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Atahash
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Ebook578 pages7 hours

Atahash

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About this ebook

Geldnot und nicht etwa der Glaube bringen den Hidalgo Alejandro Quesada im Jahr 1530 dazu, eine Schar Getreuer um sich zu sammeln und in die Neue Welt zu segeln. Unter dem Kommando des Generalcapitán Francesco Pizarro will er gegen die Inka ziehen.
Nach langer Seereise durchkreuzt ein Sturm die Pläne des Adligen. Schwer beschädigt verliert Alejandros Schiff den Anschluss an den Konvoi und muss Kurs auf die rettende Küste nehmen.
Kaum dem Tod auf See entronnen, finden die Spanier Hinweise auf eine verborgene Stadt der Indios im Landesinneren. Getrieben von der Gier nach Gold und religiöser Verblendung ziehen die Eroberer in die Tiefen des Urwalds, ohne zu ahnen, welch namenloses Grauen sie dort erwecken werden...
LanguageDeutsch
PublisherXinXii
Release dateApr 27, 2023
ISBN9783987629686
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    Book preview

    Atahash - Andreas Michels

    Atahash

    Andreas Michels

    Impressum:

    Atahash

    Von Andreas Michels

    Copyright © 2023 Andreas Michels

    Texte: © Copyright by Andreas Michels

    Illustrationen: © Copyright by Andreas Michels

    Lektorat: Gegenstromschwimmer Verlag,

    Tribus Buch & Kunstverlag

    Coverdesign: Verena Valmont

    Bildmaterial: Pixabay, Canva, Shutterstock

    Layout: Verena Valmont

    Besuchen Sie den Autor auf: https://traumwelten.org/

    Kontakt: info@traumwelten.org

    ISBN: 978-3-98762-968-6

    Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

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    Inhalt

    Impressum

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    27. Kapitel

    28. Kapitel

    29. Kapitel

    30. Kapitel

    31. Kapitel

    32. Kapitel

    33. Kapitel

    34. Kapitel

    35. Kapitel

    36. Kapitel

    37. Kapitel

    Epilog

    Nachwort

    Glossar

    Über den Autor

    1. Kapitel

    Sangre de Dios, 1530 a.D.

    Die türkise Farbe der Karibischen See hatte sich in eisiges Grau verwandelt, welches in unablässigen Brechern gegen den Bug der Sangre de Dios donnerte. Fünf Tage stampfte die alte Karacke nun schon durch die sturmgepeitschte See, fuhr hinab in tiefe Wellentäler, nur um alsbald aus ihnen wieder emporgerissen zu werden.

    An Deck trotzte, abgesehen von zwei Rudergängern und einigen Matrosen, die Wacht über die Sturmsegel hielten, nur ein einzelner Mann dem Wüten des Orkans. Von den verzweifelt arbeitenden Seeleuten ignoriert, stand er im Bug des Schiffes, krallte sich mit beiden Händen an Tauen fest und starrte auf die rasende See hinaus. Lange hatte die Gischt ihm die vornehme Blässe aus dem Gesicht gepeitscht und ihn bis auf die Knochen durchnässt. Doch ungeachtet der Kälte, die seinen Körper schüttelte, harrte der Hidalgo aus.

    Ununterbrochen suchten die tränenden Augen Don Alejandro Quesadas die Kimm ab, ohne jedoch zwischen den Wellenbergen eines der anderen Schiffe des auseinandergedrifteten Konvois ausmachen zu können, zu dem die Sangre de Dios bis vor kurzem gehört hatte. Seit drei Sturmtagen fehlte von den Karacken der kleinen Flotte unter dem Kommando von Generalcapitán Francisco Pizarro jede Spur.

    Ständig gewann der Wind an Stärke und hatte gestern unter den Seeleuten ein erstes Opfer gefordert. Mit Grauen dachte Alejandro an den gellenden Schrei des Mannes bei dessen Sturz aus den Wanten hinab in die tobende See. Allmählich begann er sich die Frage zu stellen, wann der Rest der Besatzung, ihn eingeschlossen, dem unglücklichen Matrosen nachfolgen würde.

    Ein lautes Rufen riss den Hidalgo schließlich aus seinen düsteren Gedanken und ließ ihn herumfahren. Vor ihm stand der Schiffsjunge, ein Elfjähriger mit einer Menge maurischen Blutes in den Adern. Der Knabe musste brüllen, um sich mit ihm verständigen zu können. »Don Alejandro, der Capitán wünscht, Euch zu sprechen, es ist dringend!« Die Antwort des Hidalgos bestand aus einem knappen Nicken und im Anschluss aus einem harschen Winken, mit dem er den Jungen davon scheuchte. Schweigend verfolgte er den lebensgefährlichen Rückweg des Knaben zum nächsten Schott, den er nur mithilfe der angebrachten Strecktaue bewältigen konnte.

    Erst als er in der relativen Sicherheit des Unterdecks verschwand, wandte sich Alejandro wieder der wütenden See zu, um erneut in finsteren Gedanken zu versinken und mit seinem Schicksal zu hadern.

    Einige Minuten später wandte er sich mit einem Ruck ab und griff wie der Schiffsjunge zuvor in die Strecktaue, um sich mühevoll nach Achtern vorzuarbeiten. Als er schließlich das Heck der Karacke erreichte, zitterte er am ganzen Leib und duckte sich mit keuchendem Atem unter Deck.

    Er fand Capitán Mendoza in seiner Kajüte vor, wo er sich soeben im flackernden Licht einer Talglaterne über eine Seekarte beugte. Wie auch Alejandro selbst, war der Kommandant des Schiffs bis auf die Haut durchnässt, was ihm aber nicht viel auszumachen schien. Der Raum mutete kalt und klamm an wie in einer nassen Höhle. Unwillkürlich schauderte der Hidalgo und musste ob des dichten Qualms, den die Talglampe als einzige Lichtquelle im Raum abgab, mehrfach husten.

