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und Außenhandelskaufmann bei der AEG gemacht – das war

schließlich was, worauf man aufbauen konnte.

Endlich hat es das Arbeitsamt dann doch geschafft und


mich an ein Call-Center vermittelt, wo man mich einen
Monat lang zur Probe arbeiten lassen wollte. Es ging um Fi-
nanzinvestitionen – also etwas, wovon ich eigentlich etwas
verstehen sollte. Die Arbeitszeiten waren auch human: Ich
konnte um 12 Uhr anfangen und gegen 18 Uhr aufhören.
In den ersten Tagen verkaufte ich am Telefon Lebensver-
sicherungen, was mir auch einigermaßen gelang. Genau
genommen bestand mein Part lediglich darin, Akquisitions-
termine für unsere Außendienstmitarbeiter zu vereinbaren.
In den darauf folgenden Tagen sollte ich tiefgekühltes
Orangensaftkonzentrat verkaufen, die Tonne für 2.000
Euro. Ich bekam als Call-Center-Agent die Telefonnum-
mern von angeblich investitionsstarken Klienten und rief
sie an, ob sie nicht Interesse daran hätten, Orangensaftkon-
zentrat zu kaufen. Zu den meisten Klienten kam ich gar
nicht durch – ihre Sekretärinnen blockten mich ab, oder sie
waren in einer Sitzung und würden später zurückrufen, was
nie geschah. Die Wenigen, die ich erreichte, fragten mich
entweder gleich, ob ich bekloppt wäre oder sagten, wenn
sie höflich waren, dass sie kein Interesse hätten und legten
auf. Wie auch immer, ich lernte von meiner Vorgesetzten,
einer 30jährigen hochdynamischen Verkaufsturbine na-
mens Petra Stiller mit Minirock und dick bemalten Lippen,
dass es gar nicht darauf ankam, in diesem ersten Kontakt
etwas zu verkaufen, es ging darum, die Kunden zu „sensibi-
lisieren“, wie sie sagte.

Dann, vierzehn Tage später, kam Petra wieder auf mich


zu: „Kai, seien Sie bitte morgen früh um 7 Uhr da!“ – Also
nix mit 12 Uhr anfangen. Als ich fragte, um was es ginge,
sagte sie nur: „Sie werden schon sehen“, und zwinkerte mir
zu. Als ich am nächsten Morgen total unausgeschlafen und
verkatert auf der Matte stand, empfing sie mich schon mit

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einem erwartungsvollen Lächeln: „Gleich geht’s los – schön,
dass Sie da sind.“ Dann sagte sie mir, um was es ging. Ich
sollte sofort diejenigen anrufen, denen ich im ersten Telefo-
nat erfolglos das Orangensaftkonzentrat angeboten hatte.
Sie spielte mir den Dialog vor:
„Guten Morgen Herr Müller, gut dass ich Sie erreicht
habe! Hier ist Kai Trinkwasser von Finanz Invest – Sie er-
innern sich, wir hatten vor ein paar Tagen schon mal mit-
einander telefoniert – wegen dem Orangensaftkonzentrat.
Haben Sie schon die Nachrichten gehört? – Was? – Nein?
– Sie wissen also noch gar nicht, was passiert ist? – Wahn-
sinn – Sie haben echtes Glück, dass ich Sie heute Morgen er-
reicht habe. – Unglaublich, also heute Nacht – Sie haben es
echt noch nicht gehört? – Also heute Nacht hat es in Florida
Nachtfrost gegeben! – Ja, unglaublich, um diese Jahreszeit,
die ganze Orangenblüte ist erfroren. Sie können sich vor-
stellen, was da los ist. Die ganze Ernte fällt wohl aus, der
Markt tobt. Wenn die Börse nachher öffnet, ist die Hölle
los … Tja, und da hab ich gleich an Sie gedacht! – Ich habe
zufälligerweise noch zehn Tonnen Orangensaftkonzentrat
da – und Sie habe ich als ersten erreicht – also Wahnsinn
– das ist das Geschäft Ihres Lebens. Wie gesagt, wenn die
Börsen nachher öffnen, geht der Preis ab wie eine Rakete
– Nein, bitte haben Sie Verständnis – Ich kann Ihnen keine
Bedenkzeit einräumen. – Drei Tonnen sind eh schon vorre-
serviert. – Also 2.200 Euro muss ich jetzt schon pro Tonne
nehmen – da können Sie gar nix falsch machen. – Natürlich
kriegen Sie sofort eine Kaufbestätigung und eine Einlager-
bestätigung aus Fort Lauderdale!“

Das also war mein Auftrag. „Kai – alles klar?“ Meine


Provision sollte 10 % betragen. Unglaublich! Jetzt war ich
mitten im Business. Das war mein Ding, den Fisch musste
ich mir holen.

