S O N N T A G
[Leseprobe aus meinem unveröffentlichten Roman]
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Sonntag, 5. August 2085
früher Nachmittag
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s ist schön, so in der Sonne zu liegen und
ausgerechnet jetzt muss ich kotzen.“
Die heiße Nachmittagssonne umschmeichelte ihr
Gesicht und sie hielt die Augen fest geschlossen. Kein Ton kam aus
ihrem trockenen Mund und das Würgen in ihrem Magen wollte nicht
aufhören. Sie sprach es nicht aus, aber die blutig zerbissenen Lippen
formten den Satz: „Du musst ruhig atmen und beten, dann
überstehst du auch diesen Tag.“
Angestrengt versuchte sie die stickige Großstadtluft
gleichmäßig in ihre Lungen zu ziehen, zwei, drei Sekunden in sich zu
behalten und dann langsam auszuatmen. Sie hatte es oft geübt, aber
mit jedem Atemzug fiel es ihr schwerer. Johanna lag auf dem Rücken
und die Stiche in den Lungenflügeln bereiteten ihr wieder Schmerzen.
Zweifel, Angst und viele Fragen vermischten sich zu wirren
Gedankenfetzen. Alles konzentrierte sich auf die Fragen: „Warum
bleibe ich nicht so liegen und warum schlafe ich nicht einfach ein?
Warum geschieht das alles? Das hat doch keinen Sinn. Man wird mich
entdecken und dann ist es vorbei.“
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Langsam und ohne sich aufzurichten, drehte sie sich auf den
Bauch. Für Sekunden blieb Johanna so liegen, und sie vergrub ihr
Gesicht in den unter dem Kopf verschränkten Armen. In ihren
Gedanken war ein verzweifeltes, fast befreiendes Lachen, aber die
Reste der Anspannung ließen sich nicht vertreiben.
Es lag nicht an dem Tag, der wie jeder andere Tag von einer
hektischen Geschäftigkeit war. Der siebte Tag in der Woche war kein
geschützter Tag der Ruhe und des Abschaltens von den Belastungen
der Arbeit. Tage mit Namen und Bedeutungen waren nur noch
lebensgefährliche Legenden, aus einer Zeit vor vielen Jahrzehnten, als
die Menschen noch Zahlen und Zeichen deuten konnten.
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göttliche Werk der Schöpfung, die doch nichts anderes als Lug und
Trug gewesen war? Wer sich noch daran erinnern konnte, schwieg,
und die Geschichten über die längst vergangenen Zeiten gerieten in
Vergessenheit. Aber Johanna konnte lesen und schreiben, und sie
ahnte, dass sich hinter den uralten Legenden noch mehr verbarg.
„Du bist es. Dich will ich. Dich nehm ich.“ Von der ersten
Sekunde war Johanna von dem Anblick fasziniert. Alles andere, die
sich dicht drängenden Maschinen, die wie ein Lindwurm die
Bewegungen des Durcheinanders der sich scheinbar ziellos
bewegenden Leiber steuerten, verschwammen zu einer in- und
übereinander kriechenden, wabernden Masse, aus der sie wie eine
strahlende Göttin heraus ragte. Plötzlich waren die Zweifel
verschwunden. Jetzt gab es nur noch den anmutigen Körper im
weichen Nachmittags-Licht, und Johanna war froh, sie aus sicherer
Entfernung betrachten zu dürfen.
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„Sie ist schön. Sie ist es wirklich.“ Johanna sah, dass ihr die
langen Haare etwas ins Gesicht fielen, und sie konnte den Blick nicht
von ihr abwenden. Mit zärtlicher Aufmerksamkeit betrachtete sie
jedes Detail an dem sich mit einer grazilen Lässigkeit bewegenden
Körper. Johanna wusste, dass es zu riskant gewesen wäre, sich ihr zu
nähern und noch gefährlicher, sie anzusprechen. Johannas Lippen
bewegten sich kaum, als sie die Worte flüsterte: „Komm Honey, zeig
dich ganz, komm zu mir, komm näher. Beweg deinen kleinen
Knackarsch. Ja, so ist es gut. Zeig mir wie du dich bewegen kannst.“
Johanna erschrak und ihr schmaler Körper begann zu zittern.
