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Oanh Châu, Deutsch, Klasse 13.

Thema I: Schiller/Kafka

In dem Drama „Die Räuber“ von Friedrich Schiller, welches 1781 veröffentlicht wurde,
stehen die Themen Rache, Recht und Gerechtigkeit im Mittelpunkt; speziell in diesem
Textauszug kommt die innere Zerrissenheit des Protagonisten Karl Moor zwischen der
Sehnsucht nach einer vergangenen glücklicheren Zeit und die Abwendung davon zum
Ausdruck.
Das Drama handelt von dem Grafen Maximilian von Moor und seinen zwei Söhnen Franz
und Karl, welche sich beide ungerecht vom Vater behandelt fühlen. Franz, weil er als
zweitgeborener Sohn keinen Anspruch auf das Erbe hat und zudem von Natur aus
hässlich ist; Karl, weil er trotz seines reuevollen Briefes, in welchem er um Vergebung
seines leichtsinniges Studentenleben bittet, von seinem Vater verstoßen wird. Aus
seiner Verzweiflung heraus gründet Karl eine Räuberbande, die in seiner idealistischen
Vorstellung den Sinn hat, den Schwächeren Gerechtigkeit zu verschaffen. Doch recht
bald gibt es Unstimmigkeiten innerhalb der Räuberbande, da einige seiner Männer sich
mit den vergangenen Raubzügen brüsten, worin Karl eigentlich nicht sein Ziel sieht.
Schließlich raubt er nicht, weil er rauben will oder rächt sich, weil er rächen will. Er sieht
es vielmehr als seine Pflicht an, um der Gerechtigkeit willen zu kämpfen. Als Karl und
seine Männer nach einem Kampf gegen eine Überzahl von Soldaten an der Donau
rasten, verfällt Karl in tiefe Melancholie und Erinnerung an seine Kindheit. In diesem
Moment nähert sich ein fremder junger Mann, Kosinsky, der in die Bande aufgenommen
werden will. Als er erzählt, wie er ebenfalls durch Intrigen seine Braut verloren hat,
spürt Karl das tiefe Verlangen seine Geliebte Amalia zu sehen und beschließt mit seinen
Männern nach Franken, seiner Heimat, aufzubrechen.

Die folgende Textstelle schildert Karls erstes Empfinden, als er nach langer Zeit wieder
sein Vaterland betritt. In diesem Monolog wird Karls impulsives Handeln und die daraus
entstehende innere Zerrissenheit deutlich.
Zunächst wird Karls unmittelbarer Eindruck gezeigt. Seine Überwältigung und
Heimatverbundenheit drückt sich in Z. 1f durch die Komposita „Vaterlandserde“,
„Vaterlandshimmel“ und „Vaterlandssonne“ aus, welche gleichzeitig auch eine Anapher
sind. In höchsten Tönen schwärmt er von der Natur und beschreibt sein Umfeld als
„Elysium“ (Z. 6). Dies zeigt, welche Bedeutung seine Heimat für ihn hat – sie stellt
nämlich den schönsten Ort dar, den ein Mensch erreichen kann. Dies wird dadurch
bestärkt, indem er jenen Ort als „heiligen Tempel“ (Z. 7f) bezeichnet. Seine ganze
Beschreibung ist durch eine intensive Erregung geprägt, was auf Karls
überschwängliche Gefühlslage schließen lässt.
Als er näher tritt, erkennt er die Einzelheiten aus der vertrauten Umgebung seiner
Kindheit. Bei dem Gedanken an seine Kindheitsfantasien, in welchen er selbst den
Helden Alexander der Große spielt, muss er unwillkürlich lächeln. Hier wird deutlich,
dass er schon als Kind das Heldentum anstrebte. Scheinbar hat er sich schon früher hat
er vorgestellt ein großer glorreicher Held zu sein.
Er ruft sich wieder ins Gedächtnis, wie unbekümmert und glücklich seine Kindheit hier
war, wie „wolkenlos heiter“ (Z. 17f) er sie erlebt hat. Doch schlagartig wird ihm
ebenfalls bewusst, dass er schon längst nicht mehr dieses unbesorgte Leben genießt.
