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Entschlossenheit Willst du dich mit den Techniken des Wing Tsun gegen einen

körperlich stärkeren Gegner erfolgreich zur Wehr setzen, mußt du den Mangel an Kraft durch
Geschicklichkeit, schnelles Reagieren und entschlossenes Handeln ausgleichen. Die
Geschicklichkeit lernst du bei mir im Unterricht.
Das schnelle Reagieren erreichst du durch geistige Vorbereitung und eine innere
Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstverteidigung. Es gilt, sich auf mögliche
Gefahrensituationen seelisch einzustellen und dann wachsam zu sein. Im Gegensatz zur
üblichen Meinung folgt auf einen Angriff nicht sofort eine Erhöhung der eigenen Erregung.
Zunächst folgt eine Schockphase, die zu einer Art Bewegungsstarre führt. Erst danach folgt
die Erregungserhöhung und die aktiv körperliche Handlungsbereitschaft. Diese Phase kann
zwischen 0,6 und 20 Sekunden dauern. Du hast sicher selbst schon gemerkt, daß du in
unerwarteten Extremsituationen im ersten Moment unfähig bist, sinnvoll zu reagieren. Die
geistige Vorbereitung geschieht einerseits im Training bei den Freikampf-Sequenzen,
andererseits bei dir selbst, indem du dir solche Situationen bildlich möglichst genau und oft
vorstellt. Die ersten paar Male wirst du bei dir eine Aufregung wahrnehmen, als ob du
tatsächlich kämpfen würdest. Diese Trainingsmethode führt zu schnellem Reagieren, die
Faust kommt nicht unerwartet auf dich zu, du kennst die Situation geistig und du kennst auch
die notwendigen Verteidigungsmaßnahmen. Die Schockphase, in der du handlungsunfähig
bist, wird sehr kurz oder fällt ganz weg.
Das entschlossene Handeln erfordert auch eine geistige Vorbereitung. Es kostet oft
Überwindung, einen Angreifer zu verletzen. Dies muß aber sein. Der Angreifer hat keine
Bedenken, dir weh zu tun, oder auch dich schwer zu verletzen oder zu töten. Er ist von
vornherein brutal und nicht durch irgendwelche Überlegungen behindert. Einem brutalem
Angriff kann man aber nur mit harter Gegenwehr erfolgreich entgegentreten. Im Vorfeld
versuchen wir Streit so gut wie nur irgendwie möglich zu vermeiden. Dies ist nicht feige,
sondern klug. Wir müssen nicht zeigen, was wir können. Sobald es jedoch zu Tätlichkeiten
kommt, lassen wir jede Rücksicht hinter uns. Der fortgeschrittene Wing Tsun Kämpfer, der
sich seiner Fähigkeiten voll bewußt ist und kühlen Kopf bewahren kann, kann auch im Kampf
Zurückhaltung üben. Dem Anfänger sei aber gesagt, daß er nur durch entschlossenes
Vorgehen seine eigene Angst überwindet und die Energie, die ihm die Angst gibt, zur
erfolgreichen Verteidigung nutzen kann.
Denken wir an die Schulen der Samurai, die ständig um ihr Leben kämpfen mußten. Im
Training gab es nur Vorwärtsschritte, und niemals durfte man zurückweichen. Bedenke auch,
daß auf den ersten Rückwärtsschritt der zweite folgt, der den Angreifer ermutigt und dich
entmutigt. Erst der Meister benutzte auch Rückwärtsschritte. Hat man sich für Kampf
entschieden, gibt es für Zweifel keinen Platz mehr. Alle Energie gilt der Niederwerfung des
Angreifers.

Die Taktik des entschlossenen Handelns wird von allen Straßenkämpfern erfolgreich benutzt.
Wir sind keine Schläger, aber aus der Beobachtung von Straßenkämpfen zu lernen und
Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, ist weise. Hier an dieser Stelle sei auch einmal vor der
Heimtücke und Hinterlist von Schlägern gewarnt. Unerwartete Angriffe, Weggehen und
dann doch angreifen, Gläser und Sonstiges dem Opfer ins Gesicht werfen oder schütten, die
Hand zur Versöhnung reichen und gleichzeitig das Knie in den Unterleib rammen, so wird oft
gearbeitet. Auch der Kopfstoß ist sehr beliebt. Eine der schlimmsten Geschichten, die ich je
gehört habe, hat sich so abgespielt. Person A sitzt am Tisch und fühlt sich belästigt. Der
"Belästiger" steht vor ihm am Tisch und fordert ihn heraus. A rammt ihm das volle Bierglas
ins Gesicht. Kampf zu Ende. Gibt es hier erkennbare Gesetze der Kampftaktik? Wenn Ja,
welche?
Schläger haben im Regelfall ein kleines Repertoire von Box- und Trittechniken, das sie aber
rücksichtslos einsetzen. Für einen trainierten Wing Tsun Anwender rein technisch gesehen
keine Herausforderung. Es wäre Übertreibung, die Niederwerfung eines solchen Angreifers
als Kampf zu bezeichnen. Vorausgesetzt, der WT-Anwender benutzt seine Techniken mit der
gleichen Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit. Denken Sie nicht an Notwehrparagraphen,
sondern an die eigene Gesundheit. Es ist nicht möglich, gleichzeitig die eigene Gesundheit
und die Gesundheit des Angreifers zu schützen. Jedes Zögern macht die erfolgreiche
Verteidigung schwerer oder unmöglich. Aus den, glücklicherweise nicht allzu vielen,
Kampfberichten meiner Schüler und Schülerinnen weiß ich, daß entschlossenes Handeln
wichtiger ist als Schülergrad oder Leistungsstand. Denke darüber nach.

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