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Unser Haus
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Unser Haus

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About this ebook

Herbst 2002, Paul ist neunzehn und frustriert. Seine alten Schulfreunde sind auf Reisen und er drückt immer noch die Schulbank, weil er sitzengeblieben ist. Als er mit einer Gruppe Freaks ein Geschäftshaus mitten in Zürich besetzt, ahnt er noch nicht, welche Abenteuer ihn dort erwarten: Während die Lehrer sich an Pauls «Horrorklasse» die Zähne ausbeissen und die Weltpolitik auf einen dritten Golfkrieg zusteuert, entsteht in der bunt zusammengewürfelten Hausgemeinschaft ein ganz eigenes Biotop mit wilden Partys, uferlosen basisdemokratischen Sitzungen, ungewöhnlichen Freundschaften – und so einigen Komplikationen. Paul versucht mehr oder weniger erfolgreich, im Chaos den Überblick zu behalten, sich den Grabenkämpfen zu entziehen und ganz nebenbei das Herz der Punk-Sängerin Ronja zu gewinnen. Und irgendwann im Sommer hat er auch noch die Matur zu bestehen …
LanguageDeutsch
Release dateFeb 23, 2023
ISBN9783729623972
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    Book preview

    Unser Haus - Christina Hug

    Inhalt

    Cover

    Impressum

    Titel

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

    9

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    19

    Epilog

    Glossar

    Über die Autorin

    Über das Buch

    Christina Hug

    Unser Haus

    Autorin und Verlag danken für die Unterstützung:

    empty

    Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit

    einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

    © 2023 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Alisa Charté

    Umschlagfoto: Rebecca Hug

    Umschlaggestaltung: Hug & Eberlein, Leipzig

    eBook-Produktion: 3w+p, Rimpar

    ISBN ePub 978-3-7296-2397-2

    www.zytglogge.ch

    Christina Hug

    Unser Haus

    Roman

    empty

    Übertreiben ja, aber so nicht.

    Zimmer 24

    1

    Ganz wohl war es Paul bei der Sache nicht. Aber es versprach immerhin, interessant zu werden. Er zählte elf Leute, sich selbst inbegriffen. Ausser Lucas und Lou, seinen momentanen Lieblingsmenschen, waren da Michi und Nando, zwei sympathische Dudes aus dem Realgymnasium, die er vom Kiffen auf dem Olymp kannte. Und diese seltsame Rita, eine Punkerin, die häufig im Ego rumhing. Die anderen kannte er nicht.

    «Also», sagte Lucas, «dann wollen wir mal. Ich habe die Bude heute Morgen nochmals rekognosziert. Sie steht definitiv leer und es gibt einen einfachen Zugang von der Rückseite her. Wir gehen jetzt zu Fuss dahin. Bis wir drin sind, verhaltet euch unauffällig.»

    Nichts leichter als das, dachte Paul. Nicht auffallen mit einer Prozession von Freaks diverser Gattungen, die bepackt sind, als gehe es zu einem Open-Air-Festival. Doch es lag eine solche Ernsthaftigkeit in der Luft, nahezu sakral, dass er sich einen blöden Kommentar verkniff. Nur nicht gleich von Anfang an unbeliebt machen, sagte er sich. Sie zogen los.

    Nach einer Viertelstunde, in der sie von Polizisten unbehelligt geblieben und von Passanten höchstens blöd angeschaut worden waren, stand die Truppe zusammengedrängt und nervös vor einem ebenerdigen Fensterchen im Hinterhof eines mittelgrossen Geschäftshauses. Lucas bastelte mit einem Schraubenzieher am Fensterrahmen rum. Dann knirschte es, er hob das kleine Fenster aus seiner Verankerung, reichte es Lou und verkündete: «Wir sind drin!»

    Er verschwand in der Fensteröffnung, und einer nach dem anderen folgten sie ihm. Mit den Füssen voran liessen sie sich ins Dunkel plumpsen und fanden sich in einem kleinen, feuchten Kellerraum wieder. Es roch ein bisschen modrig, wie in einem alten Keller halt. Lucas packte eine Taschenlampe aus seinem Rucksack und leuchtete umher, fand eine Tür und machte sie auf. Wie Schäfchen trippelten ihm die anderen hinterher. Es folgte eine Reihe weiterer, ineinander verschachtelter Kellerräume, zuletzt ein ziemlich grosser, und von dort eine Treppe hoch ins Erdgeschoss. An deren oberem Ende befand sich wieder eine Tür, und dahinter das riesige Ladenlokal mit Bar und Fensterfront, in das sie vorher schon von der Hauptstrasse aus hineingespienzelt hatten. «Unser Café!», rief Lucas euphorisch.

