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SPACE 2023: Das aktuelle Raumfahrt-Jahrbuch mit allen Starts
SPACE 2023: Das aktuelle Raumfahrt-Jahrbuch mit allen Starts
SPACE 2023: Das aktuelle Raumfahrt-Jahrbuch mit allen Starts
Ebook974 pages6 hours

SPACE 2023: Das aktuelle Raumfahrt-Jahrbuch mit allen Starts

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About this ebook

Die 20. Ausgabe des Raumfahrt-Klassikers. In den SPACE-Jahrbüchern halten wir für Sie die aktuellen Entwicklungen in der Raumfahrt fest. Sachkundig, pointiert, aktuell und spannend

Der Flug von Faith 7 *** Mondlander aus Lampoldshausen *** Die Ära der privaten Raumstationen *** Scheidung von Russland *** Spin Launch
– Das Überschallkarussel *** Konstellationen – Goldrausch im Orbit *** Fast einsatzbereit – Boeings Starliner *** Im Weltraum scheint immer die
Sonne *** Orbitall – Spaceport Berlin Wuhlheide *** SF-Wettbewerb 2022 mit Mikro-SF Raumfahrtchronik, Raumfahrtstatistik, Raumfahrt-Panorama *** und vieles mehr...
LanguageDeutsch
Release dateDec 31, 2022
ISBN9783944819532
SPACE 2023: Das aktuelle Raumfahrt-Jahrbuch mit allen Starts

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    Book preview

    SPACE 2023 - Eugen Reichl

    Impressum

    ePub-Edition Dezember 2022

    Copyright © by VFR e.V., München

    Alle Rechte vorbehalten

    Initiator: Verein zur Förderung der Raumfahrt e. V., www.vfr.de

    Herausgeber: Thomas Krieger

    Organisation: Peter Schramm

    Lektorat: Heimo Gnilka, Margit Drexler, Thomas Krieger, Peter Schramm, Stefan Schiessl

    Titelmotiv: NASA

    Layout & Satz: Stefan Schiessl, www.exploredesign.de

    Web: www.space-jahrbuch.de / eMail: space@vfr.de

    ISBN 978-3-944819-53-2 (ePub)

    Editorial

    Liebe Leserin, Lieber Leser,

    die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts sind zurück. Aber nicht die 60er-Jahre der Beatles und der Rolling Stones, der ersten Herzverpflanzung und der Einführung des Farbfernsehens, sondern die 60er-Jahre des Kalten Kriegs. Zumindest soweit es Russland und die westlichen Staaten betrifft. Für die Bewohner der Ukraine ist der Krieg keineswegs „kalt" sondern fürchterlich heiß. Russland hat sich mit dem Überfall auf seinen Nachbarn mit einem Schlag aus der internationalen Staatengemeinschaft herauskatapultiert. Was für ein Wahnsinn.

    Viele trifft das hart, und ganz besonders hart trifft es die russische Raumfahrt. Fast alle internationalen Programme, an denen Russland beteiligt war, sind storniert. Nur eine einzige Ausnahme bleibt vorläufig noch bestehen: Die Internationale Raumstation. Es ist der letzte Faden, der Russland noch mit der internationalen Raumfahrtwelt verbindet. Bald ist auch er durchtrennt. Die Raumfahrt gehört zu den Themen, auf das sich Russlands verbrecherisches Handeln mit am Stärksten auswirkt. Dabei war das Land auf diesem Gebiet auch ohne den Krieg seit langem auf dem absteigenden Ast, wie die regelmäßigen Leser von SPACE wissen. Aus der einstigen Führungsmacht war selbst ohne den Ukraine-Krieg längst ein weit abgeschlagener Dritter geworden. Nach der von Putin angeordneten Massenmobilmachung zur Ausweitung der Terror-Angriffe auf die Ukraine wird sich die Situation der russischen Raumfahrt weiter dramatisch verschlechtern.

    Aber es gab natürlich auch positive Highlights. Meine Favoriten im Berichtszeitraum September 2021 bis August 2022 sind:

    Das James Webb Space Teleskop, das im Juli 2022 seinen Dienst aufnahm. Ihm werden wir, das können wir jetzt schon versprechen, in SPACE 2024 viel Platz einräumen.

    Die Axiom 1-Mission, die eine Gruppe von Privatraumfahrern unter der Leitung eines erfahrenen Ex-Astronauten der NASA zur Internationalen Raumstation brachte, die dort ein Forschungsprogramm absolvierten, und

    Die Inspiration4-Mission, bei der vier „Normalbürger" in einer SpaceX-Raumkapsel in einem Soloflug, also ohne die ISS anzusteuern, für drei Tage die Erde auf einer Bahn 100 Kilometer oberhalb der ISS umkreisten.

    Mein „Aufsteiger des Jahres ist – trotz eines Fehlstarts – Rocket Lab, das man nun nicht mehr länger als Startup bezeichnen darf. Das Unternehmen hat sich in der Start-Dienstleisterszene etabliert, beginnt sich zu diversifizieren und expandiert schnell, nicht zuletzt mit der Entwicklung einer teilweise wiederverwendbaren Trägerrakete mit der Bezeichnung „Neutron.

    SpaceX ist seit einer ganzen Weile eine Liga für sich und hat das gesamte Verfolgerfeld inzwischen mehrfach überrundet. Wäre SpaceX eine Nation, sie wurde die Weltrangliste bezüglich Starts anführen. Und da ist erneut China zu nennen, das mit zäher Stetigkeit seinen Anspruch auf die absolute Führungsposition in der Raumfahrt ausbaut, wie man im Berichtszeitraum vor allem an der Errichtung der nationalen Raumstation sehen kann.

