KULTUR ❚ MUSIK ❚ EUROVISION
Deutschland vergibt mit der
We don't wanna Putin
Der Eurovision Song Contest 2009
Der Grand Prix - eine Prestigeveranstaltung?
Für den russischen Patriarchen Putin schon:
30 Millionen Euro lässt er sich das europäi-
sche Festival der seichten Musik kosten. Da
versteht er keinen Spaß, wie bereits die Geor-
gier zu spüren bekamen, die eine Disconummer
mit dem beziehungsreichen Titel "We don't
wanna put in" einreichten. Das sei "musikali-
sches Rowdytum" ließ der Despot seinen
Sprecher erklären und sorgte im Verbund
mit den Speichel leckenden Arschkriechern
von der EBU dafür, das dieser Beitrag rausflog.
Aber nicht nur plumpe Putin-Kritik ist un-
erwünscht, sondern auch Schwule. Die offene
Zurschaustellung von Homosexualität werde
auf Moskaus Straßen nicht geduldet, warnte
Bürgermeister Jurij Luschko die anreisenden
Fanclubs vor. Das gilt vor allem dem (unter-
16 MAI 2009
sagten) Moskauer CSD "Slavic Pride", der am
Finaltag des Grand Prix stattfinden soll. Ein
geschickter Schachzug des Organisators Niko-
lai Aleksejew, der auf mediale Präsenz und
die Unterstützung anreisender Eurovisions-
schwuppen hofft. Vermutlich vergebens,
denn die dürften damit beschäftigt sein, den
Moskauer Schwarzmarkthändlern, die sich
im Vorverkauf das komplette Ticketkontingent
unter den Nagel rissen, horrende Summen
für eine Eintrittskarte in den Rachen zu werfen.
Westeuropa setzt auf große Namen: Groß-
britannien ließ den Musicalgott Andrew
Lloyd Webber eine unglaublich altmodische
Superkitschballade komponieren. Deutsch-
land vergibt wie schon 2007 alle Chancen
mit einer Swing-Nummer, von Techno-Gott
Alex Christensen aus allerlei Pophits zusammen-
Foto: NRK
Alexander Rybak (Norwegen):
Wettbüros und Fans setzen
ihn als Sieger
Swing-Nummer des Duos
"Alex swings Oscar sings" alle
Chancen auf den Sieg
Foto: NDR
geklaut und von der Musicalschwuppe Oscar
Loya (wenig überraschend sein kürzliches
Coming Out in der Bild), ähm, gesungen.
Frankreich bietet gar seine Chansongöttin
Patricia Kaas auf - mehr geht nun wirklich nicht!
Ob's nützt? Nach dem Genörgel über das
Blockvoting mischt beim Finale erstmals
wieder eine Jury mit. Was für deutsche Tele-
voter bedeutet, dass beispielsweise das fach-
lich fundierte Urteil einer Jeanette Bieder-
mann genau so viel zählt wie rund 200.000
Anrufe. Da dürften für den türkischen Helena-
Paparizou-Klon Hadise mit ihrem Bilder-
buch-Ethno-Klopfer "Düm Tek Tek" wohl nur
zehn statt der sonst üblichen zwölf Punkte
abfallen. Volle 12 dagegen garantiert wieder
aus der Ukraine an die Gastgeber: stammt
nämlich deren Vertreterin Anastasia Prihodko
aus dem Land der kaputten Kernkraftwerke,
wo sie mit ihrer dramatischen Rockballade
"Mamo" aus der Auswahl flog, um beim russi-
schen Vorentscheid mit derselben Nummer
überraschend zu obsiegen.
Über weißrussische Wurzeln hingegen ver-
fügt der als sicherer Sieger getippte Norwe-
ger Alexander Rybak mit seinem gefiedelten
Ethnomärchen "Fairytale". Er muss zwar zu-
nächst durch eine der zwei Qualifikations-
runden, dürfte jedoch keine Probleme haben,
sich gegen die dortigen Massen juryoptimierter,
lahmster Balladen durchzusetzen. Oder gegen
fantastischen Spitzencamp wie einer mani-
scher schwedischen Operntrulla, einer unga-
rischen Ballettschwuppe, dem griechischen
Hochleistungsturner Sakis Rouvas, tschechi-
schen Roma-Hip-Hoppern im Supermann-
Kostüm, einem bulgarischen Kastraten im
Kettenhemd, einem Kylie-Aufguss aus der
Feder Ralph Siegels für Montenegro, einem
belgischen Elvis-Imitatoren und der hollän-
dischen schwulen Antwort auf die Golden
Girls. (or)
 Foto: ERT

