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Windmar
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Ebook156 pages2 hours

Windmar

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About this ebook

Wer sind wir, und wer sind die Menschen, mit denen wir zusammenleben? Für Sophie und Alexander gibt es darauf keine einfache Antwort. Sie wachsen bei einer geheimnisvollen Frau auf, und jedes Jahr ziehen sie an einen anderen Ort. In diesem Sommer aber finden sie Stück für Stück mehr heraus über die Frau, mit der sie leben - und werden dabei in eine spannende Jagd auf eine gefährliche Bande von Verbrechern verwickelt.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateAug 14, 2020
ISBN9783347125285
Windmar
Author

Ben Jansen

Der Autor heißt eigentlich anders. Er hat schon viele Berufe gehabt, und hat an vielen Orten der Welt gelebt. Mittlerweile wohnt er mit seiner Frau und ihrem kleinen Hund in Texas in den Vereinigten Staaten.

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    Book preview

    Windmar - Ben Jansen

    1 Der Einzug

    Am Dienstag war der Einzug. Der große Möbelwagen kam morgens um neun – und mit ihm eine Gruppe von kräftigen, schweigsamen Männern die nach Zigaretten, Schweiß und nach der Mittagspause auch nach Bier rochen. Gemeinsam hatten sie Betten, den Tisch, die schweren Schränke und Kommoden sowie die vielen nummerierten Umzugskisten in die jeweiligen Zimmer getragen, die Margaret ihnen angewiesen hatte.

    Die Kinder hatten sich bemüht, nicht zu stören; und wenn der ganze Vorgang auch eine Abwechslung war und aufregend, so war es besser, Margaret nicht in die Quere zu kommen. Sie hatte auch so schon genug zu tun, und wahrscheinlich noch weniger Geduld als sonst. Den Vormann der Arbeiter jedenfalls hatte sie bereits morgens mehrmals scharf zurechtgewiesen, so dass der dicke Mann – etwas älter als seine Kollegen – ihr für den Rest des Tages aus dem Weg ging, wo immer das möglich war.

    Das Haus war alt und hatte zwei Stockwerke. Es war über und über mit grauen Holzschindeln bedeckt und hatte spitze Giebel. Efeu wuchs an der Wand entlang hoch und reichte an manchen Stellen fast bis an das Dach. Der mit lockerem Kies bedeckte Hof befand sich ganz am Ende einer gewundenen Sackgasse, ein wenig außerhalb des Dorfes. Hinter dem großen, verwilderten Garten auf der Rückseite fingen weite Felder an, nur durch eine dicke Hecke getrennt. In der Ferne sah man den dunkelgrünen Saum eines dichten Waldes, und die Felder standen bereits hoch im Frühsommer.

    Zum ersten Mal in ihrem Leben mussten sich der Junge und das Mädchen kein Zimmer mehr teilen. Beide hatten ihre eigene kleine Kammer, auf gegenüberliegenden Seiten im oberen Stockwerk. Beide Räume hatten jeweils ein kleines Fenster zum Garten, und die schmalen Betten standen unter der Dachschräge. Zwischen den Zimmern lag ein kleines Badezimmer mit gekachelten Wänden. Es war wunderbar – ein eigenes Reich für die Kinder, durch einen niedrigen Flur und eine enge gewundene Treppe getrennt vom Rest des Hauses. Dort gab es das Schlafzimmer von Margaret, ein weiteres Bad, die Küche mit dem Steinboden und der Tür zum Garten, und das kleine Wohnzimmer.

    Überhaupt war das Haus voller Wunder. Es gab einen hohen, rundlichen Kühlschrank, außen aus weißer Emaille; die schwere Tür wurde mit einem großen Chromhebel verschlossen. Und sogar einen eigenen Telefonanschluss! Der Apparat befand sich im Schlafzimmer von Margaret. Es war ein schweres, schwarzes Gerät aus Bakelit mit einem großen Hörer auf der Gabel und weißen Nummern auf der Wählscheibe. So hatten sie noch nie gelebt.

    Sowohl das Mädchen als auch der Junge hatten einen neuen, schmalen Schreibtisch bekommen, zusammen mit einem der hölzernen Küchenstühle aus dem letzten Haus. Der Schreibtisch stand unter dem Fenster, und wenn man sich ein wenig reckte, konnte man hinunter in den Garten, weit über die Hecke und Felder bis hin zum Waldrand in der Ferne schauen.

    Die Kommoden waren eigentlich zu groß für die Zimmer. Es war nicht einfach gewesen, sie die enge Treppe hoch und durch die schmalen Türen zu wuchten. Die Arbeiter hatten geflucht und einen großen Kratzer in die Wand im Treppenhaus gemacht, über den der Vormann sich von Margaret einen ganzen Vortrag hatte anhören müssen. Nun aber stand alles an seinem Platz, und die Kinder konnten ihre Kleider wieder in die jeweiligen Schubladen einsortieren. Als dann auch noch die Bücher wieder aufgestellt waren, gab es nicht mehr viel zu tun. Die Schultaschen hatten sie fertig gepackt selbst getragen – und nun waren sowieso erstmal für lange Zeit Ferien.