    Das Space Launch System (SLS) der NASA ist in jeder Hinsicht eine Never-ending-story. Amerikas neue Mondrakete legt inzwischen mehr Kilometer beim Hin- und Herfahren vom Vehicle Assembly Building zur Startrampe 39B zurück, als auf dem Weg zum Mond. Zahlreiche technische Probleme trugen zu den letzten Verzögerungen bei. Am Schluss kam der Hurrican Ian dazu, der die Rakete wieder in den Hangar schickte.

    Weiterhin durchweg enttäuschend ist das viel zu geringe europäische Raumfahrt-Engagement. Enttäuschend auch deshalb, weil die Entwicklung mit Russland den schon fast neurotischen europäischen Zwang zur „Trittbrettfahrerei" offengelegt hat. Nur nichts selber machen, nur nicht irgendwo führen, das ist nach wie vor das Mantra in Europas Raumfahrt. Und die Ariane 6? Der Erstflug musste schon wieder um ein Jahr verschoben werden. Nun wird es 2023. Hoffentlich.

    Immerhin, die verbohrte Haltung Europas zur eigenständigen bemannten Raumfahrt scheint sich langsam aufzuweichen. Der Hoffnungsträger heißt SUSIE. Dieses ziemlich alberne Akronym steht für Smart Upper Stage for Innovative Exploration und wurde beim Internationalen Astronautischen Kongress in Paris im September vorgestellt. Damit fällt es aber schon nicht mehr in unseren Berichtszeitraum, und das ist auch gut so. Zu oft verschwinden solche europäische „Initiativen nach nur wenigen Wochen oder Monaten wieder im Papierkorb. Wir werden nächstes Jahr darüber berichten, wenn es bis dahin nicht den üblichen Weg gegangen ist, wie all die zaghaften Versuche Europas zuvor, ein bemanntes Raumfahrtprogramm auf die Beine zu stellen. Auch erste Powerpoints zu wichtigen Zukunftsthemen wie orbitalen Solarkraftwerken poppen jetzt gelegentlich hoch. Europa fängt hier gerade mit allerersten (Papier-) studien an. In China wird derweil bereits die Hardware getestet. Um die „müde Performance Europas ein wenig bildhafter zu machen: Zwischen dem 1. Januar und dem 26. September 2022, dem Redaktionsschluss für diese Ausgabe von SPACE, gab es weltweit 124 Orbitalstarts. Genau drei davon waren aus Europa. Zum Vergleich: alleine das US-Privatunternehmen SpaceX führte in diesem Zeitraum 43 Starts durch, drei davon bemannt.

    An der Stelle noch eine weitere nicht ganz so gute Nachricht in eigener Sache: Nachdem wir elf Jahre lang unseren Verkaufspreis bei 16,90 € halten konnten, müssen wir damit um zwei Euro heraufgehen. SPACE kostet nunmehr 18,90 Euro, um unsere Kosten halbwegs decken zu können. Schon im letzten Jahr haben uns vor allem die steil gestiegenen Papier- und Druckkosten erheblich zugesetzt. Wir hoffen, dass das ihr Verständnis findet und Sie uns trotzdem treu bleiben.

    Nun zu unserem traditionellen „Sneak Preview".

    Russland hatten wir bereits eingangs erwähnt. Wir widmen diesem unerfreulichen Thema in dieser Ausgabe einen eigenen Artikel mit dem Titel „Scheidung von Russland".

    Bei all dem politischen Remmidemmi tut Ablenkung not, da ist ein Rückblick in die „Guten alten Zeiten" der frühen 60er-Jahre nicht schlecht. Unser diesjähriger Leitartikel – und auch unser diesjähriger SPACE-Kalender – beschäftigen sich mit dem Mercury-Projekt der NASA. Es war das erste US-Programm der bemannten Raumfahrt, und es endete mit dem Flug von Gordon Cooper in seiner Raumkapsel Faith 7 am 15. und 16. Mai 1963.

    In der Öffentlichkeit fast vollkommen unbemerkt geblieben ist die Tatsache, dass in den beiden letzten Jahren im Werk Lampoldshausen der ArianeGroup GmbH ein veritabler Mondlander gebaut wurde. Und zwar im Auftrag des japanischen Unternehmens ispace. Der soll bereits im November 2022 auf die Reise zum Erdtrabanten gehen. Wir haben die ausführliche Story dieses Projekts im Buch, geschildert in einem Gastbeitrag von Timo Krone und Martin Riehle, die an diesem Projekt wesentlich mitgewirkt haben.

    Wir haben schon darauf hingewiesen: Das Ende der der Internationalen Raumstation zeichnet sich ab. Nicht nur, weil Russland lieber Krieg gegen seine Nachbarn führt, sondern weil auch ganz simpel der Zahn der Zeit den teilweise schon 25 Jahre alten Modulen zusetzt. Doch die Nachfolger (ja, es sind mehrere) zeichnen sich bereits ab. Dieses Mal werden sie auf privatwirtschaftlicher Basis gebaut. Lesen Sie dazu „Die Ära der Privaten Raumstationen".

    Der Artikel „Festgewurzelt auf der Erde – Statusbericht zu SLS und Starship" informiert Sie über den Fortschritt der Dinge bei der Mondrakete der NASA und bei Elon Musks futuristischem Superträger Starship.

    Boeings Starliner scheint es nach vielen Jahren von Pleiten, Pech und Pannen langsam zur Einsatzreife zu schaffen. Wir berichten im Beitrag „Beinahe einsatzbereit – Boeings Starliner".