    Hierauf hob sich der Kopf des Seemanns vor ihm. Er deutete eine knappe Verbeugung an, nachdem er erkannt hatte, wer sich nun mit ihm in der Kajüte befand. »Don Alejandro, ich will es kurz machen! Auf dem gegenwärtigen Kurs ist es mir unmöglich, weiterhin für das Schiff zu garantieren. Der Sturm gewinnt weiter an Stärke und wir nehmen stündlich mehr Wasser über. Gott allein weiß, wie lange die Masten noch halten!« Alejandro konnte den Mann vor sich nur schweigend ansehen, während er versuchte, die Ruhe zu bewahren. Für einen Moment fürchtete er absurderweise, dass der Capitán das Zittern seines frierenden Leibs als Furcht auslegte. Schon, weil er damit noch gar nicht mal so falsch lag.

    Da eine Antwort ausblieb, sprach Mendoza sogleich weiter. »Ich sehe nur einen Weg, um das Schiff zu retten: Eine Kursänderung in Richtung Süden wird uns Erleichterung verschaffen! Und so Gott will, werden wir die Küste erreichen, bevor uns die Masten brechen.« Die Hoffnung sprach deutlich aus den müden Augen des Capitáns, doch klang er gleichzeitig, als ob er mit einem begriffsstutzigen Kind redete.

    Immer noch schweigend atmete Alejandro tief durch. Eine Kursänderung bedeutete das definitive Ende seiner ehrgeizigen Pläne! Pizarro hatte vor ihrer Abreise in Cádiz klargemacht, dass er ohne Rast nach Panama und dann von dort aus auf dem Landweg gen Südwesten weiterreisen würde. Eine Weile drang nur das Heulen des Sturms durch die Kajüte, bevor Alejandro den Kopf schüttelte und eine Antwort förmlich herauspressen musste. »Ausgeschlossen, Capitán!« Ohne abzuwarten, wandte er sich hastig ab und warf im Gehen die Kajütentür hinter sich zu.

    Seine Flucht führte ihn in Richtung Bug, denn den Komfort einer eigenen Kabine konnte noch nicht einmal Alejandro auf dem rein auf Frachttransport ausgelegtem Schiff in Anspruch nehmen. Mit einem dicken Kloß im Hals stieg er die schmale Steigleiter in den Frachtraum hinab, wo sich die Konquistadoren mehr schlecht als recht mit Hängematten eingerichtet hatten. Im Schein zweier flackernder Laternen wirkten die Männer wie eine zusammengepferchte Viehherde, zwischen der nicht festgezurrte Ausrüstung bei jedem Rollen des Schiffes herum kugelte. Unwillkürlich rümpfte Alejandro die Nase, als ihm die schon altbekannte Duftmischung aus ungewaschenen Leibern, Qualm, Viehgestank und Erbrochenem entgegenkam.

    Wohin er auch sah, erblickte er bleiche Gesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen, die ihn mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung anstarrten. Sicherlich hofften seine Gefolgsleute, etwas Aufmunterndes von ihm zu hören, doch wollte ihm nichts in den Sinn kommen. Mit zusammengebissenen Zähnen schwankte der Adlige durch den Laderaum und wurde auf halbem Weg von einem von oben kommendem Schwall Wasser erneut durchnässt, der durch ein undichtes Oberlicht hereinkam. Mit äußerlich zur Schau gestelltem Gleichmut ertrug er die eisige Kälte, bis er endlich den Bug erreichte. Dort hatten sich Alejandro und die beiden anderen Hidalgos auf diesem Schiff einen Bereich durch eine Plane abgeteilt. Kaum fiel sie hinter ihm herab an ihren Platz, da sank der Spanier mit einem erleichterten Seufzen auf seine Hängematte, schlang die Arme um den Oberkörper und schloss die Augen.

    Ihm war immer klar gewesen, dass er als Viertgeborener keine großartige Erbschaft erwarten konnte, sah man vom Titel eines Hidalgo de Sangre, dem damit verbundenen guten Leumund und etlichen Dublonen ab. Statt aber den durchaus wohlmeinenden Ratschlägen des Vaters zu folgen, hatte er sich lieber dem Wein und dem Weibsvolk gewidmet.

    Ein Weg in die Gosse schien ihm nach einigen Monaten der gedankenlosen Verschwendung vorgezeichnet zu sein, wäre er nicht dem Werber des Generalcapitáns in die Arme gelaufen, der wagemutige Männer von Stande wie ihn suchte. Damals klang es einfach zu verlockend. Eine Expedition unter der Führung von Francisco Pizarro höchstpersönlich in einen bis dato unbekannten Teil der Neuen Welt, bei der es Gold und Ruhm für jeden Teilnehmer in Massen geben sollte. Alejandro investierte, ohne lange zu überlegen, sein verbliebenes Vermögen und verschuldete sich darüber hinaus zu unverfrorenen Zinsen bis über beide Ohren. Die mit diesem Geld aufgestellte Einheit hätte ihm einen ordentlichen Anteil am erzielten Gewinn der Unternehmung gebracht. Doch nun schien es, als ob ein verdammter Sturm all seine Träume zerschlug, ohne dass er auch nur die Chance bekam, gegen die Heiden zu ziehen...

    Erst mit deutlicher Verzögerung wurde er sich der ungeteilten Aufmerksamkeit der beiden anderen Anwesenden bewusst und öffnete langsam die Augen, um seine Offiziere zu mustern. Philippe entstammte, wie er selbst, der Familie eines Granden. Ciscos Abstammung dagegen wies auch im besten Licht betrachtet wenig Glanzvolles auf. Doch umso glorreicher mussten die Taten des älteren Kämpens während der Reconquista gewesen sein, denn nur so ließ sich eine Erhebung in den Adelsstand erklären. Aber auch in Sachen Erscheinungsbild gab es merkliche Unterschiede. Don Cisco wies die breiten Schultern und harte Hände eines Mannes auf, der mittlerweile jahrzehntelang dem Kriegshandwerk nachging. Bart und Schläfen des Hidalgos zierte bereits das Grau des Alters. Philippe dagegen wies eine eher zierliche Statur auf und war mit einem ausnehmend hübschen Gesicht gesegnet, dessen helle Haut fast schon an schimmerndes Porzellan erinnerte.

    Mit schreckgeweiteten Augen starrte ihn der Jüngling an. »Wie sieht es aus? Wird es bald besser?« Noch bevor Alejandro den Mund öffnen konnte, kam aus Cisco´s Richtung ein verächtliches Schnauben. Dieser lag auf seiner Hängematte ausgestreckt und ließ ein Bein lässig über den Rand hängen. »Unser junger Freund hier hat nichts mehr im Magen, um die Fische zu füttern, musst du wissen!«

    Philippe setzte sichtlich erbost zu einer Antwort an, doch schaffte Alejandro es, ihn mit einer harsch erhobenen Hand zur Räson zu bringen.