Sie hörte in ihrem Kopf das laute Rauschen des Blutes und sie spürte,
wie ihr Herz laut und wild zu klopfen begann. Mitten in den
Bewegungen hatte die schöne blonde Frau den Kopf etwas
angehoben, und den Blick in Johannas Richtung gerichtet.
Johanna senkte erschrocken den Kopf und ihr Magen zog sich
zusammen. Es war wieder da, das widerliche Würgen in ihrem Leib.
Instinktiv presste sie sich noch dichter auf den warmen Beton.
„Habe ich zu laut gesprochen, oder bilde ich mir das nur ein.
Können die Biester über eine so große Entfernung meine Gedanken
lesen?“
Sie war abrupt stehen geblieben und Johanna verzog die
Ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen, schüttelte sie
etwas den Kopf, um die Stimmen in ihrem Gehirn zu verscheuchen.
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Als sie die Augen wieder öffnete, war es ihr, als ob sie ein
Zeichen empfangen hätte. Die Sonne war trotz des späten
Nachmittags noch strahlender.
„Herr sind das deine Lichtpfeile die du für mich bestimmt
hast?“ Dann sah sie an der Hauswand einen Schatten, der wie eine
riesige Gestalt schützend seine Arme hob. Die schöne blonde Frau
hob den Kopf und sah mit einem überheblich erscheinenden Blick
wieder in ihre Richtung. Es waren die Zeichen auf die Johanna
gewartet hatte.
„Sie ist nur ein nutzloses Nichts. Eine Laus und nur ein Körper,
wie unzählige Millionen andere auch. Aber warum ausgerechnet ich?
Warum bin ich dazu ausersehen? Herr im Himmel, hilf mir, dass ich
alles richtig mache.“
Nur noch ein Gedanke blieb in ihrem Kopf: „Beherrsch dich.
Lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten. Sei stark. Gefühle sind nur
überflüssige Altlasten. Wirf sie endlich weg.“
Immer und immer wieder hatte Johanna jeden Handgriff
trainiert. Alles war nur noch auf ein Ziel fixiert: „Ich muss meinen
Jagdinstinkt und die Reste meiner sentimentalen Gefühle
beherrschen.“
Johanna konnte jedes Detail an dem Körper erkennen, und sie
sah den teuer aussehenden, exquisiten Schmuck im Sonnenlicht
blitzen. Fast liebevoll tastete sie mit dem Zielfernrohr den Körper ab.
Der zitternde rote Punkt wanderte langsam an den langen Beinen
hoch, über die Taille und blieb kurz an ihrer linken Brust stehen.
Johannas Adrenalinspiegel stieg in neue Höhen. Auch wenn sie es
sich nicht eingestehen wollte, Johanna spürte plötzlich so etwas
Fragiles wie Liebe.
„Sie gefällt mir gut, ein hübsches Ding.“ Leise, wie zur Abwehr
eines Teufels murmelte Johanna ein Gebet: „Geheiligt werde dein
Name ...“ Dann biss sie sich fest auf die Lippen. Johanna musste
husten, und der Geschmack von Blut war wieder in ihrem Mund.
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Johanna durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, wie aus
weiter Ferne das Geräusch des Schusses.
Als sie ins weiche Licht der Sonne sah, kamen ihr die kleinen
Zweifel und Ängste wie Blasphemie vor. Sie wagte nicht es laut
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Berlin am heißen Sonntag,
5. August 2085
Später Nachmittag
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ohannas Hände zitterten immer noch und sie spürte
ihr pulsierendes Blut im Hals und in den Schläfen.
Nur mühsam gelang es ihr, das nervöse Zucken des
linken Augenlids zu unterdrücken. Es fiel ihr schwer, sich ruhig und
besonnen in der hektisch zusammenlaufenden Menschenmenge zu
bewegen. Langsam zwängte sie sich durch die Menge der gaffenden
Leiber. Für wenige Sekunden sah sie in ein zerfetztes Gesicht, und in
einer großen dunkelroten Blutlache, die sich am Boden ausgebreitet
hatte, mit Blut verklebte, lange blonde Haare.
