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1.

Der erste Blick

Das war die Tageszeit, zu der ich mir wünschte, ich wäre in der Lage zu schlafen.
High School.
Oder wäre Fegefeuer das richtige Wort? Wenn es irgendeinen Weg gäbe
für meine Sünden zu büßen, dann müsste mir diese Zeit angerechnet werden.
Diese Eintönigkeit war etwas an das ich mich nie gewöhnen würde; jeder Tag
wirkte unglaublich monotoner als der letzte.
Ich denke, das war meine Art zu schlafen – wenn Schlaf als der Status
zwischen aktiven Handlungen definiert wird.
Ich starrte auf die Risse die durch das Mauerwerk in der hinteren Ecke der
Cafeteria liefen, und versuchte ein Muster zu erkennen, das nicht da war. Es war
eine Möglichkeit die Stimmen auszublenden, die wie ein rauschender Fluss durch
meinen Kopf strömten.
Einige hundert dieser Stimmen ignorierte ich aus Langeweile.
Wenn es um die menschlichen Gedanken geht, hatte ich alles schon
gehört. Heute drehten sich alle Gedanken um das triviale Drama, dass eine Neue
auf die Schule gekommen war. Es brauchte nur so wenig um alle in Aufruhr zu
versetzen. Ich hatte das neue Gesicht zum wiederholten Male aus allen
Blickwinkeln in ihren Gedanken gesehen. Nur ein ganz gewöhnliches
menschliches Mädchen. Die Aufregung um ihre Ankunft war ermüdend
berechenbar – wie das Aufblitzen eines glitzernden Gegenstandes vor einem
Kind. Die Hälfte der Jungs sah sich bereits mit ihr in einer Beziehung, nur weil sie
etwas Neues war. Ich versuchte noch stärker sie auszublenden.
Nur vier Stimmen schaltete ich aus Höflichkeit aus nicht aus Abscheu:
Meine Familie, meine zwei Brüder und zwei Schwestern, die so sehr daran
gewöhnt waren, keine Privatsphäre in meiner Gegenwart zu haben, dass sie
kaum darüber nachdachten. Ich gab ihnen so viel Privatsphäre wie ich konnte. Ich
versuchte nicht zuzuhören, so weit es ging.
So sehr ich es auch versuchte… ich hörte sie dennoch.
Rosalie dachte, wie immer, über sich selbst nach. Sie erblickte ihr Profil in
der Reflektion der Brille eines Schülers, und grübelte über ihre eigene Perfektion.
Rosalie's Gedanken waren ein Oberflächlicher Tümpel mit wenigen
Überraschungen.
Emmet war wütend darüber, dass er letzte Nacht ein Wrestling Match
gegen Jasper verloren hatte. Es würde seine gesamte begrenzte Geduld erfordern
den Schultag hinter sich zu bringen, bis er seine Revanche fordern konnte. Es
kam mir nicht aufdringlich vor wenn ich Emmett's Gedanken zuhörte, da er nie
über etwas nachdachte, dass er nicht auch laut aussprach oder in die Tat
umsetzte. Vielleicht fühlte ich mich nur schuldig, wenn ich die Gedanken der
anderen las, weil ich wusste, dass sie über Dinge nachdachten, von denen sie
nicht wollten, dass ich sie wusste. Wenn Rosalie’s Gedanken ein oberflächlicher
Tümpel waren, dann waren Emmett’s ein klarer See ohne Schatten.
Und Jasper… litt. Ich unterdrückte ein Seufzen.
Edward. Alice rief in Gedanken meinen Namen und hatte sofort meine
ungeteilte Aufmerksamkeit.
Es war fast das gleiche, als würde jemand meinen Namen laut rufen. Ich
war erleichtert, dass mein Name in letzter Zeit aus der Mode gekommen war – es
war lästig; jedesmal wenn jemand an irgendeinen Edward dachte, drehte ich
automatisch meinen Kopf in dessen Richtung…
Diesmal dreht sich mein Kopf nicht. Alice und ich waren gut in diesen
privaten Unterhaltungen. Es war selten, dass irgendjemand etwas davon
mitbekam. Ich behielt meine Augen auf den Linien im Putz.
Wie macht er sich? Fragte sie mich.
Ich runzelte die Stirn und verzog ganz leicht meinen Mund. Nichts was den
anderen auffallen würde. Ich könnte genauso gut aus Langeweile die Stirn
runzeln.
Alice’s Stimmung war nun alarmiert und ich sah in ihren Gedanken, dass
sie sich mit ihren Zukunftsvisionen auf Jasper konzentrierte. Besteht Gefahr? Sie
suchte weiter in der unmittelbaren Zukunft, blätterte durch monotone Visionen
auf der Suche nach dem Grund für mein Stirnrunzeln.
Langsam bewegte ich meinen Kopf nach links, als würde ich zu den Ziegeln
an der Wand blicken, seufzte, und dann nach rechts, zurück zu den Rissen an der
Decke. Nur Alice wusste, dass ich meinen Kopf schüttelte.
Sie entspannte sich. Sag mir bescheid, wenn es schlimmer wird.
Ich bewegte nur meine Augen, nach oben an die Decke und wieder nach
unten.
Danke, dass du das für mich machst.
Ich war froh, dass ich ihr nicht laut antworten konnte. Was sollte ich sagen?
`Ist mir ein Vergnügen`? Das traf es kaum. Es war keine Freude, Jasper bei
seinem inneren Kampf zuzuhören. War es wirklich nötig so
herumzuexperimentieren? Wäre es nicht der sicherere Weg, einfach zu
akzeptieren, dass er nie in der Lage sein würde, seinen Durst so zu zügeln wie
der Rest von uns, statt seine Grenzen auszutesten? Warum mit dem Unheil
flirten?
Unser letzter Jagdausflug war jetzt zwei Wochen her. Das war keine
besonders schwere Zeitspanne für den Rest von uns. Zeitweise ein bisschen
unbequem – wenn ein Mensch zu nah vorbeilief, wenn der Wind aus der falschen
Richtung wehte. Aber Menschen liefen selten zu nah vorbei. Ihre Instinkte sagten
ihnen, das was ihr Bewusstsein niemals verstehen würde: wir waren gefährlich.
Jasper war zurzeit sehr gefährlich.
In diesem Moment hielt ein junges Mädchen am Ende des Tisches, der
unserem am nächsten stand um mit einem Freund zu reden. Sie warf ihre kurzen
strohblonden Haare herum und fuhr mit den Fingern hindurch. Die Heizlüfter
wehten ihren Duft in unsere Richtung. Ich war daran gewöhnt, welche Gefühle so
ein Duft in mir auslöste – der trockene Schmerz in meiner Kehle, das hole
verlangen meines Magens, das automatische Anspannen meiner Muskeln, der
übermäßige Giftfluss in meinem Mund…
Das war alles ziemlich normal, für gewöhnlich leicht zu ignorieren. Jetzt
war es schwerer, die Gefühle waren stärker, verdoppelt, weil ich Jaspers
Reaktionen überwachte. Zwillingsdurst, vielmehr als nur meiner.
Jasper lies seinen Vorstellungen freien Lauf. Er stellte es sich vor – stellte
sich vor, wie er sich von seinem Platz neben Alice erhob und sich neben das
Mädchen stellte. Wie er sich zu ihr hinab beugte als würde er ihr etwas ins Ohr
flüstern wollen, und stattdessen mit seinen Lippen den Bogen ihrer Kehle
berührte. Stellte sich vor, wie sich der heiße Fluss ihres Pulses unter der feinen
Haut auf seinen Lippen anfühlte…
Ich trat gegen seinen Stuhl.
Unsere Blicke trafen sich für eine Minute, dann senkte er seinen Blick. Ich
konnte Beschämung und den rebellierenden Kampf in seinem Kopf hören.
„Sorry,“ flüsterte Jasper.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Du hattest nicht vor irgendetwas zu tun,“ murmelte Alice um ihn zu
beruhigen. „Das konnte ich sehen.“
Ich unterdrückte einen Gesichtsausdruck der ihre Lüge verraten hätte. Wir
mussten zusammenhalten, Alice und ich. Es war nicht leicht, Stimmen hören und
in die Zukunft sehen zu können. Die Freaks unter den Freaks. Wir schützten
unsere Geheimnisse gegenseitig.
„Es hilft ein bisschen wenn du sie als Personen betrachtest,“ empfahl Alice,
ihre hohe musikalische Stimme war zu schnell für menschliche Ohren, selbst
wenn jemand nah genug gewesen wäre um zuzuhören. „Ihr Name ist Whitney.
Sie hat eine kleine Schwester die sie abgöttisch liebt. Ihre Mutter hatte Esme zu
dieser Gartenparty eingeladen, erinnerst du dich?“
„Ich weiß, wer sie ist,“ sagte Jasper knapp. Er dreht sich weg und starrte
aus einem der kleinen Fenster die direkt unter dem Dachvorsprung des langen
Raumes angebracht waren. Sein Tonfall beendete die Unterhaltung.
Er würde heute Nacht jagen müssen. Es war lächerlich solche Risiken
einzugehen, seine Stärke zu testen um seine Ausdauer zu verbessern. Jasper
sollte seine Grenzen akzeptieren und sie nicht überschreiten. Seine früheren
Gewohnheiten waren nicht besonders dienlich für den Lebensstil den wir gewählt
hatten; er sollte sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen.
Alice seufzte leise, stand auf, nahm ihr Tablett – ihre Requisite – mit und
ließ ihn allein. Sie wusste wann er Genug von ihren Aufmunterungsversuchen
hatte. Obwohl Rosalie und Emmett sehr schamlos mit ihrer Beziehung umgingen,
waren es Alice und Jasper die die Gefühle des anderen genauso gut kannten wie
ihre eigenen. Als könnten sie auch Gedanken lesen – nur die des anderen.
Edward Cullen.
Reflexartige Reaktion. Ich drehte meinen Kopf als hätte jemand meinen
Namen gerufen, nur dass ihn niemand gerufen hatte, sondern gedacht.
Meine Augen sahen für den Bruchteil einer Sekunde in ein paar
Schokoladenbraune Menschenaugen in einem blassen herzförmigen Gesicht. Ich
kannte das Gesicht, obwohl ich es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst
gesehen hatte. Es war heute führend in allen menschlichen Köpfen. Die neue
Schülerin, Isabella Swan. Tochter des örtlichen Polizeichefs, die aufgrund einer
neuen Sorgerechtssituation hierhergezogen war. Bella. Sie korrigierte jeden, der
ihren vollen Namen benutzte…
Ich wandte mich gelangweilt ab. Es dauerte eine Sekunde bis ich merkte,
dass es nicht sie war, die meinen Namen gedacht hatte.
Natürlich verknallt sie sich sofort in die Cullens, hörte ich den ersten
Gedanken weiter.
Jetzt erkannte ich die `Stimme`. Jessica Stanley – es war schon eine Weile
her, seit sie mich mit ihrem einheimischen Geschwätz genervt hatte. Was für
eine Erleichterung es war, als sie über ihre fehlplatzierte Verliebtheit
hinweggekommen war. Es war fast unmöglich ihren lächerlichen Tagträumen zu
entfliehen. Zu der Zeit wünschte ich mir, dass ich ihr genau erklären könnte, was
passieren würde, wenn meine Lippen, und die Zähne dahinter, auch nur in ihre
Nähe gekommen wären. Das hätte diese lästigen Fantasien verstummen lassen.
Der Gedanke an ihre Reaktion brachte mich fast zum lächeln.
Das geschieht ihr ganz recht, dachte Jessica weiter. Sie ist nicht mal
wirklich hübsch. Ich versteh nicht, warum Eric sie so anstarrt… oder Mike.
Sie winselte in Gedanken bei dem letzten Namen. Ihre neue Flamme, der
allgemein beliebte Mike Newton, interessierte sich kein bisschen für sie. Aber
offenbar interessierte er sich für das neue Mädchen. Erneut, das Kind mit dem
glitzernden Gegenstand. Das verursachte einen bitteren Beigeschmack in
Jessicas Gedanken, obwohl sie äußerlich sehr freundlich zu der Neuen war, als
sie ihr das übliche Wissen über unsere Familie mitteilte. Die neue Schülerin
musste nach uns gefragt haben.
Heute schauen auch alle zu mir, dache Jessica selbstgefällig. Was für ein
Glück, dass Bella zwei Kurse mit mir zusammen hat.. Ich wetter Mike wird mich
fragen, was sie –
Ich versuchte das alberne Geschwätz auszublenden bevor mich dessen
Belanglosigkeit und Trivialität verrückt machte.
„Jessica Stanley teilt dem Swan-Mädchen die ganze schmutzige Wäsche
über den Cullen-Clan mit,“ flüsterte ich Emmett als Ablenkung zu.
Er kicherte verhalten. Ich hoffe, sie gibt ihr bestes, dachte er.
„Eigentlich sehr einfallslos. Nur der kleinste Hinweis eines Skandals. Kein
Quäntchen Horror. Ich bin ein bisschen enttäuscht.“
Und das neue Mädchen? Ist sie von dem Klatsch und Tratsch auch
enttäuscht?
