Wilder Ritt für den Cowboy

KAPITEL EINS

NICHOLAS

Die Dunkelheit verschlingt das Stadion, aber ich kann die zwanzigtausend Menschen auf den Tribünen spüren. Sie sind völlig still, und gleich hinter dem äußersten Punkt meiner Sicht verborgen. Es ist, als würde ein kollektives Einatmen auf das Ausatmen warten.

Scheiß drauf. Los geht's.

Das Pferd schiebt sich unter mich. Alle Sinne sind in höchster Alarmbereitschaft. Ich spüre die Muskeln des riesigen Tieres unter meinem Sattel, mein Herz klopft und ich habe das Gefühl, dass mich vierzigtausend Augen durch die Dunkelheit anstarren. 

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich jemals lebendiger gefühlt habe.

Das ist es. Ich verlangsame meine Atmung und mache mich bereit, das zu tun, was ich schon tausendmal getan habe.

Dann geht es los. Die Dunkelheit explodiert im grellen Licht von tausend Lichtern. Die Fans sind auf den Beinen, der Boden vibriert von ihrem Jubel. 

Das Pferd steht nicht mehr still, sondern versucht, mich innnerhalb einer Sekunde umzubringen.

Man sagt immer, dass das Rodeo seine Tiere liebt.

Das stimmt, aber im Moment kämpfe ich um mein Leben, versuche meine Haltung zu bewahren und murmle ein paar Flüche, die die Ohren meiner Mutter rot werden lassen würden, wenn sie mich hören könnte.

Und das ist auch gut so, denn ich lebe für einen guten Ritt.

Wildpferde reiten. Das ist nichts für schwache Nerven. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als We Will Rock You aus den Lautsprechern dröhnt. Wenn diese Musiker nur wüssten, was das wirklich bedeutet.

Meine Stiefel umklammern die Steigbügel und meine Oberschenkel drücken sich mit jedem bisschen Muskelkraft in das Pferd.

El Diablo ist eine beeindruckende Kombination aus Geschwindigkeit, Kraft und Bocken. Dieses Pferd wurde für diesen Moment gezüchtet.

Aber andererseits bin ich das auch.

Wir fliegen durch die Luft und krachen dann zu Boden. Mein Arsch und meine Eier knallen auf den Rücken des Pferdes und meine Zähne knirschen so stark, dass ich Sterne sehe.

Bevor ich den Schmerz überhaupt wahrnehmen kann, sind wir wieder in der Luft. Trotz der Schmerzen, des Lärms und des aufgewirbelten Staubs hat dieser Moment etwas. Ich habe das Gefühl, Teil von etwas Größerem als mir selbst zu sein. 

Es ist die Freiheit und Wildheit des Pferdes. Die Entschlossenheit des Cowboys. Es sind acht perfekte Sekunden, wenn du das alles zusammenhalten kannst.

Und ich gebe mein verdammtes Bestes.

Ich muss alles geben, um meine Haltung zu bewahren, meinen verdammten Sitz nicht zu verlieren und nicht von diesem wunderschönen Pferd abgeworfen zu werden.

Er bäumt sich auf, schießt nach unten und steht dann wieder auf. Der Buzzer ertönt.

Verdammt, ja! Ich habe es geschafft.

Ein großer Cowboy auf einem schwarzen Pferd reitet heran, um mir herunterzuhelfen, aber ich steige von selbst ab und gebe ihm einen kurzen Wink mit meinem Resistol-Cowboyhut. Meine Ohren klingeln und als die Stimme des Ansagers den Punktestand verkündet, kann ich nicht verstehen, was er sagt.

Aber die Menge in der Gold Buckle Zone ist auf den Beinen und der Boden vibriert unter meinen Stiefeln vor Jubel.

Ich ziehe meinen Hut und verlasse die Arena so schnell ich kann. Mein Körper versteift sich augenblicklich und meine Eier schreien ihre Beschwerden über die letzten neunzig Sekunden heraus. Der nächste Kerl ist dran, und die Nacht ist weitergegangen.

Die Reihe der Cowboys reiht sich entlang des Zauns am Bronc-Ende der Arena auf.

Wie ist der Count?, frage ich Justin Gale, einen alten Freund.

Du hast achtundachtzig Punkte., antwortet er und klopft mir auf die Schulter. Toller Ritt, Mann. 

