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Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau: Michaelas Leben unterteilt in sieben Perioden von der Kindheit, Teenager, junge Erwachsene bis zur Erwachsenen
Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau: Michaelas Leben unterteilt in sieben Perioden von der Kindheit, Teenager, junge Erwachsene bis zur Erwachsenen
Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau: Michaelas Leben unterteilt in sieben Perioden von der Kindheit, Teenager, junge Erwachsene bis zur Erwachsenen
Ebook777 pages11 hours

Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau: Michaelas Leben unterteilt in sieben Perioden von der Kindheit, Teenager, junge Erwachsene bis zur Erwachsenen

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About this ebook

Die Leserin, der Leser begleitet die Protagonistin von ihrer Kindheit durch die Teenagerzeit ihrem Weg zur jungen Erwachsenen bis zur jungen Frau, die sich dem Leben stellt. Auf ihrer Reise durch das Leben erkennt Michaela am Ende des Buches, dass sie sich den Krisen und schmerzlichen Erinnerungen ihrer Kindheit stellen, sich mit ihnen auseinandersetzen und sie akzeptieren muss, um ein erfülltes Leben führen zu können. Das Ende des Romans stellt im Prinzip den Anfang von Mickys Leben dar.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateApr 20, 2023
ISBN9783347925342
Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau: Michaelas Leben unterteilt in sieben Perioden von der Kindheit, Teenager, junge Erwachsene bis zur Erwachsenen
Author

Sonia Forrest

Sonia Forrest schreibt seit ihrer Kindheit. Über sich selbst, dass Bücher Bestandteil ihres Lebens sind, seit sie gelernt hat Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu setzen zu verbinden. Nachdem sie lange auf der Suche nach einer Heimat war, hat sie diese in der Gemeinde Argenbühl im Allgäu gefunden. Zusammen mit ihrer Katze Lisbeth, die selber auch Autorin ist, lebt sie im Waldhaus. Man begegnet den beiden oft bei Ausflügen in der Region.

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    Book preview

    Sieben Leben - Die Geschichte von Michaela, genannt Micky von ihrer Geburt bis zur erwachsenen Frau - Sonia Forrest

    Das erste Leben

    Prolog

    „Schwanger?! Ruiz schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Du denkst doch nicht wirklich, dass ich dir das abnehme? er lachte hart auf. „Ich kenne dich zu gut, Bettina. Du würdest dir nicht deine Modellfigur mit einer Schwangerschaft verderben. Dazu bist du zu eitel. er wandte sich zum Gehen. „Aber mit diesem Erpressungsversuch machst du es mir wirklich leicht, diese Sache zwischen uns zu beenden. Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass diese Masche bei mir ziehen würde. Vielleicht hast du insgeheim mit einem Antrag gerechnet? er schüttelte den Kopf, griff in seine Hosentasche und legte seine Wohnungsschlüssel auf den Tisch. „Die Miete für nächsten Monat ist bereits gezahlt. Wie du es dann weiter handhaben willst, liegt an dir. Mir mit kannst du jedenfalls nicht mehr rechnen."

    Fassungslos starrte Bettina minutenlang auf die geschlossene Wohnungstür. Dieser Mistkerl! Was bildete der sich eigentlich ein? Sie griff zum nächstbesten Gegenstand, der sich in ihrer Reichweite befand. Ein Weinglas samt Inhalt flog gegen die ins Schloss gefallene Wohnungstür. Der Rotwein tropfte von der Tür auf den weißen Flauschteppich und vermischte sich mit den Scherben. Emotionslos blickte Bettina auf die Bescherung. So hatte sie den Verlauf des Nachmittags nicht geplant. Ihr hatte ein anderes Ende vorgeschwebt. Ein kurzer Besuch beim Juwelier. Anschließend ein Abendessen in diesem neuen In-Restaurant. Sie war sogar bereits passend gekleidet. Hatte dieses neue schicke Ensemble angezogen, in dem er sie so sexy fand. Was sollte sie jetzt machen? Was konnte sie noch tun? Auf gar keinen Fall würde sie die Wohnung aufgeben!

    Das war allerdings ihr geringstes Problem. Einen neuen Geldgeber zu finden wäre einfach. Aber was sollte sie mit dem Balg anfangen? Einfach wegmachen war nicht mehr möglich. Sie hatte absichtlich solange gewartet. Ruiz sollte ihr nicht entkommen, indem er eine Abtreibung vorschlug. Dass er allerdings gar nicht glauben würde, dass sie schwanger war, damit hatte sie nicht gerechnet. Nun war guter Rat teuer.

    1.

    „Mami. Hab Hunger!" verschlafen tappte das etwa vierjährige Mädchen in den Raum. Dass sie in dem Gewirr von Stimmen und Gelächter überhaupt zu hören war, grenzte an ein kleines Wunder.

    Unwillig drehte sich Bettina zu ihrer Tochter um. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du abends in deinem Zimmer bleiben sollst? mit erhobener Hand ging sie auf die Kleine zu und verabreichte ihr eine Ohrfeige. „Du siehst doch, dass ich Gäste habe! Also verschwinde gefälligst wieder!

    „Aber ich hab doch so dollen Hunger, Mami!"

    „Dann geh in die Küche und mach dir selber was. Du weißt doch wo alles steht! mit diesem Worten wandte Bettina sich wieder ihren Gästen zu. Das geflüsterte „Ja, Mami hörte sie bereits nicht mehr.

    Bereits vor der Tür vernahm Jim, dass Bettina wieder Gäste eingeladen hatte. Schade, er hätte sie heute gerne für sich alleine gehabt. Außerdem hatte ihn die heutige Konferenz mehr angestrengt, als er auch vor sich selbst zugeben wollte. Und das war erst der Auftakt gewesen. Mit etwas Grauen dachte er an die kommenden Wochen, die mit derartigen Konferenzen angefüllt sein würden. Nun, das war halt der Preis, den er zahlen musste, dass er einer der erfolgreichsten Jungunternehmer in Dallas war.

    In nur wenigen Jahren, war es ihm gelungen, einen soliden Mittelstandsbetrieb in einen Nationalen Großkonzern mit Filialen überall in den Vereinigten Staaten umzuwandeln. Und jetzt stand die nächste Stufe der Expansion an: Masters Inc. würde den internationalen Markt betreten. Eigentlich ein Grund zum Feiern, aber wenn er ehrlich war, wurden ihm die Partys in der letzten Zeit ein wenig zuviel. Doch er wusste, er konnte nur eines haben:

    Bettina oder ein ruhiges Privatleben.

    Bettina brauchte den Wirbel und die Bewunderung anderer Menschen, wie ein Fisch das Wasser. Sie konnte nicht ohne Trubel leben. Und es war auch keineswegs so, dass er es nicht genoss, wenn er von seinen Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern wegen seiner hübschen Begleitung beneidet wurde. Nur ab und zu ein ruhiger Abend wäre eigentlich ganz angenehm. Er war im Begriff ins Wohnzimmer hinüberzugehen, als er ein Geräusch in der Küche vernahm. Vielleicht hatte er ja doch Glück Bettina zumindest einige Minuten für sich allein zu haben. Sie holte sicher neues Eis aus dem Kühlschrank. Die ideale Gelegenheit sich einen kurzen Kuss zu stehlen. Oder auch zwei. Er grinste während er die Tür aufmachte und erwartungsvoll die Küche betrat. Dieses Grinsen verging ihm jedoch in dem Augenblick, wo er das kleine Mädchen entdeckte. Es stand im Nachthemd auf einen Küchenstuhl und versuchte sich eine Scheibe Brot abzuschneiden. Mit einem Messer von derartigen Ausmaßen, dass sich ihm die Nackenhaare aufrichteten. Schnell überbrückte er die Distanz zwischen sich und dem Kind, und nahm ihm das Messer aus den Händen. Erschrocken blickte das Mädchen ihn an.

    „Hallo," sagte er sanft, „hat dir denn niemand gesagt, dass kleine Mädchen nicht mit so scharfen Messern spielen dürfen?

    Mit großen Augen blickte das Kind ihn an. „Aber ich habe doch Hunger. Und Mami hat gesagt, ich soll mir selber etwas machen. Sie hat keine Zeit dafür.

    „Aber mit so einem großen Messer kannst du dich ernsthaft verletzen. erklärte Jim. „Versprichst du mir es nicht mehr zu benutzen? er hob das Mädchen auf Augenhöhe.

    Ernsthaft nickte Michaela. Zufrieden stellte Jim das Kind auf seine Füße. Michaela wandte sich um und schickte sich an die Küche zu verlassen. Doch er hielt sie zurück. „Du hast doch Hunger, oder nicht?" fragte er.

    „Aber ich kann mir doch kein Brot abschneiden. Mit den kleinen Messern geht es nicht. Das habe ich schon versucht."

    „Aber deshalb brauchst du doch nicht hungrig zu Bett zu gehen."