Ich versuchte zu hören, was das neue Mädchen, Bella, von Jessicas Story
hielt. Was sah sie, wenn sie sich die seltsame, kreidebleiche Familie anschaute,
die allgemein gemieden wurde?
Es war so etwas wie meine Pflicht ihre Reaktion zu kennen. Ich handelte als
eine Art Aussichtsposten, falls jemand einen unerwünschten Eindruck von meiner
Familie bekommen könnte. Um uns zu schützen. Wenn jemand misstrauisch
würde, könnte ich meine Familie rechtzeitig warnen und wir konnten uns
zurückziehen. Es passierte gelegentlich – manche Menschen mit ausgeprägter
Fantasie sahen in uns Figuren aus einem Buch oder einem Film. Normalerweise
lagen sie falsch, aber es war besser umzuziehen, als einen genaueren Blick zu
riskieren. Ganz ganz selten lag vielleicht mal jemand richtig. Wir gaben ihnen
keine Chance ihre Theorie zu beweisen. Wir verschwanden einfach und waren
nicht mehr als eine gruselige Erinnerung…
Ich hörte nichts, obwohl ich sehr nah neben Jessicas innerem Monolog
lauschte. Es war als würde niemand neben ihr sitzen. Wie eigenartig, hatte sich
das Mädchen woanders hingesetzt? Das wäre merkwürdig, denn Jessica redete
immer noch mit ihr. Irritiert schaute ich auf um nachzusehen. Ich musste prüfen,
was mein „besonderes Gehör“ mir mitteilte – das war etwas was ich sonst nie tun
musste.
Wieder blieb mein Blick an diesen großen braunen Augen hängen. Sie saß
genau da wo sie vorher auch gesessen hatte und sah zu uns herüber, ganz
natürlich, dachte ich, da Jessica sie immer noch mit dem üblichen Klatsch über
die Cullen versorgte.
Über uns nachzudenken wäre auch ganz natürlich.
Aber ich konnte nicht mal ein flüstern hören.
Ein einladendes warmes Rot befleckte ihre Wangen, als sie den Blick
senkte, weg von dem peinlichen Fauxpas dabei erwischt zu werden, einen
Fremden anzustarren. Es war gut, dass Jasper immer noch aus dem Fenster
starrte. Ich wollte mir nicht vorstellen, was dieser einfache Zusammenfluss von
Blut mit seiner Kontrolle angerichtet hätte.
Die Gefühle standen so klar und deutlich in ihrem Gesicht, als wären sie in
Großbuchstaben auf ihre Stirn geschrieben: Überraschung, als sie unwissentlich
die subtilen Zeichen des Unterschieds zwischen ihrer Art und unserer aufsaugte,
Neugierde, als sie Jessicas Geschichten lauschte, und noch etwas anderes…
Faszination? Es wäre nicht das erste Mal. Wir waren schön für sie, unsere
natürliche Beute. Dann, letztlich, Scham als ich sie erwischte, wie sie mich
anstarrte.
Und dennoch, obwohl ihre Gedanken so deutlich in ihren seltsamen Augen
standen – Seltsam, wegen ihrer Tiefe; braune Augen wirkten oft Flach in ihrer
Dunkelheit – Ich konnte nichts hören außer Stille von dem Platz auf dem sie saß.
Gar nichts.
Ich fühlte mich einen Moment lang unwohl.
So etwas war mir noch nie passiert. Stimmte etwas nicht mit mir? Ich
fühlte mich wie immer. Besorgt, hörte ich konzentrierter zu.
Alle stimmen die ich blockiert hatte, schrien plötzlich in meinem Kopf.
…Ich frage mich was für Musik sie hört…vielleicht könnte ich dieses neue
Album erwähnen… dachte Mike, zwei Tische weiter – fixiert auf Bella Swan.
Wie er sie anstarrt. Ist es nicht genug, dass die Hälfte der Mädchen an
dieser Schule für ihn Schlange steht… Eric Yorkie hatte hitzige Gedanken, die
sich auch um dieses Mädchen drehten.
…ekelhaft. Man könnte meinen sie wäre berühmt oder so etwas… Sogar
Edward Cullen starrt sie an… Lauren Mallory war so eifersüchtig, dass ihr Gesicht
jadegrün anlaufen müsste. Und Jessica, stellt ihre neue beste Freundin zur Schau.
Was für ein Witz… Immer mehr Gift versprühte sie in ihren Gedanken.
…Ich wetter, jeder hat sie das schon gefragt. Aber ich würde gern mit ihr
reden. Ich sollte mir eine originellere Frage überlegen… grübelte Ashley Dowling.
…Vielleicht ist sie bei mir in Spanisch… hoffte June Richardson.
…Haufenweise zu tun heute Abend! Mathe, und der Englisch Test. Ich
hoffe meine Mutter… Angela Weber, ein ruhiges Mädchen, dessen Gedanken
ungewöhnlich freundlich waren, war die einzige an diesem Tisch die nicht von
dieser Bella besessen war.
Ich konnte sie alle hören, jede unwichtige Kleinigkeit die ihre Gedanken
passierte. Aber absolut nichts von der neuen Schülerin mit den trügerisch offenen
Augen.
Und natürlich konnte ich hören, was sie sagte, wenn sie mit Jessica sprach.
Ich brauchte keinen Gedanken lesen zu können um ihre ruhige klare Stimme auf
der anderen Seite des Raumes hören zu können.
„Wer ist der Junge mit den Kupferfarbenen Haaren?“ Hörte ich sie fragen,
während sie mir aus dem Augenwinkel einen verstohlenen Blick zuwarf, nur um
schnell wieder wegzuschauen, als sie sah, dass ich sie immer noch anstarrte.
Wenn ich Zeit gehabt hätte zu hoffen, dass der Klang ihrer Stimme mir
helfen würde den Klang ihrer Gedanken herauszupicken, irgendwo versteckt wo
ich sie nicht erreichen konnte, wäre ich enttäuscht gewesen. Normalerweise
hörten die Menschen ihre Gedanken in einem ähnlichen Klang wie dem ihrer
Stimme. Aber diese ruhige schüchterne Stimme war mir unbekannt, keine von
den hunderten von Stimmen die durch den Raum flogen, dessen war ich mir
sicher. Absolut neu.
Na dann viel Glück, Idiot! Dachte Jessica bevor sie auf die Frage
antwortete. „Das ist Edward. Er sieht toll aus, klar, aber verschwende nicht deine
Zeit. Er verabredet sich nicht. Offensichtlich sind ihm die Mädchen hier nicht
hübsch genug.“ Sie rümpfte ihre Nase.
Ich dreht meinen Kopf weg um mein lächeln zu verbergen. Jessica und ihre
Klassenkameradinnen hatten keine Ahnung, was für sein Glück sie hatten, dass
mir keine von ihnen gefiel.
Neben dem flüchtigen Humor, fühlte ich einen Seltsamen Impuls, einen
den ich nicht richtig verstand. Es hatte etwas mit dem bösartigen Unterton in
Jessicas Gedanken zu tun, von dem das Mädchen keine Ahnung hatte… ich
verspürte das seltsame Verlangen, dazwischen zu gehen um diese Bella Swan
vor den bösen Gedanken in Jessicas Kopf zu schützen. Was für ein seltsames
Gefühl. Während ich versuchte den Grund für diesen Impuls aufzuspüren,
inspizierte ich das neue Mädchen noch einmal.
Vielleicht war es nur ein lange vergrabener Beschützerinstinkt – Der Starke
für den Schwächeren. Das Mädchen wirkte zerbrechlicher als ihre neuen
Klassenkameradinnen. Ihre Haut war so durchscheinend, es war schwer zu
glauben, dass sie ihr irgendeine Art von Schutz vor der Welt da draußen bieten
konnte. Ich konnte das rhythmische pulsieren des Blutes durch ihre Venen unter
der klaren blassen Membran sehen… Aber darauf sollte ich mich besser nicht
konzentrieren. Ich war gut in dem Leben, das ich gewählt hatte, aber ich war
genauso durstig wie Jasper und ich sollte mich besser nicht in Versuchung führen.
Da war eine leichte Falte zwischen ihren Augenbrauen, derer sie sich
scheinbar nicht bewusst war.
Es war unglaublich frustrierend! Ich konnte deutlich erkennen, dass es eine
Belastung für sie war dort zu sitzen, sich mit fremden zu unterhalten, im
Mittelpunkt zu stehen. Ich konnte ihre Schüchternheit spüren, daran wie sie ihre
zerbrechlich wirkenden Schultern hielt, leicht gekrümmt, als würde sie jeden
Moment eine Abfuhr erwarten. Und doch konnte ich nur spüren, nur sehen,
konnte mir nur vorstellen. Da kam nichts als Stille von diesem gewöhnlichen
Menschenmädchen. Ich konnte nichts hören. Warum?
„Sollen wir?“ murmelte Rosalie und unterbrach meine Konzentration.
Mit einer Spur von Erleichterung wendete ich meinen Blick von dem
Mädchen ab. Ich wollte nicht länger daran scheitern – es irritierte mich. Und ich
wollte kein Interesse an den Gedanken dieses Mädchens entwickeln nur weil sei
vor mir verborgen waren. Kein Zweifel, wenn ich ihre Gedanken entschlüsseln
konnte – und ich würde einen Weg finden – wären sie genauso belanglos und
trivial wie alle anderen menschlichen Gedanken. Sie wären den Aufwand nicht
wert, den ich aufbringen müsste.
„Also, hat die Neue jetzt Angst vor uns?“ fragte Emmett, der immer noch
auf meine Antwort auf seine Frage wartete.
Ich zuckte mit den Schultern. Er war nicht interessiert genug um mehr
Informationen zu fordern. Und ich sollte auch nicht interessiert sein.
Wir standen von unserem Tisch auf und verließen die Cafeteria.
Emmett, Rosalie und Jasper gaben vor in der Abschlussklasse zu sein; sie
begaben sich zu ihren Kursen. Ich spielte eine jüngere Rolle als sie. Ich machte
mich auf den Weg zu meinem Biologie-Kurs und stellte mich auf eine langweilige
Stunde ein. Es war zu bezweifeln, dass Mr. Banner, ein Mann mit gerade einmal
durchschnittlicher Intelligenz, in der Lage wäre irgendetwas zu lehren, dass
jemanden mit einem zweifachen Abschluss in Medizin überraschen könnte.
Im Klassenraum ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und verteilte meine
Bücher – wieder Requisiten; sie beinhalteten nichts, dass ich nicht schon wusste –
quer über dem Tisch. Ich war der einzige Schüler der einen Tisch für sich allein
hatte. Die Menschen waren nicht clever genug um zu wissen, dass sie Angst vor
mir hatten, aber ihr Überlebensinstinkt reichte aus, um sie von mir fern zu halten.
Der Raum füllte sich langsam, als die Schüler vom Mittagessen
zurückkamen. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und wartete darauf, dass
die Zeit verstrich. Wieder einmal wünschte ich mir ich wäre in der Lage zu
schlafen.
Weil ich über sie nachgedacht hatte, erweckte ihr Name meine
Aufmerksamkeit, als Angela Weber das neue Mädchen durch die Klassentür
begleitete.
Bella scheint genauso schüchtern zu sein, wie ich. Ich wette der Tag heute
ist verdammt schwer für sie. Ich wünschte ich könnte irgendetwas sagen… aber
es würde vermutlich nur blöd klingen…
Yes! Dachte Mike Newton, während er seinen Stuhl drehte um die Mädchen
beim Betreten des Raumes zu beobachten.
Und immer noch nichts von der Stelle, an der Bella Swan stand. Die Leere
wo ihre Gedanken sein müssten irritierte und verunsicherte mich.
Sie kam näher, während sie an mir vorbei den Gang entlang zum
Lehrerpult ging. Armes Mädchen; neben mir war der einzige freie Platz.
Automatisch räumte ich die Hälfte des Tisches frei, die ihr gehören würde, und
stapelte meine Bücher übereinander. Ich bezweifelte, dass sie sich hier sehr wohl
fühlen würde. Das würde ein langes Semester für sie werden – in diesem Kurse
jedenfalls. Aber vielleicht, wenn ich neben ihr saß, wäre ich in der Lage ihr
Geheimnis herauszufinden… nicht das ich jemals vorher die nähere Umgebung
gebraucht hätte… geschweige denn, dass ich irgendetwas hören würde, dass es
wert wäre gehört zu werden.
Bella Swan trat durch den heißen Luftstrom, der von dem Heizlüfter direkt
zu mir wehte.
Ihr Duft traf mich wie eine Abrissbirne, wie ein Rammbock. Es gab kein
Bild, das brutal genug war um zu beschreiben, was in diesem Moment mit mir
geschah.
In diesem Augenblick war ich alles andere als nah an dem Menschen der
ich einst gewesen war; Nicht der Anflug eines Fetzens der Menschlichkeit, in die
ich mich sonst hüllte blieb übrig.
Ich war ein Jäger. Sie war meine Beute. Die ganze Welt bestand nur noch
aus dieser einen Wahrheit.
