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Für
Petra
Inhalt
Vor-Sätze
Informationen
In eigener Sache
Nachsätze
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Vor-Sätze
D
er Beruf der Domina ist mit vielen Klischees behaftet. Die
Peitsche schwingend und sündig bestrapst gibt sie sich
vorzugsweise sehr zahlungskräftigen Männern hin, die
nur um der Strenge willen ihren Obolus entrichten. Das Märchen vom
leichten Nebenher-Verdienst wird gern geglaubt und lässt die brave
Hausfrau wohlig erschauern. Dominanz und Unterwerfung,
Disziplinierung und Gehorsam sind Begriffe, die anziehen,
abschrecken und polarisieren.
Wenn es im Ehebett nicht mehr so recht klappt, dann werden
im Sexshop eine Spielzeuggerte, und vielleicht auch kunstfellbesetzte
Handschellenimitate erworben. Das Spiel von Dominanz und
Unterwerfung soll beginnen, und scheitert zu oft kläglich. Dominanz
und Unterwerfung ist ein Spiel, das mit den Sinnen gespielt wird.
Nicht jede Frau in Lack, Latex oder Leder ist eine Domina und die oft
leichtfertig zitierte Naturdominanz kein Ersatz für fehlende
Kenntnisse. Auch „Tabulosigkeit“ und „Hingabe“ reichen nicht aus,
um als Sklavin oder Zofe durchzugehen.
Oft steht der Gedanke ans schnelle Geldverdienen im
Vordergrund der Motivation. Frauen bieten Praktiken an, deren
psychologische Bedeutung sie nicht kennen. Gute Ausbildung ist in
dieser Branche Mangelware. Oft vergessen wird, dass nur das
Vertrauen der Stammgäste das Fundament des beruflichen Erfolgs
ist.
Erstes Kapitel
Ursache, Plan und Wirkung
____________________
I
ch hatte schon mehrere Wochen nichts mehr von Viola gehört.
Sie hat mir irgendwie und doch nicht so wirklich gefehlt, denn
ich war in monetären Angelegenheiten anderweitig
beschäftigt. Um zwölf Uhr am frühen Mittag bekam ich ganz
überraschend ihren telefonischen Anruf. Meine beste Freundin
wollte etwas Wichtiges mit mir besprechen, aber ganz entgegen ihrer
Gewohnheit war sie am Telefon sehr einsilbig, und wie ich aus dem
Zusammenspiel von Stimmlage und kleinen Schluchzern
interpretieren konnte, auch seelisch etwas niedergeschlagen.
Echte Freunde helfen selbstlos, und wenn etwas getan
werden muss, dann muss es nun mal getan werden. Wir
verabredeten uns kurz und bündig im Bellini, unserem Stammlokal,
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und fröhlich gestimmt begab ich mich auf den Weg. Viola wartete
schon ungeduldig auf mich, was äußerst ungewöhnlich war, denn
Viola ist chronisch unpünktlich. Ich saß noch nicht, genauer gesagt,
mein Gesäß hatte noch nicht die Sitzfläche des Stuhls berührt, da
brachte mir der Kellner ein von Viola geordertes Getränk. Über diese
großzügige Geste erfreut nahm ich an, dass Viola auch beabsichtigte,
die Rechnung zu bezahlen. Vielversprechend klirrten die Eiswürfel im
hohen Glas, und noch sah ich den Zusammenhang der Zeichen nicht.
Viola sagte nichts und saugte dafür etwas zu geräuschvoll, ich musste
unwillkürlich an eine verdurstende Kuh vor der Notschlachtung
denken, nervös an ihrem grünen Happy-Hour-mit-buntem-
Schirmchen-Cocktail. Ihre sorgfältig und dunkelrot geschminkten
Lippen zitterten leicht, fast unmerklich. Selbst im halbdunklen
Ambiente der Bar waren die Tatsachen des Tages nicht zu übersehen.
Meine schöne Freundin Viola sah entgegen ihrer üblicherweise
perfekt durchgestylten Optik schlecht aus. Die Handbewegungen
waren fahrig. Sie knibbelte mit dem Daumen ihrer linken Hand am
kleinen Finger derselben. Ich sah zarte Hautfaltenkränzchen unter
und neben ihren Augen, die mir bis dahin nicht aufgefallen waren,
denn Viola ist seit mindestens fünf Jahren, wenn nicht sogar seit
sieben Jahren Dreißig, also nimmer noch im besten Frauenalter. Dazu
kamen halb fünf angerauchte und offensichtlich nervös ausgedrückte
Zigaretten im PERNOD-Aschenbecher auf dem runden Bistrotisch, die
mir eine eigenartige, sogar ungelöste Spannung signalisierten. Viola
war offensichtlich sauer, und zwar richtig und nicht auf mich und das
gab mir ein beruhigendes Gefühl.
Heiter nach einem Gesprächsthema suchend, wurde ich von
meiner besten Freundin radikal und verbal abgewürgt. Sie fiel mir,
und das hasse ich besonders, ins unausgesprochene Wort. Ich senkte
den Blick aufs Wesentliche und trank, brav ihren Worten lauschend,
aus meinem hohen Glas.
„Manchmal frage ich mich, wie ich mich nur so täuschen
konnte. Am Anfang ist der mir hinterhergelaufen wie ein kleiner
Hund. Er war doch so ganz anders, so liebevoll.“
„Der Depp“ dachte ich als Zusatz und sprach es nicht aus,
denn die Order gebot mir zu schweigen. Außerdem ist Werner mein
bester Kumpel und dazu auch mein Steuerberater in Personalunion.
Dann, nach einer kurzen Pause und einem leisen saugenden
Geräusch an ihrem Strohhalm: „Steuerberater! Ich hätte es mir ja
denken können.“
„Was?“ wollte ich fragen, aber ich unterließ es, denn Violas
Stimme wurde unangenehm lauter, und mit dem besonders
vorwurfsvollen Ton, der jeden mitfühlenden Mann augenblicklich zu
einem verzweifelten Rechtfertigungsversuch treibt, bekam ich volle
Kanne die erste Breitseite vor den Bug: „Warum hast du mich nicht
gewarnt. Du bist doch sein Freund. Du musst doch etwas davon
gewusst haben …“
Das war keine versteckte, sondern eine eindeutige
Schuldzuweisung an den Komplizen, die Sau. Ich, der ich mir als
qualifizierter Kartenleger und Zukunftsdeuter einen guten Ruf
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erworben hatte, musste für mich zugeben, dass ich nichts wusste.