    Weltraumflug mit einer gigantischen Schleuder? Hört sich verrückt an. Trotzdem gibt es dafür ein gut finanziertes Unternehmen, das schon viel Hardware erstellt hat und schon eifrig am Testen ist. Wir berichten darüber in „Spin Launch – Das Überschallkarussell"

    Energiesicherheit ist das brennende Thema unserer Tage. Die Raumfahrt kann in Zukunft wesentlich dazu beitragen, denn, wie wir schon in der Überschrift zu unserem diesbezüglichen Artikel vermerken: „Im Weltraum scheint immer die Sonne".

    „Goldrausch im niedrigen Erdorbit. Abertausende Satelliten für Breitband-Internet, Datenrelay, das „Internet of Things und Erdbeobachtungszwecke aller Art bevölkern den niedrigen Erdorbit. Die Zahlen werden weiter steil zunehmen. Kann das gut gehen? Der Artikel „Konstellationen – Goldrausch im Orbit" stellt sich dieser Frage.

    Und schließlich haben wir einen wunderbaren Beitrag von Andreas Drexler – man kann schon fast sagen einen Erlebnisbericht – über das „orbitall in Berlin-Wuhlheide. Sie haben keine Ahnung was das ist? Da geht es Ihnen wie mir bis vor einigen Monaten. Lesen Sie dazu unsere Geschichte „orbitall – Spaceport Berlin-Wuhlheide.

    Vor drei Jahren eingeführt, jetzt schon fast ein „Klassik-Feature von SPACE, gibt es auch in diesem Jahr das „Raumfahrt-Panorama. 24 Kurzartikel zu wichtigen und interessanten Ereignissen in der Raumfahrt, die sich etwas abseits der großen Schlagzeilen abgespielt haben.

    Unser diesjähriger Science-Fiction Wettbewerb befasste sich mit dem Thema „Raumfahrt-Artefakte im Sonnensystem". Wie immer finden Sie die drei Preisträger im Buch. Sie sind wieder sehr phantasiereich, humorvoll und spannend geschrieben. Wie jedes Jahr ein echtes Highlight.

    Nachdem die neu eingeführte Rubrik mit Ultrakurz-SF-Stories im letzten Jahr recht erfolgreich war (wir bekamen damals 60 Zusendungen), haben wir uns entschlossen dieses Genre weiterzuführen. Sie erinnern sich vielleicht noch: Sie sind in ihrem Umfang auf maximal 500 Zeichen inklusive der Leerzeichen beschränkt. Zu unserer großen Überraschung bekamen wir für die diesjährige Ausgabe mehr als doppelt so viele Einsendungen wie im letzten Jahr, nämlich 141. Haben wir von dieser SF-Gattung im letzten Jahr noch fünf Stories vorgestellt, sind es in dieser Ausgabe zehn Stück, um das große Interesse daran aufzunehmen.

    Neben den Artikeln und den Kurzgeschichten widmen wir einen wesentlichen Teil des Buches wie immer einer ausführlichen Dokumentation aller Raumfahrtstarts in der SPACE-typischen Berichtsperiode, die für den aktuellen Band vom September 2021 bis August 2022 läuft. Wir haben damit in den bislang erschienen 19 Bänden jede einzelne Mission, die seit 2003 in den Orbit oder darüber hinausging, im Detail dokumentiert. Für die Zahlenfreaks und die Daten-Fans unter unseren Lesern haben wir wie jedes Jahr einen Block von über 20 Seiten zur Raumfahrtstatistik des Jahres erarbeitet.

    Am Schluss dieses Editorials ist auch der Platz, allen zu danken, die wesentlich zum Entstehen dieser Ausgabe beigetragen haben. Das sind in der SPACE-Redaktion unser „Exploredesigner Stefan Schiessl und unser „General Manager Peter Schramm. Unterstützt haben uns auch der Organisator des Science Fiction Wettbewerbs Lothar Karl, sowie unsere Lektoren Margit Drexler und Heimo Gnilka. Nicht zu vergessen unsere Sponsoren. Sie tragen den Teil der Erstellungskosten, die mit den Verkäufen alleine nicht zu decken wären.

    Auf unserer Website laden wir Sie weiter dazu ein, im „Projekt Zeittunnel" Ihre Vorstellungen von der Zukunft im All mit uns zu teilen. Erstmals konnten heuer auch Vorhersagen überprüft werden. Gewonnen hat für 2021 ein anonymer User. Er schrieb am 30.06.2020: „Es wird wieder Weltraumtouristen geben, Blue Origin oder Virgin Galactic werden mit New Shepard bzw. SpaceShipTwo, Touristen ins All befördern." Bingo – ich nenne nur die Stichworte Richard Branson, Captain Kirk und Inspiration4...

    Wie immer noch einige Zeilen zu unserem Kontaktangebot. Sie können uns per E-Mail an redaktion@space-jahrbuch.de erreichen. Auf unserer Website www.space-jahrbuch.de können Sie unsere Bücher und Kalender erwerben, besonders unsere günstigen Paket-Angebote und der Lieferservice für im Buchhandel vergriffene Exemplare sind unschlagbar. Hier erwarten Sie auch unser Blog, der Einstieg in den „Zeittunnel", der SPACE-Newsletter sowie Neuigkeiten zu unserem nächsten SPACE-Abend, bei dem Sie uns auch mal live treffen können. Auch auf Facebook sind wir aktiv, mit fast täglichen Updates. Schauen Sie vorbei auf www.facebook.com/SPACE.Jahrbuch, abonnieren Sie es und kommentieren Sie mit.

