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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

STRAFRECHT

Allgemeiner Teil nach Kienapfel

Basis für die Diplomprüfung aus Strafrecht 2003

Michael Akhavan - Aghdam

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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GRUNDBEGRIFFE IM STRAFRECHT

I. SACHVERHALT

Das ist das TATSÄCHLICHE GESCHEHEN, das auf rechtliche Relevanz zu


untersuchen ist.

II. AUSLEGUNG und DEFINITION

Eine Auslegung ist eine nähere Erklärung des Inhalts eines Begriffs durch andere
Begriffe.

Eine DEFINTION ist das Ergebnis einer Auslegung (in zusammengefasster


Form).

Dabei ist generell zu beachten, dass juristische Definitionen mitunter erheblich


vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen.

Mitunter finden sich im Gesetz LEGALDEFINITIONEN welche die Auslegung


erleichtern mitunter aber ihrerseits wieder ausgelegt werden müssen.

III. SUBSUMTION

Mit Subsumtion wird der FORMALLOGISCHE SCHLUSS von einem bestimmten


Sachverhalt auf einen abstrakten gesetzlichen Begriff bezeichnet. Die
Subsumtion ist also die Untersuchung ob ein bestimmter Sachverhalt ein
gesetzliches Merkmal oder seine Definition erfüllt oder nicht.

Dabei sind nicht nur Rechtsbegriffe auslegungsbedürftig sondern mitunter auch


Erklärungen und Sachverhalte.

IV. TATBESTAND, DELIKT und VERBRECHEN

Der TATBESTAND ist die gesetzliche Beschreibung eines STRAFRECHTLICH


VERBOTENEN VERHALTENS. TATBESTANDSMERKMALE sind alle
MERKMALE aus denen sich der TATBESTAND eines DELIKTS zusammensetzt.

Ein Verhalten das SÄMTLICHE Tatbestandsmerkmale eines Delikts erfüllt ist


TATBESTANDSMÄSSIG!

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Ein DELIKT (strafbare Handlung) ist die gesetzliche Beschreibung eines


strafrechtlich verbotenen Verhaltens einschließlich Strafdrohung.

DELIKT = TATBESTAND + STRAFDROHUNG

Je nach Höhe der Strafdrohung unterscheidet man Delikte in VERGEHEN ( bis 3


Jahre Strafdrohung) und VERBRECHEN (über 3 Jahre und lebenslänglich).

V. RECHTSGUT und TATOBJEKT

Rechtsgüter sind strafrechtlich geschützte Werte die für das menschliche


Zusammenleben unentbehrlich sind.

Man unterscheidet die Rechtsgüter des einzelnen und die Rechtsgüter der
Allgemeinheit.

Das TATOBJEKT ist der Gegenstand an dem sich der Angriff auf das geschützte
Rechtsgut in concreto auswirkt. Das Rechtsgut ist der ideelle Wert der dahinter
steht.

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STRAFEN und VORBEUGENDE MASSNAHMEN

Das österreichische Strafrecht beruht auf dem SYSTEM der ZWEISPURIGKEIT. Das
bedeutet, dass von den Strafgerichten

a) STRAFEN und
b) VORBEUGENDE MASSNAHMEN

verhängt werden können.

STRAFE

Eine STRAFE ist ein mit TADEL VERBUNDENES ÜBEL, das von einem
STRAGERICHT aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt
wird.

Die SCHULD ist demnach nicht nur Voraussetzung sondern auch GRENZE. Das
Maß der Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen.

Der Zweck der Strafe ist: VERGELTUNG, GENERALPRÄVENTION und


SPEZIALPRÄVENTION.

Jedermann widerfahre das was seine Taten wert sind (Kant). Anstelle der Vergeltung
wird auch GERECHTER SCHULDAUSGLEICH verwendet.

Der Gedanke der Generalprävention ist der erzieherische Gedanke, also um der
Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegen zu wirken. Aber in keinem
Fall darf die Strafe höher als die Schuld ausfallen – auch nicht aus
generalpräventiven Gründen.

Die Spezialprävention richtet sich nach der Gefährlichkeit des einzelnen. Strafen
werden aus spezialpräventiven Gründen verhängt, damit der Täter von künftigen
strafbaren Handlungen abgehalten wird.

Die Vereinigungstheorie fordert, dass Strafen aus allen drei Gründen verhängt bzw.
dass diese berücksichtigt werden. Es mehren sich zunehmend die Stimmen, die
verlangen, dass der Vergeltungsgedanke als Strafzweck keinen Platz hat.

Die Strafe hat TADELSWIRKUNG (sozialethisches Unwerturteil) als auch


ÜBELWIRKUNG (Freiheits- oder Vermögenseinbussen). Darüber hinaus wird auch
das soziale Ansehen und das berufliche Fortkommen des Täters beeinträchtigt.

Die Freiheitsstrafe ist heute eine Einheitsstrafe. Die Unterscheidung zwischen Kerker
und Arrest gibt es nicht mehr.

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VORBEUGENDE MASSNAHME

Diese Maßnahme knüpft ausschließlich an der BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT


des Täters.

Ebenso wie bei der Strafe ist die BEGEHUNG einer STRAFBAREN TAT
VORAUSSETZUNG einer vorbeugenden Maßnahme. D.h. vorbeugende
Maßnahmen KÖNNEN IMMER nur WEGEN EINER ANLASSTAT angeordnet
werden.

Eine vorbeugende Maßnahme ist ein NICHT MIT TADEL verbundenes ÜBEL,
das wegen einer strafbaren Handlung von einem Strafgericht aufgrund und
nach Maßgabe der BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT des TÄTERS verhängt
wird.

Eine vorbeugende Maßnahme KANN NIEMALS aus generalpräventiven Gründen


verhängt werden. Sie ist AUSSCHLIESSLICH aus SPEZIALPRÄVENTIVEN
ZWECKEN zu verhängen und BEDARF einer BESONDEREN GEFÄHRLICHKEIT
des Täters!

Diese Maßnahme blickt alleine in die Zukunft. Es geht AUSSCHLIESSLICH darum


der künftigen Gefährlichkeit dieses Täters entgegen zu wirken.

Alle vorbeugenden Maßnahmen SETZEN eine SPEZIFISCHE GEFÄHRLICHKEITS-


PROGNOSE voraus. Ohne diese KANN KEINE vorbeugende Maßnahme verhängt
werden.

Dabei kommen DREI ARTEN in Betracht:

- § 21 ANSTALT für GEISTIG ABNORME RECHTSBRECHER

- § 22 ANSTALT für ENTWÖHNUNGSBEDÜRFTIGE RECHTSBRECHER

- § 23 ANSTALT für GEFÄHRLICHE RÜCKFALLSTÄTER

Der Freiheitsentzug ist eine unbeabsichtigte Übelswirkung der vorbeugenden


Maßnahmen.

Wenn Schuld und besondere Gefährlichkeit zugleich vorliegen können auch Strafe
und vorbeugende Maßnahme NEBENEINANDER verhängt werden.

VIKARIIEREN bedeutet, dass die vorbeugende Maßnahme unter VOLLER


Anrechung auf die Strafe vor dieser „stellvertretend“ zu vollziehen ist. Das gilt NICHT
für § 23 (GEFÄHRLICHE RÜCKFALLSTÄTER)! (vgl. § 24 Abs 2 StGB)

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STRAFE VORBEUGENDE MASSNAHME

Zweck: Zweck:
Vergeltung, Spezial- und General- Spezialprävention
prävention
Voraussetzung + Grenze:
Voraussetzung + Grenze: besondere Gefährlichkeit des
Schuld des Täters Täters

Tadel? Tadel?
Ja nein

Übel? Übel?
Ja Ja – aber ungewollt

Auch von Sachen kann eine besondere Gefahr für die Zukunft ausgehen! Dafür ist im
StGB § 26 vorgesehen (EINZIEHUNG). Davon zu UNTERSCHEIDEN ist der
VERFALL.

Der Verfall (gem § 20 StGB) ist eine NEBENSTRAFE, die EINZIEHUNG eine
VORBEUGENDE MASSNAHME!

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RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE

RECHTFERTIGUNSGGRÜNDE beschreiben Voraussetzungen unter denen


tatbestandsmäßige Handlungen von der Rechtsordnung gebilligt werden.

Tatsächlich ist es so, dass Rechtfertigungsgründe kollidierende Interessenkonflikte


lösen sollen.

Es gibt GESCHRIEBENE und UNGESCHRIEBENE RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE.

geschriebene:

- Notwehr
- elterliches Erziehungsrecht
- Einwilligung
- Anhalterecht
- Behördliche Genehmigung
- Dienstliche Weisung und Recht zum Schusswaffengebrauch

ungeschriebene:

- rechtfertigender Notstand (übergesetzlicher Notstand)


- allgemeines Selbsthilferecht

REGEL AUSNAHME PRINZIP

Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Liegt ein Rechtfertigungs-


grund vor, dann entfällt das Unrecht.

Ein Rechtfertigungsgrund ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit (!) – kann ja


gar nicht sein. Wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt kann also weder eine Strafe,
noch eine vorbeugende Maßnahme verhängt werden.

Prinzipiell dürfen dabei jedoch nicht die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes


überschritten werden.

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FALLPRÜFUNGSSCHEMA

Prinzipiell ist nach folgendem Aufbau zu prüfen:

A) HANDLUNG ? (nur wenn Zweifel)

B) TATBESTANDSMÄSSIG ?

C) RECHTSWIDRIG ? (evtl. Rechtfertigungsgrund?)

D) SCHULDHAFT ?

A) HANDLUNG

Wenn der Handlungsbegriff nicht erfüllt ist, dann liegt auch keine Strafbarkeit vor!
Wenn das Verhalten nicht vom Willen beeinflussbar ist, dann ist der Handlungsbegriff
nicht erfüllt.

Das ist der Fall bei

- Schlafenden

- Bewusstlose

- Körperreflexe
(Kniesehnenreflex, Krampfanfall etc. aber nicht automatisierte Handlungen!)

- „vis absoluta“
(unwiderstehliche Gewalt – vgl. vis compulsiva willensbeugende Gewalt)

Wenn nicht einmal der Handlungsbegriff erfüllt ist, dann ist die weitere Prüfung des
Sachverhaltes einzustellen weil nicht mehr nötig.

NB: TUN und UNTERLASSEN gehören beide zum HANDLUNGSBEGRIFF ! Nicht


nur jemand der etwas tut sondern auch derjenige der etwas unterlässt handelt iSd
StGB. Wobei unterlassen nur dafür steht, dass jemand etwas bestimmtes das ER
HÄTTE TUN MÜSSEN nicht tut.

UNTERLASSEN IST NICHTVORNAHME GEBOTENEN TUNS !

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TATBESTANDSMERKMALE

OBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE beziehen sich auf das ÄUSSERE


ERSCHEINUNGSBILD des deliktischen Geschehens.

Beim Diebstahl sind die objektiven Tatbestandsmerkmale so zum Beispiel:

- Sache
- Fremd
- Beweglich und
- Wegnehmen

Auch Qualifikationen (Wert etc.) gehören zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen.

SUBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE beziehen sich auf Zustände die im


seelischen Bereich des Täters liegen.

Beispiele dafür sind:

- Bereicherungsvorsatz
- Täuschungsvorsatz

Der TATBESTAND ist die SUMME alle OBJEKTIVEN und SUBJEKTIVEN


TATBESTANDSMERKMALE eines DELIKTS ! Wer alle Tatbestandsmerkmale eines
Delikts erfüllt handelt tatbestandsmäßig.

Die Summe aller objektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts heißt


GESETZLICHES TATBILD.

Die Summe der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Delikts heißt


SUBJEKTIVER TATBESTAND.

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DELIKTSGRUPPEN

Zu unterscheiden sind BEGEHUNGSDELIKTE und UNTERLASSUNGSDELIKTE.

Begehungsdelikte sind Delikte bei denen das Gesetze ein bestimmtes Tun mit Strafe
bedroht (Gros aller Delikte im StGB).

Echte UNTERLASSUNGSDELIKTE sind Delikte bei denen das Gesetz die


NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN TUNS mit STRAFE BEDROHT.

Bei den BEGEHUNGSDELIKTEN unterscheidet man zwischen:

I. ERFOLGSDELIKTE
Erfolg ist ein von der Tat gedanklich abtrennbare Wirkung in der
Außenwelt. Eintritt des Todes, Eintritt der Schädigung, Eintritt des
Vermögensschadens etc.

II. ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE


Dabei sieht das Gesetz eine höhere Strafe vor wenn durch die
Verwirklichung eines bestimmten Grunddelikts eine besondere Folge der
Tat herbeigeführt worden ist (Körperverletzung mit Todesfolge etc.)

Davon zu unterscheiden sind die qualifizierten Erfolgsdelikte – das ist ein


ganz normales Erfolgsdelikt bei dem das Gesetz an den Eintritt eines
bestimmten Umstandes eine höhere Strafe knüpft. Dafür gelten immer die
Vorschriften des § 7 Abs 1 – der VORSATZ des TÄTERS MUSS sich auf
den QUALIFIZIERENDEN ERFOLG dh insb auch auf die Wertqualifikation
beziehen.

III. SCHLICHTE TÄTIGKEITSDELIKTE


Hier erschöpft sich der Tatbestand an der Vornahme eines bestimmten
Tuns. Der Eintritt eines bestimmten „Erfolgs“ wird nicht vorausgesetzt.

EG: falsche Beweisaussage oder Blutschande

Weiters wird unterschieden zwischen Vorsatzdelikten und Fahrlässigkeitsdelikten.


Die meisten der im StGB angegebenen Delikte sind Vorsatzdelikte. Gemäß § 7 Abs
1 ist fahrlässiges Handeln nur dann strafbar wenn es vorsätzlich ist.

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DAUERDELIKTE

Bei einem Dauerdelikt beginnt das Unrecht der tat mit der Vornahme der handlung
und endet erst mit ihrem Aufhören. Je länger also die Handlung dauert umso größer
ist das Unrecht.

NB: RECHTLICH VOLLENDET sind Dauerdelikte bereits mit Vornahme der


Handlung!

Bei einer vorzeitigen Beendigung der Tathandlung kann der Täter SICH ALSO
NICHT AUF RÜCKTRITT gem. § 16 berufen !

Die VERJÄHRUNG beginnt erst mit der tatsächlichen Beendigung der Handlung.

Ab Vollendung bis zur tatsächlichen Beendigung ist sowohl BETEILIGUNG (§ 12) als
auch BEGÜNSTIGUNG ( § 299) möglich!!!

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KAUSALITÄT

Das Problem der Kausalität STELLT SICH NUR BEI ERFOLGSDELIKTEN. Die
meisten Delikte im StGB sind allerdings Erfolgsdelikte.

Die KAUSALITÄT sagt aus, ob ein Tun (oder „nicht Tun“) einen bestimmten Erfolg
verursacht hat.

GRUNDSÄTZE

I. ES KOMMT IMMER NUR AUF DEN WIRKLICHEN


GESCHEHENSABLAUF UND DEN ERFOLG IN SEINER KONKRETEN
GESTALT AN!
Hypothetische Kausalverläufe sind irrelevant!

II. DIE URSÄCHLICHKEIT EINES BESTIMMTEN TUNS WIRD NICHT


DADURCH IN FRAGE GESTELLT, DASS AUCH ANDERE UMSTÄNDE
ZUM ERFOLG BEIGETRAGEN HABEN.

III. JEDER UMSTAND – AUCH WENN ER NUR DAS GERINGSTE DAZU


BEIGETRAGEN HAT – WAR URSACHE!!!!!
ALLE URSACHEN SIND ÄQUIVALENT!!!! (ÄQUIVALENZTHEORIE)

Die Kausalitätsformel der Äquivalenztheorie lautet: ein Tun ist kausal für einen
Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner
konkreten Gestalt entfiele! CONDITIO SINE QUA NON (CSQN).

Daraus ergeben sich ein paar Schlussfolgerungen:

1.) Es GIBT KEINEN UNTERSCHIED zwischen nahen, entfernten, typischen,


atypischen, normalen oder zufälligen Ursachen etc.

2.) Kausalität besteht AUCH dort wo BESONDERE KÖRPERLICHE oder


GEISTIGE VERHÄLTNISSE des VERLETZTEN zum Erfolg verholfen haben
(z.B. Bluter etc.)

3.) Die Kausalitätsformel ENDET aber IMMER bei unserem DEREZITIGEM


ERFAHRUNGSWISSEN

4.) Kritik wegen uferloser Weite der Äquivalentheorie

5.) Eine UNTERBRECHUNG des KAUSALZUSAMMENHANGES GIBT ES


NICHT – wohl aber eine überholende Kausalität. (Grenze beim grob
unverständlichen Verhalten des Opfers).
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KAUSALITÄT UND OBJEKTIVE ZURECHNUNG

Wegen der schier uferlosen Weite der Äquivalenztheorie hat sich heute der
BEGRIFF DER OBJEKTIVEN ZURECHNUNG durchgesetzt.

Die objektive Zurechnung ist ein normatives TATBESTANDSMERKMAL von allen


vorsätzlichen und fahrlässigen Erfolgsdelikten und ist IM ANSCHLUSS AN DIE
BEJAHUNG DER KAUSALITÄT zu prüfen.

idR indiziert die Kausalität die OBJEKTIVE ZURECHNUNG des Erfolgs. Daher ist
nur ausnahmsweise darauf einzugehen – wenn indiziert.

NB: KAUSALITÄT DARF NICHT MIT SCHULD VERWECHSELT WERDEN !

Dass ein Tun kausal war bedeutet nicht dass es schuldhaft war (vgl. Notwehr). Die
Kausalität ist vor der Schuldfrage zu prüfen.

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NOTWEHR

Sämtliche Rechtfertigungsgründe haben die gleiche GRUNDSTRUKTUR:

a) RECHTFERTIGUNGSSITUATION

b) RECHTFERTIGUNGSHANDLUNG

c) SUBJEKTIVES RECHTFERTIGUNGSELEMENT

Die NOTWEHR hat DREI STRUKTURELEMENTE:

1.) die NOTWEHRSITUATION

2.) die NOTWEHRHANDLUNG und

3.) der VERTEIDIGUNGSWILLE

1.) DIE NOTWEHRSITUATION

Sie wird durch:

einen GEGENWÄRTIGEN oder UNMITTELBAR DROHENDEN RECHTSWIDRIGEN


ANGRIFF AUF EIN NOTWEHRFÄHIGES RECHTSGUT begründet.