Mit meiner Verantwortung für Violas Zukunft hatte ich eindeutig
versagt. Zwar erinnerte ich mich noch vage, dass ich sie vor den
Folgen einer zu schnellen Ehe gewarnt hatte, aber meine ernste
Warnung war mit einem gehechelten „hör nicht auf, mach weiter,
sonst komm ich nicht …“ und in der allgemeinen Vorfreude
untergegangen wie die Titanic nach der Kollision mit ziemlich viel
gefrorenem Wasser.
Eigentlich hatte ich eine ziemlich schlechte Ausgangsposition,
denn alles was ich hätte einwenden können, wäre falsch gewesen.
Mein leiser, mit einem „Aber...“ begonnener Satz wurde nicht
registriert, denn gute Ratschläge geraten schnell in Vergessenheit
und jeder fundierte Einwand wäre nichts anderes als eine schlechte
Entschuldigung aus der Defensive gewesen.
„Warum bin ich nicht aufgewacht, als er mir einen Tag vor
dem Standesamt den beschissenen Ehevertrag hingelegt hat. Zu
unserer Sicherheit hat er gesagt. Denn er ist ja Selbstständig hat er
gesagt. Und mir soll nichts passieren, falls die Geschäfte mal nicht so
laufen. Das ich nicht lache!“
Ein kurzes, hastiges Ziehen an ihrer Filterzigarette unterbrach
den vorwurfsvollen Monolog. Plötzlich erschien mir der Tag grau und
deprimierend. Ich fühlte mich beschissen, ganz so als ob ich die
Mitschuld an der prekären Ehesituation meiner Freundin Viola tragen
müsste, und ich wusste immer noch nicht, was geschehen war, denn
Viola ist zwar sehr redegewandt, aber eine schlechte Zuhörerin und
manchmal auch keiner logisch aufgebauten Rede fähig.
„Ja klar, ich war schon irgendwie beeindruckt. Das große Haus
und so. Irgendwie tat er mir auch leid. Die ganzen Geschichten von
seiner Ex, die ihn nur ausgenützt hat. Er war so sanft und einfühlsam.
Warum bin ich nicht aufgewacht, als er mir die teure Uhr von seiner
Ex erst zur Hochzeit geschenkt und einen Tag danach wieder
weggeschlossen hat, kannst du mir das sagen?“
Natürlich hätte ich das kurz und knapp sagen können, aber ich
schwieg besser. Bei genauer Beachtung der Umstände hätte ich mich
auch nicht anders verhalten. Frauen und feinmechanische
Präzisionsgeräte sind eine Sache für sich, und zum Abwasch trägt
verheiratete Frau schon aus stilistischen Investitionsgründen keine
Cartier.
„Angeblich damit sie nicht gestohlen wird. Jetzt lauf ich mit so
einer blöden Swatch rum. Ein richtiger Erbsenzähler. Ich hab eine
Scheißwut im Bauch!“
Ich war zwar ziemlich betroffen. Nicht wegen der Uhr und
nicht wegen dem Verhalten von Werner. Die Uhr an Violas
Handgelenk fand ich eigentlich sehr hübsch. Mehr konnte man für
knapp unter fünfzig Euro nicht erwarten und Gutes (die teure Uhr)
gehört nun mal sorgfältig weggeschlossen.
Ich war betroffen, und die Frage war immer noch nicht
geklärt, warum Viola wegen einer Uhr am Arm so mitgenommen
aussah. Intuitiv spürte ich, dass da noch was war. Etwas gut
verstecktes, etwas was man nur einem guten, und zwar nur dem
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Frau eine Affäre kultiviert, muss der Mann draufkommen, was Frau
sich ganz insgeheim wünscht. Das erinnerte mich, dass auch ich gut
Droge. Das Irreale war meine brave Vergangenheit, der ich nicht
mehr hinterher laufen durfte. Groß, schön und mit einem ästhetisch
proportionierten Körper stand sie vor mir – ein Wesen nicht von
dieser Welt. Eine makellosen Herrscherin, die in meiner Phantasie
schon lange vorhanden war.
Ja, damals war das noch anders. Lack, Leder und Latex waren
für den braven Bundebürger noch so weit entfernt wie unser alter
Mond von der Venus. Madonna und Britney Spears tanzten noch
nicht in Straps-Netzstrümpfen am Korsett auf den Bühnen herum,
und sie vollführten noch keine Bewegungen wie drei Jahre in
Einzelhaft gehaltene Nymphomaninen. Des braven Michaels Welt in
den Vorstädten bewegte sich zwischen Strumpfhosen und behaarter
Muschi-Marianne.
Plötzlich spürte ich den Stich in meiner linken Herzkammer.
Sanfte und ausdrucksvolle Augen sahen mich an, durch mich
hindurch und nahmen mich nicht wahr, denn ich saß klein und
unbedeutend, tief unter ihr auf meinem mit rotem Samt bespannten
Stuhl. Das eng geschnürte Leder, oder war es Latex, ich weiß es nicht
mehr, glänzte wie mit nassen Morgentautropfen beschlagen an
ihrem Körper. Ihr sinnlicher Mund verhieß all das, was es im biederen
Alltagsleben niemals geben würde, denn Obszönitäten gehören nicht
zu einer klassisch strukturierten Ehe. Staunend nahm ich zur
Kenntnis, dass sie sich mit einer tiefen kehlig-vibrierenden Stimme
gewählt ausdrücken konnte. Sie besaß zweifellos etwas mehr Esprit
als die Standard-Alltagsfrau an der Constructa. Dazu war sie auch
noch intelligent und belesen. Mit einer magischen Ausstrahlung,
unnahbar und unberührbar, wusste sie was sie sagte. Meine neue
Göttin war käuflich, nicht für jeden Preis und nur für einen exquisiten
Kreis ausgesuchter Kenner, die es sich leisten konnten. Jetzt, dicht
vor mir und überlebensgroß war die selbstbewusste Frau von der ich
immer geträumt hatte. Auf der Kinoleinwand bewegte sich Gudrun
Landgrebe als Domina in dem Filmmelodram „die flambierte Frau“
von Robert van Ackeren. Nie zuvor hatte ich ein vergleichbares
Wesen in ähnlicher Vollendung gesehen. Dieser Film war der
Auslöser zum Aufbruch in eine neue Welt. „Walk on the wild side“
wollte ich. Auf dem Weg in eine irreale Welt, jedenfalls für mich und
nicht zu meiner Allerweltsehe gehörend. Das erste Mal verstand ich,
warum sich brave nichtrauchende Ehemänner sich aufraffen, zum
Zigarettenautomaten gehen, und ohne sich umzusehen alle Brücken
zur alten Welt abbrechen.