    Jim griff nach dem Messer und dem Brot. „Ich schneide dir schon eine Scheibe ab. – Nehmen deine Eltern dich öfter mit, wenn sie auf eine Party gehen? fragte er beiläufig. Ein unverantwortliches Verhalten, wie er fand, aber vielleicht hatte der Babysitter ja in letzter Minute abgesagt. Im Zweifel immer für den Angeklagten. Michaela musterte ihn erstaunt. „Aber ich bin doch hier zuhause. Mami nimmt mich nie irgendwo mit hin.

    Jim hatte es die Sprache verschlagen. Bettinas Tochter! Er wäre weniger erstaunt gewesen, hätte das Kind geantwortet es käme aus einer fernen Galaxie und wäre beauftragt die Welt zu retten. Wie hatte Bettina das nur vor ihm verheimlichen können? Er war doch nun wirklich oft genug in dieser Wohnung gewesen. Auch über Nacht. Doch das Kind hatte er nie zu Gesicht bekommen. Er betrachtete das kleine Mädchen genauer. Jetzt fiel ihm auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Bettina auf. Die feinen seidenen blonden Haare. Die ebenmäßigen Gesichtszüge. Es war verblüffend. Nur die Augenfarbe war anders. Die Augen waren von einem intensiven Grün, während Bettinas eine eisblaue Farbe hatten. So intensiv, dass sie fast schon arktische Kälte ausstrahlen konnten. Jim schüttelte den Kopf. Er konnte es immer noch nicht fassen.

    „Bist du Mamis neuer Onkel?" drang die Stimme des Mädchens in seine Gedanken.

    „Ich bin ein Freund deiner Mutter." antwortete er ausweichend. Mein Gott, was hatte das Kind alles schon mitbekommen? Für ein kleines Mädchen war Bettinas Haushaltsführung wahrlich nicht geeignet. Er stellte den Teller mit dem bestrichenen Brot auf den Tisch und hob das Kind auf einen Stuhl.

    Michaela blickte erst auf das Brot und dann auf den Mann neben dem Tisch. „So nett war noch kein Onkel zu mir." meinte sie nach einer Weile.

    „Hast du denn schon viele Onkel kennengelernt?" fast fürchtete er sich vor der Antwort.

    „Ja schon, kam die gedehnte Antwort. „Aber Mami will es eigentlich nicht.

    Das konnte er durchaus nachvollziehen.

    „Ich muss immer in meinem Zimmer bleiben, wenn Besuch kommt."

    „Wieso? fragte Jim, obwohl er sich die Antwort vorstellen konnte. „Ich störe nur. Kleine Kinder soll man nicht sehen und nicht hören. Sie dürfen keinem im Weg sein. Und wenn sie nicht gehorchen, dann kommt der große böse Mann und nimmt sie mit. Und sie sehen ihr zuhause nie mehr wieder.

    Jim schüttelte fassungslos den Kopf. Wie konnte man nur so grausam sein? Wie Bettina ihre Tochter behandelte, dass war ja schon beinahe kriminell.

    Das Klappen der Küchentür riss ihn aus seinen Gedanken. Im Türrahmen stand Bettina. Ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen. „Wieso versteckst du dich denn in der Küche? Im Wohnzimmer ist es viel interessanter" sie ging auf ihn zu und wollte ihn umarmen. Doch im letzten Moment entzog er sich ihr.

    „Oh, ich habe mich auch hier sehr gut unterhalten." meinte er trocken und deutete auf Michaela.

    Bettina hatte ihre Tochter bis jetzt noch nicht einmal bemerkt. Jetzt drehte sie sich wütend zu ihr um. „Was machst du denn noch hier? fauchte sie. „Ich habe dir doch verboten herunter zukommen, wenn ich Gäste habe. Los, verschwinde gefälligst wieder auf dein Zimmer.

    Bedrückt stand Michaela von ihrem Stuhl auf. Jetzt war Mami wieder böse.

    „Und zur Strafe für deinen Ungehorsam wirst du heute Nacht im Dunkeln schlafen."

    Schon in der Tür drehte Michaela sich wieder um. Einen erschrockenen Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Nein, Mami. Bitte nicht. Bitte nicht im Dunkeln schlafen. bat sie weinend. „Ich bin auch ganz brav.

    „Du tust, was ich sage. Bettina verlor die Beherrschung. „Und jetzt hör auf zu flennen. Das hilft dir auch nicht mehr. sie hob die Hand und holte aus.

    Jim gelang es im letzten Moment ihren Arm abzufangen. Er war empört. Jetzt zeigte Bettina zum ersten Mal ihr wahres Gesicht. Wie hatte er nur so blind sein können? Angewidert schüttelte er den Kopf. Und er hatte sich eigentlich immer für einen ganz guten Menschenkenner gehalten. Doch im Fall von Bettina hatten wohl seine Hormone verrückt gespielt. Er hatte nur die äußere Hülle gesehen. Sehen wollen. Doch heute Abend waren ihm die Augen geöffnet worden. Er war nur noch angewidert. Ein schales Ekelgefühl machte sich in seiner Kehle breit. Das Kapitel Bettina hatte sich für ihn erledigt. Nach heute Nacht wollte er sie nicht mehr wieder sehen. Doch das würde er ihr erst später mitteilen.

    Vor dem Kind wollte er keine weitere Szene machen. Er hatte den Verdacht, das Mädchenhatte eh schon zuviel gesehen und erlebt. Und nicht nur heute Abend in der Küche. Er ging in die Knie, um auf Augenhöhe mit dem Mädchen zu sein. „So, du kommst jetzt erst einmal her zu mir. meinte er sanft. „Deine Mami wird zu ihren Gästen zurückgehen und ich werde dich ins Bett bringen. er blickte Bettina scharf an ihm nicht zu widersprechen. Woraufhin sie ihn zornig anblitzte und aus der Küche verschwand. Nicht ohne die Tür vehement hinter sich zu zuschlagen.

    Jim stand mit dem Kind auf dem Arm auf, und versuchte das eben Geschehene zu verarbeiten. Es erschien ihm wie ein schlechter Traum. So hatte er sich das Ende seiner Beziehung zu Bettina nicht vorgestellt. So nicht. Plötzlich fühlte er, wie eine kleine Hand über seine Wange strich. Er sah das Mädchen an. Du bist wirklich lieb, Onkel. meinte Michaela ernsthaft. Er lächelte und drückte sie etwas fester an sich. „Danke für das Kompliment. er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Verrätst du mir denn auch deinen Namen?"

    „Michaela." sie musste gähnen.

    „Das ist aber ein sehr hübscher Name. meinte Jim während er mit ihr die Küche verließ. „So, jetzt ist es aber wirklich Zeit für dich ins Bett zu gehen. Du musst mir nur zeigen, wo dein Zimmer ist.

    „Da hinten. Die letzte Tür." Michaela konnte ihre Augen kaum noch offen halten. Als Jim mit ihr das Zimmer betrat, war sie schon fest eingeschlafen. Behutsam legte er sie auf ihr Bett und deckte sie zu. Dann schaute er sich kopfschüttelnd um. Ein Kinderzimmer war das nicht gerade. Hier gab es keine Puppen, Teddybären oder anderes Spielzeug. Nur einige Holzbausteine auf dem Boden verrieten, dass das Zimmer von einem Kind bewohnt wurde.

    Bevor Jim den Raum verließ, strich er noch einmal die Bettdecke glatt.

    Michaela schlug die Augen auf. „Wie heißt du eigentlich, Onkel?" kam es flüsternd von ihren Lippen.

    „Jim, gab er ebenso leise zurück. „Aber jetzt musst du wirklich schlafen. Es ist schon viel zu spät für ein so kleines Mädchen. Er stupste ihr auf die Nase. Michaela lächelte ihn müde an. Fast war sie schon wieder eingeschlafen. Doch plötzlich erinnerte sie sich wieder an die Drohung ihrer Mutter.„Lässt du die kleine Lampe an?" fragte sie.

    „Natürlich. beruhigend strich Jim ihr über das Haar. „Du sollst doch keine Angst haben müssen. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

    Vor der Tür verdüsterte sich ein Gesichtsausdruck. Dem Gespräch mit Bettina sah er mit Grausen entgegen.

    „Du willst mir vorschreiben, wie ich mein Kind zu behandeln habe? Bettina sprach leise und betont. „Ausgerechnet du? Meines Wissens hast du doch nicht die geringste Erfahrung mit Kindern. Oder sollte ich mich irren? Bettina hatte Mühe sich unter Kontrolle zu halten. Wofür hielt dieser Mann sich eigentlich?

    „Du irrst durchaus nicht. gab Jim offen zu. „Doch auch ein vollkommener Laie wie ich kann sehen, dass du deine Tochter nicht richtig behandelst. Von Verantwortung gegenüber deinem Kind hast du scheinbar noch nie etwas gehört. Du gehst einfach herzlos mit Michaela um.

    „Hah. machte Bettina. „Was weißt du denn, Mr. Big Boss? Erzähl mir ja nichts von meiner Verantwortung und von meinen Mutterpflichten. Ich habe dieses Balg schließlich neun lange Monate mit mir herumgeschleppt. Ich habe mir meine Figur ruinieren lassen. Und ich habe die entsetzlichsten Schmerzen ertragen müssen, um sie auf die Welt zu bringen. Und du wagst es mir Vorhaltungen zu machen?!

