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kultur

22 hinnerk 03/09
Et cetera
Ja zur Liebe: Die Pet Shop Boys sprechen über ihr neues Album
Maximum Pleasure

Exclusive Eyewear

25 Jahre nach „West End Girls“ machen Neil Ten- Neil Tennant: Ich kann mir nicht vorstellen, dass
nant und Chris Lowe immer noch Popmusik. wir so etwas jemals in Gang setzen. Und ich
„Yes” ist bereits das zehnte Studioalbum des bri- glaube auch nicht, dass es mit unseren Songs
tischen Elektronik-Pop-Duos. gut gehen würde. Wesentlich besser wäre dafür
meiner Meinung nach der Katalog von Robbie
h Ihr sagt mal wieder „Ja“ zur Popmusik Williams geeignet. Oder – auch wenn das ver-
mit eurem neuen Album … mutlich nie irgendjemand anfassen würde – mit
Neil Tennant: Im Grunde haben wir schon vor den Songs von Stock Aitken Waterman, die die
zwei Jahren damit begonnen, die Stücke dafür ersten Hits von Kylie Minogue oder Rick Astley
zu schreiben. Damals wurden wir angefragt, geschrieben haben. Auch wenn ihre Songs ver-
Songs für Kylie Minogue zu schreiben. Ein Song mutlich nicht die Qualität von ABBA-Stücken er-
unseres neuen Albums, nämlich „Pandemo- reichen, gehe ich davon aus, dass die Leute über-
nium“, war ursprünglich für Kylie gedacht, aber rascht wären, wie gut eine Zusammenstellung
sie hat ihn nicht aufgenommen. Möglicherweise ihrer besten Hits in einem Musical funktionieren
hat uns dieser Song auf eine andere Schiene könnte.
beim Schreiben gebracht. Das Interessante ist, Brillen Contactlinsen Sonnenbrillen
dass ich den Text von „Pandemonium“ gar nicht h Eure neue Single heißt „Love etc.“.
aus meiner Sicht geschrieben habe. Und obwohl Langweilt euch die Liebe?
ich den Text jetzt singe, habe ich dabei an Kate Neil Tennant: Den Titel habe ich von einer E-Mail,
Moss gedacht, die über Pete Doherty singt. Was die ein alter Freund aus Newcastle mir und an-
inzwischen natürlich seit gut zwei Jahren über- deren Freunden geschickt hatte. Er teilte uns mit,
holt ist (lacht). dass sein Vater gestorben sei. Als wir Kinder wa-
ren, haben wir viel Zeit in dem Haus dieser Fa-
h Seit „West End Girls“ seid ihr eine milie verbracht. Das ist übrigens dieselbe Sache,
Konstante in der Musikszene. Was ist um die es auch in „Being Boring“ ging. Wie auch Berlin Hamburg Sylt
das für ein Gefühl? immer: Der Freund unterzeichnete die E-Mail mit
Neil Tennant: Das ist mir auch erst jetzt so rich- den Worten „Love etc.“. Und ich dachte mir
tig durch die Brit Awards bewusst geworden. Sie (Stimme überschlägt sich): „Was soll das denn
riefen bei uns an, um zu fragen, wie viele Singles heißen? Et cetera? Wie bitte? Et cetera?” Das
wir veröffentlicht haben und so weiter. Das wuss- habe ich mir aufgeschrieben, da es wie der Titel
ten die nicht (lacht). Daraufhin habe ich ihnen die für einen Song klang. Im Text dazu geht es aber
Zahlen und Fakten durchgegeben. Und da wurde schließlich um eine Liste von Dingen, die weni-
es mir so richtig bewusst: „Oh Gott, 2009 liegt ger bedeutend als die Liebe sind.
die Veröffentlichung der ursprünglichen Version
ABC-Straße 1 I Hamburg
von „West End Girls” schon sage und schreibe h Es gibt nichts Wichtigeres als die
Telefon +49 (0)40 35716005
FÜNFUNDZWANZIG Jahre zurück.“ Ich dachte Liebe?
www.opticon-hamburg.de
zuerst, ich hätte mich geirrt. Aber nein! Das ist Chris Lowe: Genau, und alles Übrige ist nur „et
einfach unglaublich. cetera“. INTERVIEW: MICHAEL ERNST
Foto: Parlophone

h Für das Musical „Closer To Heaven”


habt ihr gezielt neue Songs geschrieben. Die Single „Love etc.” erscheint am 13. März, das
Wären eure Hits nicht auch für ein Musical Album „Yes” am 20. März bei Parlophone (EMI)
im Stil von „Mamma Mia!” geeignet? www.p etshopboys.co.uk
kultur genial ❚❚❚❚❚❚ ❚❚❚❚❚❚ mies