Es gab keinen Raum voller Zeugen – sie waren nur noch Kollateralschaden
in meinem Kopf. Das Mysterium ihrer Gedanken war vergessen. Ihre Gedanken
bedeuteten nichts mehr, denn sie würde nicht länger denken können.
Ich war ein Vampir und sie hatte das süßeste Blut, das ich in 80 Jahren
gerochen hatte.
Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ein solcher Duft existieren
konnte. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich schon vor langer Zeit begonnen
danach zu suchen. Ich hätte den ganzen Planeten nach ihr durchkämmt. Ich
konnte mir den Geschmack vorstellen…
Der Durst brannte wie Feuer in meiner Kehle. Mein Mund war trocken und
ausgebrannt. Der frische Strom von Gift änderte nichts daran. Mein Magen drehte
sich vor Hunger, der ein Echo des Durstes war. Meine Muskeln drohten zu
zerspringen.
Nicht mal eine Sekunde war vergangen. Sie beendete gerade den Schritt,
der ihren Duft zu mir herüber geweht hatte.
Als ihr Fuß den Boden berührte, wanderte ihr Blick zu mir, eine Bewegung
die definitiv verstohlen gemeint war. Ihr Blick traf meinen und ich sah meine
Reflektion in ihren geweiteten Augen.
Der Schock des Gesichts dass ich dort sah, rettete für wenige Augenblicke
ihr Leben.
Sie machte es nicht leichter. Als sie den Ausdruck auf meinem Gesicht sah,
schoss ihr das Blut wieder in die Wangen und verlieh ihrem Gesicht die
köstlichste Farbe die ich je gesehen hatte… Der Duft hüllte mein Gehirn in eine
dicke Nebelwand. Ich konnte kaum denken. Meine Gedanken wüteten
zusammenhanglos, ohne Kontrolle.
Sie beschleunigte Ihren Schritt, als hätte sie verstanden, dass es besser
war zu flüchten. Ihre Eile machte sie tollpatschig – sie stolperte und viel fast auf
das Mädchen das vor mir saß. Verletzlich, schwach. Mehr noch als normale
Menschen.
Ich versuchte mich auf das Gesicht zu konzentrieren, dass ich in ihren
Augen gesehen hatte, ein Gesicht, dass ich mit Abscheu erkannte. Das Gesicht
des Monsters in mir – das Gesicht, das ich mit Jahrzehnte langer Anstrengung und
kompromissloser Disziplin zurückgeschlagen hatte. Wie leicht es jetzt wieder an
die Oberfläche trat!
Der Duft umfing mich erneut, trübte meine Gedanken und hob mich fast
aus meinem Stuhl.
Nein.
Meine Hände umklammerten die Tischkannte, als ich versuchte mich auf
dem Stuhl zu halten. Das Holz war mir nicht gewachsen. Meine Hände brachen
durch die Strebe und zerbröselten das Holz zu Spänen. Meine Finger hinterließen
einen Abdruck in der Tischkannte.
Vernichte die Beweise. Das war eine Grundregel. Schnell zerbröselte ich
den Rest der Kannte mit meinen Fingerspitzen und hinterließ ein unförmiges
Loch. Das Holzpulver verteilte ich mit meinem Fuß über dem Boden.
Vernichte die Beweise. Kollateralschaden…
Ich wusste, was jetzt passieren musste. Das Mädchen würde sich neben
mich setzten müssen und ich musste sie töten.
Die Unschuldigen Umstehenden im Klassenraum, achtzehn anderen Kinder
und ein Mann, würden den Raum nicht verlassen können, wenn sie gesehen
hatten, was sie bald sehen würden.
Ich zuckte zusammen bei dem Gedanken was ich tun müsste. Selbst zu
meiner schlimmsten Zeit hätte ich nie eine solche Gewalttat begangen. Ich hatte
nie unschuldige getötet, nicht einmal in acht Jahrzehnten. Und jetzt plante ich
zwanzig von ihnen auf einmal zu töten.
Das Gesicht des Monsters im Spiegel verspottete mich.
Obwohl ein Teil von mir vor dem Monster zurückschreckte, plante der
andere Teil das Verbrechen.
Wenn ich das Mädchen zuerst tötete, hätte ich nur fünfzehn oder zwanzig
Sekunden, bis die Menschen in diesem Raum reagieren würden. Vielleicht ein
bisschen länger wenn sie nicht sofort merken würden, was ich tat. Das Mädchen
würde keine Zeit haben zu schreien oder schmerzen zu spüren; ich würde sie
nicht brutal töten. Soviel konnte ich dieser Fremden mit ihrem unheimlich
begehrenswerten Blut geben.
Aber dann musste ich die anderen davon abhalten zu fliehen. Um die
Fenster musste ich mir keine Gedanken machen, zu hoch und zu klein um als
Fluchtmöglichkeit zu dienen. Nur die Tür – wenn ich sie blockierte waren sie
gefangen.
Es würde länger dauern und schwieriger sein, sie alle umzubringen, wenn
sie panisch durcheinander rannten. Nicht unmöglich, aber es wäre sehr viel
lauter. Zeit für viel Geschrei. Jemand würde es hören… und ich wäre gezwungen
noch mehr unschuldige zu töten.
Und ihr Blut würde auskühlen während ich die anderen tötete.
Ihr Duft strafte mich, füllte meinen Rachen mit trockenen Schmerzen…
Also dann die Zeugen zu erst.
Ich plante es in meinem Kopf. Ich befand mich in der Mitte des Raumes, die
am weitesten entfernte Reihe im Rücken. Ich würde die rechte Seite zuerst
nehmen. Ich konnte vier oder fünf ihrer Hälse pro Sekunde schnappen, schätze
ich. Es wäre nicht laut. Die rechte Seite wäre die glücklichere; sie würden mich
nicht kommen sehen. Vorne angekommen würde ich umdrehen und die linke
Seite bis nach hinten durchgehen, es würde mich maximal fünf Sekunde kosten,
jedes Leben in diesem Raum zu vernichten.
Lange genug für Bella Swan um zu sehen, was bald auf sie zukommen
würde. Lange genug für sie um Angst zu empfinden. Vielleicht lange genug, falls
der Schock sie nicht erstarren ließe, um zu schreien. Ein dünner Schrei, der
niemanden aufschrecken würde.
Ich atmete tief ein und der Duft brannte wie Feuer in meinen trockenen
Venen.
Jetzt drehte sie sich um. In wenigen Sekunden würde sie sich nur ein paar
Zentimeter neben mich setzen.
Das Monster in mir lächelte vor Verlangen.
Zu meiner Linken schlug jemand einen Ordner zu. Ich sah nicht auf um zu
sehen, welcher der zum Tode verurteilten Menschen es war. Aber die Bewegung
wehte einen Hauch alltäglicher unparfümierter Luft in mein Gesicht.
Für eine Sekunde war ich in der Lage klar zu denken. In dieser wertvollen
Sekunde sah ich zwei Gesichter nebeneinander in meinem Kopf.
Das eine war mein eigenes, oder besser war es gewesen: das rot-äugige
Monster, das so viele Menschen getötet hatte, dass ich irgendwann aufgehört
hatte zu zählen. Durchdachte, gerechtfertigte Morde. Ein Killer von Killern, ein
Killer von anderen, schwächeren Monstern. Es war ein Gott-Komplex, das gab ich
zu – zu entscheiden wer den Tod verdient hatte. Es war ein Kompromiss, den ich
mit mir selbst geschlossen hatte. Ich hatte menschliches Blut getrunken, aber nur
in einer lockeren Definition. Meine Opfer waren in ihrer dunklen Vergangenheit
kaum menschlicher als ich es war.
Das andere Gesicht war das von Carlisle.
Es gab keine Ähnlichkeit. Carlisle war nicht mein biologischer Vater. Wir
hatten keine gemeinsamen Eigenschaften. Die Ähnlichkeit unserer Hautfarbe war
das Ergebnis von dem war wir waren; jeder Vampir hatte die gleiche
Schneeweiße Haut. Genau wie die Ähnlichkeit unserer Augenfarbe – die
Reflektion einer gegenseitigen Entscheidung.
Und trotzdem, obwohl es sonst keine Ähnlichkeiten gab, stellte ich mir vor,
dass mein Gesicht anfing seins zu reflektieren, in den letzten siebzig seltsamen
Jahren in denen ich seine Wahl annahm und in seine Fußstapfen trat. Meine Züge
hatten sich nicht verändert, aber es kam mir vor als hätte ein Teil seiner Weisheit
mich geprägt, dass ein bisschen von seinem Mitgefühl in der Form meines
Mundes zu erkennen war, und der Hauch seiner Geduld war ersichtlich in meinen
Augenbrauen.
All diese kleinen Veränderungen verloren sich im Gesicht des Monsters. In
wenigen Augenblicken wäre nichts mehr in mir übrig, dass die Jahre die ich mit
meinem Schöpfer, meinem Mentor, meinem Vater verbracht hatte,
wiederspiegeln würde. Meine Augen würden rot leuchten wie die eines Teufels;
alle Ähnlichkeit wäre für immer verloren.
Carlisles freundliche Augen verurteilten mich nicht in meinem Kopf. Ich
wusste dass er mir diese schreckliche Tat die ich begehen würde, vergeben
würde. Weil er mich liebte. Weil er dachte, dass ich besser wäre, als ich wirklich
war. Und er würde mich immer noch lieben, auch wenn ich jetzt beweisen würde,
dass er falsch lag.
Bella Swan setzte sich auf den Stuhl neben mir, ihre Bewegungen waren
angespannt und unbeholfen – aus Angst? – und der Duft ihres Blutes erblühte in
einer unaufhaltsamen Wolke um mich herum.
Ich würde meinem Vater beweisen, dass er unrecht hatte. Die Erkenntnis
dieser Tatsache schmerzte fast genauso sehr wie das Feuer in meiner Kehle.
Ich lehnte mich angewidert von ihr weg, als ein plötzlich aufkeimender,
heftiger, unbegründeter Hass mich durchfuhr.
Wer war diese Kreatur? Warum ich, warum jetzt? Warum musste ich alles
verlieren, nur weil sie beschlossen hatte in diese unscheinbare Stadt zu ziehen?
Warum ist sie hierhergekommen!
Ich wollte kein Monster sein! Ich wollte diesen Raum voller unschuldiger
Kinder nicht auslöschen! Ich wollte nicht alles verlieren was ich mir durch Opfer
und Abschwörungen verdient hatte!
Das würde ich nicht tun. Sie konnte mich nicht dazu bringen.
Der Duft war das Problem, der abscheulich ansprechende Duft ihres Blutes.
Wenn es nur einen Weg gäbe zu wiederstehen… wenn nur eine weitere Bö
frischer Luft meine Kopf frei machen würde.
Bella Swan warf ihre langen, dicken Mahagoni farbenen Haare in meine
Richtung.
War sie wahnsinnig? Es war als würde sie das Monster ermutigen wollen!
Es verhöhnen.
Da war keine freundliche Briese, die den Geruch von mir fortwehte. Bald
würde alles verloren sein.
Nein, keine helfende Briese. Aber ich musste nicht Atmen.
Ich stoppte den Luftfluss in meinen Lungen; die Erleichterung kam
augenblicklich, aber unvollständig. Ich hatte immer noch die Erinnerung des
Duftes in meinem Kopf, den Geschmack auf der Zunge. Auch so würde ich nicht
lange widerstehen können. Aber vielleicht konnte ich für eine Stunde
wiederstehen. Eine Stunde. Gerade genug Zeit um aus diesem Raum voller Opfer
zu verschwinden, Opfer die vielleicht gar keine Opfer sein mussten. Wenn ich für
eine kurze Stunde wiederstehen könnte.
Es war ein unangenehmes Gefühl nicht zu atmen. Mein Körper brauchte
keinen Sauerstoff, aber es war gegen meine Instinkte. Wenn ich angespannt war
verließ ich mich mehr auf meinen Geruchssinn als auf meine anderen Sinne. Er
wies die Richtung bei der Jagd, er war die erste Warnung wenn Gefahr drohte. Mir
begegnete nicht oft etwas dass genauso gefährlich war wie ich selbst, aber der
Selbsterhaltungstrieb meiner Art war genauso groß wie der von gewöhnlichen
Menschen.
Unangenehm aber erträglich. Erträglicher als sie riechen zu müssen ohne
meine Zähne durch diese dünne, durchsichtige Haut sinken zu lassen und das
heiße, nasse, pulsierende –
Eine Stunde! Nur eine Stunde. Ich durfte nicht an den Duft denken, an den
Geschmack.
Das stille Mädchen hielt ihre Haare zwischen uns und lehnte sich nach
vorne, so dass es über ihren Ordner fiel. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen,
um zu versuchen die Gefühle in ihren klaren, tiefen Augen zu lesen. War das der
Grund weshalb sie ihren gelockten Fächer zwischen uns ausbreitete? Um diese
Augen vor mir zu verstecken? Aus Angst? Schüchternheit? Um ihre Geheimnisse
vor mir zu verbergen?