Ich war von der Sache so begeistert, dass ich gleich Urs
anrief. Er war total verschlafen, und ich hatte Glück, dass er

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überhaupt ans Telefon ging: „Urs – ich habe hier eine heiße
Sache. Du glaubst es nicht. Also pass auf: In Kalifornien hat’s
heute Nacht Nachtfrost gegeben und die ganze Orangenblüte
für dieses Jahr ist hin. Die Firma, für die ich jetzt arbeite, hat
einen Geheimtipp gekriegt und hat noch zufälligerweise zehn
Tonnen Orangensaftkonzentrat. – Ja eingelagert, liegt im
Kühlhaus, irgendwo in einem Fort. – Nein, nicht Fort Knox
aber genauso sicher. – Tja, und wenn Du das jetzt kaufst und
nachher die Börse aufmacht, dann geht das ab wie’n Zäpf-
chen. Du kannst gar nichts falsch machen. – Klar, die reißen
uns das Zeug aus der Hand. Urs – das Ding ist sauber! Du
weißt, dass ich Kaufmann bin – also Orangensaftkonzent-
rat ist jetzt der absolute Renner! – Nein, die Tonne soll nur
2.200 Euro kosten. – Es sind nur noch sieben Tonnen da, drei
sind leider reserviert. Urs, überleg mal, eine Tonne hat 1000
Liter, ich schätze, das Konzentrat wird 1:10 verdünnt, das
sind dann 10.000 Liter Orangensaft für 2.200 Euro. Also der
Liter für ca. 20 Cent! Da kann man doch gar nichts falsch
machen; vor allem, wo’s bald keinen O-Saft mehr gibt! Denk
mal allein an Mc Donalds oder Burger King. Die reißen uns
das Zeug förmlich aus den Händen – Wahnsinn.“

Ich wollte auch kein Kameradenschwein sein: „Urs, pass


auf. Ich krieg pro Tonne 10 % Provision. Das sag ich Dir
ganz offen, die lass ich Dir natürlich nach, – aber Du betei-
ligst mich am Gewinn, also ich fänd’ 50 % gerecht.“

Wir einigten uns dann auf 30 % Gewinn für mich und


70 % für ihn, weil er ja auch das Risiko hatte und erst mal
alles kaufen musste. Langsam wurde Urs nicht nur wach, er
sah, dass ich ihm eine einmalige Chance verschaffen konn-
te. „OK Kai – guck dass Du die ganzen zehn Tonnen kau-
fen kannst und verhandle mit Deiner Chefin. Vielleicht gibt
sie uns alles zusammen doch günstiger, müsste sie doch, ist
doch alles auf einen Schlag los.“
Frau Stiller schaute zunächst etwas ungläubig und irri-
tiert, als ich ihr sagte, dass ein Kunde gleich die ganzen zehn

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Tonnen kaufen wolle und ob sie sich das vorstellen könne.
Allerdings wolle der Kunde dann auch einen saftigen Ra-
batt, ich hätte dem Kunden das quasi schon in Aussicht
gestellt, dass das geht.
„Was Kai, Sie haben alle 10 Tonnen verkauft? – Das gibt’s
doch gar nicht! Sie sind ein Genie!“ Sie wäre mir fast um
den Hals gefallen. „Petra, aber wir müssen Abstriche beim
Preis machen, 1.800 Euro pro Tonne ist das Maximale,
was der Kunde zahlen will.“ – „Kai, das ist zuwenig, wir
können nicht 400 Euro pro Tonne nachlassen. 1.950 Euro
pro Tonne ist mein letztes Wort, rufen Sie den Kunden an.“
Urs ließ sich schließlich zu 1.950 pro Tonne breitschlagen.
Abzüglich meiner Provision von 195 Euro, die ich ihm ja
zurückgeben wollte, waren es also knapp etwas über 1.750
Euro pro Tonne – ein super Geschäft für uns.
Nachdem Urs gegen elf Uhr die 19.500 Euro per Internet-
Account überwiesen hatte, druckte Frau Stiller den Kauf-
vertrag und die Einlagerungsbescheinigung für zehn Tonnen
Orangensaftkonzentrat als Eigentumsnachweis aus. Fort
Lauderdale – so hieß also das Kaff, wo das Zeug stand.

