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Storytelling in virtuellen Welten
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Storytelling in virtuellen Welten

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David Lochner gibt einen Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten des Erzählens im virtuellen Raum. Ob Animationsfilm, digitales Spiel oder interaktiver Film – sie alle bieten Autoren und Produzenten neue Wege, Geschichten zu erzählen: Visionen, Träume und Welten zu entwickeln, die das Publikum noch nicht gesehen hat. Die zunehmende Digitalisierung hat nicht nur den Film revolutioniert, sondern auch neue Medien erschaffen, wie das digitale Spiel und den interaktiven Film. Herkömmliche dramaturgische Plot-Szenarien werden durch interaktive Erzählschemata neu definiert und erschaffen. Der Nutzer schreibt die Geschichte mit. Was dem Spieler große Freiheit bringt, bedeutet für den Autor eine neue Sicht aufs Storytelling. Durch das Internet können wir diese virtuellen Welten in Form von digitalen Spielen, wie World of Warcraft oder Second Life, betreten und uns in Netzwerken austauschen. Spieler greifen erstmals kreativ in das Geschehen ein und nehmen Einfluss auf den Handlungsverlauf. Der Autor tritt dabei in seiner Funktion des Geschichtenschreibers einen Schritt zurück und gibt Inhalte an die Konsumenten ab. David Lochner zeigt, dass virtuelle Welten mehr sind als eine digitale Alternative zum Kinofilm oder Roman. Sie müssen deshalb als eigenständiges Medium betrachtet werden. Als Medium, das nach eigenen erzählerischen GeSetzmäßigkeiten funktioniert und neue Ansprüche an die Unterhaltung stellt.
LanguageDeutsch
Release dateOct 22, 2014
ISBN9783744504690
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    Book preview

    Storytelling in virtuellen Welten - David Lochner

    Vorwort

    Ich schreibe, seit ich klein bin. Zuerst auf einem Stück Papier. Meine sozialen Beziehungen außerhalb meines Wohnortes wurden weitestgehend durch Briefeschreiben aufrechterhalten. Dann kam der Gameboy, ich lernte Mathematik mit den ersten Taschencomputern und beendete schließlich meine Schulzeit mit digitalen Aufsätzen. Heute benutze ich multifunktionale Notizzettel. Manches, was ich einmal zu nutzen gelernt habe, gibt es nicht mehr. Meinen letzten Aufsatz auf Diskette kann schon längst kein Computer mehr lesen, die CD-ROM mit den Urlaubsbildern von vor zehn Jahren ist unbrauchbar geworden. Meine Generation hat eine solch rasante technologische Entwicklung erlebt wie keine andere zuvor. Das elektronische Zeitalter hat uns Beine gemacht.

    Durch diese schnelle Entwicklung haben sich Autoren und Nutzer digitaler Medien immer wieder umorientieren müssen, um sich den gewaltigen Veränderungen anzupassen. Wir haben permanent neu definiert, neu produziert, neu formuliert. Die Geschichten haben sich dabei immer an die jeweiligen Medien angepasst. Neue Formen sind entstanden. Vom E-Book, über den Film zum digitalen Spiel. Es gibt so viel Neues zu erfassen. Und stets müssen wir lernen, mit den neuen Medien umzugehen – wir lernen das Lesen und Schreiben neu, ob als Autor oder Leser, als Produzent oder Rezipient. Während sich der Mediennutzer meist Schritt für Schritt anpassen kann, ist es für den Autor wesentlich schwieriger, die neuen Gegebenheiten passend für den Endnutzer aufzubereiten.

    Noch heute schreibe ich Briefe mit der Hand, weil ich es für eine der schönsten Formen der persönlichen Mittelung halte. Mein Empfinden in dieser Beziehung ist irgendwo zwischen Gewohnheit und Erziehung hängen geblieben. Aber wenn ich mich nicht medial weitergebildet hätte, würden mir all die faszinierenden neuen Formen der Kommunikation entgehen, die das Internet bereithält. Denn Austausch findet in unserer Zeit natürlich nicht mehr nur über Briefe statt. Wir sind miteinander vernetzt.

    NORMALE BILDER KANN JEDER MACHEN.

