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Tages-Anzeiger – Montag, 22.

April 2013 9

Analyse
Aliko Dangote Der reichste Afrikaner baut sich eine Raffinerie für 8 Milliarden Dollar. Von Johannes Dieterich

Süsse Geschäfte in Nigeria


Auf dem Höhepunkt des wirtschaftli- Raffinerien des Landes sind alt und seinen Klassenkameraden Süssigkeiten meinung ihm: Der Chef der 1977
chen Erfolgs leisten sich Geschäftsleute laufen alle auf halben Touren: Wegen verkaufte: Seine Spezialisierung auf gegründeten Dangote-Group, zu der
gerne ein Schloss, eine Jacht oder auch der staatlichen Subventionen, die den Gezuckertes machte den Muslim später längst auch Textilfabriken, Transport-
mal eine Insel – Annehmlichkeiten, an Spritpreis bei 60 US-Cent pro Liter zum unangefochtenen Zuckerbaron und Baufirmen gehören, hat noch
denen Aliko Dangote offenbar keinen halten, macht der Bau neuer Anlagen seines Landes und Besitzer der keinen Sprössling seiner Unterneh-
Gefallen findet. Afrikas reichster Mann ökonomisch keinen Sinn. 19 Multis drittgrössten Zuckerraffinerie der Welt. mensgruppe in den Sand gesetzt. Die
will sich für seinen kometenhaften haben die Aufforderung der Regierung, Ein Kredit über 3000 Dollar, den er als nigerianische Bevölkerung werde
Aufstieg mit einem Projekt anderer Art neue Raffinerien zu errichten, 21-Jähriger von seinem Onkel erhielt, in fünf Jahren bereits 200 Millionen
belohnen: Der Nigerianer baut sich zurückgewiesen. Derweil verdienen ermöglichte die Karriere. Neben dem Menschen umfassen, rechnet er vor:
eine Raffinerie für 8 Milliarden Dollar. sich halbseidene Geschäftsleute am Süssstoff konzentrierte sich der «Diese Leute kann man doch nicht auf
Und das in einem Land, in dem der Bau Import von 70 Prozent des nigeriani- instinktsichere Unternehmer schon bald dem Trockenen sitzen lassen.»
von Erdölveredelungsanlagen wegen schen Spritbedarfs eine goldene Nase. auf Zement: Sein Imperium in diesem Kritiker des nigerianischen
der staatlichen Benzinsubventionen Dangote ist sich bewusst, dass ihm von Bereich erstreckt sich heute über weite Tausendsassas nennen noch andere
eigentlich keinen Sinn macht. «Nur ein dieser Seite wohl noch Knüppel in den Teile des Kontinents – mit Fabriken in Gründe, weshalb Afrikas reichster
Verrückter kommt auf eine solche Weg geworfen werden. Südafrika, Äthiopien, Sambia, Tansania, Mann auch in diesem Fall erfolgreich
Idee», sagt der 56-Jährige selbst. Auf dem Schreibtisch des Multimil- der Republik Kongo und dem Senegal. sein dürfte. Der Milliardär hat beste
Mit einer Fördermenge von täglich liardärs steht aber nicht von Allein zwischen 2010 und 2012 soll das Beziehungen zur regierenden People’s
2,3 Millionen Fass (à 159 Liter) ist Ungefähr ein Holzschild mit der Vermögen von Dangote, den «Forbes» Democratic Party und finanziert
Nigeria der wichtigste Erdölproduzent Aufschrift «Nichts ist unmög- auf Platz 43 der reichsten Menschen regelmässig ihren Wahlkampf, wie ein
Afrikas: Doch sind die 170 Millionen lich». Der Spross einer weltweit führt, von 2,1 auf 16,1 Milliar- nigerianischer Unternehmensberater
Einwohner der bevölkerungsreichsten Unternehmerfamilie im den Dollar gewachsen sein. festhält: «Dangote und seine Freunde
Nation des Kontinents auf Importe nordnigerianischen Kano übte Wenn es jemandem gelingen kann, beim Staat werden schon wissen,
angewiesen, um ihre Motoren sich bereits als Schüler im Nigerias korrupten Spritmarkt aufzumi- wie mit der Raffinerie ausser Benzin
anzutreiben. Die bestehenden vier Geschäftemachen, indem er schen, dann nach einhelliger Experten- auch Gold zu gewinnen ist.»