    Sophie hatte das kleine Fenster geöffnet und lag auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Feiner Staub flirrte in den Sonnenstrahlen, und die träge, warme Luft von draußen duftete schwer nach dem weißen Flieder im Garten. Alexander saß in seinen kurzen Hosen auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch und kratzte sich an den Beinen. „Warum sind wir ausgerechnet hierher gezogen?, fragte er. „Ich glaube, wir mussten dort weg, sagte Sophie. „Mal wieder", fügte sie ein wenig altklug hinzu.

    Von unten erklang ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Klirren und dann der gewohnten, scharfen Stimme von Margaret. Diesmal wollte das Schimpfen kein Ende nehmen. Wenn man auch die Worte hier oben nicht verstand, so wusste man wohl, dass man nicht in der Haut der Möbelpacker stecken wollte; Erwiderungen waren nicht zu hören.

    „So viele Umstände. Soviel Arbeit. Wer weiß, was diesmal alles kaputt geht. Jedes Jahr das gleiche. Und ich habe unser altes Dorf so gerne gemocht." Alexander öffnete die Schreibtischschublade und schob sie wieder zu. Sie war leer.

    Sophie dachte an die Katze, die manchmal im Schuppen des letzten Hauses geschlafen hatte, und wer ihr jetzt wohl Essen zustecken würde. Sie verscheuchte den Gedanken und versuchte, sich selbst und Alex aufzumuntern. „Aber da hatten wir kein eigenes Zimmer, jeder für uns. Und außerdem gab es nur ein Bad. Und es war kalt. Das neue Haus ist schön."

    „Bilder fehlen, sagt Alexander. Er wusste, dass Sophie recht hatte, aber er hatte schlechte Laune. „Es wäre schön, etwas zu haben, was wir an die Wand hängen können. Wie in einem richtigen Zuhause.

    Sophie fand den Gedanken Quatsch. „Aber wir haben doch ein richtiges Zuhause, Bilder oder nicht. Wir habe uns beide, und das ist ein Haus, und Essen, und Kleider, und Margaret. Und bestimmt gibt es auch hier wieder Schulen und einen Bus, der uns dort hinfährt. Vielleicht bekommen wir sogar die Fahrräder, von denen Margaret gesprochen hat."

    „Alexander! Sophie! – diesmal war es klar zu verstehen, und die Kinder sprangen auf. „Wir kommen! Sie stürmten den engen Gang und die Stiege herunter. Die Treppe endete im Flur mit den Holzdielen, vor der Tür zur Küche. Der Vormann der Möbelmänner stand mit Margaret bei der Eingangstür, und beide hielten einen Stoß Papiere in der Hand.

    „Habt ihr alle Eure Sachen bekommen? Und ausgepackt?, wollte Margaret wissen, ohne von ihren Listen aufzusehen. „Ja, und „Haben wir sagten die Kinder durcheinander, etwas atemlos. „Gut, bemerkte Margaret tonlos, und wandte sich dann an den Vormann.

    „Sie und Ihre Männer haben viele Dinge kaputt gemacht. Mehr, als Sie durften. Der Mann war rot im Gesicht, sagte aber nichts. „Aber weniger als ich von Ihnen erwartet hätte. Sie sah ihn bissig an. „Hier ist etwas Trinkgeld für Sie und die Männer. Wir haben ja in der Mittagspause gesehen, dass Sie gerne trinken." Margaret drückte ihm ein paar Scheine mit den unterschriebenen Papieren zurück in die Hand. Der Vormann schnaufte, deutete eine Art Verbeugung mit einem Kopfnicken an und drehte sich um. Die Tür fiel wohl etwas stärker ins Schloss, als er gewollt hatte. Daher öffnete er sie noch einmal von außen, und schloss sie sanfter ein zweites Mal.

    Margaret drehte sich zu den Kindern um. Sie war wütend, aber ihre Stimme war ruhig. „Ihr könnt jetzt in den Garten gehen, und auch das Dorf erkunden. Ich möchte, dass ihr in einer Stunde wieder hier seid. Ihr werdet mir dann erzählen, was ihr gesehen und mit wem ihr geredet habt."