    ROLAND EMMERICH

    ¹

    Heute steht das Internet großen Teilen der Bevölkerung zur Verfügung. Es ermöglicht nicht nur die Vernetzung untereinander, es schafft auch neue Unterhaltungsformen wie den Animationsfilm, digitale Spiele und den interaktiven Film, welche bestimmten dramaturgischen Regeln folgen. Dieses Buch unternimmt einen Versuch, diese Formen für Autoren erfassbar zu machen. Denn sie gehören heute genauso zur Unterhaltung wie Bücher und herkömmliche Filme. Doch was hat sich geändert? Erzählen wir immer noch genauso wie ehedem, oder sind unsere Erzählformen zu technisch beeinflussten Konstruktionen geworden, die mit den Narrativen herkömmlicher Bücher wenig gemein haben?

    Während sich Literatur und Film auf eine lange Tradition stützen, stecken die digitalen Medien in den Kinderschuhen und scheinen sich noch immer selbst finden zu wollen. Und dennoch: Hollywood ist ebenso wie die Spielbranche längst vom Digitalzeitalter eingeholt.

    Während das Storytelling für Animationsfilme auf den dramatischen Grundkonzepten herkömmlicher Filme basiert, haben digitale Spiele das Storytelling nahezu revolutioniert. In der virtuellen Welt bahnt sich eine vollkommen neue Form des Erzählens an, die in vielen medialen Bereichen Einzug hält – die Interaktivität.

    Viele Ideen sind in der Filmgeschichte bereits im Übermaß ausgeschlachtet worden: Die Geschichten wiederholen sich derzeit, Sequels und bombastische Actionfilme beherrschen die Spielpläne der Kinos. Es scheint, als stagniere die Entwicklung des Films. Vielleicht wurden ja die erzählbaren Geschichten aus der realen Welt bereits alle schon erzählt? Die virtuelle Welt jedenfalls scheint dagegen heute eine unerschöpfliche Ressource für Autoren, Geschichtenerzähler und Produzenten zu sein. Sie fordert unsere Kreativität und Vorstellungskraft neu heraus. Was sich im virtuellen Raum alles entwickeln kann, ist noch nicht abzusehen.

    Durch die dynamische Entwicklung der Technik ist die grafische Leistung von Animationsfilmen und digitalen Spielen deutlich angestiegen. Durch künstliche Intelligenz ist es möglich, ganze Welten zu steuern. Figuren haben ihren eigenen Tagesablauf, interagieren wie echte Menschen. Pflanzen bewegen sich im Wind, als wären sie echt. Und wir betreten diese Welt staunend.

    Abb. 1: Szene aus dem digitalen Spiel „Watch Dogs"A1

    Die Möglichkeiten, bei Zuschauern und Spielern Emotionen zu wecken, sind beachtlich. Warum spielen Menschen den ganzen Tag kleine Computerspiele auf Facebook, warum verbringen sie Stunden in ihren Fantasiewelten und gehen darin völlig auf? Der Spieler lässt sich auf eine Welt ein, die er so im wirklichen Leben nicht erfahren könnte. Für die Autoren von Spielen ist es wichtig, diese Fantasieebene zu begreifen und virtuelle Welten auch als solche zu verstehen – ein Medium, über das wir Emotionen vermitteln können. Eine positive Illusion, auf die sich der Nutzer einlässt: Science-Fiction-Welten, in denen physikalische Gesetze keine Rolle spielen müssen, Mittelalterwelten, in denen wir gegen Drachen kämpfen, oder eine irgendwann und irgendwo angesiedelte Gesellschaft, in der wir politische Konflikte lösen sollen. Der Autor ist frei vom Zwang, sein erfundenes Universum physikalischen Gesetzen unterwerfen zu müssen, Anatomie zu studieren oder bekannte Konflikte aufzugreifen. Innerhalb dieses Kosmos ist er der Herr. Dieser Kosmos fasziniert durch das Mögliche, nicht durch das Reale: Es ist eine authentisch scheinende und mit sinnlich ansprechendem Inventar ausgerüstete Welt. Dieses Buch soll helfen, Autoren, Produzenten und Interessierten die virtuellen Welten näher zu bringen. Es soll jungen Autoren und Produzenten eine Plattform bieten, von der aus sie ihre eigenen Projekte und Idee entwickeln können. Während sich bereits zahlreiche Sach- und Fachbücher speziell mit jeweils einem Medium auseinandergesetzt haben, versucht dieses Buch, einen allgemeinen Überblick über Animationsfilme, digitale Spiele und interaktive Filme zu bieten. Virtuelle Welten sind sehr jung – umso weniger kann ich behaupten, mit diesem Buch alle drei großen Bereiche vollständig darzustellen. Mein Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie man in ihnen Geschichten erzählen kann und nicht auf den technischen Aspekten.