Anstatt ein „großer, stattlicher, gepriesener Mann“ (Z. 19f) zu sein, sieht er das, was
ihm geblieben ist – die „Trümmer“ (Z. 18) seiner Träume. An dieser Stelle scheint er sein
Leben klar vor Augen zu sehen. Er reflektiert und sieht, dass sein jetziges Leben nicht
das Leben ist, welches er sich ursprünglich erhofft hatte.
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Augenblicklich fährt er auf und stellt sich die rhetorische Frage, was denn überhaupt
der Grund für seinen Besuch ist (vgl. Z. 23). Hier verwendet Schiller eine Metapher, in
welcher Karl sich mit einem Gefangenen vergleicht. Der in Ketten liegende Gefangene,
erfährt durch seine Träume von Freiheit, kleine Lichtblicke. Doch wenn diese Träume
vorüber sind, erscheint die Dunkelheit noch finsterer als zuvor. Die Träume von Freiheit
sind für Karl Träume vom einstigen sorglosen Leben, doch als ihm bewusst wird, dass er
dies nicht wiedererlangen kann, scheint sein jetziges ohnehin schon elendiges Leben
noch um einiges leidvoller. Daher beschließt Karl also wieder zurück zu seinen Räubern
zu kehren. Hier könnte man meinen, er habe einen festen Entschluss gefasst, seiner
Heimat den Rücken zu kehren und sich somit mit seinem Schicksal abgefunden. Doch
auf dem Rückweg hält er plötzlich inne und wendet seinen Blick wehmütig dem Schloss
zu (vgl. Z. 31ff). Unsicherheit überfällt ihn. Die Sehnsucht nach Amalia überwältigt ihn.
Denn die Vorstellung seiner Geliebten schon so nahe zu sein („nur eine Mauer gewesen
zwischen mir und Amalia“, Z. 34f), aber sie dennoch nicht sehen zu können, lässt ihn
umkehren. „Nein! sehen muss ich sie – […] – es soll mich zermalmen!“ (Z. 34f). An
diesem Zitat wird deutlich, dass Karl einerseits fest entschlossen Amalia zu sehen, aber
andererseits hat er kein gutes Gefühl dabei und weiß, dass er entgegen einer rationalen
Entscheidung handelt, wodurch wiederum gezeigt wird, dass Karl impulsiv handelt.
Während er umkehrt, wird der erstmalige Gedanke an den Vater geschildert. Trotz der
Verstoßung sieht Karl sich immer noch als seinen Sohn: „Vater! dein Sohn naht!“ (Z.
37). Dabei will er in diesem einen Zusammentreffen das „schwarze[-], rauchende[-]
Blut“ und den „hohle[n], grasse[n], zuckende[n] Todesblick“ (Z. 38f) hinter sich lassen.
Er könne Karl zu jeder Zeit und überall quälen – nur nicht dieses einzige Mal (vgl. Z.
41ff). Hier wird die pure Verzweiflung deutlich, die Karl zurück ins Schloss treibt. Er will
Amalia so dringend sehen, dass er jede Qual der Welt in Kauf nimmt, nur um dieses
einzige Zusammentreffen mit ihr erleben zu dürfen. Unmittelbar bevor er hineingeht
und noch an der Pforte steht, überkommt ihn noch ein letzter „Todesschauer“ (Z. 45)
und er scheint bereits hier zu ahnen, was ihn im Schloss erwartet.
Um nochmal den Unterschied zwischen dem schwärmenden und dem reflektierenden
Charakter Karls zu betonen, lässt Schiller Karl im ersten schwärmerischen Abschnitt in
der dritten Person von sich selbst reden. In dem Augenblick, indem er sich fragt, was er
denn hier tue, spricht Karl sofort wieder aus der Sicht der ersten Person. Dies bringt
den Eindruck hervor, dass Karl zunächst nicht ganz er selbst ist, sondern jemand, der
sich an sein früheres Ich erinnert, jemand, der sich in dem Moment nicht bewusst ist,
was sein eigentliches Leben ist. Doch im Moment der Erkenntnis, wird er wie aus einem
Traum gerissen und in sein richtiges Leben zurückgestellt.