    Beide nickten mit dem Kopf und sahen sich an. Dann gingen sie zusammen in die Küche und von dort aus durch die offene Tür in den großen Garten hinter dem Haus. Das Gras musste geschnitten werden; wahrscheinlich gab es Werkzeuge in dem Schuppen in der rechten Ecke am Ende. Der verwilderte Flieder war riesig, fast zwei Meter hoch, mit weißen, fingrigen Blüten. Zwei rostige Metallstühle und ein runder Tisch waren wohl früher einmal blau gewesen und standen verloren auf der kleinen Steinterrasse. Die Fenster zu ihren Zimmern waren offen; von hier unten konnte man die weißgestrichene Holzdecke sehen.

    „Viel Arbeit hier. Da weiß ich ja schon, wie meine Ferien aussehen werden, sagte Alex. „Stell‘ dich nicht so an, meinte Sophie, „glaubst Du, Margaret packt das ganze Geschirr und ihre Kleider alleine aus? Außerdem muss das Haus von oben bis unten saubergemacht werden. Und um die Fenster wird es sowieso wieder ein Theater geben. Sie machte eine kurze Pause. „Und wer wäscht Deine Sachen, wenn du dich beim Rasenmähen dreckig machst? Er grinste. „Komm, lass‘ uns sehen, was alles in dem Schuppen da ist. Vielleicht sogar `ne Heckenschere."

    Der Schuppen war größer, als er vom Haus aus erschien. Er war solide gebaut, aber schon alt, und das verwitterte Holz war grau. Das Dach war mit kleinen Schindeln aus Teerpappe bedeckt und hatte die Form eines umgedrehten V. Die Tür war zugehakt, aber es war kein Vorhängeschloss in der Öse. Wie erwartet fanden sie in dem Schuppen einen grünen Hand-Rasenmäher mit rostiger Spindel, eine Forke oder Heugabel mit drei langen Zacken, eine Harke und einen Spaten mit kurzem Holzstiel. In einem ehemals weißen Eimer mit Metallbügel lagen mehrere löchrige Gartenhandschuhe aus rauem Leder. In einer Art Regal gab es Zange, Hammer, flache Schachteln mit Nägeln und ein paar Einweckgläser ohne Deckel, die Schrauben, etwas Draht und allerhand Kleinzeug enthielten. In der Ecke stand noch ein zerfledderter Besen mit einem Kehrblech aus Metall.

    „Na wunderbar!, sagte Alexander. „Dann kann es ja morgen gleich losgehen. Hier ist sogar noch etwas altes Schleifpapier. Damit kriege ich den Rasenmäher wieder hin. – Margaret wird zur Abwechslung mal nichts auszusetzen haben. Sophie war nicht überzeugt. „Das Ding ist doch schon ewig nicht mehr benutzt worden, sagte sie. Der Junge winkte ab. „Das sehen wir morgen. Komm, jetzt schauen wir mal, was es hier sonst so gibt.

    Zwischen der Hecke und dem Haus gab es einen schmalen Weg, der zum Hof nach vorne führte. Die breiten Reifen des Möbelwagens hatte tiefe Spuren im Kies hinterlassen. Wohl beim Umdrehen hatte der Fahrer auch ein paar Äste von dem großen Baum an der Einfahrt abgerissen, die nun am Boden lagen. Sophie und Alexander sammelten die größten davon auf und warfen sie zur Seite. Sie versuchten, den Kies mit ihren Schuhen wieder ein wenig zurechtzuschieben.

    Dann wandten sie sich die Straße herunter; neugierig, wie ihre neue Heimat aussah und wen sie treffen würden.

    2 Das Dorf

    Das Dorf hieß Windmar und hatte bestimmt weniger als fünfzig Häuser, von denen die ältesten um einen kleinen Dorfplatz herum angeordnet waren. Einige der Wege hatten keinen festen Belag. Nur im Dorfkern bestanden die meisten Gassen aus Kopfsteinpflaster, und die Hauptstraße und der Rundweg um den Dorfplatz waren asphaltiert.

    Es gab eine alte Kirche, bei der die Tür abgeschlossen war. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes standen ein kleines Gasthaus mit ein paar Fremdenzimmern und eine Bäckerei. Außerdem zwei andere Ladengeschäfte mit Schaufenstern, von denen eines leer zu stehen schien. Das andere war wohl eine Art Gemischtwarenladen. Auf dem großen Metallschild des Gasthauses war ein Löwe abgebildet, der eine Krone auf dem Kopf trug und einen Krug schäumendes Bier in der Pfote hielt. Im ganzen Dorf gab es nur eine einzige, rote Telefonzelle mit einem Münzfernsprecher. Sie stand neben der Kirche.

    Die meisten Häuser waren alt und hatten manchmal nur ein einziges Stockwerk. Bei vielen der Gebäude konnte man von außen das Fachwerk sehen, und einige der Dächer sahen aus, als ob sie demnächst einstürzen würden. Dabei hielten sie wahrscheinlich schon seit vielen Jahren so. Nur in einem neueren Gebiet an der Ausfallstraße standen ein paar Reihen einförmiger Reihenhäuser,

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