Klima - Seismograph für Gesellschaft & Gesundheit
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Das Symposion Dürnstein versteht sich als internationaler Gedankenaustausch, als Ort, an dem Menschen mit verschiedensten Ansichten, Haltungen, Religionen und Weltanschauungen einander zu Austausch und Diskurs treffen können. Es findet jährlich zu einer anderen Themenstellung statt.
Das Symposion Dürnstein 2022 stand ganz im Zeichen des aktuellen "Krisen-Zeitalters": Menschliche Aktivitäten bringen das Geo-Klima, aber auch das gesellschaftliche und geistige Klima aus dem Gleichgewicht. Expert*innen verschiedener Disziplinen diskutierten über aktuelle Entwicklungen und mögliche Exit-Strategien. Welche Perspektiven gibt es für das Klima, in und mit dem wir alle leben?
Das Themenspektrum umfasste Geo-Engineering genauso wie Naturschutz, alternative Konsumnetzwerke, Ethik, Raum- und Stadtentwicklung, Religion und Philosophie.
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Klima - Seismograph für Gesellschaft & Gesundheit - Symposion Dürnstein
URSULA BAATZ
Kuratorin Symposion Dürnstein
EINLEITUNG ZUM TAGUNGSBAND
Aktuelle Gegenwartsfragen in ihren Tiefendimensionen zu erkunden, ist der Auftrag des Symposions Dürnstein. Dazu gehören politische – das Gemeinwesen der Bürgerinnen und Bürger betreffende – Fragen genauso wie philosophische oder religionswissenschaftliche Perspektiven, aber auch soziologische Zugänge. Gerade bei dem Thema des 11. Symposions Dürnstein war dies besonders deutlich. Auch wenn sich Diskussionen um die Klimakrise sehr oft auf technisch-naturwissenschaftliche Forschung beziehen, ist gerade hier ein soziologischer Blick hilfreich und weiterführend. Wenn es ums Klima geht, dann reden wir über den Lebensraum der Menschen, global gesehen; oder anders gesagt: Es geht um Natur und die Menschen als Teil der Natur und Akteure ihrer Veränderung.
Das wurde schon in der Eingangsdiskussion deutlich: Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG und Vizepräsidentin der österreichischen Industriellenvereinigung, zeigte eindrucksvoll auf, was Firmen zur Bewältigung der Klimakrise beitragen können. Katharina Rogenhofer, Mitbegründerin von „Fridays for Future" in Österreich, zeigte, was realpolitisch dringend umgesetzt werden soll, um Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Matthias Strolz, Ex-Politiker, Unternehmer und Buchautor, wies auf die weltanschaulichen Hintergründe der Klimakrise hin.
Die Diskussion um die Klimakrise wird nicht nur unter Wissenschaftler*innen, Politik und Industrie ausgetragen, sondern ist vor allem auch ein mediales Ereignis. Im Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Fakt und Fake. Wissenschaftsskepsis, Verschwörungsmythen und die neue Macht der Desinformation im digitalen Zeitalter ging der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen auf „die Erregungsmuster des digitalen Zeitalters und das Geschäft mit der Desinformation
ein, die „im Zusammenspiel von alten und neuen Medien der Charakter von Debatten, unsere Idee von Wahrheit und Autorität verändern, wie er schreibt. Helga Kromp-Kolb, em. Professorin für Meteorologie und Klima an der Universität für Bodenkultur in Wien, ist eine der führenden Klima-Wissenschaftlerinnen und eine der frühesten vor der Klimakrise warnenden Stimmen. „Der Preis der Zukunft
war der Titel ihres Gesprächs mit „Falter"-Redakteur Benedikt Narodoslawsky (zuständig für die Bereiche Klima und Umwelt) über ihre Erfahrungen. Sebastian Helgenberger, Umweltwissenschaftler am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam schlug einen Klima-Generationen-Vertrag vor – da junge Menschen und damit die Zukunft in den politischen Entscheidungsprozessen deutlich unterrepräsentiert sind.
Atmosphäre ist ein fundamentaler Begriff der Klima-Forschung. Dass Atmosphäre nicht nur geophysikalisch, sondern auch sensorisch und sozial ist, und dass dies auch für die Bewältigung der Klimakrise von Bedeutung ist, belegte Mădălina Diaconu, Dozentin für Philosophie an der Universität, in einem eindrucksvollen Vortrag. Technischer wurde es bei dem Überblick des Klimawissenschaftlers Blaž Gasparini (Institut für Meteorologie und Geophysik, Universität Wien), der über die Möglichkeiten und Gefahren des Geoengineerings berichtete. Nils Matzner, Wissenschaftssoziologe an der Technischen Universität München, diskutierte in seinem Beitrag die problematischen Möglichkeiten „Negativer Emissionen, also der CO2-Reduktion mit technischen Mitteln. Die philosophische und vor allem auch juristische Grundfrage: „Warum hat die Natur keine Rechte, eine GmbH aber schon? Über das Verhältnis von Recht, Ethik und Natur
erörterte die Rechtsanwältin Michaela Krömer (Kanzlei Krömer, St.Pölten), die sich unter anderem auf Klimafragen spezialisiert hat und international bestens vernetzt ist.
