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Angst & Liebe: Wie das Leben einen Menschen formt
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Angst & Liebe: Wie das Leben einen Menschen formt

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About this ebook

mayanan pramada wurde 1981 als Tochter einer Chemiefacharbeiterin und eines Maurers in Naumburg an der Saale geboren. Ihre Eltern gaben ihr den Namen Melanie Köbke. Ihre Kindheit und Jugend waren vorrangig geprägt von Angst und einer starken Sehnsucht nach Liebe. Nachdem sie das Abitur mit 1 abgeschlossen hatte, ging sie für eine Krankenschwester-Ausbildung nach Frankfurt am Main, die sie jedoch wegen eines Bandscheibenvorfalls im Alter von 19 Jahren vorzeitig abbrechen musste. Sie wechselte somit im Jahr 2001 - im selben Jahr starb ihre Großmutter, kurz darauf geriet sie in eine 9monatige Wohnungslosigkeit - in die IT-Branche, schloss 2004 eine Ausbildung zur IT-Systemkauffrau mit Auszeichnung ab und begann im Anschluss ein Studium an der FH Wiesbaden. Im selben Jahr wendete sie sich aufgrund ihres seelischen Leides an eine große Tageszeitung mit dem Ziel, eine Selbsthilfegruppe für Betroffene mit »Borderline« zu gründen. Sie war damit erfolgreich und die Selbsthilfegruppe existierte zwei Jahre. 2005, nach drei Semestern an der FH, erlitt sie einen psychischen Zusammenbruch, ein Jahr darauf entkam sie nur knapp dem Freitod, verbrachte zwölf Wochen in einer Psychiatrie und war danach erneut für sechs Monate wohnungslos. Diese gravierenden Erfahrungen beeinflussten ihr Innenleben maßgeblich. Sie legte ihren Geburtsnamen ab, ließ Wiesbaden und viele ihrer Freunde hinter sich und widmete sich mehrere Jahre der Aufarbeitung ihrer traumatischen Kindheit und Jugend. Seit dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2010 - im selben Jahr schloss sie auch erfolgreich eine Umschulung zur Digitaldruckerin ab - gibt sie sich voll und ganz ihrer Berufung hin: dem Schreiben, dem Mitteilen ihrer Erfahrungen und Erkenntnisse, dem Heilen mit Worten.

Dieses Buch ist ihre Lebensgeschichte, erzählt mit über 200 Schwarz-Weiß-Photos und Zeichnungen, über 70 Gedichten und mehr als 320 Originalauszügen aus ihren Tagebüchern, die sie im Alter von elf Jahren zu schreiben begann. Es ist das schonungslose Zeugnis eines Menschen, der nahezu zwei Jahrzehnte auf der Suche nach sich selbst war - sich dabei fast verlor - doch dadurch letztlich zu sich selbst finden durfte.

Es ist nicht einfach nur die Geschichte einer »Borderline-Persönlichkeit«. Es ist die Schilderung dessen, was Leben ist: intensiv, unvorhersehbar, komplex, gewaltig, unbeugsam, kraftvoll, mutig, mystisch ... ein einmaliges und wertvolles Geschenk.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateJan 21, 2013
ISBN9783849501846
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    Angst & Liebe - mayanan pramada

    0 – 6 Jahre / Vorschulzeit

    In meinem ursprünglichen Zustand der Einheit und Ganzheit wusste ich nicht einmal, dass ich existiere. Und eines Tages sagte man mir, ich sei »geboren« worden, ein bestimmter Körper sei »ich« und ein bestimmtes Paar seien meine Eltern.

    Ramesh S. Balsekar

    Mitte der 70er Jahre lernten sich ein Junge und ein Mädchen – beide etwa 14jährig – in einem Lebensmittelgeschäft kennen und verliebten sich ineinander. 1980 heirateten sie – mit großen Plänen und hoffnungsvollen Träumen im Gepäck.

    Das waren meine wundervollen Eltern Evelin Christiane Geißler und Lutz Martin Köbke.

    Ich war zum Zeitpunkt ihrer Vermählung bereits im Bauch meiner Mama mit dabei.

    Am Montag, den 09.03.1981, um 00:10 Uhr wurde ich in Naumburg an der Saale im schönen Burgenland in Sachsen-Anhalt geboren. Meine Mutter war an diesem Tag hoffnungsvolle 20 Jahre jung, mein Vater 22. Ich war ein Wunschkind von Herzen für beide.

    Meine Eltern gaben mir den Namen Melanie. – Er bedeutet »die Dunkle«, »die Schwarze«, »die abseits Stehende«, »die Beobachtende«, »die Nachdenkliche«, »die Melancholische« und weist damit auf das »düstere nachdenkliche Wesen« der Namensträgerin hin. – Es war der perfekte Name für meine persönliche »Reise ins Leben«!

    Mit der Vergabe meines Namens, aber vor allem durch meinen festen Geburtszeitpunkt (als meine Seele im Körper inkarnierte) – davon bin ich überzeugt – war das grundlegende Muster meines zukünftigen Menschseins (mein Denken / Fühlen / Verhalten / Stärken & Schwächen / Fähigkeiten & Talente / Aufgaben im Leben) festgelegt.