Als ich alles in Händen hielt, um es dann an unseren Kun-


den weiter zu geben, bat ich Frau Stiller um den Scheck mit
meiner Provision. „Kai, das ist aber jetzt sehr ungewöhn-
lich – wir verrechnen das normalerweise mit dem Gehalt
am Monatsende; aber Sie haben einen unglaublichen Job
gemacht – deswegen und als Zeichen, dass wir Sie behal-
ten wollen, mache ich Ihnen das jetzt sofort klar“, und sie
zeichnete die 1.950 Euro frei.

Ich hielt den Scheck mit der noch feuchten Tinte in Hän-
den. „Petra, jetzt kann ich es Ihnen ja sagen. Mein bester
Freund hat die zehn Tonnen gekauft – und das wird das
Geschäft unseres Lebens. Wir werden das Zeug zu einem
Wahnsinnspreis verkloppen, das hat die Welt noch nicht
gesehen.“

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Petra schluckte und guckte mich an, als hätte ich gesagt, dass
der Papst die zehn Tonnen gekauft hätte. „Sie haben das mit
Ihrem besten Freund gekauft? – Kai?!“ Sie schluckte, schien
sich dann aber nach ein paar Sekunden wieder zu fangen. „Ich
finde das jetzt nicht gut, dass Sie unsere Firmengeheimnisse
so ausnutzen und daraus selbst Kapital schlagen wollen – ich
glaube, wir waren etwas zu großzügig mit Ihnen und haben
Ihnen zu schnell vertraut.“ Ich schwieg betreten. „Kai, am
besten Sie gehen jetzt erst mal nach Hause und geben Ihrem
Freund die Unterlagen. Ich rufe Sie dann später an.“

Natürlich war mir mulmig zumute und ich fühlte mich


schuldig. Aber konnte ich mir so eine Chance entgehen las-
sen, nachdem man mir bei Lidl so mitgespielt hatte und das
Arbeitsamt sich auch keine echte Mühe gab, mich auf einen
adäquaten Job zu vermitteln? Musste ich nicht selbst sehen,
wo ich blieb? Und dass ich Urs zu einem guten Geschäft
verhelfen konnte, an dem ich dann auch beteiligt war, freu-
te mich doppelt! OK, ich hatte meinen Wissensvorsprung
ausgenutzt und den Zahnärzten, Rechtsanwälten und wer
noch so alles auf der Telefonliste gestanden hatte ein Ge-
schäft vor der Nase weg geschnappt! Aber so ist es halt im
Kapitalismus: Der frühe Vogel fängt den Wurm!

Gegen 13 Uhr kam ich bei Urs an. Er war wieder total
verschnupft und hatte eine Klinikpackung gebrauchter
und zerknüllter Tempos in der Wohnung verteilt. „Urs,
hier sieht’s aus, wie in einem Saustall – dass Du so leben
kannst!“ Er überhörte das bewusst und warf zwei Handvoll
Pommes in die Friteuse. „Super Sache mit dem O-Saft, Kai.
In zwei Stunden öffnen die Börsen in den USA – dann geht
das Ding ab.“
Ich gab ihm den Scheck über 1.950 Euro, den er dankend
in Empfang nahm. „Du bist ein echter Kumpel“, dann hol-
te er die fertigen Pommes raus, ließ sie abtropfen, salzte
sie und packte mir eine gehörige Portion Erdnusssauce und
Majo auf meine Portion.

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Danach buchte er den Scheck mit der Provision im In-
ternet ein und gegen 14 Uhr machten wir es uns vor dem
Computer bequem. Google hatte noch keine Nachricht von
den Nachtfrösten in Kalifornien. Aber noch eine Stunde
und die Nachricht würde die Börsenwelt erschüttern. Aus
Spaß zappte Urs auf „Wetter-Online“ und wir sahen uns
Kalifornien an. 25 Grad Tagestemperatur wurden erwartet.
„Unglaublich, dass es da solche Temperaturunterschiede
gibt“, meinte ich und Urs runzelte die Stirn … „Florida!
Florida, Kai, und nicht Kalifornien, Du Blödmann, hier
steht’s auch auf dem Einlagerungsschein. Fort Lauderdale –
Florida.“ Stimmt, ich erinnerte mich, in Erdkunde war ich
noch nie gut gewesen, und Florida und Kalifornien klingen
irgendwie beide so exotisch amerikanisch, da kann man das
schon mal verwechseln.
„Also gut Florida – schau mal nach, wie das Wetter da
ist“, sagte ich in Erwartung, jetzt die Nachtfrosttempe-
raturen zu sehen. „Tagestemperatur 42 Grad – tropische
Nächte um 22 Grad“, las Urs mit stockender Stimme vor.
– „Das gibt’s doch nicht!“ Urs schaute auf anderen Seiten
nach. Nichts von Nachtfrost, weder in Kalifornien noch in
Florida; nicht in einem einzigen Ort in den USA hatte es
letzte Nacht Frost gegeben – außer in Alaska. Aber da gab
es sicher keine Orangen.