Für eine Bewältigung der Klimakrise ist Technologie und Naturwissenschaft hilfreich – doch unabdingbar braucht es eine Veränderung menschlicher Lebensformen. Sérgio Costa, Professor für Soziologie am Lateinamerika-Institut der FU Berlin und einer der Proponenten des „Konvivialistischen Manifests, erläuterte dieses Konzept, das auf den Österreicher Ivan Illich zurückgeht. Neue Formen des Zusammenlebens sind nötig, sowohl innerhalb der Spezies Mensch als auch im Zusammenleben zwischen Menschen und allen anderen Spezies, der Natur also. Naturschutzgebiete gefährden dieses labile Gleichgewicht: denn sie basieren auf kolonialen Konzepten und arbeiten mit repressiven Maßnahmen. Indigene, die in diesen Gebieten immer schon gewohnt haben, werden vertrieben und die Gebiete für Tourismus geöffnet. Diese unheilvolle Entwicklung zeigte der kenianische Ökologe Mordecai Ogada (Executive Director of Conservation Solutions Africa) in seinem Vortrag: „Climate and Environment: The new instruments of injustice
an rezenten Beispielen unter anderem aus Afrika auf. Ähnlich beschrieb die Wirtschaftswissenschaftlerin und Degrowth-Aktivistin Tonny Nowshin (Bangladesh/Deutschland) die Situation in ihrem Impuls „And the Global South. An urgent perspective".
Religion ist global gesehen ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor, und auch die Religionsgemeinschaften melden sich in Sachen Klimakrise zu Wort. So hat der „Weltrat der Kirchen" bereits 1988 auf den Zusammenhang von Klimakrise und konsumistischem Lebensstil hingewiesen, wie Ernst Fürlinger (Research Lab Democracy and Society in Transition, Donau-Universität Krems) in seinem Aufsatz zeigt. Dass möglicherweise gut organisiertes Leben in der Großstadt besser fürs Klima ist als das Landleben, mutmaßt der Klimaökonom Gernot Wagner (Columbia Business School). Den Abschluss des Bandes bildet die Dokumentation der künstlerischen Intervention, die Studierende der KPH Krems unter der Leitung von Sigrid Pohl für das Symposion Dürnstein konzipiert haben.
Abb. 1: Podium Eröffnungsabend mit Matthias Strolz, Sabine Herlitschka und Mari Lang, © Klaus Ranger
Abb. 2: Katharina Rogenhofer via Zoom zugeschaltet © Klaus Ranger
Abb. 3: Bernhard Pörksen beantwortet Fragen aus dem Publikum © Klaus Ranger
Abb. 4: Mittagspause im Hof des Stift Dürnstein © Klaus Ranger
Abb. 5: Michaela Krömer bei ihrem Vortrag im Prälatsaal © Klaus Ranger
Abb. 6: Podium mit Sérgio Costa, Mordecai Ogada, Tonny Nowshin (am Monitor) und Joachim Schwendenwein © Klaus Ranger
Abb. 7: Symposion Dürnstein 2022 Besucher*innen © Klaus Ranger.
URSULA BAATZ
DEM KLIMA SIND GRENZEN EGAL. UND AUCH DER NATUR.
Menschen sind eine invasive Spezies, sie dringen in neue, unbekannte Räume vor, physische wie mentale, freiwillig oder erzwungen, setzen sich dort fest, verändern und gestalten diese Räume - manchmal mit offener Gewalt, manchmal subtil. Diese invasiven Veränderungen wurden seit rund 200 Jahren immer mehr und umfangreicher. Manche sprechen deswegen von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän, ein Ausdruck, den schon 1873 der italienische Anthropologe Stroppani vorschlug. 2008 erklärte die Geological Society of London, die älteste wissenschaftliche Gesellschaft für Geologie, dass die Zunahme an Treibhausgasen, die Übersäuerung der Ozeane und die Folgen der industriellen Landwirtschaft – also Artensterben, Verdrängung der Vegetation und Abwanderung von Arten - eine bisher noch nie dagewesene Veränderung des Planeten durch menschliche Aktivitäten geschaffen habe.