    Egal ob Animationsfilm, digitales Spiel oder interaktiver Film – letztlich geht es immer darum zu unterhalten. Was ein herkömmliches Buch oder ein Film ästhetisch leistet, ist durch virtuelle Welten nicht ersetzbar und soll es auch gar nicht sein. Wir sind stets auf der Suche nach Spannung. Dass wir immer nach Neuem suchen, liegt in unserer Natur. Virtuelle Welten bieten weitere Räume, um darin Geschichten zu erzählen, andere Geschichten als bisher. Wenn ein Kind lacht, sich über unseren Animationsfilm freut, über die witzigen Figuren und Gestalten, und emotional ergriffen ist, dann haben wir alles richtig gemacht. Dann ist es egal, ob wir eine digitale Figur vor uns auf der Leinwand haben oder einen echten Schauspieler.

    LEBEN AUS PIXELN

    Einführung in virtuelle Welten

    A1Die virtuelle Welt und der Autor von heute

    A2Das Unmögliche erzählen

    A3Digitale Evolution des Storytellings

    A4Mythos Fremdartigkeit – der Menschliche Bezug

    A5Leben aus Pixeln – Der technische Bezug zum Storytelling

    Abb. 2: Szene aus „Das Eselchen Grisella"A2

    A1 DIE VIRTUELLE WELT UND DER AUTOR VON HEUTE

    NOVELS TELL, MOVIES SHOW, GAMES DO.

    GREG ROACH

    Virtuelle Welten sind digital. Kein anderes Unterhaltungsmedium hat einen so hohen technischen Bezug wie ein Animationsfilm, ein digitales Spiel oder ein interaktiver Film. Diese drei Medien sollen in diesem Buch stets als virtuelle Welten zusammengefasst werden. Wenn es auch in diesem Buch grundsätzlich um das Erzählen von Geschichten gehen soll, müssen vorab die Rahmenbedingungen, in denen sich der Autor bewegt und entfalten kann, erörtert werden. Vor allem für Autoren, die aus den Bereichen Drehbuch oder Print kommen, ist dieses Kapitel ein essenzieller Bestandteil zum Verständnis der virtuellen Welt und ihren erzählerischen Voraussetzungen.

    Die virtuelle Welt und der Autor von heute

    Als der Regisseur George Lucas Anfang des 21. Jahrhunderts begann, Schauspieler durch Animationen zu ersetzen, protestierten viele Filmemacher.² Auf die Frage, warum er die letzten drei Teile seiner Star-Wars-Saga erst zu diesem Zeitpunkt produziert habe, antwortete er in etwa, dass die damaligen 3D-Techniken noch nicht in der Lage gewesen seien, seine Fantasiewesen angemessen wiederzugeben.³ Der heutige Stand der Technik erlaubt mittlerweile unzählige digitale Korrekturen: So können beispielsweise ohne Probleme Figuren im Nachgang in einen Film integriert werden.⁴ Die Vielfalt der Möglichkeiten ist beinahe unerschöpflich. George Lucas‘ Anspruch ist hierbei vor allem die Umsetzung seiner Ideen als Autor, die er auf die Leinwand bringen möchte. Er stellt dabei alte Produktionsweisen nicht in Frage, sondern sucht vielmehr neue Wege seine Geschichten zu erzählen. Seine Visionen und Träume zielen unter anderem darauf ab, seinem Publikum Welten vorzuführen, die es so noch nicht gegeben hat. Kritiker virtueller Welten stellen dabei oft die Qualität und die Entmenschlichung der Medien in den Vordergrund. Der Schauspieler aus Fleisch und Blut wird ersetzbar, fremde Welten werden gegen die eigentliche Welt, die Erde, eingetauscht. Aber ist es tatsächlich der Anspruch virtueller Welten, bestehende Medien zu ersetzen? Kann eine Animation einen Menschen ersetzen, einen Schauspieler auf der Bühne? Nein, denn das würde nur schwer als Animation funktionieren. Gerade hier macht es der persönliche und menschliche Stil des Schauspielers aus, welche den Zuschauer verzaubert. Deshalb muss die Frage anders gestellt werden: Welche Funktionen können virtuelle Welten eigentlich übernehmen?

    Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns vom Gedanken lösen, herkömmliche Unterhaltungsmedien, wie den Realfilm, mit neuartigen Medien, wie dem Animationsfilm, zu vergleichen. Virtuelle Welten sind mehr als eine digitale Alternative zum Kinofilm oder Roman. Sie müssen deshalb als eigenständiges Medium betrachtet werden. Als Medium, das nach neuen erzählerischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert und andere Ansprüche an die Unterhaltung stellt, als ein Buch oder Realfilm. Dabei will das neue Medium keinesfalls das Alte ersetzen – ganz im Gegenteil. Hat der Realfilm beispielsweise den Zweck, mit einer Kamera real existierende Dinge aufzuzeichnen, ist es die Funktion des Animationsfilms, neue Dinge aus dem virtuellen Raum heraus zu erschaffen.

    Die zunehmende Digitalisierung hat aber nicht nur den Film revolutioniert, sondern auch neue Medien erschaffen wie das digitale Spiel und den interaktiven Film. Gerade hier macht sich das neue Genre ganz deutlich sichtbar. Herkömmliche dramaturgische Plot-Szenarien werden durch interaktive Erzählschemata neu definiert und erschaffen. Der Autor muss sich nicht mehr wie im Buch oder Film nur auf einen Handlungsstrang konzentrieren, sondern auf mehrere: Plötzlich entscheidet sich der Nutzer eines digitalen Spiels durch die rechte anstatt durch die linke Tür zu gehen. Was dem Spieler große Freiheit bringt, bedeutet für den Autor einen zweiten Handlungsstrang, den es zu erzählen gilt. Neben dem erzählerischen Part erweitert sich sein Arbeitsfeld auch im technischen Bereich bedeutend. Das hat in der Medienlandschaft des Films in den letzten Jahren zu vielgestaltigen Veränderungen geführt. So muss der Autor ein grundlegend höheres technisches Verständnis mitbringen. Denn wer beim digitalen Spiel entwickelt und eine Geschichte erzählen will, muss sich bereits von Anfang über die zukünftigen Steuermechaniken, Interfaces, Konsolen und zahlreichen Endgeräte des Nutzers Gedanken machen. Wer einen Animationsfilm schreibt über die Möglichkeiten der technischen Umsetzung und ob die zu erschaffenden Stories und Figuren im Rahmen des Möglichen liegen. Der Autor von heute ist ein Tausendsassa, Multitalent, der sein stilles Kämmerlein mit Stift und Papier verlässt und multimedial denkt.

    Durch unterschiedlichste Technologien wachsen die verschiedenen medialen Kanäle immer mehr zusammen.⁵ Der heutige Personal Computer (PC) ist auf dem Stand einer Hochleistungsmaschine, die es uns ermöglicht, dreidimensionale Welten (3D) vor unseren Augen erscheinen zu lassen. Durch das Internet haben die Menschen die Möglichkeit, diese virtuellen Welten in Form von Spielen, wie Second Life oder World of Warcraft, zu betreten und sich in Netzwerken auszutauschen. Sie erlauben es, den Spielern kreativ in das Geschehen einzugreifen und Einfluss zu nehmen, ohne dass sie dafür eine entsprechende dramaturgische oder künstlerische Qualifikation, wie Schauspiel oder Regie, erlernt haben müssen.⁶ Der Autor tritt dabei in seiner Funktion des Geschichtenschreibers einen Schritt zurück. Er gibt Inhalte an die Konsumenten ab, da diese durch eigene interaktive Beteiligung am Geschehen teilhaben. Sie erschaffen Neues.

    Vor allem die Welt der digitalen Spiele hat sich dabei immens entwickelt und dabei die Filmindustrie Hollywood weit überholt.⁷ So ist heute zu beobachten, dass sich ein Großteil der medialen Aufmerksamkeit auf den PC und interaktive Formen der Unterhaltung, wie Computerspiele oder virtuelle Welten, konzentriert. Als Vergleich dazu: Die klassischen Massenmedien Film und Fernsehen werden indes überwiegend passiv rezipiert. Der Adressat nimmt eine reine Konsumhaltung ein und wird zum Nichtstun abgestellt. Heute wenden sich die großen Medienunternehmen zunehmend hiervon ab und öffnen sich dem interaktiven Medium des digitalen Spiels.⁸

    Abb. 3: Prävisualisierung einer futuristischen Stadt A3

    Abb. 4: Die Möglichkeiten des Erzählens im virtuellen Raum

    Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Hinzukommen der Dreidimensionalität. In immer stärkerem Maß bestimmen heute erfolgreiche 3D-Filme die Kinolandschaft. Vollständig animierte Filme wie Walt Disneys und Pixars Oben sind in der Lage, Menschen zu begeistern und zu verzaubern. Auch wenn sich ein in 3D produzierter Film auf den bisherigen Anzeigegeräten, wie Monitoren oder bedrucktem Papier, nur in 2D darstellt, ermöglichen Computerprogramme jederzeit eine Abänderung des Bildes durch Neupositionierung der Objekte. Nur der Computer ermöglicht einen solchen Vorgang.

