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04. Juni 2009, 22:41 Uhr

Geschichtsposse

Russischer Historiker gibt Polen Kriegsschuld


Eigentlich habe Polen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - diese
ungeheuerliche Behauptung fand sich nicht in den Untiefen des Internets, sondern auf
der offiziellen Website des russischen Verteidigungsministeriums. Der Text eines
Militärhistorikers führte zu bilateralem Protest.

Moskau - Auf der offiziellen Website des Moskauer Verteidigungsministeriums ist ein Beitrag
veröffentlicht worden, in dem Polen eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg gegeben wird. Die
Moskauer Zeitung "Wremja Nowostej" berichtete, der "groteske Versuch, ein Nachbarland in die
Schranken zu weisen", stoße in der russischen Armee "auf großen Enthusiasmus". Das
Verteidigungsministerium nahm den Text am Donnerstagabend von seiner Website.

In dem von der Zeitung "zynisch" genannten Beitrag behauptet der Militärhistoriker Sergej
Kowaljow, ein wesentlicher Grund für den Kriegsausbruch sei gewesen, dass Polen im Frühjahr
1939 Hitlers "gemäßigte Wünsche" nach einer "Rückgabe" Danzigs und dem Bau einer
exterritorialen Straße nach Ostpreußen abgelehnt habe. Russlands Führung hatte vor kurzem
Strafen für Versuche angedroht, die Verdienste der Sowjetunion beim Sieg über Hitlerdeutschland
in Frage zu stellen. Regierungschef Wladimir Putin reist am 1. September zum Gedenken an die
Opfer des Zweiten Weltkriegs nach Danzig.

Protest in Warschau

In seinem Beitrag wirft Oberst Kowaljow Polen "Eigensinnigkeit" vor, denn schließlich hätten die
Bewohner Danzigs "mehrheitlich eine Vereinigung mit der historischen Heimat" gewünscht. Dies
führt Kowaljow zum Schluss: "Wer die Geschichte des Zweiten Weltkriegs unvoreingenommen
erforscht hat, weiß, dass er wegen Polens Weigerung begann, die deutschen Forderungen zu
erfüllen." Zugleich rechtfertigte er den Hitler-Stalin-Pakt, der zur Aufteilung Polens führte.

Ein Sprecher des polnischen Außenministeriums sagte, dass solche "exotischen Interpretationen"
in diversen russischsprachigen Publikationen mit Kleinstauflage erscheinen würden. "Aus
offensichtlichen Gründen reagieren wir auf so etwas nicht", sagte er der Nachrichtenagentur AP.
In diesem Fall habe man aber den russischen Botschafter in Warschau um eine Erklärung
gebeten, weil der Text auf einer offiziellen Regierungs-Website erschienen sei. Nachdem der
Beitrag von der Seite gelöscht wurde, sieht Warschau die Angelegenheit als erledigt an.

Russland will "Geschichtsfälscher" ächten

Kowaljows "Analyse" ist einer von mehreren Beiträgen, die das Ministerium über "Lügen und
Fälschungen bei der Einschätzung der Rolle der UdSSR am Vorabend des Zweiten Weltkriegs"
veröffentlicht. Kremlchef Dmitrij Medwedew hatte vor kurzem eine Kommission aus der Taufe
gehoben, die "Geschichtsfälscher" ächten soll. "Zweifel an Heldentaten der Sowjetarmee" sollen
mit Haft und Geldbußen bestraft werden. Experten sehen darin einen Angriff auf das Recht zur
freien Meinungsäußerung und die Freiheit der Wissenschaft.

Der Vorsitzende der Geschichtskommission, Kreml-Stabschef Sergej Naryschkin, forderte am


Donnerstag "die Rückkehr von Patriotismus und Nationalstolz in die russischen Schulbücher".
Russland sollte stolz sein auf seine Geschichte und dürfe "unerträgliche Versuche (der
Geschichtsfälschung) aus dem Ausland" nicht hinnehmen, sagte der Chef der Präsidialverwaltung
dem staatlichen Fernsehsender "Erster Kanal".

ore/dpa/AP

URL:

http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,628672,00.html

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