Das bekommt man hautnah zu spüren: Dieser Winter war laut ZAMG der achtwärmste Winter seit Beginn der modernen Messungen 1850. Allein im Februar legten Stürme dreimal den innereuropäischen Verkehr weitgehend lahm – Flüge und Züge fielen aus. Klimaerhitzung – so nennt es die ZAMG – ist nur ein Symptom der Veränderung des Planeten. Früher ärgerte man sich über die kleinen Insekten, die im Sommer abends an die Windschutzscheibe knallten oder einen beim Radfahren ins Auge flogen. Heute gibt es kaum mehr welche. Die fliegenden Edelsteine, die Schmetterlinge, sind in den letzten hundert Jahren um mehr als die Hälfte reduziert worden – wann haben Sie den letzten gesehen? In Österreich sind in den letzten 20 Jahren rund 40 % der Vögel verschwunden. Und so weiter. Massensterben gab es in der Erdgeschichte mehrere, aber dieses „Sechste Massensterben" geht aufs Konto menschlicher Aktivitäten.
Der Kabarettist Franz Hohler schrieb 1973 seinen Song vom Weltuntergang: Ein unangenehmer Käfer auf einem fernen Atoll im Pazifik stirbt aus, alle freuen sich. Doch dies ist der winzige Beginn des Endes der Nahrungskette und es folgt ein großes Sterben. Die Ursache: In Hohlers Weltuntergangstext starb der Käfer an durch fossile Brennstoffe verseuchter Nahrung.
Das klang 1973 nach Satire. Tatsächlich warnten bereits 1965 amerikanische Wissenschaftler die US-Regierung vor den Folgen fossiler Treibstoffe. Exxon errechnete 1982, dass bei zunehmender Verwendung fossiler Brennstoffe 2060 die Temperatur global um 2 Grad gestiegen sein würde; 1988 errechnete Shell diesen Temperaturanstieg bereits für 2030 und warnte vor Überflutungen, Verlust von Wasserreserven und Erhitzung. Die Studien wurden von den Erdölfirmen unter Verschluss gehalten und gelangten erst in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit. 2030 - das ist heute in acht Jahren. Die Klimakonferenzen des letzten Jahrzehnts warnten, dass die Erhitzung des Planeten bald nicht mehr umkehrbar ist.
Ich frage mich, in welcher Welt die Kinder, die jetzt auf die Welt kommen, werden leben müssen. Überflutungen, Hitze, Stürme - sollen wir uns also auf eine Höllenfahrt vorbereiten? Von Alfred Polgar – aus einem Stück namens „Kasperles Höllenfahrt - soll der berühmte Satz stammen: Es ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Diese Devise scheinen viele zu verfolgen – da es nicht mehr so leicht möglich ist, die Klimakatastrophe zu leugnen, haben sich große Firmen wie Shell und andere auf Greenwashing verlegt, also auf PR-Strategien, die das Firmen-Image „grün
färben. Die heftigen Diskussionen in der EU, welche Energieformen als „nachhaltig" gelten dürfen, sind durch den Überfall Putins auf die Ukraine rasch beendet worden. Man möchte aus dem russischen Gas heraus – aber als Ersatz fallen vielen Politikern nur Kohlekraftwerke ein. Oder: Die Pendlerpauschale ist nicht nur sozial ungerecht, sondern fördert die Klimaerwärmung. Mit anderen Worten: Wie eine lebenswerte Zukunft, und das heißt die notwendige Reduktion der Klimaerwärmung, aussehen könnte, darüber haben die Entscheidenden in der EU und in Österreich bisher offenbar nicht nachgedacht.
Damit eine wirkliche Veränderung möglich wird, braucht es mehr als Systemkosmetik und technische Lösungen, die wie „Schmerzmittel für den Klimawandel" (Blaz Gasparini) funktionieren.
Auf der Suche nach den tieferliegenden Wurzeln, aus denen die Klimakrise erwachsen konnte, stößt man rasch auf die Anfänge der Naturwissenschaft. Der Staatsmann und Philosoph Francis Bacon schrieb 1620, man müsse die Natur gefügig und zur Sklavin machen; man solle sie auf ihren Irrwegen mit Hunden hetzen und solange auf die Folter spannen, bis sie ihre Geheimnisse preisgebe. Zudem galten Geiz und Gier im aufsteigenden Kapitalismus nicht mehr als Laster, sondern als Tugenden. Der Umgang mit dem Natürlichen ist – wie Bacons Bild zeigt – von ökonomischen Interessen geleitet: das Natürliche, Lebendige, hat nur Berechtigung als Produktivkraft im Dienste des (National-)Staates, der Herrschenden, des Geldes.