    Egal ob Animationsfilm, digitales Spiel oder interaktiver Film: Alle Formen erzählen Geschichten, die den Menschen genauso gut unterhalten wollen wie Realfilme und Bücher. Der Autor hält dabei alles in der Hand: Seine Verantwortung beginnt dabei bei der Auswahl des richtigen Mediums.

    Abbildung 4 soll einen ersten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten des Erzählens im virtuellen Raum geben. Jedes Erzählmedium hat dabei ganz besondere Eigenschaften, die in den folgenden Kapiteln des Buchs aufgeschlüsselt werden sollen. Wichtigstes Merkmal ist die Aufteilung in lineare oder interaktive Erzählung. Bei einer linearen Erzählung bleibt die Abfolge der Handlung geradlinig, vergleichbar mit einem Buch oder einem Film. Im Gegensatz dazu steht die interaktive oder metalineare Geschichte: Hier kann sich Geschehen in viele verschiedene Richtungen entwickeln und ist somit auf Interaktivität angewiesen. Die Metalinearität ermöglicht es also dem Rezipienten, am Handlungsverlauf teilzuhaben. Im digitalen Spiel äußert sich das zum Beispiel durch das Vorhandensein der Steuerungstasten, mit deren Hilfe der Spieler seine Figur nach eigenem Ermessen durchs Spiel führt. Das Hinzukommen von Entscheidungsmomenten während des Spiels ermöglicht jedem Nutzer den Handlungsverlauf mitzubestimmen. Es findet daher ein interaktiver, metalinearer Prozess statt.⁹ Ein normaler Film würde dies nicht zulassen, er ist von Anfang bis Ende feststehend und lässt den Rezipienten lediglich konsumieren, nicht aber interagieren.

    A2 DAS UNMÖGLICHE ERZÄHLEN

    Exkurs: Der Weg zum modernen CGI


    Reihenfotografie


    Zeichentrick


    Die erste 3D-Animation


    Computer Generated Images


    EINFACH DIE NATUR ZU IMITIEREN [...] VERSCHWENDET NICHT NUR DAS MEDIUM DER ANIMATION, SONDERN BELASTET AUCH DEN ANIMATOR ENORM.

    GREG ROACH

    ¹⁰

    Eine Filmkamera kann immer nur das zeigen, was tatsächlich existiert. Damit sind dem Medium Realfilm von Anfang an Grenzen gesetzt, denn es schöpft seine Bilder immer aus der tatsächlich existierenden Welt, und diese hat ihre Grenzen. Einen Spielfilm zu produzieren, der in der realen Welt abgedreht wird, ist deshalb sehr aufwendig. So kommt es nicht von ungefähr, dass Regisseure angefangen haben, einzelne Teile ihrer Filme durch Animationen zu ersetzen, um weitere Sehanreize zu schaffe. Wer ins Kino geht, möchte zum einen eine ansprechende Geschichte erleben und zum anderen ein visuelles Spektakel geboten bekommen. Das ist teuer. Schauspieler müssen gecastet werden, ein Drehplan wird geschrieben der Wochen, ja sogar Monate für seine Umsetzung in Anspruch nehmen kann. Licht muss gesetzt werden, das Timing der Schauspieler abgepasst werden und nicht zu vergessen die ständigen Wiederholungen und Takes einer Szene, weil ein Kameraschwenk nicht passte oder der Schauspieler einen Versprecher hatte. Zum Vergleich: Eine Animation ist zwar mindestens genauso aufwendig in ihrer Produktion, aber in jedem Falle nachhaltiger in der Machart. Denn ist die virtuelle Welt fertig animiert, kann sie immer wieder genutzt werden. Der Wechsel von Tag und Nacht sowie Licht und Schatten sind nur ein Knopfdruck entfernt.