    Aber es blieb gar keine Zeit, den Raum angemessen zu bestaunen, denn Lucas war schon an dessen anderem Ende durch die nächste Tür ins Treppenhaus und damit in den eigentlichen, als solchen vorgesehenen Hauseingang weitergehetzt. Die Glastür zur Strasse hin war natürlich abgeschlossen, wie die des Ladenlokals auch. «Die Eingänge kriegen wir dann schon noch auf», sagte Lucas beiläufig, während er schon anfing, die Treppen hochzusteigen, die zu vier weiteren Stockwerken führten. In diesen gab es jede Menge kahle Zimmer in allen möglichen Grössen und Formen – Büroräume eigentlich, Sitzungs- und Wartezimmer. In manchen gab es Einbauschränke, in anderen Waschbecken. Es hatte in jeder Etage eine Toilette, in der obersten sogar zwei, und ausserdem gab es hier eine richtige Küche mit Kühlschrank und Elektroherd, vor der sich der Korridor zu einem grösseren Raum ausbreitete. Dort versammelten sie sich schliesslich, und als alle da waren, sagte Lucas: «Das hier wird dann wohl die gute Stube.»

    Wieder fing er an, in seinem Rucksack herumzuwühlen. Diesmal brachte er ein weisses Stoffbündel zum Vorschein und schüttelte es auf. Es war ein Leintuch, auf dem in grossen schwarzen Lettern geschrieben stand:

    Dieses Haus ist BESEZT.

    «Da fehlt ein ‹T›», sagte Paul.

    Lucas machte ein leicht irritiertes Gesicht. Er studierte ein paar Sekunden lang sein Transpi, das ausgebreitet auf dem Boden lag, und kratzte sich am Kopf. Dann erklärte er: «Das ist Absicht.»

    «Ach so», sagte Paul. «Na dann.»

    Er half Lucas, das Transpi an die Fassade hinauszuhängen. Als es solide festgezurrt war, schaute sich Lou die Sache an. Sie streckte den Kopf aus einem der vielen Fenster und sagte: «Das hängt verkehrt herum.»

    Lucas stellte sich neben sie und folgte ihrem Blick.

    «Das passt schon», sagte er. «Das sieht doch gut aus.»

    Er wandte sich wieder dem Rest der Gruppe zu: «Ich schlage vor, jetzt suchen sich alle erst mal ein Zimmer aus und dann treffen wir uns wieder hier und trinken auf unsere neue Bleibe!»

    Und so machten sie es.

    Paul nahm sich ein mittelgrosses Eckzimmer im vierten Stock, von der guten Stube aus links den Korridor runter bis an dessen Ende. Es hatte, wie alle Räume in diesem Haus, viele Fenster, ausserdem einen grossen Einbauschrank. Ein weiterer Vorteil war, dass sich gleich gegenüber eine Toilette befand. Er warf seine neue, erstaunlich bequeme Campingmatte und den uralten Schlafsack hinein, zum Zeichen, dass es besetzt war, und gratulierte sich zu seiner Wahl.

    Als er in die gute Stube zurückkam, lief Ska-P und die Stimmung war ausgelassen. Offenbar war die Nervosität von seinen neuen Schicksalsgenossen abgefallen. Er setzte sich auf den Boden, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und Rita, die schräge Ego-Tante, setzte sich neben ihn. Erst als alle anfingen, ihren Proviant aus den Rucksäcken zu packen, realisierte Paul, dass er idiotischerweise kein Bier mitgebracht hatte. Aber bevor er sich richtig darüber ärgern konnte, reichte ihm Rita auch schon eine Hülse und sagte: «Paul, gell?»

    «Ja», antwortete er. «Danke schön, Rita.»

    Er knackte die Dose auf und prostete der Punkerin feierlich zu. Sie lachte. Ihr Lachen war laut und hart. Ihr Schädel war auf der einen Seite kahl rasiert, die andere Seite ein Busch aus violetten und blauen Strähnen. Sie trug ein zerfetztes schwarzes Kleid und schwere Springerstiefel. In ihrer Unterlippe hingen links und rechts je ein Ring. Ihre ganze Erscheinung erinnerte Paul ein bisschen an einen gruseligen Clown.

