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Das Glück in tausend Worten
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Das Glück in tausend Worten

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About this ebook

Liebe kennt keine Sprachbarrieren

Ana ist 16 und kommt aus Argentinien. Als ihr Dad sie und ihre Mutter zu sich nach New Jersey holt, weiß sie, dass sie sich glücklich schätzen müsste. Doch was soll sie tun, wenn im Unterricht die Sprache wie ein Rauschen an ihr vorbeizieht und sie kaum etwas versteht? Erst als sie den griechischen Jungen Neo kennenlernt, der an einem Wörterbuch über Glück arbeitet, findet auch Ana einen Umgang mit ihrer Fremdheit. Schon bald merkt sie, dass Sprache viel mehr bedeutet als einzelne Begriffe oder Sätze. Und dass sie mit ihren Gedichten andere im Innersten erreichen kann.

Dieser berührende Roman erzählt davon, wie man in der Fremde eine eigene Stimme finden kann

»Ich möchte dieses Buch allen Wörtersammlern und -sammlerinnen ans Herz legen und all denen, die das Spiel mir der Sprache lieben.« Andrea Wedan, Buchkultur, 12.2021

»Es ist ein stiller, aber eindringlicher Roman über Fremdsein, Nähe und Verstehen.« Rita Dell'Agnese, Jugendbuch-Couch, 01.2022

LanguageDeutsch
PublisherDragonfly
Release dateSep 21, 2021
ISBN9783748850458
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    Book preview

    Das Glück in tausend Worten - Maria Andreu

    Deutsche Erstausgabe

    © 2021 by Dragonfly in der

    Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

    Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten

    © 2021 by Alloy Entertainment and Maria E. Andreu

    Originaltitel: »Love in English«

    Erschienen bei Balzer + Bray, New York

    Published by arrangement with HarperCollins

    Publishers L.L.C., New York

    Covergestaltung von © Johannes Wiebel | punchdesign

    Coverabbildung von Ellegant, Agor2012, Paladin12 / Shutterstock

    E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783748850458

    www.dragonfly-verlag.de

    Facebook: facebook.de/dragonflyverlag

    Instagram: @dragonflyverlag

    Widmung

    Für alle, die schon einmal nach Worten gerungen haben:

    Ich verstehe euch.

    DEINE GESAMTE ZUKUNFT HÄNGT DAVON AB, DAS HIER ZU VERSTEHEN:

    Primero, lee todas las instrucciones. No te olvides de llegar hasta el final.

    (Si crees que final es una palabra que entiendes, algún tipo de pista, estás equivocada.)

    Las instrucciones son así: Escucha a todos, aprende todo, mantente al día, no extrañes nada. Y hazlo todo en un idioma que no entiendes.

    ¿Sí?

    Okay, dann legen wir los.

    DER ERSTE TAG

    Ich streiche meinen Rock glatt, lasse einen Finger über den grau karierten Bezug des Beifahrersitzes wandern. Meine Zehen in den Stiefeln sind eisig, obwohl es draußen gar nicht kalt ist. Als ich mich heute Morgen fertig gemacht habe, war ich nicht nervös. Aber jetzt fühlt sich alles so endgültig an. Das ist das Outfit. Das ist der Tag. Ich bin die, die hier sitzt, nicht irgendein fernes Zukunfts-Ich.

    Mein Vater mustert mich und reicht mir eine Schachtel Tic Tacs. Seine linke Hand liegt auf dem Lenkrad, als müsste er sich festhalten. Tic Tacs. Unser altes Ritual vor der Schule. Falls es mal einen Grund hatte, habe ich ihn vergessen. Es sollte mich nicht überraschen, dass es hier Tic Tacs gibt, aber das tut es. Ihr Klappern klingt, als käme es von weit her. Ich schiebe mir eins in den Mund und reiche die Packung zurück.

    Alles ist komisch, seit meine Mutter und ich vor zwei Wochen hier angekommen sind. In diesem neuen Land. In unserem neuen Zuhause in New Jersey, auf der 85th Street einer kleinen Stadt, die sich noch nicht entschieden hat, ob sie später mal eine Farm oder eine Einkaufsmeile werden will. Die Landschaft ist grün und aufdringlich, selbstbewusst, nicht wie die raue Pampa zu Hause in Argentinien. Meine Mutter hat einen spanischsprachigen Radiosender gefunden, aber es ist ein anderes Spanisch als unseres. Kassiererinnen und Kassierer haben es immer schrecklich eilig, als würden sie pro Kunde bezahlt. Und noch etwas ist seltsam: Wir fahren überall mit dem Auto hin, bewegen uns von Blase zu Blase – von unserer schäbigen Wohnung zum Auto, zum Laden und wieder zurück. Und jetzt zu dieser Schule.