In dieser Szene wird überaus deutlich, wie äußerst impulsiv Karl handelt und wie sehr er
sich von seinen momentanen Empfindungen leiten lässt. Zunächst schwelgt er in
Erinnerungen, wie schön früher alles war. Als ihm bewusst wird, dass er dieses
unbekümmerte Leben nicht zurückbekommen kann, will er sich dieser Vorstellung ganz
abwenden und beschließt zu gehen. Doch auf dem Weg zurück zu seinen Männern
überlegt er sich es doch anders, da er von seiner Sehnsucht nach Amalia überwältigt
wird und kehrt doch wieder zum Schloss zurück. Diese Unentschlossenheit zeugt also
deutlich von innerer Zerrissenheit.
Gerade dieses impulsive Handeln lässt Karl daran scheitern, ein ideales gerechtes
Leben führen zu können und am Ende verliert er alles, was ihm lieb ist – letztlich sein
Leben.

Wie auch Karl Moor ist der Protagonist Josef K. aus Franz Kafkas Roman „Der Proceß“,
welcher erstmals 1925 veröffentlicht wurde, am Ende seines Lebens gescheitert. Der
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Roman beinhaltet die Thematik des Verstehens- bzw. Nicht-Verstehens der eigenen
Schuld, welche ein Mensch im Hinblick auf sein Leben hat, wenn er es nicht selbst in die
Hand nimmt und auf diese Schuld eingeht, um dieses Leben mit Sinn in Form von
Autonomie und Identität zu erfüllen.
Josef K. wird am Morgen seines 30. Geburtstages verhaftet und erfährt den Grund dafür
nicht. Durch eine in seinen Augen durchdachte Vorgehensweise versucht K. sich aus
den Fängen des Prozesses zu befreien. Allerdings geschieht das Gegenteil und er wird
immer tiefer in das Gerichtswesen hineingezogen - bis er am Ende hingerichtet wird.
Wie auch Karl hat K. versucht sein Leben nach seinen für ihn idealen Maßstäben zu
führen. Doch woran scheitern diese beiden Figuren genau?
Zunächst muss man festhalten, dass sowohl Karl, wie auch K. in ihren Augen
Ungerechtigkeit widerfahren ist.
Karl wird aus einem für ihn unersichtlichen Grund verstoßen, da er schließlich um
Vergebung gebeten hat. Seine Vorstellung von einem Leben im Schloss zusammen mit
seiner geliebten Amalia zu leben, wurden somit vernichtet. Seinen Ärger gegen seinen
Vater projiziert er auf die ganze Welt und gründet daraufhin die Räuberbande um die
Gerechtigkeit auf der Welt wiederherzustellen. Er folgt einem für ihn idealen Bild und
scheut kein Opfer um dieses Bild zu verwirklichen. K. hingegen hat eine ganz andere
Motivation. Er kann zwar den Grund für seine Verhaftung ebenfalls nicht erkennen, aber
er will keine Gerechtigkeit auf der Welt herstellen, sondern schlichtweg den Prozess aus
seinem Leben raushalten. Dabei bezieht er sich immer auf andere Menschen und sucht
dort Hilfe, die er gebrauchen könnte.
Nun muss betrachtet werden, inwiefern diese Strategien funktionieren.
Beide begehen gleich zu Beginn einen Fehler, den sie im Laufe der Handlung nicht
korrigieren. Weder Karl, noch K. fragen auch nur ein einziges Mal nach dem Grund für
die ihnen widerfahrene Ungerechtigkeit. Karl hätte seine Verstoßung ohne große Mühe
aufheben können, hätte er sich gleich auf den Weg gemacht und seinen Vater zur Rede
gestellt. K. begeht den gleichen Fehler, indem er nicht einmal daran denkt, nach dem
Grund zu fragen. Er kommt nicht einmal auf die Idee sich selbst die Frage zu stellen, ob
und welche Schuld er tragen könnte. Seine Unschuld scheint für völlig ihn
selbstverständlich (vgl. Der Proceß, S. 16, Z. 30f).
