Tim ist immer so allein: Sophienlust Extra 87 – Familienroman
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In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Die Kinder von Sophienlust saßen auf dem Rasen vor dem Springbrunnen und warteten auf ihren Märchenonkel Eugen Luchs, der zu Denise von. Schoenecker ins Kinderheim gegangen war. Aber nun würde er wohl bald kommen. Als sein Vorbote kam nun auch schon die kleine Peggy durch den Park gerannt. Hinter ihr der junge Collie Balthasar. Er kläffte wütend, weil seine kleine Herrin flinker war als er. Peggy blies die Luft aus den Wangen, als sie vor den Kindern stehen blieb. Ihre großen schwarzen Augen kullerten. »Seht ihr nichts?«, fragte sie und sah an sich hinab. Als nicht gleich eine Antwort auf ihre Frage kam, machte sie eine Schnute. »Ihr merkt aber auch gar nichts. Ich habe doch ganz neue Jeans. Richtige, mit Nieten.« »Ja, und mit einem Latz und Trägern.« Henrik von Schoenecker hatte allem Anschein nach nur darauf gewartet, dass er Peggy wieder einmal kontra geben konnte. Er zog die Nase hoch. »Eben Jeans für kleine Mädchen. Auf die Nieten brauchst du dir gar nichts einzubilden. Echte Jeans sind das trotzdem nicht.«
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Book preview
Tim ist immer so allein - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 87 –
Tim ist immer so allein
Unveröffentlichter Roman
Gert Rothberg
Die Kinder von Sophienlust saßen auf dem Rasen vor dem Springbrunnen und warteten auf ihren Märchenonkel Eugen Luchs, der zu Denise von. Schoenecker ins Kinderheim gegangen war. Aber nun würde er wohl bald kommen. Als sein Vorbote kam nun auch schon die kleine Peggy durch den Park gerannt. Hinter ihr der junge Collie Balthasar. Er kläffte wütend, weil seine kleine Herrin flinker war als er.
Peggy blies die Luft aus den Wangen, als sie vor den Kindern stehen blieb. Ihre großen schwarzen Augen kullerten. »Seht ihr nichts?«, fragte sie und sah an sich hinab.
Als nicht gleich eine Antwort auf ihre Frage kam, machte sie eine Schnute. »Ihr merkt aber auch gar nichts. Ich habe doch ganz neue Jeans. Richtige, mit Nieten.«
»Ja, und mit einem Latz und Trägern.« Henrik von Schoenecker hatte allem Anschein nach nur darauf gewartet, dass er Peggy wieder einmal kontra geben konnte. Er zog die Nase hoch. »Eben Jeans für kleine Mädchen. Auf die Nieten brauchst du dir gar nichts einzubilden. Echte Jeans sind das trotzdem nicht.«
»Das sind echte. Onkel Luchs versteht das doch. Er hat sie mir aus Stuttgart mitgebracht.« Peggys Augen funkelten Henrik entrüstet an. »Du bist nur neidisch.«
»Auf Jeans mit Latz?« Henrik tippte sich an die Stirn. »Nie würde ich die anziehen.« Er zeigte auf den breiten Gürtel seiner Jeans. »Das sind echte Jeans.«
Pünktchen versuchte diesem Streit ein Ende zu machen. Sie streckte die Hand aus und zog Peggy neben sich auf den Rasen.
Das aber passte wieder der kleinen Heidi nicht. »Peggy soll neben mir sitzen. Das machen wir immer so.«
Fabian Schöller räumte bereitwillig seinen Platz neben Heidi. »Komm, Peggy, ihr Kleinen gehört wirklich zusammen.«
Peggy gefiel es zwar nicht, dass Fabian sie zu den Kleinen zählte, weil sie wusste, dass das bei dem siebenjährigen Henrik wieder nur Wasser auf die Mühle sein würde, aber Heidi zuliebe verzichtete sie diesmal auf einen Widerspruch.
Heidi tuschelte gleich: »Verrätst du mir, was Onkel Luchs heute erzählt?«
Peggy sagte laut: »Onkel Luchs hat mir heute gar nicht verboten, euch seine neue Geschichte zu verraten. Sie hat einen ganz schönen Namen.« Jetzt machte die kleine Schwarze eine Kunstpause und tat, als müsste sie erst nachdenken.