    Niemand von uns ist zufällig und ohne Sinn (ohne »Aufgabe/Auftrag«) auf der Welt. Wir sind – ebenso wie die Erde, die Galaxis, das Universum – durch und durch strukturierte und organisierte Energie, die wir als »materiell« und mit einem »Ich« ausgestattet erleben.

    Unsere »Aufgabe« / unseren »Auftrag« müssen wir nicht unbedingt verstehen oder formulieren können. Wichtig ist, dass wir im Laufe unseres Lebens erkennen, wer und wie wir wirklich sind (unsere »Stärken« fördern) – dass wir lernen, uns zu lieben (unsere »Schwächen« annehmen und zu handhaben wissen) – dass wir lernen, uns so zu leben, wie wir nun einmal sind und sein wollen! Dann sind wir in unserer Kraft, in unserer Mitte, in unserem Element, in unserem »Auftrag«. – Dann nehmen wir bewusst und aktiv an »Gottes phänomenal gigantischem Meisterwerk« teil.

    Im Indianischen Horoskop bin ich ein »Puma«. Im Chinesischen Horoskop bin ich ein »Hahn«. In der Astrologie bin ich ein »Fisch« mit Aszendent »Skorpion«. Im Human Design System bin ich ein »Projektor«, habe das Profil »2/4«, meine Innere Autorität ist »Emotional – Solar Plexus« und mein Inkarnationskreuz lautet »Das rechte Kreuz des Regierens«. In all diesen Horoskopen finde ich die mir sehr wichtigen und liebgewonnenen (»starken« und »schwachen«) Eigenschaften meines Wesens wieder.

    Laufen – auf zwei Beinen aufrecht durchs Leben gehen – wollte früh geübt sein. Ich hatte es damit (mit vielem) sehr eilig, wie mir meine Mutter später einmal erzählte.

    Auch mein Papa war da und stützte mich während meiner ersten Schritte in dieser großen neuen Welt, die es kennenzulernen, zu studieren, zu verstehen und – letztlich – zu lieben galt.

    Meine Eltern arbeiteten viel. So war ich – ein Kind, das sehr an Mama und Papa hing – oft bei meinen Großeltern (oben im Photo mit meiner Oma väterlicherseits). Als ich erst ein halbes Jahr alt war, musste ich bereits in die Kinderkrippe.

    Meine Mutter schrieb mir vor vielen Jahren in einem Brief, dass sie auf Arbeit oft weinend an den Maschinen stand, während ich in der Kinderkrippe war. Mich dort jeden Tag abgeben zu müssen, weil sie arbeiten, Geld verdienen und die Familie ernähren musste, quälte sie sehr. Jedes Mal, wenn sie mich dort allein zurückließ, schrie ich, was es ihr noch schwerer machte. Mit den anderen, fremden Kindern und Erwachsenen wollte ich nicht zusammen sein. Sie konnten Mama nicht ersetzen.

    Meine fleißigen, jungen Eltern mit ihrer größten Freude, ihrem gemeinsamen Glück: ihrer klugen und aufgeweckten Tochter.

    Mein Vater, Hauptschulabschluss, war gelernter Maurer, arbeitete jedoch als Kurierfahrer (auch ins östliche Ausland) und war für die FDJ sehr aktiv.

    Meine Mutter, Hauptschulabschluss, hatte in den Leuna-Werken Chemiefacharbeiterin gelernt und arbeitete im Schichtsystem in der Metall-Verarbeitung.

    Ich soll ein lebhaftes Kind gewesen sein – ein kleiner, wilder Feger mit vielen Fragen, die zum Vorschein kamen, je mehr Worte ich lernte. Viele Erinnerungen habe ich an diese Zeit meines Lebens leider nicht. Ich weiß aber: Ich lernte früh und schon immer gern und schnell.

    Hier bin ich mit meiner Mama und meiner Lieblingspuppe.

    Diese Puppe war etwas ganz Besonderes für mich, denn sie konnte ihre Augen öffnen und schließen, was mich total fasziniert hatte. – Im Gegensatz zu anderen Puppen, bei denen die Augen nur aufgemalt waren und man sie sogar wegkratzen konnte. – Es soll ein Riesendrama gewesen sein (aber nicht so schlimm wie mit meinen Unmengen an Schnullern), als diese Puppe kaputt ging und weggeworfen wurde.

    An der Seite meiner wunderschönen, jungen Mutter – eines meiner Lieblingsbilder.

    Zu dieser Zeit hielten mich alle Menschen für einen Buben, was mich nicht sonderlich störte, da ich mit Mädchen eh nicht gut zurecht kam. Ich spielte (bis zum Ende der Grundschule) lieber mit Jungs, denn die waren irgendwie nicht so kompliziert wie Mädchen. Zumindest war so mein damaliges Empfinden.

    Fasching im Kindergarten. Die Kostüme für mich (auch später für meinen Bruder) hatte meine Mutter jedes Jahr immer selbst genäht, oft bis tief in die Nacht.