    Schon seit dem Ablegen gab es zwischen beiden Hidalgos Querelen, die einen beständigen Quell von Ärger für ihn darstellten. Für gewöhnlich ließ er sie gewähren, nun aber widerte ihn das Gehabe der beiden nur an. »Ruhe, verdammt noch mal!«, rief er und versuchte gleichzeitig, seine Gedanken zu ordnen. Die Kälte machte es ihm schwer zu denken. Ehe er jedoch versöhnliche Worte fand, zog sich Philippe unvermittelt auf die Beine und stolperte würgend aus dem Verschlag.

    Perplex sah Alejandro ihm hinterher, bis Ciscos gebrummter Bass an sein Ohr drang. »Wie schlimm ist es?« Erst nach energischem Räuspern gelang es dem Hidalgo, eine Antwort zustande zu bringen, so schnürte es ihm den Hals zu. »Der Sturm nimmt zu, Mendoza will gen Süden abdrehen« Das wettergegerbtes Gesicht seines Gegenübers verdüsterte sich für einen Augenblick, bevor er nickte. »Ist wahrscheinlich die beste Lösung. Ich mag nicht viel von Seefahrt verstehen, aber falls wir entmastet werden, hilft uns nur noch beten.« Alejandro wollte schon auffahren, jedoch kam ihm Cisco mit abwehrend erhobener Hand zuvor. »Ich weiß, was das bedeutet! Doch selbst wenn der verehrte Padre Miguel anderer Meinung ist, können die Indios noch etwas auf ihre Bekehrung warten. Dafür müssen wir es nämlich erst einmal lebend in die Neue Welt schaffen!« Kurz hielt Alejandro dem Blick seines Gegenübers stand, bevor er den Kopf senkte und sich mit zitternder Hand durchs nasse Haar fuhr. »Damit verlieren wir gemäß den Statuten der Capitulación jeden Anspruch auf einen Anteil an Pizarros Expedition!«

    Abermals schnaubte der alte Hidalgo. »Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn wir diesen Hexentanz überlebt haben!« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und vergiss nicht: Pizarro ist in genau denselben Sturm geraten! Möglicherweise finden wir ihn und den Rest der Expedition an der Küste!«

    Wortlos sah Alejandro Cisco an, derweil um sie herum das Schiff ächzte und knarrte, als wollte es jeden Moment auseinanderbrechen. Täuschte er sich oder nahm der Sturm auch jetzt noch weiter an Kraft zu? Vernunft, Angst und Stolz trugen in ihm einen wilden Kampf aus. Konnte man ihm eine Meinungsänderung so kurz nach seiner Absage nicht als ein Zeichen von Schwäche auslegen? Und was würden die Männer sagen? Nun lag es an Alejandro, zu schnauben. Wahrscheinlich recht wenig, wenn er bedachte, wie dieser ängstliche Hühnerhaufen sich im Laderaum zusammenkauerte.

    Allesamt Hafenarbeiter, Bauern, Tagelöhner, die für das Versprechen von Reichtümern ihr Kreuz gemacht hatten.

    Schließlich fällte er eine Entscheidung und erwog noch kurz auf Philippes Rückkehr zu warten, um sie mit ihm zu besprechen. Aber zum einen schien dieser sowieso ganz unstandesgemäß die Hosen voll zu haben und zum anderen oblag Alejandro als Hauptzahlendem letztlich die Befehlsgewalt. Also setzte er sich auf und rief Paco. Sein Diener erschien nach einer, für ihn ungewöhnlich langen Wartezeit, um mit sichtlich blassem Gesicht Anweisungen zu erwarten. Alejandro reckte forsch das Kinn vor und überging wissentlich den erbärmlichen Zustand des jungen Lakaien. »Paco, werde beim Capitán vorstellig und richte ihm aus, dass er den Kurs ändern kann, wenn er dies zur Rettung des Schiffes für unbedingt notwendig erachtet!« Die Antwort des Dieners bestand aus einem eiligen Kratzfuß, gefolgt von einem hastigen Abgang. Reglos sah Alejandro ihm nach, bevor Kälte und Übermüdung ihren Tribut zu fordern begannen und der Hidalgo alsbald hintenüber auf sein Lager sank, um in einen unruhigen, von Albträumen geschüttelten Schlaf zu fallen.

    2. Kapitel

    Auf hoher See

    Drei Tage waren seit der Kursänderung der Sangre de Dios vergangen. Zwar verschaffte der neue Südkurs dem Schiff nahezu augenblicklich Erleichterung, dennoch musste die Besatzung der Karacke bis an den Rand der totalen Erschöpfung schuften, um das Schlimmste zu verhindern. Alejandro konnte nicht sagen, ob es an Mendozas meisterlicher Seemannschaft oder schlicht an einer Intervention Gottes lag, doch sie überstanden das Unwetter ohne weitere Verluste an Menschenleben. Auch jetzt noch standen unheilverkündende Wolken am Himmel, aber der Sturm verlor zusehends an Kraft.

    Umso deutlicher offenbarte sich nun das Chaos, welches am Oberdeck herrschte. Teile der losgerissenen Takelage hingen in Fetzen bis zum Deck hinab, wo zertrümmerte Geräte nahezu jeden freien Fleck bedeckte. Die übermüdeten Matrosen begannen mit den Aufräumarbeiten, doch einige der Schäden konnten auf See nicht behoben werden, wie Alejandro vermutete.

    Er stand wieder an seinem Beobachtungsposten im Bug und hielt Ausschau nach den anderen Schiffen des Konvois. Auch wenn der Ausguck im Krähennest hoch über ihm sicherlich weitaus früher etwas entdecken würde, so beruhigte es ihn ungemein auf die aufgewühlte See hinauszublicken. Im Stillen dankte der Adlige dem Herrgott für die Rettung, während er gleichzeitig bereits an die Zukunft dachte. Die Entscheidung, den Kurs zu ändern, mochte ihnen allen das Leben gerettet haben, aber nun stand der Ausgang dieser Expedition auf Messers Schneide, noch bevor sie richtig begonnen hatte.