Meine anfängliche Verunsicherung von ihren Stummen Gedanken Schach
matt gesetzt zu werden war schwach und blass im Vergleich zu dem Verlangen –
und dem Hass – das/der mich jetzt beherrschte. Ich hasste diese zarte Frau –
dieses Kind – neben mir, hasste sie voller Inbrunst, mit der ich an meinem alten
Ich hing, die Liebe meiner Familie, meine Träume etwas Besseres zu sein als ich
war… Ich hasste sie, hasste es welche Gefühle sie in mir auslöste – es half ein
bisschen. Ja das Unbehagen, das ich vorher verspürt hatte war schwach, aber es
half auch ein bisschen. Ich klammerte mich an jedes Gefühl, dass mich davon
ablenkte mir vorzustellen, wie sie schmecken würde…
Hass und Verunsicherung. Ungeduld. Würde diese Stunde jemals enden?
Und wenn die Stunde vorbei war.. Dann würde sie diesen Raum verlassen.
Und was würde ich tun?
Ich könnte mich vorstellen. Hallo, mein Name ist Edward Cullen. Kann ich
dich zu deinem nächsten Kurs begleiten?
Sie würde ja sagen. Es wäre höflich das zu tun. Auch wenn sie bereits
Angst vor mir hatte, wovon ich ausging, würde sie sich an die Gepflogenheiten
halten und neben mir hergehen. Es würde einfach sein, sie in die falsche
Richtung zu lotsen. Ein Teil des Waldes streckte sich wie ein Finger um den
hinteren Teil des Parkplatzes zu berühren. Ich könnte behaupten ich hätte ein
Buch in meinem Wagen vergessen…
Würde irgendjemand bemerken, dass ich die letzte Person war mit der sie
gesehen wurde? Es regnete, wie immer; zwei dunkle Regenjacken, die in die
falsche Richtung gingen würden nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen,
oder mich verraten.
Außer dass ich heute nicht der einzige Schüler war, der sich ihrer bewusst
war – obwohl sich ihr niemand auf so mörderisch Art bewusst war wie ich. Mike
Newton ganz besonders, er bemerkte jede Gewichtsverlagerung während sie in
ihrem Stuhl herum zappelte – sie fühlte sich unwohl in meiner Nähe, so wie sich
jeder fühlen würde, so wie ich es erwartet hatte bevor ihr Duft alle
menschenfreundlichen Anliegen zerstört hatte. Mike Newton würde bemerken,
wenn sie den Klassenraum mit mir zusammen verließ.
Wenn ich eine Stunde überstehen könnte, könnte ich auch zwei
überstehen?
Der brennende Schmerz ließ mich zusammenzucken.
Sie würde nach Hause gehen in ein leeres Haus. Chief Swan arbeitete den
ganzen Tag. Ich kannte sein Haus, wie ich jedes Haus in dieser kleinen Stadt
kannte. Sein Haus schmiegte sich an dicke Baumstämme ohne nahe Nachbarn.
Selbst wenn sie Zeit zum Schreien hätte, die sie nicht haben würde, würde sie
niemand hören.
Das wäre der verantwortlichste Weg damit umzugehen. Ich bin sieben
Jahrzehnte ohne menschliches Blut ausgekommen. Wenn ich meinen Atem
anhielt konnte ich zwei Stunden überstehen. Und wenn ich sie allein erwischte,
würde niemand anders Gefahr laufen verletzt zu werden. Und kein Grund diese
Erfahrung zu schnell vorbeigehen zu lassen, bestätigte das Monster in meinem
Kopf.
Es war kleinlich zu glauben, nur weil ich die neunzehn Menschen in diesem
Raum verschonte, wäre ich weniger ein Monster wenn ich dieses unschuldige
Mädchen tötete.
Obwohl ich sie hasste, wusste ich dass mein Hass ungerechtfertigt war. Ich
wusste was ich wirklich hasste, war ich selbst. Und ich würde uns beide noch viel
mehr hassen, wenn sie tot war.
Ich überstand diese Stunde auf diese Art und Weise – ich überlegte mir den
besten Weg sie zu töten. Ich versuchte mir nicht den eigentlichen Akt
vorzustellen. Das wäre zu viel für mich; Ich könnte diesen Kampf verlieren und
würde damit enden jeden in meinem Blickfeld zu töten. Also entwickelte ich
Strategien und nicht mehr. Es brachte mich durch die Stunde.
Einmal, kurz vor Ende der Stunde, blinzelte sie durch die fließende Wand
ihrer Haare zu mir herüber. Ich konnte fühlen wie der unberechtigte Hass in mir
aufflammte als sich unsere Blicke trafen – sah die Reflektion in ihren ängstlichen
Augen. Blut färbte ihre Wangen rot bevor sie sie wieder hinter ihren Haaren
verstecken konnte, es zerriss mich fast.
Aber dann läutete die Schulglocke. Gerettet von der Klingel – was für ein
Klischee. Wir waren beide gerettet. Sie, gerettet vor dem sicheren Tod. Ich, für
kurze zeit davor gerettet, die albtraumhafte Kreatur zu werden, die ich fürchtete
und verabscheute.
Ich konnte nicht so langsam gehen wie ich sollte als ich aus dem Raum
stürmte. Wenn jemand auf mich geachtet hätte, wäre ihm aufgefallen, dass
etwas nicht stimmte, mit der Art wie ich mich bewegte. Niemand achtete auf
mich. Alle menschlichen Gedanken drehten sich immer noch um das Mädchen,
das dazu verurteilt war in weniger als einer Stunde zu sterben.
Ich versteckte mich in meinem Auto.
Ich mochte die Vorstellung dass ich mich verstecken müsste nicht. Es klag
so feige. Aber es war ohne Frage der Fall.
Ich hatte nicht genug Disziplin übrig um mich in der Nähe von Menschen
aufzuhalten. Da ich mich so sehr darauf konzentrierte die eine nicht zu töten,
hatte ich nicht mehr genug Konzentration übrig um den anderen zu
wiederstehen. Was für eine Verschwendung das wäre. Wenn ich dem Monster
schon nachgab, dann sollte die Niederlage es auch wert sein.
Ich legte eine CD ein die mich normalerweise beruhigte, aber jetzt half sie
wenig. Nein, was jetzt am meisten half war die kühle, feuchte, klare Luft die mit
dem leichten Regen in mein Fenster strömte. Obwohl ich mich mit perfekter
Klarheit an den Duft von Bella Swans Blut erinnerte, war es als würde die saubere
Luft meinen Körper von dieser Infektion reinwaschen.
Ich war wieder bei Verstand. Ich konnte wieder klar denken. Und ich
konnte wieder kämpfen. Ich konnte dagegen ankämpfen was ich nicht sein
wollte.
Ich musste nicht zu ihr nach Hause gehen. Ich musste sie nicht töten.
Offensichtlich war ich eine vernünftige, denkende Kreatur und ich hatte eine
Wahl. Es gab immer eine Wahl.
In Klassenraum hatte es sich nicht danach angefühlt… aber jetzt war ich
weg von ihr. Vielleicht, wenn ich ihr ausweichen würde, gäbe es keinen Grund
mein Leben zu ändern. Ich mochte mein Leben so wie es zurzeit aussah. Warum
sollte ich mir das von einem unangenehmen und köstlichen Niemand ruinieren
lassen?
Ich musste meinen Vater nicht enttäuschen. Ich musste meiner Mutter
keine Sorgen, keinen Stress… keine Schmerzen verursachen. Ja, es würde auch
meine Adoptivmutter verletzen. Und Esme war so sanft, zart und weich.
Jemandem wie Esme schmerzen zuzufügen war absolut unverzeihlich.
Wie ironisch, dass ich dieses Menschenmädchen vor Jessica Stanleys
erbärmlichen, abfälligen Gedanken schützen wollte. Ich war die letzte Person die
jemals als Beschützer vor Isabella Swan stehen würde. Sie würde niemals mehr
Schutz vor etwas benötigen als vor mir.
Wo war Alice, wunderte ich mich plötzlich? Hatte sie nicht gesehen wie ich
das Swan-Mädchen auf zig verschiedene Arten umbrachte? Warum war sie nicht
gekommen um zu helfen – um mich zu stoppen oder um die Beweise zu
vernichten, was auch immer? War sie so sehr darauf bedacht ob es Ärger mit
Jasper gab, dass sie diese viel schlimmere Möglichkeit übersehen hatte? War ich
doch stärker als ich dachte? Hätte ich dem Mädchen wirklich nichts getan?
Nein. Ich wusste, dass das nicht wahr war. Alice musste sich wirklich sehr
stark auf Jasper konzentrieren.
Ich suchte in der Richtung wo sie sein musste, in dem kleinen Gebäude
dass für die Englisch-Kurse genutzt wurde. Es dauerte nicht lange bis ich ihre
bekannte `Stimme` lokalisiert hatte. Und ich hatte recht. All ihre Gedanken
drehten sich um Jasper während sie alle seine Möglichkeiten mit prüfendem Blick
betrachtete.
Ich wünschte ich könnte sie um Rat fragen, aber gleichzeitig war ich froh,
dass sie nicht wusste wozu ich fähig war. Dass sie keine Ahnung hatte von dem
Massaker das ich in der letzen Stunde erdacht hatte.
Ich fühlte ein neues Brennen in meinem Körper – das brennen vor Scham.
Ich wollte nicht dass irgendeiner von ihnen etwas wusste.
Wenn ich Bella Swan aus dem Weg gehen könnte, wenn ich es schaffen
würde, sie nicht zu töten – sogar als ich darüber nachdachte, wand sich das
Monster in mir und knirschte frustriert mit den Zähnen – dann musste niemand
etwas erfahren. Wenn ich mich von ihrem Duft fernhalten könnte…
Es gab keinen Grund weshalb ich es nicht wenigstens versuchen sollte.
Eine gute Wahl treffen. Versuchen das zu sein, was Carlisle dachte was ich war.
Die letzte Schulstunde war fast vorbei. Ich beschloss meinen neuen Plan in
die Tat umzusetzen. Besser als hier auf dem Parkplatz herumzusitzen wo sie an
mir vorbei laufen konnte und mein Vorhaben ruinieren könnte. Wieder empfand
ich den ungerechtfertigten Hass für das Mädchen. Ich hasste, dass sie diese
unbewusste Macht über mich hatte. Dass sie aus mir etwas machte, was ich
verabscheute.
Ich lief schnell – ein bisschen zu schnell, aber es gab keine Zeugen – über
den kleinen Hof zum Sekretariat. Es gab keinen Grund weshalb Bella Swan mir
hier begegnen sollte. Sie würde gemieden werden wie die Plage die sie war.
Das Büro war leer, abgesehen von der Sekretärin, die ich sehen wollte.
Sie bemerkte mein leises Eintreten nicht.
„Mrs. Cope?“
Die Frau mit den unnatürlich roten Haaren schaute auf und ihre Augen
weiteten sich. Es traf sie immer unerwartet, die kleinen Anzeichen die sie nicht
verstanden, egal wie oft sie einen von uns schon gesehen hatten.
„Oh,“ hauchte sie etwas verwirrt. Sie glättete ihr Shirt. Albern, dachte sie
sich. Er ist jung genug um mein Sohn zu sein. Zu jung um auf diese Art von ihm
zu denken…
„Hallo Edward. Was kann ich für dich tun?“ Ihre Wimpern klimperten hinter
ihrer dicken Brille.
Unbehaglich. Aber ich wusste wie scharmant ich sein konnte wenn ich
wollte. Es war einfach, seit ich wusste wie welcher Ton, welche Geste verstanden
wurde.
Ich lehnte mich vor und erwiderte ihren Blick als würde ich ihr tief in die
nicht tiefgründigen kleinen braunen Augen blicken. Ihre Gedanken flatterten
bereits. Das würde einfach werden.
„Ich hab mich gefragt ob sie mir mit meinem Stundenplan helfen könnten,“
sagte ich in der sanften Stimme die ich mir aufhob um Menschen nicht zu
erschrecken.
Ich hörte wie ihr Herzschlag schneller wurde.
„Natürlich Edward. Wie kann ich dir helfen?“ Zu jung, zu jung, leierte sie
sich selbst herunter. Das war natürlich falsch. Ich war älter als ihr Großvater.
Aber laut meinem Führerschein hatte sie recht.