Königin unter den Frauen. Sie sorgt diktatorisch für sozialen Ausgleich
in einem bis zum Überdruss geregelten Alltag sorgt. „I wanna be your
dog“ ist der Wunsch den sie gnädig gegen nicht zu wenig Geld erfüllt.
Mit gewählten Worten und einem altenglischen Internats-Rohrstock
in der Hand, verfügt sie nach Belieben über eine gutsituierte
Kundschaft, die wie ein Hund das eingebläut bekommt, was sie
eigentlich verdient.
Du siehst, ich kann mitreden und nur das zählt bei meiner
authentischen Story.
Nebenverdienst nebenbei …“
Ich hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da spürte
ich intuitiv, dass meiner besten und mittelalten Freundin Viola der
Beruf der Domina Spaß machen würde.
„Du meinst ich kann das?“
„Natürlich kannst du das. Du siehst nach was aus. Du bist
gepflegt und intelligent, und du hast doch keine Hemmungen. Du
musst nur bereit sein, dazu zu lernen. Dann ist das ganz einfach.“
Insgeheim dachte ich an die Binsenweisheit, dass Lehrjahre
keine Herrenjahre sind. Ich musste lächeln, denn vor mir sah ich Viola
als Auszubildende im ersten Lehrjahr. Die Gelegenheit war günstig,
und darum gab ich Viola den entscheidenden Tipp: „Fabienne ist
doch jetzt mit Chantal zusammen …“
„Ja ich weiß, aber ich kenn sie nicht. Fabi hat mir nur erzählt,
dass sie hin und wieder in einer Bar aushilft.“
„Schätzchen, das ist nicht ganz so. Chantal hat einen kleinen
Club und Fabienne hilft nicht nur hin und wieder, sondern ziemlich
oft und sehr aktiv da aus.“
„Das wusste ich nicht?“ Violas Stimme klang verwundert, aber
ich war es nicht, denn Viola hat eine reizvolle Schwäche, sie kann
nicht zuhören.
„Das ist eigentlich keine Bar, das ist sowas ähnliches wie ein
Swinger-Club und dazu gehört auch ein Studio. Chantal betreibt es
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Moment dachte ich, dass ich vielleicht zu viel gesagt hätte. Denn
selbst ein Blinder hätte die Spur sehen müssen. Nicht Viola, die nicht
sehr geschockt, eher bewundernd über Fabienne sprach.
„Das hätte ich von Fabi gar nicht gedacht. Die macht auch
sowas? Jetzt weiß ich, warum sie in der letzten Zeit so wenig Zeit hat.
Und dann die neuen Klamotten …“
„Genau …“ Bei Viola war der Groschen mit deutlich
hörbarem Klingeln gefallen.
„Du meinst, ich soll mal mit ihr reden?“
„Ja, genau das mein ich.“
Zweites Kapitel
Nonnenkleid und Bar Bizarr
Liebe Viola, es kann sein, dass du noch unschlüssig bist. Doch du solltest
wissen, dass du eine wichtige Rolle in unserer modernen Gesellschaft
spielen wirst. Mit deinem zukünftigen Beruf sicherst du das Wachstum der
Wirtschaft und unseren Wohlstand. Du wirst mehr Besuche zu den
ungeeignetsten Zeiten empfangen und frohem Herzen mehr
Unbequemlichkeiten ertragen als die Masse der übrigen Berufstätigen.
Wenn du deinen Beruf gewissenhaft ausübst – und davon bin ich
überzeugt, bringst du mehr Freude, korrigierst mehr Fehler, gleichst mehr
Differenzen aus, verschwendest mehr Kraft und Nerven und hörst dir mehr
Sorgen und Nöte an, ohne deine Ruhe zu verlieren, als irgendeine andere
Gruppe von Menschen. Wenn man über dich spricht, wirst du individuell
und kollektiv abwechselnd in den Himmel gehoben und verdammt, man
diskutiert über dich öffentlich und hinter verschlossenen Türen, in Herren-
und Damenzimmern, in Bars und anderen geistigen Orten, von ebenso
vielen Standpunkten aus mit derselben Heftigkeit wie in den Schlagzeilen
seriöser und anderer Zeitungen. Fürwahr, meine Liebe. Wenn du deinen
Beruf als Berufung siehst und mit Herz und Verstand ausübst, hältst du die
Räder der Wirtschaft und den Geist der Menschen in Bewegung. Mehr kann
von keinem Menschen gesagt werden. Deshalb sprich niemals abfällig über
eine Domina, es sei denn, du möchtest ihr schmeicheln.
Frei nach einer Rede von John F. Kennedy
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V
iola hat meinen Rat zum Herzen genommen und zu einer
pekuniären Herzensangelegenheit gemacht. Sie hat lang
mit Fabienne telefoniert, und trotz moralischer Bedenken
den Entschluss gefasst, sich die „Sache“ mal ganz unverbindlich
anzusehen. Wir sind hinter einem Spiegel und können, ohne dass wir
bemerkt werden, die Ereignisse beobachten.
Noch sehen wir nichts, aber wir hören laute Radiomusik,
unterbrochen von Verkehrsmeldungen.