Diese Situation muss tatsächlich vorliegen – die bloße Vorstellung des Täters reicht
nicht dazu!

Ein ANGRIFF ist JEDES MENSCHLICHE Verhalten, das eine Beeinträchtigung von
Rechtsgütern befürchten lässt. Der Angriff muss nicht gewollt oder ein aktives
Verhalten voraus und kann auch schuldlos sein. Selbst ein pflichtwidriges
Unterlassen kann ein Angriff sein. Tierattacken oder Naturereignisse kommen nicht
in Betracht! Aber wenn jemand ein Tier auf ein Opfer hetzt ist das idR als Angriff zu
werten.

Es gibt allerdings eine BAGATELLSCHWELLE. Rechtsgutbeeinträchtigungen


unterhalb der Bagatellschwelle sind noch KEINE ANGRIFFE und begründen daher
keine Notwehrsituation. (Rempeln beim Sport, Krampusumzug etc.)

Auch bei unklarer Rollenverteilung (Rangelei die in Rauferei ausartet z.B.) kann sich
idR keiner der Kontrahenten auf Notwehr berufen (wer ist Opfer – wer ist Täter ?).

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Es gibt ZEITLICHE SCHRANKEN. Der Angriff muss GEGENWÄRTIG SEIN oder


UNMITTELBAR DROHEN.

Wenn der Angriff ABGEWEHRT, AUFGEGEBEN oder die Handlung


ABGESCHLOSSEN ist, kommt Notwehr nicht mehr in Frage.

Daher darf man dem flüchtenden Dieb die Beute wieder abnehmen aber NICHT auf
den OHNE BEUTE FLÜCHTENDEN SCHIESSEN!

RECHTSWIDRIG ist ein ANGRIFF wenn KEINE RECHTFERTIGUNSGGRÜNDE


vorliegen (also kein Anhalterecht, Erziehungsrecht etc.).

GEGEN NOTWEHR GIBT ES KEINE NOTWEHR.

2.) DIE NOTWEHRHANDLUNG

Dabei geht es um das WIE? Gerechtfertigt IST IMMER NUR DIE NOTWENDIGE
VERTEIDIGUNG. Jede ÜBERSCHREITUNG der ZULÄSSIGEN INTENSITÄT der
Verteidigung schließt die Berufung auf Notwehr aus.

Die Notwendigkeit der Verteidigung liegt im Schnittpunkt der beiden diametral


entgegengesetzten Erwägungen:

einerseits muss dem Angegriffenen ein möglichst SOFORTIGER und


ENDGÜLTIGER SCHUTZ garantiert werden und

andererseits hat die Abwehrmaßnahme dem POSTULAT der GRÖSSTMÖGLICHEN


SCHONUNG des ANGREIFERS zu genügen.

Daraus folgt:

NOTWENDIG IST DIE VERTEIDIGUNG DIE UNTER DEN VERFÜGBAREN


MITTELN DAS SCHONENDSTE DARSTELLT UM EINEN ANGRIFF SOFORT UND
ENDGÜLTIG ABZUWEHREN!

Bei den objektiven Kriterien muss bewertet werden: Art und Wucht sowie Intensität
des Angriffs sowie die Gefährlichkeit des Angreifers und die zur Verfügung
stehenden Mittel. Die RSpr zieht dabei auch körperliche Unterlegenheit ins Kalkül.

Vor allem in Fällen die zum TOD oder zu SCHWEREN VERLETZUNGEN des
Angreifers führen sehen sich die Gerichte genau an ob unter mehreren verfügbaren
Mitteln das für den Angreifer am wenigsten schädliche und gefährliche ausgewählt
wurde.

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Problematisch ist das Schießen auf einen überraschten oder flüchtenden Dieb oder
Einbrecher. Ein solcher lebensgefährdender Waffengebrauch ist für Exekutivbeamte
allenfalls nach Maßgabe des § 7 Z 3 WaffGG zulässig – für den Privatmann dagegen
nach Maßgabe der NOTWENDIGKEIT des § 3 zulässig.

Soweit Zeit und Situation es erlauben bedarf der Einsatz von Schusswaffen idR
eines ABGESTUFTEN VORGEHENS (ANDROHUNG, WARNSCHUSS, SCHUSS).
Auf andere Verteidigungsmittel lassen sich diese Stufenüberlegungen nicht
anwenden.

ABER: IST DIE NOTWEHRHANDLUNG NACH ART UND ANLASS ZULÄSSIG


SOLLTE DER MASSSTAB NICHT KLEINLICH SEIN!

Strafunmündigen und Geisteskranken muss man ausweichen wenn man schon


dadurch das Rechtsgut schützen kann. Das gilt nicht bei berauschten Personen.

ABSICHTSPROVOKATION: Wer den Angriff absichtlich herausgefordert hat um


einen Vorwand zu haben den Angreifer zu verletzen muss dem Angriff selbst um den
Preis einer kleinen Körperverletzung ausweichen.

NOTWEHREXZESS:

In dem Moment als der Verteidiger das MASS des zur ABWEHR NOTWENDIGEN
überschreitet wird aus der NOTWEHRHANDLUNG ein RECHTSWIDRIGER
ANGRIFF, gegen den NOTWEHR zulässig ist (INTENSIVER NOTWEHREXZESS).

In § 3 Abs 2 ist eine Sonderregelung enthalten wenn die Überschreitung lediglich aus
Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschah – in dem Fall haftet der exzessiv
Handelnde nur wegen des entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikts. Wenn der
EXZESS aus anderen Gründen erfolgte haftet der Exzedierende wegen VORSATZ!!!

3.) DER VERTEIDIGUNGSWILLE

Zu den beiden Elementen NOTWEHRSITUATION und NOTWEHRHANDLUNG


muss noch der VERTEIDIGUNGSWILLE als SUBJEKTIVES RECHTFERTIGUNGS-
ELEMENT hinzukommen!

Nach hM genügt schon das Wissen um das Vorliegen einer Verteidigungssituation.


Wenn der Täter alle objektiven aber nicht die subjektiven Voraussetzungen erfüllt ist
die Meinung gespalten. Die traditionelle Auffassung nimmt VOLLE
RECHTFERTIGUNG an – und damit STRAFLOSIGKEIT. Nach Kienapfel haftet der
Täter wegen vollendeter Tat – aber ist milder zu bestrafen. § 3 kommt selbst dann
zur Anwendung wenn ZORN, WUT, ERBITTERUNG oder HASS im Spiel war.

Weder Verteidigungswille noch Notwehrsituation wird durch Vorsatz ausgeschlossen!


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RECHTSMISSBRAUCHKORREKTIV

Wenn OFFENSICHTLICH ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil
droht UND die Verteidigung wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen
Beeinträchtigung des Angreifers unangemessen ist, dann ist die Handlung nicht
gerechtfertigt.

Dass es sich bloß um Bagatellnachteile handelt muss für JEDERMANN also auch für
den Täter OFFENSICHTLICH sein (leicht und auf den ersten Blick). Drohende
Körperschäden im Grade des § 83 (einfache Körperverletzung) schließen § 3 Abs. 1
2. Satz stets aus – NICHT ABER VERMÖGENSNACHTEILE UNTERHALB der für
§ 141 gültigen Wertgrenze (Entwendung).

Im Übrigen entscheidet ein OBJEKTIV – INDIVIDUELLER Maßstab, der


insbesondere auch die wirtschaftliche Situation des Angegriffenen einbezieht.

Art II / MRK

Das in Art 2 MRK ausgesprochene TÖTUNGSVERBOT wegen der Verteidigung von


Sachwerten bezieht sich ausschließlich auf STAAT / BÜRGER beschränkt aber nicht
das Notwehrrecht des einzelnen gegenüber Vermögenstätern.

NOTHILFE

Nothilfe ist eine SONDERFORM der Notwehr und muss deswegen alle Merkmale
des § 3 Abs 1 Satz 1 erfüllen. Dabei ist nach Maßgabe des Geholfenem zu
beurteilen. Darüber hinaus muss der Helfer den VERTEIDIGUNSGWILLEN haben!

Dabei übt ein DRITTER Notwehr zu Gunsten des Angegriffenen.

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RECHTFERTIGENDER NOTSTAND

Der rechtfertigende Notstand ist ein UNGESCHRIEBENER aus dem


RECHTSGANZEN ABGELEITETER RECHTFERTIGUNGSGRUND im Wege einer
Rechtsanalogie.

Die Idee basiert auf dem GÜTER- und INTERESSENABWÄGUNGSPRINZIP. Die


Judikatur hat sich erst spät zur Anerkennung durchgerungen. Die Materie ist nach
wie vor nicht ausjudiziert und wird zunehmend restriktiv gehandhabt.

Wie bei der Notwehr besteht die STRUKTUR des rechtfertigenden Notstandes aus:

I. NOTSTANDSSITUATION

II. NOTSTANDSHANDLUNG und

III. RETTUNGSWILLE

I. NOTSTANDSSITUATION

Diese Frage bezieht sich auf das „OB“ des rechtfertigenden Notstandes.

Eine Notstandssituation wird NUR DURCH EINEN UNMITTELBAR DROHENDEN


BEDEUTENDEN NACHTEIL FÜR EIN RECHTSGUT BEGRÜNDET!

Bedeutender Nachteil ist jedes Ereignis das aus wertender Sicht eine RELEVANTE
Gefahr für ein Rechtsgut begründet.

Im Unterschied zur Notwehr kann aber eine Notstandssituation NICHT NUR durch
MENSCHLICHES VERHALTEN sondern AUCH DURCH TIERATTACKEN,
NATURKATASTROPHEN und SONSTIGE ZUFÄLLE entstehen.

Der zweite sehr wesentliche Unterschied ist, dass im Gegensatz zur Notwehr nicht
nur notwehrfähige Rechtsgüter in Betracht kommen, sondern ALLE INDIVIDUAL-
RECHTSGÜTER dafür in Frage kommen. (NB keine Rechtsgüter d. Allgemeinheit).

Wie bei der Notwehr gibt es eine BESCHRÄNKUNG im BAGATELLBEREICH. Das


gilt auch wenn höherwertige Rechtsgüter beeinträchtigt werden – es fehlt einfach die
Bedeutsamkeit des Nachteils.

Der zeitliche Schranken ist ident mit dem der Notwehr – solange ein unmittelbarer
Nachteil droht ist eine rechtfertigender Notstand denkbar.

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II. NOTSTANDSHANDLUNG

Nachdem der Notstand auch Eingriffe in die Rechtsgüter von Dritten (gänzlich
Unbeteiligten!) ermöglicht, gelten besonders strenge Maßstäbe für das WIE!

a) Die RETTUNGSHANDLUNG MUSS DAS EINZIGE MITTEL sein. Rechtsgüter


müssen in der Weise kollidieren, dass das EINE NUR DURCH OPFERUNG
des ANDEREN erhalten werden kann.

Dieses Erfordernis ist entsprechend restriktiv auszulegen.

b) Das Mittel MUSS GEEIGNET sein die RETTUNGSCHANCEN MEHR ALS


NUR MINIMAL zu erhöhen.

c) Unter mehreren geeigneten Mitteln MUSS DER NOTSTANDSTÄTER das


RELATIV SCHONENDSTE WÄHLEN.

d) Das GERTETTE RECHTSGUT MUSS HÖHER SEIN ALS DAS


BEEINTRÄCHTIGTE. Nach hM muss diese Höherwertigkeit noch dazu
EINDEUTIG und ZWEIFELLOS sein. Dabei gilt, dass PERSÖNLICHE
HÖHERWERTIG sind ALS MATERIELLE RECHTSGÜTER.

e) Selbst bei eindeutigem Überwiegen des geretteten Rechtsguts bzw.


Interesses ist die Rettungshandlung nur dann gerechtfertigt wenn die Tat kein
UNANGEMESSENES MITTEL zur ABWENDUNG der GEFAHR darstellt.
(Bsp. mit gezwungener Blutspende). Das entspricht dem
Rechtsmissbrauchkorrektiv in der Notwehr.

III. RETTUNGSWILLE

Dieser entspricht dem Verteidigungswillen in der Notwehr. Dabei reicht schon das
bloße Wissen um das Vorliegen einer Notstandssituation.

SONDERPROBLEME

LEBEN GEGEN LEBEN

Das Leben ist das höchste der Rechtsgüter und kann von keinem anderen
überwogen werden. Deswegen kann es auch nicht sein, dass man das Leben
mehrerer auf Kosten eines in Betracht zieht. Menschenleben lassen sich nicht
gegeneinander aufwiegen.

UNBETEILIGTE PERSONEN

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Der rechtfertigende Notstand erlaubt auch den Eingriff in Rechtsgüter unbeteiligter
Personen (hM).

WIRTSCHAFTLICHER NOTSTAND

Wirtschaftlicher Notstand ist nicht anzuerkennen. Prinzipiell HAT JEDER die


RISIKEN seiner WIRTSCHAFTLICHEN DISPOSITION SELBER zu tragen und darf
sie nicht auf Dritte abwälzen.

RECHTFERTIGENDE NOTSTANDSHILFE

zur Abwendung drohender Nachteile für fremde Rechtsgüter ist nach hM zulässig.

AUSSCHLUSS DES NOTSTANDES

Soweit bestimmte Personen durch die Rechtsordnung die PFLICHT zur


SELBSTAUFOPFERUNG haben KÖNNEN sich DIESE NICHT auf RECHTFERTIG-
ENDEN NOTSTAND BERUFEN!

UNTERSCHIEDE
NOTWEHR > < NOTSTAND

I. NOTWEHRSITUATION I. NOTSTANDSITUATION
Angriff auf ein notwehrfähiges Bedeutender Nachteil für ein
Rechtsgut Individualrechtsgut

gegenwärtig oder unmittelbar kein Unterschied


drohend

Angriff muss rechtswidrig sein diese Einschränkung entfällt

II. NOTWEHRHANDLUNG II. NOTSTANDSHANDLUNG


notwendige Verteidigung einziges Mittel
Höherwertigkeit des geretteten
Rechtsgutes
kein unangemessenes Mittel

III. VERTEIDIGUNGSWILLE III. RETTUNGSWILLE

EXKLUSIVITÄT:

Rechtfertigender Notstand kommt NEBEN NOTWEHR NICHT IN FRAGE!


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WEITERE RECHTFERTIGUNGSGRÜNDE

Neben der NOTWEHR gem § 3 StGB sowie dem RECHTFERTIGENDEN


NOTSTAND (auch übergesetzlicher Notstand), gibt es noch eine Reihe anderer
Rechtfertigungsgründe:

I. das ANHALTERECHT

II. das ALLGEMEINE SELBSTHILFERECHT

III. besondere SELBSTHILFERECHTE

IV. die AUSÜBUNG von AMTS- und DIENSTPFLICHTEN sowie

V. die EINWILLIGUNG

I. DAS ANHALTERECHT

Das ANHALTERECHT ist in § 86 Abs 2 StPO geregelt. Demnach ist JEDERMANN,


insb. JEDE PRIVATPERSON zu einer ZEITLICH BEGRENZTEN ANHALTUNG
eines TATVERDÄCHTIGEN BEFUGT.

NB: Damit wird ein Rechtfertigungsgrund für eine Anhaltung statuiert, aber
KEINE ANHALTEPFLICHT!

Der Zweck liegt darin zu gewährleisten, dass ein Tatverdächtiger den


Strafverfolgungsorganen überstellt wird – ABER NICHT UM JEDEN PREIS sondern
NUR SOWEIT das MIT ANGEMESSENEN MITTELN und OHNE VORSÄTZLICHE
VERLETZUNG DES TATVERDÄCHTIGEN möglich ist.

Das Anhalterecht ist also weder eine „Ersatznotwehr“ noch Legitimation für
„Hilfssheriffs“.

Wiederum basiert das ANHALTERECHT auf 3 Elementen:

a) ANHALTESITUATION
b) ANHALTEHANDLUNG und
c) ANHALTEWILLE

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A) ANHALTESITUATION

Der Gesetzgeber bezeichnet in § 86 Abs 2 drei alternative Anhaltegründe:

Verdacht der gegenwärtigen oder unmittelbar vorherigen Ausführung einer mit


gerichtlichen Strafe bedrohten Handlung oder der Fahndung wegen einer solchen.

„mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung“

Damit sind alle Verbrechen und vergehen iSd § 17 StGB gemeint. Es reicht dazu
schon eine Beteiligung (§ 12 StGB) oder ein Versuch(§ 15 StGB) sowie selbständig
strafbare Vorbereitungshandlungen. Sogar Fahrlässigkeitsdelikte und Bagatelldelikte
reichen dazu!

NB: Disziplinarstraftaten, Verwaltungsstraftaten und prozessuale Ordnungsverstöße


REICHEN NICHT FÜR EINE ANHALTUNG!

Die Tat muss jedoch rechtswidrig sein oder den Anschein der Rechtswidrigkeit
haben. KEIN ANHALTERECHT bei GERECHTFERTIGTEN oder rechtfertig
erscheinenden Taten.

Dass eine Tat schuldhaft begangen wurde ist jedoch kein Erfordernis. Sogar ein
ganz offensichtlich unzurechnungsfähiger Mensch kann nach Maßgabe des
§ 86 StPO angehalten werden.

„Tatverdacht“

Das Gesetz lässt bereits das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Anhaltung
reichen. Damit wird auch einem Schuldlosen das IRRTUMSRISIKO aufgebürdet. Er
muss sich die Anhaltung gefallen lassen solange ein hinreichender Tatverdacht
besteht. Begründbar ist das mit einer wünschenswerten Effizienz der Strafverfolgung.

Hinreichende Gründe iSd Gesetzes liegen vor wenn sich in der Situation des
Angehaltenen bestimmte Indizien ein Verdacht einer rechtswidrigen Tat ergibt. Ein
dringender Tatverdacht wird gar nicht gefordert.

„zeitliche Schranken“

prinzipiell genügt es wenn der Täter auf frischer Tat ertappt wird – man kann eine
Anhaltung gem § 86 StPO aber auch nach der Vollendung oder Aufgabe machen
solange noch ein zeitlicher und indizienmäßiger Konnex mit der Tat besteht.

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B) ANHALTEHANDLUNG

Bei der Anhaltung geht es um das WIE und das WIE LANGE. Gerechtfertigt ist in
jedem Fall nur eine ANHALTUNG AUF ANGEMESSENE WEISE.