„Ich hab mich gefragt, ob ich von meinem Biologiekurs in einen anderen
Naturwissenschaftlichen Leistungskurs wechseln könnte? Physik vielleicht?“
„Gibt es ein Problem mit Mr. Banner, Edward?“
„Keineswegs, es ist nur so, dass ich den Stoff schon durchgenommen
habe…“
„In dieser Schule für Begabte, die ihr alle in Alaska besucht habt, stimmt.“
Sie schürzte ihre schmalen Lippen als sie das bedachte. Sie sollten alle aufs
College gehen. Ich hab gehört wie sich die Lehrer beschweren. Perfekte Zehnen,
nie eine verzögerte oder falsche Antwort, nie ein Fehler in einer Klausur – als ob
sie einen Weg gefunden hätten in jedem Fach zu schummeln. Mr. Varner würde
eher glauben, dass jemand betrügt, als einzusehen, dass ein Schüler schlauer ist
als er… Ich wetter ihre Mutter gibt ihnen Nachhilfe… „Ehrlichgesagt, Edward,
Physik ist zur Zeit überfüllt. Mr. Banner hasst es, wenn er mehr als 25 Schüler in
einem Kurs hat“
„Ich mache bestimmt keine Probleme.“
Natürlich nicht. Nicht ein perfekter Cullen. „Das weiß ich Edward. Aber es
gibt einfach nicht genug Stühle, so leid es mir tut…“
„Kann ich den Kurs dann vielleicht abwählen? Ich könnte die zeit für
unabhängige Studien nutzen.“
„Biologie abwählen?“ Ihr Unterkiefer klappte auf. Das ist verrückt. Wie
schwer kann es schon sein, ein Fach abzusitzen, das man schon kennt? Es muss
ein Problem mit Mr. Banner geben. Ich frag mich ob ich mit Bob darüber reden
sollte? „Du wirst nicht genug Punkte für den Abschluss zusammenbekommen.“
„Das hole ich nächstes Jahr nach.“
„Vielleicht solltest du mit deinen Eltern darüber reden.“
Hinter mir öffnete sich die Tür, aber wer immer es war, machte sich keine
Gedanken über mich, also ignorierte ich den Neuankömmling und konzentrierte
mich weiter auf Mrs. Cope. Ich lehnte mich noch ein Stück vor und weitete meine
Augen noch etwas. Das würde besser funktionieren wenn sie Gold statt schwarz
wären. Die Schwärze ängstigte die Leute und so sollte es ja auch eigentlich sein.
„Bitte, Mrs. Cope?“ Ich ließ meine Stimme so weich und überwältigend
klingen wie es ging – und sie konnte erstaunlich überwältigend sein. „Gibt es kein
anders Fach in das ich wechseln könnte? Ich bin mir sicher, dass es irgendwo
einen freien Platz gibt? Die sechste Stunde Biologie kann doch nicht die einzige
Möglichkeit sein…“
Ich lächelte sie an, darauf bedacht meine Zähne nicht so deutlich zu
zeigen, dass es ihr angst machte.
Ihr Herz schlug schneller. Zu jung, erinnerte sie sich verzweifelt. „Naja,
vielleicht kann ich mit Bob – Ich meine Mr. Banner reden. Ich könnte schauen
ob…“
Es dauerte nur eine Sekunde und alles veränderte sich: die Atmosphäre
des Raumes, meine Mission hier, den Grund weshalb ich mich zu der rothaarigen
Frau lehnte… Was zu einem bestimmten Zweck gewesen ist, war jetzt für einen
anderen.
Es dauerte nur eine Sekunde, in der Samantha Wells die Tür öffnete um
einen verspäteten unterschriebenen Beleg in den Korb an der Tür zu werfen, und
wieder zu verschwinden um die Schule so schnell wie möglich zu verlassen.
Es dauerte nur eine Sekunde, bis die leichte Briese durch die offene Tür
mit mir zusammentraf. Es dauerte nur eine Sekunde bis ich begriff warum die
Person die zuerst hereinkam mich nicht durch ihre Gedanken unterbrochen hatte.
Ich drehte mich um obwohl ich mich nicht zu vergewissern brauchte. Ich
drehte mich langsam während ich um die Kontrolle meiner Muskeln kämpfte die
gegen mich rebellierten.
Bella Swan stand mit dem Rücken an die Wand gepresst neben der Tür, ein
Stück Papier umklammert in ihrer Hand. Ihre Augen waren noch weiter als
ohnehin schon als sie meinen grimmigen unmenschlichen stechenden Blick sah.
Der Geruch ihres Blutes durchtränkte jeden Luftpartikel in dem kleinen
heißen Raum. Meine Kehle brach in Flammen aus.
Das Monster starrte mir aus dem Spiegel ihrer Augen entgegen, eine
Maske des Bösen.
Meine Hand verharrte in der Luft über dem Tresen. Ich müsste mich nicht
wieder umdrehen um darüber hinweg nach Mrs. Copes Kopf zu greifen und ihn
mit genug Kraft durch ihren Tisch zu schmettern und sie damit sofort zu töten.
Zwei Leben sind besser als zwanzig. Ein guter Handel.
Das Monster wartete ungeduldig, hungrig darauf, dass ich es tat.
Aber es gab immer eine Wahl – es musste eine Wahl geben.
Ich schnitt das Gefühl in meiner Lunge ab und fixierte Carlisles Gesicht vor
meinen Augen. Ich wendete mich wieder Mrs. Cope zu und bemerkte ihre
innerliche Überraschung über die Veränderung in meinem Gesichtsausdruck. Sie
schrak vor mir zurück, aber konnte sich ihre Angst nicht erklären.
Ich brachte all die Selbstbeherrschung auf die ich mir in Jahrzehntelanger
Abstinenz angeeignet hatte um meine Stimme wieder ausgeglichen und weich
klingen zu lassen. Es war noch genug Luft in meiner Lunge um noch einmal
hastig zu sprechen.
„Macht nichts. Ich verstehe, dass es unmöglich ist. Haben sie vielen Dank
für ihre Mühe.“
Ich schwang herum, stürmte aus dem Raum und versuchte den vom Blut
erwärmten Körper des Mädchens nicht zu spüren als ich nur Millimeter an ihr
vorbei lief.
Ich hielt nicht an, bis ich mein Auto erreichte, legte den gesamten Weg viel
zu schnell zurück. Die meisten Menschen waren schon weg, deshalb gab es kaum
Zeugen. Ich hörte einen Unterstufenschüler, D.J. Garrett, wie er mich bemerkte,
aber dann nicht weiter beachtete…
Wo ist Cullen hergekommen – als wäre er plötzlich aus dem Nichts
aufgetaucht… Ich mal wieder mit meiner Fantasie. Wie meine Mutter immer
sagt…
Als ich in meinen Volvo stieg waren die anderen schon da. Ich versuchte
meine Atmung zu kontrollieren, aber ich keuchte in der frischen Luft, als wäre ich
kurz vorm ersticken.
„Edward?“ fragte Alice alarmiert.
Ich schüttelte nur meinen Kopf.
„Was zur Hölle ist denn mit dir passiert?“ fragte Emmett, der einen
Moment abgelenkt davon war, dass Jasper nicht in der Stimmung für eine
Revanche war.
Statt zu antworten, setze ich den Wagen zurück. Ich musste von diesem
Parkplatz verschwinden bevor Bella Swan mir auch hierher folgen konnte. Mein
eigener, persönlicher Dämon, der mich jagte… Ich schwang den Wagen herum
und beschleunigte. Ich erreichte die 40 bevor ich auf der Straße war. Auf der
Straße erreichte ich die 70 noch vor der Ecke.
Ohne zu gucken wusste ich, dass Emmett, Rosalie und Jasper sich alle
umgedreht hatten und Alice anstarrten. Sie zuckte mit den Schultern. Sie konnte
nicht sehen was war, nur was kommen würde.
Sie konzentrierte sich jetzt auf meine Zukunft. Wir beide verfolgten was sie
in ihrem Kopf sah und wir waren beide überrascht.
„Du verlässt uns?“ flüsterte sie.
Die anderen starrten mich an.
„Tue ich das?“ zischte ich durch meine zusammengekniffenen Zähne.
Dann sah sie es, als meine Entschlossenheit schwankte und eine andere
Möglichkeit meine Zukunft in eine dunklere Richtung lenkte.
„Oh.“
Bella Swan, tot. Meine Augen, glühend rot mit frischem Blut. Die
Durchsuchung die folgte. Die vorsichtige Zeit in der wir warteten bis es wieder
sicher für uns war hervorzutreten und von vorn anzufangen…
„Oh,“ sagte sie wieder. Das Bild wurde jetzt klarer. Ich sah zum ersten Mal
das Haus von Chief Swan von innen, sah Bella in der kleinen Küche mit den
gelben Schränken, mit dem Rücken zu mir als ich mich aus den Schatten an sie
heranpirschte… mich von ihrem Duft zu ihr hinziehen ließ…
„Stopp!“ stöhnte ich, nicht in der Lage noch mehr zu ertragen.
„Sorry,“ flüsterte sie mit geweiteten Augen.
Das Monster frohlockte.
Und die Vision in ihrem Kopf änderte sich erneut. Ein leerer Highway bei
Nacht, die schneebedeckten Bäume am Rand flogen mit 100 Meilen pro Stunde
vorbei.
„Ich werde dich vermissen,“ sagte sie. „Egal wie kurz du weg sein wirst.“
Emmett und Rosalie tauschten einen besorgten Blick.
Wir waren kurz vor der Biegung auf die lange Auffahrt die zu unserem
Haus führte.
„Lass uns hier raus,“ instruierte Alice. „Du solltest es Carlisle selbst
sagen.“
Ich nickte und das Auto kam quietschend zum Stehen.
Emmett, Rosalie und Jasper stiegen ohne ein Wort aus; sie würden Alice
nach einer Erklärung fragen, wenn ich weg war. Alice berührte meine Schulter.
„Du wirst das richtige tun,“ murmelte sie. Keine Vision dieses Mal – ein
Befehl. „Sie ist Charlie Swans einzige Familie. Es würde auch ihn töten.“
„Ja,“ sagte ich, und stimmte damit nur dem letzten Teil zu.
Sie glitt aus dem Wagen zu den anderen, ihre Augenbrauen besorgt
zusammengezogen. Sie verschmolzen mit dem Wald und waren außer Sicht
bevor ich den Wagen wenden konnte.
Ich raste zurück zur Stadt und ich wusste die Visionen in Alices Kopf
würden von dunkel in strahlendes Licht getaucht werden, wie durch ein
Stroboskop. Während ich mit 90 nach Forks zurückfuhr, war ich mir nicht sicher
was ich tun würde. Meinem Vater auf Wiedersehen sagen? Oder das Monster in
mir mit offenen Armen empfangen? Die Straße flog unter meinen Reifen dahin.
2. Wie ein offenes Buch

Ich lehnte mich gegen die weiche Schneewehe und das trockene Puder verformte
sich unter meinem Gewicht. Mein Körper hatte sich noch weiter abgekühlt um
sich der Luft um mich herum anzupassen und die kleinen Eisstücke fühlten sich
wie Samt auf meiner Haut an.
Der Himmel über mir war klar, voller leuchtender Sterne, ein
schimmerndes blau an einigen Stellen, gelb an anderen. Die Sterne bildeten
majestätische, verschlungene Formen in dem schwarzen Universum – ein
großartiger Anblick. Ungemein schön. Oder besser, sollte ungemein schön sein.
Wäre es gewesen, wenn ich in der Lage gewesen wäre es wirklich zu sehen.
Es wurde einfach nicht besser. Sechs Tage waren mittlerweile vergangen,
sechs Tage versteckte ich mich bereits in der leeren Wildnis von Denali, aber ich
war der Freiheit kein Stück näher gekommen seit ich zum ersten Mal ihren Duft
aufgeschnappt hatte.
Wenn ich hinauf zu dem juwelenbehangenen Himmel starrte war es als
wäre da eine Blockade zwischen meinen Augen und seiner Schönheit. Die
Blockade war ein Gesicht, nur ein belangloses menschliches Gesicht, aber ich
konnte es nicht aus meinem Kopf verbannen.
Ich hörte die sich nähernden Gedanken bevor ich die dazugehörenden
Schritte hörte. Die Bewegungsgeräusche waren nur der Hauch eines Flüsterns auf
dem weißen Puder.
Ich war nicht überrascht, dass Tanya mir hierher gefolgt war. Ich wusste
dass sie schon einige Tage über das Gespräch das jetzt kommen würde
nachgrübelte, sie schob es vor sich her, bis sie genau wusste, was sie sagen
wollte.
Ungefähr sechzig Yards entfernt sprang sie in Sicht, auf die Spitze eines
unter dem Schnee hervortretenden schwarzen Felsens und balancierte dort auf
den Ballen ihrer nackten Füße.
Tanyas Haut war silbern im Sternenlicht und ihre langen blonden Locken
leuchteten schwach, fast rosa auf ihrem Erdbeertaint. Ihre bernsteinfarbenen
Augen leuchteten auf, als sie mich entdeckte, halb begraben unter dem Schnee,
und ihre vollen Lippen umspielte ein Lächeln.
Vorzüglich. Wenn ich wirklich in der Lage gewesen wäre sie zu sehen. Ich
seufzte.
Sie hockte sich auf den Felsen, ihre Fingerspitzen berührten den Stein, ihr
Körper rollte sich zusammen.
Kanonenkugel, dachte sie.
Sie schoss in die Luft, ihre Umrisse wurden zu einem dunklen, verdrehten
Schatten als sie zwischen mich und die Sterne sprang. Sie rollte sich zu einer
Kugel zusammen als sie auf den aufgetürmten Schnee neben mir traf.
Ein Schneesturm erhob sich um mich herum. Die Sterne wurden schwarz
und ich war begraben unter den federähnlichen eisigen Kristallen.