Bahnhofstrasse Die Stadt Theaterlandschaft Luzern setzt auf die freie Szene, das ist lobenswert. Aber Autobahngebühren Die
Zürich fällt Dutzende ein totaler Verzicht auf die grossen Häuser wäre fatal. Von Alexandra Kedves Sicht von aussen auf
von Linden. eine Schweizer Debatte.
Von Andreas Diethelm*
Stadttheater ist ein Dauerfestival Von Oliver Meiler, Paris

Kurzsichtiger Erst ernste Stille, ein sich zerdehnen-


des Zögern. Dann tobt der Applaus in
Eine Vignette
Kahlschlag der rappelvollen Basler Gare du Nord.
Jeder will dieses Wochenende «Breiviks für den Mars
Rede» von Milo Rau gesehen haben,
Die Stadt Zürich hat vergangene um zu kapieren, was die Rede des Manchmal scheint es schon, als liege
Woche mit der Neugestaltung der Amokläufers auf der Bühne die Schweiz auf einem anderen
Bahnhofstrasse begonnen, indem sie eigentlich mit uns macht – und warum Planeten. Besonders, wenn man von
alle Linden zwischen Augustinergasse Institutionen von Universität bis zu aussen auf sie schaut, ihre Debatten
und Uraniastrasse gefällt hat. Warum etabliertem Theaterhaus sich so vor ihr aus dem Ausland verfolgt und sich über
nur? Die Aktion widerspricht dem fürchten, dass die Produktion regel- so manche Priorität wundert. Im Fall
«Alleenkonzept» der Stadt, das Bäume mässig ausgeladen wird. Von Moskau der Diskussionen über den Preis der
nicht nur aus gestalterischen und bis Basel und Zürich: Milo Rau ist der Autobahnvignette müsste man eher
ästhetischen, sondern auch aus Aufreger, die freie Szene hat einen sagen, die Schweiz liege nicht nur, sie
ökologischen Gründen propagiert. Helden. Und die Theaterlandschaft hat fahre vor allem auf einem anderen
72 Linden müssten weichen, damit eine Heldin: die freie Szene. Sind die Planeten, quasi auf dem Mars. Künftig,
drei Tramhaltestellen behindertenge- grossen Häuser abwicklungsreif ? so hört man, soll die Vignette nicht
recht gestaltet werden könnten. So Luzern hat darauf dieser Tage mit Ja mehr 40 Franken kosten, sondern 100.
teilten die Behörden mit. Es handle geantwortet. Das 1839 vom Bürgertum Man liest auch, eine unheilige Allianz
sich um kranke Bäume. Das tönt errichtete Stadttheater soll, so die aus Umweltschützern und Schweizeri-
bekannt. In Zürich werden Bäume, die offizielle Absichtserklärung, wohl samt scher Volkspartei stemme sich gegen
gefällt werden, notorisch krank- Ensemble aufgegeben werden. Nicht den Aufschlag. Mit Verlaub: Wie
geschrieben. Mal wird ein Kahlschlag als Sparmassnahme, sondern, wie es europafremd ist die Schweiz?
als «auswechseln» verkauft, als ob es heisst, kostenneutral – also als 100 Franken oder etwa 80 Euro – für
um einen Reifenwechsel ginge, mal ist kulturpolitisches Fanal für eine ein ganzes Jahr. Wer zuweilen
von «versetzen» die Rede. Gleichzeitig demokratischere, lebendige und Autobahnen im näheren Ausland nutzt,
wird vom neuen «Baumschutzsystem» erregende Kunst, die sich nicht auf der und das tun ja viele Schweizer
geschwärmt, dabei sind die luxuriösen Couch einer durchstrukturierten Ferienreisende jedes Jahr, der gibt für