    Im Kindergarten schon war ich ein Außenseiter. Nicht, weil ich es unbedingt wollte, sondern weil die Bedingungen meines Zuhauses dies mit sich brachten:

    Ich wurde oft morgens als erstes Kind abgegeben und abends als letztes Kind wieder abgeholt, manchmal so spät, dass ich glaubte, meine Familie hätte mich vergessen.

    Ich wurde etliche Male ungewaschen und mit Läusen in den Haaren im Kindergarten abgegeben. Dann sonderten mich die Erzieher von der Gruppe ab und wuschen und entlausten mich auf grobe Weise.

    Auch war ich oft krank, hatte viele Kinderkrankheiten, Asthma, oft Angina und Bronchitis und litt regelmäßig an anderen körperlichen Beschwerden, wie z.B. Bauchschmerzen, Nasenbluten, Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen, wodurch ich dann wiederum von den anderen Kindern abgetrennt wurde bzw. eine Sonderbehandlung erhielt.

    Ich konnte mittags nicht schlafen, wenn wir alle Mittagschlaf halten sollten, also stellten die Erzieher genervt meine Liege in ein anderes Zimmer, wo ich dann auch allein war.

    Zu Ostern, wenn wir im Wald unsere Osterkörbchen suchten, fehlte meines manchmal. Zu Weihnachten, wenn alle Kinder Geschenke in ihren Spinten vorfanden, waren ein Mal Kohle und Rute in meinem, obwohl ich wusste, dass ich ein »braves« Kind gewesen war.

    Ich weiß bis heute nicht, warum dies alles so geschehen ist, und das spielt auch keine Rolle mehr für mich. Wichtig ist, was es in mir bewirkte: nämlich das Gefühl, dass ich in dieser Welt unwichtig, unerwünscht, ungewollt, lästig, störend und fehl am Platz bin.

    Ich war ein Bündel voller Fragen – und wie jedes Kind: sehnsüchtig nach Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit!

    Ich liebe dieses Bild; es ist besonders, denn die Nähe zu meiner Mutter – eine Nähe, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann – wurde schon bald radikal zerstört.

    1986, ich war fünf Jahre alt, wurde mir ein Brüderchen geschenkt. Seinen Namen Sebastian erhielt er von mir – darauf war ich mächtig stolz. Ich liebte ihn für immer gleich auf den ersten Blick.

    Ende des Jahres 1987 schon verließ uns leider unser Vater. – Und damit brach die Tragik in voller Gewalt über mein (unser) Leben herein, da es für unsere noch sehr junge Mutter unmöglich war, den Verlust ihrer großen Liebe – und ihre Wut, allein gelassen worden zu sein – zu bewältigen, ohne dabei ihren Kindern psychischen und körperlichen Schaden zuzufügen.

    Für ein Kind ist seine Familie / seine Umgebung die ganze Welt. Daraus entwickelt es seinen Blick auf die Welt, sein Verstehen der Welt und seine Position in der Welt. Ich erfuhr ab diesem Zeitpunkt, dass die (ganze) Welt gefährlich, bedrohlich, gewalttätig, unberechenbar und ein Leben in ihr leidvoll ist.

    6 – 10 Jahre / Grundschulzeit

    Danach fing ich an, Tag für Tag weitere Informationen über »mich« zu akzeptieren und errichtete so eine Schein-Persönlichkeit, nur weil ich die Last auf mich genommen hatte, geboren worden zu sein, obwohl mir voll bewusst war, dass ich niemals diese Erfahrung, geboren zu werden, gemacht hatte und mir mein Körper ohne meine Zustimmung aufgezwungen worden war.

    Ramesh S. Balsekar

    1987 – Meine Einschulung. Ich hatte mich sehr auf diesen Tag gefreut.

    Diese große Schultüte, das erinnere ich noch, konnte ich nur für dieses eine Photo halten, denn sie war mir eigentlich viel zu schwer. Die ganzen Süßigkeiten hat dann später, wie das jüngere Geschwister gern machen, mein kleiner Bruder genascht.

    Die Schule fiel mir sehr leicht, wie im Zeugnis der 1. Klasse zu sehen ist. Das war auch gut so, denn die Schule bot mir einen sicheren Zufluchtsort vor der bedrohlichen, unberechenbaren Gewalt, der ich zuhause ausgeliefert war. In der Schule war ich »sehr gut« und ich wurde von den Lehrern oft gelobt. Diese Anerkennung in der Schule war überlebenswichtig für mich, da ich dies zuhause nicht erfuhr (obwohl ich an dieser Stelle meiner Mutter danken muss, dass sie mich immer mit Büchern versorgt hat und damit meinen Wissendurst stillen half). Während meiner ganzen Schulzeit hatte ich nie irgendjemandem erzählt, wie sehr ich zuhause litt. Ich lebte ein Doppelleben: draußen lächeln, drinnen weinen.