Du musst nicht stehen. Setz dich. Der mit rotem Samt
bespannte Stuhl ist für dich bestimmt. Nur für dich mein Freund,
öffne ich jetzt den Vorhang, und ich führe dich auf dir unbekanntes
Terrain.
Shirts ist ein ehemals roter, jetzt ziemlich verwaschener Mund mit
einer herausgestreckten Zunge aufgedruckt. Sie setzt sich neben
Viola auf einen Barhocker. Man ahnt und kann es undeutlich
erkennen, dass Fabienne unter dem Shirt Strümpfe, Strumpfhalter
und einen BH trägt.
Die dritte Person die du siehst ist Chantal. Chantal ist die
„beste“ Freundin und derzeitige Lebensgefährtin von Fabienne.
Chantal ist Mitte 40, und der sportliche Typ mit streichholzkurzen,
hellblonden Haaren. Ob Chantal wirklich Chantal heißt, ist mir nicht
bekannt. Ich vermute, dass es ein Künstlername ist, und in
Wirklichkeit eine Inge oder eine Bärbel damit getarnt werden soll.
Fabienne und Chantal betreiben einen kleinen, bezeichnen
wir es der Einfachheit halber als Swinger-Club, für tolerante
Ehepaare, zu dem aber auch gutsituierte, männliche Einzelpersonen
Zutritt haben, wenn die Mischung stimmen soll.
Chantal ist die Chefin des Unternehmens und sie sieht wie bei
Chefinnen anscheinend üblich, beschäftigt aus. Sie ignoriert Viola und
achtet auch nicht auf ihre Freundin Fabienne. Mit der rechten Hand
notiert sie etwas. Sie zählt die Flaschen und hin und wieder dreht sie
eine Flasche mit dem Etikett nach vorn, oder stellt sie um. Chantal
hat ein rotes Klemmbrett in der linken Hand. Sie dreht uns noch den
Rücken zu.
Chantal hat einen schwarzen, glänzenden Kimono an. Hab
noch etwas Geduld, gleich wirst du es sehen. Der Kimono steht vorne
weit auf. Nur im Spiegel an der Rückwand kann man mehr vermuten
als sehen, dass sie darunter halterlose Strümpfe, einen kleinen
schwarzen Slip und außer etwas Schmuck sonst nichts anhat.
Chantal führt den Club sehr bestimmend und man spürt, dass
sie die knallharte Geschäftsfrau ist. Chantal und Fabienne verdienen
Geld. Geld in der notwendigen Menge, um einen gehobenen
Geld verdienen, und zwar viel Geld. Noch weiß sie nicht so recht, wie
sie es anstellen soll. Eigentlich will sie es Werner heimzahlen und
dazu erscheint ihr die Peitsche als das einzige und geeignete
Werkzeug in einem mittelalterlichen Folterkeller.
Noch sind die drei Frauen allein. Die Bar ist noch geschlossen,
aber die Gäste kommen garantiert, denn Chantal, Fabienne und auch
Paula sind gut in dem was sie machen.
Fabienne dreht sich um und öffnet einen kleinen Metallkasten
an der Wand. Mit einem deutlich hörbaren Klicken drückt sie einen
Schalter nach oben. Das Licht wird heller und leuchtet den gesamten
Raum aus.
Viola sieht sich um: „Hübsch habt ihr es hier. So hab ich mir
das nicht vorgestellt. Ich war ja noch nie in so einem Club.“
Natürlich ist Violas Satz unverschämt gelogen. Jetzt erst sieht
man deutlich, dass das Interieur schon bessere Zeiten gesehen hat.
Fabienne lächelt: „Was hast du denn gedacht? Dass wir hier
eine versiffte Bude haben. Wir haben nur gute Gäste und das bringt
richtig Geld.“
Viola: „Das freut mich für euch. Ich hab euch schon immer
ganz fest die Daumen gedrückt?“ Violas Antwort klingt etwas zu
übertrieben um ehrlich zu wirken.
Chantal stellt kleine Glasschälchen auf den Tresen. Dann stellt
sie Fabienne demonstrativ einen Beutel mit Nüssen hin.
Club. Geld verdienen wir mit ficken.“ Dabei beobachtet sie Viola, ob
sie jetzt schockiert ist. Viola verzieht aber keine Miene. Sie greift zum
Sektglas und nimmt einen schnellen, hastigen Schluck. Am Glas kann
man den Abdruck ihres Lippenstifts erkennen.
Fabienne verzieht das Gesicht und schaut kurz an die Decke.
Man sieht ihr an, dass sie es Viola schonender beigebracht hätte.
Dann sagt sie mit beruhigendem Unterton in der Stimme:
„Chantal hat doch nur einen Scherz gemacht.“
Chantal zählt wieder die Flaschen und murmelt etwas abfällig
vor sich hin: „Spiel jetzt bloß nicht die Heilige.“
Viola achtet nicht auf Chantal. Ihre Antwort kommt sehr
beherrscht, fast beiläufig: „Eigentlich wollte ich mich nur informieren,
was eine Domina so macht ...“
Fabienne lächelt und beendet Violas Satz: „… wie man zur
Domina wird, und was man alles wissen muss.“
„Eigentlich ja. Wenn ich bei euch im Club arbeiten sollte,
wüsste ich doch gar nicht wie ich mich hier verhalten sollte, mit
Fremden?“ An Violas abwehrender Antwort kannst du erkennen,
dass sie sich das Ganze etwas anders vorgestellt hat.
Chantal spürt, dass eine angespannte Stimmung entsteht. Sie
dreht sich wieder zu Viola, sagt aber nichts. Dafür antwortet
Fabienne: „Da musst du dir keine Gedanken machen. Wenn du das
willst, packst du das auch. Wenn du eine gute Ausbildung suchst und
auch gut verdienen willst, bist du bei Chantal genau richtig.“
„Was macht ihr denn hier so im Club. Also ich kenn sowas ja
nicht. Kommen da nur Männer …“
„Nein, das ist ganz anders. Wir sind ein Swinger-Club. Da
kommen vorwiegend Paare. Die kennen sich fast alle und das geht
ganz familiär zu. Wir haben Mittwoch bis Samstag von 18:00 Uhr bis
3:00 Uhr geöffnet. Samstags auch länger, je nach Betrieb.