Gussdeckel bloss eine Einladung, Institution ausruht. So die Ansage. Die eine einzige, längere Fahrt auch mal
direkt an den Stamm heranzufahren, bis dato unterfinanzierte freie Szene mehr aus als für die Vignette. Nehmen
was bei bewachsenen Baumrabatten Luzerns befindet sich damit in einer wir nur den geliebten Süden: Italien,
gar nicht möglich wäre. Mit dieser Art nie da gewesenen Lage: mit eigenem Frankreich, Spanien. Und wählen wir,
der Kommunikation setzt die Behörde Haus, eigenem Kuratorium, Vorhang auf für die Vielfalt an Theaterformen. Foto: Leonard McLane (Getty Images) willkürlich, einige Strecken. Etwa
ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. komfortablen Finanzen – und ohne Chiasso–Rom, 620 Kilometer,
Die Linden sind oder waren nicht Konkurrenz, die ihr monetär oder Erregung waren. Ein Deutsches Markenartikel wie «Schauspielhaus Autostrada del Sole – 44 Euro. Oder
krank. Keine. Sie serbeln reihenweise, aufmerksamkeitsökonomisch das Schauspielhaus Hamburg oder eine Zürich» funktionieren nach innen, Basel–Montpellier, 708 Kilometer,
weil das Streusalz ihnen die Nahrungs- Wasser abgraben könnte. Volksbühne in Berlin wurden zum innerhalb des Betriebs, und auch nach davon ein schöner Teil auf der
aufnahme abwürgt und die Blätter Knotenpunkt und Katalysator, weil sie aussen als Hingucker; als Reizfigur, Autoroute du Soleil – 53.60 Euro. Und
vergiftet. Das Salz bleibt im Boden und Der unbewegliche Dampfer Freiheit und Grösse für geradezu Werbeträger, Kommunikator. Als da man nach den Ferien ganz gerne
schädigt das vielfältige unterirdische Statt ein meist mittelmässiges Theater gewalttätige Gegenläufigkeiten hatten. Promi des Theaterbetriebs – wie, auf wieder heimfährt, verdoppelt sich die
Leben, mit dem der Baum auf Gedeih an einem mittelgrossen Haus einer Dass ein richtig grosses Haus eine völlig andere Weise, Milo Rau. Rechnung, womit wir locker beim
und Verderb verbunden ist. Die Stadt mittelgrossen Stadt mit mittelgrossen Weite des theatralen Horizonts Ohne Not die Chancen zu opfern, neuen Preis angelangt wären.
sollte ihre verfehlte Winterdienstpraxis Mitteln weiter zu subventionieren, hat ermöglicht, unterschiedlichste die ein solcher Promibetrieb mit Es gäbe noch mindestens zwei
ändern, statt diese schönzureden – man sich mutig für eine Radikalkur Regiehandschriften zeigen und uns stabilem Ensemble, angemessener Gründe, die das Lamento irgendwie
und die Bäume krankzuschreiben. entschieden: für die Förderung des alle aus der Provinzialität hinauskata- Technik und ebensolchen Werk- und unstatthaft anmuten lassen. In
In wenigen Wochen werden die regionalen theatralen Bodensatzes, aus pultieren kann, gilt mehr denn je. Spielstätten bietet, wäre ein Fehler: gewissen Ländern mit hohen Mautge-
Salzschäden an den noch stehenden dem Innovation, ja Revolution, Natürlich gehören in der Schweiz Diese Heimat fürs zweckfrei Schöne bühren verdienen die Autobahnen ihre
Linden sichtbar werden: Die Blätter spriessen kann. Gut so. Der Haken ist Freie-Szene-Tempel wie das Theater- und angstfrei Kritische spielt noch Bezeichnung nicht – so manche