Ich stelle mich neben die anderen Cowboys und schaue mir die anderen Ritte an. Diese Punktzahl bedeutet, dass ich heute Abend Geld nach Hause bringen werde und im Rennen um den großen Preis bin. 

Kommst du mit zur Afterparty?, fragt mich einer der Jungs. Die haben heute Abend eine tolle Party am Start.

Rodeo-Partys sind legendär. Man sagt, die Jungs vom Land wüssten nicht, wie man Spaß hat, aber das stimmt nicht.

Aber das Einzige, woran ich denken kann, ist, die Badewanne in meinem Fünfunddreißig-Dollar-Zimmer mit Eis zu füllen und so viel Schlaf wie möglich zu bekommen. Die Jungs werden die ganze Nacht trinken, und das wird mir morgen einen Vorteil verschaffen.

Einige von ihnen sind halb so alt wie ich.

Hinter mir übertönt eine Stimme den Lärm des Rodeos, das weitergeht, die Gespräche der Cowboys neben mir, die Nachrichten der Menge. Alles.

Was ist los, Oldtimer? Hast du Angst, dass du Jeopardy verpasst?

Die heisere Stimme lässt meinen Schwanz hart werden, bevor ich mich überhaupt umdrehen kann. 

Ich drehe mich auf dem Absatz meines Stiefels um und halte den Atem an, während ich jeden Quadratzentimeter der Rothaarigen, die sich von hinten an mich heranschleicht, in mich aufnehme.

Adriana Carter. Alles, was ich liebe und hasse, in einem einzigen perfekten Paket.

Ich kann die Damen nicht auf mich warten lassen.

Sie zieht eine Augenbraue in die Höhe. Welche Damen? Deine Mutter, die bei dir zu Hause ist und dein Wärmepflaster bereithält?

Ein Kichern geht durch die Schlange der Jungs, die darauf warten, dass sie an der Reihe sind. Auf Adriana ist immer Verlass, wenn es um gute Unterhaltung geht.

Doch im Moment sehe ich nur ihre mörderischen Kurven, die sie in enge Jeans und ein enges, dunkles Hemd gezwängt hat. Ihr rotes Haar fällt ihr über die Schultern und über den Rücken. Und dieses verruchte Funkeln in ihren Augen, das Humor, Tatkraft und Intelligenz mit einer rücksichtslosen Aussage vereint.

Komm schon, Nicholas. Gibst du mir ein Zitat?

Ja, natürlich. Sie ist nicht hier, um mich zu sehen. Sie ist hier, um ein Zitat für ihren verdammten Artikel zu bekommen.

Dieselbe alte Geschichte. Dieselbe alte Adriana.

Es ist eine große Ehre, hier bei den Rodeo-Finals zu sein. Es war phantastisch, El Diablo zu reiten. Gute Nacht, Adriana, sage ich, bevor sie ein weiteres Wort sagen kann, und gehe an ihr vorbei.

KAPITEL ZWEI

ADRIANA

Verflucht! Verdammt noch mal! Nicholas hatte das größte und schwierigste Pferd in der Auswahl und ritt es wie ein echter Profi, der er auch ist.

Meine Gedanken schweifen ein Jahrzehnt zurück. Ein heißer Sommerabend, zurück vom College. Ich stehe am Rande des Rodeos, das auf dem örtlichen Festplatz stattfindet.

Der aufstrebende Rodeo-Star Nicholas bricht mit seinen Ergebnissen jeden Rekord. Ich denke daran, wie gerne ich ihn reiten würde. Mit ihm um die Wette reiten und die Beherrschung genießen, die er ausübt, wenn er reitet. Und oh, was hatten wir nur einen Spaß.

Es war der beste Sommer meines Lebens. Bis es Zeit war, zurück zum College zu gehen, und Nicholas nicht verstand, warum ich nicht bleiben wollte.

Nun trennen uns zehn Jahre und tausende von Kilometern.

Doch jetzt war ich wieder bei den nationalen Rodeo-Meisterschaften und berichtete als Reporterin über die Ereignisse. Ich nutze meinen Urlaub von meinem eigentlichen Job als Autorin. Der einzige Grund, warum ich diesen Job angenommen habe? Weil sein Name auf der Liste stand. Ich wollte ihn wiedersehen und so stehe ich hier, stiefeltief in Dreck und Holzspänen, Auge in Auge mit dem Mann, der mir nicht