    Die Trennung meiner Eltern verursachte, dass ich mich auch in der Schule wie eine Außenseiterin fühlte, denn ich war damals das einzige »Scheidungskind« in meiner Klasse. Für meine Oma (die Mutter meiner Mutter) war es eine Schande, dass sich ihre Tochter scheiden ließ. Diese Schande sah ich auch auf mir lasten.

    Ich war in der Schule plötzlich ein Kind, dass oft nicht mehr mitreden konnte. – Ich hatte keinen Vater mehr! – Meine Familie war für die anderen Kinder »unnormal«. Dadurch war auch ich, so glaubte ich zumindest, »unnormal«. – Schon mit den einfachsten Hausaufgaben hatte ich Probleme, wie z.B. im Deutschunterricht zu schreiben, was ich in den Ferien mit meinen »Eltern« unternommen hätte. Ich hatte keine Eltern in dem Sinne mehr – und hinzu kam, dass meine Mutter (gesundheitlich und finanziell) oft nicht in der Lage war, mit uns Kindern etwas zu unternehmen.

    Bereits in der Grundschule fiel mein Talent zum korrekten Schreiben und genauen Zeichnen auf. Zu meiner ersten Kurzgeschichte – sie hieß »Sahra« und handelte von einem kleinen Mädchen, das mithilfe eines fliegendes Pferdes nachts in Fantasiewelten reiste – befragte die Lehrerin meine Mutter, ob ich diese Geschichte allein, also ohne fremde Hilfe geschrieben hätte. Auch zu meiner ersten Zeichnung eines Stilllebens – die gekonnte Umsetzung der Schatten war dabei das Herausforderndste – wurde meine Mutter ebenso von der Lehrerin gefragt, ob ich dieses Bild allein gezeichnet hätte.

    Schon als kleines Kind träumte ich davon, eines Tages »berühmt« zu sein und vielen Menschen etwas von mir zu zeigen. Mein erster Berufswunsch war Sängerin. Ich lernte deutsche und englische Songs auswendig und sang sie meiner Mutter in der Küche vor. Ich glaube, ich war dabei sehr hartnäckig, ein »Nein« von ihr hätte ich nicht akzeptiert. Ich freute mich und war sehr stolz, wenn sie mich lobte. Später dann wollte ich Schriftstellerin werden. Eifrig schrieb ich an meinen Märchen und Geschichten und war fest davon überzeugt, dass ich schon schreiben konnte wie eine »große Schriftstellerin«. Auch dafür musste meine Mutter herhalten, denn ich las ihr immer meine neuesten Werke vor. Manche umfassten mehrere A4-Seiten und ich muss heute lächeln und bin von Freude erfüllt, wenn ich erkenne, wie viel Geduld und Zuspruch mir meine Mutter in diesen Momenten entgegengebracht hat. – Mit etwa zehn Jahren hörte das auf. Ich sang und las meiner Mutter nichts mehr vor und ich zeigte ihr auch keine meiner Zeichnungen mehr. Ich glaubte, sie mit solchen Kinderspielchen nicht mehr belästigen zu dürfen, da sie so viele Erwachsenen-Sorgen hatte und immer depressiver wurde.

    Ja, ich war gern Pionierin.

    Man bezeichnete mich als redefreudig? Interessant! Ich erinnere mich, dass es mir sehr schwer fiel, während des Unterrichtes nicht mit den Kindern um mich herum zu reden. Daher hatte ich im Fach »Betragen« immer eine Zwei.

    Diese erwähnte Redefreudigkeit wandelte sich aber innerhalb der nächsten Jahre in tiefes Schweigen, in Rückzug, in Unsichtbarkeit. Ich galt später auf dem Gymnasium als schüchtern, kompliziert und introvertiert.

    Eine Urkunde erhielt damals in der DDR jeder Schüler, der sehr gute Leistungen erzielte. Meine Mutter platzte natürlich vor Stolz. Während meiner Grundschulzeit zeigte sie oft anderen Menschen meine Zeugnisse und betonte, wie intelligent ich doch sei, wie stolz sie auf mich sei. Für mich war das sehr verwirrend, denn auch sie lebte damit ein Doppelleben: draußen Lob, drinnen Schläge.

    Sie war manchmal nächtelang weg und ich war allein mit meinem kleinen Bruder, der ja fast noch ein Baby und ebenfalls sehr häufig krank war. Sie hatte zwar Nachbarn beauftragt, regelmäßig nach uns zu schauen, doch das wusste ich nicht und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass Nachbarn nach uns geschaut hätten. Als ich eines Nachts oder frühen Morgens erwachte und unsere Mutter nicht da war, holte ich meinen Bruder aus dem Bett und betrachtete mit ihm weinend und verzweifelt unsere Familienphotos. Ich glaubte tatsächlich, unsere Mutter hätte uns verlassen, würde niemals wieder zu uns zurück kommen und wir seien nun für immer mutterseelenallein. Es kam mir vor wie endlose Stunden. Als sie dann endlich doch nach Hause kam und wir freudestrahlend, erleichtert und sehnsüchtig auf sie zuliefen, erhielt jeder von uns eine Ohrfeige mit der Anweisung, sofort wieder ins Bett zu gehen.