„Man sieht es dir nicht an. Du gehörst dazu. Bleib ruhig und
bewege dich wie ein Fisch im Wasser …“
Die immer gleichen Sätze in ihrem Kopf zeigten langsam ihre
Wirkung. Die Anspannung fiel von Johanna ab. Wer würde schon auf
die Idee kommen, dass der Jäger unmittelbar nach der Tat sich hier,
dicht bei seiner Beute aufhalten könnte. Innerlich begann sie zu
lachen, aber sie musste sich beherrschen. In lebensgefährlichen
Situationen war es besser, unauffällig zu bleiben und einer Frau stand
es nicht zu, sich ohne Begleitung zwischen Männern aufzuhalten.
„Die denken alle, dass nur ein Mann so etwas Großartiges tun
kann.“
In ihren Gedanken war kein Mitgefühl und ihr Mund verzog
sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln. Aber sie presste die
schmalen Lippen fest zusammen, nur um zu vermeiden, dass in der
Erregung ein unbedachtes Wort daraus schlüpfen könnte. Es wäre zu
gefährlich gewesen, ihren Triumpf auszusprechen: „Es tut mir leid
Süße, aber Krieg ist nun mal eine brutale Angelegenheit. Besser du als
ich.“
Johanna genoss das mächtige Gefühl der Überheblichkeit.
„Es wäre toll, dir jetzt meinen Fuß ins Genick zu stellen und
mich feiern zu lassen.“
Am liebsten hätte sie sich hinunter gebeugt und in die
blutverschmierten, mit für sie unerreichbarem Schmuck behängten
Ohren geflüstert: „Ich weiß, es ist eine schreckliche Sache, dass du
jetzt da liegst und von allen angestarrt wirst. Aber betrachte es mal
von meiner Seite. Es war eine notwendige Amputation. Wenn ein
Glied des Körpers verseucht ist und zu faulen beginnt, muss man
sofort und konsequent handeln und zwar, bevor der ganze Körper
vom Gift befallen ist. Hätte ich zögern sollen? Du hättest es auch
nicht anders gemacht. Jedes Zögern wäre pures Gift gewesen. Und
dein schönes rotes Blut auf der Straße ist eine bleibende Erinnerung
für die Mutlosen.
Schätzchen, du bist eine Heldin, du hast eine gute Tat
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Berlin am heißen Sonntag,
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ohanna blieb wie angewurzelt stehen. Mit allem
hatte sie gerechnet, nur nicht mit diesem Anblick, an
diesem Sonntagnachmittag und an diesem Ort. Ihr
erster Gedanke war: „Er sieht gut aus, die graue Uniform steht ihm
gut.“
Dann spürte sie einen brennenden Schmerz in der Brust und
ihre Beine begannen zu zittern. Zuerst wollte sie schnell weitergehen,
der Angst gehorchen und der Erscheinung wie einem Spuk
ausweichen. Dann dachte sie an die heiligen Worte: „Fürchte dich
nicht ...“
Es war purer Zufall, als sie ihn durch die großen Fenster in
dem luxuriösen Bistro erkannte. Noui saß allein an einem kleinen,
runden Metalltisch und sah aus, als ob er rundum zufrieden wäre. Es
war wie ein innerer Zwang, dem sie sich nicht entziehen konnte. Mit
klopfendem Herz griff sie nach dem schweren Haltegriff aus
glitzerndem Metall. Sie zog daran und die Glastür öffnete sich ohne
Widerstand. Sie gehörte nicht an diesen Ort. Alle konnten es ihr
ansehen. Johanna gehörte zur untersten sozialen Kaste, dem Human
Trash der Slums. Ihr Platz war weit außerhalb der streng
abgeschotteten Zentren der Privilegierten, aber trotz der Gefahren
musste sie ihn einfach ansprechen. Johanna hatte nichts mehr zu
verlieren, und Noui konnte ihr nützlich sein. Ohne sich umzusehen
ging sie direkt auf ihn zu.
„Was machst du denn hier? Dich habe ich ja schon lange nicht
mehr gesehen. Bist du es wirklich?“
Nur mühsam gelang es ihr, ihre Aufregung zu unterdrücken.