    Seufzend wandte sich Alejandro von der See ab, um stattdessen den Blick über das Deck der Sangre de Dios schweifen zu lassen. Überall arbeiteten Matrosen und erzeugten dabei einen Heidenlärm.

    Auf dem Achterkastell konnte er den Navigator des Schiffs ausmachen, der dort mit sauertöpfischer Miene mit seinem Jakobsstab herumhantierte. Offensichtlich gab es ob der Wolkendecke nichts für ihn zum Anpeilen, sodass ihre aktuelle Position immer noch ein Mysterium blieb, was ebenfalls nur wenig zu einer verbesserten Laune Alejandros beitrug.

    Verbittert versuchte er, Trost im endlosen Rauschen der Wellen zu finden, doch wurden seine düsteren Gedankengänge alsbald von Señor Luengo unterbrochen, der sich von der Seite an ihn heranpirschte. Nur mit Mühe konnte Alejandro eine gleichgültige Miene beibehalten, denn der Beamte widerte ihn schon seit ihrem ersten Zusammentreffen in Cádiz zutiefst an. Und wahrlich lag es nicht nur daran, dass Luengo im Dienst der Casa de Contratación stand. Seine Aufgabe bestand als königlicher Escribano darin, jede gemachte Beute der Expedition akribisch aufzuzeichnen, um später der spanischen Krone ihren fünften Teil sicherzustellen.

    Doch selbst wenn man davon absah, mochte Alejandro den Beamten nicht einmal mit einer Schmiedezange anfassen! Der Mann erinnerte ihn an eine Ratte, so wie seine kleinen Äuglein hin und her huschten, scheinbar stets auf der Suche nach irgendetwas Interessantem. Die hohe, quietschende Stimme Luengos trug ein Übriges dazu bei, diesen Eindruck des Hidalgos noch zu verstärken.

    Alejandro stellte mit innerer Genugtuung fest, dass Luengo einen Verband um die linke Hand trug. Dort zeigte sich ein etwa münzgroßer Fleck aus getrocknetem Blut. »Señor, ich benötige einen Augenblick Eurer geschätzten Zeit«, schnarrte ihn der Schreiber grußlos an. Statt zu antworten, betrachtete Alejandro zunächst eine Weile die kabbelige See, bevor er ihn ansah. »Ihr hattet Pech, wie ich sehe?«

    Der deutlich kleinere Mann presste die dünnen Lippen zusammen und kratzte unwirsch an dem Verband herum. »Ja, ich habe den Halt verloren und wurde durch den Frachtraum geschleudert. Der Metzger, denn sie hier einen Schiffsarzt nennen, hat sich die Wunde angesehen. Ist bald wieder in Ordnung!« Schon als der Schreiber zu sprechen begann, wandte Alejandro sich erneut der See zu. Ein weiteres Mal suchte er die Kimm nach Segeln ab und nickte dabei geistesabwesend. Luengo würde ihm eh nicht von der Pelle rücken, bevor er seine Antworten bekam. »Freut mich zu hören!« Kurz atmete er durch. »Was kann ich für Euch tun?« Der quengelnde Tonfall des Beamten machte klar, wie wenig es ihm behagte, sich mit dem Rücken Alejandros unterhalten zu müssen. Nun räusperte er sich vernehmlich und musste schließlich sogar die Stimme heben, um gegen eine neuerliche Böe anzurufen, wie der Hidalgo mit diebischer Freude feststellte. »Nun, mich verlangt es zu erfahren, wie es von nun an weitergehen wird. Wir haben den Anschluss an den Konvoi des Generalcapitáns verloren. Wie Ihr wisst, ist er der Vertragshalter mit der Casa de Contratación und somit Oberhaupt der Expedition. Eine Unternehmung auf eigene Faust ist keinesfalls vorgesehen!« Glücklicherweise konnte er Alejandros Gesicht nicht sehen. Dessen Kiefermuskeln traten deutlich hervor, genau wie auch alle Farbe aus der Hand wich, die sich immer fester um das Halteseil zu seiner Rechten legte. Was bildete sich dieser Kerl ein? Allein schon der Tonfall, in dem er es wagte, mit ihm zu reden, stellte eine unwahrscheinliche Beleidigung dar. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte ein Schreiberling ein solches Verhalten rasch bereut. Hier stand er als Vertreter der Krone allerdings am längeren Hebel. Also atmete Alejandro innerlich durch und antwortete, ohne dabei den Beamten anzusehen. »Ihr kommt wie immer schnell zum Punkt! Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich weiß es noch nicht! Wie Euch bereits aufgefallen sein sollte, sind wir nur knapp dem Sturm entkommen, gepriesen sei der Herr!«

    Alejandro bekreuzigte sich mit der freien Hand, bevor er weitersprach. »Wir brauchen Zeit für Reparaturen und wie mir Capitán Mendoza vorhin mitteilte, benötigen wir auch dringend frisches Trinkwasser. Es sind viele Wasserfässer zu Bruch gegangen. Also segeln wir bis auf weiteres gen Südwesten, wo wir in drei bis vier Tagen Land sichten sollten. Wie es danach weitergeht, wird sich zeigen!«

    Er konnte den forschenden Blick des Escribanos förmlich im Rücken spüren, als dieser antwortete. »Sehr wohl! Das war auch schon alles, was ich wissen wollte. Mit Eurer gütigen Erlaubnis werde ich mich nun zurückziehen«

    Mit einem unwirschen Winken verscheuchte Alejandro den Schreiber, um wenigstens eine Zeitlang wieder seine Ruhe zu haben. Später am Tag stand ein Gottesdienst für den ertrunkenen Seemann an. Vielleicht gab es bis dahin genauere Informationen über das wahre Ausmaß der Schäden, das sich bisher immer noch nicht abschätzen ließ. Auf Mendozas Bitte hin hatte Alejandro einige Leute den Reparaturtrupps zugeteilt, auch wenn die unerfahrenen Männer nur bedingt eine Hilfe für die Matrosen darstellten. Anpacken konnten sie aber allemal bei den schweren Arbeiten und kamen dabei sogar noch auf andere Gedanken.