Ich seufzte wieder, aber machte keine Anstalten, mich aus dem Schnee zu
heraus zu graben. Die Schwärze unter dem Schnee tat weder weh noch
veränderte sie die Sicht. Ich sah immer noch dasselbe Gesicht.
„Edward?“
Wieder flog Schnee, als Tanya mich schnell ausgrub. Sie fegte das Pulver
von meinem unbeweglichen Gesicht, darauf bedacht, meinem Blick nicht zu
begegnen.
„Sorry,“ murmelte sie. „Es sollte ein Witz sein.“
„Ich weiß. Es war lustig.“
Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten.
„Irina und Kate sagen, ich sollte dich in Ruhe lassen. Sie denken ich nerve
dich.“
„Kein bisschen,“ versicherte ich ihr. „Ganz im Gegenteil, ich bin derjenige
der unhöflich ist – furchtbar unhöflich. Es tut mir sehr leid.“
Du gehst wieder nach Hause, oder? Dachte sie.
„Ich hab mich… noch nicht vollkommen… entschieden.“
Aber du bleibst nicht hier. Ihre Gedanken waren jetzt wehmütig, traurig.
„Nein. Es scheint nicht wirklich… zu helfen.“
Sie zog ein Gesicht. „Das ist meine Schuld, nicht wahr?“
„Natürlich nicht,“ log ich reibungslos.
Seih kein Gentleman.
Ich lächelte.
Wegen mir fühlst du dich unwohl, klagte sie.
„Nein.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. Ihr Gesicht war so ungläubig, dass ich
lachen musste. Ein kurzes Lachen gefolgt von einem weiteren Seufzer.
„Na gut,“ gab ich zu. „Ein kleines bisschen.“
Sie seufzte auch und stütze ihr Kinn auf ihre Hände. Ihre Gedanken waren
verärgert.
„Du bist tausendmal lieblicher als die Sterne, Tanya. Dessen bist du dir
natürlich absolut bewusst. Lass dein Vertrauen nicht von meiner Eigensinnigkeit
erschüttern.“ Ich kicherte bei dieser abwegigen Idee.
„Ich bin solche Reaktionen nicht gewöhnt,“ brummte sie und verschob ihre
Unterlippe zu einem attraktiven Schmollmund.
„Natürlich nicht,“ stimmte ich ihr zu und versuchte dabei ihre Gedanken
auszublenden in denen sie all die Erinnerungen an ihre abertausend Eroberungen
durchging. Tanya bevorzugte Menschliche Männer – für eine Sache waren sie
besonders bekannt, für die Tatsache, dass sie weich und warm waren. Und immer
gierig, mit Sicherheit.
„Sukkubus,“ zog ich sie auf, in der Hoffnung die Bilder aus ihren Gedanken
zu vertreiben.
Sie grinste breit. „Das Original.“
Anders als Carlisle hatten Tanya und ihre Schwestern ihr Gewissen
langsam entdeckt. Am Ende war es ihr Verlangen nach menschlichen Männern,
weshalb sie sich gegen das Abschlachten entschlossen haben. Jetzt… lebten die
Männer die sie liebten.
„Als du hier aufgetaucht bist,“ sagte Tanya langsam. „Dachte ich…“
Ich wusste was sie gedacht hatte. Ich hätte mir denken können, dass sie so
fühlen würde. Aber im Moment war ich nicht gerade gut darin überlegt zu
handeln.
„Du dachtest, ich hätte meine Meinung geändert.“
„Ja.“ Sie starrte finster vor sich hin.
„Ich fühle mich schlecht weil ich mit deinen Erwartungen gespielt habe,
Tanya. Das wollte ich nicht – ich hab nicht nachgedacht. Es ist nur so, dass ich…
sehr plötzlich aufgebrochen bin.“
„Ich gehe davon aus, dass du mir nicht erzählen wirst, warum…?“
Ich setzte mich auf und schlang die Arme um meine Beine. „Ich möchte
nicht darüber reden.“
Tanya, Irina und Kate waren gut in dem Leben, dass sie sich ausgesucht
hatten. Auf manche Art sogar besser als Carlisle. Abgesehen von der verrückten
unmittelbaren Nähe die sie sich zu denen erlaubten die – einmal mehr – ihre
Beute sein sollten, sie machten keine Fehler. Es war mir zu peinlich meine
Schwäche vor Tanya einzugestehen.
„Probleme mit Frauen?“ vermutete sie und ignorierte meine
Zurückhaltung.
Ich lachte schrill. „Nicht so wie du es denkst.“
Dann war sie still. Ich lauschte ihren Gedanken, während sie verschiedene
Möglichkeiten durchging bei dem Versuch den Sinn meiner Worte zu verstehen.
„Du bist nicht mal nahe dran,“ sagte ich ihr.
„Ein Tipp?“ fragte sie.
„Bitte lass es gut sein, Tanya.“
Dann war sie wieder still, immer noch am grübeln. Ich ignorierte sie, und
versuchte vergeblich die Sterne wahr zu nehmen.
Nach einem Moment der Stille gab sie auf und ihre Gedanken schlugen
eine andere Richtung ein.
Wohin wirst du gehen, Edward, wenn du wieder abreist? Zurück zu
Carlisle?
„Ich glaube nicht,“ flüsterte ich.
Wohin würde ich gehen? Ich konnte mir keinen Ort auf dem gesamten
Planeten vorstellen, der irgendetwas Interessantes für mich barg. Es gab nichts
was ich sehen oder tun wollte. Denn egal wo ich hinging, ich würde nirgendwo
hin gehen – ich würde immer nur vor etwas weg rennen.
Ich hasste es. Wann bin ich so ein Feigling geworden?
Tanya legte ihren schlanken Arm um meine Schultern. Ich versteifte mich,
löste mich aber nicht aus dieser Umarmung. Sie bezweckte nicht mehr damit als
freundschaftliche Unterstützung. Hauptsächlich.
„Ich denke du wirst zurückgehen,“ sagte sie, in ihrer Stimme lag nur noch
ein Hauch ihres lange verloren gegangen russischen Akzents. „Egal was es ist…
oder wer es ist… das dich verfolgt. Du wirst ihm entgegentreten. Du bist so ein
Typ.“
Ihre Gedanken waren sich dessen so sicher wie ihre Worte. Ich versuchte
die Vision die sie von mir hatte festzuhalten. Derjenige, der den Dingen direkt
entgegentrat. Es tat gut wieder so von mir selbst zu denken. Ich hatte nie an
meinem Mut gezweifelt, meiner Fähigkeit mit Schwierigkeiten fertig zu werden,
vor dieser schrecklichen Stunde in dem High School Biologiekurs vor so kurzer
Zeit.
Ich küsste ihre Wange; und drehte mich schnell wieder weg als sie ihr
Gesicht zu meinem drehte, ihre Lippen schon gespitzt. Sie lächelte reumütig über
meine Schnelligkeit.
„Danke Tanya. Das musste ich hören.“
Ihre Gedanken wurden launisch. „Gern geschehen, denke ich. Ich wünschte
du würdest besser mit dir reden lassen, Edward.“
„Es tut mir leid, Tanya. Du weißt, dass du zu gut für mich bist. Es ist nur…
ich hab noch nicht gefunden wonach ich suche.“
„Na gut, wenn du gehst bevor wir uns noch einmal sehen… auf
Wiedersehen Edward.“
„Auf Wiedersehen Tanya.“ Als ich die Worte aussprach konnte ich es
sehen. Ich konnte mich gehen sehen. Stark genug um zu dem einzigen Ort
zurück zu gehen an dem ich sein wollte. „Danke nochmal.“
Mit einer flinken Bewegung sprang sie auf ihre Füße und rannte weg,
geisterte so schnell über den Schnee, dass ihre Füße keine zeit hatten in den
Schnee einzusinken; sie hinterließ keine Fußspuren. Sie drehte sich nicht um.
Meine Reaktion störte sie mehr als sie sich hatte anmerken lassen, sogar in ihren
Gedanken. Sie würde mich nicht noch einmal sehen wollen bevor ich ging.
Ich verzog ärgerlich meinen Mund. Ich mochte es nicht Tanya zu verletzen,
obwohl ihre Gefühle für mich nicht tief, nicht rein waren und auf jeden Fall nichts
was ich erwidern konnte. Es kam mir trotzdem so vor als wäre ich dadurch
weniger ein Gentleman.
Ich legte mein Kinn auf meine Knie und schaute wieder hinauf zu den
Sternen, obwohl ich es plötzlich eilig hatte mich auf den Weg zu machen. Ich
wusste, dass Alice sehen würde, wie ich nach Hause kam und es den anderen
erzählte. Das würde sie glücklich machen – besonders Carlisle und Esme. Aber
ich blickte noch einmal hoch zu den Sternen, versuchte an dem Gesicht in
meinem Kopf vorbei zusehen. Zwischen mir und den funkelnden Lichtern im
Himmel starrte mir ein verwirrtes schokoladenbraunes Augenpaar entgegen. Es
schien zu fragen, was diese Entscheidung für sie bedeuten würde. Natürlich
konnte ich mir nicht sicher sein, dass es das war, was diese eigenartigen Augen
zu wissen begehrten. Selbst in meiner Vorstellung konnte ich ihre Gedanken nicht
hören. Bella Swans Augen fragten weiter und ein ungehinderter Blick zu den
Sternen blieb mir verwehrt. Mit einem schweren Seufzer, gab ich auf und erhob
mich. Wenn ich rannte war ich in weniger als einer Stunde bei Carlisles Auto…
Ich wollte meine Familie so schnell wie möglich wiedersehen – wollte
unbedingt der Edward sein, der den Problemen ins Gesicht sah – Ich rannte über
das sternenklare Schneefeld, ohne Fußspuren zu hinterlassen.

„Es wird alles gut werden,“ hauchte Alice. Ihre Augen blickten ins Leere und
Jasper hielt mit einer Hand ihren Ellenbogen um sie zu führen während wir
aneinandergedrängt die Cafeteria betraten. Rosalie und Emmett gingen voran,
Emmett sah lächerlicherweise aus wie ein Bodyguard mitten im Feindesland.
Rose sah sich auch wachsam um, aber eher irritiert als beschützend.
„Natürlich wird es das,“ grummelte ich. Ihr Verhalten war albern. Wenn ich
mir nicht sicher wäre mit der Situation umgehen zu können, wäre ich zu Hause
geblieben.
Die plötzliche Verlagerung von unserem normalen, sogar verspielten
Vormittag – es hatte in der Nacht geschneit und Emmett und Jasper waren sich
nicht zu schade um meine Zerstreuung auszunutzen um mich mit Schneebällen
zu bombardieren; als ich mich nicht wehrte, waren sie gelangweilt und
bombardierten sich gegenseitig – auf diese übertriebene Wachsamkeit wäre
komisch gewesen, wäre es nicht so ärgerlich.
„Sie ist noch nicht hier, aber auf dem Weg den sie hereinkommt… sie wird
nicht in Windrichtung sein, wenn wir an unserem Stammplatz sitzen.“
„Natürlich setzten wir uns auf unseren Stammplatz. Hör auf damit, Alice.
Du gehst mir auf die Nerven. Es geht mir gut und daran wird sich nichts ändern.“
Sie blinzelte kurz als Jasper ihr auf ihren Stuhl half, und ihre Augen blickten
mir endlich ins Gesicht.
„Hmm,“ sagte sie überrascht. „Ich glaube du hast recht.“
„Selbstverständlich habe ich recht,“ murmelte ich.
Ich hasste es, im Mittelpunkt ihrer Sorgen zu stehen. Plötzlich hatte ich
Mitleid mit Jasper als ich mich daran erinnerte wie wir alle schützend über ihm
schwebten. Er erwiderte kurz meinen Blick und grinste.
Nervig, nicht war?
Ich schnitt ihm eine Grimasse.
War es erst letzte Woche gewesen, dass dieser lange, graue Raum so
tödlich stumpf auf mich gewirkt hat? Dass es sich wie Schlaf, wie ein Koma
anfühlte, hier zu sein?
Heute waren meine Nerven angespannt – wie die Seiten eines Pianos,
gespannt um bei der kleinsten Berührung zu singen. Meine Sinne waren in
äußerster Alarmbereitschaft; ich prüfte jedes Geräusch, jeden Seufzer, jeden
Lufthauch der meine Haut berührte, jeden Gedanken. Besonders die Gedanken.
Es gab nur einen Sinn den ich unterdrückte. Den Geruchssinn selbstverständlich.
Ich atmete nicht.
Ich erwartete mehr über die Cullens zu hören in den Gedanken die ich
durchforstete. Den ganzen Tag wartete ich, suchte nach irgendeiner Erkenntnis
die Bella Swan jemandem anvertraut hatte, versuchte zu sehen welche Richtung
der neue Klatsch und Tratsch nehmen würde. Aber da war nichts. Niemand
beachtete die fünf Vampire in der Cafeteria, es drehte sich immer noch alles um
das neue Mädchen. Einige der Menschen hier dachten immer noch an sie, immer
noch dieselben Gedanken wie letzte Woche. Doch anstatt es unsagbar langweilig
zu finden, war ich fasziniert.