Johannas Stimme klang beherrscht und freudig, aber doch nicht so
laut um gefährliche Aufmerksamkeit zu erregen. Johanna spürte die
abschätzenden Blicke und hörte das leise Getuschel der wenigen
Gäste in dem Bistro. Natürlich war er es, und in ihrer unerlaubten
Frage war der eine Antwort provozierende Unterton nicht zu
überhören. Hinter Johannas Begrüßungsfrage versteckte sich auch
eine große Portion Verwunderung. So wie sie ihn in Erinnerung hatte,
war Noui kein Mann der sich gern an öffentlichen Orten aufhielt,
wenn es nicht einen wichtigen Grund gab. Schon als Kind war Noui
ein Einzelgänger gewesen. So etwas wie Freunde, Freizeit oder
Ereignisse, die sich außerhalb seiner kleinen Scheuklappenwelt
abspielten, gab es in seinem Leben noch nie. Es gehörte nicht viel
Phantasie dazu, um zu erraten, dass Noui, wie so viele andere
Privilegierte auch, sich den präzisen Regeln der inneren Bezirke ohne
Widerspruch untergeordnet hatte, denn sonst wäre es
unwahrscheinlich gewesen, ihn hier anzutreffen.
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Noui wusste von Johannas Tochter nichts, aber es war ihr klar,
dass es für Noui gefährlich werden könnte, sich mit ihr in der
Öffentlichkeit zu zeigen. Auch für Johanna war es gefährlich. Zu
offensichtliche Kontakte mit Männern, auch wenn sie so harmlos wie
Noui waren, konnten sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
Frauen in den Citys, die nicht zu den Privilegierten gehörten, mussten
sich vorsichtig verhalten und ständig mit Kontrollen patrouillierender
Sitten- und Glaubenswächter rechnen. Johanna hatte in ihren
Papieren den für unsterilisierte Frauen obligatorischen HWG
Vermerk, der sie als gebärfähige Frau mit häufig wechselnden
Geschlechtspartnern brandmarkte. Schon ein vager Verdacht, dass
sie auf der Suche nach einem Samenspender sein könnte, reichte aus,
sie zu verhaften, und verdächtige Frauen verschwanden ohne
Begründung zu wochenlangen Verhören mit anschließenden,
dauerhaften Verweisen aus den inneren Bezirken. Solche Verweise
bedeuteten, dass es keinen Zugang zu den notwendigsten Dingen des
täglichen Bedarfs mehr gab.
Überall gab es Denunzianten. Sogar fanatische Frauen waren
Tag und Nacht als Greiferinnen unterwegs, um verdächtiges
Verhalten sofort zu melden. Aber die Gefahr war ihr egal, denn die
dreiste Tat, wenige hundert Meter entfernt, zog alle Aufmerksamkeit
auf sich.
An Nouis gerunzelter Stirn konnte Johanna erkennen, dass er
über die Absonderlichkeit, dass jemand wagte ihn anzusprechen,
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als ob er erst überlegen müsste, wer sie war. Nach einigen Sekunden,
die Johanna endlos vorkamen, antwortete er: „Johanna?“
Seine Stimme klang zögernd und sein fragender Unterton tat
ihr weh. Johanna hatte ihn nie vergessen, aber er tat so, als ob sie
nur noch ein kümmerlicher Rest in einer kleinen Ecke seines
Gedächtnisses sei.
„Ich hätte dich fast nicht erkannt.“
An seinen ausdruckslosen Augen konnte sie nicht erkennen,
ob sein angebliches Nichterkennen der Wahrheit entsprach, oder nur
eine höfliche Floskel war, weil er von Niemandem und vermutlich
ganz besonders nicht von einer jungen Frau aus den Außenbezirken
gestört werden wollte. Außer dass sich Johanna verändert und ihre
feuerroten Haare wie vorgeschrieben millimeterkurz geschnitten
trug, war sie immer noch seine Jugendfreundin, die er schon über
zwanzig Jahre kannte und die mit ihm so ziemlich alles unternommen
hatte, was man in Kinder- und Jugendtagen miteinander tun konnte.
Auf Äußerlichkeiten hatte sie noch nie viel Wert gelegt, aber
jetzt fühlte sich in der Umgebung der eleganten Straße und in dem
chromblitzenden Bistro unwohl. Für einen kurzen Moment schob sie
seine emotionslose Antwort auf ihr Aussehen. Ihr graubraunes
einfaches Kleid sah nicht besonders elegant aus. Es war schäbig und
an mehreren Stellen erkennbar von ungeübter Hand ausgebessert.