    Derweil er seine Suche entlang der Kimm wieder aufnahm, lauschte der Adlige mit halbem Ohr dem Radau der Instandsetzungsarbeiten. Ein Trupp klarte gerade fluchend mit Äxten und Taumessern die Takelage auf, während eine andere Arbeitsgruppe bereits ein neues Segel für den, in Mitleidenschaft gezogenen, Fockmast vorzubereiten begannen.

    Schwere Schritte kündeten bald eine erneute Störung an. Mit einer knappen Drehung des Kopfes erkannte Alejandro dieses Mal Don Cisco. Der Hidalgo griff wortlos nach einem straff gespannten Tau und zog sich mit einem angestrengten Brummen zu ihm nach oben auf den Vorbau des Bugs.

    Fürs Erste sah er ebenfalls schweigend auf die See hinaus und eröffnete dann das Gespräch in beiläufigem Tonfall, während die Augen Ciscos immer noch die Kimm absuchten. »Die Leute sind rastlos! Sie fragen, wie es weitergeht«, raunte ihm sein Untergebener zu. Auch Cisco selbst schien dieses Thema zu beschäftigen, wie Alejandro durch einen prüfenden Seitenblick erkannte. Das wettergegerbte Gesicht des Mannes neben ihm zeigte keine Regung und dennoch konnte man eine gewisse Unruhe aus seiner Mimik herauslesen. Wenig verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie beide einen Großteil ihrer vergleichsweise bescheidenen Mittel in dieses Unternehmen gesteckt hatten. Eine Rückkehr mit leeren Händen in die Heimat käme also einer Katastrophe gleich.

    Alejandro rang sich ein Lächeln ab. »Uns bleibt wenig anderes übrig, als auf Gott zu vertrauen. Wir sind hierhergekommen, um sein Wort zu verbreiten. Er wird uns nicht vergessen!« Die Tatsache, dass allein auf diesem Schiff achtzig kampffähige Passagiere reisten, aber nur ein geweihter Priester, mochte Alejandros Aussage ziemlich verwässern. Dennoch nickte Cisco. »Wenigstens gibt es bald etwas Anständiges zu beißen!« Auf einen fragenden Blick Alejandros hin spuckte sein Offizier in die See. »Eines der Maultiere hat sich ein Bein gebrochen. Wir werden es erlösen müssen...«

    Einige Stunden später kam die See vollends zur Ruhe und ein deutlich wahrnehmbarer Bratenduft zog durch das Schiff. Je stärker die Besatzung diesen vernahm, desto weiter stieg ihre Laune. Zwar würde für jedes Besatzungsmitglied letztlich nur ein kleiner Brocken übrigbleiben, aber dennoch freuten sich die Männer wie Kinder auf das Abendmahl. Manch einer mochte deswegen wohl auch der auf dem Oberdeck abgehaltenen Messe nur schwerlich den gebührenden Respekt zollen, denn der von der Seebrise bald verwehte Weihrauchduft konnte kaum den Essensgeruch überdecken, den der Wind herantrug. Da die Kochstelle des Schiffes nicht einmal im Ansatz für so viel Fleisch ausreichte, wurde kurzerhand die kleine Schiffsschmiede ebenfalls mit belegt. Schließlich war es so weit und die Essensausgabe stand an. Don Alejandro verfolgte das ganze Durcheinander seit der Schlachtung des Maultiers mit einer Mischung aus Resignation und Erheiterung. Auch wenn er sich für die Männer freute, so konnte er nicht sagen, ob er schon jemals ein dermaßen zähes Stück Fleisch gegessen hatte. Egal wie energisch er darauf herumkaute, es behielt hartnäckig die Konsistenz von Leder.

    Zusammen mit Philippe und Cisco speiste er mit dem Capitán in dessen Kajüte an einem viel zu kleinem Tisch. Für die Herrschaften hatte der Koch zu dem Fleisch eine Sauce improvisiert, dazu gab es gewässertes Brot und einen sehr süßen Madeira. Zu Hause würde Alejandro dergleichen wohl verschmähen, hier jedoch kam das Essen trotz dem widerspenstigen Fleisch einem Festmahl gleich, gab es doch in den letzten Wochen vor allem Hartbrot, Stockfisch und Pökelfleisch zu essen! Mendoza ließ zur Feier des Tages eine Ration Wein an die Männer ausgeben, was sie erwartungsgemäß mit begeistertem Gebrüll und Hoch-Rufen quittierten. Nach dem Schrecken des Sturms bettelten sie förmlich um etwas Zerstreuung. Noch während in der Capitánskajüte gespeist wurde, ertönten bereits auf dem Oberdeck die ersten zotigen Lieder. Das Deck der Sangre de Dios vibrierte unter dem Takt, den dutzende Füße dazu stampften.

    Nach Beendigung des Mahls lag es an ihrem Gastgeber, das Gespräch zu eröffnen. Mendoza schenkte den Dons erneut ein, lehnte sich dann zurück und faltete die Hände vor dem Bauch. »Señores, ich danke Ihnen für die Ehre Ihrer Gesellschaft an diesem Abend. Ich denke, es ist naheliegend, dass wir uns über einige Dinge klar werden müssen! Denn auch wenn ich die Männer feiern lasse, haben wir dazu eigentlich keinen Grund. Das Schiff ist schwerer beschädigt, als es den Anschein hat.« Kurz tauschte Alejandro Blicke mit Cisco und Philippe, während Mendoza schon weitersprach.

    »Die zu Bruch gegangene Takelage können wir erneuern, auch das Segel ist bald gänzlich ersetzt. Allerdings hat der Rumpf wohl einiges an Schaden genommen, wir nehmen beständig Wasser über. Die Pumpen bleiben ab sofort besetzt. Und am Hauptmast wurden Risse festgestellt. Er wird keinen weiteren Sturm überstehen.« Der ernste Tonfall des Capitáns stand in deutlichem Widerspruch zu den heiteren Gesängen der Mannschaft vom Oberdeck. Don Cisco runzelte die Stirn. »Risse? Also war der Mast kurz vor dem Brechen?«

    Capitán Mendoza setzte seinen Becher ab und nickte. »Wahrscheinlich, ja.« Schweigen herrschte in der Kajüte, als sich Alejandro, aber wohl auch alle anderen im Raum ausmalten, was der Verlust des Hauptmasts in diesem Sturm bedeutet hätte. Sein Gastgeber sprach schließlich weiter. »Hinzu kommen Schäden an der Ruderanlage, die jedoch reparierbar sind. Am schlimmsten allerdings sind die undichten Planken im Rumpf. Das Schiff wird über kurz oder lang sinken, wenn wir nicht vorher einen Hafen erreichen!«

