Der Kleine König: Eine Weihnachtsgeschichte aus unserer Zeit
By Helmut Zöpfl and Sebastian Schrank
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Helmut Zöpfl entwickelt aus dem märchenhaften Ambiente heraus eine treffende Charakteristik unserer Zeit und gibt auf unterhaltsame Art Denkanstöße, wie wir unser Leben wieder erfüllter und sinnvoller gestalten können.
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Der Kleine König - Helmut Zöpfl
Wie alles begann
Gestern hab’ ich noch den genauen Namen des Ortes gewußt, woher er stammt. Mit „B, glaub’ ich, geht er an. Es kann aber auch ein „R
sein, oder war es gar ein „N"? Oh je, mein Gedächtnis läßt nach. Dabei weiß ich noch ganz genau, wie die sechs kleinen Hunde geheißen haben, die unsere Nelli damals bekommen hat, als sie bereits vier Jahre alt war. Ob es allen so geht, daß man sich an Ereignisse in der Kindheit viel besser erinnern kann, als an etwas, das erst vor einer Woche oder gar erst vor einem Tag geschehen ist?
Der, von dem ich erzählen will, war noch ganz jung und hatte ein gutes Gedächtnis, ein sehr gutes sogar. Aber ihr werdet ihn ja genau kennenlernen.
Wenn ich nur den Ort wüßte, wo er herkam. Vielleicht geht er doch mit „B" an. Jedenfalls kam er aus dem Morgenland. Das ist da, wo die Heiligen Drei Könige hergekommen sind. Ihr wißt doch, Kaspar, Melchior und Balthasar. Seht ihr, derjenige, von dem meine Erzählung handeln soll, der stammt von einem dieser Könige aus dem Morgenland ab. Es gab nämlich seinerzeit nicht nur drei, sondern vier Könige. Aber ich werde versuchen, die Geschichte der Reihe nach zu erzählen.
In dem Ort, der mir einfach nicht mehr einfällt - inzwischen glaub’ ich jetzt doch, daß er mit „N anfängt - kam ein Bub auf die Welt, der Adebar hieß. Adebar hatten schon sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater und Ururgroßvater geheißen. Adebar war, wie man so sagt, ein aufgeweckter kleiner Kerl, der nicht müde wurde, die Wunder dieser Welt zu entdecken. Wer aber ein Wunder entdecken will, muß auch neugierig sein. Und das war der kleine Adebar allemal. Aus jeder Antwort, die er bekam, wurde bei ihm bereits schon wieder eine neue Frage. Ihr wißt ja, daß man immer weiter und weiter fragen kann, bis die Leute, die eine Antwort geben, nicht mehr sagen können, das ist so und so, oder ich weiß es genau; dann müssen sie nämlich, wenn sie gescheit sind, sagen: „Ich weiß es selber nicht so ganz, da muß ich einmal jemand anderen fragen.
Oder sie sagen auch: „Ich glaube, daß es so ist. Ich persönlich glaube nämlich, daß der, der weiß, daß er nicht alles weiß, sogar noch mehr weiß, als der, der nicht weiß, daß er nicht viel weiß. Daß die Menschen fragen können, ist eines der größten Geschenke, die wir mitbekommen haben. Wer fragt, bekommt auch nie eines der schlimmsten Leiden, das es für den Menschen gibt, nämlich die Langeweile. Deshalb sollten die Eiwachsenen nie zu den Kindern sagen: „Frag nicht so viel
, sondern sie sollten sich freuen, daß ihr Kind lebendig ist. Wer nämlich an Langeweile leidet, hat etwas ganz Wichtiges vergessen, daß das Leben, das er geschenkt bekommen hat, eine einzige Entdeckungsreise ist, auf der es eigentlich keine Sekunde gibt, in der man nichts Neues, Interessantes, Wissenswertes und Wunderbares erleben könnte. Wer über Langeweile jammert, schlägt das kostbarste Gut des Lebens tot, nämlich die Zeit. Dieser kleine Adebar wurde, das weiß ich genau, in seinem Leben niemals von diesem entsetzlichen Bazillus Langeweile befallen. Er fragte, suchte, fand, erlebte und lebte. Es geschah sogar oft, daß er etwas suchte und dabei etwas entdeckte, das er gar nicht gesucht hatte. Wie jemand, der im Wald Himbeeren sucht und plötzlich eine Lichtung erblickt, auf der die herrlichsten Pilze wachsen. So kam es, und damit sind wir wieder bei unserer eigentlichen Geschichte, daß er eines Tages ein altes Geschichtsbuch suchte, von dem ihm seine Mutter erzählt hatte. Er kramte in einer alten Truhe im Speicher herum, und da fiel ihm eine alte Pergamentrolle in die Hand, voller geheimnisvoller Buchstaben. Neugierig, wie er nun einmal war, ging er zu dem alten, bereits pensonierten Lehrer Robra, weil er von ihm wußte, daß er die alte Sprache und die Schrift beherrschte. Obwohl Robra ein gescheiter Mann war, tat er sich gar nicht so leicht, das Pergament zu entziffern. Aber nach einiger Zeit hatte er es doch geschafft, wenigstens einen Großteil zu übersetzen, und so erfuhr Adebar, daß es sich um eine Aufzeichnung seines Ururururururururgroßvaters handelte. Vielleicht habe ich jetzt auch einige „Uren" vergessen, aber das tut nichts zur Sache. Das Wichtigste ist nämlich, daß dieser Ururururururururgroßvater auch Adebar hieß und jener vierte der Könige war, der sich seinerzeit auch auf die Reise gemacht hatte.
Vor vielen, vielen Jahren geschah es also, daß er eine Vision hatte. In einem fremden Land würde das Heil in die Welt kommen, er müßte nur einem Stern folgen und könne es in Gestalt eines kleinen Kindes sehen. Dieser Urururururururgroßvater hatte auch sogleich den Stern erblickt, Hals über Kopf