    Wenn Sie Kritik für uns haben oder Lob, Tipps oder Meinungen, ein Problem oder eine Frage zu den Inhalten, wenn Sie sich schon mal die Ausgabe für das nächste Jahr reservieren wollen oder der Tochter oder dem Sohn eins der Bücher schenken wollen, gerne auch signiert, wenn sie eine Prognose zum zukünftigen Verlauf der Raumfahrt abgeben wollen: nehmen Sie über eine der vielfältigen Möglichkeiten Kontakt mit uns auf. Wir freuen uns auf Ihr Feedback. Und jetzt hinein ins Raumfahrtgeschehen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre von SPACE 2023. Bleiben Sie uns weiterhin treu und gewogen.

    Im Namen des SPACE-Teams,

    Ihr Eugen Reichl

    Themen im Fokus

    Die Versuchsanlage von Spin Launch steht in der Nähe des Spaceport America in New Mexico.

    Der Flug von Faith 7

    Im November 1958 legten die Luftfahrtmediziner der Space Task Group, dem damaligen NASA-Bereich für die gerade eben einzuführende bemannte Raumfahrt, ihre Kriterien für die Auswahl der Raumflug-Kandidaten vor. Sie empfahlen, ein Meeting mit Repräsentanten der Industrie und der verschiedenen Waffengattungen der US-Streitkräfte abzuhalten, um einen Pool von 150 Männern zu bestimmen. Daraus sollten 36 Kandidaten für physische und psychologische Tests ausgewählt werden, die schließlich zu zwölf Kandidaten für ein neunmonatiges Trainings- und Qualifikationsprogramm führen sollte. Am Ende sollten von diesen zwölf Männern sechs tatsächlich fliegen.

    Der Plan war nicht schlecht, wurde aber angesichts des Zeitdrucks als zu umständlich betrachtet und wieder verworfen. Stattdessen entschied Präsident Eisenhower während der Weihnachtsferien 1958 im Alleingang, dass der existierende Pool militärischer Testpiloten eine ausreichend breite Basis bieten sollte. Da das Projekt des bemannten Satelliten auch klassifizierte Inhalte umfassen würde (wie zum Beispiel technische Daten der Atlas-Interkontinentalrakete) wären Militär-Testpiloten alleine schon aus Erwägungen der nationalen Sicherheit der am besten geeignete Personenkreis.

    Anfang Januar fand im NASA-Hauptquartier eine Sitzung der Spitze der Space Task Group statt, bei der die Kriterien an diesen Pilotenkreis festgelegt wurden. Die Liste war kurz und beinhaltete genau sieben Punkte:

    Alter unter 40 Jahren

    Körpergröße maximal 1,80 Meter

    Ausgezeichnete körperliche Verfassung

    Mindestens ein Bachelor-Grad

    Absolvent einer militärischen Testpilotenakademie

    Mindestens 1.500 Stunden Flugerfahrung

    Qualifizierter Jet-Pilot

    Ein Check des Pentagon in den Personalakten ergab, dass 110 Männer diese Bedingungen erfüllten. Sie stammten aus drei der vier Waffengattungen. Es waren fünf Marines, 47 Navy-Flieger und 58 Luftwaffenpiloten. Das Auswahlkomitee entschied, drei Gruppen zu bilden und sie zu Interviews einzuladen. Gruppe 1 mit 35 Männern war für den 2. Februar 1959 nach Washington bestellt. 24 waren von der Sache begeistert und wollten im bemannten Raumfahrtprogramm mitmachen. Sechs der Piloten waren zu groß, der Rest entschied sich dagegen.

    Die Woche darauf kam die nächste Gruppe, die aus 34 Personen bestand. Von denen wollten 32 mitmachen. Damit hatte man nach der Einladung an zwei Gruppen bereits 56 geeignete Kandidaten. Diese unerwartet hohe Zustimmung machte es unnötig, auch noch die restlichen 41 Männer einzuladen. Die 56 mussten sich nun einer ersten Serie schriftlicher Tests, technischer Interviews, psychologischer Überprüfungen und einer gründlichen medizinischen Untersuchung unterziehen. Anfang März wurden 20 weitere Männer aussortiert. Die verbliebenen 36 Piloten wurden gebeten, sich in der Lovelace-Klinik in Albuquerque weiteren, äußerst rigorosen medizinischen Tests zu unterziehen.

    Diese Aussicht gefiel nicht allen, und so sprangen vier weitere Kandidaten ab. Die verbliebenen 32 Anwärter bestanden allesamt die intensiven Tests. Der nächste Schritt waren nun mentale und physische Tests, die im Wright Air Development Center in Dayton, Ohio, durchgeführt werden sollten. In der sicheren Erwartung, dass manche dieser Tests die persönlichen Grenzen einzelner Kandidaten übersteigen würden, wurde jedem von ihnen zugesichert, dass die Ergebnisse weder in ihre Personalakten aufgenommen noch ihre zukünftige militärische Karriere gefährden würden. Jeder Kandidat wurde nun eine Woche lang von früh bis spät Einzeltests in fünf verschiedenen Kategorien unterzogen. Zusätzlich wurden von jedem der Kandidaten mehr als 30 verschiedene Labortests angefertigt. Die 32 Bewerber erlebten die wahrscheinlich vollständigste medizinische Untersuchung, die bis dahin je an einem lebenden Menschen durchgeführt worden war. Unglaublicherweise zeigten sich die Probanden trotz dieser außerordentlich harten Tests derart gesund, dass nur ein einziger für die nun folgenden – noch detaillierteren – Tests nicht mehr anzutreten brauchte.