    Letztlich, das spürte ich damals schon, war meine Mutter überfordert – überfordert mit sich und ihrem Leben – und zusätzlich überfordert mit der alleinigen Verantwortung für zwei kleine Kinder; eines davon ich: ein kluges, begabtes und hochsensibles Kind, als das ich mich immer mehr herausstellte.

    Als ich erwachsen war, erzählte mir meine Mutter, dass sie sich Vorwürfe machte, mich nicht genügend gefördert zu haben (im Zeichnen, Musizieren, Sport, Schreiben, Singen, Fremdsprachen, uvm.). Sie wusste einfach nicht, wie sie das hätte finanzieren sollen.

    Natürlich tat es ihr auch unendlich leid, dass sie uns geschlagen hatte. – Schon in meiner Kindheit hatte sie mich nachts oft aus dem Bett geholt und sich unter Tränen bei mir entschuldigt, wenn sie mich tagsüber wieder verprügelt hatte. Ich wurde in diesen nächtlichen Momenten irgendwann eiskalt wie ein Stein, denn ich erfuhr ja am eigenen Leib, mitunter schon am nächsten Tag, dass sie trotzdem mit dem Schlagen nicht aufhörte. – Oft hatte sie mir später in Briefen geschrieben, wie gern sie dazu bereit gewesen wäre, all mein Leid auf ihre Schultern zu nehmen. Dabei hatte sie selbst genug Leid aus ihrem eigenen Leben und ihrer eigenen Kindheit und Jugend zu tragen, die ebenfalls von Gewalt und Alkoholismus geprägt waren.

    Heute weiß ich: Sie hat ihr Bestmögliches gegeben. Trotz allem: Sie liebte uns.

    Als guter Pionier und bewegungsfreudiges Kind nahm ich regelmäßig an Sportwettkämpfen teil und war gar nicht so schlecht. Damit wurde mir wieder Ehre und Anerkennung zuteil, was ich so sehr brauchte, um zuhause zu überleben.

    Wieder einer der vielen Sportwettkämpfe, an denen ich teilnahm. Sie waren ein wichtiger Teil meines Lebens.

    Ich, etwa in der zweiten Klasse: ein unauffälliges, freundliches, fleißiges Kind.

    Oh je, das Schwimmlager in den Sommerferien vor der dritten Klasse. Ich hatte Angst vor Wasser und meine Mutter war der Ansicht, ein Schwimmlager sei gut für mich, damit ichs dann in der dritten Klasse, wenn Schwimmen offiziell zum Unterricht gehörte, leichter habe. – Ich lernte gut schwimmen, die Taufe aber habe ich nicht als angenehm in Erinnerung. »wild« ist wohl nur in meinem Taufnamen enthalten, weil ich mich so sehr gegen das »Tauf-Ritual« gewehrt habe.

    Ich betrachte manchmal diese Urkunde und versuche mich zu erinnern. Aber ich erinnere mich einfach nicht daran, mit acht Jahren an einem Herbstcross teilgenommen und sogar den zweiten Platz belegt zu haben.

    Traumatisierungen können zu Erinnerungslücken führen. Im Alter von fünf bis zehn Jahren war meine Kindheit besonders schwer. Mit sieben oder acht Jahren war ich vor ein Auto gelaufen – als Hilferuf, weil ich vom neuen Partner meiner Mutter in einer »Dunkelkammer« (wie ich sie nannte) eingesperrt wurde. Das Auto (ein gelber Wartburg) erwischte mich damals in Steißbeinhöhe. Ich lief panisch vor den Menschen, die mir helfen wollten, weg, litt tagelang unter Schmerzen und blutigem Stuhlgang und erzählte niemandem davon. Meiner Mutter erzählte ich es erst, als ich schon 16 Jahre alt war. Sie war geschockt und weinte. Erst Ende 2000 wurden die damals entstandenen Schäden an meiner Wirbelsäule entdeckt (in Form von Vernarbungen).

    Ich erinnere mich noch sehr genau, dass meine Mutter mich während meiner Jugend mehrmals im Jahr gefragt hatte, ob mir denn während der Zeit mit ihrem damaligen Partner etwas Schlimmes passiert gewesen sei, ob ich Erinnerungen an etwas hätte. Ich war verwundert, warum sie fragte, musste immer verneinen, verschwieg aber, dass ich das Gefühl nicht los wurde, dass da ein dunkles Geheimnis verborgen lag. Und als ich meiner Mutter mit etwa Anfang 20 Jahren gestand, dass ich psychische Probleme hatte und litt, war ihre prompte Antwort: »Also doch. Ich ahnte es. Er hat dich sexuell missbraucht.« Ich nahm dies damals zwar noch nicht allzu ernst, still und leise aber wucherte diese Vermutung meiner Mutter wie ein Krebsgeschwür in mir.