    Jim hatte diesem Ausbruch fassungslos gelauscht. Wie konnte man sich nur so irren? Er musste unter geistiger Umnachtung gelitten haben, als er ein Verhältnis mit dieser Frau angefangen hatte, ndachte erzynisch. Zugegeben, Bettina war eine schöne Frau. Begehrenswert. Ihr Aussehen zog Männer in ihren Bann. Doch jetzt, wo sie ihr wahres Gesicht gezeigt hatte, hatte sie nichts begehrenswertes mehr an sich. Jetzt stieß sie ihn nur noch ab. Er hatte einen schalen Geschmack im Mund, als er die Schlüssel auf den Garderobentisch legte und die Wohnung verließ, ohne sich noch einmal umzuschauen.

    2.

    Verschlafen tastete Jim nach seinem Wecker, um das lästige Läuten abzustellen. Erst nach einer ganzen Weile merkte er, dass nicht der Wecker der Störenfried war. Es war die Türklingel.

    Sonntagmorgens um halb sieben! Er stöhnte. Darauf zu hoffen, dass der ungebetene Besucher verschwand war vermutlich vergebens, da das hartnäckige Klingeln immer noch nicht aufgehört hatte. Jim setzte sich auf und griff nach seinem Bademantel. Wenn dieser Besucher nicht einen sehr guten Grund für diese frühe Störung hatte, dann würde es ihm schlecht ergehen, schwor er sich auf dem Weg zur Tür.

    Jim öffnete und war sprachlos.

    Vor ihm stand Bettina. Nach der gestrigen Szene hatte er nicht erwartet seine Exgeliebte noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Er schüttelte den Kopf. Noch immer fand er keine Worte. Doch das sollte sich auch als unnötig erweisen. Das Reden übernahm Bettina für ihn.

    „Hier hast du sie!" Resolut schob sie Michaela über seine Schwelle.

    „Da du ja so besorgt um dieses Balg bist, kannst du sie auch gleich behalten." Sie drückte ihm einen Koffer in die Hand und war verschwunden ehe er auch nur blinzeln konnte.

    Jim starrte ihr nach, als sie mit quietschenden Reifen aus seiner Einfahrt fuhr. Er konnte es nicht fassen. Das konnte doch nicht wirklich geschehen sein? Er musste noch träumen. Doch der Koffer in seiner Hand fühlte sich sehr real an. Er schaute nach unten. Das Mädchen stand völlig verschüchtert neben ihm. Was war nur in Bettina gefahren? Ein Kind war doch kein Gegenstand, den man beliebig verschenken konnte. Er schüttelte den Kopf. Die Frau war vollkommen verrückt geworden. Eine andere Erklärung gab es wohl nicht.

    Plötzlich fühlte er wie sich eine kleine Hand in seine große schob. Es fühlte sich gar nicht mal so übel an, schoss ihm durch den Kopf. Lächelnd schaute er auf das Mädchen hinunter. Erschrak jedoch als er Michaela genauer betrachtete. Wie sah sie nur aus? Ein blaues Auge und etliche Schrammen zierten ihr Gesicht. Auch auf ihren Armen bemerkte er zahlreiche blaue Flecken. Jim zitterte vor Wut. Hätte er Bettina jetzt vor sich stehen gehabt, er würde für nichts garantieren. Wie konnte sie nur? Das waren nicht nur ein paar leichte Ohrfeigen gewesen, nein sie hatte das Mädchen brutal verprügelt. Ihre eigene Tochter! Er knirschte mit den Zähnen und ballte seine Hände zu Fäusten. Es war Michaela, die ihn aus seiner Erstarrung riss. Sie fürchtete sich vor seiner finsteren Miene.

    „Kann ich jetzt bei dir bleiben, Onkel? Oder muss ich ins Heim, nun wo Mami mich nicht mehr haben will?"

    Jim sah die Furcht in den Augen des Mädchens und beeilte sich sie zu beruhigen. Er kniete sich auf den Boden, um auf gleicher Höhe mit ihr zu sein. Behutsam strich er ihr über das Haar. „Natürlich kannst du hier bei mir bleiben. sagte er und zog sie in seine Arme. „Ich habe mir schon immer so ein kleines Mädchen wie dich gewünscht. Und das war die reine Wahrheit, wie er sich selber erstaunt eingestand. Michaela würde bei ihm bleiben. Er wollte sie behalten. Auch wenn ihm dafür ein harter Kampf bevorstand. Bei Bettina konnte man nie wissen. Gleich heute würde er seinen Anwalt kontaktieren, der sich um die Details kümmern sollte. Michaela würde seine Tochter werden.

    „Ich kann wirklich hier bleiben? ungläubig schaute Michaela ihn an. „Störe ich dich denn nicht?

    Jim drückte sie fest an sich. „Du störst mich ganz bestimmt nicht. versicherte er ihr ernst. „Und jetzt gieße ich dir erst einmal ein Glas Milch ein, dann ziehe ich mich an. Und danach werden wir dir ein Zimmer aussuchen, bevor ich dir das Haus und den Garten zeige. Hier ist ab heute schließlich dein Zuhause.

    „Ich darf mir ganz alleine mein Zimmer aussuchen? Und ich darf im ganzen Haus herumlaufen? Michaela schaute ihn ungläubig an. „Und wenn ich etwas kaputtmache?

    „Dann kaufen wir es neu. Jim schluckte seine neu aufflammende Wut auf Bettina hinunter. Er hob Michaela auf seine Arme. „Mir geht auch ab und zu etwas kaputt. vertraute er ihr an.

    Michaela lächelte und strich mit ihrer kleinen Hand über seine Wange. Sie schmiegte sich enger an ihn. Das war schon ein netter Onkel.

    * * *

    Am nächsten Morgen rief Jim seine Sekretärin an und teilte ihr mit, dass er nicht ins Büro kommen würde. Er hatte sich vorgenommen mit Michaela einkaufen zu gehen. Sie benötigte dringend neue Kleidung. Was Bettina in den Koffer gepackt hatte, würde nicht lange reichen. Außerdem war das meiste schon zu klein. Zudem stand noch Spielzeug auf dem Einkaufszettel. Auch etwas was Michaela hatte entbehren müssen. Seine Miene verfinsterte sich, als er an die Umstände dachte, in denen Michaela ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte. Doch leise Schritte rissen ihn aus seinen unerfreulichen Gedanken. Er blickte auf und sah Michaela auf der Türschwelle stehen. Schüchtern blickte sie ihn an.

    Jim breitete die Arme aus und lächelte ihr aufmunternd zu. Schnell lief sie zu ihm hin. Ohne weitere Umstände hob Jim sie auf seinen Schoß. „Was hältst du davon, wenn wir nach dem Frühstück einkaufengehen?"

    Michaela machte große Augen. „Du willst Einkaufen? Und ich darf mit?"

    „Nicht nur das. Jim lächelte. „Du bist sogar die Hauptperson. Wir werden für dich einkaufen.

    „Für mich? Michaela strahlte. „Das wird bestimmt lustig. Ich war noch nie mit Einkaufen. Mami ist immer alleine gegangen. Sie wollte mich nicht dabeihaben.

    „Nun, dann wird das ja eine ganz neue Erfahrung für dich. meinte Jim lächelnd, um sie von Bettina abzulenken. „Aber ich schlage vor, du ziehst dich erst einmal an. Im Nachthemd kann ich dich schließlich nicht mitnehmen. er hob sie von seinem Schoß. „Soll ich dir helfen, oder kannst du es schon alleine?"

    „Ich ziehe mich doch schon ganz lange alleine an, Onkel Jim." meinte sie fast schon vorwurfsvoll. Sie war doch schon ein großes Mädchen und kein Baby mehr.

    Jim blickte ihr nach, als sie die Treppe hinauflief. Dann ging er in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Er lächelte. Irgendetwas sagte ihm, das würde ein schöner Tag werden.

    Fasziniert schaute Michaela auf die Autos in der Garage. „Gehören die alle dir?" fragte sie ehrfurchtsvoll. Jim nickte, amüsiert über ihr Verhalten. Sein kleines Mädchen war ein Autofreak.

    „Welches gefällt dir am besten?"

    „Dieses da!" kam es wie aus der Pistole geschossen. Michaela zeigte auf seinen dunkelgrünen Lotus.

    „Na, dann steig mal ein. forderte Jim sie auf. „Machen wir uns auf den Weg. Er half ihr sich anzuschnallen und schmunzelte. „Wir müssen einen Kindersitz für dich besorgen. Der Gurt ist noch viel zu groß für dich." Er drehte den Zündschlüssel und fuhr langsam aus der Garage.

    Sein Ziel war eine große Einkaufspassage in den Außenbezirken der Stadt. Dort angekommen schaute Michaela sich begeistert um. Es war lustig hier. So viele Menschen und Geschäfte. Und all die schönen Sachen! Sie wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Zuerst steuerte Jim ein Geschäft für Kinderbekleidung an. Er war das erste Mal in so einem Laden, doch merkte man ihm das keineswegs an. Zusammen mit einer freundlichen Verkäuferin stellten sie eine komplette neue Garderobe für Michaela zusammen.