    In der ersten Einstellung des Films Das Fenster zum Hof von Alfred Hitchcock, sieht der Zuschauer eine sehr lange Kamerafahrt durch den Hinterhof eines Hauses. Um diese Fahrt ohne Unterbrechungen und Zwischenschnitt zu drehen, musste Hitchcock lange Zeit mit seinen Schauspielern und dem Kameramann proben. Man stelle sich nun vor, Hitchcock hätte nach den Dreharbeiten festgestellt, dass die aufgenommene Szene nicht seinen Wünschen entspräche. Das Licht ist unzureichend gesetzt und hier und dort fehlen ein paar Requisiten. Dies wäre einer Katastrophe gleich gekommen: Denn da Hitchcock auf Film drehte, gab es nicht wie heute die Möglichkeit, Fehler, Verwacklungen oder Versprecher der Schauspieler im Schnittraum zu korrigieren. Er musste die Szene am Stück so nehmen, wie sie gedreht wurde. Film ist damit in seiner Machart auf die reale Welt eingeschränkt.

    Ein Vergleich: Zu Beginn von David Finchers Film Fight Club sehen wir eine lange Einstellung, bei der wir durch das menschliche Gehirn fliegen. Vorbei an Synapsen, organischen Verzweigungen und Hirnströmen. Ein beeindruckendes Bild. Solch eine Perspektive wäre mit einer physischen Kamera in dieser Ausführlichkeit beinahe unmöglich. Zum anderen ist die Kamerafahrt in Fight Club in ihrer Bewegung und Tempo perfekt ausgerichtet. Die Animation ist lediglich mithilfe von CGI-Szenen in den Realfilm integriert – ein häufig genutztes Mittel, um schwer umzusetzende Darstellungen in Realfilmen abzubilden. Ähnlich können wir das in Terminator 2: Tag der Abrechnung beobachten, bei dem der Regisseur James Cameron das Metallskelett eines Roboters komplett zerfließen lässt. Ein in der Wirklichkeit wohl nicht darzustellendes Bild. Ähnliches passiert im Kinoklassiker Jurassic Park, bei dem Regisseur Steven Spielberg animierte Dinosaurier in ein gefilmtes, tatsächlich existierendes Umfeld einbaute. Mit dem Unterschied zu Terminator 2, das erstmals organische Lebewesen, zum Leben erweckt wurden. All diese Filme nutzten die Animation als unterstützendes Element, in einem sonst komplett in der realen Welt gedrehten Film.

    Exkurs: Der Weg zum modernen CGI

    Um moderne computergenerierte Welten zu verstehen, ist ein kurzer Blick in die Vorgeschichte dieses jungen Mediums hilfreich. Beim genauen Hinsehen wird man schnell bemerken, dass sich viele Methoden und Grundprinzipien des klassischen Storytellings bis heute bewährt haben. So kommen viele der vor Jahrzehnten entwickelten Techniken auch gegenwärtig noch zum Einsatz und sind als Hintergrundwissen äußerst hilfreich.

    Zunächst ist eine grundlegende Definition zweier wichtiger Begriffe notwendig, die im heutigen Sprachgebrauch oft verwechselt werden. Es handelt sich dabei um das Wort Animation, dass häufig gleichgesetzt wird mit CGI, ausgeschrieben Computer Generated Image bzw. Computer generiertes Bild. Eine Animation bezeichnet eine Anreihung von Bildern, wie Fotos, Zeichnungen oder computeranimierten Bildern, die im Gesamten die Illusion eines bewegten Bildes ergeben. Hingegen beschreibt das CGI einzig und allein ein Bild oder Reihe von Bildern, welche komplett durch computergesteuerte Verfahren dreidimensional erstellt wurden. Eine Animation kann also sowohl aus Zeichnungen als auch aus computergenerierten Bildern bestehen. Obwohl heute kaum noch gezeichnete Filme produziert werden, hat der übergreifende Begriff Animation sich bis zum modernen CGI durchgesetzt. Nur selten spricht man in der modernen Sprache vom CGI-Film, sondern zumeist vom Animationsfilm oder CGI Animationsfilm. Wir wollen also auch im Folgenden diesen Begriff für den weiteren Verlauf in diesem Buch nutzen.

    Abb. 5: „The Horse in Motion"A4

    Reihenfotografie

    In den 1870er-Jahren ging der britische Fotograf Eadweard Muybridge einer einfachen Frage nach: Er wollte

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