Hatte sie mit niemandem über mich gesprochen?
Es war unmöglich dass sie meinen schwarzen, mörderischen Blick nicht
bemerkt hatte. Ich hatte ihre Reaktion darauf gesehen. Sicher hatte ich sie zu
Tode erschreckt. Ich war überzeugt gewesen, dass sie es vor irgendwem erwähnt
haben musste, vielleicht sogar ausgeschmückt hatte um die Story noch besser zu
machen. Mir ein paar bedrohliche Zeilen gab.
Und dann hatte sie ja auch noch mitbekommen wie ich versucht hatte den
gemeinsamen Biologiekurs zu wechseln. Sie musste sich gefragt haben, nachdem
sie meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte, ob sie der Grund dafür war. Ein
normales Mädchen hätte sich umgehört, ihr Erfahrungen mit denen der anderen
verglichen um Gemeinsamkeiten zu entdecken die mein Benehmen
gerechtfertigt hätten, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte. Menschen
wollten unbedingt normal sein, dazugehören. Sich in ihre Umgebung einfügen wie
eine nichtssagende Schafherde. Dieses Bedürfnis war bei heranwachsenden ganz
besonders ausgeprägt. Dieses Mädchen würde keine Ausnahme dieser Regel
sein.
Aber niemand nahm Notiz von uns wie wir hier saßen, an unserem üblichen
Tisch. Bella musste außerordentlich schüchtern sein, wenn sie sich niemandem
anvertraut hatte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater gesprochen, möglicherweise
war dies die stärkste Bindung… obwohl das unwahrscheinlich war aufgrund der
Tatsache, dass sie nur sehr wenig Zeit mit ihm verbracht hatte in ihrem Leben.
Sie würde ihrer Mutter näherstehen. Trotzdem sollte ich bald mal bei Chief Swan
vorbeischauen und mir anhören was er dachte.
„Irgendetwas neues?“ fragte Jasper.
„Nichts. Sie… scheint kein Wort darüber verloren zu haben.“
Alle hoben eine Augenbraue bei dieser Neuigkeit.
„Vielleicht bis du ja gar nicht so gruselig wie du immer dachtest,“ sagte
Emmett kichernd. „Ich wette ich hätte ihr mehr Angst einjagen können als du.“
Ich verdrehte ihm gegenüber meine Augen.
„Ich frag mich warum…?“ Er wunderte sich wieder über meine Offenbarung
über die einzigartige Stille dieses Mädchens.
„Wir sind damit durch. Ich weiß es nicht.“
„Sie kommt rein,“ murmelte Alice. Ich merkte wie mein Körper sich
versteifte. „Versuch menschlich auszusehen.“
„Menschlich meinst du?“ fragte Emmett.
Er hob seine rechte Faust und dreht seine Finger um den Schneeball
hervorzubringen den er in seiner Handfläche versteckt hatte. Natürlich war er
dort nicht geschmolzen. Er hatte ihn zu einem klumpigen Eisbrocken
zusammengedrückt. Sein Blick ruhte auf Jasper aber ich sah die Richtung seiner
Gedanken. Genau wie Alice. Als er den eisigen Klumpen nach ihr warf, lenkte sie
ihn mit einem beiläufigen Fingerschnippen in eine andere Richtung. Das Eis flog
quer durch die Cafeteria, zu schnell für menschliche Augen, und zerschmetterte
mit einem lauten Krach an der Backsteinwand. Der Stein krachte auch.
Die Köpfe in der Ecke des Raumes drehten sich alle um auf den kleinen
Eisklumpen auf dem Boden zu starren und sich dann nach dem Schuldigen
umzusehen. Sie schauten nur ein paar Tische weiter. Niemand sah zu uns.
„Sehr menschlich, Emmett,“ kritisierte Rosalie. „Warum schlägst du nicht
gleich ein Loch in die Wand, wenn du schon einmal dabei bist?“
„Es würde beeindruckender aussehen, wenn du das tun würdest, Baby.“
Ich versuchte ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken, grinste vor mich
hin als wäre ich Teil ihres Geplänkels. Ich erlaubte mir nicht zu der Schlange zu
sehen in der ich wusste, dass sie stand. Aber das war alles wo ich hinhörte.
Ich konnte Jessicas Ungeduld mit der Neuen hören, die abgelenkt schien
und bewegungslos in der Reihe stand. Ich sah, in Jessicas Gedanken, dass Bella
Swans Wangen wieder rot gefärbt waren von ihrem Blut.
Ich nahm kurze, flache Atemzüge, bereit sofort das Atmen einzustellen,
falls auch nur ein Hauch ihres Duftes die Luft in meiner Nähe erreichen sollte.
Mike Newton war bei den beiden Mädchen. Ich hörte seine beiden
Stimmen, mental und verbal, als er Jessica fragte, was mit dem Swan-Mädchen
los seih. Ich mochte es nicht wie seine Gedanken sich um sie drehten, das
Aufflackern bereits hergestellter Fantasien, die seinen Verstand vernebelten,
während er sie beobachtete wie sie aus einer Träumerei aufblickte als hätte sie
vergessen, dass er da war.
„Gar nichts,“ hörte ich Bella mit dieser leisen, klaren Stimme sagen. Es
hörte sich wie das Klingeln einer Glocke an durch das Gebrabbel in der Cafeteria,
aber ich wusste, dass das nur daran lag, dass ich so konzentriert zuhörte.
„Ich nehme heute nur eine Limo,“ sagte sie, während sie weiterging um
zum Ende der Schlange aufzuschließen.
Ich konnte mich nicht davon abhalten ihr einen kurzen Blick zuzuwerfen.
Sie starrte auf den Fußboden, das Blut schwand langsam aus ihrem Gesicht.
Schnell wandte ich meinen Blick ab, zu Emmett, der jetzt über das
schmerzverzerrte Lächeln in meinem Gesicht lachte.
Du siehst krank aus, Bruder.
Ich arrangierte meinen Gesichtsausdruck, damit er leicht und lässig wirkte.
Jessica wunderte sich über die Appetitlosigkeit des Mädchens. „Bist du
nicht hungrig?“
„Ehrlichgesagt, ist mir im Moment ein bisschen schlecht.“ Ihre Stimme war
leiser, aber immer noch sehr klar.
Warum störten mich die beschützerischen Bedenken die plötzlich von
Mikes Gedanken ausstrahlten? Was machte es schon, dass da ein
Besitzergreifender Ton in ihnen lag? Es war nicht meine Angelegenheit, wenn
Mike Newton sich unnötigerweise um sie sorgte. Vielleicht war das die Art wie
jeder auf sie reagierte. Hatte ich sie nicht auch instinktiv beschützen wollen?
Bevor ich sie töten wollte…
Aber war das Mädchen krank?
Es war schwer zu beurteilen – sie sah so delikat aus mit ihrer
transparenten Haut… Dann bemerkte ich, dass ich mich auch um sie sorgte,
genau wie dieser dämliche Junge, und ich zwang mich, nicht über ihre
Gesundheit nachzudenken.
Abgesehen davon mochte ich es nicht, sie durch Mikes Gedanken zu
beobachten. Also wechselte ich zu Jessicas und schaute genau zu während die
drei sich einen Tisch aussuchten. Glücklicherweise setzen sie sich zu Jessicas
üblicher Gesellschaft an einen der ersten Tische des Raumes. Nicht in
Windrichtung, genau wie Alice versprochen hatte.
Alice stieß mich mit ihrem Ellenbogen an. Sie wird bald herübersehen.
Benimm dich menschlich.
Hinter meinem Grinsen biss ich die Zähne zusammen.
„Beruhig dich, Edward,“ sagte Emmett. „Mal ehrlich. Dann tötest du halt
einen Menschen. Das ist wohl kaum das Ende der Welt.“
„Wer weiß,“ murmelte ich.
Emmett lachte. „Du musst lernen über Dinge hinwegzukommen. Wie ich.
Die Ewigkeit ist eine lange Zeit um in Schuldgefühlen zu versinken.“
Genau in dem Moment, schleuderte Alice eine kleinere Handvoll eis, die sie
versteckt hatte, in Emmetts unerwartetes Gesicht.
Er blinzelte überrascht und dann grinste er in Erwartung.
„Du hast es nicht anders gewollt,“ sagte er als er sich vorbeugte und seine
schneebedeckten Haare in ihre Richtung schüttelte. Der Schnee, der in dem
warmen Raum bereits zu schmelzen begann, flog in einem dicken Schauer aus
Wasser und Eis aus seinen Haaren.
„Iiih!“ kreischte Rosalie, als sie und Alice vor den Tropfen zurückwichen.
Alice lachte und wir alle stimmten mit ein. Ich konnte in Alice Gedanken
sehen wie sie diesen perfekten Moment dirigiert hatte und ich wusste, dass das
Mädchen – ich sollte aufhören auf diese Art an sie zu denken, als wäre sie das
einzige Mädchen auf der Welt – dass Bella uns zusah wie wir lachten und spielten,
wir sahen so glücklich und menschlich und unrealistisch ideal aus wie ein Norman
Rockwell Gemälde.
Alice lachte weiter und hielt ihr Tablett als Schild vor ihr Gesicht. Das
Mädchen – Bella musste immer noch zu uns herüber sehen.
…starrt wieder zu den Cullens, dachte jemand und erregte meine
Aufmerksamkeit.
Automatisch reagierte ich auf diesen unbeabsichtigten Ruf, und bemerkte,
als meine Augen ihr Ziel fanden, dass ich die Stimme kannte – Ich hatte ihr heute
schon so oft zugehört.
Aber meine Augen glitten an Jessica vorbei, zu dem durchdringenden Blick
des Mädchens.
Schnell senkte sie ihren Blick und versteckte sich wieder hinter ihren
dicken Haaren.
Was dachte sie? Die Frustration wurde mit der Zeit immer größer anstatt
abzustumpfen. Ich versuchte – unsicher darüber was ich da tat, da ich es nie
zuvor getan hatte – mit meinen Gedanken die Stille um sie herum zu erforschen.
Meine Gabe war immer ganz natürlich zu mir gekommen, ohne dass ich danach
fragen musste; ich musste nie daran arbeiten. Aber jetzt konzentrierte ich mich
um das Schild zu durchbrechen, dass sie umgab.
Nichts als Stille.
Was hat sie nur an sich? Dachte Jessica und spiegelte meine eigene
Frustration wieder.
„Edward Cullen starrt dich an,“ flüsterte sie in dem Swan-Mädchen ins Ohr
und kicherte. In ihrem Ton lag kein Anzeichen ihrer Eifersucht. Jessica schien gut
darin zu sein Freundschaften vorzutäuschen.
Ich lauschte angestrengt auf die Antwort des Mädchens.
„Er sieht aber nicht sauer aus, oder?“ flüsterte sie zurück.
Also hatte sie meine wilde Reaktion letzte Woche bemerkt. Natürlich hatte
sie das.
Die Frage verwirrte Jessica. Ich sah mein Gesicht in ihren Gedanken als sie
meinen Ausdruck überprüfte, aber ich traf nicht ihren Blick. Ich konzentrierte
mich immer noch auf das Mädchen und versuchte irgendetwas zu hören. Meine
starke Konzentration schien nicht zu helfen.
„Nein,“ teilte ihr Jess mit und ich wusste, dass sie sich wünschte, sie hätte
ja sagen können – wie mein Blick sie wurmte – aber davon war keine Spur in ihrer
Stimme. „Wieso sollte er?“
„Ich glaube, er kann mich nicht leiden,“ flüsterte das Mädchen zurück und
legte ihren Kopf auf ihren Arm als wäre sie plötzlich müde. Ich versuchte die
Bewegung zu verstehen aber ich konnte nur raten. Vielleicht war sie müde.
„Die Cullens können niemanden leiden,“ versicherte ihr Jess. „Naja,
eigentlich beachten sie niemanden genug um ihn leiden zu können.“ Jedenfalls
bis jetzt nicht. Ihre Gedanken waren ein klagendes grummeln. „Obwohl – er
schaut dich immer noch an.“
„Hör auf, ihn anzugucken,“ sagte das Mädchen ängstlich und hob den Kopf
von ihrem Arm um sicherzugehen, dass Jessica ihrer Bitte nachkam.
Jessica kicherte, tat aber was ihr gesagt wurde.
Für den Rest der Stunde sah das Mädchen nicht mehr von ihrem Tisch auf.
Ich dachte – obwohl ich natürlich nicht sicher sein konnte – dass es Absicht war.
Es wirkte so als ob sie zu mir herüber sehen wollte. Ihr Körper würde sich leicht in
meine Richtung bewegen, ihr Kinn würde sich drehen, und dann würde sie sich
dabei erwischen, tief einatmen und stur zu demjenigen starren der gerade
sprach.
Ich ignorierte den Großteil der Gedanken um sie herum, da sie im Moment
nicht von ihr handelten. Mike Newton plante eine Schneeballschlacht nach der
Schule auf dem Parkplatz und bemerkte nicht, dass der Schnee sich in Regen
verwandelt hatte. Das rieseln der Schneeflocken auf dem Dach war zu dem
üblichen trommeln von Regentropfen geworden. Konnte er die Veränderung
wirklich nicht hören? Für mich hörte es sich sehr laut an.