Das heißt, dass NICHTQUALIFIZIERTE FREIHEITSEINGRIFFE ZULÄSSIG sind.

zum Beispiel:

- festhalten
- Einschließen
- Abdrängen des Fluchtwagens
- Androhung von Nachteilen (wie Anzeige)
- Körperliche Gewalt
(strittig in welchem Umfang lt. Burgstaller leichte Körperverletzung für
Ladendiebstahl ok)

NB: auf einen OHNE BEUTE flüchtenden Dieb darf man weder schießen noch einen
Prügel in Kreuz hauen, selbst wenn das die einzige Möglichkeit wäre seiner habhaft
zu werden.

Wenn ein Verdächtiger sich gegen eine maßvolle Anhaltung zur Wehr setzt kann das
eine Situation begründen die als rechtswidriger Angriff zu werten ist und ihrerseits mit
Notwehr gem § 3 StGB abgewehrt werden darf.

DAUER DER ANHALTEHANDLUNG

Wenn der Tatverdacht wegfällt – entfällt die ANHALTESITUATION. Die


ANHALTUNG ist in diesem Fall UNVERZÜGLICH aufzuheben, weil sie sonst
EX NUNC ein RECHTSWIDRIGER EINGRIFF in die Freiheit wird.

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 86 ist der Anhaltende VERPFLICHTET die
Anhaltung UNVERZÜGLICH DEM NÄCHSTEN SICHERHEITSORGAN
ANZUZEIGEN.

Wenn man das unterlässt macht man sich u.U. gem § 99 oder § 105 StGB strafbar
machen. Nach Aufhebung der Anhaltung besteht keine Anzeigepflicht mehr.

C) ANHALTEWILLE

Als subjektives Rechtfertigungselement wird ein Anhaltewille vorausgesetzt. Es reicht


die Kenntnis einer Anhaltesituation.

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UNWÜRDIGE BEGLEITUMSTÄNDE können die Anhaltung ex nunc in eine strafbare


Freiheitsentziehung oder Nötigung verwandeln (anketten an Baum, einsperren in
Schweinestall).

VERHÄLTNIS ZUR NOTWEHR

Notwehr und Anhalterecht schließen einander nicht aus! Häufig ergänzen sie sich
sogar.

EG: Solange ein Dieb die Beute bei sich hat kann man ihn aus beiden Gründen
festhalten. Wenn er sie zurück gibt nur noch gem § 86 Abs 2 StPO.

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ALLGEMEINES SELBSTHILFERECHT

Nahezu alle Rechtsordnungen verbieten Selbstjustiz. Der Staatsbürger kann sich das
Recht nicht selber nehmen sondern muss es bei der Behörde suchen....

Das Selbsthilferecht ist nur in sehr engen Grenzen zulässig und setzt sich wie die
Notwehr, der rechtfertigende Notstand oder das Anhalterecht aus 3 wesentlichen
Elementen:

I. SELBSTHILFESITUATION

II. SELBSTHILFEHANDLUNG und

III. SELBSTHILFEWILLE

I. SELBSTHILFESITUATION

Diese ist sehr eng auszulegen und besteht aus

a) BESTEHEN EINES PRIVATRECHTLICHEN ANSPRUCHS


(dieser muss TATSÄCHLICH GEGEBEN SEIN)

b) STAATLICHE HILFE KÄME ZU SPÄT


(gemeint ist Hilfe durch inländische Behörden)

II. SELBSTHILFEHANDLUNG

Die Selbsthilfehandlung muss NACH ART und AUSFÜHRUNG UNBEDINGT NÖTIG


und ANGEMESSEN SEIN!

„unbedingt nötig“

selbsterklärend

„Angemessenheit“

sie darf nicht außer Verhältnis zu Wert bzw. zu Bedeutung des durchzusetzenden
Rechts stehen. (nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen)

„körperliche Gewalt“

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Es handelt sich NICHT um ERSATZNOTWEHR. Vorsätzliche Körperverletzung etc.
ist unzulässig. Allenfalls körperliche Misshandlungen bzw. leichte fahrlässige
Körperverletzungen sind zulässig

III. SELBSTHILFEWILLE

Das Wissen reicht. Auch rechtfertigende DRITTHILFE ist zulässig.

BESONDERE SELBSTHILFERECHTE

Neben dem allgemeinen Selbsthilferecht gibt es auch besondere Selbsthilferechte in


der österreichischen Rechtsordnung.

NB: lex specialis derogat legem generalis !

Beispiele:

- Rückbehaltungsrecht des Herausgabepflichtigen


- Rückbehaltungsrecht des Gastwirtes
- Rückbehaltungsrecht des Vermieters
- Viehtreibungsrecht, Privatpfändungsrecht
- Kaufmännisches Rückbehaltungsrecht

Auch ihnen ist die dreiteilige Gliederung immanent.

AUSÜBUNG VON AMTS- und DIENSTPFLICHTEN

Hierbei handelt es sich um überwiegend geschriebenem Recht, das den Trägern von
öffentlich-rechtlichen Funktionen BEGRENZTE auf BESTIMMTE AMTLICHE
TÄTIGKEITEN BEZOGENE EINGRIFFSRECHTE GEWÄHRT.

EG:

- § 139 StPO Haus- und Personendurchsuchung


- § 143 StPO Beschlagnahme
- § 26 EO Hausdurchsuchung und Taschenpfändung
- § 175 StPO Anordnung der vorläufigen Verwahrung
- .....

Auch Beamte in Ausübung Ihrer Tätigkeiten können sich auf Rechtfertigungsgründe


wie Notwehr oder rechtfertigenden Notstand etc. berufen.

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EINWILLIGUNG

Bei der Einwilligung handelt es sich ebenso wie beim rechtfertigenden Notstand um
einen UNGESCHRIEBENEN RECHTFERTIGUNGSGRUND.

Eine Einwilligung kann AUSDRÜCKLICH oder KONKLUDENT erklärt werden.


Nachdem die Einwilligung aber eine Willenserklärung ist reicht bloßes geschehen
lassen nicht aus!

Die hM unterscheidet allerdings die Einwilligung vom tatbestandsausschließenden


Einverständnis. Durch ein Einverständnis wird das Tatbild erst gar nicht erfüllt. (man
darf ein altes Fahrrad aus dem Schuppen abholen und behalten – d.h. es kommt erst
gar nicht zum Diebstahl)

Wiederum setzt sich eine Einwilligung durch DREI HAUPTSTRUKTUREN


zusammen:

I. die EINWILLIGUNGSSITUATION

II. die EINWILLIGUNGSHANDLUNG und

III. die KENNTNIS von der EINWILLIGUNG des RECHTSGUTTRÄGERS

I. EINWILLIGUNGSSITUATION

Diese setzt die DISPONIBILITÄT des RECHTSGUTES voraus! Die


Individualrechtsgüter sind allgemein disponible AUSGENOMMEN DAS LEBEN!

Rechtsgüter des Staates oder der Allgemeinheit SIND NICHT DISPONIBEL.

Es gibt jedoch das allgemeine Sittenwidrigkeitskorrektiv, das von einer beschränkten


Disponibilität der körperlichen Integrität ausgeht (betr. §§ 83 – 89 StGB).

Die Einwilligung MUSS ERNSTLICH UND FREIWILLIG sein und darf NICHT an
GRAVIERENDEN WILLENSMÄNGELN leiden.

Die ERTEILUNG DER EINWILLIGUNG ist NUR DANN WIRKSAM, wenn sie VOR
ODER SPÄTESTENS BEI DER TAT GEGEBEN WIRD!!!

Ein Verzeihen danach ist unwirksam, weil dann ja der Strafanspruch des Staates
entstanden ist über den der Verletzte nicht disponieren kann (außer bei
Privatanklagedelikten oder Ermächtigungsdelikten natürlich!).

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„Dispositionsbefugnis“

Das ist idR der Rechtsgutträger, kann bei Eigentum oder Vermögen aber auch ein
Verfügungsberechtigter sein.

„Dispositionsfähigkeit“

Der Rechtsgutträger muss aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife dazu in der
Lage sein die Tragweite der Rechtsguteinbuße und des Rechtsschutzverzichts zu
erkennen und sachgerecht zu beurteilen.

Es wird jedoch keine Geschäftsfähigkeit verlangt. Maßgeblich ist die Einsichts- und
Urteilsfähigkeit.

II. EINWILLIGUNGSHANDLUNG

Die gestattete Beeinträchtigung muss sich nach Art, Umfang und auch in zeitlicher
und persönlicher wie auch in örtlicher Hinsicht IM RAHMEN DESSEN HALTEN was
der rechtsgutträger gewollt und erklärt hat.

Eine ÜBERSCHREITUNG MACHT DEN RECHTSGUTEINGRIFF RECHTSWIDRIG.

III. EINWILLIGUNGSKENNNTIS

Das subjektive Rechtfertigungselement besteht darin, dass der Täter IM ZEITPUNKT


DER TAT vom Vorliegen der EINWILLIGUNG GEWUSST und AUFGRUND ODER
ZUMINDEST IN KENNTNIS DER EINWLLIGUNG gehandelt hat!

SONDERPROBLEME:

Vielfach wird vorschnell und gänzlich lebensfremd mit der Einwilligung operiert –
obwohl in Wirklichkeit ein Rechtsschutzverzicht gar nicht gewollt ist.

So bedeutet das Mitfahren mit einem betrunkenen Lenker keineswegs, dass man
eine Einwilligung in die eigne Körperverletzung gibt – oder gar den Tod (was gar
nicht geht weil das Leben kein disponibles Rechtsgut ist).

Es heißt nur, dass man sich freiwillig und unvernünftigerweise in Gefahr begibt.

Es gibt noch Mischfälle wo disponible mit nicht disponiblen Rechtsgütern


zusammenkommen wie z.B. bei der Verleumdung. Nachdem hier das Element der

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Rechtspflege dominiert und dieses als allgemeines Rechtsgut nicht disponibel ist
wird man eine Einwilligungsmöglichkeit verneinen müssen.

MUTMASSLICHE EINWILLIGUNG

Bei der mutmaßlichen Einwilligung handelt es sich um einen RECHTFERTIGUNGS-


GRUND EIGENER ART.

Er ist als SOLCHER NIRGENDS IM StGB GEREGELT – WIRD JEDOCH


ALLGEMEIN ANERKANNT.

Voraussetzung und Grenzen sind jedoch nach wie umstritten. Der Gedanke dahinter
lehnt sich an einen ENTSCHEIDUNGSNOTSTAND an.

Die mutmaßliche Einwilligung ist eine NICHTEINWILLIGUNG. Das bedeutet, dass


sie ZUM ZEITPUNKT DER TAT NICHT VORLIEGEN DARF.

Sie ist ERSATZ für die wirkliche Einwilligung.

Wiederum setzt sie sich aus drei wesentlichen Elementen zusammen:

I. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION

II. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSHANDLUNG und

III. KENNTNIS DER UMSTÄNDE, WELCHE DIE MUTMASSLICHE


EINWILLIGUNGSSITUATION BEGRÜNDEN

I. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSSITUATION

Sie setzt sich aus zwei Elementen zusammen:

a) die Einwilligung des Rechtsträgers ist nicht erreichbar und

b) der Rechtsträger würde in dieser Situation die Einwilligung mit Sicherheit


erteilen

Wenn der „Täter“ dahingehend irrt, dass der Rechtsträger nicht einwilligt kommt
§ 8 StGB „irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes“ zum tragen.

Ein NEIN ist in jedem Fall zu respektieren.

II. MUTMASSLICHE EINWILLIGUNGSHANLUNG

Die Grenze der Tat ist die Grenze dessen was der Rechtsträger gewollt hätte.
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III. KENNTNIS DER UMSTÄNDE, WELCHE DIE MUTMASSLICHE


EINWILLIGUNGSSITUATION BEGRÜNDEN

Wiederum ist die Kenntnis der Umstände als subjektiver Rechtfertigungsgrund


notwendig.

Der Handelnde muss um die Unerreichbarkeit des Rechtsträgers wissen und nach
Abwägung aller Umstände davon überzeugt sein, dass dieser in der Situation
eingewilligt hätte.

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DER SCHULDBEGRIFF DER VORSATZDELIKTE

Das österreichische Strafrecht ist ein SCHULDSTRAFRECHT. Es basiert auf dem


SCHULDPRINZIP:

STRAFBAR IST NUR WER SCHULDHAFT HANDELT

Damit ist die Schuld der Grund und gleichzeitig die Grenze der Strafe. Die Schuld ist
der Eckpfeiler des rechtsstaatlichen Strafrechts. Seine Schwachstelle ist allerdings,
dass es keine Rücksicht auf die spezifische Gefährlichkeit des Täters nimmt.

Deshalb bedarf das Schuldprinzip eines ergänzenden Korrektivs: den vorbeugenden


Maßnahmen.

Frank: normativer Schuldbegriff „Schuld ist Vorwerfbarkeit“.

Maßstab der Schuld ist der maßgerechte Mensch in der Situation des Täters! Unter
dem Menschenbild des StGB ist ein der Rechtsordnung verbundener Mensch zu
verstehen, der sich nach ihr richtet.

Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter VORGEWORFEN, dass er NICHT
SO GEHANDELT HAT WIE ein MASSGERECHTER MENSCH AN SEINER
STELLE GEHANDELT HÄTTE.

Wir unterscheiden VORSATZSCHULD zum einen und FAHRLÄSSIGKEITSSCHULD


zum anderen.

Die VORSATZSCHULD besteht aus VIER SCHULDELEMENTEN:

a) Schuldfähigkeit

b) Vorsatz

c) Unrechtsbewusstsein und

d) keine Entschuldigungsgründe

Alle diese vier Elemente MÜSSEN zum ZEITPUNKT der TAT vorhanden sein. Wenn
auch nur ein einziges Element fehlt handelt der Täter ohne Schuld und kann nicht
wegen einer rechtswidrigen Vorsatztat bestraft werden!

Schuld und Kausalität sind nicht das gleiche! (no na)

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SCHULDFÄHIGKEIT gem § 11 StGB

Das ist ein essentielles Element der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsschuld. Ein
Schuldunfähiger erfüllt nicht den psycho-physischen Mindeststandard des
maßgerechten Menschen iSd StGB.

Ein schuldunfähiger Mensch kann zwar handeln und rechtswidrige Taten begehen
aber er kann wegen mangelnder Schuld nicht bestraft werden. Der Begriff
Zurechnungsfähigkeit wird von Kienapfel eher abgelehnt – man sollte
SCHULDFÄHIGKEIT benutzen – weil das den Kern der Sache besser trifft.

SCHULDFÄHIGKEIT IST DIE FÄHIGKEIT DAS UNRECHT DER TAT EINZUSEHEN


UND NACH DIESER EINSICHT ZU HANDELN

Der Katalog des § 11 ist abschließend. Die Frage ob jemand schuldfähig ist oder
nicht hängt vom Alter oder vom Nichtvorliegen bestimmter seelischer Störungen ab.

Bis zu 14 Jahren ist man GENERELL SCHULDUNFÄHIG. 14 bis 19 jährige gelten


nur bei verzögerter Reife als schuldunfähig (vgl. § 4 JGG).

Bei den seelischen Störungen kommen in Betracht:

a) Geisteskrankheiten
(manisch depressives Irresein, als Folge von Alkoholismus oder Tumoren)

b) Schwachsinn wie Imbezillität, Idiotie und Debilität


(IQ zwischen 50 – 69)

c) tiefgreifende Bewusstseinsstörungen
(erhebliche Trunkenheit, Rauschgifteinwirkung, Hypnose, Schock, Affekt...)

d) oder gleichwertige seelische Störungen


(schwere Triebstörungen, schwere Neurosen, Psychopathien)

Daneben gibt es noch die PARTIELLE SCHULDUNFÄHIGKEIT, die keine eigene


dogmatische Kategorie darstellt, aber im Zuge der Urteilsfindung allenfalls als
Milderungsgrund zu werten ist. (Blackout etc.).

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ACTIO LIBERA IN CAUSA und der § 287 Abs 1 StGB

Die Rechtsfigur der ACTIO LIBERO IN CAUSA ist im StGB nicht ausdrücklich
geregelt – WIRD ABER IN DER LEHRE ANERKANNT.

Es handelt sich um eine Einschränkung des § 11 StGB – die im Rahmen einer


rechtshistorischen Betrachtung nicht unbedenklich ist, nachdem sie zu einer nicht
unerheblichen Ausweitung der Strafbarkeit führt.

VORSÄTZLICHE ACTIO LIBERA IN CAUSA:

Wenn sich der Täter mit dem Vorsatz in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt
hat um in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat zu begehen. Der Täter macht sich
zu seinem eigenen schuldunfähigen Werkzeug.

Neben der vorsätzlichen gibt es auch noch eine FAHRLÄSSIGE ACTIO LIBERA IN
CAUSA.

Bei beiden Fällen wird die GESAMTE SCHULDPRÜFUNG AUF DEN ZEITPUNKT
VORVERLEGT in dem sich der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt
hat.

§ 287 Abs 1

Dabei geht es um ein selbständiges Delikt, dass ganz allgemein die Begehung einer
mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung regelt bzw. als
eigenes Delikt unter Strafe stellt.

Damit erfüllt der § 287 Abs 1 eine ähnliche Funktion wie die ACTIO LIBERA IN
CAUSA.

Wenn es diese beiden Rechtsfiguren nicht gäbe würden unerträgliche Straflücken


entstehen – nur weil sich jemand berauscht z.B.

Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Rechtsfiguren ist, dass der Täter
im Zuge der ACTIO LIBERA IN CAUSA den Vorsatz bzw. die Fahrlässigkeit bereits
vor der Berauschung UNTER BEZUG AUF EINE BESTIMMTE RECHTSWIDRIGE
TAT hat und im Zuge des § 287 Abs 1 bestraft wird, wer eine im Rausch begangene
Tat WEDER GEWOLLT NOCH VORAUSGESEHEN HAT.

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Die Actio libera in causa kann u.U. sogar greifen, wenn gar kein Handeln vorliegt
(z.B. der Fahrer schläft völlig übermüdet ein – es kann ihm vorgehalten werden, dass
er die eigene Handlungsunfähigkeit fahrlässig herbeigeführt hat – Pech).

VORSATZ IM STRAFRECHT

Der TATVORSATZ ist die SCHULDFORM der VORSATZDELIKTE. Vorsätzlich


handelt WER EINEN SACHVERHALT VERWIRKLICHEN WILL, DER EINEM
GESETZLICHEN TATBILD ENTSPRICHT.