    «Und was machst du so, Paul?»

    Er überlegte eine Sekunde. «Ich besetze ein Haus.»

    Wieder lachte sie. «Ja, das hab ich mitbekommen! Aber sonst, was machst du denn sonst so im Leben?»

    Gute Frage, dachte Paul. Rita grinste ihn an und neigte sich etwas näher zu ihm herüber, wie um ihn besser hören zu können, was Paul aber trotz der lauten Musik nicht wirklich nötig fand. Er wich etwas zurück, nahm einen grossen Schluck Bier. Es fiel ihm keine schlaue Antwort ein. Schliesslich murmelte er: «Na ja, nicht viel ...»

    «Ist ja gut.» Rita wirkte plötzlich genervt. «Sag doch einfach, dass du keinen Bock hast, dich mit mir zu unterhalten. Mein Gott, das fängt ja schon mal gut an hier.»

    Sie stand auf und verzog sich ans andere Ende des Raums. Paul sah ihr nach und fragte sich, was da gerade schiefgelaufen war. Gratuliere, dachte er, jetzt hast du es doch geschafft, dich gleich am ersten Abend unbeliebt zu machen.

    Dann setzte sich Lucas neben ihn und bot ihm seine angerauchte Tüte an. «Alles klar bei dir, altes Haus?»

    Paul entspannte sich. Zum ersten Mal an diesem Tag, wie er auf einmal realisierte. «Alles klar. Und bei dir?»

    Der gute alte Lucas. Schön, dass es den auch noch gibt, dachte Paul. Er wurde plötzlich fast ein bisschen sentimental und hätte seinen Kumpel aus Kindertagen bei den Roten Falken in diesem Moment am liebsten an sich gedrückt. Stattdessen nahm er erst mal einen Zug von dem Joint.

    Es wurde dann noch ein ganz lustiger Abend. Es wurde viel getrunken, geraucht und geschwatzt, und Paul erfuhr einiges über seine neuen Mitbewohner. Michi und Nando, die beiden Jungs aus dem Realgymnasium, deren Signalelement ihre Baggy-Jeans und Run-DMC-T-Shirts waren, hatten am Vortag beim Kiffen auf dem Olymp von Lou von der geplanten Besetzung erfahren und spontan beschlossen, sich anzuschliessen. Sie hatten noch einen alten Freund aus der Primarschule mitgenommen, der Sanitär war, was bei einer Hausbesetzung nur nützlich sein konnte, wie alle fanden, und so wurde der Name von dem armen Kerl von den meisten gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, sondern sie nannten ihn einfach gleich den Sanitär. Wie für Paul war es auch für Michi, Nando und den Sanitär die erste Hausbesetzung, und sie waren ganz aus dem Häuschen darüber, wie unkompliziert die ganze Sache bis jetzt verlaufen war. Sie hatten zu dritt das grösste Zimmer im dritten Stock in Beschlag genommen, einen etwa dreissig Quadratmeter grossen Raum, und machten fröhlich Pläne, wie sie diesen aufteilen und einrichten wollten.

    Dann waren da Maja und Jan, ein friedliches Hippie-Pärchen Anfang dreissig, das Lucas von einer früheren Besetzung in Wiedikon kannte. Sie waren langjährige und überzeugte Hausbesetzer und sahen aus wie richtige Blumenkinder. Maja glich ein wenig Janis Joplin, ausser dass ihre langen Haare orange und gekraust waren, und Jan war offenbar immer barfuss unterwegs. Die beiden schienen sich über die beduselte Begeisterung ihrer jugendlichen Mitsquatter wohlwollend zu amüsieren. Andi und Rufus schliesslich waren Punks, schräge Vögel wie aus dem Bilderbuch und Freunde von Rita, wenn auch ein paar Jahre älter als sie.

    Es schienen alle ganz nett und ziemlich trinkfest zu sein. Allfällige Bedenken über mögliche Schwierigkeiten eines längerfristigen Zusammenlebens ertränkte Paul an diesem Abend in grösseren Mengen Bier. Anderer Leute Bier, wie er durchaus auch im Suff nicht zu stolz war, sich vor Augen zu halten.