Statt die Natur als Sklavin und Gefangene weiter auszubeuten, muss man dem Lebendigen, Natürlichen, wieder eigene Rechte zugestehen. Bereits 1972 forderte der vor kurzem verstorbene bedeutende amerikanische Rechtswissenschaftler Christopher D. Stone, dass Bäume, Flüsse, Landschaften, die lebendige Natur, Rechtsstatus haben, also als juristische Personen anerkannt werden sollen. Dies hat nichts mit Romantik zu tun. Die Klimakatastrophe, die als Folge der Versklavung der Natur entstanden ist, führt – wie immer deutlicher zu sehen ist - zum Zusammenbruch der Bedingungen, unter denen Menschen gedeihen können. Die Eigenrechte der Natur zu berücksichtigen, heißt die Lebensbedingungen für die Gattung Mensch im Zusammenleben mit allen anderen Gattungen durch Rechtsnormen zu stabilisieren.
Dazu muss man Natur überhaupt erstmal wahrnehmen. Doch hat die Umgebung Auswirkungen aufs Denken: Längere Aufenthalte in freier Natur beruhigen und inspirieren, anders und freier zu denken. Doch die meisten Menschen in den Staaten des Nordens verbringen ungefähr 90 % ihrer wachen Zeit in geschlossenen Räumen, bestenfalls mit ein paar Zimmerpflanzen. Dabei geht es dringend um neue Formen des Zusammenlebens – Klimagerechtigkeit ist untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden.
Das ökonomische Kalkül zerstört das Gemeinsame von Natur und Menschen. Deswegen geht es um neue Formen des Austauschs, um Anerkennung und Solidarität, sagen die Initiatoren des Konvivialistischen Manifests (www.konvivialisten.de). Convivium ist das antike Gastmahl, bei dem alle über Essen, Trinken und Gespräch miteinander in Beziehung kommen. Der Planet Erde gewährt den Lebewesen das Große Gastmahl, einen Austausch, der für alle reicht, wenn richtig geteilt und genossen wird. Der Planet Erde ist Heimat, „patrie, sagt der französische Philosoph Edgar Morin, der heuer 100 Jahre wurde (auf ihn beruft sich die Kampagne „Heimatland Erde
auf aspr.at).
Es ist dringendst nötig, über den nationalstaatlichen Tellerrand zu blicken und planetar orientiert zu denken, zu fühlen und zu handeln. Natur und Klima sind Nationalstaatsgrenzen egal.
URSULA BAATZ
SABINE HERLITSCHKA
MATTHIAS STROLZ
KATHARINA ROGENHOFER
PODIUMSDISKUSSION „ÖSTERREICH IN DER KLIMAKRISE"
Podiumsdiskussion¹ moderiert von Mari Lang
LANG: Ich freu mich sehr auf unsere Podiumsdiskussion zum Thema „Österreich in der Klimakrise" mit Sabine Herlitschka, der Vorstandsvorsitzenden bei Infineon Technologies Austria AG und Vizepräsidentin der Österreichischen Industriellenvereinigung. Matthias Strolz ist österreichischer Unternehmer, Buchautor und ehemaliger Politiker. Sein Buch Gespräche mit einem Baum ist gerade erschienen. Online zugeschaltet ist außerdem Katharina Rogenhofer, Mitbegründerin von Fridays for Future, Sprecherin des Klimavolksbegehrens Österreich und Autorin des Buches Ändert sich nichts, ändert sich alles. Mit den beiden letztgenannten bin ich per Du, deshalb wird es einen Mix aus Du und Sie geben.
In Österreich ist die Klimakrise oder Klimakatastrophe, wie sie vielerorts bezeichnet wird, schon spürbar. Seit Beginn der Industrialisierung ist die Temperatur bei uns bereits um 2 Grad gestiegen. Laut dem Pariser Klimaabkommen dürfte es aber nur einen maximalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad im globalen Mittel geben, um die Katastrophe zu vermeiden. Wo stehen wir hierzulande in Bezug auf die Klimakrise?
ROGENHOFER: Danke, dass ich virtuell da sein darf, ich sitze noch in Corona-Quarantäne. Ja, Österreich ist von der Klimakrise betroffen, wir spüren das in den letzten Monaten mit Extremwettern; auch die Landwirtschaft spürt das, die Niederschläge gehen uns ab. Gleichzeitig hat Österreich keinen guten Track-Record, was die Klimapolitik betrifft: Wir haben