    Meine Erinnerungslücke erstreckt sich im Grunde über meine ersten elf Lebensjahre. Mit elf Jahren hatte ich begonnen, ein Tagebuch zu führen. Mein Leben davor habe ich nur in verwirrenden, oft schwer zuordenbaren Bruchstücken oder schwer greifbaren Bildern in Erinnerung. Damals, mit elf oder zwölf, konnte ich mich noch mehr an mein Leben davor erinnern, aber ich erinnere mich heute, dass ich einfach nicht die Kraft dazu hatte (und ich mich unsäglich schämte), das Erlebte ins Tagebuch zu schreiben. Und auch in den darauffolgenden Jahren konnte ich vieles, was ich noch erlebte, nicht aufschreiben – sondern nur vergessen, um nicht daran zu zerbrechen.

    Auch an diesen Instrumentalistenwettstreit kann ich mich nicht erinnern. Aber ich weiß, ich spielte während der Grundschule Blockflöte (auch mit Soloauftritten in der Schule, in Seniorenheimen, in Krankenhäusern – wie es Pioniere damals taten) und ich spielte Querflöte in einem Spielmannszug. Meine Mutter war jedes Mal sehr stolz, wenn ihre Tochter während der vielen Stadtfeste, die eine Mittelalter-Stadt so hat, bei den Straßenzügen mit dabei war.

    Ich (links vorn) während einer Klassenfahrt in der dritten Klasse. Nur die Photos erinnern mich daran. – Ich selbst habe keine Erinnerung.

    Das Ende der Grundschule … und auch der DDR.

    Ab der fünften Klasse wurde man ein Thälmann-Pionier und das bis dahin blaue Halstuch wurde durch ein rotes ersetzt. Aufgrund der Wende habe ich diesen Status nicht erreicht, was ich damals sehr bedauerte. Denn ich war gern Pionier. Pionier sein bedeutete für mich in erster Linie Hilfsbereitschaft (vor allem Schwächeren und Kranken gegenüber), freiwillige gemeinnützige Arbeit, Verantwortung, Güte, Freundlichkeit und Zusammenhalt.

    Ich habe die Wende übrigens nicht als positives Ereignis in Erinnerung. Meine Mutter und andere Familienmitglieder wurden arbeitslos, da in kurzer Zeit viele Fabriken und Firmen geschlossen wurden. Für meine Mutter begannen damit die finanziellen Sorgen, auch, weil zugleich alles teurer wurde.

    Mit diesen Noten war klar: Die fünfte Klasse würde ich an einer neuen Schule – einem Gymnasium – beginnen (müssen); für mich eine große beängstigende Veränderung, denn ich verließ einen sicheren Hafen und wusste nicht, ob mich der neue ebenso beschützen würde.

    Nur ein Jahr später – mit zehn Jahren – bekam ich zum ersten Mal meine Periode. Meine Mutter hatte mich zwar bereits darüber aufgeklärt, aber ich war zutiefst erschüttert. Sie sagte stolz: »Nun Melly, wirst du zu einer Frau!«, und meinte es sicherlich gut. Aber ich wollte gar keine Frau werden. Ich wollte Kind bleiben. Ich sehnte mich danach, weil meine Kindheit bereits mit etwa sechs Jahren beendet war und ich mich Herausforderungen (vor allem psychisch) ausgeliefert sah, die mich schneller hatten erwachsen werden lassen. Ich war zu diesem Zeitpunkt innerlich längst kein Kind mehr, was sich auch darin zeigte, dass ich mich unter Gleichaltrigen sehr unverstanden und verloren fühlte.

    10 – 14 Jahre / Gymnasialzeit I

    Nach und nach wurde die Konditionierung immer stärker und nahm ein solches Ausmaß an, dass ich nicht nur die Last akzeptierte, als bestimmter Körper geboren worden zu sein, sondern auch, dass ich eines Tages »sterben« würde; und das Wort »Tod« wurde zu einem Grauen, zur Vorankündigung eines schrecklichen Erlebens.

    Ramesh S. Balsekar

    Dies war meine letzte Teilnahme an einem Sportwettbewerb, denn als ich etwa zwölf Jahre alt war, wurde die Scheuermann’ sche Krankheit bei mir diagnostiziert, eine Wirbelsäulenerkrankung, die in der Regel nur im Jugendalter auftritt. Die Ärzte prognostizierten mir ein Leben im Rollstuhl, was für mich ein enormer Schock war und mit dazu beitrug, dass ich glaubte, nicht sehr alt zu werden. Es folgten Jahre, in denen ich durchgehend zur Physiotherapie gehen musste, um keinen – so sagte man mir – Buckel zu bekommen.

    Ab diesem Zeitpunkt traten also meine seelischen Schmerzen in Form von körperlichen Schmerzen langsam zutage. Diese Erkrankung hatte zur Folge, dass ich vom Schulsport befreit wurde und ich während des Sportunterrichts auf der Bank sitzen (oder dem Lehrer assistieren) musste. Wieder fühlte ich mich durch die äußeren Umstände wie ein Außenseiter.

    Einsamkeit

    Ich gehe durch leere Straßen.

    Ich bin allein.

    Allein an diesem Abend.

    Der Mond verschwindet hinter den Wolken.

    Die Straßenlampen flackern.