    „Dein Daddy ist aber sehr großzügig heute." meinte die Angestellte zu ihr.

    „Das ist doch nicht Daddy. Das ist Onkel Jim. Einen Daddy habe ich nicht. Und Mami hat mich zu Onkel Jim gebracht. erzählte sie frei heraus. „Mami will mich nicht mehr haben. Aber bei Onkel Jim ist es sowieso viel netter. Michaela lächelte ihn an. „Er ist viel lieber zu mir als Mami."

    Die Verkäuferin hatte die blauen Flecken und Schrammen auf dem Körper des Mädchens sehr wohl bemerkt und sich ihre eigenen Gedanken gemacht. Diese wurden nun durch die Aussage des Kindes bestätigt. Eine glückliche Kindheit hatte dieses Mädchen bis jetzt offensichtlich nicht gehabt. Doch betrachtete man den Gesichtsausdruck und das Verhalten des Mannes, dann würde sich das jetzt ändern.

    Seit langer Zeit hatte Jim nicht mehr so vergnügliche Stunden erlebt. Michaelas Begeisterung wirkte ansteckend. Hätte ihn vorgestern jemand gesagt er hätte die Zeit seines Lebens, während er Kinderkleidung kaufte, dann würde er einen Besuch beim Psychiater vorgeschlagen haben. Der Stapel an Kleidung auf dem Packtisch nahm langsam aber sicher gewaltige Ausmaße an.

    Jeanshosen in allen Regenbogenfarben, T-Shirts, Sweatshirts, Jogging-Anzüge, Anoraks, eine Windjacke, drei Paar Sneaker und zwei Paar Sandalen waren die Ausbeute des Vormittags.In letzter Minute erinnerte Jim sich noch an Michaelas Begeisterung für seinen Pool und fügte dem Stapel noch zwei Badeanzüge hinzu.

    Michaela kam sich vor wie eine Prinzessin im Märchen. So viele schöne Sachen! Und die sollten alle für sie sein. Sie vermochte es kaum zu glauben. Unsicher schaute sie zu Jim hoch.

    „Doch, das ist alles für dich. versicherte er ihr lächelnd. „Aber das hier war erst der Anfang. Was als nächstes kommt, wird dir noch viel mehr gefallen.

    Und das entsprach durchaus der Wahrheit. Denn nachdem die Tüten im Auto verstaut waren, ging Jim mit ihr in ein Spielwarengeschäft. Michaelas Augen glänzten wie die Lichter eines Weihnachtsbaumes als sie den Laden betraten. Soviel Spielzeug. So viele schöne Sachen. Das es so was so etwas überhaupt gab. Das ganze Spielzeug der Welt musste hier im Laden sein. Mit sehnsüchtigen Augen betrachtete sie die Galerie von Stofftieren und Teddybären. Manche waren so groß wie sie selber, einige sogar noch größer. Vorsichtig ging sie auf das Regal zu.

    „Nun, such dir etwas aus." ermunterte Jim sie. Er musste schlucken, als sie ihn ungläubig anblickte.

    „Darf ich? Wirklich?" andachtsvoll strich sie über das seidenweiche Fell eines kleinen getigerten Kätzchens. Es sah so lieb aus. Und wenn sie es abendsmit ins Bett nehmen würde, dann wäre sie auch nicht mehr so allein.

    Jim musste mehrmals hart schlucken, als er Michaela betrachtete, die zwischen den Spielsachen herum ging als würde sie träumen. Sie betrat hier eine völlig neue Welt. Was hatte sie nur alles entbehren müssen. Und nicht weil Bettina es sich nicht hätte leisten können ihr Spielzeug zu kaufen. Nein, sie hatte einfach keine Lust gehabt sich um ihr Kind zu kümmern. Hier in diesem Geschäft schwor er sich, dass Michaela nichts mehr entbehren sollte, solange sie bei ihm war. Weder materiell noch emotionell. Er würde dafür sorgen, dass sie geliebt wurde. Das sie so aufwuchs, wie es jedes kleine Kind verdiente. Geliebt und umsorgt. Und sie sollte vergessen, was sie bei ihrer Mutter erlebt hatte.

    * * *

    Als Jim und Michaela am späten Nachmittag nach Hause fuhren, waren sie beide ziemlich erschöpft. Michaela war in ihrem nagelneuen Kindersitz angegurtet. Der nahm sich auf dem Vordersitz des Lotus zwar ein wenig seltsam aus, doch das störte die beiden nicht im Geringsten. Michaela gähnte laut. Die Augen fielen ihr zu. So einen aufregenden Tag hatte sie noch nicht erlebt. Onkel Jim war sogar mit ihr in ein Restaurant gegangen. Da waren überhaupt keine Kinder gewesen. Nur Erwachsene. Und das Essen hatte einen ganz komischen Namen gehabt. Geschmeckt hatte es aber trotzdem. Und sie hatte auf die Tischdecke gekleckert. Doch Onkel Jim war überhaupt nicht böse gewesen! Tischdecken wären dafür ja auch da, hatte er gesagt. Und überhaupt Erwachsene würden auch manchmal kleckern. Und dann hatte er einen riesengroßen Eisbecher für sie bestellt. Mmh, war der lecker gewesen! Sie seufzte.

    Jim blickte auf seine kleine Beifahrerin hinunter. Er musste lächeln, als er sah dass sie eingeschlafen war. Aber es war ja auch ein anstrengender Tag für sie gewesen. Und nicht nur für sie alleine. Auch er war ziemlich erschöpft. Doch es war auch für ihn der schönste Tag seit langer Zeit gewesen. Jim bog in die Einfahrt zum Haus ein. Als der Wagen stand, löste er vorsichtig den Gurt des Kindersitzes. Sie seufzte im Schlaf, doch wachte nicht auf. Die kleine Plüschkatze hielt sie auch im Schlaf fest umklammert. Seit er sie gekauft hatte, war das Kätzchen nicht mehr aus der Hand gelassen worden. Es war nicht schwer zu erraten, dass dieses Tierchen der Favorit unter all den neuen Spielsachen werden würde. Es war wohl so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es wäre vielleicht auch gar nicht schlecht ein Haustier anzuschaffen. Einen Hund oder ein Kätzchen. Oder auch beides. Michaela wäre sicher begeistert. Und Kinder sollten ja auch mit Tieren aufwachsen. Gleich morgen würde er sich erkundigen. Er stieg aus und öffnete die Beifahrertür. Vorsichtig hob er die schlafende Michaela aus dem Wagen und trug sie ins Haus. Dort legte er sie auf eine Couch im Wohnzimmer, um danach zum Auto zurückzugehen und die Einkäufe herein zu tragen.

    Zunächst stellte er die Taschen erst einmal in der Eingangshalle ab. Auspacken würden sie später zusammen. Jim warf einen kurzen Blick ins Wohnzimmer, doch Michaela schlief noch immer. So konnte er noch in aller Ruhe seinen Anrufbeantworter abhören und im Büro anrufen. Na also, er lehnte sich in seinen Schreibtischsessel zurück, es ging auch ohne ihn. Etwas Wichtiges hatte sich nicht ereignet und größere Probleme waren auch nicht aufgetreten.

    Nichts jedenfalls, womit seine Mitarbeiter nicht fertig geworden wären. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und streckte sich. Morgen war seine Anwesenheit im Büro jedoch unerlässlich. Es ging um die Unterzeichnung eines wichtigen Regierungsauftrages. Die Abgeordneten des Ausschusses kamen extra aus Washington, um die letzten Unklarheiten zu beseitigen. Doch was sollte er mit Michaela machen? Er konnte sie auf keinen Fall alleine zu Hause lassen. Er würde nicht dieselben Fehler machen wie Bettina. Dieses Kind war schon viel zu lange und zu oft alleine gelassen worden. Bis eine Lösung gefunden worden wäre, musste sie eben mit ins Büro kommen. In der Zwischenzeit wollte er seine Sekretärin bitten einen guten Kinderhort herauszusuchen. Und seinen Anwalt musste er auch noch anrufen. Jim hatte beschlossen Michaela zu adoptieren. Bettinas Einverständnis wäre dafür sicher leicht zu bekommen. Wenn möglich wollte er eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden. Michaela sollte diesem Stress nicht ausgeliefert werden. Er stand auf und ging ins Wohnzimmer herüber, um nach seinem kleinen Dornröschen zu sehen.

    Gerade als er über die Schwelle trat, schlug Michaela die Augen auf. Er setzte sich neben sie. „Hallo, da bist du ja wieder. meinte er lächelnd und strich ihr über das Haar. „Ausgeschlafen, kleine Maus? Michaela kroch ihm auf den Schoß. „Wir haben noch viel zu tun heute Nachmittag."

    „Was denn?"

    „Nun, zuerst einmal müssen die vielen Tüten ausgepackt werden. Oder hattest du vor mich mit der ganzen Arbeit allein zu lassen?" er zwinkerte ihr zu.