Liebeskummer lohnt sich doch


Morrisseys neues Meisterwerk „Years Of Refusal“
❚❚❚❚❚❚

Ein weltfeindlicher, verbissen- ry“ beklagt der Pop-Maestro nunmehr


griesgrämiger Frank Sinatra. wieder ganz alleine sich selbst: Mit bis-
So ungefähr stellte man sich weilen zynischem Humor seziert er un-
nach den beiden letzten, erwiderte Lieben („Black Cloud”) oder
schwelgerischen Soloalben trauert verflossenen Liebhabern hin-
Morrisseys Zukunft vor. Der terher („I’m OK By Myself” und „It‘s Not
bald 50-Jährige war aber im- Your Birthday Anymore”). „I was wa-
mer für Überraschungen gut. So rockig sting my time/trying to fall in love/dis-
wie auf „Years Of Refusal“ war er zu- appointment came to me … and hurt
letzt in alten Tagen mit The Smiths. me“, singt er auf „That‘s How People
Ohne Rücksicht auf den aktuellen musi- Grow Up“ und der Hörer wünscht sich
kalischen Zeitgeist hat Morrissey die insgeheim, dass Morrissey noch ein

Foto: Polydor Records


Streicher wieder in den Hintergrund ge- paar weitere Alben lang keinen Mann
drängt, stattdessen treibt nun das fürs Leben findet. AXEL SCHOCK
Schlagzeug diese melancholischen
Morrissey: „Years Of Refusal”
Songs voran. Nach seinen bitterbösen (Decca/Polydor)
Rundumschlägen auf „You Are A Quar- www.itsmorrisseysworld.com

House- Nina Queer und DJ Divinity: „Discopony“


Schlager So manche Damenwäscheträgerin mit erzeugtem aufzunehmen. Sagen wir‘s weilen schön blöde Textzeilen sprech-
Kunstbusen träumt nicht nur vom mal so: Davon geht die Welt nicht unter, singt: Unangefochten auf Platz 1: „Ficki-
❚❚❚❚❚❚

Rampenlicht, sondern auch von den sie hat aber auch nicht darauf gewar- fickiauaaua – Don‘t Do It!“, dicht ge-
höheren Weihen der Hitparade. Nun tet. DJ Divinity liefert akzeptable, aber folgt von „Aloha vom Sonnenstudio“.
also hat es auch die Berliner Vollzeit- nicht gerade mitreißende House-Me- AS
transe Nina Queer ins Plattenstudio lodien, zu denen die medienversierte
gedrängt, um ein Album mit Selbst- Barbesitzerin und Partymacherin bis- www.ninaqueer.com

Indie-Pop/ V.A.: „Dark Was The Night“ (Beggars Group)


Rock
Die Aids-Benefiz-Alben der Red Hot Or- kollegen um Exklusiv-Songs ange- Antony Hegarty mit Bryce Dessner zu-
ganization erscheinen zwar nur alle Ju- hauen. Die Liste der musikalischen sammengetan, die Dirty Projectors mit
❚❚❚❚❚❚

beljahre, sind aber jedes Mal aufs Neue Spender reicht von Arcade Fire über David Byrne und Feist sind auf ihrem
außergewöhnlich. Für das Doppel- Yo La Tengo bis The New Pornogra- „Train Song“ mit Ben Gibbard zu hören.
album „Dark Was The Night“ haben phers. Bemerkenswert sind dabei ins- SVEN KIELAU
Aaron und Bryce Dessner von The Na- besondere die ungewöhnlichen Kolla-
tional im Indie-Pop-Bereich Künstler- borationen. So hat sich beispielsweise www.redhot.org

Indie-Pop Starsailor: „All the Plans“ (EMI)


Hach, was ist nur an dieser Band dran, hören und mitleiden. Zwar hatte die diese mit Leidenschaft vorzutragen.
dass man sich ihrer Musik nicht ent- Faszination mit der letzten, etwas zu Vergleiche sind zwar immer bäh, einer
❚❚❚❚❚❚

ziehen kann? Sind es die schönen, zeit- rockig geratenen Platte ein wenig soll trotzdem erlaubt sein: Für uns sind
losen Melodien, die unaufgeregte In- nachgelassen. Doch zum Glück besin- Starsailor einfach die besseren Cold-
strumentierung, der herzerweichende nen sich die Jungs mit Album Num- play. BJÖRN REINFRANK
Gesang von Sänger James Walsh? mer vier wieder auf ihre Stärken: tolle,
Keine Ahnung! Man muss einfach hin- emotionale Songs zu schreiben und www.starsailor.net

