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einem erwartungsvollen Lächeln: „Gleich geht’s los – schön,
dass Sie da sind.“ Dann sagte sie mir, um was es ging. Ich
sollte sofort diejenigen anrufen, denen ich im ersten Telefo-
nat erfolglos das Orangensaftkonzentrat angeboten hatte.
Sie spielte mir den Dialog vor:
„Guten Morgen Herr Müller, gut dass ich Sie erreicht
habe! Hier ist Kai Trinkwasser von Finanz Invest – Sie er-
innern sich, wir hatten vor ein paar Tagen schon mal mit-
einander telefoniert – wegen dem Orangensaftkonzentrat.
Haben Sie schon die Nachrichten gehört? – Was? – Nein?
– Sie wissen also noch gar nicht, was passiert ist? – Wahn-
sinn – Sie haben echtes Glück, dass ich Sie heute Morgen er-
reicht habe. – Unglaublich, also heute Nacht – Sie haben es
echt noch nicht gehört? – Also heute Nacht hat es in Florida
Nachtfrost gegeben! – Ja, unglaublich, um diese Jahreszeit,
die ganze Orangenblüte ist erfroren. Sie können sich vor-
stellen, was da los ist. Die ganze Ernte fällt wohl aus, der
Markt tobt. Wenn die Börse nachher öffnet, ist die Hölle
los … Tja, und da hab ich gleich an Sie gedacht! – Ich habe
zufälligerweise noch zehn Tonnen Orangensaftkonzentrat
da – und Sie habe ich als ersten erreicht – also Wahnsinn
– das ist das Geschäft Ihres Lebens. Wie gesagt, wenn die
Börsen nachher öffnen, geht der Preis ab wie eine Rakete
– Nein, bitte haben Sie Verständnis – Ich kann Ihnen keine
Bedenkzeit einräumen. – Drei Tonnen sind eh schon vorre-
serviert. – Also 2.200 Euro muss ich jetzt schon pro Tonne
nehmen – da können Sie gar nix falsch machen. – Natürlich
kriegen Sie sofort eine Kaufbestätigung und eine Einlager-
bestätigung aus Fort Lauderdale!“
Ich war von der Sache so begeistert, dass ich gleich Urs
anrief. Er war total verschlafen, und ich hatte Glück, dass er
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überhaupt ans Telefon ging: „Urs – ich habe hier eine heiße
Sache. Du glaubst es nicht. Also pass auf: In Kalifornien hat’s
heute Nacht Nachtfrost gegeben und die ganze Orangenblüte
für dieses Jahr ist hin. Die Firma, für die ich jetzt arbeite, hat
einen Geheimtipp gekriegt und hat noch zufälligerweise zehn
Tonnen Orangensaftkonzentrat. – Ja eingelagert, liegt im
Kühlhaus, irgendwo in einem Fort. – Nein, nicht Fort Knox
aber genauso sicher. – Tja, und wenn Du das jetzt kaufst und
nachher die Börse aufmacht, dann geht das ab wie’n Zäpf-
chen. Du kannst gar nichts falsch machen. – Klar, die reißen
uns das Zeug aus der Hand. Urs – das Ding ist sauber! Du
weißt, dass ich Kaufmann bin – also Orangensaftkonzent-
rat ist jetzt der absolute Renner! – Nein, die Tonne soll nur
2.200 Euro kosten. – Es sind nur noch sieben Tonnen da, drei
sind leider reserviert. Urs, überleg mal, eine Tonne hat 1000
Liter, ich schätze, das Konzentrat wird 1:10 verdünnt, das
sind dann 10.000 Liter Orangensaft für 2.200 Euro. Also der
Liter für ca. 20 Cent! Da kann man doch gar nichts falsch
machen; vor allem, wo’s bald keinen O-Saft mehr gibt! Denk
mal allein an Mc Donalds oder Burger King. Die reißen uns
das Zeug förmlich aus den Händen – Wahnsinn.“
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Tonnen kaufen wolle und ob sie sich das vorstellen könne.
Allerdings wolle der Kunde dann auch einen saftigen Ra-
batt, ich hätte dem Kunden das quasi schon in Aussicht
gestellt, dass das geht.