    Sie schmiegte sich eng an ihn und schlang ihre Arme um seine Taille. Jim stellte sie auf die Füße und nahm ihre Hand.

    „Na, dann komm. Wir haben viel zu tun."

    Gemeinsam gingen der dunkelhaarige, schlanke Mann und das kleine blonde Mädchen aus dem Zimmer.

    *

    Als Michaela an diesem Abend in ihrem Bett lag, war sie völlig erschöpft. Es war ja auch ein ereignisreicher und anstrengender Tag für sie gewesen. Der schönste Tag in ihrem Leben! Sie lächelte Jim müde an.

    Er saß auf der Bettkante und lächelte zärtlich zurück. Gerade hatte er seine erste Gute Nacht Geschichte erzählt. Er hatte so ein Gefühl, als ob noch viele folgen sollten. „Es war ein schöner Tag, nicht wahr? fragte er während er die Bettdecke glatt strich. „Aber morgen wird es dir bestimmt auch gefallen.

    Fahren wir wieder mit dem tollen Auto?"

    Schmunzelnd über ihre Begeisterung nickte er. „Morgen zeige ich dir, wo ich arbeite. Du kannst deine neuen Malbücher und Stifte mitnehmen."

    „Das Kätzchen auch?"

    „Das Kätzchen auch. nickte er. „Dann hast du Gesellschaft. Unvermittelt setzte Michaela sich auf und schlang die Arme um seinen Hals. „Du bist so lieb, Onkel Jim. Viel, viel lieber als Mami! Jim hatte plötzlich Schwierigkeiten beim Schlucken. Ein großer Kloß saß ihm im Hals. „Ich habe dich auch sehr, sehr lieb. meinte er nach einer Weile. „Aber jetzt musst du schön schlafen. Morgen hast du einen anstrengenden Tag vor dir. Wir müssen früh aufstehen. Oder willst du an deinem ersten Arbeitstag gleich verschlafen? scherzte er und strich die Bettdeckeglatt. „Gute Nacht, Kätzchen. Er stand auf und schaltete die Nachttischlampe aus. Jetzt wurde das Zimmer nur noch von dem neuen Nachtlicht erhellt. Leise verließ er den Raum. Die Türe ließ er jedoch einen Spalt offen und auch das Licht im Korridor ließ er an. Noch zu deutlich erinnerte er sich an die Szene in Bettinas Küche. Auf keinen Fall sollte Michaela sich bei ihm fürchten müssen.

    * * *

    Am folgenden Morgen sahen sich die beiden Empfangsdamen von Masters’ Inc. einer höchst ungewöhnlichen Situation gegenüber.

    Jim Masters in Damenbegleitung. An und für sich nicht ungewöhnlich. Doch diese Dame trug rosafarbene Jeans mit Blümchen,Sneaker und ein Mickey Mouse Sweatshirt. Ihr Haar war zu zwei Rattenschwänzchen gebunden, in ihren Händen hielt sie einen Attachékoffer, der viel zu groß für sie war. Und sie war höchstens fünf Jahre alt!

    Jim konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er die entgeisterten Blicke der beiden Frauen sah.

    „Meine Damen, darf ich Ihnen meine neue Juniorpartnerin vorstellen? Michaela Tremaine, demnächst Michaela Masters. Es sollte ruhig jeder wissen, dass er vorhatte das Mädchen zu seiner Tochter zu machen. „Michaela, wandte er sich dann an seine Begleiterin, „diese beiden Damen entscheiden darüber, wer in mein Büro hereinkommt und wer draußenbleiben muss." Artig begrüßte Michaela die beiden Frauen, die ihre Fassung noch immer nicht ganz wieder gefunden hatten. Ihr Boss hatte eine Tochter! Das würde nicht nur heute das Tagesgespräch in diesem Gebäude sein. Die Gerüchteküche würde überquellen.

    Michaela dagegen hatte zurzeit ganz andere Probleme, während sie durch die Halle zu den Fahrstühlen gingen. Der Koffer war doch ziemlich schwer! Sie nahm ihn in die andere Hand. Jim bemerkte ihre Schwierigkeiten doch er nahm ihr nicht den Koffer ab, sondern hob sie kurzerhand auf seine Arme. „So ist es besser, nicht wahr?" er betrat mit ihr den Lift, dessen Türen sich vor ihm öffneten. Michaela nickte glücklich und machte es sich in seinen Armen bequem.

    Oben in seinem Vorzimmer spielte sich dann fast dieselbe Szene wie im Foyer ab. Ungläubiges Staunen auf Seiten seiner Sekretärin und ein amüsiertes Grinsen von Jim. „Das ist Michaela. stellte Jim sie vor. „Michaela, hier ist das Reich von Mrs. Thomas. Selbst ich darf auf ihrem Schreibtisch nichts anfassen. er öffnete seine Bürotür.

    „Soll das Kind nicht besser hier bei mir bleiben?" fragte die versierte Sekretärin.

    Furchtsam klammerte Michaela sich an Jim. Die Dame sah zwar nett aus, doch sie wollte lieber bei Onkel Jim bleiben.

    Jim strich ihr beruhigend über den Rücken. „Ist schon gut, Kätzchen. Du kommst mit zu mir. Ich habe dort einen schönen großen Tisch an dem du malen kannst." Gemeinsam betraten sie den Raum.

    Michaela riss erstaunt die Augen auf. Das Zimmer war riesig. „Hier arbeitest du? verblüfft schaute sie sich um. „Du hast aber viel Platz. stellte sie dann fest.

    Jim ließ sie auf den Boden gleiten. „Ab heute arbeiten hier ja auch zwei Leute. Da brauchen wir den Platz schon. Ich arbeite hier am Schreibtisch. Du kannst deine Sachen dort drüben ausbreiten. Er wies auf eine bequeme Sitzecke mit einem Tisch. Er wollte noch etwas hinzufügen, als das Telefon klingelte. Er ging zum Schreibtisch hinüber und nahm den Hörer ab. Michaela war ihm gefolgt und blickte mit großen Augen auf das Telefon. Sie hatte nicht gewusst, dass es so große Telefone gab. Mit so vielen Knöpfen und Lämpchen. Onkel Jim wusste wohl genau, welche Knöpfe er drücken musste. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um dieses Wunderding genauer betrachten zu können. Jim beendete sein Gespräch und schaute Michaela lächelnd an. „Hast du so ein Telefon schon einmal gesehen? Stumm schüttelte Michaela den Kopf. „Möchtest du wissen, wie es funktioniert? Er setzte sich in den Bürostuhl und hob Michaela auf seinen Schoß. Michaela nickte begeistert. „Zeigst du es mir?

    Als Mrs. Thomas einige Zeit später seine Kunden aus Washington hereinführte, bot sich den dreien ein seltsames Bild. Jim Masters, seines Zeichens Boss über ein gewaltiges Wirtschaftimperium, saß mit Michaela auf dem Schoß hinter seinem Schreibtisch und erklärte ihr das Telefonsystem. Er entsprach ganz und gar nicht dem Bild eines erfolgreichen Managers. Jetzt blickte er auf. „Mr. Waters, Mr. Robson. begrüßte er die Herren. „Ich habe Sie schon erwartet. Mit Michaela auf den Armen stand er auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor. „Würden Sie uns bitte Kaffee bringen, Mrs. Thomas. Und ein Glas Orangensaft. Er deutete auf die Sitzecke. „Am besten nehmen wir dort Platz.

    „Natürlich. Es ist schon alles vorbereitet. Kommt sofort. Die Unterlagen liegen alle auf Ihrem Schreibtisch, Mr. Masters. die Sekretärin wandte sich zum gehen. „Soll ich die Kleine nicht besser mit zu mir hinüber nehmen?

    „Nein, Michaela wird uns nicht stören. versicherte Jim. „Und bitte keine Anrufe mehr durchstellen. Mit Michaela auf den Armen ging er mit den beiden Herren an das andere Ende des Raumes hinüber. „Bitte nehmen Sie doch Platz." bat er.

    „Ihre Tochter?" fragend blickte Mr. Robson ihn an.

    „Ja, meine Tochter." zärtlich schaute er auf Michaela hinab, die sich wieder ihren Malbüchern widmete. Lächelnd blickten die drei Männer auf das eifrige Mädchen. Bei besonders schwierigen Passagen half die Zunge kräftig mit.

    „Ich habe auch zwei kleine Rabauken bei mir zuhause herumlaufen. Mr. Waters schmunzelte. Meine sind jedoch schon etwas älter. Sie kommen diesen Herbst in die Schule. Meine Frau hat jetzt schon Angst vor dem ersten Tag. Aber Sie und Ihre Frau haben da ja noch etwas Zeit. „Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie verheiratet sind. fragend blickte Mr. Robson ihn an.

    „Bin ich auch nicht. gab Jim zurück. „Es gibt nur Michaela und mich. Er strich ihr über das Haar. „Wir brauchen auch nur uns beide, nicht wahr Kätzchen?"