Sakis Rouvas -
der griechische
Hochleistungs-
sportler

Patricia Kaas (Frankreich): Kennt

Foto: LTV

und liebt man auch in Russland

Foto: SonyBMG

Egal wie das lettische Lied auch

klingt: der Interpret Instars
Busulis ist ein Brett!
Foto: SVT
Foto: NOS

Malena Ernman
(Schweden): Nina
Hagen trifft
De Toppers (Niederlande): Silver Kriemhild
Convention oder Golden Girls? Nastrowa
14.06.09 STUTTGART - THEATERHAUS • 24.06.09 KÖLN - PALLADIUM
Eurovision Song Contest 2009, Erste Qualifikationsrunde: Di, 12.5., 21 Uhr auf Phoenix, 25.06.09 BERLIN - TEMPODROM • 26.06.09 LEIPZIG - PARKBÜHNE
Zweite Qualifikationsrunde: Do, 14.5., zeitversetzt ab 23 Uhr auf N3, Finale: Sa, 16.5., 21 Yes, Pet Shop Boys, the new album, released March 23.

Uhr im Ersten, Checkt den gab-Terminkalender für regionale Grand-Prix-Partys! KARTEN AN DEN BEKANNTEN VVK-STELLEN,
TICKETHOTLINE: 01805 - 9 69 00 00*(*14 Ct./Min. Mobilfunkpreise können abweichen)
eurovision.de, aufrechtgehn.de TICKETS IM INTERNET: WWW.TICKETMASTER.DE • WWW.MUSIC-POOL.COM

MAI 2009 17
KULTUR ❚ MUSIK

Den Guinness-Buch-würdigen Album-Titel

hielten seine Freunde schon für eine
bestusste Idee, räumt
Scott Matthew ein.

Fotos: Michael Mann

Verliebt wie ein Deutscher
Kuscheln mit Scott Matthew

Ein solcher Titel ist
mindestens Guinness-
Buch-verdächtig: "There
is an ocean that divides
and with my longing I
can charge it with a
voltage that's so violent
to cross it could mean
death" - so kurz, kna-
ckig und vor allem
leicht einprägsam beti-
telt Scott Matthew sein zweites, gerade er-
schienenes Album. All seine Freunde hätten
das schon für eine ziemlich bestusste Idee
gehalten, räumt der gebürtige Australier ein.
"Doch irgendwie konnte ich dieses Gedicht
nicht in die passende Musik umsetzen, aber
ich stehe zu diesem Titel, ich finde, er fasst
gut zusammen, worum es in diesem Album
geht." Durch seine musikalischen Beiträge
für den Kult-Film "Shortbus" bekannt gewor-
den, katapultierte erst der Erfolg seines Debüt-
Albums Matthew aus seiner lauschigen New
Yorker Künstler-Community hinaus in die
große weite Welt. "Ich vermisste die Men-
schen daheim und traf on Tour so viele neue
Leute, von denen ich aber bald wieder Ab-
schied nehmen musste, so sehnte ich mich
nach Menschen, die einfach nicht erreichbar
waren, weil sie auf anderen Kontinenten
lebten."
Trotz ständigen Tourens brachte es Scott
Matthew fertig, 15 Monate nach dem ersten
schon das zweite Album fertigzustellen. "Ei-
nige der neuen Stücke wie etwa ‚White
Horse' habe ich im Tourbus geschrieben,
manch andere Stücke wie "Thistle" hatte ich
schon im Repertoire und fand es zu schade,
sie wegzuwerfen."
Ihm sei es wohl bewusst, dass seine Songs
sehr autobiografisch seien, in "German" habe
er den Spieß mal ein wenig herumdrehen
wollen. "Ich war es zwischendurch leid, immer
wieder über mich selbst und meine Gefühle
zu schreiben. Also beschloss ich, aus dem
Blickwinkel eines fiktiven Deutschen zu
schreiben, der - wie ich - ständig auf Reisen
in fremden Ländern ist und sich dabei ver-
liebt."
Insgesamt wirkt das neue Album viel-
schichtiger als der schon sensationelle Erst-
ling, mitunter geradezu fröhlich. Doch scheinen
die elf Songs immer noch eher für den melan-
cholischen Rotwein-Abend allein daheim ge-
eignet denn als Untermalung für das erste ro-
mantische Rendezvous. Die Einwohner seiner
Wahlheimat müssen die Musik von Scott
Matthew erst noch entdecken, dort erscheint
dieser Tage erstmal das Debüt-Album. (to)
Das Album "There is an
ocean ..." ist bei
Glitterhouse Records
erschienen. Mehr unter
scottmatthewmusic.com.
Scott Matthew live: 11.5.
Stuttgart, Schocken -
31.05. Frankfurt,
Mousonturm