    Als Rita etwa zwei Stunden nach ihrem ersten merkwürdigen Intermezzo plötzlich wieder neben ihm stand, war sein Missbehagen merklich abgeflaut. Sie hatte eigentlich ein gutes Gesicht, grosse blaue Augen und eine feine Nase, und ihr rotziges Lachen war gar nicht so uncharmant.

    «Hör zu, wegen vorhin», sagte Paul. «Das tut mir leid, ich wollte nicht ungehobelt sein. Das war nicht wegen dir. Es ist nur leider so, dass ich im Leben sonst eigentlich gar nichts mache. Die schäbige Wahrheit ist: Ich bin gestern neunzehn geworden und ich gehe immer noch zur Schule, weil ich letztes Jahr sitzen geblieben bin. Meine früheren Schulfreunde sind jetzt auf Reisen, und ich sitze immer noch hier in Zürich rum und drücke die Schulbank. Und das hier, das ist das Abenteuerlichste, was ich seit Langem erlebt habe.»

    Jetzt grinste Rita wieder. «Und Abenteuer kann man schliesslich nie genug erleben. Alles Gute nachträglich zum Geburtstag.»

    Paul erwachte von einem genüsslichen Seufzer, der durch eine Wand drang, die offenbar aus Karton bestand. Sein Schädel schmerzte und es dauerte einen Moment, bis er realisierte, wo er war. Seine Erinnerung an den Vorabend war ziemlich verschwommen. Er entsann sich noch eines längeren Gesprächs mit Rita, wobei ihm aber nicht mehr einfiel, worum es da genau gegangen war, sondern nur, das wurde ihm plötzlich mit einigem Entsetzen klar, dass sie sich dabei irgendwie seltsam nähergekommen waren. Er war jedenfalls ausserordentlich erleichtert darüber, keinen zerknitterten Gruselclown neben sich auf der Campingmatte vorzufinden. Er drehte sich um und versuchte, wieder einzuschlafen. Aber das Geseufze nebenan ging bald in ein wildes Gepolter über, und kurz darauf klopfte es auch noch geräuschvoll an seine Tür.

    «Haussitzung!», rief Lucas, und Paul hörte, wie er den Flur hinaufstampfte und das gleiche Prozedere an der Tür nebenan wiederholte. Die Geräusche aus dem Nebenzimmer nahmen ein abruptes Ende. «Ist ja gut, du Knalltüte!», war jetzt Majas Stimme zu vernehmen, aber Lucas war schon wieder eine Tür weiter. Paul schälte sich aus seinem Schlafsack und ging erst mal aufs Klo.

    In der guten Stube roch es wunderbar nach Kaffee. Lou drückte ihm einen dampfenden Pappbecher in die Hand. «Du siehst scheisse aus.»

    «Oh, danke, du aber auch», sagte Paul, und es stimmte. Ihr sonst eigentlich schönes Gesicht war aufgedunsen, ihre Augen klein und rot.

    «Wie habt ihr das hingekriegt mit dem Kaffee?»

    «Na, wie wohl? Der Herd in der Küche läuft einwandfrei. Lucas hat mich um acht geweckt mit seinem nervösen Herumgetigere. Du kannst froh sein, dass er euch bis zehn hat schlafen lassen! Ich habe keine Ahnung, wo dieser Irre seine Energie hernimmt.»

    Sie sah verliebt in Richtung Küche, aus der ihr Freund gerade mit zwei weiteren Bechern Kaffee herauskam, und Paul dachte, dass er im letzten Jahr immerhin diese eine Sache richtig gemacht hatte: die beiden einander vorzustellen. Obwohl das ja auch mehr ein Zufall gewesen war.

    Als alle mit Kaffee versorgt waren und es sich müde zwischen den leeren Dosen und vollen Aschenbechern der letzten Nacht bequem gemacht hatten, legte Lucas los: «So, ich hoffe, ihr hattet alle eine gesegnete Nachtruhe. Als Nächstes müssen wir die folgenden drei Dinge tun: Erstens, unseren mittelfristigen Verbleib in diesem schönen Haus hier sichern. Für die, die es noch nicht wissen: Das Haus gehört der Alternativen Baugenossenschaft. Für das Land hat sie einen Baurechtsvertrag mit der Stadt. Noch für die nächsten sechzig Jahre oder so – das heisst, das Land gehört eigentlich der Stadt, die es ihr billig verpachtet. Wie ihr sicher wisst, sind die politischen Freunde der Baugenossenschaften die linken Parteien, und die ABG ist sowieso so ein altlinkes Projekt. Mit anderen Worten: Sie kann es sich beim besten Willen nicht leisten, wegen einer Besetzung schwierig zu tun. Ich werde also dort anrufen, die Besetzung melden und versuchen, einen Gebrauchsleihvertrag auszuhandeln.»