    Michaela blickte von ihrem Malbuch auf und schaute ihn an. Ihre ganze Liebe spiegelte sich in ihren Augen. Nein, sie brauchten keinen anderen. Sie und Onkel Jim. Das war genug. Sie lächelte ihm kurz zu, bevor sie sich wieder dem Bild widmete, das sie gerade ausmalte. Jim hatte einen Kloß im Hals. Michaela vertraute ihm. Sie liebte ihn. Obwohl sie ihn doch erst seit wenigen Tagen kannte. Doch dieses Gefühl beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Ein Leben ohne dieses Kind konnte er sich plötzlich nicht mehr vorstellen. Sie waren eine Einheit. Vater und Tochter.

    3.

    Müde lehnte Jim sich an das Kopfteil des Hotelbettes zurück. Er fühlte sich gar nicht gut. Dabei war dieses beileibe nicht sein erster Transatlantikflug gewesen. Er flog ein paar Mal im Jahr nach Europa. Doch so erschöpft wie heute hatte er sich noch nicht gefühlt. Keine Frage der Flug war mörderisch gewesen. Eine Schlechtwetterfront war auf die andere gefolgt. Doch er hatte auch schon schlimmeres erlebt. Er war so müde, dass ihm die Augen zufielen. Wie gut, dass er heute keine Termine hatte. Morgen auch nicht. Er hatte sich die ersten Tage absichtlich freigehalten. Für geschäftliches war noch reichlich Zeit. Doch heute würde er sich erst einmal ausruhen. Und Morgen würde er Michaela Paris zeigen. Vor allen Dingen den Eiffelturm. Seit sie ihn beim Anflug auf die Stadt gesehen hatte, konnte sie es nicht erwarten ihn aus der Nähe zu sehen. Am liebsten wäre sie gleich vom Flughafen dorthin gefahren. Schon halb am Schlafen lächelte er. Seine Michaela, sein kleines Kätzchen. Sie war unheimlich begeisterungsfähig. Und steckte ihre gesamte Umgebung damit an. Keine Minute konnte sie stillsitzen. Und ihr Mund war eigentlich nur geschlossen, wenn sie fest schlief. Kein Vergleich mehr mit dem eingeschüchterten kleinen Mädchen, das vor zwei Jahren auf seiner Türschwelle gestanden hatte. An die Zeit mit ihrer Mutter, konnte sie sich fast nicht mehr erinnern. Und das war auch gut so! Mit Schaudern erinnerte er sich an den unschönen Kampf, den er mit Bettina geführt hatte. Es hatte ihn eine ganze Menge gekostet, doch letztendlich war Michaela legal seine Tochter geworden. Er, der selber ohne Eltern groß geworden war, hatte nie das Verlangen nach einer eigenen Familie gespürt. Bis er Michaela bei sich aufgenommen hatte. Sie war seine Familie. Seine Tochter. Alles was er brauchte. Im Nebenzimmer hörte er sie auf ihrer Gitarre klimpern. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Das Gitarrespiel war seit einigen Monaten eine Leidenschaft von ihr. Und sie zeigte ein beachtliches Talent. Die ersten Griffe und Melodien hatte er ihr selber auf seiner alten Gitarre beigebracht. Doch bald würde er ihr einen Lehrer suchen müssen. Bis jetzt hatte Michaela sich allerdings vehement dagegen gewehrt. Sie wollte nur von ihm unterrichtet werden. Und von einer neuen Gitarre wollte sie auch nichts wissen. Sie spielte auf seiner alten, oder auf gar keiner. Wie eine kleine Wildkatze hatte sie sich gebärdet. Und ihr Dickkopf hatte wieder einmal gesiegt. Natürlich hatte er nachgegeben. Wie er ihr eigentlich immer nachgab, gestand er sich ein wenig schuldbewusst ein. Doch er konnte ihr einfach nicht widerstehen. Wie er auch ihre ersten vier Lebensjahre nicht aus seinem Gedächtnis tilgen konnte. Es war soviel an ihr versäumt worden. Da konnte man eigentlich nicht zu nachgiebig sein. Und es war ja auch nicht schlecht, wenn man wusste was man wollte. Und seinen Willen auch durchzusetzen wusste. Im nächsten Monat würde ein neuer Lebensabschnitt für sie beginnen. Der erste Schultag. Und er fürchtete sich heute schon davor. Er würde es vermissen, Michaela den ganzen Tag um sich zu haben. Er war gespannt wie sie die Veränderung verarbeiten würde. Sie freute sich auf die Schule. Ihre neue Schultasche hatte einen Ehrenplatz in ihrem Zimmer erhalten. Nur ob sie sich auch der Konsequenzen bewusst war? Jim fürchtete den Zeitpunkt wenn sie merken würde, dass sie sich demnächst öfter trennen müssten. Diese Reise würde vorerst ihre letzte gemeinsame sein. Und obwohl er vorhatte in Zukunft seine Geschäftsreisen drastisch einzuschränken, würde er doch von Zeit zu Zeit seine Kunden selber besuchen müssen. Aber sein kleines Kätzchen würde das schon überstehen. Und während der Ferien würden sie ja auch wieder jeden Tag zusammen sein. Er freute sich schon jetzt auf ihre ersten Ferien. Da würden sie etwas ganz besonderes unternehmen. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.

    *

    Im Nebenzimmer spielte Michaela weiter auf ihrer Gitarre. Es war ein ziemlich schwieriges Lied, das sie gerade übte. Und sie wollte es Onkel Jim heute Abend vorspielen. Jetzt schlief er sicher. Er war so müde gewesen. Aber morgen hatte er versprochen, da würden sie sich die Stadt anschauen. Und auf den Eiffelturm herauf fahren. Der sah fast so aus, wie die Bohrtürme auf den Ölfeldern zuhause. Nur das die nicht ganz so groß waren. Sie freute sich auf Morgen. Das würde bestimmt ein schöner Tag. Mit Onkel Jim war eigentlich immer schön. Letztes Jahr Weihnachten waren sie in Disney-World gewesen. Sie hatten in einem tollen Hotel gewohnt. Eine ganze Wohnung hatten sie dort für sich gehabt. Mit zwei Schlafzimmern und einem richtigen Wohnzimmer. Und dort hatte sogar ein Weihnachtsbaum gestanden. Und Micky und Minnie hatten sie sogar auf ihrem Zimmer besucht. Pluto war auch dabei gewesen. Und Onkel Jim hatte ganz viele Fotos gemacht. Und auf ganz vielen Karussells waren sie gefahren. Auch auf den ganz schnellen. Und unheimlich viel Zuckerwatte hatten sie gegessen. Und Onkel Jim hatte mit Daisy getanzt. Donald war ganz eifersüchtig geworden. Michaela lachte leise auf, als sie sich daran erinnerte.

    Das war ein wirklich lustiges Weihnachtsfest gewesen. Und sie hatte jede Menge Geschenke bekommen. Tolle Sachen. Aber das Beste war, das Onkel Jim immer bei ihr war. Sie liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt. Nie mehr würde sie ihn verlassen. Keiner konnte sie mehr von ihm wegholen. Onkel Jim hatte ihr mal ein Papier gezeigt, auf dem diese Worte standen. Damals als sie immer noch Angst gehabt hatte, dass ihre Mutti sie wieder abholen würde. Seitdem sie dieses Papier gesehen hatte, hatte sie keine Angst mehr. Niemals würde sie von Onkel Jim wegmüssen. Sie gehörten zusammen. Sie war sein kleines Mädchen. Für immer. Aber jetzt sollte sie sich besser wieder auf das Lied konzentrieren. Sie wollte es doch bis heute Abend können. Onkel Jim freute sich schon darauf es zu hören. Angestrengt übte sie weiter. Das war wirklich ein besonders schweres Lied. Bei besonders komplizierten Passagen klemmte sie die Zunge zwischen die Lippen. Doch noch einiger Zeit konnte sie das Lied tatsächlich fehlerfrei spielen.

    Michaela jubelte leise auf. Sie hatte es geschafft. Onkel Jim würde stolz auf sie sein.

    Sie schaute auf die Uhr. Oh, so spät schon. Sie hatte gar nicht bemerkt wie lange sie hier gesessen hatte. Ihr Magen knurrte. Hunger hatte sie auch. Jetzt musste Onkel Jim aber aufstehen. Sicherlich war er auch hungrig. Bestimmt würden sie hier im Zimmer essen. Das hatten sie schon öfter getan. Und es war immer sehr lustig. Michaela ging ins Nebenzimmer um ihn aufzuwecken. „Onkel Jim, sie fasste an seine Schulter, „du musst aufstehen. Aber er rührte sich nicht. „Onkel Jim, versuchte Michaela es noch einmal, „bitte wach doch auf! Das war wirklich komisch. So fest hatte Onkel Jim ja noch nie geschlafen. Irgendwie musste sie ihn doch aufwecken können. Sie rüttelte an seiner Schulter. Doch auch so hatte sie keinen Erfolg. Was sollte sie nur tun? Das Beste wäre, wenn sie Hilfe holte. Alleine schaffte sie es jedenfalls nicht, das stand fest. Michaela krabbelte vom Bett und ging aus dem Zimmer. Auf dem Korridor sah sie sich um. Doch es war kein Mensch zu sehen. Sie wollte gerade zurück ins Zimmer gehen, als ein Kellner aus einem der Zimmer trat. Schnell lief sie auf den jungen Mann zu. „Entschuldigung, können Sie mir vielleicht helfen? fragte sie. Der Kellner schaute auf das kleine Mädchen und lächelte. „Was soll ich denn tun? Hast du dich verlaufen und findest dein Zimmer nicht mehr?