    Alejandro legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und musterte den Capitán eindringlich. »Also haben sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Wie sieht es mit Trinkwasser aus?« Auch die anderen Hidalgos neben ihm lauschten gespannt. Philippe kaute dabei wie ein kleiner Junge auf den Lippen herum. Mendoza nahm einen weiteren Schluck Wein, bevor er antwortete. »Sagen wir es so: Wir werden wahrscheinlich eher ertrinken, als das uns das Wasser ausgeht, Señores!«

    Zum ersten Mal an diesem Abend ergriff Don Philippe das Wort. »Ich habe mir die Karten der Küstenregion angesehen. Warum segeln wir bis zur Küste und werfen nicht schon vor einer der Inseln dort Anker?« Alejandro fühlte sich durch seinen Tonfall an einen naseweisen Schuljungen erinnert, der mit seiner Erkenntnis einen allwissenden Lehrer auszustechen versuchte. Doch antwortete Cisco anstatt des Capitáns. »Weil diese kleinen Paradiese zum einen teilweise sehr unfreundliche Bewohner haben, die eine halbe Portion wie Euch aufgefressen haben, bevor Ihr auch nur »Maria, Mutter Gottes, hilf!« rufen könnt. Und zum anderen sind an der Küste die Chancen deutlich besser, Quellen und Baumaterial zu finden!« Mendoza hob zunächst sichtlich überrascht die Brauen, nickte dann jedoch zur Bestätigung von Ciscos Worten, während Philippe jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. »Don Cisco«, fauchte er, »Ich rate Euch zum letzten Mal, auf Eure Zunge besser achtzugeben, falls Ihr sie behalten wollt!« Der ältere Hidalgo nahm statt einer Antwort ungerührt einen Schluck Wein und sah zu Mendoza. »Wenn ich mich richtig entsinne, gibt es in der Gegend einige Kolonien der Deutschen, oder?«

    Abermals nickte der Capitán und fuhr sich mit der Hand über seinen mächtigen Schnauzbart. »Das Haus der Welser hat dort Plantagen an der Küste! Ich hoffe, bei ihnen die notwendigsten Reparaturen ausführen zu können.« Kurz musterte er Philippe, der immer noch hocherhobenen Hauptes Cisco anstarrte. Dieser hielt sich jedoch in aller Ruhe an seinem Becher fest und sah ungerührt zu Mendoza.

    Um den Streit nicht weiter eskalieren zu lassen, ergriff Alejandro das Wort und wechselte das Thema. »Gesetzten Falles, uns gelingen die Reparaturen, wie geht es im Anschluss weiter? Ich denke, eine Rückkehr nach Spanien steht außer Frage!« Sowohl Philippe, der sich nun wieder setzte, als auch Cisco nickten nachdrücklich. Letzterer antwortete schließlich. »Ich meine, wir fahren mit dieser Unternehmung zunächst fort wie geplant. Wir segeln gen Nombre de Dios, wo wir auf jeden Fall die geladenen Waren verkaufen sollten.« Der alte Hidalgo lächelte dünn. »Immerhin wird das schon etwas Gewinn einbringen. Und dort werden wir am ehesten die Spur des Generalcapitáns wieder aufnehmen können.«

    Mendoza nickte nachdrücklich. »Ich stimme zu, auch wenn es für eine endgültige Entscheidung noch zu früh ist. Aber ich weiß, wie sehr Euch dieser Schuh drückt, Señores!« Seufzend fuhr sich Alejandro mit einer Hand durch den Bart. »Nun gut, dann auf zu den Deutschen!«

    3. Kapitel

    An der Küste der Neuen Welt

    Es dauerte drei weitere Tage, bis Alejandro den erlösenden Ruf des Ausgucks vernahm. Schon bevor das laut gerufene »Land in Sicht, Steuerbord voraus!« zum zweiten Mal ertönte, eilten Mannschaft und Passagiere der Karacke gleichermaßen an die Reling. Sie alle schirmten die Augen mit den Händen vor der Sonne ab und spähten angestrengt auf die See hinaus.

    Alejandro befand sich ebenfalls unter den Neugierigen. Aber so sehr der Hidalgo die Kimm auch absuchte, konnte er zunächst noch nichts erkennen. Erst eine ganze Weile später zeichnete sich am Horizont eine dunkle Linie ab, welche nun aber schnell an Höhe gewann. Neben ihm plapperte der hinzugeeilte Luengo permanent auf ihn ein, doch Alejandro kümmerte es wenig, zu sehr nahm ihn der Anblick gefangen. Wie oft hatte er sich diesen Augenblick ausgemalt und in Gedanken auf dem Achterdeck gestanden, während die Sangre de Dios in einen der Koloniehäfen des spanischen Imperiums einlief. Aber stattdessen krochen sie förmlich auf Ellenbogen und Knien auf die Küste zu und konnten nur auf die Hilfsbereitschaft der Deutschen hoffen. Und selbst dafür musste eine entsprechende Plantage mit passender Hafenanlage erst einmal gefunden werden. Etwa die Hälfte der Welser-Niederlassungen verfügte laut Mendoza auch über zumindest grundlegende Werftanlagen für Reparaturarbeiten. Also lag immer noch alles in Gottes Händen!

    Aber jetzt würden sie wenigstens nicht ertrinken müssen, denn an die Küste konnten sie es schlimmsten Falles allemal schaffen. Wobei der Gedanke, in dieser gottverlassenen Gegend ohne nennenswerte Ausrüstung zu stranden, Alejandro nur wenig behagte. Dafür kannte er zu viele Geschichten über Menschenfresser und allerlei monströses Getier, die nie gut endeten. Selbst wenn er eine gehörige Portion Seemannsgarn von dem Gehörten abzog, blieb genug übrig, um ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunterzujagen.

    Lautes Geschrei des Bootsmanns riss ihn aus seinen Gedanken. Um Alejandro herum standen noch etwa ein Dutzend Matrosen, die augenblicklich ihre Beine in die Hand nahmen und sich wieder an ihre jeweilige Arbeit machten. Die Knute des Mannes wurde gemeinhin gefürchtet und auch jetzt schwang er sie freigiebig.