Der Tatvorsatz muss sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts


umfassen, also

- TATHANDLUNG
- TATOBJEKT
- TATMODALITÄTEN und den ERFOLG
- QUALIFIKATIONEN (insb. Wertqualifikation)

Der Tatvorsatz besteht aus der WISSENS- und der WOLLENSKOMPONENTE.


Irrelevant ist das Motiv bei der Sache.

Dabei gilt, dass ein sicheres Wissen beim Täter nicht erforderlich ist. Bereits
undeutliche und unreflektierte Vorstellungen reichen.

So ist der Taschendieb der die Brieftasche stiehlt und das Geld behält – alles andere
aber wegwirft wegen:

- Diebstahl des Geldes


- Dauernder Sachentziehung der Geldbörse sowie wegen
- Urkundenunterdrückung (Ausweise etc.)

zu bestrafen.

Daneben ist die WOLLENSKOMPONENTE zu betrachten:

BEDINGTER VORSATZ (DOLUS EVENTUALIS)

Ist der unterste Stärkegrad des Vorsatzes. Das bedeutet, dass der Täter es für
ernsthaft möglich hält einen bestimmten Sachverhalt zu verwirklichen und sich damit
abfindet (§ 5 Abs 1 2. HS StGB).

WISSENTLICHKEIT ist die nächsthöhere Stufe des Vorsatzes. Wissentlich handelt,


wer den Umstand oder Erfolg für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt nicht
bloß für möglich hält sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiss hält.
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ABSICHLICHKEIT schließlich ist die stärkste Form. Es bedeutet zielgerichtetes


Wollen. Absichtlich handelt, wem es darauf ankommt den Erfolg zu verwirklichen für
den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.

TATBILDIRRTUM

Ein TATBILDIRRTUM VERHÜLLT DEM TÄTER DIE TATBILDMÄSSIGKEIT seiner


Handlung. Mithin entfällt der Tatvorsatz.

Es genügt dabei bereits, dass der Täter über ein einziges von mehreren
Tatbildmerkmalen irrt.

Der TATBILDIRRTUM betrifft alleine die WISSENSKOMPONENTE und ist die


KEHRSEITE des VORSATZES.

Der TATBILDIRRTUM ist im Gesetz nicht definiert. Man gelangt zum Tatbildirrtum,
wenn man § 5 Abs 1 1.HS UMKEHRT und NEGATIV VERSIEHT (Vorsatz).

EIN TATBILDIRRTUM LIEGT VOR, WENN DER TÄTER NICHT ERKENNT, DASS
ER EINEN SACHVERHALT VERWIRKLICHT, DER EINEM GESETZLICHEN
TATBILD ENTSPRICHT.

Der Tatbildirrtum wird wegen seiner täterfreundlichen Konsequenzen eher restriktiv


gehandhabt. Wenn dem Täter die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmales AUS
DEN BEGLEITUMSTÄNDEN oder SONST LATENT BEWUSST ist, scheidet die
Annahme eines Tatbildirrtums aus.

Beispiel im Lehrbuch: LKW Fahrer der über einen Karton fährt ohne zu wissen, dass
sich ein Kind darin verborgen hat.

Ein Tatbildirrtum kommt in Betracht wenn der Täter die tatsächlichen Umstände nicht
wahrgenommen oder ihren sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt nicht erkannt
hat.

IRRTUM ÜBER DEN KAUSALVERLAUF

Der Tatvorsatz muss den Kausalverlauf wenigstens in groben Umrissen umfassen.


Daraus folgt, dass unwesentliche Abweichungen keinen Tatbildirrtum begründen!

Sehr umstritten ist die Behandlung von WESENTLICHEN ABWEICHUNGEN im


Kausalverlauf....

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Zum einen gibt es die TRADITIONELLE VORSATZLÖSUNG: „..auch eine
wesentliche Abweichung begründet keinen Tatbildirrtum...Strafe wegen vollendeter
Tat....“.

Zum anderen gibt es die MODERNE ZURECHNUNGSLÖSUNG.

Die hM bejaht zwar den Kausalzusammenhang, verneint jedoch die objektive


Zurechenbarkeit des Erfolgs.

Wenn also der Erfolg nicht den Anforderungen des Adäquanz- oder Risikozu-
sammenhangs entspricht kann man ihn dem Täter nicht zurechnen.

IRRTUM ÜBER WERTQUALIFIKATIONEN

Die Wertqualifikationen sind echte Tatbestandsmerkmale und MÜSSEN VOM


TATVORSATZ des TÄTERS UMFASST SEIN!

Die Gerichte erledigen den Einwand des Tatbildirrtums seitens des Täters idR damit,
dass jeder Dieb eine möglichst hohe Beute erwartet und hinsichtlich der
Wertqualifikation zumindest mit DOLUS EVENTUALIS handelt. Es reicht also schon,
dass dem Täter ein solcher Vorsatz zuzutrauen sei.

Der TATBILDIRRTUM schließt den Tatvorsatz aus. Damit ist die Tat nur noch
strafbar wenn es ein Fahrlässigkeitsdelikt dazu gibt und wenn der Irrtum auf
Fahrlässigkeit beruht – ANSONSTEN GEHT DER TÄTER STRAFFREI AUS!

IRRTUM ÜBER DAS TATOBJEKT

Dabei irrt der Täter über die Identität oder sonstige Eigenschaften einer Person oder
Sache.

Wenn es sich um ein gleichartiges Tatobjekt handelt, ist der Irrtum unbeachtlich.

Wenn es sich um ein ungleichartiges Tatobjekt handelt, dann schließt der Irrtum über
das Tatobjekt den Tatvorsatz des Täters aus. Es handelt sich um einen Tatbildirrtum.

EG: Der Täter schießt auf einen Reiter und trifft das Pferd. Hinsichtlich des Pferdes
liegt ein Irrtum über das Tatobjekt vor. Der Täter wird wegen versuchten
Mordes belangt.

ABERATIO ICTUS

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Davon spricht man wenn in Folge eines Abirrens des Angriffs nicht das Zielobjekt
sondern ein anderes getroffen wird. Es handelt sich dabei um eine eigene
Rechtsfigur.

Das wird dahingehend gelöst, dass der Versuch und u.U. die fahrlässige Tat in
Bezug auf den tatsächlichen Erfolg angenommen wird.

DOLUS GENERALIS

Dabei handelt es sich um einen Sonderfall des Irrtums über den Kausalverlauf.

Wenn es sich um eine wesentliche Abweichung handelt dann gilt analoges


hinsichtlich der objektiven Zurechnung.

Dolus generalis nahm man früher an – als einen EINHEITLICHEN, die GANZE TAT
UMFASSENDEN GENERELLEN VORSATZ.

IRRTUM ÜBER QUALIFIZIERENDE TATBESTANDSMERKMALE

In diesem Fall haftet der Täter lediglich im Rahmen des Grunddeliktes.

IRRTUM ÜBER PRIVILIGIERENDE MERKMALE

In Hinblick auf den SCHULDGRUNDSATZ ist der Täter lediglich für die geringere
Schuld des privilegierten Delikts zu belangen.

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UNRECHTSBEWUSSTSEIN

VORWERFBAR HANDELT WER MIT UNRECHTSBEWUSSTSEIN HANDELT !

Unrechtsbewusstsein ist das Bewusstsein, dass die Tat gegen die Rechtsordnung
verstößt.

Aktuelles Unrechtsbewusstsein ist wirklich vorhandenes Unrechtsbewusstsein. Dazu


reicht schon, dass dem Täter der Verstoß gegen die Rechtsordnung wenigstens
nach Laienart bewusst ist.

Daneben gibt es das potentielle Unrechtsbewusstsein. Davon spricht man wenn dem
Täter das Unrecht seiner Tat nicht bekannt war – er aber verpflichtet gewesen wäre
sich danach zu erkundigen. Dieser Begriff hängt eng mit dem maßgerechten
Menschen iSd StGB zusammen.

Wenn jemand nicht einmal potentielles Unrechtsbewusstsein vorgehalten werden


kann, dann handelt er nicht schuldhaft.

Unrechtsbewusstsein und Tatvorsatz dürfen nicht miteinander verwechselt werden.

Das Bewusstsein um die Strafbarkeit einer Tat ist jedenfalls weder Voraussetzung für
die Schuld – noch für die Bestrafung des Täters.

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VERBOTSIRRTUM (§ 9 StGB)

Der VERBOTSIRRTUM wird auch RECHTSIRRTUM genannt. Der


VERBOTSIRRTUM VERHÜLLT DEM TÄTER DAS UNRECHT SEINER TAT.

EIN VERBOTSIRRTUM LIEGT VOR, WENN DER TÄTER NICHT ERKENNT, DASS
SEINE TAT UNRECHT IST.

Dabei ist vollkommen egal ob er eine FALSCHE oder GAR KEINE VORSTELLUNG
davon hat, dass seine Tat Unrecht ist.

Wir unterscheiden dabei:

I. DIREKTER VERBOTSIRRTUM und

II. INDIREKTER VERBOTSIRRTUM

I. DER DIREKTE VERBOTSIRRTUM

Von einem direkten Verbotsirrtum spricht man, wenn der Täter überhaupt nicht
erkennt, dass seine Tat verboten und daher Unrecht ist.

Im Kernbereich herkömmlicher Delikte hat der direkte Verbotsirrtum praktisch keine


Bedeutung. In den zahlreichen Nebenrechten jedoch ist die praktische Bedeutung
größer.

II. DER INDIREKTE VERBOTSIRRTUM

Beim indirekten Verbotsirrtum irrt sich der Täter entweder über die Existenz oder die
Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes und erkennt deshalb nicht, dass seine Tat
unrecht ist.

Dabei weiß der Täter, dass seine Tat an sich verboten ist, doch er glaubt, dass er sie
ausnahmsweise doch begehen darf.

Entweder wegen:

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
a) IRRTUM über die EXISTENZ eines RECHTFERTIGUNSGGRUNDES oder
Das kann sich um ein nicht oder nicht mehr vorhandenen
Rechtfertigungsgrund handeln.

b) IRRTUM über die GRENZEN eines RECHTFERTIGUNGSGRUNDES


Überdehnung des zeitlichen Schrankens des Notwehrrechtes oder er glaubt,
dass seine Abwehrhandlung noch im Bereich des „notwendigen“ liegt.

NB: NUR DER NICHT VORWERFBARE VERBOTSIRRTUM SCHLIESST JEDE


SCHULD und DAMIT JEDE STRAFE AUS.

ABGRENZUNG ZUM TATBILDIRRTUM:

Beim TATBILDIRRTUM ist der Täter im Hinblick auf den SACHVERHALT im


IRRTUM – er erkennt gar nicht dass er einen Sachverhalt verwirklicht der einem
gesetzlichen Tatbild entspricht.

Beim VERBOTSIRRTUM erkennt der Täter den Sachverhalt, aber er ist in Hinblick
auf die rechtliche Situation im Irrtum und erkennt nicht, dass es sich um Unrecht
handelt.

Der Verbotsirrtum darf aber nicht mit dem Irrtum über die Strafbarkeit verwechselt
werden. Ein Irrtum über die Strafbarkeit ist irrelevant.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

IRRTUM ÜBER EINEN RECHTFERTIGENDEN


SACHVERHALT

Wer in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt handelt, nimmt


irrtümlich einen Sachverhalt an, welcher die Rechtswidrigkeit seiner Tat
ausschließen würde (Beispiel: Bodyguard, der an einen Anschlag glaubt oder Jogger
der die verlorene Brieftasche zurückgeben will etc.).

Anwendungsbereich: Putativnotwehr, Putativnotstand, Putativeinwilligung

Wer sich in einem Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt befindet, handelt
vorsätzlich denn er WILL DAS DELIKT BEGEHEN!

Aber der vorliegende Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt schließt das
Unrechtsbewusstsein aus!

Das zieht nach sich, dass der Täter nicht eo ipso straffrei ist, sondern, dass die
Rechtsfolgend des fahrlässigen Handelns eintreten.

Das hat einen einfachen Grund: wenn man vorschnell einen rechtfertigenden
Sachverhalt annimmt, dann ist das an und für sich schon fahrlässig. Es ist Folge
einer UNSORGFÄLTIGEN PRÜFUNG des SACHVERHALTS!

Daraus resultiert: TROTZ VORSATZ wird der Täter NICHT WEGEN


VORSÄTZLICHER BEGEHUNG BESTRAFT, sondern wegen FAHRLÄSSIGER
BEGEHUNG – aber natürlich nur

1.) WENN es ÜBERHAUPT ein FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT GIBT und

2.) der IRRTUM auf FAHRLÄSSIGKEIT BERUHT

NB: Der IRRTUM über einen rechtfertigenden Sachverhalt hat zwar Ähnlichkeiten
zum TATBILDIRRTUM als auch zum indirekten Verbotsirrtum, aber er stimmt mit
keinem der beiden Rechtsfiguren überein und bedarf dementsprechend einer
Abgrenzung.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

UNTERSCHIED zum INDIREKTEN VERBOTSIRRTUM:

Beim indirekten Verbotsirrtum glaubt der Täter – ebenso wie beim Irrtum über einen
rechtfertigenden Sachverhalt, dass er nicht rechtswidrig handelt. Das ist den beiden
Rechtsfiguren gemein. Aber beim indirekten Verbotsirrtum gelangt der Täter aus
einem ANDEREN GRUND ZU DER ANNAHME:

Beim indirekten Verbotsirrtum irrt der Täter jedoch über die EXISTENZ oder die
GRENZEN eines Rechtfertigungsgrundes.

Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt irrt der Täter jedoch
dahingehend, dass er einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, der nicht vorliegt.

Der wesentliche Unterschied liegt auch in den Sanktionen:

Während es beim indirekten oder direkten Verbotsirrtum darauf ankommt, ob der


Verbotsirrtum vorwerfbar ist oder nicht, kommt es beim Irrtum über einen
rechtfertigenden Sachverhalt lediglich darauf an, ob der Irrtum auf Fahrlässigkeit
beruht oder nicht.

UNTERSCHIED zum TATBILDIRRTUM:

Beim TATBILDIRRTUM und beim IRRTUM über einen rechtfertigenden Sachverhalt


irrt der Täter über den Sachverhalt. Beim Tatbildirrtum irrt sich der Täter über einen
Sachverhalt, der für die Tatbildmäßigkeit von Bedeutung ist. Das bedeutet, dass der
Tatbildirrtum dem Täter die Tatbestandsmäßigkeit seiner Handlung verschleiert.

Beim Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt ist dem Täter die
Tatbestandsmäßigkeit keineswegs verschleiert – SONDERN DIE
RECHTSWIDRIGKEIT seiner Handlung – und damit das Unrecht.

Daher folgt logischerweise, dass anders als beim Tatbildirrtum nie der VORSATZ
ausgeschlossen werden kann!!!! Wer einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt
handelt natürlich vorsätzlich. Es entfällt aber das UNRECHTSBEWUSSTSEIN – mit
fehlendem Unrechtsbewusstsein ENTFÄLLT ZUGLEICH DIE VORSATZSCHULD.

Es bleibt aber die Strafbarkeit für fahrlässiges Handeln übrig. Es kann natürlich auch
zu Mischformen mehrerer Irrtumstypen kommen. Ein klassisches Beispiel dafür ist
der PUTATIVNOTWEHREXZESS!
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

Irrtum über
rechtfertigenden KEINE
Vorsatz bzw. Sachverhalt? ENTSCHULDIGUNGSGR
Schuldfähig? Tatbildirrtum? ÜNDE
direkter od. ind.
Verbotsirrtum?

ENTSCHULDIGENDER NOTSTAND (§ 10 StGB)

Der entschuldigende Notstand ist in § 10 Abs 1 und Abs 2 geregelt und ist der
praktisch wichtigste Entschuldigungsgrund. Er ist NUR AUF VORSÄTZLICHE
BEGEHUNGSDELIKTE anwendbar.

Bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten muss man sich die Zumutbarkeit


ansehen.

Entscheidend ist, dass der Täter entschuldigt ist, dass bedeutet nicht, dass die Tat
gebilligt wird. Es ist die Frage ob ein maßgerechter Mensch sich in dieser Lage auch
so verhalten hätte – d.h. dass rechtmäßiges Verhalten nicht mehr zumutbar ist.
Dadurch, dass die Tat nicht gebilligt ist, folgt, dass Notwehr gegen entschuldigenden
Notstand zulässig ist (aber eingeschränkt wie bei Kindern oder kranken Menschen).

Das ist insbesondere der Fall, wenn man in extremer Bedrängnis ist bzw. einen so
starken Motivationsdruck hat, dass man selbst als maßgerechter Mensch nicht mehr
realistischerweise rechtmäßig handelt.

Das StGB TRENNT STRIKT ZWISCHEN entschuldigendem und rechtfertigendem


Notstand in Abweichung von der einstigen EINHEITSTHEORIE. Jetzt gilt die
DIFFERENZIERUNGSTHEORIE.

NOTSTANDSITUATION:

Ein UNMITTELBAR DROHENDER BEDEUTENDER NACHTEIL für INDIVIDUAL-


RECHTSGÜTER des Notstandstäters oder von einem Dritten! Aber im Gegensatz
zur Notwehr fallen nicht nur die notwehrfähigen Rechtsgüter unter die möglichen
beim entschuldigenden Notstand.

Entschuldigender Notstand ist so also auch zum Schutz der Privatsphäre oder der
ehelichen Treue denkbar.

NB: Einschränkungen und sehr restriktive Handhabung beim wirtschaftlichen


Notstand

Wie beim rechtfertigenden Notstand wird beim entschuldigenden Notstand eine


KOLLISIONSLAGE von Rechtsgütern vorausgesetzt. ABER im Gegensatz zum
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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
rechtfertigenden Notstand ist hier das gerettete Rechtsgut GERADE NICHT
HÖHERWERTIG als das geopferte – SONDERN von GLEICHEM oder
GERINGEREM WERT.

Die Notstandshandlung braucht beim entschuldigenden Notstand auch nicht einziges


Mittel zu sein!!!! Und es können ALLE INDIVIDUAL- und
UNIVERSALRECHTSGÜTER geopfert werden (inkl. menschliches Leben!!!!!).

AUSSCHLUSSGRÜNDE für entschuldigenden Notstand sind in § 10 ausdrücklich –


negativ formuliert.

So ist der Täter nicht entschuldigt, wenn der Schaden aus der Tat UNVERHÄLTNIS-
MÄSSIG SCHWERER wiegt als der drohende Nachteil.

