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Interpretation

Max Bolliger: Sonntag


Die vom Schweizer Schriftsteller Max Bolliger verfasste, zeit- und ortslose Kurzgeschichte
„Sonntag“ wurde 1985 veröffentlicht. Die Protagonisten Daniela, ihre Mutter und ihr Vater
sowie Danielas Freund Heinz agieren in dieser Geschichte. „Sonntag“ thematisiert das
‚Schicksal von Scheidungskindern‘, die sich bereits im Kindesalter mit den Problemen der
eigenen Eltern auseinandersetzen müssen und darunter zu leiden haben.
Die fast dreizehnjährige Gymnasiastin Daniela lebt als ‚Scheidungskind‘ bei ihrer Mutter. Sie
besucht sonntags regelmäßig ihren Vater, der sich – wie auch ihre Mutter – recht wenig für ihre
Persönlichkeit interessiert. Mit ihrem Vater, einem Ingenieur, isst sie in einem Restaurant. Sie
unterhalten sich über sachliche Dinge wie über ihre Schulleistungen sowie darüber, ob er ihr
einen Wintermantel kaufen könne, da ihre Mutter auf das Geld ihres Vaters angewiesen ist.
Anschließend fahren sie am See entlang zu einer Terrasse an diesem Gewässer. Sie sprechen
über seine beruflichen Aktivitäten sowie über ihre Alter. Danach bringt er sie nach Hause, da er
noch eine Verabredung hat. Sie sprechen über die Ereignisse ihres Sonntag-Besuchs und
darüber, dass der Wintermantel vom Vater finanziert wird. Ihre Mutter meint, dass ihr Vater sie
nur sehen möchte, da es das Gericht so entschieden hat und um ihre Mutter zu ärgern, worauf
Daniela wütend wird. Daniela geht in die Disko, während sich ihre Mutter, wie jeden Sonntag,
entspannt. In der Disko setzt sie sich zu ihrem Freund Heinz und redet mit ihm über ihren
„schlimmen“ Sonntag. Er beruhigt sie und sie beide denken über ihre familiäre Zukunft nach
und versprechen einander, nicht den Fehler wie ihre Eltern zu machen, sich scheiden zu lassen
und ihre Kinder damit schwerwiegend zu belasten.
Daniela ist ein fast dreizehnjähriges, pubertierendes Mädchen. Sie ist Schülerin eines
Gymnasiums, dessen Anforderungen sie in allen Fächern abgesehen von Mathematik und
Französisch meist gerecht wird. Die Schule ist ihr nicht so wichtig. Sie hätte auch gerne ein
„Schwesterchen“ (vergleiche: Seite 80, Zeile 12/13). Doch am meisten machen ihr ihre Eltern,
die sich bereits im Kindesalter Danielas geschieden haben, zu schaffen. Außerdem fühlt sie sich
dadurch gestört, dass ihre Eltern sich gegenseitig hinter dem Rücken des Anderen vor Danielas
Augen immer schlecht reden (siehe zum Beispiel: S. 82, Z. 11–14). Vor allem möchte sie in
einer ‚heilen‘ Familie sowie in einer freien Umwelt leben. Sie will ihr Leben leben und nicht
durch die Trennung ihrer Eltern eingeschränkt werden. Als einzige Person unterstützt sie ihr
Freund Heinz. Er hat Verständnis dafür, wie es ihr ergeht. Sie tauschen sich auch aus, denken
darüber nach, wie sie als Familie – wenn sie Kinder haben – leben werden und gestalten ihre
Träume über eine bessere Welt aus. Doch um es besser zu machen, fehlt ihnen sowohl ein
Vorbild als auch die Erfahrung. Deshalb wird es wohl überaus schwer für sie, ihren Traum zu
verwirklichen.
Danielas Mutter arbeitet halbtags in einer Modeboutique, weshalb sie und ihre Tochter auf die
Alimente (umgangssprachlich: Unterhaltsbeiträge) des Vaters angewiesen sind. Außerdem lehnt
sie sich jeden Sonntag zurück und möchte ihre Ruhe haben. Hinzukommend interessiert sie
sich sehr wenig für ihre Tochter. Sie beschäftigt sich nur mit ihren eigenen Problemen und
Wünschen, statt die Tochter in solch besonders für Kinder schwierigen Zeiten zu unterstützen.
Überdies ist das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihrer Tochter sehr gestört, da sie
Daniela fragt, bevor sie weggeht, ob sie keine Hausaufgaben zu machen habe und bittet sie,
nicht zu spät nach Hause zu kommen (vgl.: S. 82, Z. 25–30).
Zudem ist Danielas beinahe vierzigjähriger Vater als Bau-Ingenieur tätig (s.: S. 81, Z.
12–17). Er hat ein braun gebranntes Gesicht mit einem Schnurrbart und ein sportliches
Auftreten (entsprechend: S. 81, Z. 14/15). Ferner interessiert er sich sehr viel mehr für sein