Die schweren, löchrigen Arbeitsstiefel, die sie dazu trug, waren mit
einer dicken Staubschicht bedeckt. Johanna besaß schon lange keine
Cashkarte mehr, um sich auf legalem Weg etwas Neues zu kaufen.
Und sie hatte auch keinen Job der notwendige Voraussetzung für
staatliche Zuwendungen war, weil es schon seit langer Zeit für Frauen
keine Jobs mehr gab. Der schwere Armeerucksack auf ihrem
schmalen Rücken gab ihrer ärmlichen Erscheinung ein gebeugtes
Aussehen.
Sie spürte an Nouis abweisendem Verhalten, dass er lieber
allein sein wollte. Mit einem spöttischen Unterton in der Stimme
sprach sie weiter: „Du hast doch nichts dagegen, wenn ich einen
Moment bei dir bleibe?“
Noui sah sich mit einer flüchtigen Kopfdrehung unauffällig
um. Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte Johanna sich neben ihn
und schob mit ihrem Fuß den fleckigen, grauen Rucksack unter den
kleinen Tisch. Niemand achtete auf das metallische Geräusch beim
aufsetzen auf den Steinfußboden.
„Der Feigling traut sich nicht, mir die Wahrheit zu sagen“,
dachte sie amüsiert. Sie sprach ihre Gedanken nicht aus.
„Nein, natürlich nicht.“
Vielleicht wollte er sie nicht verletzen, aber aus dem Klang
seiner Antwort und seinem unruhigen Blick konnte sie wie in einem
offenen Buch lesen.
„Na ja, das klingt nicht besonders ehrlich, aber ich verzeih dir.
Besonders aufmerksam warst du ja noch nie.“
Johannas Antwort sollte fröhlich klingen, aber es klang nicht
überzeugend. Auf der Straße vor dem Bistro fuhren große, schwer
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Ort passen könnte, der nicht zu ihr passte und an dem sie nur
geduldet war.
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Als sich der Kellner mit allen Anzeichen des Missfallens, nicht
ohne sich noch einmal umzudrehen und sie von oben bis unten mit
einem verächtlichen Blick zu mustern, abgewandt hatte, flüsterte sie
mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme zu Noui: „Ich werde
mich nie daran gewöhnen, dass wir nur noch eine Last sind.“
Noui antwortete nicht und Johanna schwieg. Sie sah ihn direkt
an, aber er wich ihrem Blick aus. An seinen Fingerbewegungen
konnte sie erkennen, dass er nervös war. Es dauerte einige Minuten,
bis das Getränk mit einer herablassenden Bewegung vor Johanna
abgestellt wurde. Die Ignoranz, mit der man ihr begegnete, verletzte
sie sehr, aber sie konnte sich beherrschen. Sie durfte nicht auffallen.
Bis jetzt hatte ihr nur die Fähigkeit, sich an die Umgebung anzupassen
und ihr Überlebenswille geholfen, nicht zu resignieren. Sie wusste,
dass es vor langer Zeit eine andere, eine bessere Welt gegeben hat.
Für ihr Ziel lohnte es sich, zu kämpfen, zu täuschen, zu töten und sich
zu erniedrigen, auch wenn die Regierung mit ihrem übermächtig
erscheinenden und alle Lebensbereiche beeinflussenden
Werbeapparat behauptete, jetzt wäre für die Menschheit die beste
aller Zeiten.
Als sie den ersten Schluck aus dem fast dreißig Zentimeter
hohen Glas trank, spürte sie zuerst ein Brennen in ihrem Hals und
dann die Wirkung der eiskalten Flüssigkeit. Kaum merkbar kroch ein
kribbelndes Gefühl der Leichtigkeit durch die Glieder in ihr Gehirn.
Ihre Erregung legte sich und ihr Puls ging langsamer. Johanna fühlte
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Etwas, das ihm auf der Zunge lag und das er nur mühsam
zurückhalten konnte. Aber Noui schwieg.
„Du lebst nicht mehr allein. Du bist mit einer Frau zusammen.
Ich sehe es dir an. Ich glaub es ja nicht.“
Johanna spielte die Überraschte, aber in Wirklichkeit war es
ein stechender Schmerz, der sich in ihrem Herzen ausbreitete. Sie
konnte es nicht fassen. Er hatte noch nichts gesagt, aber Noui, der
Unsichere, der sie vor vielen Jahren als Pubertierender so ungeschickt
geküsst hatte, dass sie sich vor Lachen fast nass gemacht hätte. Dem
pedantischen und ungeschickten Noui war es gelungen seinen
virtuellen Illusionen zu entsagen und eine der seltenen lebenden
Frauen zu finden.