„Was Kai, Sie haben alle 10 Tonnen verkauft? – Das gibt’s
doch gar nicht! Sie sind ein Genie!“ Sie wäre mir fast um
den Hals gefallen. „Petra, aber wir müssen Abstriche beim
Preis machen, 1.800 Euro pro Tonne ist das Maximale,
was der Kunde zahlen will.“ – „Kai, das ist zuwenig, wir
können nicht 400 Euro pro Tonne nachlassen. 1.950 Euro
pro Tonne ist mein letztes Wort, rufen Sie den Kunden an.“
Urs ließ sich schließlich zu 1.950 pro Tonne breitschlagen.
Abzüglich meiner Provision von 195 Euro, die ich ihm ja
zurückgeben wollte, waren es also knapp etwas über 1.750
Euro pro Tonne – ein super Geschäft für uns.
Nachdem Urs gegen elf Uhr die 19.500 Euro per Internet-
Account überwiesen hatte, druckte Frau Stiller den Kauf-
vertrag und die Einlagerungsbescheinigung für zehn Tonnen
Orangensaftkonzentrat als Eigentumsnachweis aus. Fort
Lauderdale – so hieß also das Kaff, wo das Zeug stand.
Ich hielt den Scheck mit der noch feuchten Tinte in Hän-
den. „Petra, jetzt kann ich es Ihnen ja sagen. Mein bester
Freund hat die zehn Tonnen gekauft – und das wird das
Geschäft unseres Lebens. Wir werden das Zeug zu einem
Wahnsinnspreis verkloppen, das hat die Welt noch nicht
gesehen.“
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Petra schluckte und guckte mich an, als hätte ich gesagt, dass
der Papst die zehn Tonnen gekauft hätte. „Sie haben das mit
Ihrem besten Freund gekauft? – Kai?!“ Sie schluckte, schien
sich dann aber nach ein paar Sekunden wieder zu fangen. „Ich
finde das jetzt nicht gut, dass Sie unsere Firmengeheimnisse
so ausnutzen und daraus selbst Kapital schlagen wollen – ich
glaube, wir waren etwas zu großzügig mit Ihnen und haben
Ihnen zu schnell vertraut.“ Ich schwieg betreten. „Kai, am
besten Sie gehen jetzt erst mal nach Hause und geben Ihrem
Freund die Unterlagen. Ich rufe Sie dann später an.“
Gegen 13 Uhr kam ich bei Urs an. Er war wieder total
verschnupft und hatte eine Klinikpackung gebrauchter
und zerknüllter Tempos in der Wohnung verteilt. „Urs,
hier sieht’s aus, wie in einem Saustall – dass Du so leben
kannst!“ Er überhörte das bewusst und warf zwei Handvoll
Pommes in die Friteuse. „Super Sache mit dem O-Saft, Kai.
In zwei Stunden öffnen die Börsen in den USA – dann geht
das Ding ab.“
Ich gab ihm den Scheck über 1.950 Euro, den er dankend
in Empfang nahm. „Du bist ein echter Kumpel“, dann hol-
te er die fertigen Pommes raus, ließ sie abtropfen, salzte
sie und packte mir eine gehörige Portion Erdnusssauce und
Majo auf meine Portion.
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Danach buchte er den Scheck mit der Provision im In-
ternet ein und gegen 14 Uhr machten wir es uns vor dem
Computer bequem. Google hatte noch keine Nachricht von
den Nachtfrösten in Kalifornien. Aber noch eine Stunde
und die Nachricht würde die Börsenwelt erschüttern. Aus
Spaß zappte Urs auf „Wetter-Online“ und wir sahen uns
Kalifornien an. 25 Grad Tagestemperatur wurden erwartet.
„Unglaublich, dass es da solche Temperaturunterschiede
gibt“, meinte ich und Urs runzelte die Stirn … „Florida!
Florida, Kai, und nicht Kalifornien, Du Blödmann, hier
steht’s auch auf dem Einlagerungsschein. Fort Lauderdale –
Florida.“ Stimmt, ich erinnerte mich, in Erdkunde war ich
noch nie gut gewesen, und Florida und Kalifornien klingen
irgendwie beide so exotisch amerikanisch, da kann man das
schon mal verwechseln.