Was sollte das denn jetzt?

Ich rief bei Petra an. „Petra, hier ist Kai. Sagen Sie mal,
wir haben gerade im Internet geguckt, bevor die Börse
in USA öffnet. Da ist nix mit Nachtforst und erfrorener
Orangenblüte und so.“ Auf der anderen Seite blieb es ei-
nen Augenblick stumm. „Kai, also ich kann dazu nichts
sagen, wir haben diese Information heute morgen von ei-
nem Agenten aus den USA bekommen und wir prüfen das
normalerweise nicht nach, die Quelle ist bisher sehr zuver-
lässig gewesen. Also mehr kann ich auch nicht sagen, ich
muss jetzt Schluss machen. Kai – ich melde mich noch mal

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wegen Ihres Einsatzes morgen.“ Damit legte sie auf. Urs
und ich schauten uns verständnislos an.

Jetzt sahen wir uns die Börsenseiten zum Orangensaft-


konzentrat an. – OK, die deutschen Seiten würden uns nicht
weiterbringen; also bei Yahoo „Orange Juice concentrate“
eingegeben – Fehlanzeige. Nasdaq – Fehlanzeige. Amerika-
nische Rohstoffwerte – Fehlanzeige. Langsam wurden wir
panisch. Die Börse sollte in 30 Minuten eröffnen und wir
hatten noch nichts gefunden, wo wir unsere zehn Tonnen
platzieren konnten.
Ich rief wieder bei Petra an. „Petra, Sie müssen uns hel-
fen! Wo können wir denn das Orangensaftkonzentrat ver-
kaufen? Wir finden hier gar keine Wertpapier-Kennnummer
oder einen Eintrag für Orangensaft in den Rohstoffbörsen.
In 20 Minuten öffnet doch die NASDAQ?“
„Also Kai, das müssten Sie doch wissen, wir vermitteln
hier nur Rohstoffe oder Finanzdienstleistungen. Das Han-
deln damit überlassen wir unseren Kunden, das können
und dürfen wir schon aus handelsrechtlichen Gründen gar
nicht. Da müssen Sie sich schon selbst drum kümmern. Das
tut mir jetzt leid. Aber, wo ich Sie jetzt gerade dran habe.
Ich fühle mich von Ihnen so hintergangen, dass Sie unsere
Geschäftsgeheimnisse so schamlos für eigene Zwecke miss-
braucht haben. Sie brauchen morgen nicht mehr zu kom-
men, und ich schicke Ihnen Ihre Unterlagen noch zu. Bitte
rufen Sie hier auch nicht mehr an. Ich bin so enttäuscht
von Ihnen.“ Sie legte auf und mir blieb die Spucke weg. Urs
starrte mich entgeistert an. Das gab’s doch gar nicht.

Wir riefen die Deutsche Bank an, erklärten, dass wir


zehn Tonnen Orangensaftkonzentrat gern auf dem inter-
nationalen Rohstoffmarkt verkaufen möchten, und ob sie
uns helfen könnten. Das Zeug liege zurzeit in Fort Lau-
derdale in Florida in einem Kühlhaus. Sie riefen 15 Minu-
ten später zurück und sagten uns, sie hätten herausfinden
können, dass Orangensaftkonzentrat auf den offiziellen

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Welt-Rohstoffbörsen nur als Zertifikat gehandelt werde,
niemals aber als Realware, das hätten sie noch nie gehört,
und da könnten sie uns nicht helfen und wünschten uns
viel Glück.

Langsam bekamen wir die Panik.