    «Woher weiss er, wem das Haus gehört?», flüsterte der Sanitär, und Jan, der neben ihm sass, antwortete belustigt: «Vom Grundbuchamt natürlich.»

    Es war offensichtlich, dass diese Antwort beim Sanitär eher mehr Fragen auslöste, als dass sie Klarheit schaffte, aber er sagte trotzdem nur «ach so», und Paul konnte ihm das sehr gut nachfühlen. Allerhand, dachte er, wer hätte das gedacht, das Handwerk des Hausbesetzens will gelernt sein! Einfach mal auf dem Grundbuchamt vorbeizugehen, da wäre er auch nicht draufgekommen, und dabei war das ja eigentlich völlig logisch. Aber genau das unterschied wahrscheinlich den richtigen Hausbesetzer vom Mitläufer, wie er selbst einer war, und der Sanitär offensichtlich auch. Doch das würde ja bedeuten, dass sein alter Kumpel Lucas ein richtiger Hausbesetzer war, und obwohl Lucas das Handwerk – oder vielleicht eher die Kunst – des Hausbesetzens offenbar zu beherrschen schien, wollte das Paul dann irgendwie doch nicht so richtig in den Kopf. Lucas kriegte doch sonst nie irgendwas gebacken. Woher wusste der so gut Bescheid über Baurechtsverträge und sowas, und überhaupt, was bitte war ein Gebrauchsleihvertrag?

    «Zweitens: Das Haus einrichten. Lou und ich haben heute Morgen auf dem Estrich ein paar Möbel und Lampen gefunden. Die holen wir nachher alle zusammen runter, und jeder kann sich davon nehmen, was er braucht. Falls dann noch was übrig ist, kommt es hier in die gute Stube oder unten ins Café. Diese Sachen werden aber nicht reichen, deshalb bringt bitte alles her, was ihr irgendwie auftreiben könnt. Und nicht nur Möbel, auch anderes Zeugs, zum Beispiel für die Küche Geschirr und Pfannen und so weiter. Und eine zusätzliche Espressomaschine könnte auch nicht schaden.»

    Lucas warf einen Blick in die Runde, wie um zu prüfen, ob alle verstanden hatten, und alle nickten eifrig, ausser Jan und Maja, das Hippie-Pärchen, die grinsten einander nur belustigt an.

    «Drittens müssen wir uns überlegen, wie wir uns organisieren und das Haus beleben wollen. Ich denke, es ist allen klar, dass es viel zu gross ist für elf Personen. Mehr als die Hälfte der Räume ist ja noch frei, und für den Betrieb des Cafés brauchen wir eh mehr Leute. Wir müssen uns also darüber einigen, wen wir hier noch ins Boot holen möchten und wie, und welche Grundsätze für alle, die dieses Haus nutzen, gelten sollen. Also ich bin ja dafür, dass jeder, der will, hier mitmachen dürfen soll.»

    Wieder sah er einen nach dem anderen auffordernd an. Paul wusste nichts zu sagen, und auch die meisten anderen glotzten mehr oder weniger ahnungslos aus der Wäsche.

    Maja brach das allgemeine Schweigen: «Also meiner Erfahrung nach ist es umso schwieriger, sich gemeinsam zu organisieren, je mehr Leute involviert sind. Ich schlage deshalb vor, dass wir uns, was das Zusammenwohnen betrifft, so einrichten, dass jeder erst mal für sich selbst sorgt – ich meine, im Sinne von Einkaufen und so. Das soll natürlich nicht heissen, dass wir nicht auch mal was zusammen kochen können oder so. Aber solange jeder für sich selbst verantwortlich ist, gibt es kein böses Blut, wenn irgendwann mal keine Milch oder kein Klopapier mehr da ist. Man muss dann seine Sachen halt auch anschreiben und so, und was nicht angeschrieben ist, gehört der Allgemeinheit.»

    Paul fand diesen Vorschlag sehr vernünftig, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es anders funktionieren sollte. Er jedenfalls hatte nicht die geringste Lust auf ein Kommunenleben mit

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