Klassik „Händel Gold“ (Decca)


Zum 250. Todestag von Georg Frie- historischer Aufführungspraxis. Das Cecilia Bartoli, Renée Fleming, Andreas
drich Händel hat die Decca seine Doppelalbum voller Lieblingsstellen Scholl und Rolando Villazón zu hören.
❚❚❚❚❚❚

Opern- und Oratorienhits auf zwei CDs versammelt Legenden aus der Ver- Diesem starken Aufgebot wird das
versammelt – mit Aufnahmen aus 50 gangenheit und aktuelle Stars: Kath- kärgliche Booklet leider nicht gerecht
Jahren. Dementsprechend vielfältig leen Ferrier, Fritz Wunderlich, Joan ECKHARD WEBER
sind die Annäherungen an Händel, von Sutherland, Marilyn Horne, Luciano Pa-
fettem Opernpathos bis zu raffinierter varotti, Plácido Domingo sind neben www.deccaclassics.com

24 hinnerk 03/09
On the road again
In Hamburg feiert Marc Almond den Abschluss seiner „Stardom Road“-Tour

Der 17. Oktober 2004 war für Marc Almond ein schick- entdecken, die großartigere Songs geschrieben haben,
salhafter Tag. Nach einem Motorradunfall lag er mehre- als sie mir vielleicht jemals gelingen werden.
re Tage im Koma. Ein Luftröhrenschnitt drohte seine Ge-
sangskarriere zu beenden. Doch nach und nach fand der h In den letzten Jahren haben Singer/Song-
britische Pop-Dandy zurück ins Leben und zu seiner writer wie Rufus Wainwright, Coco Rosie und
Stimme. Axel Schock sprach mit dem Sänger. Antony & The Johnsons geradezu eine Queer-
Neofolk-Pop-Chanson-Welle losgetreten. Fühlst
h Marc, dein letztes Album „Stardom Road“o ist du dich dieser Szene verbunden?
bereits 2007 erschienen. Wie kommt es, dass die Damit habe ich absolut nichts zu tun. Gegen all diese Ka-
dazugehörige Tour erst zwei Jahre später zu tegorisierungen, ob sie nun „Queer Music“ heißen oder
Ende geht? anders, verwahre ich mich. Ich war immer ein Außensei-
Bedingt durch den Unfall wollte ich mir eine lange durch- ter in der Musikbranche, selbst mit Soft Cell, als wir von
gehende Tour nicht zumuten und hab sie deshalb in der Branche in diese Synthie-Wavepop-Ecke gepackt wor-
kleine Etappen aufgeteilt. Songs von „Stardom Road“ den sind. Um nicht missverstanden zu werden: Antony
bilden allerdings nur einen kleinen Teil. Die Setliste wird ist ein guter Freund von mir, und ich habe großen Respekt
ein Querschnitt durch meine gesamte Karriere sein. vor der Arbeit von Rufus Wainwright. Er ist sicherlich als
Songwriter weitaus cleverer als ich. Aber ich sehe für
h Was ist dran an den Gerüchten, dass du künf- mich keinerlei Verbindung zu deren Arbeit.
tig nur noch Coverversionen aufnehmen willst?
Ich muss zugeben, dass mir zunehmend schwerer fällt, ei- h Mit Antony aber verbindet dich zumindest
gene Songs zu schreiben, zumindest solche, die ich auch eine intensive Arbeitsfreundschaft.
für wertvoll genug halte, um sie auf CD aufzunehmen. Wir haben sehr engen Kontakt. Seine Musik ist großartig,
Natürlich schreibe ich ständig welche und nehme mein und er ist ein großartiger Mensch. Er war es auch, der
Demo dazu auf. Danach packe ich das aber in die Kiste. mich nach meinem Unfall auf die Bühne zurückgeholt
hat, indem er mich bei seinem London-Konzert 2005 zu
h Vertraust du etwa deinen eigenen Qualitäten einem Gastauftritt überredete. Das hat mir mein Selbst-
nicht mehr? vertrauen zurückgegeben. INTERVIEW: AXEL SCHOCK
Ich habe in allen Phasen meiner Karriere fremdes Mate-
rial gesungen und einige meiner größten Erfolge waren Marc Almond: „Stardom Road“, 15. März, 20 Uhr, Docks
Coverversionen. Und es gibt so viele Komponisten zu www.marcalmond.co.uk
kultur