    Für die Phase vier des Auswahlprogrammes kamen die Kandidaten nun an das Aeromedical Laboratory des Wright Air Development Center. Dort erwartete sie eine ausgeklügelte Serie von Verhaltensstudien, körperlichen Ausdauertests, antropometrischen Messungen und psychologischen Prüfungen. Dort wurden auch die individuellen physischen und psychologischen Grenzen der einzelnen Bewerber ermittelt. Sie mussten nun in Druckanzügen arbeiten, auf Kipptischen balancieren, bis zur Erschöpfung Ballons aufblasen und auf Laufbändern laufen. Sie wurden in Isolations-, Schall- und Unterdruckkammern gesperrt und mussten zwischendurch mehr als ein Dutzend psychologische Experimente und Persönlichkeitstests über sich ergehen lassen.

    Die Gruppe dieser letzten 31 war so gut, dass selbst nach diesen Tests immer noch 18 Männer verblieben. Nun ging man noch einmal durch ihre Dienstakten, um die bisherige Berufserfahrung und die Qualifikation mit einfließen zu lassen. Doch auch hier gelang es nicht, die magische Nummer sechs zu treffen. Es waren, selbst wenn man die allerhärtesten Kriterien anlegte, sieben Männer, die verblieben. Es war nun die Aufgabe des stellvertretenden NASA Administrators James Donlan, alle 31 verbliebenen Bewerber anzurufen. Er fragte sie, ob sie weiterhin für den Job zur Verfügung stünden. Alle sagten zu, und Mitte April 1959 wurden die neuen Mitarbeiter der US-Weltraumbehörde der amerikanischen Öffentlichkeit vorgestellt. Am 1. Mai 1959 begannen sie ihren Dienst als Astronauten bei der NASA.

    Es waren vom US-Marine Corps: Oberstleutnant John Herschel Glenn, Jr., von der Navy die Korvettenkapitäne Walter Marty Schirra, Jr. und Alan Bartlett Shepard, Jr. sowie Oberleutnant zur See Malcolm Scott Carpenter, und die Luftwaffen-Hauptleute Donald Kent Slayton, Leroy Gordon Cooper, Jr. und Virgil Ivan Grissom.

    Das Projekt brauchte nun, vor allem für die Öffentlichkeit, noch einen griffigen Namen. Die Entscheidung darüber fiel im Spätherbst. Die Space Task Group hatte dem NASA-Hauptquartier schon Vorschläge für mögliche Missions-Embleme unterbreitet. Eines hatte Phaeton zum Thema, in der Mythologie der Sohn des griechischen Sonnengottes Helios und Patron von Wissenschaft und Forschung. Ein anderer hatte das Bundessiegel der USA zum Thema über das sich drei Orbit-Bahnen zogen und ein Drittes zeigte einen Globus, ebenfalls mit drei darüber gelegten Bahnen.

    Die Vorschläge gefielen der Führung in Washington alle nicht besonders. Auch Robert Gilruths Vorschlag, das Vorhaben „Projekt Astronaut" zu nennen, weil es in vielen Papieren schon so bezeichnet wurde, fiel durch. Es wurde dabei, so fanden sie, zu viel Gewicht auf die Rolle des Mannes gelegt, der in der Kapsel fliegen sollte.

    Den Namen Mercury legte schließlich Abe Silverstein, einer der leitenden Mercury-Manager fest. Der griechische Götterbote Merkur war den Amerikanern durchweg geläufig. Es gab zu dieser Zeit ein populäres Automobil dieses Namens, ein chemisches Element hieß so und Merkurs griechisches Pendent Hermes war aus Anzeigen und Firmenbezeichnungen bekannt. Überdies war Merkur der Enkel des Atlas (der Trägerrakete für die Orbitaleinsätze), er trug geflügelte Sandalen und einen Helm und hatte somit einen Symbolgehalt den man nicht übersehen konnte. Dass er außerdem der Gott der Kaufleute, Händler und Diebe war, störte niemanden. Am 55. Jahrestag des ersten Motorfluges der Gebrüder Wright, dem 17. Dezember 1958 gab NASA-Administrator Keith Glennan in Washington bekannt, dass das bemannte Satellitenprogramm der USA den Namen „Mercury" tragen werde. Dieser Tag gilt seither als der offizielle Start des ersten bemannten Raumfahrtprojektes der USA, obgleich zu diesem Zeitpunkt die Arbeiten daran schon seit über einem Jahr liefen.

    Sieben Männer für den Weltraum

    Ende April 1959 traten die sieben zukünftigen Astronauten ihren Dienst bei der Space Task Group an. Ihre allererste Unterrichtseinheit erhielten sie am 29. April 1959, mit einer Vorlesung über die Funktion des Mercury Notfall-Rettungssystems. Danach wurden sie zwei Wochen lang in jeden Aspekt des Programms eingewiesen. In der dritten Woche begann eine Tour durch die Vereinigten Staaten, bei der sie alle Hauptauftragnehmer des Mercury-Programms besuchten und dort mit Mock-ups, Flug-Hardware und Fertigungsprozessen vertraut gemacht wurden.