    Ich betrachte die unsympathische Klinkerfront. Mein Vater beobachtet mich.

    »Alles wird gut, Ana«, sagt er auf Englisch. Er besteht darauf, dass wir alle nur Englisch sprechen, damit wir es schneller lernen. »Du musst nur die erste Tag hinter dich bringen.«

    Das stimmt nicht, und das weiß er genau. Heute ist der erste von unzähligen Tagen.

    »Sicher will jeder erfahren, wer die Neue ist.«

    Noch immer schaue ich ihn nicht an.

    »Das hier ist unser neues Abenteuer«, fügt er in einem Ton hinzu, der um meine Zustimmung bettelt.

    Endlich erwidere ich seinen Blick. Dieser neue Vater ist irritierend – drei Jahre älter als der, mit dem ich zuletzt zusammengelebt habe. Sein Gesicht ist runder. Das tapfere Heer am Haaransatz hat Boden an das Kahlschlag-Kommando verloren. Wir haben ständig geskypt, als Ma und ich noch zu Hause in Argentinien waren, aber in echt ist es anders. In echt ist alles anders.

    Plötzlich würde ich am liebsten losheulen. Ich habe nicht um dieses Abenteuer gebeten. Doch kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich schließe die Augen und denke an meine Cousinen und Cousins zurück, die mich alle beneiden. Und ich weiß, ich sollte mich glücklich schätzen.

    Aber heute fühlt sich kein bisschen nach Glück an.

    Los números

    19.000.000: Die Anzahl der Menschen, die sich jedes Jahr für die Greencard-Lotterie der USA bewerben.

    Unter 1 %: Immigrantinnen und Immigranten, die tatsächlich eine Greencard bekommen.

    17: Male, die mein Vater sein Glück versucht hat, um Papiere für die Vereinigten Staaten zu gewinnen.

    3: Jahre, die er hier allein gelebt hat, bevor er meine Mutter und mich nachgeholt hat.

    4: Jahre nutzloser Englischunterricht.

    14: Freunde, die ich zurückgelassen habe. Echte, beste Lachen-bis-dir-der-Bauch-wehtut-Freunde.

    52: Stufen bis zu dem kleinen, stickigen Schuhkarton hoch, in dem wir jetzt wohnen.

    57.600: Male, die ich mich schon nach Hause zurückgewünscht habe.

    231.100: Wörter, die ich in der englischen Sprache nicht kenne. (So viele gibt es zumindest laut dem Oxford English Dictionary. Von den 47.100 veralteten Wörtern ganz zu schweigen.)

    Ich weiß, ich sollte mich glücklich schätzen. Ich weiß, andere träumen davon, nach Amerika zu kommen. Ich weiß, andere würden ihr Leben geben, um nach Amerika zu kommen. Ich weiß, andere geben ihr Leben, um nach Amerika zu kommen.

    Aber manchmal schätze ich mich überhaupt nicht glücklich.

    X + Y = MEIN SCHLIMMSTER ALBTRAUM

    Die Schule riecht anders hier. Zu Hause in Argentinien hatte sie einen süßlichen Duft, fast wie die heiße Milch mit Honig, die meine Mutter mir immer gemacht hat, wenn ich krank war. Hier riecht sie so wie alles: fremd. Nach Bleichmittel und Radiergummi.

    In meinem dritten Highschooljahr sollte ich eigentlich das Mädchen sein, das als Auszeichnung für besonders gute Leistungen bei feierlichen Anlässen unsere blau-weiße Flagge trägt. Diejenige, die sich ein bisschen mehr erlauben kann als letztes Jahr, weil die Lehrerinnen und Lehrer an meiner kleinen Schule mich seit der Vorschulklasse kennen, seit ich die ersten Milchzähne verloren habe. All das ist jetzt ausgelöscht. Dafür ist da ein neues Gefühl, von gelockerten Krawatten, gesprungenen Gebotstafeln. Ich bin im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

    In der ersten Stunde habe ich Mathe. Das Klassenzimmer: zu viele Poster, wie ein mit Zeitschriftenseiten ausgekleideter Schuhkarton. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler: Arm in Arm und lachend, obwohl die Lehrerin spricht. Die Lehrerin: nervös und ganz in Schwarz gekleidet, unmöglich zu verstehen.