Außerdem ist der Täter nicht entschuldigt, wenn er sich der Gefahr bewusst – ohne
einen von der Rechtsordnung anerkannten Grund ausgesetzt hat. (Das gilt nicht für
Sportler etc. – ist aber noch nicht ausjudiziert).

Analog zum rechtfertigenden Notstand muss ein Rettungswille vorhanden sein.

UNTERSCHIEDE

RECHTFERTIGENDER > < ENTSCHULDIGENDER


NOTSTAND NOTSTAND

I. NOTSTANDSSITUATION I. NOTSTANDSSITUATION

Unmittelbar drohender Nachteil für ebenso


ein Rechtsgut

Bedeutsamkeit des Nachteils ebenso

II. NOTSTANDSHANDLUNG II. NOTSTANDSHANDLUNG


Höherwertigkeit des geretteten gleich- oder geringerwertiges
Rechtsguts Rechtsgut

einziges Mittel Unverhältnismäßigkeitskorrektiv


Verschuldenskorrektiv
kein unangemessenes Mittel Zumutbarkeitskorrektiv

III. RETTUNGSWILLE III. RETTUNGGSWILLE

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

VORBEREITUNG, VERSUCH und VOLLENDUNG

ENTSCHLIESSUNG

VORBEREITUNG

VERSUCH

VOLLENDUNG

STRAFLOS

STRAFBAR

Eine reine Entschließung und die Vorbereitung ist straflos (wegen bloßer Gedanken
wird niemand bestraft!)

Vorbereitungshandlungen sind Handlungen welche die spätere Ausführung


ermöglichen, absichern oder erleichtern sollen.

So zum Beispiel:

- Beschaffen einer Waffe


- Nachmachen eines Nachschlüssels
- Auskundschaften einer Bank
- Aufgabe eines Heiratsinserates (beim Heiratsschwindler)
- etc

Vorbereitungshandlungen sind bei VORBEREITUNGSDELIKTEN STRAFBAR!

zum Beispiel:

- Vorbereiten eines Hochverrats


- Vorbereitung der Fälschung öffentlicher Urkunden oder Geld
- Verbrecherisches Komplott und Bandenbildung

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
Bei den VERSUCHSDELIKTEN wird nicht die Strafbarkeit vorgezogen, sondern der
Vollendungszeitpunkt ist bereits mit dem Versuch gegeben.

VERSUCH und VOLLENDUNG sind nicht nur die beiden strafbaren Formen im
Strafrecht sondern die beiden Erscheinungsformen der VORSATZDELIKTE.

JEDER VERSUCH IST BEI EINEM VORSATZDELIKT STRAFBAR !!!!

Aber damit soll keine generelle Kriminalisierung bei Bagatelldelikten einhergehen. Es


erscheint angebracht, dass in Zusammenhang der § 42 StGB (mangelnde
Strafwürdigkeit der Tat) großzügig ausgelegt wird.

In § 15 wird geregelt, dass

- jeder VERSUCH eines VORSATZDELIKTES STRAFBAR IST!

- mit Hilfe des § 15 wird der Tatbestand des versuchten Deliktes gebildet

- für versuchte Delikte dieselben Rechtsfolgen gelten wie für vollendete

Die ABGRENZUNG zwischen Versuch und Vorbereitung gehört zu den


schwierigsten Themenbereichen der Versuchslehre. Eine Abgrenzung zwischen
Versuch und Vorbereitung wird in § 15 Abs 2 gezogen.

Maßgeblich ist, was ein OBJEKTIVER BEOBACHTER, der den Tatplan kennt als
den entscheidenden Schritt zur Tatbegehung empfunden hat.

Diese Betrachtung wird auch als EINDRUCKSTHEORIE bezeichnet.

Ein DELIKT IST IN JEDEM FALL VOLLENDET wenn ALLE


TATBESTANDSMERKMALE ERFÜLLT SIND!

Obwohl die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung einfach erscheint kommt
es doch auf die spezifischen Umstände an.

Diebstahl oder Raub sind jedenfalls erst mit Gewahrsamsbruch vollendet. Zur
Vollendung des Betruges gehört der eingetretene Vermögensschaden. Eine bloße
Vermögensgefährdung reicht dazu nicht aus!!!

Delikte mit erweitertem Vorsatz sind bereits ab dem Zeitpunkt vollendet in dem der
Täter mit dem erweiterten Vorsatz die Tathandlung vornimmt.
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

AUFBAU DER VERSUCHSPRÜFUNG

Ein Versuch ist eine VOLLSTÄNDIG GEWOLLTE ABER STECKENGEBLIEBENE


TAT!

Damit ein Versuch vorliegt müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

I. es dürfen nicht alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sein


Dazu reicht schon das Fehlen eines einzigen objektiven
Tatbestandsmerkmales.

II. der Täter muss mit VOLLEM TATENTSCHLUSS gehandelt haben


Beim Versuch darf in subjektiver Sicht nichts fehlen. Meist kann man
Tatvorsatz darunter verstehen. Bedingter Tatvorsatz reicht schon.

III. der Täter muss bereits eine Ausführungshandlung oder eine


ausführungsnahe Handlung begangen haben, sonst würde es sich um eine
straflose Vorbereitungshandlung handeln

Der Schuldbegriff beim versuchten Delikt ist im Gegensatz zum vollendeten Delikt
(viergliedrig) dreigliedrig.

Im Gegensatz zum Tatbildirrtum hat der Täter beim versuchten Delikt mehr Vorsatz
als er umsetzt. Beim Tatbildirrtum überschießt das Tatbild den Vorsatz.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

RÜCKTRITT UND TÄTIGE REUE (§ 16 StGB)

Die Frage ist primär ob es sich um einen beendeten oder unbeendeten Versuch
handelt. Dies kann lediglich subjektiv beurteilt werden, nachdem hierzu keine
Regelung im StGB vorliegt.

In jedem Fall ist der Versuch beendet, wenn der Täter glaubt alles zur Vollendung
der Tat erforderliche getan zu haben. Glaubt er jedoch, dass er noch weiter handeln
muss, dann ist der Versuch noch unbeendet.

§ 16 Abs 1 StGB legt fest, dass jemand der vom UNBEENDETEN VERSUCH
STRAFFREI BLEIBT wenn:

- die TATAUSFÜHRUNG ENDGÜLTIG AUFGEGEBEN wird und


- FREIWILLIGKEIT VORLIEGT

Nach der Frankschen Formel:

freiwillig = ich will nicht, obwohl ich kann

unfreiwillig = ich kann nicht, obwohl ich will

also ist iSd Frankschen Formel „freiwillig“ wenn:

- der Täter aus Gewissengründen, aus Mitleid, Angst vor Schimpf und Schande
oder aus Furcht vor Strafe zurücktritt

NB: unfreiwillig ist, wenn

- das Opfer erheblichen Widerstand leistet oder flüchtet

- der Täter einschläft, oder wenn er wegen tiefem Ekel ablässt oder er von
Hundegebell vertrieben wird oder wenn sich die Haustüre nicht so leicht
öffnen lässt oder der gestohlene Wagen nicht anspringt....

- unfreiwillig ist auch wenn der Täter vor einem nahenden Polizeiwagen flüchtet
oder wenn er sich beobachtet fühlt

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
RÜCKTRITT VOM BEENDETEN VERSUCH:

Dabei kann man nur mittels TÄTIGEM RÜCKTRITT STRAFFREI WERDEN:

a) ABWENDUNG DES ERFOLGS


b) FREIWILLIGKEIT
c) EIGENES ZUTUN DES TÄTERS

Unter eigenes Zutun ist zu verstehen, dass PASSIVES VERHALTEN NICHT


REICHT!

Wenn Dritte OHNE WISSEN DES TÄTERS den ERFOLG BEREITS ABGEWENDET
HABEN, dann SCHEIDET STRAFBEFREIENDER RÜCKTRITT gem. § 16 Abs 1 3.
Fall aus – möglich wäre § 16 Abs 2.

Beim fehlgeschlagenen Versuch hat der Täter Pech. Wenn der Täter eine weitere
Ausführung nicht für möglich hält, kann er auch nicht mehr zurücktreten....

Das geht natürlich nur solange er sein ursprüngliches Ziel noch für erreichbar hält –
und zwar aus eigenem Handeln heraus.

Unter ABWENDUNG DES ERFOLGS wird GEFAHRNEUTRALISIERENDES


HANDELN verstanden.

RÜCKTRITT UND TÄTIGE REUE SIND STRAFAUFHEBUNGSGRÜNDE!

STRAFAUFHEBUNGSGRÜNDE:

Strafaufhebungsgründe beschreiben die Voraussetzungen unter denen die wegen


einer Straftat an sich bereits verwirkte Strafe wieder aufgehoben wird.

Damit berücksichtigt das Gesetz Umstände die nach Begehung der Straftat
entstanden sind.

STRAFAUSSCHLIESSUNGSGRÜNDE:

Strafausschließungsgründe beschreiben Umstände einer Straftat die idR schon bei


Ihrer Begehung vorliegen und einer Bestrafung entgegenstehen.

Der wichtigste Strafausschließungsgrund ist MANGELNDE STRAFWÜRDIGKEIT


gem § 42 StGB. Gleich danach kommt § 88 Abs 2 (Körperverletzung ohne schweres
Verschulden).

Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe WIRKEN NUR AD PERSONAM!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
Wenn TATBESTANDSMÄSSIGKEIT, RECHTSWIDRIGKEIT und SCHULD vorliegen
– ist das DELIKT VOLLENDET. Dann kann nur noch ein Strafaufhebungs- oder
Strafausschließungsgrund die Strafe AUFHEBEN oder AUSSCHLIESSEN.

DER UNTAUGLICHE VERSUCH (§ 15 Abs 3 StGB)

Dabei handelt es sich um einen wichtigen Problembereich in der Versuchslehre.

In § 15 Abs 3 sind 3 Ursachen für die Untauglichkeit eines Versuchs angegeben:

1. Untauglichkeit des Subjekts

2. Untauglichkeit des Objekts

3. Untauglichkeit der Handlung

Die Untauglichkeit des Subjekts ist ein Irrtum des Täters über seine eigene
Täterqualität (z.B. Putzfrau im Amt glaubt sie begeht Amtsmissbrauch etc.).

Untauglichkeit des Objekts liegt vor, wenn die Vollendung der Tat nach Art des
Gegenstandes an dem sie begangen wurde ausgeschlossen ist. (z.B. Mann schießt
auf Baumstumpf weil er glaubt, dass das sein Feind ist, oder Mordversuch an bereits
Verstorbenem etc.).

Untauglichkeit der Handlung liegt vor, wenn die Vollendung der Tat nach Art der
Handlung ausgeschlossen ist (z.B. jemand will seinen Feind mit Kopfpolster
erschlagen).

Wegen der gleichen Strafwürdigkeit sind die Rechtsfolgen des untauglichen


Versuchs prinzipiell dieselben wie für jeden anderen Versuch.

STRAFFREI IST NUR DER ABSOLUT UNTAUGLICHE VERSUCH!

Der Grund liegt darin, dass eine Tat die nur dazu geeignet ist Kopfschütteln ob der
Dummheit auszulösen keinen so verderblichen Eindruck hervorruft, dass das
allgemeine Rechtsbewusstsein dadurch erschüttert wird. Das bedeutet insbesondere
dass keine generalpräventiven Maßnahmen indiziert sind.

Derzeit gibt es zur Thematik die EINDRUCKSTHEORIE welche besagt, dass ein
absolut untauglicher Versuch dann vorliegt, wenn nach dem Urteil eines
verständigen Beobachters die Handlungsvornahme des Täters geradezu
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
denkunmöglich zur Verwirklichung der konkreten Tatplanes und damit zur
Vollendung der Tat führen kann. (der Täter will sein Opfer „totbeten“ etc.).

Daneben gibt es noch die REDUZIERTE EINDRUCKSTHEORIE:

Diese besagt, dass der Wortlaut des § 15 Abs 3 strikt zu beachten ist und die Tat
dann straffrei ist, wenn sie nach Art und Eigenschaft des „Tatobjektes“ geradezu
denkunmöglich war.

DER FAHRLÄSSIGKEITSBEGRIFF iSd StGB

Gemäß § 7 Abs 1 StGB ist fahrlässiges Handeln NUR dann STRAFBAR, WENN es
das Gesetz AUSDRÜCKLICH unter STRAFE stellt.

Im StGB finden sich relativ wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die bedeutsamsten sind


die fahrlässige Tötung gemäß § 80 und die fahrlässige Körperverletzung gem § 88
StGB.

§ 6 Abs 1 enthält die LEGALDEFINITION VON FAHRLÄSSIGKEIT:

Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen
und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist
und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem
gesetzlichen Tatbestand entspricht.

Der strafrechtliche FAHRLÄSSIGKEITSBEGRIFF setzt sich aus vier Elementen


zusammen:

I. OBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT der Handlung

II. SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT der Handlung

III. OBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des Erfolgs

IV. SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des Erfolgs

Maßstab dabei ist der EINSICHTIGE und BESONNENE MENSCH in der LAGE DES
TÄTERS AUS DEM VERKEHRSKREIS DES TÄTERS.

Also hat der Täter fahrlässig gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener
Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters und mit dessen Sonderwissen
ausgestattet in dieser Situation anders verhalten hätte.

Dabei gibt es für viele Lebensbereich Sorgfaltsregeln die zum Teil dem
geschriebenem und zum Teil dem ungeschriebenem Recht angehören.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
Ob überdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse die objektiven
Sorgfaltspflichten erhöhen ist strittig. Unbestritten ist, dass unterdurchschnittliche
Fähigkeiten und Kenntnisse (alte und kranke Menschen etc). NICHT zur
HERABSETZUNG der allgemeinen Sorgfaltsanforderungen führen.

Die Sorgfaltspflichten müssen jedoch realitätsnah bleiben und dürfen nicht


überspannt werden. In Zusammenhang sind insbesondere das ERLAUBTE RISIKO,
der VERTRAUENSGRUNDSATZ sowie das ARBEITSTEILIGE
ZUSAMMENWIRKEN mehrerer PERSONEN wichtig.

Die SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT WIRD DURCH DIE OBJEKTIVE


SORGFALTSWIDRIGKEIT INDIZIERT!

Es ist nach hL und hRS maßgebend ob ein anderer ausgestattet mit den geistigen
und körperlichen Fähigkeiten des Täters in dessen Situation fähig gewesen wäre den
objektiven Sorgfaltsanforderungen zu genügen – oder nicht.

DESHALB kann sich ein TÄTER idR AUF DIE UNKENNTNIS DESSEN WAS ZUM
ALLGEMEINEN ERFAHRUNGS- und WISSENSTANDARD gehört NICHT
BERUFEN!

Ein Sonderproblem stellt dabei die ÜBERNAHMSFAHRLÄSSIGKEIT dar. Sie stellt


darauf ab, ob der Täter eine Tätigkeit übernommen hat, von der er erkennen konnte,
dass er ihr nicht gewachsen ist. Das ist Fahrlässigkeit iSd § 6 StGB.

Der klassische Fall dafür ist jemand, der sich übermüdet, unter Medikamenten-
einfluss und alkoholisiert an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt – oder das „sich
ansaufen“ wenn man weiß oder rechnet, dass man noch Autofahren muss.

OBJEKTIV VORAUSSEHBAR ist ein Erfolg dann, wenn ein EINSICHTIGER und
BESONNENER Mensch in der Lage des Täters die Gefahr des Erfolgseintritts
erkannt hätte. Das wird auch ADÄQUANZZUSAMMENHANG genannt!

Das bedeutet insbesondere, dass der Kausalverlauf nicht außerhalb der allgemeinen
Lebenserfahrung liegen darf – das ist ein ATYPISCHER KAUSALVERLAUF.

Die SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT des ERFOLGS wird idR von der


OBJEKTIVEN VORAUSSEHBARKEIT des ERFOLGS indiziert.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER AUFBAU DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES

Im Gegensatz zu früheren Zeiten werden die Fahrlässigkeitsdelikte heute als


EIGENSTÄNDIGE VERHALTENSFORM angesehen, welche sowohl Unrechts- als
auch Schuldelemente in sich trägt.

Das Unrecht liegt in der Beeinträchtigung eines Rechtsgutes durch eine objektiv
sorgfaltswidrige Handlung des Täters. Die Schuld des Täters liegt darin, dass der
Täter nicht auf die ihm persönlich mögliche und zumutbare Sorgfalt geachtet hat, die
ein maßgerechter Mensch an seiner Stelle beachtet hätte.

++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Bei FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTEN GIBT ES WEDER EINEN VERSUCH, NOCH


EINEN RÜCKTRITT !!!!!

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Man kann bei der Prüfung eines Fahrlässigkeitsdeliktes wie bei einer „normalen“
Fallprüfung vorgehen;

1.) TATBESTANDSMÄSSIGKEIT?

2.) RECHTSWIDRIGKEIT?

3.) SCHULD?

1.) DER TATBESTAND DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES

Automatisierte Handlungen wie zum Beispiel beim Autofahren sowie


FEHLREAKTIONEN im Straßenverkehr erfüllen idR den strafrechtlichen
Handlungsbegriff!!!

Bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten (hauptsächlich fahrlässige Tötung und


fahrlässige Körperverletzung) muss ZUR sorgfaltswidrigen Handlung noch die
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Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs kommen!!!! Die VERURSACHUNG
wird mittels ÄQUIVALENZTHEORIE bestimmt – schon der kleinste Beitrag ist
ursächlich!!!!!

Um die uferlose Weite der ÄQUIVALENTHEORIE EINZUDÄMMEN kommt der


ADÄQUANZZUSAMMENHANG dazu!!!! Das ist die OBJEKTIVE
VORAUSSEHBARKEIT DES ERFOLGS.

2.) DIE RECHTSWIDRIGKEIT BEIM FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT

Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten kann ein Rechtfertigungsgrund zum Tragen


kommen. Denkbar sind insbesondere: NOTWEHR, rechtfertigender NOTSTAND und
EINWILLIGUNG.

EG für rechtfertigenden Notstand: „Arzt in Stalingrad“

3.) DIE SCHULD BEIM FAHRLÄSSIGKEITSDELIKT

Dazu muss man sich die SUBJEKTIVE SORGFALTSWIDRIGKEIT und die


SUBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT ansehen.

Entscheidend ist also ob der Täter nach seinen geistigen und körperlichen
Verhältnissen befähigt war die SUBJEKTIVE SORGFALT zu beachten und den
EINGETRETENEN ERFOLG VORAUSZUSEHEN.