Mehr Glamour!
Thomas Hermanns huldigt der Disco-Ära mit einem autobiografischen Buch

Das Jugendzimmer von Thomas Hermanns ver- men wären. Das „Studio 54“ in New York war da h Wolltest du mit dem Buch deine Disco-
schönerten nicht nur Poster von ABBA. Auch besonders extrem. Männliche Attraktivität war Leidenschaft abschließen oder einfach
Amanda Lear, John Travolta und Silver Conven- Pflicht. Wenn die Heteromänner ihr Hemd auszo- dein gesammeltes Wissen präsentieren?
tion zierten die Wände. Die Disco-Ära hat den Co- gen, kamen sie rein. Oder wie der Designer Halston Ich habe das Buch natürlich auch geschrieben, um
median nie losgelassen. Nun hat er dieses Kapitel sagte: Man brauchte als Mann einen großen das ganze Nerd-Wissen loszuwerden, aber auch
außerordentlich schwuler Musikgeschichte mit ei- Schwanz und einen guten Rollkragenpullover. um zu forschen und meine vielen offenen Fragen
nem sehr autobiografischen Buch aufbereitet. zu beantworten. Der biografische Teil – Pubertät
h Die Anfänge der Disco-Ära waren aller- und Coming-out, die alten Tagebücher wieder zu le-
h Thomas, wenn man heute auf Outfit und dings wenig glamourös und glitzernd. sen – das hatte schon etwas von einer therapeuti-
Styling der Disco-Ära zurückblickt, wirkt Die Discomusik hat die Welt ursprünglich aus dem schen Aufarbeitung. Sie gipfelt in der Erkenntnis:
das mit all dem Glitter sehr grell und schwul. schwulen Untergrund heraus erobert. In den ersten 15 ist einfach das schlimmste Alter im Leben. Man
Das hat meines Erachtens zwei Ursachen. Gloria Clubs in New York tanzten Schwule, Schwarze und kann nur allen die Daumen drücken, dass es schnell
Gaynor und andere haben mir erzählt, dass sie Puerto Ricaner zusammen. Das waren Arbeiter- vorbeigeht.
sich mehr Glamour wünschten. Denen war der clubs mit ganz normalen Leuten.
68er-Hippiekram einfach zu ranzig. Sie orientier- h Einen Großteil deines Buches machen
ten sich deshalb vielmehr an alten Hollywoodstars h Sylvester und die Village People sind die biografischen Schilderungen aus. Gäbe
wie Bette Davis. Die Männer wiederum waren erst- sicherlich die bekanntesten schwulen Prota- es andere Leidenschaften, anhand derer du
mals sehr stark sexualisiert. Nicht nur wie sie sich gonisten der Disco-Ära. Aber auch unter dein Leben erzählen könntest?
anzogen, sondern auch wie sie abgefilmt wurden, Managern, DJs und Komponisten waren Disco ist schon der größte Strang in meinem Le-
etwa John Travolta in „Saturday Night Fever“. Es Schwule ja offensichtlich in der Mehrheit. ben, weil sie so viele Dinge beeinflusst hat: das Co-
war eben eine sehr sexy Zeit und sexy Musik. Die saßen überall in den ganzen Plattenlabels. Das ming-out, den ersten Sex, die Verlobung mit mei-
Ende der Disco kam nicht etwa nur, weil die Zeit nem Freund – das fand alles in Discotheken und
h Die Männer mussten ja recht viel Mut dafür vorbei war. Disco war einfach zu mächtig ge- zur Discomusik statt. Disco ist definitiv der Sound-
aufbringen, um sich so ins Rampenlicht zu worden, wie mir Gloria Glaynor etwa erzählt hat: track zu großen Teilen meines Lebens.
stellen und womöglich sogar in Verruf zu In den entscheidenden Positionen der Plattenfir- INTERVIEW: AXEL SCHOCK
kommen. men saßen zu viele Schwule. Da mussten die He- Thomas Hermanns: „Für immer D.I.S.C.O.“.
Mutig mussten sie auch deshalb sein, weil sie sonst teros wieder zurückschlagen und Rock in den Vor- Scherz Verlag, 272 Seiten, 18,95 Euro
www.fuerimmerdisco.de
gar nicht durch die Tür der großen Clubs gekom- dergrund holen.