    Noch so eine Sache: Ich bin eindeutig zu schick angezogen mit meinem engen schwarzen Rock, der schwarzen Strumpfhose und dem roten Bolerojäckchen. Zu Hause in Argentinien wäre dieses Outfit quasi Standard. Aber hier tragen die Mädchen Leggings und Sweatshirts in Übergröße, unordentliche Dutts hoch auf dem Kopf, kaum einen Hauch Make-up auf dem Gesicht. Ein Mädchen hat sogar eine karierte Schlafanzughose an. Plötzlich schäme ich mich für die Extrazeit, die ich mir genommen habe, um meine braunen Haare sorgfältig einzudrehen und hochzustecken, damit sie nicht einfach nur über meinen Rücken hängen wie sonst immer, nicht ganz glatt, aber auch nicht wirklich lockig. Diese Frisur wäre selbst zu Hause in Argentinien eher was für eine Party als für die Schule, aber heute Morgen erschien es mir irgendwie wie eine gute Idee, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Jetzt sehe ich aus wie die Einzige, die auf ihre Eltern gehört und sich aufgedonnert hat. Als würde ich mich viel zu sehr bemühen.

    Aber es gibt auch etwas Positives. Links neben mir sitzt ein süßer Typ. Ich bin richtig erleichtert über diesen stinknormalen Gedanken: Der Typ ist süß. Ich betrachte ihn aus dem Augenwinkel. Er trägt ein weinrotes T-Shirt mit einem altmodischen Taucherhelm darauf. Seine Haare sind gekämmt, stehen aber im Nacken leicht ab, als wäre sein letzter Friseurbesuch schon eine Woche zu lang her. Er sieht genauso aus, wie ich mir amerikanische Jungs vorgestellt habe: attraktiv wie in einer Netflix-Serie, mit markanten Wangenknochen und vollen, schönen Lippen, fast perfekter Haut, bis auf ein paar Mitesser an der Schläfe, und gerade genug Bartschatten, um aller Welt zu zeigen, dass er sich zwar heute Morgen nicht rasiert hat, aber sich schon rasieren muss. Zurückgelehnt spielt er mit einem Stift – er hat lange, schlanke Finger – und wirkt entspannt, fast gelangweilt, als wäre die Welt exakt so, wie er es erwartet. Das ist mir auch schon bei anderen in meiner neuen Heimatstadt aufgefallen. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner machen den Eindruck, ein Leben ohne schlechte Neuigkeiten und böse Überraschungen zu führen.

    »Ana?« Die Lehrerin wirft ihren Haarvorhang zurück und blickt auf eine Liste.

    Ich schaue mich um. Könnte es mehr als eine geben?

    »###### ##### ####### ########?«, fragt sie und sieht mich an. Sie will irgendetwas von mir.

    Mein Herz klopft schneller. »#########«, versucht sie es erneut, aber für meine Ohren könnte das alles heißen. Zu Hause in Argentinien hatte ich vier Jahre Englisch. Ich habe unzählige amerikanische Filme und Fernsehserien mit Untertiteln geschaut. Das war einer der Gründe, warum ich keine Angst vor dem Umzug hatte: Ich kannte diesen Ort schon. Dachte ich zumindest. Aber hier sprechen alle so schnell, dass die Sprache völlig unverständlich wird. Die Lehrerin hat eben eine Gleichung an das Whiteboard geschrieben. Soll ich sie lösen? Ich verenge die Augen und spähe nach vorn. Ich wüsste, wie es geht.

    Meine Beine fühlen sich an wie vom Wind umtoste Bäume, trotzdem stehe ich auf und laufe los. In meinem Rücken spüre ich Blicke und höre Gekicher. Ein Mädchen sagt zu einem anderen: »Zieh dir das rein!« Sie meint mich. Ich bin dieses »das«. Wahrscheinlich sollte es mich trösten, dass ich zumindest diese Bemerkung verstanden habe.

    Neben der Lehrerin halte ich an und warte darauf, dass sie mir den Marker reicht. Die schlecht gefärbten Haare verdecken ihr halbes Gesicht. Sie sieht mich verwirrt an. Unterdrücktes Lachen sprudelt kohlensäuregleich in immer mehr Teilen des Klassenzimmers hoch, also schnappe ich mir schnell selbst einen Marker und fange an zu rechnen. Zwei Typen in der letzten Reihe prusten laut los, der eine schlägt dem anderen mit dem Handrücken gegen die Brust. Die Lehrerin schweigt noch immer.