Wenn auch nur eines dieser Elemente fehlt – handelt der Täter NICHT
SCHULDHAFT!

Dabei sind alle Schuldelemente auf den Zeitpunkt der Handlungsvornahme zu


beziehen (nachher sind alle gscheit!).

Es muss ZUMINDEST EIN POTENTIELLES UNRECHTBEWUSSTSEIN


VORHANDEN SEIN!! Der Fahrlässigkeitstäter kann nur bestraft werden, wenn er in
Unrechtbewusstsein gehandelt hat.

Es gibt auch ein normatives Schuldkorrektiv – die UNZUMUTBARKEIT


SORGFALTSMÄSSIGEN HANDELNS – ein generalklauselhafter
Entschuldigungsgrund. Vergleichsgröße ist der maßgerechte Mensch.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

SPEZIELLE PROBLEME DES FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTES

Um die schier uferlose Weite des Äquivalenzprinzips zu begegnen hat sich die
LEHRE VON DER OBJEKTIVEN ZURECHNUNG GEBILDET.

Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs setzt bei Fahrlässigkeitsdelikten sowohl


den RISIKOZUSAMMENHANG als auch den Adäquanzzusammenhang voraus.

Der RISIKOZUSAMMENHANG ist DANN GEGEBEN, wenn sich in dem Ereignis das
RISIKO VERWIRKLICHT hat, dessen ABWENDUNG die ÜBERTRETENE
SORGFALTSNORM BEZWECKT.

Nach wie vor heftig umstritten ist ein späteres FEHLVERHALTEN eines dritten oder
des Verletzten selbst.

Es gilt, dass der Erstverursacher MANGELS RISIKOZUSAMMENHANG nicht haftet,


wenn das verletzte Opfer im Bewusstsein seinen eigenverantwortlichen
Lebensgefährdung ein Folgeverhalten setzt, das für JEDEN VERNÜNFTIGEN
MENSCHEN und den gegebenen Umständen UNBEGREIFLICH ist.

NB: Aber es wird gemeinhin dem Erstverursacher eine sehr weite Haftung für
DIAGNOSE- und BEHANDLUNGSFEHLER aufgebürdet.

ADÄQUANZZUSAMMENHANG – OBJEKTIVE VORAUSSEHBARKEIT

Ein weiteres Sonderproblem ist der ATYPISCHE KAUSALVERLAUF. Solche einer


liegt vor, wenn der Kausalverlauf AUSSERHALB DER ALLGEMEINEN
LEBENSERFAHRUNG liegt.

Es gilt als noch INNERHALB der Lebenserfahrung liegend wenn:

- der Verletzte an einer hinzukommenden Lungenentzündung oder Embolie


stirbt
- der Arzt eine Komplikation zu spät erkennt

Außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung wird beurteilt, wenn:


Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

- der Verletzte auf dem Weg zum Arzt von einem Ziegel erschlagen wird
- der Verletzte im Krankenhaus von einer Hornisse zu Tode gestochen wird
- der Verletzte unabhängig davon Opfer eines Verkehrsunfalls wird oder durch
einen Amokläufer stirbt
- auch ganz ungewöhnliche Komplikationen bei der Operation gelten als
atypisch

RISIKOZUSAMMENHANG und ADÄQUANZZUSAMMENHANG begrenzen die


Haftung bei der objektiven Zurechnung!

RECHTMÄSSIGES ALTERNATIVVERHALTEN

Dabei handelt es sich um ein in der PRAXIS bedeutendes Sonderproblem. Es geht


um Fälle bei denen der RISIKOZUSAMMENHANG und der
ADÄQUANZZUSAMMENHANG zwar gegeben sind, der Täter jedoch einwendet,
dass der Erfolg auch dann eingetreten wäre, wenn er sich SORGFALTSGEMÄSS
VERHALTEN HÄTTE.

z.B. der Lenker wendet ein, dass er dem Opfer auch dann nicht ausweichen hätte
können, wenn er statt 60 km/h nur mit der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h
gefahren wäre.....

Eine LÖSUNG für solche FÄLLE ist die RISIKOERHÖHUNGSTHEORIE von ROXIN.
Nach dieser Theorie kommt es darauf an, ob das sorgfaltswidrige Verhalten das
auch bei rechtmäßigem Verhalten bestehende Risiko WESENTLICH ERHÖHT hat.

Wenn ja: Pech für den Täter.

Das StGB unterscheidet in § 6 zwischen BEWUSSTER (§ 6 Abs 2 StGB) und


UNBEWUSSTER (§ 6 Abs 1 StGB) FAHRLÄSSIGKEIT.

Diese Abstufung macht jedoch keinen Unterschied – weil für alle Fahrlässigkeits-
delikte bereits die unbewusste Fahrlässigkeit genügt.

Der EIGENTLICHE GRUND FÜR diese zwei Formen der Fahrlässigkeit besteht darin
eine MÖGLICHST SCHARFE GRENZE ZWISCHEN BEWUSSTER
FAHRLÄSSIGKEIT zum einen und BEDINGTEM VORSATZ (dolus eventualis) zum
Anderen zu ziehen.

Der Unterschied:

BEWUSST FAHRLÄSSIG: es wird schon nicht....


Hält Tatbestandsverwirklichung ernstlich für
möglich und findet sich damit ab

BEDINGT VORSÄTZLICH: na wenn schon!


Täter vertraut darauf, dass Erfolg nicht eintritt

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE

Die wichtigsten erfolgsqualifizierten Delikte sind

- § 84 StGB - schwere Körperverletzung


- § 85 StGB - Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen
- § 86 StGB - Körperverletzung mit tödlichem Ausgang
- § 94 Abs 2 StGB – Imstichlassen eines Verletzten mit schwerer KV oder Tod
als Folge
- § 106 Abs 3 StGB – schwere Nötigung
- § 143 StGB – schwerer Raub
- § 169 Abs 3 – Brandstiftung mit Todesfolge
- § 201 Abs 3 – Vergewaltigung mit schwerer KV, Tod, besondere Erniedrigung
etc.

ERFOLGSQUALIFIZIERTE DELIKTE SIND ALLE DELIKTE BEI DENEN DAS


GESETZ AN EINE BESONDERE FOLGE DER TAT EINE HÖHERE STRAFE
KNÜPFT!

Das ist nicht zu verwechseln mit den qualifizierten Erfolgsdelikten – wozu auch die
Wertqualifikationen zählen!!!!!

Der wesentliche Punkt im STRAFGESETZ dazu ist in § 7 Abs 2 verankert. Danach


muss die BESONDERE FOLGE DER TAT WENIGSTENS FAHRLÄSSIG
HERBEIGEFÜHRT WORDEN SEIN! Wenn dem nicht so ist, dann bleibt es bei der
Bestrafung des Grunddelikts.

Lehre und Praxis begnügen sich mit einer vereinfachten Fahrlässigkeitsprüfung.


Normalerweise (idR) gehört der eingetretene Erfolg der ART NACH zu den
OBJEKTIV voraussehbaren Folgen der Tat. Dazu reicht also schon das Grunddelikt.

DIE BESONDERE FOLGE DER TAT KANN DEM TÄTER NUR DANN
ANGELASTET WERDEN, WENN SIE IHM OBJEKTIV ZUGERECHNET WERDEN
KANN. Das bedeutet, dass die Folgen SOWOHL INNERHALB DES RISIKO- als
auch des ADÄQUANZZUSAMMENHANGES liegen.

EG: Opfer fährt mit Bauchstichen zu einem weit entfernten Ziel mit dem Bus –
obwohl der Arzt auf die lebensbedrohliche Situation hingewiesen hat.
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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Bei den ERFOLGSQUALIFIZIERTEN VORSATZDELIKTEN MUSS DER TÄTER


hinsichtlich des GRUNDDELIKTS VOSÄTZLICH und bezüglich der BESONDEREN
FOLGE WENIGSTENS FAHRLÄSSIG gehandelt haben.

ECHTE UND UNECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE

ECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE

Echte Unterlassungsdelikte sind Delikte bei denen das Gesetz die


NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN TUNS mit STRAFE BEDROHT. Der
Tatbestand erfüllt sich in der Nichtvornahme.

Die drei wichtigsten echten Unterlassungsdelikte:

- § 94 Imstichlassen eines Verletzten


- § 95 Unterlassung der Hilfeleistung
- § 286 Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung

Die Pflicht zur Vornahme des gebotenen Tuns wird bei ALLEN UNECHTEN und
ECHTEN Unterlassungsdelikten durch die realen Gegebenheiten – insbesondere die
psycho-physischen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Betreffenden begrenzt.

Die Vornahme des gebotenen Tuns MUSS DEM VERPFLICHTETEN


TATSÄCHLICH MÖGLICH SEIN. Dabei handelt es sich um ein ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal aller Unterlassungsdelikte!

Darüber hinaus gibt es noch die ERFOLGSQUALIFIZIERTEN UNTERLASSUNGS-


DELIKTE. Bei ihnen knüpft das Gesetz an eine besondere Folge des Unterlassens
eine höhere Strafe. Die besondere Folge muss wiederum zumindest fahrlässig
verursacht sein.

UNECHTE UNTERLASSUNGSDELIKTE

Unechte UNTERLASSUNGSDELIKTE sind Delikte, bei denen das Gesetz die


Herbeiführung eines Erfolgs durch NICHTVORNAHME eines GEBOTENEN
TUNS mit STRAFE bedroht (vgl. § 2 StGB Begehung durch Unterlassung).

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Im Unterschied zum echten Unterlassungsdelikt trifft den Täter eine qualifizierte
Pflicht: ER MUSS DEN EINTRITT DES DROHENDEN ERFOLGS ABWENDEN –
d.h. er hat die ERFOLGSABWENDUNGSPFLICHT!!!!!

Eine so weitgehende Pflicht auferlegt das Gesetz aber nur GARANTEN!!!

Je nachdem ob die Unterlassung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wird


unterscheidet man VORSÄTZLICHE und FAHRLÄSSIGE UNECHTE
UNTERLASSUNGSDELIKTE.

Die BEDEUTUNG des § 2 für die unechten Unterlassungsdelikte

§ 2 enthält eine AUTHENTISCHE AUSLEGUNGSREGEL. Sie bestimmt unter


welchen rechtlichen Voraussetzungen die NICHTVORNAHME eines gebotenen Tuns
unter die als „TUN“ beschriebene Tathandlung eines Begehungsdeliktes subsumiert
werden kann.

§ 2 ist IN DEN TATBESTAND des in BETRACHT KOMMENDEN


BEGEHUNGSDELIKTES SINNGEMEÄSS HINEINZULESEN. Daher ist bei Mord
zum Beispiel zu zitieren: § 2 iVm § 75.

Jedenfalls stellt § 2 fest, dass NICHT ALLE BEGEHUNGSDELIKTE – SONDERN


NUR ERFOLGSDELIKTE in der Form des unechten Unterlassungsdeliktes
begangen werden können. (Das bedeutet, dass Begehungsdelikte wie Meineid nicht
durch unechte Unterlassung begangen werden können!!! – NO NA!).

§ 2 erstreckt die Strafandrohung des entsprechenden Begehungsdeliktes auf das


unechte Unterlassungsdelikt – aber in § 34 Z 5 wird diese Konstellation als
strafmildernd angeführt.

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AUFBAU DES UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKTES

DER TATBESTAND DES UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKTES

Dieser setzt sich aus FÜNF ELEMENTEN ZUSAMMEN:

I. EINTRITT DES ERFOLGES


Zum vollendeten unechten Unterlassungsdelikt muss der Erfolg
eingetreten sein. Sonst kommt allenfalls der VERSUCH eines unechten
Unterlassungsdeliktes in Frage (§ 2, § 15 iVm § xxx StGB!)

II. NICHTVORNAHME DES GEBOTENEN TUNS


Geboten ist stets so ein Tun, das darauf abgerichtet ist, den
tatbestandsmäßigen Erfolg möglichst rasch und sicher abzuwenden.
Maßgeblich ist dabei die EX ANTE SICHT eines OBJEKTIVEN
BEOBACHTERS.

Es kommt dabei auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Verpflichteten


sowie auf Art und Intensität der Gefahr, auf die räumliche Nähe zur
Gefahrenstelle etc. an. Dabei reicht schon die Vornahme einer Handlung
mit Erfolgabwendungstendenz.

III. TATSÄCHLICHE MÖGLICHKEIT DER ERFOLGSABWENDUNG


“ultra posse nemo obligatur“
Die tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung darf nicht mit der Frage
nach der Zumutbarkeit verwechselt werden!

IV. HYPOTHETISCHE KAUSALITÄT


Ein Unterlassen ist KAUSAL für einen Erfolg, wenn das gebotene Tun
nicht hinzugedacht werden kann , ohne, dass der Erfolg in seiner
konkreten Gestalt mit AN SICHERHEIT GRENZENDER
WAHRSCHEINLICHKEIT entfiele.....

V. GARANTENSTELLUNG
Täter eines unechten Unterlassungsdeliktes KANN DENKMÖGLICH NUR

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EIN GARANT SEIN!!!! Garant iSd § 2 StGB ist, wer rechtlich dafür
einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt.

GLEICHWERTIGKEITSKORREKTIV

§ 2 StGB regelt explizit, dass ein Garant nur dann wegen Unterlassen bestraft
werden kann, wenn die Unterlassung einem Tun gleichzuhalten ist..... Das ist nur bei
verhaltensgebundenen Delikten wie z.B. § 144 Erpressung oder § 146 Betrug zu
prüfen. Das Gleichwertigkeitskorrektiv ist nach hM jedenfalls kein eigenständiges
Tatbestandsmerkmal.

SPEZIELLE PROBLEME BEIM


UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKT

GARANTENSTELLUNG

Die GARANTENSTELLUNG iSd § 2 ist nicht nur das komplexeste und schwierigste
sondern BEI WEITEM AUCH WICHTIGSTE ERFORDERNIS für die Verwirklichung
eines unechten Unterlassungsdeliktes.

Eine Garantenstellung KANN NUR durch RECHTSPFLICHTEN begründet werden.


Diese ergeben sich aus dem Gesetz – können mittels Analogien aber auch aus der
Rechtsordnung abgeleitet werden.

Moral, Anstand, soziale und ethische Werte etc. ERZEUGEN KEINE


RECHTSPFLICHTEN und lassen dementsprechend auch KEINE
GARANTENSTELLUNG entstehen. Freundschaft, Kameradschaft, Nachbarschaft
etc. sind alles in Zusammenhang IRRELEVANTE Funktionen.

Dafür genügen auch nicht jedermann treffende Rechtspflichten – sondern es ist nach
bestimmten Personen und bestimmten Situationen zu differenzieren. So ist nicht
jeder Arzt Garant dem Patienten gegenüber – sondern nur der DIENSTTUENDE
ARZT bzw. derjenige der die Behandlung dieses Patienten übernommen hat.

Bei juristischen Personen trifft die Garantenstellung nicht die Kapitalgesellschaft z.B.
als solche sondern die Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates, oder die
Geschäftsführung.

Eine GARANTENSTELLUNG kann sich ergeben aus:

- RECHTSVORSCHRIFT
Die beiden wichtigsten Rechtsvorschriften sind familienrechtlicher Art.
EHEGATTEN und KINDER. Dies gilt auch für uneheliche Kinder!!!
Weiters gibt es dazu Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht,
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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Arbeitnehmerschutz, Baurecht, Gewerberecht, Amts- und Dienstpflichten bei
Beamten etc.

- ENGER NATÜRLICHER VERBUNDENHEIT (Lebenspartner etc.)


Die Verbundenheit MUSS ENG sein und eine RECHTLICHE GRUNDLAGE
haben!!! Verlobter, Geschwister etc. zT strittig

- FREIWILLIGE PFLICHTENÜBERNAHME
Bademeister, Kindermädchen, Ärzte, Krankenschwester, Vermögensverwalter
etc. – aber nur wenn sie ihren Dienst tatsächlich angetreten haben
Dabei ist irrelevant ob ausdrücklich oder konkludent, entgeltlich oder
unentgeltlich und vorübergehend oder auf Dauer....

- GEFAHRENGEMEINSCHAFT
Von einer Gefahrengemeinschaft spricht man, wenn sich mehrere Personen
zu dem Zweck verbunden haben, durch ihren Zusammenschluss die
CHANCEN ZUR BEWÄLIGUNG eines GEFÄHRLICHEN UNTERNEHMENS
zu ERHÖHEN. Das gilt nicht für ZUFALLSGEMEINSCHAFTEN!!!!! Das hat
der OGH beim „SÜCHTIGEN PARTY Fall“ festgestellt.

- GEFAHRBEGRÜNDENDES VORVERHALTEN
Wer durch sein objektiv pflichtwidriges Verhalten eine nahe Gefahr für fremde
Rechtsgüter herbeiführt ist verpflichtet den Erfolg abzuwenden.

GEFAHRBEGRÜNDENDES VORVERHALTEN = PRINZIP DER INGERENZ

Dabei gilt, dass nur so ein Vorverhalten eine Garantenstellung begründet,


wenn es einen Erfolgseintritt wahrscheinlich macht wie zB das Zurücklassen
des alkoholisierten Lebensgefährten an einer gefährlichen Furt.

Bei Delikten gegen Leib und Leben verlangt die Rspr einschränkend, dass das
Opfer durch das Vorverhalten in eine Lage qualifizierter Schutzbedürftigkeit
versetzt worden sein muss aus der es sich ohne fremde Hilfe nicht befreien
kann.

Als Rechtfertigungsgrund für ein unechtes Unterlassungsdelikt kommt in


erster Linie eine RECHTFERTIGENDE PFLICHTENKOLLISION in Frage (zB
man kann von 2 Hilfsbedürftigen nur einen vor dem Ertrinken retten etc.).

SCHULDPROBLEME BEIM UNECHTEN UNTERLASSUNGSDELIKT

GRUNDSÄTZLICH muss sich der TATVORSATZ auf ALLE OBJEKTIVEN


TATBESTANDSMERKMALE erstrecken, das heißt INSBESONDERE auch auf die
GARANTENSTELLUNG. Wenn der Vorsatz auch nur hinsichtlich eines einzigen
objektiven Tatbestandsmerkmales fehlt, dann kommt allenfalls eine Bestrafung
wegen FAHRLÄSSIGKEIT in Betracht – aber nur wenn es überhaupt ein
diesbezügliches Fahrlässigkeitsdelikt gibt!!!!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Problematisch erscheint weiteres der Unterlassungsvorsatz, wenn sich der „Täter“
einfach zu keiner Entscheidung aufraffen kann.