„Also gut Florida – schau mal nach, wie das Wetter da
ist“, sagte ich in Erwartung, jetzt die Nachtfrosttempe-
raturen zu sehen. „Tagestemperatur 42 Grad – tropische
Nächte um 22 Grad“, las Urs mit stockender Stimme vor.
– „Das gibt’s doch nicht!“ Urs schaute auf anderen Seiten
nach. Nichts von Nachtfrost, weder in Kalifornien noch in
Florida; nicht in einem einzigen Ort in den USA hatte es
letzte Nacht Frost gegeben – außer in Alaska. Aber da gab
es sicher keine Orangen.
Ich rief bei Petra an. „Petra, hier ist Kai. Sagen Sie mal,
wir haben gerade im Internet geguckt, bevor die Börse
in USA öffnet. Da ist nix mit Nachtforst und erfrorener
Orangenblüte und so.“ Auf der anderen Seite blieb es ei-
nen Augenblick stumm. „Kai, also ich kann dazu nichts
sagen, wir haben diese Information heute morgen von ei-
nem Agenten aus den USA bekommen und wir prüfen das
normalerweise nicht nach, die Quelle ist bisher sehr zuver-
lässig gewesen. Also mehr kann ich auch nicht sagen, ich
muss jetzt Schluss machen. Kai – ich melde mich noch mal
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wegen Ihres Einsatzes morgen.“ Damit legte sie auf. Urs
und ich schauten uns verständnislos an.
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Welt-Rohstoffbörsen nur als Zertifikat gehandelt werde,
niemals aber als Realware, das hätten sie noch nie gehört,
und da könnten sie uns nicht helfen und wünschten uns
viel Glück.
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zahlen müsste, wenn er das Zeug abholen wolle. Überhaupt,
eigentlich hätten sie nur Rinderhälften eingefroren und die
Tonnen nähmen den halben Platz weg. Dann dämmerte es
dem Gegenüber in der Leitung. Er fragte, was wir mit dem
Orangensaftkonzentrat zu tun hätten, ob wir am Ende die
neuen Besitzer seien. Kleinlaut musste Urs das zugeben und
gab die Einbuchungsnummer vom Kühlhaus aus dem Kauf-
vertrag durch – sie stimmte. Das sei ja nun gut, dass jemand
das nun endlich abhole. Es sei immerhin schon fünf Jahre
alt, auch wenn es immer auf -25 Grad runtergekühlt war.
Fünf Jahre, meinte dann unser Gegenüber, also da sei er
sich nicht sicher, ob und wem man das noch verkaufen kön-
ne. Urs und ich guckten uns an und dachten wohl beide an
den Gammelfleisch-Skandal – so eine Scheiße.
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Deine Chefin wollte, dass Du das verkaufst und Du Idi-
ot denkst, das sei eine einmalige Chance und überredest
mich da einzusteigen, und ich Blödmann lasse mich auch
noch überreden. Das ist so bescheuert, das glaubt uns kein
Mensch.“ Und dann machte er mich mit näselnder Stimme
nach, als ob ich so reden würde: „Urs, Du weißt doch, ich
bin Kaufmann, das Ding ist sauber. – Kai, was hast Du mir
da für eine Scheiße eingebrockt!“
„Urs, wir kommen da schon wieder raus, ich helf Dir auch
…“ – „Was ist das denn jetzt für’n Spruch. Ich helf’ Dir auch!
– Der gnädige Herr bemüht sich jetzt also auch noch, mir
zu helfen. Ich glaub, Du hast sie nicht mehr alle. Umgekehrt
wird ein Schuh draus! Kai – Du weißt, das Geld ist das Erbe
meiner Mutter, davon lebe ich. Das Mindeste, was ich von
Dir erwarte, ist, dass Du die Hälfte von dem Mist bezahlst,
dann bist Du auch motiviert uns da wieder rauszuholen“.
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der USA 110.000 Tonnen O-Saftkonzentrat. Zehn Tonnen
gehörten davon ab heute uns, wenn die Statistik unsere ein-
samen zehn Tonnen in einem Tiefkühlhaus für Rinderhälften
in Fort Lauderdale überhaupt mitgezählt hatte.
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