Angst: Die Finsternis ist in Dir
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Nehmen Sie dieses Buch zur Hand, kommen Sie mit auf die Reise durch die Abgründe des menschlichen Bewusstseins und hinterfragen Sie einige festgefahrene Menschenbilder, auf dass sich die Dunkelheit zumindest an einigen Stellen lichtet.
Wenn Sie dieses Buch als Abendlektüre verwenden, geschieht dieses auf eigene Gefahr.
Carsten Dethlefs
Freiheit, Heimatverbundenheit und Optimismus sind die Maßstäbe, an denen ich mich beim Schreiben orientiere. Ich möchte politisch-wissenschaftliche Sachverhalte erklären, zu Diskussionen anregen, Mut machen und unterhalten. Alle Infos über mich finden Sie auf: www.Carsten-Dethlefs.de .
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Book preview
Angst - Carsten Dethlefs
Kapitel 1 – Hochwürden zu Gast
Psychotherapeutische Praxis von Dr. Martin Limbgreen
Hamburg, Dienstag, 8. Februar 2022
Es war nicht besonders kalt für diese Jahreszeit, dafür regnete es aber wie aus Eimern. Das Heulen des Windes – weiter im Süden hätte man von „Sturm" gesprochen – machte die klimatische Geräuschkulisse nicht entspannter. Der Regen klatschte unnachgiebig mit voller Wucht an die Fensterscheibe. Wäre das Haus, in dem sich die Praxis von Martin Limbgreen befand, nicht so massiv gebaut gewesen, hätte man Angst um die Standfestigkeit des Gebäudes haben müssen. Selbst ein Klabautermann hätte diesen Sound nicht besser beschreiben können als Schietwetter, eine für Hamburg nur allzu typische Mischung aus Wind, Regen und einer Temperatur, die selbst nicht wusste, was sie wollte. Kalt lief es Martin den Rücken hinunter.
Der Psychotherapeut saß auf seinem Stuhl im Behandlungszimmer. Die Wände waren in einem eintönigen und beruhigenden Cremeweiß gestrichen. Das Licht war dezent und gab keinen Anlass zur mentalen Unruhe. Die Temperatur innerhalb des Raumes betrug vielleicht 23 Grad. Es war somit nicht zu kalt für entspannte Gespräche und nicht zu warm für konzentrierte Introspektion und Bewusstseinsanalysen. Vor ihm befand sich eine Couch, auf der in regelmäßigen Abständen Patienten – er nannte sie Gäste – Platz nahmen. Jetzt saß dort niemand, gerade mal nicht. Der nächste Gast würde erst in zehn Minuten eintreffen. Es war der blinde Priester Hellmann, der selbst mit den Beichten seiner Schäfchen nicht zurechtkam.
Martin hasste diese Termine. All seine Freunde sagten, dass er mit blinden Patienten doch erst recht gut zurechtkommen sollte. Schließlich war Martin selbst nichtsehend. Aber diese Sitzungen strengten ihn besonders an. Er musste sich hierfür schließlich selbst auf einem Gebiet erforschen, das er tagsüber am liebsten vergaß.
Die stereotype Sichtweise auf das Thema „Blindheit nervte ihn, erschwerte ihm zunächst den Zugang zum Studium – „nicht darstellbar
hieß es von den Professoren. Als er nach langem Hin und Her dann doch an der psychologischen Fakultät der Universität Hamburg zugelassen wurde, sein Studium mit Erfolg hinter sich brachte und anschließend eine Therapeuten-Ausbildung absolvierte, fand er keine Frau, während seine Kommilitonen auf den Studentenpartys schon längst mit manchmal vier unterschiedlichen Kommilitoninnen in der Woche ins Bett sprangen.
Dann wurde es schwierig mit dem Job. Außer einer eigenen Praxis traute ihm niemand etwas zu. Niemand wollte auch nur ein bisschen Verantwortung übernehmen. Es war schließlich alles andere als alltäglich, dass ein Mitarbeiter ohne Augenlicht eingestellt wurde. Obwohl seine Professoren immer wieder betonten, dass er als Psychotherapeut besonders geeignet sei – schließlich könne er besser als andere auf Dinge wie Tonfall, Unruhe in der Stimme und den Duft von Angstschweiß achten. Die übrigen Sinne waren schließlich sehr viel schärfer ausgeprägt, wenn ein entscheidender Reiz fehlte. Aber auch an der Uni wollte man ihn nicht beschäftigen.
Fünf Jahre war er jetzt sein eigener Herr, und er war hoch zufrieden damit, auch wenn er auf Patienten wie Priester Hellmann gut verzichten konnte. In diesem Moment kam alles wieder hoch: Der Unfall, die quietschenden Reifen, das Auto, das nicht mehr bremsen konnte und ihn im Alter von 12 Jahren auf die Fahrbahn schleuderte. Ein Wunder, dass er überlebte, das sagten die Ärzte noch vier Jahre später. Sein Kopf war größtenteils zertrümmert, das Gehirn gequetscht und die Stirn stark zusammengepresst. Der Sehnerv war nicht mehr zu retten gewesen. Für seine Eltern war es in dem Moment wahrscheinlich viel schlimmer als für ihn selbst. Ihm war klar – nachdem er aus dem künstlichen Koma erwacht war – dass er alles irgendwie schaffen würde. Für Außenstehende war es wahrscheinlich schwer zu begreifen. Ins Nachdenken kam er erst später, kurz nach dem Abitur. Es stellten sich wahnsinnige Träume ein, in denen er sehen konnte und die sich in grellen Farben aufdrängten. In der Traumwelt hatte er keinerlei Einschränkung. Auch Jahre später wachte er nachts noch immer schweißgebadet mit dröhnenden Ohren auf und zitterte. Erst die Wolldecke, die stets unter seinem Bett lag, konnte ihm in diesem Moment ein wenig Linderung verschaffen.
Dennoch hätte alles viel schlimmer kommen können. Es ging ihm gut, besser als es irgendein Arzt prophezeit hatte. Da war das eine Schuljahr, das er wiederholen musste, ein kaum spürbares Opfer. Ja, auf die Schule konnte er weiter gehen. Er musste lernen, mit speziellen technischen Geräten umzugehen, die Blindenschrift zu lesen und aufmerksam zuzuhören.
Er fühlte auf seine aufklappbare Uhr. Mit spitzen Fingern erkundete er die Zeigerstellung. Es waren jetzt noch fünf Minuten, bis der teuflisch verwirrte Gottesmann auf seiner Couch Platz nehmen würde. Wahrscheinlich würde es wieder um irgendwelche mittelschweren Verbrechen gehen, über die er zu keinem anderen Menschen sprechen konnte, ja, unter Aufbietung all seiner christlichen Wertvorstellungen nicht sprechen durfte.
„Herr Dr. Limbgreen, kann Herr Hellmann schon reinkommen? Er ist heute etwas früher."
Die blonde Arzthelferin Mirja steckte ihren frisch frisierten, mit Locken bedeckten Kopf zur Tür hinein. Ein Schwall von Zigarettenrauch, gemischt mit einem süßen Parfüm, drang durch die geöffnete Tür ins Behandlungszimmer. Es war einer der wenigen Fehler,