»Wie heißt die Geschichte denn?«, drängte die kleine Heidi. Sie war immer am zappeligsten von allen, wenn Eugen Luchs eine neue Geschichte erzählen wollte.
»Fürchtemanns Mutprobe.« Peggy sah sich um, als erwarte sie von allen Seiten Beifall.
»Wer soll denn Fürchtemann sein?«, erklang da eine Jungenstimme. Nick kam um den Springbrunnen herum.
»Sicher soll das Peggy sein.« Henrik lachte schadenfroh. Ihm war das Streitgespräch von vorhin viel zu kurz gewesen.
Aber der kleine Junge musste sich jetzt gefallen lassen, dass Peggy sich auf die Stirn tippte und sagte: »Du bist vielleicht dumm. Dabei gehst du schon in die Schule. Ich bin doch ein Mädchen und kein Mann. Fürchtemann heißt es.«
Nick gab seinem Bruder Henrik einen Stoß. »Eins zu null für Peggy, Henrik. Sie kann schon viel zu viel Deutsch.«
Peggys Augen strahlten. Sie freute sich, dass der große Nick für sie einsprang.
Henrik machte es nichts aus, wenn er auch einmal den kürzeren zog. Daran hatte er sich allmählich den Mädchen gegenüber gewöhnt. Entweder hielten diese gegen ihn zusammen, oder es stand ihnen jemand bei. Außerdem hatte er die kleine schwarze Peggy gern. Es reizte ihn nur, sie herauszufordern, weil sich keines der anderen Mädchen so entrüsten konnte wie sie.
Jetzt schrie sie: »Onkel Luchs kommt! Mit Tante Isi und Schwester Regine!« Sie lachte stolz. »Onkel Luchs’ Geschichten wollen alle hören.«
Nick hatte sich zwischen Pünktchen und Vicky gesetzt. Er fragte: »Und niemand hat meine Schwester Andrea angerufen? Sie sammelt doch die Geschichten von Eugen Luchs für ihr Peterle.« Er lachte. »Vielleicht erzählt sie die Geschichten am Abend auch Hans-Joachim.«
Peggy hatte schon wieder alles aufgeschnappt. »Tante Andrea kann heute nicht nach Sophienlust kommen. Peterle hat Schnupfen. Das hat Onkel Hans-Joachim gesagt. Er war heute Morgen bei uns im Wohnwagen.«
Eugen Luchs machte dem Gespräch ein Ende. Nachdem sich Denise von Schoenecker und Schwester Regine auf den Rand des Springbrunnens gesetzt hatten, setzte er sich auf den Rasen vor die Kinder. »Weil ihr heute auf mich warten musstet, erzähle ich euch eine lange Geschichte.« Er strich sich durch seinen rotblonden Vollbart und sah sich um, als wollte er die Spannung der Kinder noch erhöhen.
»Ich weiß schon«, rief die kleine Heidi aufgeregt, »du wirst uns von einem Angstmann erzählen, Onkel Luchs.«
Die Kinder lachten.
Heidi war gekränkt. »Ich habe ja den Namen vergessen …«
»Aber Angst haben und sich fürchten ist dasselbe«, stand Eugen Luchs ihr bei. »Die Geschichte heißt also ›Fürchtemanns Mutprobe‹. Und jetzt spanne ich euch nicht länger auf die Folter.«
Eugen Luchs streckte die Beine aus und stützte die Hände auf den Rasen. Dann begann er zu erzählen.