    Gott sei Dank schien inzwischen Luengo begriffen zu haben, dass Alejandro gerade nichts an einer Konversation lag, denn er zog sich endlich zurück. Etwa zeitgleich machte der Hidalgo eine kleine Gruppe auf dem Achterkastell aus, die dort heftig gestikulierend diskutierte. Er konnte neben Mendoza noch den Navigator und einen der Steuermänner erkennen. Die Diskussion dauerte einige Minuten an, bis der Capitán mit einer harschen Geste rigoros einen Schlussstrich zog. Der Navigator stampfte mit hochrotem Kopf unter Deck, während der Steuermann zurück an den Kolderstock trat und ihn mit aller Kraft gen Steuerbord drückte.

    Schwerfällig neigte sich die Karacke daraufhin zur Seite. Alejandro verfolgte mit gerunzelter Stirn das Manöver, blieb jedoch im Bug stehen. Bald segelte die Sangre de Dios auf Parallelkurs zur Küste entlang. Der neue Kurs würde sie gen Nordwesten führen, wenn er richtig lag. Erneut sah er zum Festland hinüber. Inzwischen zeigte sich dort ein heller Streifen Sand vor einem grünen Streifen Urwald, der kein Ende zu nehmen schien. Der Hidalgo konnte nur erahnen, was es für einen Arbeitsaufwand bedeuten musste, an so einem Flecken die Fläche für eine Siedlung und die dazugehörigen Felder zu roden.

    Jemand trat neben Alejandro. Als er den Kopf zur Seite drehte, stand dort Mendoza, der eben ein Fernrohr ans Auge hob. Gespannt studierte der Hidalgo das Minenspiel des Capitáns und sah selbst immer wieder zur Küste hin. Schließlich setzte der Seemann das Fernrohr ab, um es in sich zusammen zu schieben. Sein Blick blieb stoisch auf den Strand gerichtet, als er betont leise zu sprechen begann. »Uns bleibt kaum noch Zeit. Wir nehmen ständig mehr Wasser über. Merkt Ihr, wie sie bereits schwerfälliger wird?«

    Alejandro brauchte einen Augenblick, um diese Worte sacken zu lassen. Er verschränkte wortlos die Arme hinter dem Rücken und konzentrierte sich auf die Bewegungen des Schiffes, konnte jedoch nichts dergleichen erkennen.

    Seine Antwort sollte beiläufig klingen, was ihm aber nur bedingt gelang. »Wie lange noch?« Mendoza suchte zunächst mit den bloßen Augen abermals die Küste ab. »Das ist schwer zu sagen! Bislang sind nur die Bilge und der untere Teil des Frachtraums geflutet. Doch die Pumpen werden diesen Kampf verlieren. Ich vermute, dass die Belastung des letzten Sturms für das alte Mädchen zu viel gewesen ist und einige Planken sich tatsächlich verschoben haben. Je tiefer die Sangre de Dios sinkt, desto mehr solcher Lücken gelangen unter Wasser. Es wird also immer schneller gehen.« Abermals pausierte er, bevor er weitersprach. »Zwei Tage gebe ich uns noch. Weniger, sollte die See wieder rauer werden.«

    Nun musste Alejandro tief durchatmen. »Dann nehme ich an, dass ihr das Schiff vorher am Strand auf Grund laufen lassen wollt?« Mendoza nickte langsam. »Ja, etwas anderes bleibt uns nicht übrig, zumal das so oder so für die Reparatur getan werden muss. Allerdings wäre mir wesentlich wohler, wenn wir uns dafür in der Nähe einer befestigten Siedlung befänden.«

    Alejandro deutete auf das Fernrohr in Mendozas Hand. »Darf ich?« Der Capitán gab es ihm und wandte sich zum Gehen ab. »Lasst es nachher bitte in meine Kajüte bringen!«, meinte er noch über die Schulter. Sogleich nahm Alejandro den Küstenstreifen genauer in Augenschein. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Der grüne Streifen hinter dem Strand mutete wie eine undurchdringlich erscheinende Wand aus Bäumen und Gebüsch an, fest durchwuchert mit seilähnlichen Pflanzen. Etwas Vergleichbares hatte Alejandro noch nicht gesehen, selbst die fruchtbarsten Gegenden Spaniens kamen nicht an dieses Dickicht heran.

    Die Sonne begann schon unterzugehen, als er schließlich das Fernrohr zusammenschob. Immer noch wollte sich keinerlei Zeichen von Zivilisation zeigen. Und was das anging, gab es auch keine Spur von den Heiden, wegen denen sie letztendlich in diese Neue Welt gekommen waren. Mit einer knappen Geste winkte der Hidalgo einen Seemann heran, um ihm das Fernrohr in die Hand zu drücken. Mehr als eine kurze Anweisung brauchte der Mann nicht und machte sich auf den Weg zur Kajüte seines Capitáns. Alejandro schaute erst ihm nach und beobachtete dann die anderen anwesenden Seeleute. Er konnte bei ihnen keinerlei Anzeichen von Unruhe ausmachen, was deutlich für Mendozas Führungsqualitäten sprach.

    Eine Zeitlang später kehrte er unter Deck zurück. Dabei achtete er penibel darauf, gelassen voranzuschreiten. Weder für die Seeleute noch für seine eigenen Männer wäre es von Vorteil, ihren Anführer als Nervenbündel zu sehen. Schlimm genug, dass Philippe inzwischen ständig für Irritationen sorgte. Er musste mit dem Burschen so schnell wie möglich ein ernstes Wort wechseln. Auf diesem Schiff gab es dazu leider wenig bis gar keine Gelegenheit, da Alejandro sicher nicht einen anderen Mann von Stand vor dessen Untergebenen zurechtzuweisen gedachte.

    Der Gestank des Unterdecks unterbrach nach wenigen Schritten seine Überlegungen. Er versuchte, nur flach zu atmen und setzte den Weg so rasch, wie möglich fort. Eingekerkerten Tieren gleich beobachteten die Männer jede Bewegung, die er machte. Nur zu deutlich hörte er weiter unten im Rumpf das Wasser plätschern, das durch die entstandenen Lücken in das Schiff eindrang. Aber auch hier oben konnte er viele Stellen erkennen, an denen die Besatzung behelfsmäßig Risse mit Tauwerk und Teer geflickt hatte.