26 hinnerk 03/09
Coming-out mit Geist
Peter Nathschlägers Roman „Geheime Elemente“

„Sommersturm“ trifft „Die Geisterflüsterin“ – so etwa mal schmerzhaft – mit irdischen Gewohnheiten be-
lässt sich das Rezept des Romans „Geheime Elemente“ schäftigen. Dass er schließlich in der Badewanne von
von Peter Nathschläger in Kürze beschreiben. Den Martins Mutter beim Scheißen entdeckt wird, gehört zu
Sommersturm ihrer Gefühle erleben die beiden acht- den frechen Ideen, von denen man sich im Roman
zehnjährigen Schulkameraden Martin und Kai, die nach mehr gewünscht hätte.
ein wenig Platzhirsch-Rangeleien entdecken, dass sie Doch Nathschläger nutzt das Genre des Fantasti-
doch mehr Interesse am jeweils anderen haben als für schen meist, um Unpassendes allzu rasch passend zu
die Mädchen der Klasse. Dass ihre Eltern mit ihren Pen- machen. Das ist gut fürs Gemüt, sehr angenehm zu
sionen Konkurrenten sind und Kais Vater sich keine lesen, und kleistert doch das Eigentliche zu: die Brüche
Schwuchtel als Sohn wünscht, macht ein ungestörtes in der Welt. Die erscheinen erst am Schluss des Ro-
Testen der Sexualität problematisch. mans, an dem sehr skurril und pathetisch von einem
Das fantastische Element schwimmt wortwörtlich in Freitod erzählt wird. Da spürt man, dass ein Thema
Form eines Elementals, einer Art Wassergeist namens wie der Wille zum Sterben heutzutage möglicherweise
Abris, in die Geschichte. Angelockt wurde er von Mar- ein größeres Tabu ist als Homosexualität. Spätestens
tins Trauer um den älteren Bruder, der in einem kleinen, hier hätte Nathschläger auf simple Schutzengelbot-
abgelegenen Waldsee ertrunken ist. Jenen hatte Ab- schaften à la „Es ist alles nicht so schlimm“ verzichten
ris, wie alle Ertrinkenden, im Moment des Todes ihre und sich, den Figuren der Geschichte und dem Leser
Angst genommen und so beim Übergang in irgendein getrost mehr zumuten dürfen.
Jenseits geholfen. In seine eigentliche Welt kann der RAINER HÖRMANN
Elemental allerdings erst wieder, wenn er eine weitere Peter Nathschläger: „Geheime Elemente“. 216 Seiten,
Seele begleitet. Bis dahin muss er sich – mal amüsant, Himmelstürmer Verlag, 15,90 Euro.

Die neue Single ab 27. März


Blaue Flecken 1 – Die Maxi CD mit 5 Titeln inkl. zwei neuen, unveröffentlichten Songs + Blaue Flecken Live
Blaue Flecken 2 – Die Single inkl. Blaue Flecken (AnNa Elektronika)
Blaue Flecken – Die Remix Maxi mit 7 Titeln, u. a. The Disco Boys, Boogie Pimps + Mike Candy
kultur

Fotos: Nachlass Ronald M. Schernikau


Kommunistische Diva
Matthias Frings erzählt „Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau“

