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Sie wuchsen zusammen auf, sie wurden zum Vorbild und sie waren beide
Ausnahmetalente. Einer kämpfte sich in den Kickbox-Olymp, der andere wurde
zum Mörder. Eine Integrationsgeschichte.
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Bild: ZVG
Azem Maksutaj: Der 14-fache Thaibox-Weltmeister ist zum Symbol der gelungenen
Integration geworden.
Einen kleinen Unterschied allerdings gab es. Die Berishas waren eine riesige Sippe, ein
wichtiger Clan mit einer der grössten Viehherden in der Region. Bashkim war einer von
fünf Brüdern. Von der Schule hielt er nicht viel.
Azem Maksutaj dagegen wuchs in einer kleinen Familie auf, er hat nur einen Bruder. Er
war ein guter Schüler und wäre im Kosovo auf das Gymnasium gegangen. Wäre. Denn
1991 begann im Vielvölkerstaat Jugoslawien der Krieg. Azem Maksutaj, 15 Jahre alt, floh
mit seiner Familie zum Vater nach Winterthur. Im selben Jahr floh auch Bashkim Berisha,
11 Jahre alt, mit seiner Familie zum Vater nach Winterthur.
Die beiden Heranwachsenden wurden von der archaischen Bergwelt des Kosovo in die
Industriestadt Winterthur katapultiert. Kulturschock ist da noch ein bescheidenes Wort. Mit
den Füssen kamen zwar beide auf dem Schweizer Boden an. Im Kopf kam aber nur einer
an. Im Nachhinein ist man versucht, dort die entscheidende Weichenstellung zu markieren,
welche die beiden Lebenslinien später dermassen auseinanderdriften lassen würde.
Azem Maksutaj biss sich nach der Ankunft durch die Integrationsklasse und das zehnte
Schuljahr. Er begann eine Lehre als Verkäufer, die er bald abbrach – denn inzwischen
hatte Azem Maksutaj in einem Keller an der Tösstalstrasse 7a seine Berufung, das
Thaiboxen, entdeckt. Das «Wing Thai Gym» wurde dem 16-Jährigen zum zweiten
Zuhause. Mit 17 Jahren wurde Maksutaj Thaibox-Schweizermeister, mit 19 Europameister
und kurz darauf Weltmeister, der jüngste aller Zeiten.
Und just in diesem Jahr, 1994, machte Maksutaj, der nicht nur ein Thaibox-
Ausnahmetalent, sondern auch ein guter Geschäftsmann ist, die Kickboxschule «Wing Thai
Gym» vom zweiten Zuhause zu seinem Eigentum. Das Geld hatte er sich als Türsteher und
Bauerngehilfe verdient, den Rest hatte er geborgt. Von nun an tummelten sich in der
Kampfsportschule junge Immigrantenkinder und himmelten Maksutaj an, der nun fast
jährlich seinen Weltmeistertitel erneuerte.
Bashkim Berishas Leben auf dem fremden Boden hatte in der Zwischenzeit einen komplett
anderen Lauf genommen. Für die Schule interessierte er sich in der Schweiz noch weniger,
dafür stellte er zusammen mit seinen Brüdern das Winterthurer Sozial- und Polizeisystem
auf eine harte Bewährungsprobe. Er prügelte sich mit allen, die ihm über den Weg liefen,
seien es Mitschüler, Lehrer, Türsteher oder Polizisten. Besserung schien nicht in Sicht zu
sein, bis auch Bashkim Berisha im Alter von 15 Jahren seine Berufung entdeckte.
Vielleicht erinnerte Azem Maksutaj der junge Kosovare, der eines Tages im «Wing Thai
Gym» seine Fäuste fliegen liess, an sich selbst. Er war wie er eher klein und schmächtig,
besass aber das selbe Kämpfherz. Vielleicht erkannte Maksutaj, dass er aus demselben
Dorf stammte. Die Lebenslinien von Azem Maksutaj und Bashkim Berisha rückten noch
einmal ganz nahe zusammen, bevor sie sich endgültig trennten. Maksutaj wurde für einige
Zeit Berishas Trainer, und wahrscheinlich auch zum Vorbild.
Bashkim Berisha erwies sich bald wie Maksutaj selbst als Thaibox-Ausnahmetalent. Er
lebte nur noch im Ring und wurde mit 17 Jahren, wie sein Trainer, Thaibox-
Schweizermeister.
Lesen Sie im zweiten Teil der Maksutaj-Berisha-Story: Wie die beiden zu den führenden
Kickboxern der Ostschweiz werden, wie sie sich überwerfen, wie Bashkim Berisha im
Gefängnis landet und Azem Maksutaj im «Samschtigjass».
«Being Azem» läuft in Zürich, Schaffhausen und Winterthur im Kino. In den kommenden
Wochen startet der Film auch in Basel und Luzern und weiteren Städten.