Montag so etwa ab 12:00 Uhr bis zum Nachmittag, da
kommen die Sparsamen. Das sind die Paare, die verheiratet sind,
aber nicht miteinander. Manchmal auch einzelne Hausfrauen. Dann
geht ’s am wildesten zu. Nicht was du jetzt denkst, sondern ganz
seriös. Die futtern sich am Büffet durch und probieren das alles aus,
was sie in ihrer Ehe nicht kriegen. Außerdem ist das hier billiger, als
wenn die jedes Mal ein Hotelzimmer bezahlen müssen. Da ist
natürlich ein ziemlicher Trubel, aber es macht ja auch Spaß wenn das
Geschäft läuft.“
Fabiennes Erklärung scheint Viola etwas zu beruhigen. Sie
lächelt und Chantal redet weiter.
„Wir haben hier für jeden Geschmack etwas. Hier gibt’s eine
Spielwiese, da können mehrere Paare rein und andere können
zusehen. Wir haben auch einen Glory-Hole-Raum und im Keller ist
mein Studio. Da finden die Sessions statt, aber nur auf
Voranmeldung. Eigentlich könntest du mir dabei mal assistieren, dass
du mal siehst, was da so abläuft ...“
Chantal macht noch eine Flasche Sekt auf und stellt sie auf
den Tresen. Viola greift eifrig danach und schenkt aus der Sektflasche
die Gläser wieder voll. Der Sekt schäumt und läuft über den Tresen
auf Violas Hose. Viola rutscht vom Barhocker runter und versucht mit
einer Serviette den übergelaufenen Sekt wegzuwischen. Man sieht
dass ihr das kleine Missgeschick peinlich ist.
Chantal kommt eilig hinterm Tresen und nimmt ihr die
Serviette weg. „Schätzchen, lass mich das machen. Das ist doch nicht
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schlimm.“
Sie kniet sich vor Viola und wischt mit einem Küchentuch über
Violas Hose. Viola will die Berührungen abwehren. Es ist ihr sichtlich
peinlich. Chantals Kimono steht etwas auf und man sieht ihre
schweren nackten Brüste.
Fabienne lächelt amüsiert und sieht zu. Spürst du die
erotische Stimmung und den sich zwischen Chantal und Fabienne
anbahnenden Konflikt.
Fabienne nimmt der noch knieenden Chantal das Küchentuch
aus der Hand und mit einem strafenden Blick wirft sie es achtlos auf
den Boden. Sie beachtet Chantal nicht und steht jetzt neben Viola:
„Du musst mit den Gästen lachen, das verbindet. Die Gäste wollen
Spaß. Frust haben die Zuhause. Das brauchen die hier nicht. Wenn dir
so etwas passiert, dann mach ein Erlebnis draus. Lass dich gehen und
spritz alle nass. Das mögen die …“
Chantal steht auf und stimmt zu: „Klar, wenn ich mit einem
Gast lachen kann ist das angenehmer, als wenn ich einen hab, der
den Mund nicht aufkriegt.“
Zögernd fragt Viola: „Aber was ist, wenn es zum Sex kommt?“
Chantal und Fabienne antworten fast gleichzeitig: „Da mach
dir mal keine Sorgen, die sind hier alle sehr nett. Außerdem machst
du nur das was du auch willst ...“
Dann redet Fabienne weiter: „Stöhn ihm was vor, sag ihm was
er für ein geiler Hengst ist, das wollen die Kerle hören. Sag ihm, dass
du seine Stute und heiß auf ihn bist und solche Sachen.“
Männer da sein, sonst fühlen sich die Frauen unwohl, oder wir haben
zu viele Frauen, dann brauchen wir wieder mehr Männer. Gute Gäste
lassen wir auch allein rein. Am Wochenende kommen fast nur Paare
und da musst du besonders einfühlsam sein.“
Chantal hat sich auf einen Barhocker neben Fabienne gesetzt.
Sie greift nach dem Sektglas von Fabienne und nimmt einen kurzen
Schluck daraus.
Fabienne fällt Chantal ins Wort: „… und zum Schluss will dein
Gast von dir nur hören, dass du gekommen bist. Da musst du
natürlich schauspielern. Sag einfach dass du einen Megaorgasmus
hattest. Was denkst du, wie der sich freut wenn er hört, dass er eine
Zofe geknackt hat. Dann kriegst du schnell Stammgäste die richtig
Geld bringen. Außerdem kommen die schneller, weil die nicht so
verspannt sind.“
Chantal spielt mit dem Gummidildo und sieht Viola prüfend
von oben bis unten an.
Viola fragt unsicher wirkend: „Zofe?“
Chantal geht nicht auf die Frage ein, und Fabienne hat einen
unbeteiligten Gesichtsausdruck und steckt sich Nüsse aus einer
Glasschale in den Mund. Einige Sekunden herrscht Schweigen, nur
unterbrochen vom qualvoll heulenden Geräusch eines vollen
Staubsaugers. Dann fragt Viola: „Eigentlich wollte ich ja nur als
Domina. Was macht die denn so?“
Chantal antwortet wie beiläufig: „Wir machen hier alles was
Spaß macht. Vom Analsex mit einer vollen Apfelschorleflasche bis
zum zertrampeln der Zinnsoldatensammlung des Gastes.“
Stell dich auf den Tisch, mach einen Strip und mach die Titties frei
oder so was, dann kriegst du Fans die zahlen. Hauptsache du machst
was Verrücktes, das bringt `s. Und wenn du das gut machst, dann zeig
ich dir, was wir im Keller machen.“
Chantal dreht sich um und geht wieder hinter den Tresen zu
ihren Flaschen. Im Hintergrund hört man das Geräusch eines
umfallenden Blecheimers. Eine Frauenstimme flucht mit sächsischem
Akzent.