Für alle, die es eilig haben: Kaufen Sie sich Matthias Frings‘ den Sozialismus zu kritisch. Auch im Westen hatte man da-
„Der letzte Kommunist“, und Sie können versichert sein, mit Probleme. Die DDR war längst im Umbruch, die rosa-
eines der wichtigsten Bücher dieses Jahres Ihr eigen zu rote Brille erschien trotz pointierter Beobachtungen sus-
nennen. pekt. Tatsächlich hat Schernikau sich für die Oppositionsbe-
„Der letzte Kommunist“ ist mehr geworden als eine klas- wegung nie recht interessiert. Er glaubte, man könne das
sische Schriftstellerbiografie über Ronald M. Schernikau – System von der Basis aus aufmischen und begnügte sich da-
jenen Mann, den der Aufbau Verlag knallig und treffend als mit, sich seine Wunschrepublik zurechtzuschreiben.
„Diva, Don Quichotte und schillernde Ikone der 80er Jahre“ Die DDR blieb Schernikaus geistige Heimat, hier wollte er
bewirbt. Weil Frings eine enge Freundschaft mit Scherni- leben. Am 1. September 1989 erhielt er die Staatsbürger-
kau verband, ist das Buch auch Lebensgeschichte des Au- schaft. Als Zehntausende sich in die Gegenrichtung auf-
tors, Journalisten und Fernsehmoderators („Liebe Sünde“). machten, zog der schwule Schriftsteller nach Ostberlin. Der
Auch Schernikaus Mutter Ellen porträtiert Frings eindrück- Zusammenbruch des Staates und das Ende seiner Illusionen
lich. Sie, eine aufrechte Sozialistin, hatte 1966 als alleiner- fielen zusammen mit dem Ausbruch seiner Aidserkrankung.
ziehende Mutter mit ihrem Jungen im Kofferraum Repu- Sein Opus Magnum „legende“ vollendete er noch kurz vor
blikflucht begangen – der Liebe wegen. In der Bundesre- seinem Tod am 20. Oktober 1991.
publik angekommen, musste sie feststellen, dass der Mann Frings steht dieser schillernden Person mit ihrer streitba-
verheiratet und Nazi war. ren Weltsicht kritisch gegenüber, vor allem aber wird er
In Lehrte bei Hannover fanden Mutter und Sohn eine Schernikaus Komplexität gerecht. Herausgekommen ist da-
neue Bleibe, zu Hause aber fühlte sie sich im Westen nie. Mit bei keine trockene Biografie, sondern echtes Lesefutter.
18 Jahren schrieb Schernikau sein erstes Buch. Die „Klein- „Der letzte Kommunist“ – nominiert für den Deutschen Lite-
stadtnovelle“ über das Coming-out eines Schülers wurde raturpreis – ist eine oft komische, dann wieder zu Tränen
ein Überraschungserfolg. Schernikau zog zum Studium rührende Geschichte von verkorksten (linken) Träumen, das
nach Westberlin, verfolgte seine Schriftstellerkarriere und Porträt eines Jahrzehnts und seiner Underground-Kultur.
wurde Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westber- Nicht zuletzt ist das Buch ein Stück deutscher Geschichte aus
lins. 1986 gelang es ihm als ersten Bundesbürger am Leip- schwuler Sicht. Kaufen Sie sich gleich mehrere Exemplare
ziger Institut für Literatur zu studieren. zum Verschenken. Man wird es Ihnen danken. AXEL SCHOCK
Schernikau liebte die DDR. Genauer gesagt: seine Idee,
Matthias Frings: „Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben
wie die DDR sein müsste. Seine Abschlussarbeit „die tage in l.“ des Ronald M. Schernikau“, Aufbau, 488 Seiten, 19,95 Euro
wollte kein DDR-Verlag drucken. Dafür war sein Blick auf Lesung mit Matthias Frings, 4.3., 20 Uhr, Polittbüro

28 hinnerk 03/09
Klingende Körper OPTIC
Thomas Marek steppt auf Kampnagel
Der Choreograf und Stepptänzer Thomas Marek bringt im
März auf Kampnagel seine neue Produktion „Orchestra“ zur
Aufführung. Hierbei ist der Titel des Stücks durchaus pro-
grammatisch zu verstehen, denn der Hamburger Künstler
OPTIC
setzt sein zehnköpfiges Ensemble als Klangkörper ein: die

OPTIC
Akteure werden als lebendiges Orchester Mareks Choreogra-
fie gemeinschaftlich visuell und musikalisch umsetzen. Der
Tänzer ist dabei sowohl Element der Musikkomposition als
auch der choreografischen Komposition. In dieser Konstellation
experimentiert das Ensemble mit den Elementen des Stepp- VOLKER JOHANNSEN OHG
tanzes, traditionelle Bewegungsabläufe werden bearbeitet und
in eine neue Bewegungs- und Klangsprache überführt. Eine
spannende Produktion (für die wir auf Seite 80 Tickets verlo-
sen). Thomas Marek (34) entdeckte im Alter von 14 Jahren
seine Begeisterung für den Stepptanz. 2006 begeisterte er
auf Kampnagel mit seinem Bühnenstück „about_tap vol. 2“.