Leben – für sein Auto, seinen Beruf und so weiter. Er führt auch nur sachliche Konversationen
mit seiner Tochter (s. z. B.: S. 80, Z. 14–17). Doch noch schlimmer ist es für die familiäre
Beziehung, dass er nur sehr wenig über seine Tochter weiß: „Wie alt bist du eigentlich?“, fragt
er sie (vgl.: S. 81, Z. 20). An den Sonntagen, an denen er sich mit Daniela trifft, wirkt er immer
erleichtert, wenn die Treffen sich dem Ende neigen (s.: S. 82, Z. 1–3). Daniela ist auch über jede
Unterbrechung der Unterhaltung mit ihrem Vater glücklich (entspr.: S. 80 Z. 24).
In einem Abbild von Danielas Lebenssituation muss auch ihr Freund Heinz sein Leben
gestalten. Er ist sechzehn Jahre alt und ist ebenfalls ein ‚Scheidungskind‘ (vgl.:
S. 83, Z. 9/10). Daniela und er verstehen sich sehr gut, da sie dasselbe Leid teilen müssen. Er
verbringt wahrscheinlich fast jede freie Minute mit ihr, wenn es ihre Situationen gestatten.
Ohne ihre gute Beziehung hätten sie beide viel größere Schwierigkeiten diese sehr
unangenehme Zeit durchzustehen und ständig neuen Mut zu fassen, um mit viel Freude zu
leben.
Die Kurzgeschichte „Sonntag“ beginnt – wie für diese Textart üblich – mitten im Geschehen.
Es entsteht kaum Spannung, da keine spannungserweckenden Fragen aufgeworfen werden. Der
Text wirkt auf den Leser eher gefühllos, da kaum Adjektive verwendet werden. Doch durch die
wörtliche Rede zeigt sich die Geschichte von der lebendigeren Seite, während auf gedankliche
Rede verzichtet wird. Den Höhepunkt stellt das Treffen mit Heinz in der Disco dar, da er sie
fragt, ob sie den Sonntag überstanden hätte (s.: S. 83, Z. 14). Zudem gibt es sogar mehrere
Wendepunkte: Zum Ersten, dass Daniela am Anfang der Geschichte noch recht kindlich wirkt
und sich später von der recht erwachsenen Seite zeigt; zum Zweiten wird eine anfangs nicht
ersichtliche Sehnsucht gegen Ende sehr deutlich.
Zudem wird dieser epische Text von einem allwissenden, objektiven Erzähler (auktorial), der
nicht in die Geschichte involviert wird, geschildert. Er erzählt die Geschichte sehr sachlich und
geht kaum auf die Gefühle der Protagonisten ein und versucht diese mittels Ereignissen sowie
Taten dem Leser zu vermitteln. Überdies verwendet er recht kurze sowie einfache Sätze – also
überwiegend nur Hauptsätze. Das Geschehen des Textes ist chronologisch gegliedert und es
werden weder Voraus- noch Zurückblenden integriert. Außerdem hat dieser Text ein offenes
Ende, das mit wörtlicher Rede gestaltet ist.
Im Text kann man einige Metaphern entdecken: Die „Segelschiffe“ (vgl.: S. 81, Z. 31)
verkörpern den Willen Danielas nach Freiheit, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Ferner
spielt die „Tür“ (s.: S. 82, Z. 31) eine wichtige Rolle: Als Daniela die Disko betritt, öffnet sich
eine Tür für sie – sie gelangt in ihre eigene Welt, in der sie mit Heinz ihre Ideale gestaltet und
ihre familiäre Welt später zum Guten wenden möchte.
Die Kurzgeschichte „Sonntag“ trägt den Namen dieses Wochentages, da sie an einem Sonntag
spielt. Ein weiterer Faktor ist, dass der Vater seine Tochter Daniela nur sonntags trifft, weil er
und seine Frau geschieden sind. Außerdem ist er ein typischer Sonntag und für die Beteiligten
der fürchterlichste Wochentag.
Ich finde es überaus wichtig, dass die negativen Effekte von Scheidungen auf Kinder einmal
deutlich veranschaulicht und anhand eines Beispiels erläutert werden. Bereits in der Pubertät
macht sich Daniela über eine zukünftige Ehe Gedanken und sie nimmt sich vor, dieses
„Trauma“ ihren Kindern nicht anzutun. Dass sie sich bereits damit beschäftigt, ist meines
Erachtens recht früh. Ich bin der Meinung, dass Geschichten, die Lehren vor allem zum Alltag
vermitteln, lobenswert und genauso bedeutend sind und empfehle deshalb auch, diese
Kurzgeschichte einmal zu lesen. (≈ 1208 Wörter)

Verwendete Literatur: Theodor Karst (Hrsg.): Arbeitstexte für den Unterricht. Generationen.
Geschichten über Junge und Alte. Reclam Verlag (Universal-Bibliothek), Stuttgart 1999.
ISBN 3-15-015042-6. S. 80–83 (35. Text).

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