    Dann standen die Anlagen in Cape Canaveral auf dem Plan. In militärischen und medizinischen Einrichtungen lernten sie ihre körperlichen Reaktionen auf außergewöhnliche Belastungen und ungewöhnliche körperliche Symptome kennen. Sie trugen stundenlang Druckanzüge, atmeten hohe Konzentrationen von Kohlendioxid, verbrachten Stunden in Hitze- und Unterdruckkammern und führten Parabelflüge in der C-131 und auf dem Rücksitz einer F-100 durch, um für einige Sekunden Schwerelosigkeit zu spüren. Alle Astronauten erlernten das Gerätetauchen und verbrachten viele Stunden unter Wasser. Ein Teil der Trainingszeit stand zur freien Verfügung. Hier wurde erwartet, dass sie einige Stunden pro Woche in einem für sie zur Verfügung gestellten Jet trainierten, um ihre Fähigkeiten als Piloten auf Stand zu halten, dass sie sich mit dem Spezialgebiet, für das sie sich entschieden hatten, befassten und ihre körperliche Fitness aufrecht erhielten. Im Spätsommer 1959 verbrachte jeder von ihnen zwei Wochen in der Zentrifuge in Johnsville, um das Belastungsprofil beim Start und bei der Landung kennen zu lernen. Dann gingen sie ans Cape zum Big Joe-Start, zu McDonnell für Integrationstests mit der Kapsel und zu Goodrich, um den Raumanzug zu testen. Dazwischen gab es alle möglichen anderen Trainingseinheiten, wie zum Beispiel Kommunikation mit dem Tracking Network oder das von der Presse mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Überlebenstraining.

    Dieser erste Ausbildungsabschnitt hatte noch viele Elemente eines Universitätsseminars. Im ersten Jahr ihres Trainings hörten sie Vorlesungen in Weltraumphysik, Flugführung und Flug-Kontrolle, Weltraum-Navigation und Raumfahrtmedizin. Jeder der Astronauten verbrachte auch etwa acht Stunden im Morehead Planetarium an der Universität von North Carolina, um dort Himmelsnavigation zu erlernen.

    Jeder der Männer wählte sich ein programmbezogenes Spezialgebiet, in das er seine beruflichen Kenntnisse einbringen konnte. Scott Carpenter war verantwortlich für Kommunikation und Navigation, da er während seiner Zeit in der Navy eine Spezialausbildung auf diesem Gebiet abgeschlossen hatte. Virgil Grissom, der einen Abschluss als Maschinenbau-Ingenieur der Purdue Universität hatte, wurde der Experte für elektromechanische, automatische und manuelle Flugkontrollsysteme. John Glenn hatte die größte Flugerfahrung und die meisten Flugzeugtypen geflogen. Er kümmerte sich deswegen um die Cockpit-Auslegung. Walter Schirra, ein Absolvent der Marineakademie, befasste sich mit Lebenserhaltungssystemen und dem Raumanzug. Alan Shepard, ebenfalls Absolvent der Marineakademie, spezialisierte sich auf die Bahnverfolgungs- und Bergungsaktivitäten. Gordon Cooper und Donald Slayton kümmerten sich um die Schnittstellen zur Redstone- und zur Atlas-Rakete. Cooper hatte vor seiner Wahl zum Astronauten als Testingenieur gearbeitet und Slayton, der über einen Abschluss als Luftfahrtingenieur der Universität von Minnesota verfügte, hatte zwei Jahre als Konstrukteur bei Boeing gearbeitet, bevor er als Testpilot nach Edwards ging.

    Die Übertragung dieser Aufgaben an die Astronauten erwies sich als wunderbare Idee. Auf diese Weise konnten sie direkt Einfluss auf die Entwicklung der Mercury-Systeme nehmen und waren über jeden Aspekt, jedes Problem, jeden Fortschritt und jeden Fehlschlag in allen Systemen und Subsystemen des gesamten Programms ständig informiert. Der permanente Austausch über den Status der erhaltenen Informationen und die Abstimmung untereinander bewirkte das Zusammenschweißen der Astronauten zu einer homogenen und einflussreichen Gruppe innerhalb des Programms.

    Mit dem Jahreswechsel 1960 begann die zweite Phase des Astronauten-Trainings. Der Vorlesungscharakter wich jetzt dem Einsatztraining. Aber weiterhin reisten sie viel im Lande herum, um die Entwicklung und die Produktion ihrer Trägerraketen und Raumfahrzeuge zu begleiten. Im Rückblick empfanden die Programm-Manager gerade diese Besuche als den vielleicht herausragendsten Beitrag für den Erfolg des Programms. Jeder Arbeiter, jeder Techniker, jeder Ingenieur und Manager hatte die Gelegenheit, die Astronauten persönlich kennen zu lernen. Virgil Grissoms schlichte Worte bei einer kleinen Ansprache an die Arbeiter von Convair wurde DAS Motto schlechthin durch alle Mercury-Produktionsstätten: „Do good work! Jedem Mitarbeiter am Programm war klar, dass alles andere als „Good work! den Astronauten das Leben kosten konnte. „Do Good Work!" war bald auf zahllosen Plakaten bei allen Haupt- und Unterauftragnehmern zu lesen.

    Immer mehr Zeit verbrachten die Astronauten jetzt in Simulatoren. Eines dieser Geräte hieß MASTIF, eine Abkürzung für „Multiple Axis Space Test Inertia Facility" und war der Liebling der Medien. MASTIF stand in einem aufgelassenen Windkanal im Lewis Zentrum und wurde weit über seinen tatsächlichen Wert als Trainingsgerät hinaus publiziert. Der Simulator war in der Lage, sich um drei Rotationsachsen und zwei linearen Achsen zu bewegen. Es handelte sich dabei um eine Anordnung von kardanisch aufgehängten Gehäusen, die sich in einem System von konzentrischen Ringen frei bewegen konnten. Die Bewegung wurde dabei über Luftdüsen bewirkt. Das Gerät war von erheblicher Größe. Es hatte einen Durchmesser von sieben Meter und war an einem Trägergerüst aufgehängt. Es konnte im Inneren seiner drei Kardanringe eine 1,5 Tonnen schwere Raumkapsel aufnehmen und war dann in der Lage die ganze Kombination mit bis zu 60 Umdrehungen pro Minute herumzuschleudern. Das Ganze lief unter der höllischen Lärmentwicklung der mit Stickstoffgas betriebenen Steuerjets ab.

