis heut. Fast hätte ich sie net erkannt. Ein schmuckes Madel ist’s, die Roswitha. Die tat dir auch gefallen, Doktor."
„Mir geht es doch nicht um solche Dinge. Sie hat eine göttliche, eine begnadete Stimme, Kreuzbechner."
Der Kreuzbechner konnte nicht begreifen, wie einem gestandenen Mannsbild, wie der Dr. Fellau eins war, die Stimme einer Frau wichtiger sein konnte als ihr Äußeres. Aber der Doktor war ein studierter Mann, der musste es ja wissen.
Sie saßen beide vor der Krankenstation. Fellau hatte beide Füße auf das Geländer der kleinen Holzveranda gelegt und blickte jetzt über seine Fußspitzen hinweg auf die noch immer schneebedeckten Berge, beobachtete den Flug eines Greifvogels, doch seine Gedanken kreisten immer wieder um die Musik und den Gesang von Roswitha Lienzer.
Schade, dachte er, dass ich die Platte nicht hier habe. Ich würde sofort eine spielen. Dann könnte der Kreuzbechner einmal hören, was richtiger Gesang ist. Eine Schande, dass die Leute hier so etwas gar nicht kennen.
„Da schau", sagte der Kreuzbechner und deutete talwärts an der Baustelle vorbei, wo die Zufahrt zum Barackenlager heraufführte.
Dr. Fellau blickte in diese Richtung und entdeckte ebenfalls die Staubwolke. Ein Auto kam herauf.
„Wird der Ferdl-Doktor sein", meinte Kreuzbechner.
3
Hochwürden war das, was man allgemein als ein gestandenes Mannsbild bezeichnet. Eine Persönlichkeit zumal, die sich nicht nur darin verstand, die Messen zu lesen und Predigten zu halten. Er sah sich als Christ der Tat und fühlte sich nicht nur mit dem Land hier, sondern ganz besonders mit den Menschen im Tal verbunden. Er war einer der ihren, auch wenn er im Grunde gar nicht aus dem Rudeggertal stammte,