    Panisch durchforste ich mein Gehirn nach den passenden Worten, aber alles, was ich herausbringe, ist: »Ich … machen … Mathe?«

    Der gesamte Raum bricht in schallendes Gelächter aus.

    Erkenntnis huscht über das Gesicht der Lehrerin, und ihre Verwirrung verwandelt sich in Mitleid.

    »Oh nein, Liebes«, sagt sie. »### ######### ###### #### ### #### ####.« Noch mehr Wörter, die ich nicht verstehe. Schließlich nimmt sie ein Buch von ihrem Pult und fragt langsam und überdeutlich: »Hast … du … Buch?«

    Oh.

    Mein.

    Gott.

    Sie hat mich bloß gefragt, ob ich ein Buch habe, nicht an die Tafel gebeten, um etwas vorzurechnen. Ich balle die Faust und wische mit der Handkante weg, was ich geschrieben habe. Mehr Gelächter. Mein Herz verwandelt sich in Glibber und rutscht mir in die Strumpfhose. Bitte lass mich zerfließen und im Boden versickern. Möglichst unauffällig.

    Die Lehrerin wendet sich an die Klasse und sagt etwas, das nach einer Zurechtweisung klingt, aber es wird übertönt vom flussartigen Rauschen in meinen Ohren. Ich nehme ihr das Buch aus der Hand und steuere zurück zu meinem Platz.

    Tief durchatmen. Nicht weinen. Weinen würde alles noch so viel schlimmer machen. Doch die Scham überrollt mich in Wellen und droht, mich zu abgrundtiefen Schluchzern hinunterzuzerren.

    Nichtweinennichtweinen.

    Die Lehrerin redet, aber ich höre sie nicht, nur das Rauschen in meinen Ohren. Dann setzt sie sich. Das Pult wirkt zu groß für sie. Sie hat eine Seitenzahl an das Whiteboard geschrieben, dazu 1-7. Die anderen beugen sich über ihre Ordner und Hefte. Offenbar sollen wir die Aufgaben bearbeiten. Ich begegne versehentlich dem Blick des Jungen neben mir – der mit dem dunkelroten Taucherhelm-T-Shirt. Er lächelt mich an.

    Aber ich will immer noch, dass der Boden sich auftut und meinen Tisch und mich in eine andere Dimension saugt, also wende ich mich schnell ab.

    Ich packe meine Sachen in meinen Rucksack. Das Buch ist riesig. Ich stopfe es hinein und ziehe den Reißverschluss zu, ehe ich wieder nach vorn zum Pult der Lehrerin gehe. Die Tränen lauern dicht unter der Oberfläche. Sie schaut auf.

    »Toilette?«, frage ich.

    Zum Glück ist dieses Wort allein ein ganzer Satz.

    Ich bin

    »Ich bin« ist einer der kürzesten Sätze, die ich in dieser neuen Sprache kenne.

    »Soy« und »estoy« mezclados, als gäbe es hier nur eine, ganz dauerhafte Art des Seins.

    Ich bin Ana.

    Ich bin Argentinierin.

    Ich habe sechzehn Jahre.

    Ich bin sechzehn Jahre alt.

    Ich bin an diesem Ort, ein »soy«-Sein, kein »estoy«-Sein.

    »Estoy« hält dir einen Ausweg offen. »Ich bin« lässt alles klingen, als wäre es Teil deiner Identität. Nichts, was vorübergehen kann.

    Ich bin Dichterin.

    Ich bin Dichterin ohne Worte.

    Ich bin.

    Ich bin.

    Ich bin.

    DER TROLL UNTER DER BRÜCKE

    In der nächsten Stunde habe ich EaZ, Englisch als Zweitsprache. Erleichtert laufe ich zum Klassenzimmer. Ich kann es kaum erwarten, andere Leute zu treffen, die Spanisch sprechen, mich mit einer Lehrerin oder einem Lehrer auf Spanisch zu unterhalten.

    Hauptsache Spanisch.

    Die Stühle stehen in einem großen Kreis, die Tische sind an die Wände gerückt. Das Zimmer füllt sich schnell, und ich bin überrascht, wie vielfältig die Gruppe ist. Draußen auf dem Flur schwimmt man in einem Meer aus weißen Gesichtern, aber hier drin gibt es die ganze Bandbreite an Hautfarben und Identitäten. Ein Junge trägt einen Turban, ein Schwarzes Mädchen lange Braids, zwei Mädchen könnten aus Ostasien stammen und ein Junge mit großen braunen Augen aus einer ganzen Reihe von Ländern. Da draußen komme ich mir immer vor, als würde mich eine Fremdheit umwehen, als könnten alle irgendwie spüren, dass ich nicht von hier bin. Vielleicht liegt es an meinen Klamotten oder meiner Frisur, an irgendeiner namenlosen Sache, die ich fühlen, aber nicht verändern kann. Hier drin trifft das auf alle zu. Und wahrscheinlich ist es für einige noch viel schwerer als für mich.

    Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Sprechen die alle Spanisch?

    Ein weißer Junge mit Surferfrisur stellt sich vors Whiteboard. Er trägt halbhohe rote Sneaker, Jeans und ein T-Shirt mit dem Schriftzug The Clash unter einem offenen Hemd. Mit der Radiergummiseite seines Bleistifts klopft er gegen seine Hose, während er zusieht, wie alle nach und nach eintrudeln. Warum steht er da vorne? Als es zum zweiten Mal klingelt, räuspert er sich.

    »Ich bin Mr. T«, sagt er. Ach, er ist der Lehrer? »Und falls ihr euch gewundert habt: Ja, ich bin der Lehrer.« Er spricht sehr langsam. »Nicht der Mr. T. ###### #####? ############?«

    Ich schaue mich um. Alle wirken genauso verwirrt wie ich.

    »Wir haben hier acht Leute mit fast ebenso vielen Muttersprachen. ############### ### ### ######### ########, unser kleiner, aber feiner neuer EaZ-Kurs, was?« Er lacht. Sonst lacht niemand. Und allmählich dämmert es mir: Wenn wir unterschiedliche Muttersprachen haben und in einem Kurs sind, bedeutet das … EaZ ist nicht auf Spanisch. Hier werde ich also nicht nur den Lehrer nicht verstehen, sondern muss auch noch mehrere Sprachen lernen, um mich mit meinen Klassenkameraden zu verständigen.

    Oder wir müssen halt alle diese eine Sprache lernen, was mir im Moment ähnlich unmöglich vorkommt.

    Mr. T lässt den Blick durch die Runde wandern. »Okay, Leute, ####### ####### #########. Wer versteht mich?«

    Ich hebe zögerlich die Hand, weil er nicht allzu schnell redet und ich mit meinem Fernsehserien-und-Songtexte-und-ziemlich-nutzloser-Englischunterricht-Englisch immerhin die Hälfte von dem mitbekomme, was er sagt. Drei andere tun es mir nach. Der Rest beobachtet uns mit einem vertrauten Ausdruck der Panik auf dem Gesicht und hebt dann ebenfalls die Hand.

    »Okay, gut, gut. Das ist mein erstes Jahr hier. ########## ####### #########«, sagt Mr. T lächelnd. »Unser Kursbuch.« Er hält ein blaues Buch hoch. Auf dem Cover sind ein paar Cartoon-Menschen, die sich die Hände schütteln. Anschließend deutet er auf den Stapel auf seinem Pult und bittet uns, jeweils eins zu nehmen.

    Er lässt uns Seite fünf aufschlagen und erzählt irgendetwas, dem ich nicht folgen kann. Die Enttäuschung darüber, dass EaZ nicht auf Spanisch ist, sitzt mir auf der Brust wie ein Troll, die Art von Troll, die unter Brücken hockt und Zoll verlangt, damit man auf die andere Seite darf. Das ist Englisch für mich – ein Troll, der mich nichts tun lässt, bevor ich nicht einen Preis bezahle, den ich nicht aufbringen kann.

    Die nächsten dreißig Minuten vergehen wie im Nebel. Als die Stunde fast vorbei ist, verteilt Mr. T Notizbücher. Mir reicht er eins mit einem verschlungenen roten Muster auf der Vorderseite. Ich klappe es auf, und eine leere Seite starrt mir entgegen.

    »Das sind Tagebücher. ### ####### ##########. Schreibt! Schreibt auf Englisch. Dinge, die euch auffallen, Gedanken, Gedichte, #############, Rezepte, Fragen, völlig egal. Alles. Aber ausschließlich Englisch. Wenn ihr nur ein Wort kennt, dann schreibt dieses Wort. Und schlagt nach, was ihr nicht versteht.« Er wedelt mit seinem Handy. »Wenn ihr kein Handy habt, ############ ein Wörterbuch. Das ist wie eine App, aber auf Papier.« Er lacht über seinen eigenen Witz. »Manchmal bekommt ihr auch Schreibaufgaben, die ihr abgeben müsst.«

    Es klingelt. Zumindest das

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