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Sturz

Ich finde mich in einem Panzer wieder, im Plastiksitz einer


Metallhöhle, durch die sich geflickte Kabel ranken. Durch eine
Sichtluke strömt Morgensonne. Der Lichtfleck auf meinem Bauch ist
heiß. Habe ich mir den Kopf schon gestoßen? Es fühlt sich so an. Was
war gestern?

„Du warst beim Militär? Kannst Du mit einem Panzer umgehen?“ Der
Offizier mit den seltsam durchstochenen Ohren strahlte mich an.
Gerade hatten wir uns mit Biergläsern voll Bourbon zugeprostet.
„Lange her. Vielleicht ginge es...“
Er klopfte mir auf die Schulter. „Leute wie dich können wir
brauchen!“ Leistete sich dies Land etwa weiße Söldner? Der Offizier
zwinkerte mir zu und kämpfte sich dann in einen anderen Winkel,
vorbei an hemdsärmligen Ölexplorateuren, denen schwarze Ladys
am Hals hingen.

Wie bin ich in diesen Panzer gekommen? Augen zu, auf, prompt:
Sterne. Sie umschwirren mich wie Fliegen. Der Anzug knittert auf
meiner Schwitzgänsehaut. Mein Hemd stinkt nach Rauch,
Anisschnaps. Als ich von dem Plastikhocker aufstehe, um aus der
Luke zu schauen, bleibt mein Hirn hängen. Stop, Stop, Stop. Pochen.
Mein Mund: Steinwüste. Durch die Luke sehe ich eine
Verkehrskreuzung der Hauptstadt. Ringsum nur früher Morgen und
Staub. Wenn dies ein Panzer ist, zielt das Stahlrohr aufs
Telegrafenamt. Was mache ich hier?

Ich behielt für mich, dass ich einen Abschiebehäftling angelandet


hatte.
„Geschäftlich, morgen geht es zurück!“
Seit hier Öl gefunden wurde, wird so was glatt geglaubt. Die
Entwicklungsberater ertranken in ihrem Cocktail aus Wehmut. Es zog
sie zurück nach Europa. Wartete da noch etwas auf sie? Einer, der
sich Saft auf den Schnaps kippte, machte hier seit Ewigkeiten
Regionalentwicklung. Als er aufs Klo schwankte, knurrte sein Kollege,
dieser Träumer fiele dem Streichkonzert der Zentrale bestimmt als
erster zum Opfer. Ein anderer redete lieber über Fußball. Mein Blick
streifte den Anisschnaps auf ihrem Tisch: „Ricardo. Le vrai pastis
d’Alexandrie.“ Wenn so ein Fusel aberhunderte Kilometer bis in diese
Weltfalte zurückgelegt hatte, hatte wohl auch das Dasein der Berater
seinen Sinn.

Bis kurz vor dem Abflug waren wir meist fünf: in der hintersten
Sitzreihe ein Afrikaner mit gebundenen Händen, umgeben von vier
freundlich-bestimmten Sicherheitsleuten, Nachtblau uniformiert,
dunkler als die Sitze der Air France. Mit sonoren Stimmen erklärten
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wir den Passagieren, warum es keinen Anlass zur Sorge gab. Die
Jammerei des Abschieblings pendelte zwischen einem
Schmerzsermon, der sie bannte, und einem schrecklichschönen
”Oyoo-Oyoo”-Klagegesang. Wollte er gar nicht mehr den Abflug
verhindern? Wollte er einfach nur, dass ich mich fies fühlte? ”Oyoo-
oyoo” – es war wohl die Erniedrigung, die Angst, dass sein Versagen
vor aller Welt offenbar würde. Bevor sich die Luke schloss, tatschten
die Kollegen mir aufmunternd die Schulter. Aus den
Deckenlautsprechern rieselten Streicherklänge.