Achte auf die linke Seite des Raums. Zuerst siehst du nur eine
geblümte Rückseite. Es ist Paula, die mit einem Wischmob den Boden
schrubbt. Jetzt hebt sie das Küchentuch auf. Paula hat einen
geblümten Kittel an und die blonden Haare unordentlich
hochgesteckt. Paula ist die fleißige „Mitarbeiterin“ von Chantal und
Fabienne, die als Mädchen ZBV (zur besonderen Verwendung) für
alles ihre Verwendung findet. Paula ist blond, sie hat blaue Augen, sie
räumt weg und auf, sie achtet auf Ordnung und hilft auch und wieder
an der Bar und in den Nebenräumen aus. Für gut zahlende Gäste
dient sie auch als Zofe oder Sklavin, und sie assistiert Chantal im
Studio. Ihre Haar- und Augenfarbe und ihr unüberhörbarer,
sächsischer Akzent verführen zu einseitigen Vorurteilen. Das ist aber
falsch, denn Paula verfügt über erstaunliche Talente, die von
Fabienne misstrauisch, und von Chantal abwertend honoriert
werden.
Fabienne und Chantal beachten sie nicht. Nur Viola schaut
kurz hin.
Ihre Haare sind unter einer Haube versteckt, nur Ihr Gesicht ist
sichtbar. Das Kleid glänzt und ist aus Latex. Viola geht langsam und
unsicher zur Bar und steht jetzt hinter der Bar. Man sieht, dass sie
noch nicht weiß, was zu tun ist.
Chantal schaut Viola von oben bis unten an und ihr
Gesichtsausdruck hat die Mimik zwischen einem hungrigen Hai und
einem Jäger der eine leichte Beute sieht. Mit etwas abgesenkter
Stimme sagt sie zu Viola: „Du siehst ja süß aus …“
Und mit einem aufforderten Unterton in der Stimme: „Komm
mach uns mal was zum trinken.“
Fabienne sieht verwundert aus. Offensichtlich ist sie die
Großzügigkeit ihrer Chefin und Freundin nicht gewohnt. Chantal sieht
Fabiennes Blick und fügt mit etwas lauterer Stimme hinzu: „Es geht
aufs Haus. Mach uns mal einen Büchsenöffner, das hebt die
Stimmung.“
Violas weiß nicht, was damit gemeint ist und fragt: „Wo find
ich den Büchsenöffner?“
Fabienne und Chantal lachen. Paula macht eine abwertende
Handbewegung. Chantal sieht zu Ilona und nimmt den Gummidildo in
die Hand und hebt ihn mit einer drohenden Gebärde wie zum Schlag.
Paula zieht etwas den Kopf ein und kichert.
Chantal sagt zu Viola: „Pass auf ich zeigs dir. Du nimmst die
Cocktailgläser. Dann füllst du sie zur Hälfte mit 43er. Das ist die
bauchige Flasche, die da links steht. Dann nimmst du Büchsenmilch
und füllst es etwas auf. Rühr es etwas um.“
Sie sieht zu, wie Viola die Gläser vorsichtig füllt.
Paula grinst und Fabienne lacht.
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Drittes Kapitel
Strumpfhosen und Natursekt
____________________
T
rinke Wasser aus deiner Zisterne und was quillt aus deinem
Brunnen.“ Als Informations- und Ratgeber ist die Bibel eine
unerschöpfliche Informationsquelle. Darum sollten Mann
und Frau sie immer griffbereit haben. Mit solchen Vorsätzen schloss
ich beeindruckt das große Buch und begann mich mit den alltäglichen
Widrig- und Lustbarkeiten zu beschäftigen. Denn in präzise zehn bis
maximal fünfzig Minuten hatte sich meine beste Freundin Viola
angesagt, der es nach meinem Rat, meiner Gesellschaft und meines
Sektes gelüstete. Nach einem ersten Check war alles Notwendige für
einen inspirierenden Spätnachmittag vorhanden. Ich war frisch
geduscht, hellwach und geistig rege. Mein Bett musste noch nicht
frisch bezogen werden, denn Viola ist eine eher rustikale Frau, die
trotz ihrem gehobenen Lebensstandard nicht zu sehr auf unwichtige
Details achtet. Bevor ich es vergesse, auch mein Kühlschrank war gut
gefüllt.
auch mein Ziel für diesen Nachmittag und auch Abend, aber ich sollte
mich irren. Es war ganz anders als ich in diesen Sekunden vorfreudig-
erektiv dachte. Viola nahm das Glas an ihre vollen, roten Lippen und
trank den ersten Schluck des prickelnden Champagners.
„Du sag mal“ war ihre erste Frage und ich wusste nicht was
ich sagen sollte, denn meine Phantasie befand sich noch auf
Abwegen, und bei der Frage, warum man bei Rehen den hellen Fleck
an der Rückseite „Blume“ nennt.
„Du bist doch mein bester Freund und wir kennen uns doch
schon seit zig Jahren.“
Auch dem musste ich zustimmen, obwohl ich an die
Kennenlernzeit nicht so gern erinnert werde. Ein Fehlstart bleibt
immer ein Fehlstart mit stark reduzierten Chancen auf den ersten
Platz. Das hat sich bis heute nicht geändert. Damals, so vor etwa
zwanzig Jahren bekam ich dir Rolle des besten Freundes mehr
unfreiwillig zugewiesen, weil damit auch untrennbar die Rolle des
ersten Verlierers verbunden war.
Du bist schockiert? Dann möchte ich dir mein trauriges
Schicksal, das mich nun seit vielen Jahren verfolgt, kurz beschreiben.
Die Fakten sind: Viola hat damals aktiv versucht, es mit mir zu
treiben, und ich Blödmann (oder Glückspilz) habe es passiv
vermasselt.
Du fragst dich, wie so etwas Unreparables passieren konnte?
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und pflichtbewusst nachfüllte, denn ich weiß ja, was sich gehört.
„Du weißt doch, dass ich jetzt manchmal bei Fabienne in der
Bar arbeite. Das ist ganz seriös und ich bin nur hinterm Tresen.“
Natürlich wusste ich, dass Viola öfter, eigentlich seit einigen
Wochen überraschend oft in dem offiziell als BB Bar, und in
Kennerkreisen als Bar Bizarr bezeichneten Club aushilft. Die Gründe,
warum Viola sich mit körperlicher Arbeit unter die Werktätigen
mischt, sind vielfältig und würden den mir bleibenden Platz sprengen.