    Sie erlöschen.

    Ich stehe im Dunkeln.

    Ich habe Angst.

    Angst vor dem ewigen Dunkel.

    Angst vor der Einsamkeit.

    1995

    Während der Grundschulzeit hatte ich viel Zeit damit verbracht, Geschichten und Märchen zu schreiben, die aber leider alle verloren gegangen sind. Das änderte sich Anfang der 90er Jahre:

    Dies ist das älteste Gedicht von mir, was ich noch habe. Ich war zwölf Jahre jung, als ich es schrieb.

    Die 90er Jahre waren der Beginn meines Schreibens von Gedichten (manchmal 30 Stück pro Monat) und (vorerst) das Ende des Schreiben von Geschichten und Märchen. Die Gefühle in mir mussten raus – zunehmend mehr in verschlüsselter, heimlicher, metaphorischer Form, denn ihr direkter Ausdruck hätte mich zu sehr gequält. Ich schrieb vor allem auch selbst, weil ich in den dicken Gedichtbänden, die ich mir in der Bibliothek ausgeliehen hatte, keine Gedichte fand, zu denen ich hätte sagen können: »Ja, so geht es mir auch. Ja, in diesen Worten fühle ich mich erkannt.«

    Damals ahnte ich noch nicht, dass das Schreiben eine große Bedeutung in meinem Leben einnehmen würde – dass es mich bis heute begleiten und für viele befreiende Glücksmomente sorgen würde.

    Samstag, 08.01.1994

    Es ist Sonnabend und am Montag ist schon wieder Schule. Ich habe schreckliche Angst, es eines Tages nicht mehr zu schaffen und meine Familie zu enttäuschen. Am Dienstag schreiben wir eine Französischarbeit. Ich habe noch nicht gelernt. Die letzten Tage hatte es andauernd geregnet und viele Städte wurden überflutet. […] In Sydney, Australien, ist es sehr heiß. Viele Häuser brennen, auch der Regenwald.

    Ich hoffe, dass die Menschen bald vernünftig werden und aufhören, die Welt zu zerstören. Wer leidet sind ja meistens die Kinder, die gar nichts damit zu tun haben.

    Krieg

    geschrieben 1994

    Traurig sitze ich am Fenster und schaue zu, wie die Regentropfen an mein Fenster schlagen und langsam hinabfließen. Ich höre das Plätschern nicht, sondern die Schreie von Kindern und die lauten Schüsse der Kanonen.

    Ich schließe meine Augen. Sekundenlang sehe ich schwarz. Als ich meine Augen wieder öffne, zeigt sich vor mir ein Bild des Grauens. Ich sehe Kinder, die vor einer Horde bewaffneter Männer davon laufen. Blindlings schießen diese in die Kindermenge. Die Kugeln zerfetzen den Körper eines Kindes. Tot bleibt es liegen.

    In panischer Angst versuchen die anderen Kinder zu entkommen. Aber aus dieser Hölle gibt es kein Entkommen. Die angsterfüllten Schreie der Kinder lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. Doch die Soldaten schießen weiter.

    Mit zerschossenen Beinen bleibt wieder ein Kind liegen. Ohne Erbarmen schießen sie ihm in den Kopf, bis keine Kugel mehr hineinpasst.

    Plötzlich ein Knall. Ein blutverschmierter Oberkörper ohne Arme und ohne Kopf fliegt an mein Fenster, rutscht hinab und lässt eine Blutspur an der Scheibe zurück. Die Kinder sind verschwunden, stattdessen liegen überall Menschenteile auf der Straße.

    Tränen laufen mir über die Wangen. Diese Kinder waren noch nicht einmal zehn Jahre alt und trotzdem mussten sie sterben. Die Straßen färben sich rot. Rot mit dem Blut der Unschuldigen.

    Ich kann es nicht mehr ansehen und halte mir die Hände vor die Augen. Sekundenlang höre ich nichts. Doch dann vernehme ich das Plätschern der Regentropfen. Ich bin wieder zu Hause. Ich öffne meine Augen und laufe nach draußen. Kühl und erfrischend läuft mir das Wasser über das Gesicht und vermischt sich mit meinen Tränen.

    »Warum? Warum tut ihr das?«, schreie ich so laut, dass mir die Stimmbänder wehtun. Weinend breche ich zusammen und bleibe auf der Erde liegen. Mein letzter Gedanke: »Wenn ich doch nur helfen könnte!«

    In der sechsten Klasse begann ich mit Saxophon-Unterricht. Eigentlich wollte ich Klarinette lernen, doch im Orchester waren bereits genug Klarinetten, nur ein Tenor-Saxophon fehlte. Da ich mir Noten lesen bereits selbst beigebracht hatte (auf Block- und Querflöte), lernte ich dieses Instrument und die Stücke fürs Orchester sehr schnell. Nach etwa zwei Jahren wechselte ich in ein Akkordeon-Orchester und spielte dort bis zu meinem 18. Lebensjahr Keyboard (dieses nach Noten und zweihändig zu spielen, hatte ich mir ab meinem 14. Lebensjahr auch selbst beigebracht).