Weitere Anrufe bei der Commerzbank, der Berliner Spar-


kasse und bei Onkel Dittmeyer’s Punika bestätigten das.
Onkel Dittmeyer hatte, soviel konnte man uns verraten,
langfristige Lieferverträge mit Obstplantagen auf Mallorca,
Gran Canaria und dem spanischen Festland. Dazu gab es
Festpreise, die von Jahr zu Jahr im Voraus vereinbart wur-
den. Von Nachtfrösten, die ganze Jahresernten vernichten
könnten, hatten sie noch nie gehört.

Nun wurden wir richtig panisch. Urs hatte vergessen, die


Friteuse abzuschalten und mittlerweile war das ganze Fett
verdunstet und hatte einen Fettfilm in der ganzen Wohnung
verteilt. Die Friteuse war kurz davor, mit dem restlichen
Fett zu explodieren, als ich in letzter Sekunde den Stecker
zog. „Verdammte Scheiße“, sage Urs und wischte mit dem
Ärmel den Fettfilm von seinem Bildschirm.

Wir suchten nun die Telefonnummer des Kühlhauses in


Fort Lauderdale. In der Tat gab es wenigstens das Kühlhaus
und im Internet stand sogar eine Nummer. Urs rief dort
an. Trotz aller sprachlichen Probleme konnten wir soviel
verstehen, dass sie dort zehn Tonnen Orangensaft einge-
lagert hätten. Na immerhin. Ja, heute Morgen hätten sie
eine E-Mail aus Deutschland gekriegt, dass es jetzt einen
neuen Eigentümer gäbe, das wäre auch sehr gut. Schließlich
stehe das Zeug schon fünf Jahre rum. Eine Konkursmasse.
Eine Plantage war abgebrannt und nie wieder aufgebaut
worden. Der alte Besitzer hatte sich dann auch nicht mehr
gemeldet und die ausstehenden Lagerkosten beliefen sich
mittlerweile auf 3.000 Dollar. Klar, dass der neue Besitzer

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zahlen müsste, wenn er das Zeug abholen wolle. Überhaupt,
eigentlich hätten sie nur Rinderhälften eingefroren und die
Tonnen nähmen den halben Platz weg. Dann dämmerte es
dem Gegenüber in der Leitung. Er fragte, was wir mit dem
Orangensaftkonzentrat zu tun hätten, ob wir am Ende die
neuen Besitzer seien. Kleinlaut musste Urs das zugeben und
gab die Einbuchungsnummer vom Kühlhaus aus dem Kauf-
vertrag durch – sie stimmte. Das sei ja nun gut, dass jemand
das nun endlich abhole. Es sei immerhin schon fünf Jahre
alt, auch wenn es immer auf -25 Grad runtergekühlt war.
Fünf Jahre, meinte dann unser Gegenüber, also da sei er
sich nicht sicher, ob und wem man das noch verkaufen kön-
ne. Urs und ich guckten uns an und dachten wohl beide an
den Gammelfleisch-Skandal – so eine Scheiße.

Aus der Leitung wurde gefragt, wann wir denn kämen,


um die Ware zu holen, oder ob es abgeholt würde? Man
habe selbst keine Spedition und auch keine Kühllaster
mehr. Nur damit wir uns eine Vorstellung machen könnten:
Es handle sich um 50 blaue 200 Liter Fässer, die könnten
zwei Personen so gerade ein Stück rollen, aber wenn wir kä-
men, sollten wir auf jeden Fall daran denken, dass wir beim
Ausladen einen Gabelstapler bräuchten. Und natürlich ei-
nen Kühllaster – im Moment hätten sie 45 Grad Celsius
tagsüber und selbst nachts ginge das Thermometer nicht
unter 20 Grad. OK, das wussten wir ja bereits.
Urs versprach, dass wir uns in spätestens zwei Tagen wie-
der melden und dann genau Bescheid geben würden. Wir
legten auf. „Fuck“, sagte Urs, das klang jetzt schon ganz
amerikanisch.
Urs füllte die Friteuse mit Palmin auf und ließ es heiß
werden – dann warf er vier Handvoll Pommes nach.

„Kai, das ist die größte Scheiße, die Du mir je eingebrockt


hast! Hast Du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? –
Was hast Du Dir da eigentlich andrehen lassen. Oder noch
schlimmer: Was hast Du mir da angedreht?