Ich schritt entschlossen auf das Botschaftsgelände zu. Hier würde ich
jetzt alles finden, was ich für meine Nacht in Afrika brauchte. Den
Tipp hatte mir ausgerechnet ein Abschiebling gegeben.
Halbverlassene Botschaft eines zerrütteten Staates. Die
verbliebenen Diplomaten, seit Jahren ohne Gehalt, nutzten ihre
Privilegien, um Alkohol ins Land zu lotsen. Zweimal die Woche war
die Botschaft eine Bar. Auch alles andere war hier zu bekommen.

Gebückt drehe ich mich in dem Panzer um mich selbst. Ich rieche, ja,
mein schwärendes Hirn. Die Schläfen haben sich herausgewölbt und
pressen mir die Augen nach innen. Irgendwelche Kopfinnereien
drücken dagegen. Meine Beine stecken in Bleikübeln. Froh über
jeden Halt, tasten meine Hände nach dem Ausstieg.

Nach halbem Flug zog unter uns Wüste heran, lose von Felsen
durchragt. Von oben erkannte ich noch vereinzelt Gesteinsmuster.
Bald war es soweit: nur noch Sand. Verschiedene Ockertöne
deuteten in Rillen und Linien an, wo in guten Wintern Feuchtigkeit
rann. Schließlich nur noch Oberfläche, linienlos, eine mahnende
Sandwand, tristgelb. Ich schnallte den Gurt los und sprang auf.
Dachte: Mareike scheißt auf das Extrageld, das ich mit diesen Touren
mache.

Eine Lady hing sich an meinen Arm. Bevor ich etwas sagen konnte,
schlang sie ihre Zunge in mein Ohr. Das feucht schiebende Geräusch
warf mich endgültig aus der Bahn. Was sie dann flüsterte, verstand
ich nicht mehr, doch sie hätte eh alles gesagt, was mir gefiel.

„Warum schwör ich mir jedes Mal, ich trinke nichts mehr
durcheinander?“ Mit seinen kaninchenroten Augen hätte sich der
Regionalentwickler kaum noch in sein Projekt trauen können. Die
Menschen dort glaubten an Hexerei. „Musst die Pullen ja doch so
nehmen, wie sie kommen!“ Tatsächlich hatte sich der Anishammer
wohl aus Altbeständen eingeschlichen. Jetzt gab es plötzlich
Markenwhiskey. Der Oberst drängte sich gleich wieder an die Theke.
Ich sprach den knurrigen Experten auf ihn an. Der nuschelte: „Sieht

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aus wie einer aus der Westregion. Sicher ein, na, wie heißt nochmal
diese Ethnie...“
Die anderen beiden starrten zu den Ladies und wussten gar nichts
mehr.

Als ich zum zweiten Mal an diesem Morgen wach werde, habe ich
einen Flug verpennt. Oder wurde er abgesagt, wegen eines
Putschversuchs? Der Hotelfernseher plappert. Eine Handvoll Offiziere
kapern die winzige Panzerdivision des Landes, als der Präsident auf
eine Auslandsreise geht. Die Putschisten haben gerade mal acht,
neun Leutchen aufgetrieben, die überhaupt einen Panzer steuern
können. Da die alten Kisten nie vollgetankt sind, tuckert einer nach
dem anderen zur nächsten Tankstelle. Nach Volltanken der ersten
acht Panzer werden sie an neuralgischen Punkten postiert. Dann
wollen die Putschisten auch noch die übrigen Kisten klarmachen. Der
loyale General aus der Ostregion macht dem Spuk schließlich ein
Ende.

Mit einem ratzenden Geräusch schlage ich die Gardine zur Seite. Ich
stehe in Staubschuhen da und starre aus meinem Air-Con-
Kühlschrank. Pick-ups und Eselskarren, Sammeltaxen und
Telefonkartenverkäufer ziehen auf der Hauptstraße vorbei. Ich präge
mir das Bild zum Abschied noch einmal ein.

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