    Die vielen Auftritte in der Öffentlichkeit waren eine wichtige Erfahrung für mich. Auf der »Bühne« fühlte ich mich sicher und stark.

    Etwa zur selben Zeit trat ich – entgegen den Warnungen meiner Ärzte – einem Karate-Verein bei, wofür ich ebenfalls großes Talent zeigte und schnell lernte. Hier ließ ich mich von meinem Bruder ganz stolz mit meinen ersten Gurten (weiß und gelb) fotografieren.

    Das lila Kuscheltier heißt übrigens Tarabas – benannt nach einer Figur aus meiner damaligen Lieblingsfilmreihe »Prinzessin Fantaghiro«.

    Wie man auf dem Photo sieht: Ich war von Michael Jackson – seiner Lebensphilosophie, seiner Weltanschauung – total begeistert und sammelte alles von ihm, was ich bekommen bzw. bezahlen konnte.

    Besonders geprägt hat mich sein Buch »Dancing the Dream. Gedichte und Gedanken«, das mir leider später während des Berufslebens und den vielen Ortswechseln verloren gegangen ist. Aber ich trage seine Botschaft »We are one (World)« in meinem Herzen.

    Weitere Vorbilder für mich waren damals: Mahatma Gandhi, Mutter Theresa, Lady Diana und verschiedene Philosophen. Das Buch »Sofies Welt« hat ebenfalls sehr zu meinem damaligen Weltverständnis beigetragen (Ich war eine Leseratte und verbrachte manche Wochenenden nur mit Lesen).

    Meine Vorbilder – meine Lehrer – haben sich mit den Jahren erweitert. Mittlerweile fühle ich mich sehr verbunden mit Khalil Gibran, Jiddu Krishnamurti, Jesus, Sathya Sai Baba, Rumi, Meister Eckhart, Meister Kuthumi, Konfuzius, Osho, Eckhart Tolle, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche, Oscar Wilde, Hermann Hesse, Lao Russell, uva.

    Donnerstag, 07.07.1994

    Im Moment verstehe ich mich selbst nicht. Ich raste schnell aus, ich kann mich nicht bändigen, ich trotze oft, ich widerspreche, ich könnte meinen Bruder erwürgen, ich könnte immer weinen. Ich bin am Boden zerstört. Ich möchte weg, weg von meiner Familie, weg von meinen Freunden, raus aus dieser Stadt.

    Ich bin, wie jedes Kind, dazu verdammt, meine nächsten fünf Jahre auf der Schulbank zu verbringen. Ich will aber nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

    Ich komme jetzt schon in die 8. Klasse. Die Zeit, ich hasse sie. Warum kann ich nicht ein siebenjähriges, unschuldiges Kind sein und für immer bleiben? Ohne Schule, ohne Krieg, ohne Elend und ohne Armut? Ich mag die Erde nicht.

    Ich will nicht erwachsen werden. Die Erwachsenen zerstören die Erde. Wenn ich auch erwachsen bin, zählt man mich zu ihnen.

    Kinder sind die Weisesten dieser Erde. Ich zähle nicht mehr zu ihnen. Ich bin schon zu erfahren und zu alt. Die Kleinen wissen nichts von Elend, Krieg oder Armut außer rund 1 Million Kinder. Sie wurden verdammt, dafür zu leiden, was die Erwachsenen für Fehler gemacht haben, die sie sich aber nicht eingestehen wollen. Die Kinder wussten nichts von Elend, bis sie es selber am eigenen Leib gespürt hatten.

    Wir Kinder unter 14 Jahren würden niemals auf die Idee kommen, andere für Geld umzubringen, eine Atombombe über ihnen abzuwerfen oder einen Krieg gegen sie zu führen. Aber nur, wenn die Erwachsenen nicht wären. Sie zerstören das Leben von vielen Kindern, die ein normales Leben hätten führen können. Aber jetzt müssen sie betteln, schuften für die Erwachsenen oder mit in den Krieg ziehen.

    Während ich dies jetzt alles schrieb, habe ich geweint, denn es ist die Wirklichkeit. Was ich geschrieben habe, ist die Realität. Und das schockt mich. Denn in dieser Welt ist niemand mehr sicher!

    Krieg, dass so etwas Grausames und Sinnloses existiert, hat mich schon immer gequält, was ich in dieser Zeichnung zum Ausdruck zu bringen versuchte.

    Schon früh als Kind, da meine Eltern oder andere Verwandte mich nicht fortschickten, wenn Nachrichten im Fernsehen kamen, habe ich von Krieg und Leid erfahren (auch durch meine Oma) und musste jedes Mal weinen. Es ging mir einfach nicht in meinen Kinderkopf hinein, warum es Kriege auf der Welt gab. Wer dazu fähig war. Warum sich niemand dagegen auflehnte. Während meiner ganzen Jugend verließ ich das Zimmer, egal wo ich war, wenn im TV Nachrichten kamen. Ich konnte das einfach nicht ertragen – diese Gleichgültigkeit; wie neben den Lottozahlen

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