    Dabei war gar nicht ganz klar, was damit überhaupt simuliert werden sollte. Die zugrunde liegende Idee war es wohl, ein Raumschiff, bei dem die automatische Fluglageregelung durchgegangen war, manuell wieder unter Kontrolle zu bekommen. Gleichzeitig wurde mit diesem Gerät auch das Reaktionsvermögen des Piloten trainiert, seine Fähigkeit zum Multitasking und das Arbeiten unter hohem psychischem und physischem Druck. Das Ding war extrem schwer zu steuern und es zeigte sich, dass selbst erfahrene Piloten in diesem Gerät wegen der wilden Drehbewegungen innerhalb kürzester Zeit seekrank wurden.

    Viel wichtiger als die MASTIF war der zweite Teil des Zentrifugen-Programms in Johnsville. Er begann Mitte April 1960 und wurde jetzt mit der Hardware durchgeführt, die inzwischen von McDonnell geliefert worden war. Die Astronauten konnten somit ab jetzt in den Original-Konturenliegen trainieren, mit dem Original Steuerknüppel, dem Original-Instrumentenpaneel und den richtigen Raumanzügen. Das Zusammenspiel der körperlichen Belastung mit der gleichzeitigen Überwachung und Bedienung von über 120 Kontrollinstrumenten, elektrischen Schaltern, Sicherungen und Hebeln zeigte sofort die Schwächen der bisherigen Konstruktion auf. Das unmittelbare Ergebnis der Zentrifugentests war die Umstellung aller Instrumente und Schalter in der Kapsel. Es stellte sich heraus, dass die Astronauten in einem voll aufgeblasenen Raumanzug bei hohen Beschleunigungs- oder Verzögerungswerten nicht alle Schalter und Hebel erreichen konnten. Es gelang ihnen nur, mit der linken Hand die Instrumente von links Mitte bis nach links unten und mit der rechten Hand rechts Mitte bis nach rechts unten zu erreichen. Die Geräte oben und in der Mitte waren nicht erreichbar. Die McDonnell-Ingenieure stellten die Instrumententafel danach so um, dass alle Hebel, Druckknöpfe und Schalter U-förmig seitlich und unten angeordnet waren und in den anderen Positionen nur Beobachtungsinstrumente platziert wurden. Es stellte sich auch heraus, dass die Knöpfe und Hebel selbst speziell konstruiert werden mussten, um mit dem Raumanzug bedient werden zu können. Sie mussten alle in der Betätigungsrichtung „Schieben oder „Drücken funktionieren. „Ziehen" ging nicht oder nur sehr schwer. Die Druckknöpfe brauchten Führungen, damit die klobigen Handschuhe in die richtige Position rutschten oder bei hohen Andruckkräften bei Start und Landung nicht auf einen Nachbarknopf rutschten. Hebel und Zugringe wurden in einigen Fällen auf eine Betätigungskraft von 25 Kilogramm ausgelegt, um eine unbeabsichtigte Funktionsauslösung zu verhindern. Und so ging es weiter.

    Juri Gagarin und ein Zwischenschritt zu viel

    Am 9. März 1961 meldete die UdSSR den Start von Korabl Sputnik 4. An Bord war die Hündin Tschernuschka. Nach einer Erdumkreisung und einer Flugdauer von 91 Minuten wurde sie sicher aus der Umlaufbahn zurückgeholt. Den Projektverantwortlichen der NASA war klar: weit konnte es nun zu einem ersten bemannten Flug der Sowjetunion nicht mehr sein. Vier Wochen zuvor, am 13. Februar 1961 hatten sich NASA-Administrator Robert Gilruth, Max Faget und einige weitere hochrangige NASA-Leute mit der Projektleitung von McDonnell und der Gruppe um Wernher von Braun getroffen. Einziger Punkt der Tagesordnung war die Frage, ob man die Mission Mercury-Redstone 3 (MR-3) bemannt starten sollte. Der wenige Wochen zurückliegende Testflug MR-2 mit dem Schimpansen HAM an Bord hatte erhebliche Defizite gezeigt.

    Der öffentliche Druck war immens, die Astronauten hatten mehrfach ihre Bereitschaft ausgedrückt, die Mission zu fliegen und die Sowjetunion schien mit ihren Vorbereitungen fast fertig zu sein. Doch das Vertrauen der Redstone-Entwickler in ihr eigenes Produkt war nicht so groß wie das der NASA-Führung. Wernher von Braun und Kurt Debus stellten nachdrücklich die Forderung auf, dass noch mindestens ein vollständig erfolgreicher unbemannter Flug notwendig sei, um die Redstone für bemannte Einsätze zu qualifizieren. So stimmte die NASA-Führung schließlich zu, einen weiteren Testflug in den Zeitplan einzufügen. Gleichzeitig wurde die schicksalhafte Entscheidung getroffen, MR-3 auf den 25. April zu verschieben, damit diese neue Mission am 28. März dazwischengeschoben werden konnte. Über die technische Notwendigkeit dieser Entscheidung gab es keine Frage, über seine möglichen politischen Konsequenzen war man sich zwar im Klaren, lebte aber in der Hoffnung, dass sie sich nicht realisieren würden. Die Mission wurde als MR-BD bezeichnet, als „Mercury-Redstone Booster Development".