    Als Alejandro den Vorhang zur Seite schlug, fand er Don Cisco auf seiner Hängematte ausgestreckt vor. Er wirkte ruhig und gelassen, doch ihm entging der griffbereit in der Nähe des alten Hidalgos liegende Degen durchaus nicht. Von Philippe dagegen fehlte jede Spur. Wahrscheinlich lungerte er irgendwo auf Deck herum, denn er hasste die miefige, dunkle Enge des Unterdecks, wie Alejandro wusste. Jetzt, nach dem Ende des Sturms, konnte man ihn meist nur noch zum Schlafen hier unten antreffen.

    Gemächlich sank Alejandro mit einem erleichterten Seufzen auf seiner Hängematte nieder und legte die Beine hoch. Eine Weile lauschte er den Geräuschen des Schiffes und der See. Einmal mehr fiel ihm dabei auf, wie still sich auch seine Leute auf der anderen Seite des Vorhangs im Vergleich zu sonst gebärdeten. Kein Gelächter, Gezanke oder Geschnatter drang an sein Ohr, ein untrügliches Zeichen für die Angst der Männer. Dennoch wollte ihm nichts einfallen, wie er ihnen noch Mut zusprechen konnte, bis er es schließlich aufgab und versuchte, etwas zu schlafen.

    Geweckt wurde Alejandro von der Schiffsglocke, die den Wechsel von Nacht- zu Tagwache ankündigte. Mit lautem Gähnen setzte sich der Hidalgo auf und streckte sich ausgiebig. Irritierender Kopfschmerz pochte ihm nun hinter der Stirn, wie er feststellen musste. Zudem war sein Wams nassgeschwitzt und klebte wie ein klammer Fetzen am Oberkörper. Zunächst beließ er es dabei, auf dem Rand der Hängematte sitzen zu bleiben und sich die Schläfen zu reiben, während er nach Paco rief. Dieser zog auch bald den Vorhang zur Seite und brachte eine Waschschüssel herein, in der Seewasser hin und her schwappte. Zusammen mit Seife und einem Tuch wurde die Schüssel vor ihm auf einer Seekiste abgestellt. »Habt Ihr weitere Wünsche?« Reglos wartete der Lakai, bis Alejandro das Wort an ihn richtete. »Gibt es etwas Neues?«, fragte er mürrisch. Paco trat einen Schritt an ihn heran. »Im Laufe der Nacht wurden wieder Eimerketten gebildet. Sonst…«, er überlegte einen Moment, »keine Neuigkeiten. Leider!«

    Mit einem knappen Nicken stand Alejandro auf und schlurfte zur Waschschüssel. »Gut, das war dann alles. Kümmere dich bitte um das Frühstück!« Abermals verneigte sich sein Diener. »Sehr wohl, Señor!«

    Als er wenig später, nun vollends angekleidet und bewaffnet, die Plane zum Frachtraum zurückzog, fand er dort die Luken zum tiefer gelegenen Rumpf aufgeworfen vor. Eine Reihe Seeleute, immer wieder durchsetzt von den Männern der drei Hidalgos, reichten Eimer zum jeweils nächsten Mitglied der Schöpfkette. Besonders diejenigen an den Fallreeps, welche die vollen Behälter hochhieven mussten, schienen kurz vor dem Umfallen zu stehen.

    Alejandro verteilte aufmunternde Worte, klopfte hier und da auf eine Schulter und machte sich dann schnellen Schrittes auf den Weg zur Schiffsmesse, wo das Frühstück normalerweise eingenommen wurde. Auf dem Weg dorthin passierte er eine weitere Eimerkette, die aber wohl noch nicht allzu lange ihre Arbeit aufgenommen hatte. Dennoch nahm sich Alejandro auch hier etwas Zeit für die Männer, um ihnen Mut zuzusprechen. Es verwunderte ihn kaum, dass er als Letzter eintraf, sah man von Capitán Mendoza ab, für den es aber wohl sicherlich wichtigeres zu tun gab. Cisco schob bereits mit stoischer Miene einen Löffel nach dem anderen in seinen Mund, ganz im Gegensatz zu Philippe neben ihm.

    Den Hidalgos gegenüber saßen Señor Luengo und Padre Miguel, beide ebenfalls mit einem Napf vor sich. Beim Eintreten brummte Alejandro einen Gruß, den die Anwesenden verhalten erwiderten. Kaum nahm er am Ende der schmalen Tafel Platz, als Paco bereits mit dem Frühstück neben ihm erschien. »Schon wieder Getreidebrei?«, konnte er sich nicht verkneifen. »Señor, heute wurde er wenigstens mit Honig gesüßt!«, versuchte sein Diener eine Aufmunterung. Einige freudlose Lacher ertönten am Tisch, die aber bald verklangen. Schweigend nahmen die Männer ihr Mahl ein, derweil Don Cisco einfach nur zu den geöffneten Fenstern hinaussah. Wie jeden Tag beobachtete er die vielen Strudel, die sich am Heck des Schiffes unweigerlich bildeten. Überraschenderweise richtete Padre Miguel nach dem Ende des Mahls als erster das Wort an Alejandro. »Was glaubt Ihr, werden wir noch eine Siedlung der Deutschen finden?« Erwartungsvoll sah der Franziskaner ihn an.

    Bedauernd schüttelte Alejandro den Kopf. »Ich fürchte, für den Moment sind wir auf Beten angewiesen. Ich war heute noch nicht bei Mendoza, was ich aber nun nachholen werde.« Ihm wurde es auf einmal zu eng in der Kajüte. Eine Spur zu eilig schob Alejandro die Holzschüssel fort, um schnellen Schrittes hinauf ans Oberdeck zu eilen.

    Nach einiger Kletterei streckte er bald darauf seinen Kopf durch eine der Luken und zog sich dann vollends ins Freie. Es schien ein schöner Tag zu werden. Die See leuchtete in sattem Blau-Grün und nur wenige Wolken hingen am Himmel. Trotz der deutlich fühlbaren Brise wurde es bereits sehr warm. Während der Hidalgo den Capitán suchte, zog er die frische Seeluft mit gierigen

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