    „Nein, wir wohnen gleich hier." Sie deutete auf ihre Zimmertür.

    „Onkel Jim und ich. Und jetzt ist Onkel Jim eingeschlafen. Er war so müde nach dem langen Flug. erklärte sie, während die beiden auf das Zimmer zugingen. „Er schläft unheimlich fest. Ich bekomme ihn gar nicht mehr wach. Dabei habe ich schon alles versucht. Aber vielleicht können Sie mir ja helfen ihn zu wecken. hoffnungsvoll schaute sie zu ihm auf. Michaela deutete auf das Bett, wo Jim immer noch lag. „Meinen Sie er ist krank geworden? Ich hatte mal Fieber und da habe ich auch nur geschlafen. Sie beobachtete wie der Kellner an das Bett trat und Jim leicht an der Schulter rüttelte. „Hat Onkel Jim Fieber? fragte sie ängstlich.

    Nein, Fieber hatte dieser Mann nicht. Pierre schluckte. Was sollte er dem Kind nur sagen? Auf jeden Fall musste er jetzt die Ruhe bewahren. Er durfte seine Panik nicht zeigen und damit das Mädchen noch mehr verunsichern. Er atmete tief ein.

    „Ist Onkel Jim sehr krank?" Michaela wurde immer unruhiger.

    „Ich weiß es nicht. wich Pierre einer direkten Antwort aus. „Aber ich werde einen Arzt anrufen. Er ging zum Telefon hinüber. Nur die Ruhe bewahren. Sich nichts anmerken lassen. Diese Worte wiederholten sich in seinem Kopf wie ein Refrain.

    Er hob den Hörer ab und wählte die Nummer des Direktorenbüros. „Pierre LaGrande hier, Mr. McKittrick. Wir haben ein Problem in Zimmer 1280. Aus den Augenwinkeln sah er, wie das Mädchen im Nebenzimmer verschwand. Die Chance nutzend sprach er schnell in den Hörer. „Es handelt sich um einen Todesfall. Und der Gast hat ein etwa sechsjähriges Mädchen bei sich. Ich versuche es soweit es geht zu beruhigen. Doch es wäre gut, wenn Sie schnell kommen würden. Gerade als er den Hörer auf die Gabel legte, erschien Michaela wieder auf der Türschwelle. Ein kleines Kätzchen in der einen und eine Gitarre in der anderen Hand. „Kommt der Doktor bald?" fragend schaute sie ihn an.

    „Ja, er wollte sich sofort auf den Weg machen."

    „Gut, Michaela atmete auf, „er schafft es bestimmt Onkel Jim aufzuwecken. Sie krabbelte auf das Bett und setzte sich im Schneidersitz neben Jim. „Bis er kommt, werde ich Onkel Jim etwas vorspielen. verkündete sie. „Ich habe dieses Lied den ganzen Nachmittag geübt. Vielleicht wacht Onkel Jim ja von der Musik auf.

    Etwas hilflos sah Pierre zu, wie das Mädchen begann auf der Gitarre zu spielen. Immer in der Hoffnung ihr Onkel würde aufwachen. Was sollte er nur tun? Er konnte dem Kind doch schlecht sagen, dass der Mann tot war. Pierre schluckte. Er beschloss überhaupt nichts zu unternehmen und das Mädchen weiterspielen zu lassen.

    So kam es, dass Stuart McKittrick und Dr. Brégard schon auf dem Korridor den Klang einer Gitarre vernahmen. Erstaunt sahen die beiden Männer sich an. Die Musik kam aus Zimmer 1280. Was war da nur los? Eilig betraten sie das Zimmer.

    Pierre atmete erleichtert auf. „Gut dass Sie da sind, Mr.

    McKittrick. Er stand auf. „Dr. Brégard.

    Michaela hielt im Spiel inne und schaute auf. „Sie sind der Doktor?

    Können Sie Onkel Jim aufwecken? hoffnungsvoll blickte sie die Männer an. „Sie machen ihn wieder gesund, ja?

    Stuart McKittrick räusperte sich. Jetzt war guter Rat teuer. Er hatte schon einige schwierige Situationen gemeistert. Das war praktisch seine Hauptaufgabe seit er Alex’ Jobangebot angenommen hatte. Doch hier wusste er wirklich nicht, was zu tun war. Eine verflixte Situation. Er schaute auf das Kind hinunter, das ihn immer noch mit hoffnungsvollen Augen musterte. Zuerst einmal musste das Mädchen aus dem Zimmer, beschloss er einen Schritt nach dem anderen zu machen. „Was hältst du davon mit mir zu kommen, damit Dr. Brégard sich um deinen Onkel kümmern kann." er hielt ihr die Hand hin. Zweifelnd schaute Michaela ihn an. Sie wäre lieber hier bei Onkel Jim geblieben. Er wollte sie bestimmt sehen, wenn er die Augen aufmachte.

    „Ist Onkel Jim sehr krank?" erkundigte sie sich zaghaft.

    Stuart schluckte hart. Er bemerkte einen unnatürlichen Glanz in ihren Augen. Das Mädchen musste hier raus. Schnellstens! Ohne weitere Umstände nahm er ihr die Gitarre aus den Händen und hob sie vom Bett. „Je eher der Doktor sich um deinen Onkel kümmern kann, desto besser." Er stellte sie auf die Füße und ergriff ihre Hand.

    Michaela warf einen letzten Blick auf Onkel Jim. Er hatte sich immer noch nicht gerührt. Das machte ihr Angst. Vielleicht sollte sie doch besser mit diesem Mann gehen. „Aber du sagst sofort bescheid, wenn Onkel Jim aufwacht." fragend schaute sie Dr. Brégard an.

    „Er wird sofort anrufen." versprach Stuart.

    Fürs erste beruhigt wandte Michaela sich zur Tür. Im letzten Moment erinnerte sie sich an ihr Kätzchen. Das musste unbedingt mit. Sie ging zum Bett zurück und ergriff das kleine getigerte Plüschkätzchen. Sie ging nirgendwo ohne dieses Tierchen hin. Stuart nahm sie an die Hand und ging mit ihr aus dem Zimmer. Gemeinsam gingen sie den Korridor hinunter. „Fahren wir nicht mit dem Fahrstuhl?" fragte Michaela erstaunt als sie an den Aufzügen vorbeigingen.

    „Doch, aber wir fahren mit einem anderen Fahrstuhl." Stuart griff in seine Hosentasche und holte seinen Schlüssel heraus.

    „Du hast einen eigenen Fahrstuhl? Michaela war für einen Moment abgelenkt. „Genau wie Onkel Jim. Er hat auch so einen Schlüssel wie du. Onkel Jim und ich wir sind immer damit in sein Büro gefahren. Manchmal durfte auch Mrs. Thomas mit uns fahren. Lässt du auch mal andere Leute mit dem Fahrstuhl fahren?

    Stuart schüttelte den Kopf. Er war froh, dass das Mädchen zumindest für einen Moment abgelenkt zu sein schien. „Der Fahrstuhl gehört nicht mir. Dieses Hotel gehört einem Freund von mir und ich arbeite für ihn."

    „Bist du etwa eine Mrs. Thomas? Michaela machte große Augen. „Eine Sekretärin? sie hatte nicht gewusst, dass auch Männer Sekretärinnen sein konnten.

    Trotz der unangenehmen Umstände musste Stuart ein Grinsen unterdrücken, als sie den Aufzug betraten. „Nein, gab er zur Antwort, „ich bin keine Sekretärin. Ich bin sozusagen ein Problemlöser. versuchte er zu erklären. „Wenn es irgendwo Schwierigkeiten gibt, dann werde ich dort hingeschickt, um sie zu beseitigen."

    „Ist Onkel Jim ein Problem? Oder ich?"

    „Nein. log Stuart ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. „Ich bin wegen einem anderem Problem hierhin geschickt worden. und das war keine Lüge. Niemand konnte ahnen, dass so etwas passieren würde, während er sich hier aufhielt. Der Lift hielt mit einem Ruck an. „So, da wären wir. meinte er, als er zusammen mit Michaela aus dem Aufzug stieg. „Hier wohne ich, wenn ich im Hotel arbeite.

    Mit großen Augen schaute Michaela sich in der Penthouse-Suite um. Was für eine tolle Wohnung! Das musste Onkel Jim auch sehen, wenn er wieder gesund war. Sie trat an das große Panaromafenster. Wie weit man da gucken konnte! Sie konnte sogar den Eiffelturm sehen. „Morgen wollen wir da rauf gehen. sie deutete auf den hell erleuchteten Turm. „Onkel Jim hat gesagt, wie können mit einem Aufzug ganz bis oben hin fahren. Und alle Menschen würden aussehen wie Ameisen, wenn wir runterschauen. Michaela drehte sich zu ihm um. „Warst du schon einmal dort oben? Sehen die Menschen wirklich aus wie Ameisen?"