werden vergilben, von den Rändern her das Wörtchen «kann». Denn wer öfter haus Gessnerallee oder eben die immer eine erstaunlich wichtige Rolle. Strecken in Italien etwa sind in
verdorren und vorzeitig abfallen. Produktionen der Freien sieht, weiss, Kaserne Basel zu den spannendsten Bei einem steten Haus kann man die lamentablem Zustand. In anderen
Manche Jungbäume werden gar nicht dass es sich damit genauso verhält wie Theateradressen. Aber manche Ensem- Entwicklung beklatschen oder Ländern gibt es so viele verschiedene
erst austreiben, weil ihre Wurzeln im mit dem Stadttheater: Für eine einzige bleleistung am grossen Haus, manche beklagen, aber jedenfalls kontinuier- erhebende Verwaltungen, dass man im
Salz stecken. Jahr für Jahr werden in Orchidee müssen viele Gänseblümchen Einladung auch an tolle Künstler wäre lich begleiten – ebenso wie die Schnitt alle 60, gefühlt aber eher
Zürich rund 50 tote Bäumchen begossen werden. Giessen allerdings nirgends anders zustande gekommen Schauspieler, die uns im Lauf einer alle 20 Kilometer an einer Mautstelle
routinemässig ausgewechselt. muss man auf jeden Fall! Wobei es eine als eben da. Und wer würde etwa auf Intendanz an Auge und Herz wachsen. steht – «Péage», «Pedaggio», «Peaje».
Mit kühlem Baumschatten ist es in offene Frage ist, ob und ab welcher die wunderbare «Elektra» dieser Als theatrales Identifikations- Zu Stosszeiten staut es sich da wie
der Bahnhofstrasse für lange Zeit Höhe Subventionen, ab wann Saison in der Schiffbauhalle verzichten angebot für ein grösseres Publikum im anderswo, in Ländern mit vielen hohen
vorbei. In den zunehmend wärmeren Infrastrukturen künstlerisch kontra- wollen? Oder auf eine Marina urbanen Raum, als ein buchstäblich Bergen etwa, vor den Tunneln zu
Sommern werden die gefällten Linden produktiv wirken. Ist es wirklich so, Abramovic am Theater Basel? grosszügiger Spielraum mit einem Saisonbeginn und an Feiertagen.
schmerzlich fehlen. Auch dann noch, dass die grossen Theaterdampfer zu Eine Grossstadt braucht ihr grosses virtuell grosszügigen Spielraum – für 100 Franken für ein Jahr auf
wenn die dafür Verantwortlichen samt unbeweglich für Innovationen sind Haus. Sogar die kleinen Gruppen Gastspiele, Diskussionsreihen, Autobahnen ohne Schlagloch und
ihren kurzsichtigen Gestaltungslaunen und daher nur noch den Rahm der brauchen das grosse Haus (und genug Nachwuchsförderung und Staraufge- lästige Zahlstellen, mit sauberen, fein
längst vergessen sein werden. Freien abschöpfen? Brauchen wir die eigene Unterstützung). Denn bot – ist das gute, alte Stadttheater ausgeleuchteten Tunneln, sicheren
Hochhäuser des Betriebs noch? immerhin erinnert der grosse Bruder unübertroffen. Es ist eine Art Brücken, geräumigen Pannenstreifen:
* Andreas Diethelm ist Zürcher Biologe Ja, unbedingt! Nicht bloss, weil sie die Welt regelmässig an die kleinen. Dauerfestival samt Flops und Das ist ein guter Deal, ein sauguter
und leitet eine Umweltberatung. einst ein Brennpunkt bürgerlicher Rein marketingtechnisch gesehen: Highlights. Möge es lange leuchten. sogar.

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