Auf Grund dieser Annahme handeln beide selbstsicher und stellen ihr Handeln vorerst
auch nicht in Frage. Karl kommen allerdings recht bald die ersten Zweifel. Er ist sich
nicht mehr sicher, ob seine Motive die Raubzüge rechtfertigen. So ist er regelrecht
erschrocken über sich selbst, als seine Räuber ihm von den vielen unschuldigen Morden
berichten, die im Zuge der Befreiung Rollers begangen wurden (vgl. Die Räuber, 2. Akt,
3. Szene). Diese Zweifel vergisst er allerdings im nächsten Moment gleich wieder und
schlägt mit seinen Räubern eine Truppe Soldaten nieder. Zu spät erkennt er am Ende,
dass sein wahres Motiv nicht die Herstellung der idealen Gerechtigkeit der Welt ist,
sondern dass er im Grunde nur seine persönliche Rache wollte. Sein Vater und seine
geliebte Amalia sind tot. Das, was ihm am liebsten war, wurde durch seine Torheit
zerstört.
K.s einzige Handlung besteht hingegen daraus verschiedene Menschen zu konsultieren,
die ihm Rat geben sollen, wie er sich am besten dem Prozess entziehen kann. Er nutzt
jede Gelegenheit, die sich ihm ergibt. Unter anderem sucht er die Frau des
Gerichtsdieners (vgl. Der Proceß, S. 51ff) und den Maler Titorelli (vgl. Der Proceß, S.
128ff) auf. Doch je mehr er sich mit dem Prozess beschäftigt, desto tiefer wird er
infolgedessen hinein verstrickt. Die ganze Zeit über lässt er sich von äußeren Einflüssen
lenken, anstatt selbst aktiv zu werden und zu handeln. Wenn man nach seiner Schuld
fragen würde, dann läge hierin sicherlich seine Schuld. Nämlich sich ein ganzes Leben
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lang von Fremden leiten zu lassen. Nicht einmal in einer Situation wie dem Prozess
erkennt er keinen dringenden Handlungsbedarf. Obwohl er bei seiner Hinrichtung weiß,
dass er das Messer in die Hand nehmen sollte und sich selbst erdolchen sollte, tut er es
trotz allem nicht: „K. wusste jetzt genau, daß es seine Pflicht gewesen wäre, das Messer
[…] selbst zu fassen und sich einzubohren“ (Der Proceß, S. 210, Z. 19ff). Das Nicht-
Ergreifen der Initiative in dieser allerletzten Gelegenheit gleicht einer Niederlage seines
ganzen Lebens. Man kann erahnen, dass er bis zu einem gewissen Teil erkannt hat,
worin sein Scheitern liegt, doch das Nicht-Handeln zeigt, dass er keine vollkommene
Erkenntnis erlangt hat.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sowohl Karl Moor, wie auch Josef K. im
Grunde scheitern. Da sie nicht das erreicht haben, was ihr Ziel war. Karls Träume von
einem glanzvollen Leben als Graf von Moor und seine liebsten Menschen sind dahin.
Wenn man also diesen Aspekt betrachtet, dass Karl all das verloren hat, was ihm
wichtig war, dann ist er wahrlich gescheitert. Wenn man allerdings sieht, dass Karl sich
zuletzt selbst dem Recht, der Justiz, ausliefert, um sich so selbst wieder in die Ordnung
einzugliedern, so hat er doch wenigstens einen kleinen Sieg der Erkenntnis erlangt.
K. hingegen hat zu keinem Zeitpunkt begriffen, dass er aktiv handeln muss. Nicht
einmal am Ende seines Lebens, wo er die letzte Gelegenheit dazu gehabt hätte und das
auch noch gewusst hat. Er scheitert also an seiner Unfähigkeit sein Leben selbst zu
bestimmen.

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