Darum möchte ich hier auch nicht weiter darauf eingehen.
„Aber Schätzchen, ich weiß doch, dass das ein ganz seriöser
Job ist. Warum entschuldigst du dich dafür.“
Meine liberale Antwort gab Viola das beruhigende Gefühl,
nichts Verbotenes, oder sogar gesellschaftlich Geächtetes zu tun.
Also einer ganz seriösen Tätigkeit nachzugehen, zu der die
Einwilligung ihres Ehemanns nun mal nicht erforderlich ist. Denn
kräftezehrende Arbeit hat Viola als emanzipierte Frau nicht nötig.
Sagt sie jedenfalls und ich glaube Viola jedes Wort.
Sie nahm noch einen Schluck aus dem Glas, gab hinter
vorgehaltener Hand ein kaum hörbares Rülpserchen von sich und
redete dann schnell weiter: „… und ich hab da am Samstag ein Paar
kennen gelernt. Also die sind sehr nett und wir haben uns ganz toll
verstanden.“
Ich schwieg, obwohl mir viele brennende Fragen auf der
Zunge lagen. Immerhin war es sogar mir zu Ohren gekommen, dass in
dem besagten Club das Grundrecht der Bürgerin und des Bürgers auf
Orgien vehement verteidigt wurde. Außerdem wusste ich auch, dass
Viola einen seriösen Ausbildungsplatz bekommen hat, was ja
angesichts des Fachkräftemangels in der Republik auch nicht zu
verachten war. Wir hatten ja vorher die Vor- und Nachteile ausgiebig
diskutiert. Außerdem wusste ich, dass Fabienne (das Ferkel) dort sehr
erfolgreich tätig ist, und ich wusste auch, dass es sich bei Violas
Arbeitsstätte um einen sogenannten Swinger-Club mit
angeschlossenem Studio für konsequente Erziehung handelt.
„Schenk mir erst noch etwas nach, oder ist dein Kühlschrank
schon leer.“ Durch die Umstände gezwungen musste ich kurz
was man nicht dem Ehemann beichtet. Auch nicht dem Pfarrer oder
dem Tagebuch. Ein Geheimnis das Frau nur mit dem besten Freund,
dem Verschwiegenen, teilt.
„Los jetzt erzähl schon. Was war da noch.“ Ich lächelte meine
beste Freundin an, aber tief in meinem Innern war der Wunsch, einen
Mord durch Erwürgen der Schlange zu begehen. Denn wenn ich
etwas hasse, dann sind es intime Geständnisse, die nur
scheibchenweise serviert werden. Aber ich bin ein geduldiger
Mensch mit stahlharten Nerven. Ich stand auf und sagte mit zittriger
Stimme: „Schatz, ich bin gleich wieder da.“ Dann ging ich ins Bad, um
meine kalten Wickel zu erneuern und nach einem
kreislaufstabilisierenden Medikament zu suchen. Wenn Liebe so
anstrengend ist, dann kann es nur daran liegen, dass Mann und Frau
unterschiedliche Startvoraussetzungen haben. Plötzlich war mir klar,
dass der Mann in solchen Situationen eindeutig der Unterlegene ist.
Viertes Kapitel
Fütterungszeiten
„Ich bin nicht dafür verantwortlich, so geworden zu sein, wie ich nun
mal bin. Aber eines weiß ich genau. Nur die Umstände sind schuld,
dass ich so geblieben bin.“
Werner S. aus S.
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D
as mit der Erziehung ist so eine Sache. Also ich finde,
dass es zum Schwierigsten überhaupt gehört, den
Bälgern gute Manieren und Reinlichkeit beizubringen.
Hattest du bei Armin ein besonderes System gehabt? Der hat
bestimmt keine Windeln gebraucht.“
Die helle Frauenstimme schwieg. Nur das Geräusch einer
Fernsehserie und das Gebrabbel eines leiser gestellten, vermutlich
abgehalfterten Moderators, der die kaum verständlichen Worte: „Ein
Teufelskreis“, „Herta“ und „Maika“ sprach, war noch zu vernehmen.
Nach einer kleinen Weile, in der nur der Fernseher für die
Hintergrundgeräusche sorgte, konnte er wie aus weiter Ferne ein
Kichern und das leise Klirren durch das abstellen eines Tellers,
vermutlich auf einem Tisch mit einer Glasplatte hören. Die
sympathisch klingende Frauenstimme sprach weiter: „Ja das klingt
einleuchtend. Du meinst, wenn es bei Armin funktioniert hat, dann
wird ’s auch bei einem Mist-Balg funktionieren?“
Dann war wieder eine kurze, nur von harten kleinen Schritten
unterbrochene Pause.
„Ja aber der Armin ist ja schon ausgewachsen und ein
strammer Kerl. Außerdem hat er ein prachtvolles Gehänge. Ich muss
schon sagen. Kommt Paula damit eigentlich klar …“
Dann war ein leises Kichern im Raum.
„Da hast du recht. So hab ich das noch nie gesehen. Aber
wenn man es so sieht, dann sind Hunde und Bälger wirklich gleich.“
Im Fernseher lief eine Talkshow, bei der es nach dem
Gelächter und den Stimmen um Lampen und Wurstbuden ging.
„Und wie machst du es mit dem Futter? Ach du machst es
warm? Einmal am Tag? Und das reicht dem großen Viech?“
Wieder waren die leisen Geräusche von bewegtem Steingut
und Essbesteck zu hören.
Dann rede die Stimme, diesmal mit scheinbar halbgefülltem
Mund weiter: „Ich hab dem kleinen Teufelsbraten nur die Büchse
aufgemacht und dann alles in den Napf ...“
„Sonst hab ich ihm immer eine Büchse LUX vom Aldi
aufgemacht. Das soll ja gesund sein und es hat ihm ja auch immer
geschmeckt.“
Die Stimme schwieg wieder für einen Moment.
„Du hast doch gesehen was ich ihm füttere. Du hättest mir
ruhig mal einen Tipp geben können, dass das Zeug für Katzen ist.