    Am Morgen des 24. März 1961 verlief der Countdown ohne das geringste Problem. Um 12:30 Uhr startete MR-BD glatt von Cape Canaveral auf seiner vorprogrammierten Trajektorie und flog problemlos bis zum Brennschluss. Die Endgeschwindigkeit war immer noch knapp 100 Kilometer pro Stunde schneller als berechnet, aber doch wesentlich besser getroffen als bei den beiden vorhergegangenen Missionen. Die Auswertung der Telemetrie ergab, dass das Vibrationsniveau jetzt – im Gegensatz zum vorausgegangenen Flug – in einem akzeptablen Rahmen lag. Wernher von Brauns Team war zufrieden, Kurt Debus war zufrieden und die gesamte restliche NASA war es auch. Die Redstone galt nun als „man rated". Der nächste suborbitale Flug konnte bemannt stattfinden.

    Am Tag nach der Mission von MR-BD gaben die Sowjets den gelungenen Start und die ebenfalls erfolgreiche Bergung ihres fünften „Korabl Sputniks bekannt. An Bord war ein Hund namens Zwesdotschka, was „Sternchen heißt. Damit waren zwei unbemannte Testflüge hintereinander erfolgreich verlaufen. Wenn die Sowjets die gleichen Maßstäbe ansetzten, wie die Amerikaner – nämlich die Abfolge von mindestens zwei erfolgreichen direkt aufeinanderfolgenden Testmissionen – dann würde, so war jedem bei der NASA klar, die nächste sowjetische Mission bemannt stattfinden.

    Anfang April 1961 wurde die Redstone Nummer 7 für den Flug MR-3 auf dem Starttisch der Startanlage 5 in Cape Canaveral in die Vertikale gebracht. Am 10. April gab es von Korrespondenten in Moskau einigen Rumor über einen unmittelbar bevorstehenden sowjetischen bemannten Raumflug. Nachdem dies aber bis zum darauf folgenden Tag nicht bestätigt wurde, flaute die Aufregung wieder ab. So kam der 12. April 1961. Der Tag begann in den ersten Morgenstunden in den USA mit einer Meldung von Associated Press, die sich auf eine Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS berief und diese wie folgt übersetzte:

    „Wostok, das erste bemannte Raumschiff der Welt, ist am 12. April von der Sowjetunion aus zu einem Flug um die Erde gestartet. Der erste Weltraum-Navigator ist der sowjetische Staatsbürger Major Juri Alexejewitsch Gagarin. Mit Major Gagarin wurde eine bilaterale Radioverbindung aufgebaut und aufrechterhalten".

    Es war der Moment, den die NASA-Offiziellen seit Monaten befürchtet hatten. James Webb wandte sich um 7:45 Uhr morgens in einer landesweiten Radioübertragung an die amerikanische Nation und gratulierte zunächst den Sowjets zu ihrer Leistung. Danach drückte er die Enttäuschung der NASA aus, diesen Wettlauf verloren zu haben, und schließlich versicherte er, dass das Projekt Mercury Schritt für Schritt wie geplant weitergeführt werde. Er stellte das Vorhaben als logischen ersten Schritt der USA in der Eroberung des Mondes dar. Ein Schritt, den man auf jeden Fall gehen musste, ganz gleich ob es andere vor den USA in den Erdorbit geschafft hatten oder nicht.

    Webbs Rede war überlegt, ausgewogen und vernünftig. Dennoch war die Nachricht von der sowjetischen Erstleistung eine vernichtende Enttäuschung für die Amerikaner. Am meisten enttäuscht waren wahrscheinlich die Astronauten. Sie wussten, wie nahe sie dran gewesen waren, die ersten im Weltraum zu sein. Zwar nicht im Orbit wie die Sowjets, das war eine andere Liga und das wussten sie genau, aber zumindest auf einer suborbitalen Bahn. Für die in diesen Dingen unwissende Öffentlichkeit wäre es ohnehin fast dasselbe gewesen. Wäre die Entscheidung nicht für MR-BD gefallen, sondern für die direkte Durchführung von MR-3, dann hätte es vielleicht geklappt.

    Die Punkte, welche sich den Mitarbeitern des Manned Space Flight Center offenbarten. waren andere. Die Wostok-Kapsel war dreimal so schwer wie die Mercury. Die Sowjets hatten sich nicht mit suborbitalen Vorläufer-Missionen aufgehalten. Wostok hatte eine Mischgas-Atmosphäre mit einem Luftdruck wie auf Meereshöhe. Das sowjetische Raumschiff verfügte über ein absprengbares Service-Modul. Es flog auf einer Bahn mit einer hohen Inklination (65 Grad) auf der es die meiste Zeit autonom und ohne Funkkontakt zum Boden war. All dies machte den Eindruck eines ungemein großzügig geplanten und durchgeführten Programms. Mercury offenbarte sich dagegen als das Minimalkonzept, das es ja auch tatsächlich war.

    Mercury wird bemannt

    Am 22. Februar 1961 gab die Space Task Group der Öffentlichkeit bekannt, dass die Astronauten Alan Shepard, John Glenn und Virgil Grissom ausgewählt worden waren, um das Missionstraining für den Flug MR-3 aufzunehmen. Für die drei war das zu diesem Zeitpunkt schon keine Neuigkeit mehr. Robert Gilruth hatte alle sieben Astronauten kurz nach Neujahr zusammengerufen und sie darüber informiert, wer als erster fliegen sollte und wie die Reihenfolge der Ersatzleute aussah. Sollte Shepard ausfallen, aus welchem Grund auch immer, dann würde Grissom

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