Weiters sind VIELFÄLTIGE MÖGLICHKEITEN eines TATBILDIRRTUMS denkbar –


der praktisch wichtigste Fall ist der IRRTUM über die GARANTENSTELLUNG. Ein
solcher liegt vor, wenn der Täter über die tatsächlichen Umstände irrt, die eine
Garantenstellung begründen.

Weitgehend ungelöst und noch nicht abschließend erörtert sind die Fragen der
UNZUMUTBARKEIT.

Die JEDERMANN treffenden Pflichten aus einem echten Gunterlassungsdelikt


BEGRÜNDEN NIEMALS eine GARANTENSTELLUNG iSd § 2 StGB.

GRUNDLAGEN DER BETEILIGUNGSLEHRE

Im Gegensatz zum deutschen Modell (dualistisches System) besteht in Österreich


das MONISTISCHE SYSTEM.

In Österreich wird GANZ BEWUSST auf eine begriffliche Gegenüberstellung von


Tätern und Teilnehmern verzichtet.

ALLE AN EINER TAT BETEILIGTEN PERSONEN WERDEN EINHEITLICH ALS


TÄTER BEZEICHNET UND UNTERLIEGEN DERSELBEN STRAFDROHUNG!!!!

Daher leitet sich der Begriff des EINHEITSTÄTERS bzw. der


EINHEITSTÄTERSCHAFT ab.

Im Einheitstätersystem ist nicht nur Täter wer die Tat unmittelbar ausführt, sondern
auch derjenige, der den Ausführenden den Willen stärkt oder ihm hilfreiche Hand
bietet.

Obwohl alle Beteiligten TÄTER sind – verantwortet jeder natürlich nur seine eigene
Schuld. Ein wesentlicher Punkt für das Einheitstätersystem ist der VERZICHT AUF
DIE QUALITATIVE AKZESSORIETÄT.

In Österreich besteht das FUNTIONALE EINHEITSTÄTERSYSTEM – wir


unterscheiden zwischen:

- unmittelbarem Täter
- Bestimmungstäter und
- Beitragstäter

Damit haben wir ein Mehrtypensystem, das immer noch ein Einheitstätersystem ist.

In § 12 StGB ist die zentrale Vorschrift der österreichischen Beteiligungslehre erfasst:

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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NICHT NUR DER UNMITTELBARE TÄTER BEGEHT DIE STRAFBARE
HANDLUNG, SONDERN AUCH JEDER, DER EINEN ANDEREN DAZU BESTIMMT,
SIE AUSZUFÜHREN, ODER SONST ZU IHRER AUSFÜHRUNG BEITRÄGT.

Der VERZICHT auf die QUALITATIVE AKZESSORIETÄT ist das untrügliche


Kennzeichen jeder Einheitstäterregelung.

In Österreich:

- ES GIBT NUR EINE TÄTERSCHAFTSFORM


- Alle Täterschaftsformen sind rechtlich gleichwertig
- VERZICHT auf die QUALITATIVE AKZESSORIETÄT
- GLEICHER STRAFRAHMEN für ALLE BETEILIGTEN

Im Hinblick auf eine mögliche falsche Einordnung des Täters in eine falsche
Täterschafsform vertritt der OGH die Ansicht, dass dies den Täter nicht benachteiligt.

Aber bei mehrtäterschaftlicher Begehung MUSS IN ALLEN VERFAHRENSARTEN


SICHERGESTELLT WERDEN, DASS der jeweilige KONKRETE TATANTEIL
SACHVERHALTSMÄSSIG hinreichend deutlich festgestellt wird.

Auch ist im URTEIL AUSZUSPRECHEN WELCHE der DREI TÄTERFORMEN


VORLIEGT.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

DER UNMITTELBARE TÄTER

Im österreichischen Einheitstätersystem gibt es drei Täterschaftsformen:

I. der UNMITTELBARE TÄTER

II. der BESTIMMUNGSTÄTER und

III. der BEITRAGSTÄTER

Unmittelbarer Täter ist, wer eine dem Wortlaut eines bestimmten Tatbestandes
entsprechende Ausführungshandlung vornimmt. Wenn dem nicht so ist – ist der
Täter zumindest nicht der unmittelbare Täter.

Unmittelbarer Täter ist auch wer VIS ABSOLUTA oder ein dressiertes Tier etc.
einsetzt.

Eine ZUPRDNUNGSPROBLEMATIK tritt dann auf, wenn mehrtäterschaftliche


Fallkonstellationen vorliegen . In Frage kommt da zum Beispiel eine Mittäterschaft
oder eine Beitragstäterschaft etc.

Unmittelbare Mittäterschaft liegt gem § 12 1. Fall StGB vor, wenn Personen eine
tatbestandliche Ausführungshandlung ganz oder zumindest teilweise selbst
vornehmen.

Die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beitragstäterschaft gehört zu den


Standardproblemen der Praxis.

Eine Beteiligung im Vorbereitungsstadium ist für den Beitragstäter insofern


problematisch, als die Vorbereitungshandlung eo ipso straffrei wäre – aber durch die
spätere tatsächliche Ausführung des Deliktes eine strafbare Beitragstäterschaft wird.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
Wenn zum Beispiel bei einer Vergewaltigung einer das Opfer hält und der andere
den Beischlaf ausführt, dann hat der haltende durchaus eine MITtäterschaft zu
verantworten. Bei Mord kommt lediglich eine Beitragstäterschaft in Frage.

VERDECKTE UNMITTELBARE TÄTERSCHAFT:

Burgstaller hat im Rahmen seiner Bemühungen den § 12 iSd des akzessorischen


Teilnahmesystems auszulegen den Begriff der „verdeckten unmittelbaren
Täterschaft“ geprägt. Beispiel: A vergiftet Suppe, die der ahnungslose B dem C
einflößt. Kienapfel würde diesen Fall dahingehend lösen, dass A ein
Bestimmungstäter ist.

MEHRTÄTERSCHAFT BEI FAHRLÄSSIGKEITSDELIKTEN

Inzwischen hat sich die hL und die Rspr durchgesetzt, dass § 12 3. Fall auch für
Fahrlässigkeitsdelikte gilt.

Maßgeblich ist dabei allerdings, dass jeder am Fahrlässigkeitsdelikt beteiligte nur


dann bestraft werden kann, wenn er eine ihn selbst treffende objektive
Sorgfaltspflicht verletzt hat.

Die schwierigste und umstrittenste Materie in Zusammenhang liegt bei der


VORSÄTZLICHEN BETEILIGUNG an einer unvorsätzlichen Tat. (Beispiel mit
kurzsichtigem Jäger, der auf einen Menschen zielt – und der Jagdhelfer ihm noch
den Rucksack abnimmt, damit er besser zielen kann.....).

Wenn man den Grundsatz, dass jeder nach seinem eigenen Unrecht und seiner
eigenen Schuld zu richten ist, haftet der Jäger für fahrlässige Tötung und der
Jagdhelfer gem § 12 3. Fall iVm § 75 MORD!

DER BESTIMMUNGSTÄTER

Ein BESTIMMUNGSTÄTER iSd § 12 2. Fall ist, wer vorsätzlich einen anderen zur
Ausführung einer strafbaren Handlung veranlasst.

Der Begriff „vorsätzlich“ steht zwar nicht explizit im Gesetz, aber BESTIMMEN lässt
sich fast gar nicht anders interpretieren.

Diese Form der Tatbegehungsform ist in den jeweiligen Tatbestand hineinzulesen:

„...Wer einen anderen dazu bestimmt, einen Mord auszuführen....“ – zu zitieren ist
§ 12 2. Fall, 75 StGB.
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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Bestimmungstäterschaft ist eine täterschaftliche TATBEGEHUNGSFORM und setzt


damit eine EIGENE TATBESTANDSMÄSSIGE, RECHTSWIDRIGE und
SCHULDHAFTE HANDLUNG des Bestimmungstäters voraus.

Es muss eine Bestimmungshandlung vorliegen und die mit strafe bedrohte Handlung
muss durch den bestimmten ausgeführt werden.

Wie immer besteht ein dreigliedriger Aufbau:

I. TATBESTANDSMÄSSIGKEIT

Die Bestimmungshandlung ist nicht näher definiert und kann sehr


unterschiedlich ausgelegt werden. Denkbar ist alles von Bestechen, Loben
Drohen, scheinbares Abraten, Überreden, Täuschen etc. Es kann auch
sein, dass der Bestimmungsbefehl verschlüsselt ist und nur vom
Empfänger verstanden wird. Der Ausführende braucht nicht vorsätzlich zu
handeln.

Das bloße Herbeiführen einer provokanten Situation (wie z.B. Geld


herumliegen lassen reicht nicht aus um als Bestimmung qualifiziert zu
werden).

Die Bestimmung muss an einen bestimmten Adressaten gehen und nach


Unrechtsgehalt und Angriffsrichtung ausreichend individualisiert sein.

Bestimmen durch unterlassen GEHT NICHT!!!!


OMNIMODO = ALIAS FACTURUS = ein fest Entschlossener kann nicht
bestimmt werden!

II. RECHTSWIDRIGKEIT

Aus dem Umstand, dass einer der Beteiligten ein Rechtfertigungsgrund


vorliegt, kann nicht auf den anderen geschlossen werden. Allfälliges ist für
jeden einzeln zu prüfen.

Beispiel mit dem A, der merkt, dass C an einer Gasvergiftung stirbt und
den B auffordert Steine in die Fenster des C zu werfen. Während A durch
rechtfertigende Notstandshilfe gedeckt ist, begeht B eine tatbestands-
mäßige, rechtswidrige und schuldhafte Sachbeschädigung wenn er von
der drohenden Gefahr nichts weiß.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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III. SCHULD

Die Schuld ist gemäß § 13 StGB jedem einzeln zuzumessen. Der


Bestimmungstäter muss den Bestimmungsvorsatz haben. Dolus eventualis
genügt insoweit, als diese Vorsatzform auch für den unmittelbaren Täter
genügt.

Der Bestimmungsvorsatz muss immer dahingehen, dass die Tat vollendet


wird. (Deshalb ist ein agent provocateur nicht als Bestimmungstäter zu
strafe, weil er idR nicht will, dass die tat vollendet wird). Auch nicht wer
einen anderen zu einem untauglichen Versuch bestimmt.

Schwierig sind Fälle in denen der Bestimmte mehr oder weniger tut als er
beauftragt wurde.

Wenn der unmittelbare Täter weniger anstellt als der Bestimmungstäter


ihm aufgetragen hat, dann haftet auch der Bestimmungstäter nur für das
Mindergeschehen. Für den nicht umgesetzten Teil ist allenfalls an eine
versuchte Bestimmung zu denken.

Wenn der unmittelbare Täter mehr anstellt als er beauftragt wurde, dann
kann ein QUANTITATIVER oder ein QUALITATIVER EXZESS vorliegen.

Je nach Sachverhalt kann es sein, dass der Bestimmungstäter für den


quantitativen Exzess als fahrlässige bestimmte Begehung haftbar zu
machen ist.

Bei einem qualitativen Exzess bei dem ein ALIUD verwirklicht wird, kann
der Bestimmungstäter für das ALIUD wohl nicht mehr gut haftbar gemacht
werden.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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DER BEITRAGSTÄTER

Ein Beitragstäter iSd § 12 3. Fall ist, wer in sonstiger Weise vorsätzlich oder
fahrlässig zur Ausführung einer strafbaren Handlung beiträgt.

Die Bestimmung des § 12 3. Fall ist KEIN STRAFAUSDEHNUNGSGRUND sondern


eine eigene Tatbegehungsform.

Beitragstäterschaft setzt eine EIGENE TATBESTANDSMÄSSIGE RECHTS-


WIDRIGE und SCHULDHAFTE Handlung des Beitragstäters voraus.

Der TATBESTAND erfordert:

1.) eine BEITRAGSHANDLUNG


2.) die Ausführung einer mit Strafe bedrohten Handlung durch den unmittelbaren
Täter
3.) das vorliegen subjektiver Tatbestandsmerkmale in der Person des
Beitragstäters

Als Tathandlung kommt alles in Frage, was die Ausführung der Tat durch einen
anderen ermöglicht, erleichtert, absichert oder in anderer Weise fördert.

Wenn jemand die Tat allerdings initiiert, dann ist er ein Bestimmungstäter!

Nach stRspr MUSS die TAT KAUSAL – also DE FACTO WIRKSAM gewesen sein.
Schon die geringste Ursache, welche die Tat irgendwie fördert und bis zum Ende
wirksam bleibt, genügt.

Wenn der Tatbeitrag vom Täter nicht in Anspruch genommen wurde, dann bleibt er
straflos!!!!

VERSUCHTER BEITRAG IST NICHT STRAFBAR!!!!


Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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Ein Grundsatz ist, dass der Beitragstäter nicht in größerem Umfang haften darf als
der unmittelbare Täter.

Beitragstäterschaft kann aber nicht nur in Taten sondern auch psychisch erfolgen
(Rat). Das wurde aber in der Vergangenheit zu extensiv ausgenutzt und wird dzt.
Wieder zurückgedrängt bzw. strengeren Maßstäben unterworfen.

Ähnlich wie beim Bestimmungstäter KANN der BEITRAGSTÄTER


GERECHTFERTIGT sein OBWOHL die TAT des UNMITTELBAREN TÄTERS
RECHTSWIDRIG ist. Wie der Bestimmungstäter haftet der Beitragstäter
ausschließlich für eigene Schuld. Im Rahmen der Beitragstäterschaft treten die
gleichen Probleme auf, wenn der Beitrag für eine andere Tat geleistet wurde, als
tatsächlich zur Ausführung gelangt.

BETEILIGUNG UND VERSUCH

Gemäß § 15 StGB erstrecken sich die Strafdrohungen auch für den VERSUCH des
unmittelbaren Täters sowie für den VERSUCH und für JEDE BETEILIGUNG an
einem VERSUCH.

In § 15 Abs 2 FEHLT eine Regelung für den VERSUCH des BEITRAGSTÄTERS. Sie
FEHLT MIT ABSICHT!

In Abs 3 ist der ABSOLUT UNTAUGLICHE VERSUCH geregelt.

Nachdem die Wohltat des strafbefreienden Rücktritts welche dem unmittelbaren


Täter zugestanden wird schwerlich dem Beitragstäter versagt werden kann, ist in
§ 16 eine diesbezügliche Regelung enthalten.

DER VERSUCH DES BESTIMMUNGSTÄTERS

Der Bestimmungsversuch umfasst alle Fälle, in denen es dem Bestimmenden NICHT


gelingt, den unmittelbaren Täter wenigstens zum Versuch der Tat zu veranlassen.

Die Strafbarkeit des Bestimmungsversuchs ist kriminalpolitisch nicht unumstritten –


weil auch ganz geringfügige Delikte mit Strafe bedroht sind obwohl die
Tatausführung durch den anderen nicht einmal in Sicht ist.

Wenn OMNIMODO FACTURUS vorliegt, kann man trotzdem versuchte Bestimmung


annehmen.

BESTIMMUNG ZUM VERSUCH

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Eine BESTIMMUNG zum VERSUCH liegt vor, wenn der unmittelbare Täter eine
Ausführungshandlung vornimmt, diese aber über das Versuchsstadium nicht
hinauskommt.

ABGRENZUNG ZWISCHEN VERSUCH UND VORBEREITUNG

Leitlinie für die Unterscheidung ist auch hier die Eindruckstheorie – es kommt auf die
wertende Betrachtung vom objektiven Standpunkt eines beobachtenden Dritten an.

Versuchte Bestimmungstäterschaft liegt vor, sobald der Bestimmungstäter seinen


Bestimmungsentschluss durch eine Bestimmungshandlung oder zumindest durch
eine bestimmungsnahe Handlung iSd § 15 Abs 2 betätigt hat.

RÜCKTRITT DES BESTIMMUNGSTÄTERS

Strafbefreiender Rücktritt von versuchter Bestimmungstäterschaft ist grundsätzlich


bis zur Vollendung der angesonnenen Tat durch den unmittelbaren Täter möglich.

Dazu müssen aber folgende Bedingungen erfüllt sein:

- der Täter muss selber aktiv werden und die Tat verhindern
- das muss freiwillig sein

dem Rücktritt nach § 16 Abs steht sein FREIWILLIGES und ERNSTLICHES


BEMÜHEN um einen RÜCKTRITT gleich!

DER VERSUCH DES BEITRAGSTÄTERS

Die Beitragstäterschaft ist eine KOMBINIERTE RECHTSFIGUR, die sich aus zwei
personenverschiedenen Strukturen zusammensetzt.

Die BESTRAFUNG des Beitragstäters wegen VOLLENDETEM DELIKTS setzt


voraus, dass der Beitragstäter einen KAUSALEN und OBJEKTIV
ZURECHENBAREN BEITRAG ERBRACHT hat UND dass der unmittelbare Täter die
Tat tatsächlich begangen hat (d.h. vollendet hat!!!!).

REDUZIERTER UMFANG DER VERSUCHTEN BEITRAGSTÄTERSCHAFT

Der bloße Beitragsversuch, also das VERGEBLICHE BEMÜHEN einen anderen bei
der Vorbereitung oder der unmittelbaren Ausführung der Tat zu unterstützen
BEGRÜNDET KEINE STRAFBARKEIT!!!!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Die STRAFLOSIGKEIT der versuchten Beitragstäterschaft ergibt sich aus einem
argumentum e contrario Schluss des § 15 Abs 2. Dort ist der Versuch des
unmittelbaren Täters sowie des Bestimmungstäters als strafbar umfasst – aber nicht
die versuchte Beitragstäterschaft. NULLA POENA SINE LEGE -> STRAFLOSIGKEIT

BEITRAG ZUM VERSUCH

Ein Beitrag zu einem Versuch ist laut § 15 Abs 1 3.Fall STRAFBAR. Das gilt für
jeden Beitrag zu einem Versuch. Wie der Beitrag zu einem absolut untauglichen
Versuch zu bewerten ist erscheint fragwürdig. Aber nachdem der Beitragstäter
niemals schwerer bestraft werden kann als der unmittelbare Täter – und dieser
straflos bleibt – ist ein Beitrag zu einem absolut untauglichen Versuch straflos zu
werten.