Hoppelmann, viel geplagter Vater von sechs Kindern, sitzt vor seinem jüngsten Sohn und schlägt aufgeregt die Löffel aneinander. Seine Stimme ist auch sehr erregt, als er sagt: »Fürchtemann, die Zeit ist gekommen, in der du deine Mutprobe bestehen musst. Du bist schon viel zu lange das Muttersöhnchen bei uns.«
Fürchtemann erschrickt und rutscht auf seinen Hinterläufen etwas näher zu seiner Mutter der Hoppelfrau. Mit weinerlicher Stimme fragt er: »Muss ich das wirklich tun?«
Das Gesicht des Hoppelvaters wird nun noch strenger. »Ich glaube, du hast zu kurze Löffel, sodass du nie hörst, was ich dir sage. Meinetwegen, dann erkläre ich dir noch einmal alles. Aber höre wenigstens jetzt gut zu. Die Menschen sagen uns Hasen nach, wir seien überängstlich. Wenn sich jemand feige drückt, dann nennen sie ihn einen Angsthasen. Wenn jemand vor Furcht zittert, sagen sie, er habe ein Hasenherz oder er sei ein Hasenfuß. Dann haben sie noch ein Wort dafür. Sie sagen, einer ergreift das Hasenpanier. Dieser schlechte Ruf, den wir bei den Menschen haben, muss von uns aus der Welt geschafft werden. Deshalb sind wir gezwungen, eine Mutprobe zu bestehen. Jeder von uns muss sie ablegen. Auch du, Fürchtemann. Oder willst du als einziger kneifen?«
Der junge Fürchtemann drückte sich noch enger an seine Mutter. »Nein, Vater, ich will bestimmt nicht kneifen. Mich ärgert es ja selbst, dass ich noch immer Fürchtemann heiße. Und ein Hasenherz will ich auch nicht haben.«
Vater Hoppelmann streckt eine Vorderpfote abwehrend aus. »Oh, sage dieses schreckliche Wort nicht. Es greift mich zu sehr an. Sorge dafür, dass ich es nicht mehr zu hören brauche. Deine Geschwister haben ihre Mutprobe schon abgelegt. Ab heute wirst du allein auf Streifzüge gehen und ein Abenteuer suchen, damit du deinen Mut beweisen kannst. Aber vergiss nicht, Fürchtemann, deine Mutprobe gilt nur, wenn du dafür Zeugen hast.«
Fürchtemann legt die Ohren zurück und sagt: »Ja, Vater, ich werde tun, was du mir befiehlst.« Er schleicht aus dem Lager. Aber dann sieht er doch noch einmal hilfeflehend zu seiner Mutter zurück. Doch sie kann ihm jetzt nicht beistehen. Sie hebt nur die Pfote zum Maul und schickt ihrem Fürchtemann eine Kusshand nach.
Fürchtemann zieht es vor, zunächst nur durch den Wald zu hoppeln. Dort fühlt er sich noch sicher, weil er schnell im Unterholz verschwinden kann, wenn Gefahr droht. Aber dann bekommt er Hunger und verlässt den schützenden Wald. Wie seine Mutter ihn gelehrt hat, schlägt er Haken, als er über ein freies Feld läuft. Saftiger Kohl lockt ihn. Fürchtemann war schon oft auf dem langen Kohlfeld gewesen, aber heute erreicht er es zum ersten Mal allein. Er duckt sich und reißt ein paar Kohlblätter ab. Doch dann packt ihn schon wieder die Angst. Er beschließt deshalb, mit einem fetten Kohlblatt zurück in den Wald zu laufen. Dort wird er es wenigstens mit Genuss vertilgen können. Und dabei muss ihm eine gute Idee kommen, wie er seinen Mut beweisen könnte. Er kann die Mutprobe nicht länger hinausschieben. In letzter Zeit hat er deshalb schon viele unruhige Träume gehabt, während seine Geschwister immer ruhig neben ihm schliefen, weil sie ihre Mutprobe längst hinter sich hatten.
Als Fürchtemann sein Kohlblatt verzehrt hat, überlegt er, ob er sich nicht noch ein weiteres holen soll. Aber da wird er abgelenkt. Es kommt ihm vor, als höre er eine Stimme. Merkwürdigerweise aus der Erde unter ihm. Er legt einen Löffel auf den Boden. Aber er hat ihn umgeknickt. So kann er natürlich nichts hören. Er schüttelt den Kopf, damit er den Löffel richtig auf den Boden drücken kann.
Jetzt hört er die Stimme ganz deutlich. Sie jagt ihm eine so große Furcht ein, dass seine Flanken zu zittern beginnen. Schon will er Reißaus nehmen. Da besinnt er sich, dass er ja nicht das Hasenpanier ergreifen darf. Heute nicht mehr! Er muss seine Mutprobe bestehen.
Aber was soll er nur tun? Unter ihm spricht Reineke Fuchs. Etwas Schlimmeres kann einem jungen Hasen nicht passieren, als dass er genau auf dem Bau dieses listigen und gefährlichen Reineke Fuchs sitzt.
Die Stimme in der Erde wird jetzt lauter. »Meine lieben Rotschwänzchen, alle hergehört, es ist Befehlsausgabe.