Noui antwortete verständnislos, so als ob er ihre überraschte
Frage nicht verstanden hätte.
„Es ist doch nicht ungewöhnlich. Ja, ich habe eine Frau
gefunden.“
In seiner Antwort schwang Stolz über sein Glück mit.
„Ihr dürft mit Frauen zusammen sein. Das ist ja etwas ganz
Neues. Ich hab immer gedacht ihr Privis lebt in Askese um die Welt
vor der Überbevölkerung zu retten. Wie in einem streng bewachten
Paradies inmitten der schlechten Welt. Wer ist sie denn? Erzähl doch
mehr und lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“
„Du kennst sie nicht. Du kannst sie nicht kennen. Außerdem
darfst du nicht alles glauben, was man dir über uns erzählt. Das sind
alles nur üble Verleumdungen. Wir sind ganz normale Menschen.“
Viel Erfolg bei Frauen hatte sie Noui noch nie zugetraut, aber
Johanna war neugierig und sie nahm an, dass es vielleicht eine der
wenigen, privilegierten Frauen sei.
„Wir sind jetzt schon drei Jahre zusammen. Ich liebe sie, und
sie liebt mich“, sagte Noui voller Besitzerstolz.
„Das glaubst du doch selber nicht. Du machst mir doch etwas
vor?“ war Johannas zweifelnde Antwort.
„Erzähl doch mehr, wie sieht sie denn aus?“
„Willst du ein Bild von ihr sehen?“
Seine Frage kam auffallend schnell. Aber eigentlich war es
keine Frage, denn er drängte ihr das Bild mit einem Griff in seine
Jackentasche förmlich auf. Johanna war gespannt, wen er gefunden
oder besser, welche aufopferungsvolle Frau es geschafft hatte, trotz
aller Unannehmlichkeiten in seine enge Welt einzudringen. Mit
einem amüsierten Lächeln sah sie ihm zu, wie er umständlich in der
linken Innentasche seiner Uniformjacke nach etwas suchte.
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„Ja, ich habe es getan. Aber ich finde es nicht schlimm. Alea ist
auch ein Geschöpf der Natur. Gut, ich gebe es ja zu, der menschliche
Geist hat etwas nachgeholfen und vielleicht kommt sie nicht von der
Erde, sondern von irgendwo her, von dem wir nicht wissen, wo der
Ort ist. Vielleicht ist sie mit ihren Schwestern aus dem Paradies
ausgebrochen. Man weiß es nicht, aber es ist nichts Verbotenes. Und
ich sehe es auch nicht als Verbrechen an, dass ich für sie bezahlt
habe. Andere tun es auch.“
Johanna dachte einen Moment: „Er verhält sich wie ein Kind,
dem man sein Lieblingsspielzeug wegnehmen will.“
Natürlich wusste er, dass es falsch war, dafür war er zu
intelligent.
„Du bist doch nicht dumm! Du hast eine Frau gekauft, die
nach deinen Wünschen zusammengebaut worden ist. Du hast dir ein
Ebenbild geschaffen, und das lässt Gott nicht zu.“
Johanna lachte laut auf: „Das Bild ist die offensichtliche
Manifestation deiner Phantasien – in deinem Kopf entstanden und
nach deinen Wünschen am Fließband gebaut. Noch deutlicher kannst
du es mir nicht zeigen. Deine Alea ist doch nichts anderes als ein
dubioses Heilsversprechen von dem du keine Ahnung hast wie es
enden wird.“
Ihre Stimme klang erregt. Die wenigen Anwesenden in dem
kleinen Bistro konnten jedes Wort mithören, als sie wütend ausrief:
„Auch wenn es nur ein Wesen ist, das aussieht wie eine Frau. Es ist
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Raoul Yannik
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HEXENMACHT
Roman 560 Seiten Schweitzerhaus Verlag
ISBN-10: 3939475211 ISBN-13: 978-3939475217
Im Buchhandel und bei Amazon erhältlich
Kurzgeschichten
Schweitzerhaus Verlag ISBN 978-3-939475-06-4