Premiere am 11. März, weitere Termine: 13., 14./18.-21. März, 20 Uhr,


Kampnagel, K2, Eintritt: 12 Euro
www.kampnagel.de

DAS FACHGESCHÄFT
IN PÖSELDORF

Hamburgs Stimme
NDR-Moderator Friedhelm Mönter ist nach schwerer Krankheit gestorben
FÜR BRILLEN UND
KONTAKTLINSEN

„Mit Friedhelm Mönter verlieren wir ei-


nen unserer prägnantesten Radioma-
cher“, erklärte NDR-Landesfunkhaus-
chefin Maria von Welser. Das war nicht
nur so dahergesagt. Friedhelm Mönter
war für viele Hamburger die Stimme
ihrer Stadt. Zumindest für all jene, die
sich dem Radiosender NDR 90,3 ver-
schrieben haben, für den der gebürtige
Duisburger seit 1981 arbeitete, als die
Hamburg-Welle gegründet wurde.
Zum Radio fand Friedhelm Mönter
auf Umwegen. Nach Ausbildungen zum
Foto: NDR

Einzelhandelskaufmann und zum Kran-


kenpfleger zog er 1971 der Liebe wegen
nach Hamburg. Mönter wohnte auf der
Uhlenhorst und etablierte sich ab 1979 Friedhelm“ war er auch sonst: Ein zu- Christ, trat aber aus Protest gegen de-
als profilierter Kenner der Theater- und rückhaltender Mann, der kein großes ren Haltung zur Homosexualität aus
Kulturszene: zunächst als Kritiker der Aufhebens um sich machte und sich nie der katholischen Kirche aus. Hamburgs INH. ROLF BOLDT
Hamburger Morgenpost, danach beim wichtiger nahm als seine Gäste oder In- ehemaliger Aidspastor Rainer Jarchow & STEFAN SCHMEIDLER
NDR, wo er die Erfolgssendung „Sonn- terviewpartner. holte ihn wieder zurück, seither war
MITTELWEG 121A
takte“ aus der Taufe hob. Auch in der Sein Schwulsein hat Mönter nicht Mönter evangelisch. 20148 HAMBURG
legendären „Schmidt Show“ des NDR- verheimlicht, ließ sich gerne mit seinem Am 18. Februar starb der beliebte TELEFON + FAX 040/45 10 47
Fernsehens hatte Friedhelm Mönter Partner Frank Schulze fotografieren, Moderator nach schwerer Krankheit. www.optic-johannsen.de
seine feste Rolle als „der Herr Fried- den er auch heiraten wollte – mit kirch- Friedhelm Mönter wurde 62 Jahre alt.
helm“. Die passte zu ihm, denn „der lichem Segen. Mönter war gläubiger STEFAN MIELCHEN

hinnerk 03/09 29
kultur

Foto: Warner Bros.


Alles oder nichts
Eine Art deutscher Weltstar: Heike Makatsch spielt Hildegard Knef