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Deine Chefin wollte, dass Du das verkaufst und Du Idi-
ot denkst, das sei eine einmalige Chance und überredest
mich da einzusteigen, und ich Blödmann lasse mich auch
noch überreden. Das ist so bescheuert, das glaubt uns kein
Mensch.“ Und dann machte er mich mit näselnder Stimme
nach, als ob ich so reden würde: „Urs, Du weißt doch, ich
bin Kaufmann, das Ding ist sauber. – Kai, was hast Du mir
da für eine Scheiße eingebrockt!“
„Urs, wir kommen da schon wieder raus, ich helf Dir auch
…“ – „Was ist das denn jetzt für’n Spruch. Ich helf’ Dir auch!
– Der gnädige Herr bemüht sich jetzt also auch noch, mir
zu helfen. Ich glaub, Du hast sie nicht mehr alle. Umgekehrt
wird ein Schuh draus! Kai – Du weißt, das Geld ist das Erbe
meiner Mutter, davon lebe ich. Das Mindeste, was ich von
Dir erwarte, ist, dass Du die Hälfte von dem Mist bezahlst,
dann bist Du auch motiviert uns da wieder rauszuholen“.

Nach langer Diskussion und zwei Portionen Pommes spä-


ter, unterzeichnete ich ihm einen Schuldschein über 8.775
Euro – genau die Hälfte nach Abzug der Provision.
Da ich soviel Geld nicht besaß, wollte Urs es mir zinslos
stunden – für die ersten drei Monate. „In den drei Monaten
holst Du uns da raus, damit das klar ist. Und danach muss
ich Dir leider 15 % Zinsen pro Jahr berechnen.“ Zwar wa-
ren die Zinsen Wucher, aber Urs hatte Recht, ich hatte es
versaut. Urs gab mir zur Strafe nur Salz und keine Majo
oder Erdnusssauce. „Ich muss jetzt mal ein bisschen ans
Sparen denken – Salz reicht auch.“ Ich war ziemlich nie-
dergeschlagen.

Granatensauerei! Auch wie Frau Stiller mich da an der


Nase herumgeführt hatte. Das würde noch ein Nachspiel
haben, das war klar.
Nachdem ich also den Schuldschein unterzeichnet hatte,
fingen wir an zu recherchieren und endlich stießen endlich bei
Yahoo Finance auf einen Link zu einem Artikel über Oran-
gensaftkonzentrat. Angeblich lagerten in den Kühlhäusern

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der USA 110.000 Tonnen O-Saftkonzentrat. Zehn Tonnen
gehörten davon ab heute uns, wenn die Statistik unsere ein-
samen zehn Tonnen in einem Tiefkühlhaus für Rinderhälften
in Fort Lauderdale überhaupt mitgezählt hatte.

Der Preis für die Tonne Orangensaftkonzentrat pendelte


aktuell so um die 1.900 Euro. Der langfristige Trend ver-
mutete aber deutlich sinkende Preise wegen Überprodukti-
onen in Südamerika, dort hatte man riesige Urwaldflächen
gerodet und baute jetzt Orangen an.
Mit unseren 1.750 Euro pro Tonne hatten wir also zu-
mindest nicht zu viel bezahlt – wenn, tja wenn der Saft nach
fünf Jahren Lagerung noch einigermaßen OK war.
Im Internet lernten wir dann so einiges über das Schock-
gefrieren und die Haltbarkeit von Tiefkühlkost. Eines war
klar: O-Saft–Konzentrat wird im Umschlagverfahren ver-
kauft. Das heißt, die Ernte des laufenden Jahres kommt ins
Kühlhaus und die des letzten Jahres aus dem Kühlhaus auf
den Markt. Fünf Jahre Lagerung, das hatte es bisher noch
nicht gegeben – jedenfalls hatten wir nichts darüber finden
können.
„Wir bieten das Zeug der NASA an, die können dann
testen, wie sich das für die langen Marsflüge so auswirkt.
Immerhin dauert so ein Flug hin und zurück etwas über
fünf Jahre und dann können die Astronauten kurz vor der
Rückkehr zur Erde noch ein Gläschen frischen O-Saft trin-
ken“, meinte Urs.
„Oder Sekt mit O-Saft, die machen doch bestimmt ne
Flasche Sekt auf, wenn sie die Erde wiedersehen, aber die
wollen ja schließlich nicht betrunken landen, da ist es ganz
gut, wenn die den Sekt im Raumschiff mit dem O-Saft ver-
dünnen.“ „Aber die NASA braucht keine zehn Tonnen, um
zu testen, ob O-Saft tiefgefroren fünf Jahre haltbar ist oder
nicht, da reicht doch ein Liter.“
Tja, das war’s eben – wir hatten einfach zu viel O-Saft.
Schlimmer, wir hatten nicht nur Saft, wir hatten ihn als
Konzentrat.

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