Wundertüte
Damian Lazarus ist einfach anders

Der Wahl-Kalifornier Damian La-
zarus kommt aus der Techno/
House-Szene: als Produzent, La-
bel-Manager und DJ hat er aktu-
elle Clubsounds geprägt. Um so
überraschender, dass sein erstes
Foto: GetPhysical
manten Pop-Songs geworden ist. "Smoke that
Klar dominieren elektronische Monster out"
Sounds, die Stimmung ist mor- erscheint am
bid, aber zum Glück ohne ver- 1.5. bei Get
krampfte "ich bin anders als die Physical/RTD
anderen"-Attitüde. Lazarus ist

eigenes Album eine wahrhaft ab- einfach anders! Tipp: "Neveren-

wechslungsreiche Wundertüte ding" - genau das wünscht man
an ungewöhnlichen, nicht unbe- sich beim Hören des Albums!
dingt tanzbaren aber immer char- (bjö)

18 MAI 2009
CD-Tipps
Elektro
Peaches: I feel Cream (XL Rec./Beggars Group/Indigo)
Früher oder später erwischt der Pop-Virus jede(n) - auch eine
Frau Peaches. Doch selbst wenn die Elektro-Punk-Provokateurin
von einst auf ihrem dritten Album etwas poppiger zu Werke geht,
heißt das nicht, dass sie die Schamhaare rasiert hat und sich die
Fucks für den inneren Monolog aufhebt. Im Gegenteil: So oft wie
beim Opener "Serpentine" ist ihr das F-Wort wohl noch nie über die
Lippen gekommen. Dafür geht es hier und da (vor allem beim tollen
"Talk to me") etwas melodiöser zu, was ihrem sonst harten Sound
aber eher eine angenehme weitere Facette verpasst, anstatt nach
Ausverkauf zu klingen. Pop à la Peaches eben. (VÖ: 2.5.) (burn)

Techno-Pop
Tiga: Ciao! (Different/Pias)
Um den kanadischen Musiker Tiga kursierte lange das Gerücht, er
sei schwul. Das lag vielleicht am stets dezenten Make-up oder sei-
nen ersten, homoerotisch aufgeladenen Videoclips, trotzdem ist er
(leider) hetero. Zum Glück hat sich in seiner Tech-Pop-Musik aber
ein - im besten Sinne - schwuler Camp-Faktor gehalten. Mit der
bubihaften Stimme über den treibenden Beats, sehnsüchtigen Me-
lodien und cheesy 80er-Synthisounds kriegt jeder Song einen rosa
Touch - pardon, natürlich neonpink! Und wer kann diesem Cover,
von dem uns Tiga mit einem Handfächer ein "Ciao!" entgegen-
schmettert, schon widerstehen? Ciao Bello! (bjö)

Techno
DJ Hell: Teufelswerk (International DeeJay Gigolo Records)
DJ Hell (46) als graue Eminenz des Techno zu bezeichnen, wäre
ein bisschen gemein, obwohl er über ein erstaunliches Pop-Wissen
verfügt und gerne auf seine Idole von Bowie bis Kraftwerk verweist.
Inzwischen bekommt er Selbige sogar für Kollaborationen: so liefert
Roxy-Music-Sänger Bryan Ferry die Vocals zu "U can Dance", dem
Opener des neuen Oeuvres, das sich in eine düster-clubbige
"Night"-CD und eine düster-schwermütige "Day"-CD aufteilt. Dass
auch Prolo-Rapper P Diddy auf einem Stück rumpöbeln darf, gehört
zu den kleinen Geschmacksverirrungen im Hell'schen Universum. Bis
in die Störgeräusche perfekt produziert - minimalistisch und hart (bjö)

Jazz
Jimmy Somerville: Suddenly Last Summer (Jess E Musique)
Bilanz nach 25 Jahren: nach den ersten beiden Bronski-Beat-Singles
landete Jimmy Somerville die größten Hits mit Neuversionen von
Klassikern à la "Don't Leave Me This Way" oder "To Love Some-
body". Da schien es konsequent, gleich ein ganzes Album mit Covern
einzuspielen und das Material ohne großen Produktions-Bombast
für sich selbst sprechen zu lassen. Nur mit Gitarre, Klavier und
Cello funktioniert auch mal Blondies New-Wave Klassiker
"Hangin' On The Telephone", und zur schwulen Bären-Hymne
mutiert "My Heart Belongs To Daddy". Schön entspannt. (VÖ: 15.5.,
nur als Download) (to)

Ab 24.04.!
Die Bist du dabei -Tour 08/09
Das komplette 2 1/2 Stunden Konzert
Als Doppel-CD
Als DVD
Inkl. Making-of-Film mit Interviews
und Blick hinter die Kulissen

Außerdem erhältlich
Limitierte Sonderausgabe
im großen Hardcover-Buch
Inkl. Doppel-CD + DVD
Mit über 100 Fotos – Zwischen Probe,
Soundcheck, Garderobe und Konzert.
Stille Momente und laute Höhepunkte:
AnNa und Peter auf Tour!