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„Ich bin doch keine Hausfrau. Ich hab ja nicht gewusst, dass
man die Ravioli zuerst braten muss.“
Harte feste Schritte waren wieder zu hören.
„Nicht braten, kochen? Ach so geht das. Du musst mir mal das
Rezept geben.“
Dann waren wieder Schritte die sich etwas entfernten und
eine sich öffnende Tür zu hören. Ein leises, fast adagio an und
abschwellendes Plätschern, fand im fast surrealistisch melodischen
Klang einzelner, scheinbar immer weniger werdender Tropfen auf
Keramik nicht seinen Ausklang. Den dramatischen Abschluss bildete
das Geräusch einer Wasserspülung. Die Schritte kamen wieder näher
und die Stimme wurde wieder lauter.
„Wenn du meinst, dass ihm kalte Ravioli nicht schaden, dann
bin ich beruhigt.“
Einen Moment war Stille, dann sprach die Frauenstimme
weiter: „Du denkst, dass der kleine Schatz auch damit zufrieden ist,
wenn er es direkt aus der Büchse …“
„Jetzt versteh ich. Er muss lernen wo sein Platz ist und wo sein
Napf steht. Also gut, dann bekommt er in Zukunft sein Fresschen an
seinem Platz und kalt. Wie lange soll ich den Napf stehen lassen?“
Dann schwieg die Stimme für einen Augenblick.
„Nicht bis sich Fliegen drauf setzen? Ja da hast recht, das ist ja
auch nicht schön.“
Die Stimme drang wie aus weiter Ferne an seine Ohren: „Also
beschweren kann ich mich nicht. Reinlich ist er ja, trotz seinem
das Alter und die Tücken des Verschleißes. Darüber war er nicht
traurig, obwohl er wusste, dass der erste Lack langsam aber
kräftigen Hals und der starke Druck im Unterleib kam nicht vom
fehlenden Höschen. Das für Kleinkinder konzipierte Kleidungsstück
war ihm viel zu klein und offensichtlich nicht mit der nötigen Sorgfalt
und nicht mit einem Qualitäts-Weichspüler gewaschen worden. Das
verfilzte Wolle-Acrylgemisch juckte kaum noch erträglich auf seiner
Haut und die Reste der kalten Ravioli-Sauce a la Bolognese, vermischt
mit glibbrigen Champignons aus der Dose, klebte in kalten
angetrockneten Resten an seinem Kinn und seinem Hals. Aber
Werner S. hatte nicht vor seinen Protest hinaus zu brüllen, wie es
Kinder nun mal tun. Werner wollte nicht nur artig, sondern auch
gründlich und sauber sein und seiner strengen Fabienne nicht den
geringsten Anlass zum Tadel geben. Denn eines wusste er genau: So
ein phantasievolles Goldstück ist nicht leicht zu finden.
stoßen.“
weh. Er hatte keine Brille auf und nahm darum seine Umgebung nur
diffus verschwommenen war. Aber Werner konnte ihren schönen,
Liebe ist ein Experiment mit dem Zufall. Ich liebe meine junge
Meisterin. Ach wäre ich noch einmal so jung und warum kann nicht
alles noch einmal neu beginnen. Ich würde so vieles im Leben anders
machen.“ Aber sie gebot ihm mit einem Hieb ihrer kleinen violetten
Lederpeitsche zu schweigen. Dann durfte er die Peitsche wie ein
Stöckchen in den Mund nehmen, und er sah den in goldenen Lettern
eingeprägten Namen „Magistra Fabienne.“
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Fünftes Kapitel
Konsequente Anleitung in zehn Schritten
D
ie Staatskassen sind leer, alle Welt jammert über
fehlende Berufsperspektiven und wenn es nach den
Regierungsverantwortlichen geht, soll sich Deutschland
endlich aufraffen und mehr Eigeninitiative zeigen. Wir schreiben das
Jahr 2009. Schwulsein ist schick, Lesben sind angeblich die letzten
Männer, Frauen können Bundeskanzlerin und Prostituierte
sozialversichert werden. Niemand regt sich mehr auf und nichts ist
wie es mal war.
In der grauen Vorzeit der moralischen Hürden, noch vor
wenigen Jahrzehnten galten Frauen mit kurzen Röcken automatisch
als „Flittchen.“ Die anständige Bürgerin war empört, und der auf
Recht und Ordnung bedachte Bürger sah mit steigenden Rocksäumen
den Untergang der Zivilisation in greifbarer Nähe. Heutzutage regt
sich niemand mehr auf, wenn Modemacher ihre Shows „Prostitution“
Wer sich frei von Zwängen und aus eigenem Antrieb für ein
Engagement als Domina entscheidet, sollte vorbereitet sein. Zum
Beispiel mit professionellem Know-how und dem festen Willen, ein
gewinnorientiertes Unternehmen zu führen. 10 wertvolle Tipps, wie
Frau ihr Business erfolgreich führt und wie man die größten Fehler
vermeidet, habe ich für engagierte Leserinnen zusammengestellt:
Sicherheit geht vor und der eigene Körper ist das Kapital. Auch
eine Domina, oder die Assistentinnen und auch das
Hilfspersonal, können Sex haben. Sex sollte nur mit Kondom
stattfinden. Zum Beispiel kann im niederbayerischen Landshut
das Ordnungsamt ein Bußgeld bis zu 25.000 Euro erheben,
falls es zu ungeschütztem Sex kommt. In etwa sieben Fällen
wurden in jüngster Zeit Prostituierte erwischt, die ohne Schutz
Geschlechtsverkehr ausübten. Die notwendigen
Frau braucht keine Angst zu haben, dass sie von den Nachbarn
aus dem „bürgerlichen“ Umfeld erkannt wird. Milliarden
Bilder geistern durchs Internet und mit etwas Geschick lassen
sich Erkennungsmerkmale wie das Gesicht, oder der
verräterische Hintergrund gut verstecken.
Das Zitat „… lass mich knien ...“ ist von Johann Wolfgang von
Goethe. Aus Faust II, r. Akt.
In eigener Sache
Raoul Yannik
Kurzgeschichten
Schweitzerhaus Verlag ISBN 978-3-939475-06-4
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