Die Strafbarkeit der Bestimmungstäterschaft reicht jedenfalls weiter als die des
Beitragstäters. Daher ist genau abzugrenzen zwischen Bestimmung und Beitrag!

ABGRENZUNG VON VERSUCH und VORBEREITUNG

Die Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitung bereitet bei sämtlichen


Täterschaftsformen ein Problem.

Aus § 15 Abs 2 ergibt sich jedenfalls ZWINGEND, dass die


Strafbarkeitserweiterungen für den Versuch des unmittelbaren Täters und des
Bestimmungstäters um die AUFSÜHRUNGS- und BESTIMMUNGSNAHE Handlung
NICHT FÜR DEN VERSUCH des BEITRAGSTÄTERS gelten – sonst wäre das
nämlich EXPLIZIT ANGEFÜHRT.

Versuch der Beitragstäterschaft liegt vor, sobald der Täter seinen Beitragsentschluss
durch eine Beitragshandlung betätigt hat, VORAUSGESETZT, DASS ES IN DEREN
FOLGE ÜBERHAUPT zur VORNAHME EINES VERSUCHS durch den unmittelbaren
Täter kommt – sonst bleibt er straflos!!!!

Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der unmittelbare Täter MIT VOLLEM
TATENTSCHLUSS gehandelt hat – wenn es daran mangelt – liegt ein
STRAFLOSER BEITRAGSVERSUCH vor!

In Relation zu den anderen Vorstufen erscheint die Strafbarkeit des


Bestimmungsversuches etwas überzogen. So ist zum Beispiel eine gelungene
Verabredung zu einem Einbruchdiebstahl für alle Verabredeten straflos, der
Bestimmungsversuch aber strafbar (Versuch Komplizen anzuwerden).... Das
erscheint nicht haltbar. Nach wie vor gilt jedoch AUSNAHMSLOS: nullum crimen sine
lege!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel

BEITEILIGUNG AM SONDERDELIKT

Die Bewertung von MEHRTÄTERSCHAFTLICHEN Fallkonstellationen bei


SONDERDELIKTEN bereitet Schwierigkeiten.

Diese Konstellationen werden in § 14 StGB ABSCHLIESSEND GEREGELT – dürfen


aber nicht auf andere Bereiche ausgedehnt werden!!!!

In § 14 werden UNRECHTSGEPRÄGTE SONDERDELIKTE (Abs 1) und


SCHULDGEPRÄGTE SONDERDELIKTE (Abs 2) unterschieden.

In Abs 1 ist der für sämtliche unrechtsgeprägten Sonderdelikte geltende


GRUNDSATZ verankert, Abs 2 regelt die SEHR SELTENEN SCHULDGEPRÄGTEN
SONDERDELIKTE und schränkt hier den Grundsatz des Abs 1 sehr ein.

DOGMATISCHE GRUNDLAGEN

Sonderdelikte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie beim unmittelbaren Täter


bestimmte persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse voraussetzen.

Das bringt mit sich, dass ein UNMITTELBARER TÄTER immer nur ein qualifiziertes
Tatsubjekt (sog. INTRANEUS) sein kann. Alle anderen Beitragstäter sind EXTRANEI
und können demnach nur Beitrags- oder Bestimmungstäter sein.

Wie auch immer – Beitrags- und Bestimmungstäter haften auch im Rahmen eines
Sonderdelikts AUSSCHLIESSLICH FÜR EIGENES UNRECHT!!!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Das österreichische Strafrecht lässt es genügen, wenn die SUBJEKTMERKMALE
bei EINEM der Beteiligten vorliegen. Dann ist das Gesetz auf ALLE BETEILIGTEN
anzuwenden.

Strittig ist, ob mit Hilfe des § 14 Abs 1 extranei sogar zu unmittelbaren Tätern
werden.

Nach hM wird diese Frage bejaht – Kienapfel stimmt dem nicht zu. Er meint, dass
dadurch Sinn und Zweck des § 14 Abs 1 überinterpretiert werden. Die traditionelle
Meinung vertritt die Ansicht, dass ein EXTRANEI nur ein Bestimmungs- oder
Beitragstäter sein kann.

Nach § 14 ist das Gesetz bei Sonderdelikten auf alle Beteiligten anzuwenden.
Daraus folgt zwangsläufig, dass für INTRANEI und EXTRANEI die gleichen
Strafdrohungen gelten.

Ob ein EXTRANEI milder zu bestrafen ist (ein Drittel weniger) ist umstritten.

BESONDERE PERSÖNLICHE UNRECHTSMERKMALE

Ein solches ist zum Beispiel das Geschlecht des Täters. Täter iSd § 205 Abs 1, 209
kann nur eine Person männlichen Geschlechts sein.

Aber auch eine rechtliche Eigenschaft wie zum Beispiel „Beamter“ iSd § 302 ff ist ein
besonderes persönliches Merkmal.

Bei manchen Sonderdelikten werden die besonderen Täterqualitäten noch weitere


Bedingungen geknüpft. So muss ein Beamter, welcher § 302 StGB verwirklicht IN
MISSBRAUCH SEINER PFLICHTENSTELLUNG handeln.

PERSÖNLICHE SCHULDMERKMALE

Ein Fall von persönlichen Schuldmerkmalen ist zum Beispiel § 79 StGB. Hier genügt
nicht, dass die Täterin MUTTER des Opfers ist – sie muss auch im § 79
beschriebenen Geburtsstress befinden.

Bei den meisten unrechtsgeprägten Sonderdelikten hängt das Unrecht davon ab, ob
der INTRANEUS die Tat als UNMITTELBARER TÄTER ausführt, oder dass er
zumindest in bestimmter Weise daran mitwirkt.

EIGENHÄNDIGE SONDERDELIKTE (§ 14 Abs 1 Satz 2 1. Fall)

Bei dieser Art Delikt kann ein Extraneus nur dann bestraft werden, wenn der
Intraneus die Tat unmittelbar ausgeführt hat.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Beispiel: Bordellwirtin Fall kann so gelöst werden, dadurch, dass die beiden
miteinander Verkehrenden mangels Tatvorsatz straflos bleiben, die Wirtin aber als
Bestimmungstäterin haftet.

SONDERPFLICHTDELIKTE (§ 14 Abs 1 Satz 2 2. Fall)

Der Sinn und Zweck dieser Regelung war lange zeit umstritten. Heute gibt es
wenigstens eine einheitliche hM über den Ausgangspunkt der Regelung.

Dabei wird bestimmt, dass die STRAFBARKEIT eines Bestimmungs- oder


Beitragstäters nur dann gegeben ist, wenn:

- der INTRANEUS die TAT UNMITTELBAR AUSFÜHRT und außerdem


- mit dem jeweils DELIKSTSPEZIFISCHEN TATVORSATZ handelt.

Fraglich ist inwiefern der Bestimmungs- oder Beitragstäter Kenntnis von der
Wissentlichkeit des Amtsmissbrauchs haben müssen.

DIE REGELUNG DES § 14 Abs 2

Die Funktion des Abs 2 beschränkt sich darauf, die Aussage des § 13 auf die
ausschließlich SCHULDGEPRÄGTEN SONDERDELIKTE zu erstrecken.

§ 14 Abs 2 ist damit eine ERGÄNZUNG zu § 13 und hat in erster Linie eine
klarstellende Bedeutung.

Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist relativ begrenzt. Kienapfel nimmt die
Motivation der Legislative bei „§ 79 Kindestötung bei der Geburt“ an.

Gewerbsmäßige Delikte können jedenfalls gar nicht unter diese Regelung fallen, weil
es sich weder um Sonderdelikte handelt, noch die „Gewerbsmäßigkeit“ ein
schuldgeprägtes persönliches Merkmal darstellen (sic!).

Auch für die Entwendung gem § 141 kommt § 14 nicht in Frage – das ist kein
Sonderdelikt.

§ 39 und § 313 fallen auch nicht unter diese Regelung – es handelt sich dabei
lediglich um Strafbemessungsregeln.

EXKURS ZU § 13

Gem § 13 ist jeder Beteiligte nur nach seiner Schuld zu bestrafen. Dieser Grundsatz
ist eine Konkretisierung zum ALLGEMEINEN SCHULDGRUNDSATZ gem § 4 StGB
für die Beteiligungslehre.

Der Anwendungsbereich des § 13 ist sehr weit gespannt und umfasst sämtliche
Fragen des Schulddefizits mit Ausnahme der Bereiche der Sonderdelikte die im
§ 14 Abs 2 ausdrücklich geregelt wurden (lex specialis derogat leges generalis).

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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DIE LEHRE VON DEN KONKURRENZEN

idR häufen sich mehrere Delikte in einem Sachverhalt. Der Richter muss idR ALLE
DELIKTE im Urteilstenor aufnehmen und alle im Tenor erfassten Delikte in einem
Urteilsspruch erledigen.

Wie dies zu lösen ist – klärt die Lehre von den Konkurrenzen.

Die Lehre von den Konkurrenzen gehört zur STRAFRECHTSDOGMATIK. Die


Hauptaufgabe der Lehre von den Konkurrenzen besteht zweifelsohne darin, die
Frage nach dem MASSGEBLICHEN STRAFRAHMEN zu lösen.

Konkurrenzfragen stellen sich immer dann, wenn

a) der Angeklagte MEHRERE DELIKTE BEGANGEN HAT und

b) bezüglich dieser Delikte VOLLDELIKTISCH gehandelt hat – d.h. zumindest


sämtliche materiellen Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt hat.

SCHEINKONKURRENZ UND ECHTE KONKURRENZ

Häufig ergibt sich schon aus dem Zusammenhang, dass das eine Delikt den
Unrechtsgehalt des anderen Deliktes IN JEDER BEZIEHUNG MITUMFASST! Das
bedeutet, dass das Delikt durch das andere Delikt verdrängt wird.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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Bei diesem Fall liegt eigentlich keine Konkurrenz vor, weil das verdrängte Gesetz
nicht anwendbar ist. Daher spricht man von UNECHTER KONKURRENZ oder
SCHEINKONKURRENZ.

Die Frage der Scheinkonkurrenz ist eigentlich im StGB nicht expressis verbis
geregelt.

Der EINZIGE IM STGB GEREGELTE BEREICH hinsichtlich Konkurrenzen ist die


ECHTE KONKURRENZ.

Die Annahme von echten Konkurrenzen hat zur Folge, dass ALLE
KONKURRIERENDEN DELIKTE in den Urteilstenor aufzunehmen sind! Das liegt der
KLARSTELLUNGSFUNKTION zugrunde – das Urteil soll sämtliche Delikte
VOLLSTÄNDIG erfassen und in diesem Sinne klarzustellen.

Es macht Sinn die unechte Konkurrenz vor der echten zu prüfen – weil es nur dann
indiziert ist die weitere Prüfung nach der echten Konkurrenz anzustellen.

SCHEINKONKURRENZ

Die SCHEINKONKURRENZ muss nach DREI ARTEN unterschieden werden:

I. SPEZIALITÄT

II. SUBSIDIARITÄT und

III. KONSUMTION

Mitunter wird auch nach strafloser VORTAT, BEGLEITTAT und NACHTAT


unterschieden (vgl. Burgstaller). In Wirklichkeit handelt es sich um Formen der
Subsidiarität oder Konsumtion lt. Kienapfel.

SPEZIALITÄT

Im Falle der Spezialität verdrängt das SPEZIELLE GESETZ das generelle. Es gilt:

LEX SPECIALIS DEROGAT LEGI GENERALI

Leges specialis sind so zum Beispiel sämtliche QUALIFIZIERTEN und


PRIVILIGIERTEN DELIKTE im Verhältnis zum Grunddelikt. Einen besonders
wichtigen Teil nehmen dabei die ERFOLGSQUALIFIZIERTEN DELIKTE ein.

Wenn mehrere Qualifikationen desselben Grunddeliktes zusammenkommen, besteht


zwischen ihnen idR ECHTE KONKURRENZ.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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SUBSIDIARITÄT

Bei der Subsidiarität wird das zurücktretende Gesetz aufgrund NORMATIVER


ERWÄGUNGEN zurückgedrängt.

Es gibt Fälle in denen das Gesetz die Subsidiarität AUSDRÜCKLICH anordnet. (so
zum Beispiel § 151 StGB Versicherungsmissbrauch).

Daneben gibt es noch die stillschweigende (materielle) Subsidiarität. Das kommt in


Betracht, wenn ein Rechtsgutangriff unterschiedliche Intensitätsgrade oder
verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft.

So sind zum Beispiel Versuchsdelikte zum vollendeten Delikt subsidiär, oder


Gefährdungsdelikte im Verhältnis zur entsprechenden Verletzungstat.

KONSUMTION

Bei der KONSUMTION geht es darum, ob ein Delikt REGELMÄSSIG und


TYPISCHERWEISE im anderen Delikt enthalten ist.

Bei einer solchen Sachlage wird der UNRECHTSGEHALT des verdrängten Deliktes
idR durch das vorrangige AUFGEZEHRT.

Zum Beispiel ist bei einem Einbruchsdiebstahl REGELMÄSSIG und


TYPISCHERWEISE SACHBESCHÄDIGUNG verbunden.

Auch ein Schwangerschaftsabbruch nach § 96 StGB ist ohne gleichzeitige


Körperverletzung der Schwangeren nach §83 kaum vorstellbar....

Wenn das Tatgeschehen im Einzelfall den RAHMEN der typischen BEGLEITTAT


SPRENGT – also ein atypisches ZUSAMMENTREFFEN der Delikte vorliegt, dann
scheidet echte Konkurrenz aus.

RECHTLICHE WIRKUNGEN

Der GRUNDGEDANKE der SCHEINKONKURRENZ besteht darin, das


VERDRÄNGTE GESETZ GÄNZLICH UNBERÜCKSICHTIGT zu LASSEN.

DASVERDRÄNGTE GESETZ DARF NICHT IN DEN SCHULDSPRUCH


AUFGENOMMEN WERDEN!!!

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
Es gibt auch keine Restwirkungen des verdrängten Delikts – das bedeutet, dass
deswegen auch KEINE VORBEUGENDEN MASSNAHMEN, NEBENSTRAFEN oder
NEBENFOLGEN abgeleitet werden dürfen.

Verdrängte Delikte dürfen nicht im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend


berücksichtigt werden!!!

ECHTE KONKURRENZ

Wenn keine Scheinkonkurrenz anzunehmen ist, dann liegt ECHTE KONKURRENZ


vor. Es findet keine Verdrängung wie bei der Scheinkonkurrenz statt.

Im Falle echter Konkurrenz sind sämtliche konkurrierenden Delikte in den


Urteilstenor aufzunehmen.

Im STRAFGESETZ sind ECHTE KONKURRENZEN in § 28 – Zusammentreffen


strafbarer Handlungen erfasst.

Der Zweck dieser Regelung ist wieder einen MASSGEBLICHEN STRAFRAHMEN im


Sinne einer GEMEINSAMEN ABURTEILUNG in einem Urteilstenor zu bestimmen.

Bei der echten Konkurrenz unterscheidet das Gesetz zwei Fallkonstellationen:

I. TATEINHEIT
Das bedeutet, dass der Angeklagte durch eine Tat mehrere Delikte
gleichzeitig

II. TATMEHRHEIT
Das bedeutet, dass der Angeklagte mehrere Delikte zeitlich nacheinander
begangen hat. Es handelt sich also um mehrere selbständige Taten.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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STRAFRECHT – AT nach Kienapfel
§ 28 StGB differenziert danach, ob die in Betracht kommenden Strafdrohungen
GLEICHARTIG sind oder nicht!

Für den Fall, dass ungleichartige Strafdrohungen in Betracht kommen findet sich die
entsprechende Regelung in Absatz 2!

Wenn gleichartige Strafdrohungen zusammentreffen – was den Regelfall darstellt –


dann wird der GEMEINSAME STRAFRAHMEN aus DER HÖCHSTEN
OBERGRENZE und der HÖCHSTEN UNTERGRENZE KOMBINIERT.

Vorbeugende Maßnahmen können oder müssen angeordnet werden, wenn sie in


IRGENDEINEM der zusammentreffenden Gesetze fakultativ oder obligatorisch
angedroht sind!

Wenn GELDSTRAFEN mit FREIHEITSSTRAFEN zusammentreffen, dann sind beide


zwingend nebeneinander zu verhängen wenn diese Strafen jeweils ausschließlich
angedroht sind.

Das entspricht dem KUMULATIONSPRINZIP.

DAS FORTGESETZTE DELIKT

Auch FORTSETZUNGSZUSAMMENHANG genannt. Dabei handelt es sich um eine


der Scheinkonkurrenz nahestehende EIGENE RECHTSFIGUR, die
richtergewohnheitsrechtlich entwickelt wurde.

Der Angeklagte kommt bei einer fortgesetzten Tat erfahrungsgemäß billiger davon
und der Richter tut sich leichter den Sachverhalt fest zu stellen.

Die Anwendung des fortgesetzten Delikts setzt voraus, dass sich die einzelnen Akte
gegen dasselbe Rechtsgut richten, in der Begehungsweise gleichartig sind und im
nahen zeitlichen Kontext stehen sowie von einem einheitlichen Vorsatz getragen
werden.

Unter Gesamtvorsatz ist eine etappenweise Verwirklichung zu verstehen. Es gilt zu


beachten, dass bei der Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter ein
Fortsetzungszusammenhang wegfällt, wenn sich die Einzeltaten gegen verschiedene
Rechtsgutträger richten.

Ein Rücktritt vom Versuch eines Teilaktes läßt die Strafbarkeit in Bezug auf die
übrigen Teilakte unberührt.

Die Verjährung beginnt erst mit Beendigung des letzten Teilaktes.

Das fortgesetzte Delikt begründet prozessual gesehen eine Tat! Deshalb erstreckt
sich der Urteilstenor auf sämtliche Einzelakte – auch solche welche das Gericht
Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19
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weder gekannt hat noch kennen konnte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündigung. Auch
falls sich weitere Straftaten herausstellen sollten – die in das fortgesetzte Delikt
passen – ist der STRAFANSPRUCH diesbezüglich VERBRAUCHT!!!!

Das gleiche gilt natürlich falls die Anklage des fortgesetzten Deliktes mit einem
Freispruch endete.

Es gibt Tendenzen einzelne Teilakte eines fortgesetzten Delikts in verschiedene


Verfahrensgegenstände aufzuspalten. Wenn sich das durchsetzt bedeutet das de
facto das Ende des fortgesetzten Deliktes als Rechtsfigur.

Michael Akhavan – Aghdam 30.10.2009 06:19


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