„Ich glaube, du trittst gleichzeitig aufs Gas und auf die also auch eine Entscheidung der Regie, wie viel Per- „Wer ist Hildegard Knef?“, wird sie von Förderer
Bremse.“ In einem einzigen Satz bringt Ehemann sönlichkeit einer Schauspielerin hinter der realen Figur und Produzent Erich Pommer (Hanns Zischler) ein-
David Cameron (Dan Stevens) das Leben von Hilde- zugestanden wird. Makatsch sieht zweifellos beein- mal gefragt – und weiß darauf zunächst keine Ant-
gard Knef auf den Punkt. Die Knef war eine ständige druckend aus und versteht es, Knefs besonderen wort. Die kann auch der Film nicht geben. Er bleibt
Überforderung: für die Mutter, die Männer, die Medien. Sprachduktus nachzuahmen. Doch Film ist nicht Tra- im Ungefähren. Verklärt wird Hilde nicht: Da sind
In einer Zeit, in der Spießigkeit erste Bürgerpflicht war. vestie, der Versuch perfekter Illusion. die Liebe zu einem hochrangigen Nazi, die Über-
In einem Land des Aussitzens von Schuld und Schan- Die Knef wollte nie gefällig sein, Makatsch ist es. Sie spanntheiten der Diva, die Tabletten. Der Film en-
de, das für Tabubrüche keinen Platz bot. Hildegard setzt auf Effekt statt Eigenständigkeit und offenbart det, wo er beginnt: 1966, mit dem umjubelten Kon-
Knef bekam dies lange zu spüren. genau hiermit ihre Grenzen. So wie sie die pfiffig ar- zert in der Berliner Philharmonie. Es ist einer der
Regisseur Kai Wessel nähert sich der ersten Le- rangierten Knef-Songs ordentlich bewältigt, gibt sich wenigen berührenden Momente; einmal mehr Gas-
benshälfte dieses Grenzen überschreitenden Stars in auch der Film: schön ausgestattet, erwartbare Unter- pedal und Bremse. Endlich erkennt die Knef als
langen Rückblenden. Der Blick auf die Wurzeln im Nazi- haltung. Aber eben keine Charakterstudie. Sängerin ihrer eigenen Chansons: Das hier, das bin
Deutschland soll das Verstehen einer an Höhen und Ein besseres Drehbuch hätte „Hilde“ allemal ver- ich. Alles oder nichts.
Tiefen reichen Biographie erleichtern. Vielleicht war dient. Manche Dialoge klingen wie aneinandergereihte STEFAN MIELCHEN
Hilde das erste deutsche It-Girl. Allein, sie hatte eine Lebensklugheiten aus der Knefschen Aphorismen-
„Hilde“, Regie: Kai Wessels. Mit: Heike Makatsch,
Geschichte und daher etwas zu sagen. Ihre Fähigkeiten sammlung. Das wirkt mitunter ärgerlich platt. Dabei Dan Stevens, Monica Bleibtreu, Hanns Zischler,
als Schauspielerin indes werden bis heute überschätzt. gibt es große Momente: Als die Knef nach dem Skan- Roger Cicero. Kinostart: 12. März
Wenn man so will ist es konsequent, dass Heike Ma- dal der „Sünderin“ den Journalisten entgegendonnert, Der Soundtrack zum Film („Hilde“ – Heike Makatsch singt
katsch nun die Knef spielt. Oder besser: imitiert? dass moralische Entrüstung fehl am Platze sei in einem Hildegard Knef) entstand in Zusammenarbeit mit der
WDR Big Band.
Schauspieler haben nichts zu sagen. Sie tun nur, Land, das zum Holocaust schweige. Und das von ei-
Die neue Album-Edition „Knef“ (Universal) bietet Hildes
was man ihnen sagt: So fasst es Knefs Lehrerin Else ner, über die Goebbels gesagt hatte: „Sie ist nett, aller- Philips-Alben digital remastert. Die limitierte Box enthält
Bongers (Monica Bleibtreu) richtig zusammen. Es ist dings muss ihre Nase operiert werden.“ den Live-Mitschnitt „Tournee, Tournee“.

30 hinnerk 03/09
Rebellion und Exzess
Das Metropolis-Kino widmet Derek Jarman eine Retrospektive

Wie will man das Phänomen Derek Jar- chen Dokumentarfilm gewidmet. Kern-
man jemandem erklären, der von dem bri- stück dieser Hommage ist ein unveröf-
tischen Filmemacher noch nie etwas ge- fentlichtes Interview aus dem Jahr 1991,
hört hat? „In seiner finanziellen Unabhän- das einer Lebensbeichte gleichkommt, in
gigkeit, Selbstgenügsamkeit und Aus- der Jarman mit Witz und Selbstironie die
druckskraft war Derek einmalig, und nur wichtigsten Stationen seines Lebens Re-
so konnte er ein Werk hervorbringen, das vue passieren lässt.
einmalig war“, versucht es Tilda Swinton Hier wie in seinen Filmen sind Politi-
im Gespräch mit hinnerk auf den Punkt sches und Privates nicht zu trennen. Der
zu bringen. rebellische und zugleich so unkonventio-
In acht Filmen des Aids- und Schwulen- nelle, kreative Geist, der sich in all seinen
aktivsten, Schriftstellers, Gartengestal- – stets konsequent aus einem schwulen
ters, Malers und Filmemachers Jarman Blick heraus gestalteten – Arbeiten spüren
hat die Schauspielerin mitgewirkt: be- lässt, funkelt auch aus diesem Interview.
ginnend mit seinem bildgewaltigen Meis- Wer, von „Derek“ angeregt, einige von
terwerk „Caravaggio“ über den exzessiv Jarmans Filmen auf der Leinwand (wie-
lebenden Barockmaler und dem Post- der-) sehen möchte, hat dazu ab 12. März
Punk-Experimentalfilm „The Last Of Eng- im Metropolis-Kino Gelegenheit. Neben
land“ bis hin zu seinem Abschiedswerk „Caravaggio“ und „The Last Of England“
„Blue“, das er kurz vor seinem Tod 1994 gibt es auch seine Shakespeare-Adaption
fertigstellte. Gemeinsam mit Isaac Julien „The Tempest“ zu sehen. Die Reihe wird
hat Tilda Swinton mit dem auf der Berli- im April fortgesetzt. AS
nale 2008 uraufgeführten „Derek“ ihrem
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hinnerk 03/09 31

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