    Stuart atmete tief ein. Die Schonzeit war vorüber. Irgendwie musste er dem Mädchen jetzt erklären, dass ihr Onkel nicht mehr mit ihr auf den Eiffelturm fahren würde. Er setzte sich auf die Couch und klopfte auf einen Platz neben sich. „Willst du dich nicht zu mir setzen?" forderte er sie auf.

    Michaela zögerte noch. Die ernste Miene des Mannes gefiel ihr nicht. Und ihre Frage hatte er auch nicht beantwortet. Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie vor der Couch stand. Unbewusst verstärkte sie den Griff um ihr kleines Kätzchen. Verzweifelt suchte Stuart nach Worten. „Wie heißt du eigentlich?" erinnerte er sich, dass er noch nicht einmal ihren Namen kannte. Und es war zumindest ein Anfang in dieses unangenehme Gespräch.

    „Michaela. gab das Mädchen freimütig Auskunft. „Aber Onkel Jim nennt mich eigentlich immer nur Micky und manchmal auch sein kleines Kätzchen.

    „Und deine Eltern? Wie nennen sie dich?" forschte Stuart weiter.

    „Eltern habe ich nicht. Es gibt nur mich und Onkel Jim. erzählte sie freimütig. „Ganz früher hatte ich mal eine Mutti. Aber die war gar nicht nett zu mir. Und dann hat sie mich zu Onkel Jim gebracht. Und dann bin ich sein kleines Mädchen geworden.

    So etwas hatte Stuart noch nicht gehört. „Hat es dir denn gar nichts ausgemacht nicht mehr bei deiner Mutti zu leben?"

    „Nein, überhaupt nicht. vehement schüttelte sie den Kopf. „Bei Mutti war es gar nicht nett. Sie wollte mich eigentlich gar nicht haben. Deshalb hat sie mich zu Onkel Jim gebracht. Und bei ihm ist es viel schöner. Zuerst hatten wir ja etwas Angst, dass Mutti mich wiederholen würde. Doch dann hat Onkel Jim mich adoptiert. Und jetzt bleiben wir für immer zusammen. Niemand kann mich von ihm wegholen. Und wenn ich groß bin dann heirate ich ihn! schloss sie triumphierend. „Wirklich." bekräftigte sie als keine Reaktion von dem Mann kam.

    Stuart wurde immer elender zumute. Was sollte er nur tun? Wie sollte er dem Kind erklären, dass sie ihren Onkel nicht heiraten würde? Das sie nicht mehr mit ihm zusammen sein konnte? Er wünschte Alex wäre an seiner Stelle. Er wäre besser für diese Situation gerüstet. Alex oder besser noch seine Frau Daniela. Doch die beiden ließen es sich auf einer Kreuzfahrt in der Karibik gut gehen. Zweite Flitterwochen nannten sie das. Als ob sie die überhaupt nötig gehabt hätten. Soweit er das sah, waren die beiden noch nicht einmal aus den ersten Flitterwochen herausgekommen! Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare.

    Michaela bekam es mit der Angst zu tun. Wieso sagte der Mann nichts? Ihr wurde immer mulmiger zumute. Ihre Finger verkrallten sich in das abgeschabte Fell des Kätzchens. Sie umklammerte es so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Ist Onkel Jim sehr krank?" fragte sie beklommen.

    Stuart konnte das Zittern in der Stimme des Mädchens nicht überhören. Er durfte sie nicht länger im Ungewissen lassen. Durfte sie nicht länger quälen. Aber oh Gott, noch niemals war ihm etwas derart schwer gefallen. Dicht zog er Michaela an sich heran. Er schluckte hart. Einmal. Zweimal. „Dein Onkel wird sehr, sehr lange schlafen." brachte er dann heraus.

    „Wie lange? mit angehaltenem Atem wartete sie auf die Antwort. „Er wird doch wieder aufwachen? hakte sie nach, als keine Antwort kam.

    Stuart schüttelte den Kopf. „Dein Onkel Jim ist jetzt im Himmel."

    „Er wird nicht wieder kommen?" Tränen sammelten sich in ihren Augen.

    „Nein, mein Kleines, er wird nicht mehr zurück kommen. bestätigte er behutsam. „Dein Onkel Jim ist jetzt an einem Ort, wo alle Menschen glücklich sind. Und wer einmal dort ist, der will nicht mehr zurückkommen.

    „Wieso nicht?" mit aller Macht unterdrückte sie ihre Tränen. Wenn Onkel Jim so glücklich war, dann durfte sie doch nicht weinen.

    „Du würdest von so einem schönen Ort auch nicht zurückkommen wollen." versuchte Stuart unbeholfen zu erklären.

    „Ist es dort so schön wie in Disneyland? wollte Michaela wissen. „Noch viel schöner. versicherte er.

    „Aber warum hat Onkel Jim mich dann nicht mitgenommen? fragte sie. „Er hat mich doch überall hin mitgenommen. sie verstand es nicht. „Er hat doch versprochen mich nie alleine zu lassen."

    Was sollte er darauf erwidern? Stuart war am Ende seiner Weisheit angelangt. Besorgt betrachtete er das Mädchen. Ihm wäre es lieber gewesen sie würde ihren Tränen freien Lauf lassen. Es tat ihm fast körperlich weh mit an zusehen, wie sie um ihre Beherrschung rang. Die Lippen aufeinander gepresst. Die rechte Hand zur Faust geballt. Die Finger der linken Hand in das Fell des kleinen Plüschkätzchens gekrallt. Den Blick starr geradeaus gerichtet. Steif saß sie neben ihm auf der Couch. Ab und zu lief ein sichtbares Zittern durch den kleinen Körper. Sie sprach kein Wort. Nur ihre schweren Atemzüge waren in der Stille des Zimmers zu vernehmen. Stuart wusste, eigentlich sollte er etwas tun, um das Kind zu trösten. Doch was sollte er sagen? Wie sollte er sich verhalten? Dieses Kind hatte gerade die wichtigste Bezugsperson in ihrem Leben verloren. Gab es überhaupt Worte sie über ihren Verlust hinweg zu trösten? Er fand jedenfalls keine. So blieb er lieber still neben ihr sitzen und wartete ab. Vielleicht zeigte sie ja doch bald irgendeine Reaktion.

    Lange Zeit saßen der Mann und das Kind nebeneinander auf der Couch. Gedrücktes Schweigen herrschte im Raum. Kein Laut war zu hören, außer den unregelmäßigen Atemzügen des Mädchens. Dann kam Stuart unversehens die Zeitverschiebung zu Hilfe.

    Michaela war jetzt seit 15 Stunden wach. Im Flugzeug hatte sie nur ein wenig gedöst. War immer wieder durch Turbulenzen geweckt worden. Dazu kam jetzt die emotionale Erschöpfung des eben erlebten Schocks. Die Augen fielen ihr zu. Ihr Körper sackte nach vorne. Geistesgegenwärtig griff Stuart unter ihre Arme und verhinderte dass sie von der Couch fiel. Er stand auf und bettete sie behutsam auf die Couch. Die Kleine war eingeschlafen. Nie war ihm etwas willkommener gewesen. Er hob den kleinen Körper auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Dort legte er sie vorsichtig ins Bett. Bloß das Mädchen jetzt nicht wieder aufwecken. Er breitete eine leichte Decke über den Kinderkörper aus und blickte auf sie hinunter. Sie schlief wirklich. Er konnte es kaum fassen. Doch es war kein erholsamer Schlaf, wie er jetzt registrierte. Das Mädchen war völlig verkrampft. Ihre Augenlider flatterten, als ob sie sich gegen den Schlaf wehren würden. In unregelmäßigen Abstanden lief ein nervöses Zucken durch ihren Körper. Ihre Lippen waren immer noch fest zusammen gepresst.

    Mit einem letzten besorgten Blick auf das Mädchen verließ Stuart das Zimmer. Einige dringende Anrufe warteten auf ihn. Doch im Wohnzimmer war sein erster Gang nicht zum Telefon, sondern er steuerte geradewegs auf den Barschrank zu. Zuerst einmal brauchte er einen Scotch. Einen doppelten! Den hatte er sich redlich verdient, wie er fand.

    Als er seine Anrufe erledigt hatte, kam ihm in den Sinn, dass er sich durchaus auch einen dreifachen Scotch verdient hätte. Oder besser noch eine ganze Flasche. Diese Situation war weit davon entfernt bereinigt zu sein. Im Gegenteil, die Schwierigkeiten schienen erst anzufangen. Jim Masters hatte anscheinend einen Herzinfarkt erlitten. Dr. Brégard war sich ziemlich sicher, dass die Obduktion seine Diagnose bestätigen würde. Der Tote war offensichtlich Vorstandsvorsitzender einer EDV-Anlagen Firma.

    Eine Art Selfmade-Millionär. Angehörige gab es offenbar

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