Als die Mittagspause zu Ende ging, blieb ich auf meinem Stuhl sitzen. Die
Menschen strömten hinaus und ich erwischte mich dabei wie ich versuchte ihre
Schritte von denen der anderen zu unterscheiden, als ob da etwas Wichtiges oder
Unnormales an ihnen wäre. Wie dumm.
Meine Familie machte auch keine Anstalten sich zu bewegen. Sie warteten
ab, was ich tun würde.
Würde ich in den Klassenraum gehen, mich neben das Mädchen setzen, wo
ich den starken Duft ihres Blutes riechen und die Wärme ihres Pulses in der Luft
auf meiner Haut spüren konnte? War ich stark genug dafür? Oder hatte ich genug
für heute?
„Ich… denke es ist okay,“ sagte Alice zögernd. „Dein Geist ist bestimmt.
Ich denke du überstehst die Stunde.“
Aber Alice wusste nur zu gut wie schnell ein Geist sich ändern konnte.
„Warum das Glück herausfordern, Edward?“ fragte Jasper. Er wollte sich
nicht selbstgefällig fühlen, weil ich jetzt der Schwache war, aber ich konnte
hören, dass er es ein bisschen tat. „Geh nach Hause. Geh es langsam an.“
„Was ist schon groß dabei?“ wiedersprach Emmett. „Entweder er tötet sie
oder eben nicht. So oder so muss er es hinter sich bringen.“
„Ich will noch nicht wieder umziehen,“ beschwerte sich Rosalie. „Ich will
nicht von vorn anfangen. Wir sind fast fertig mit der High School Emmett.
Endlich.“
Ich war hin und hergerissen in meiner Entscheidung. Ich wollte, wollte
wirklich dem Problem gegenübertreten, statt schon wieder davon zu laufen. Aber
ich wollte auch nicht zu weit gehen. Es war ein Fehler von Jasper letzte Woche zur
Schule zu gehen obwohl er so lange nicht auf der Jagd gewesen war; war das hier
jetzt ein genauso sinnloser Fehler?
Ich wollte meine Familie nicht entwurzeln. Niemand von ihnen würde mir
dafür danken.
Aber ich wollte in meinen Biologiekurs gehen. Ich bemerkte, dass ich ihr
Gesicht wiedersehen wollte.
Das war es das mich meine Entscheidung treffen lies. Dieses Merkwürdige
Verlangen. Ich war wütend auf mich weil ich so fühlte. Hatte ich mir nicht
geschworen, dass die Stille der Gedanken dieses Mädchens nicht unnötigerweise
mein Interesse wecken würde? Und hier stand ich nun, vollkommen unnötig
interessiert.
Ich wollte wissen, was sie dachte. Ihr Kopf war verschlossen, aber ihre
Augen waren geöffnet. Vielleicht konnte ich sie lesen.
„Nein, Rose, ich glaube wirklich, dass es ok ist,“ sagte Alice. „Es… wird
beständiger. Ich bin mir zu 93% sicher, dass nichts Schlimmes passieren wird,
wenn er in seinen Biologiekurs geht.“ Sie sah mich neugierig an, wunderte sich,
welche Veränderung in meinen Gedanken ihre Zukunftsvision sicherer gemacht
hatte.
Würde Neugierde ausreichen um Bella Swan am Leben zu erhalten?
Emmett hatte irgendwie recht – warum es nicht einfach hinter sich bringen,
so oder so? Ich würd der Versuchung gegenübertreten.
„Zum Unterricht, also,“ ordnete ich an und erhob mich von meinem Platz.
Ich wandte mich ab und verließ die Cafeteria ohne mich noch einmal
umzudrehen. Ich konnte Alices sorgen hören, Jaspers Tadel, Emmetts
Anerkennung und Rosalies Verärgerung.
Vor der Tür des Klassenraumes atmete ich ein letztes Mal tief ein und dann
hielt ich die Luft an, während ich den kleinen warmen Raum betrat.
Ich war nicht zu spät. Mr. Banner rüstete sich noch für den bevorstehenden
Unterricht. Das Mädchen saß an meinem – an unserem Tisch, den Kopf gesenkt
und starrte auf den Ordner den sie vollkritzelte. Ich begutachtete die Zeichnung
als ich näherkam, sogar interessiert an dieser trivialen Kreation ihres Geistes,
aber es war nichtssagend. Nur ein wiederholtes kritzeln von Kringel zu Kringel.
Vielleicht konzentrierte sie sich gar nicht auf das Muster, sondern dachte an
etwas anderes?
Ich zog meinen Stuhl unnötig grob zurück und ließ ihn über das Linoleum
kratzen; Menschen fühlten sich wohler wenn ein Geräusch das Erscheinen von
jemandem ankündigte.
Ich wusste, dass sie das Geräusch gehört hatte; sie sah nicht auf, aber ihre
Hand ließ einen Kringel in der Zeichnung aus und machte sie unsymmetrisch.
Warum sah sie nicht auf? Vielleicht hatte sie Angst. Ich musste
sichergehen, dass sie einen anderen Eindruck von mir hatte, wenn sie später
ging. Musste sie glauben machen, dass sie sich alles nur eingebildet hatte.
„Hallo,“ sagte ich mit der ruhigen Stimme die ich benutze, wenn ich wollte,
dass die Menschen sich in meiner Gegenwart wohlfühlten und formte ein
freundliches Lächeln mit meinen Lippen, das keinen meiner Zähne entblößte.
Sie sah auf, ihre großen brauen Augen erstarrten – fast perplex – und voller
stummer Fragen. Es war derselbe Ausdruck der meine Sicht die ganze letzte
Woche blockiert hatte.
Als ich in diese seltsam tiefen braunen Augen blickte, merkte ich dass sich
der Hass – der Hass von dem ich dachte, dass dieses Mädchen ihn verdiente nur
weil sie existierte – in Luft aufgelöst hatte. Jetzt bloß nicht atmen, nicht ihren Duft
schmecken, es war schwer vorstellbar, dass jemand so verletzliches Hass
verdiente.
Ihre Wangen wurden rot und sie sagte nichts.
Ich schaute ihr weiterhin in die Augen, konzentrierte mich nur auf die
fragenden Zweifel und versuchte die appetitliche Farbe ihrer Haut zu ignorieren.
Ich hatte genug Atem um noch eine Weile weiter zu sprechen ohne einatmen zu
müssen.
„Meine Name ist Edward Cullen,“ sagte ich obwohl ich wusste, dass sie das
wusste. Es war höflich so zu beginnen. „Ich bin letzte Woche nicht dazu
gekommen mich vorzustellen. Du must Bella Swan sein.“
Sie wirkte verwirrt – da war die kleine Falte zwischen ihren Augen wieder.
Sie brauchte eine halbe Sekunde länger als gewöhnlich um zu antworten.
„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte sie und ihre Stimme zitterte nur
ganz leicht.
Ich muss ihr wirklich Angst eingejagt haben. Ich fühlte mich schuldig; Sie
war so Schutzlos. Ich lachte freundlich – ein Geräusch von dem ich wusste, dass
es Menschen half sich behaglich zu fühlen. Wieder war ich vorsichtig mit meinen
Zähnen.
„Oh, ich würde sagen alle hier wissen wie du heißt.“ Sie muss doch
bemerkt haben, dass sie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit an diesem
monotonen Ort geworden war. „Die ganze Stadt hat auf deine Ankunft gewartet.“
Sie runzelte die Stirn, als ob ihr diese Information unangenehm war. Ich
vermutet, so schüchtern wie sie wohl war, musste Aufmerksamkeit etwas
Schlechtes für sie sein. Die meisten Menschen empfanden das Gegenteil. Obwohl
sie nicht aus der Herde austreten wollten, krochen sie gleichzeitig zum
Scheinwerferlicht um ihre individuelle Uniformität zu präsentieren.
„Nein,“ sagte sie. „Ich meine, warum hast du mich Bella genannt?“
„Ist dir Isabella lieber?“ fragte ich verwirrt aufgrund der Tatsache, dass ich
nicht sehen konnte wo die Frage hinführte. Ich verstand es nicht. Sie hatte ihre
Vorliebe am ersten Tag mehrmals klar gemacht. Waren alle Menschen so
unergründlich ohne den geistigen Zusammenhang als Hilfe?
„Nein, ich mag Bella,“ antwortete sie und legte ihren Kopf leicht zur Seite.
Ihr Gesichtsausdruck – wenn ich ihn richtig las – war hin und hergerissen
zwischen Scham und Irritation. „Aber ich glaube dass Charlie – ich meine mein
Dad –mich anscheinend hinter meinem Rücken Isabelle nennt. Jedenfalls scheint
mich hier jeder unter diesem Namen zu kennen.“ Ihr Gesicht wurde einen Rotton
dunkler.
„Oh,“ sagte ich lahm und drehte mich schnell weg.
Plötzlich hatte ich verstanden, worauf ihre Frage abzielte: Ich hatte einen
Ausrutscher gemacht – einen Fehler. Wenn ich die anderen Schüler am ersten
Tag nicht belauscht hätte, hätte ich sie automatisch mit ihrem vollen Namen
angesprochen, wie alle anderen auch. Ihr war der Unterschied aufgefallen.
Ich fühlte ein stechendes Unbehagen. Mein Ausrutscher war ihr sehr
schnell aufgefallen. Sehr scharfsinnig, besonders für jemanden, der in meiner
Nähe Angst verspüren sollte.
Aber ich hatte größere Probleme als die Frage was für Gedanken sie über
mich in ihrem Kopf verschloss.
Ich hatte keine Luft mehr. Wenn ich weiter mit ihr reden wollte, musste ich
einatmen.
Es würde schwer sein nicht zu reden. Unglücklicherweise, für sie, machte
der gemeinsame Tisch sie zu meinem Versuchspartner und wie würden heute
zusammen arbeiten müssen. Es würde seltsam aussehen – und unglaublich
unhöflich – wenn ich sie während des Versuchs ignorieren würde. Es würde sie
noch misstrauischer, noch ängstlicher machen…
Ich lehnte mich soweit von ihr weg wie es möglich war ohne meinen Stuhl
wegzuschieben und drehte meinen Kopf zum Gang. Ich stütze mich ab, spannte
meine Muskeln an und nahm einen schnellen Atemzug indem ich nur durch
meinen Mund atmete.
Ah!
Es war wirklich schmerzhaft. Selbst wenn ich sie nicht roch, konnte ich sie
auf meiner Zunge schmecken. Meine Kehle stand plötzlich wieder in Flammen,
das Verlangen war genauso stark wie letzte Woche in dem Moment als ich ihren
Duft das erste Mal aufgeschnappt hatte.
Ich presste die Zähne zusammen und versuchte mich zusammenzureißen.
„Die Zeit läuft,“ gab Mr. Banner den Startschuss.
Es fühlte sich an, als müsste ich jedes kleine bisschen Selbstkontrolle
aufbringen, dass ich mir in siebzig Jahren erarbeitet hatte um sie ansehen zu
können. Sie starrte vor sich auf den Tisch und lächelte.
„Ladies first?“ bot ich ihr an.
Sie sah auf und ihr Gesicht wurde ausdruckslos und ihre Augen weiteten
sich. Stimmte etwas nicht mit meinem Gesichtsausdruck? Hatte ich ihr wieder
Angst gemacht? Sie sagte nichts.
„Ich kann auch anfangen, wenn du willst,“ sagte ich leise.
„Nein,“ sagte sie und ihr Gesicht lief wieder rot an. „Ich mach schon.“
Ich starrte das Material auf dem Tisch an, das Mikroskop, die Schachtel mit
den Präparaten – besser als zuzusehen wie das Blut unter ihrer blassen Haus
zirkulierte. Ich nahm einen weiteren hastigen Atemzug durch meine Zähne und
zuckte zusammen unter den Schmerzen die ihr Geschmack in meiner Kehler
verursachte.
„Prophase,“ sagte sie nach einem kurzen Blick durch das Mikroskop. Sie
wollte das Präparat schon entfernen obwohl sie kaum darauf geschaut hatte.
„Lässt du mich auch einen Blick darauf werfen?“ Instinktiv – dämlich, als
wäre ich einer von ihnen – griff ich nach ihrer Hand um sie daran zu hindern, das
Präparat zu entfernen. Für eine Sekunde brannte ihre Haut auf meiner. Es war
wie ein elektrischer Impuls – heißer als 89,6 Grad. Die Hitze schoss durch meine
Hand meinen Arm hinauf. Hastig zog sie ihre Hand unter meiner zurück.
„Entschuldigung,“ murmelte ich durch meine zusammengebissenen
Zähne. Ich brauchte etwas wo ich hingucken konnte, also starrte ich kurz durch
das Okular des Mikroskops. Sie hatte recht.
„Prophase,“ stimmte ich ihr zu.
Ich war immer noch zu verstört um sie anzusehen. Ich ignorierte den
brennenden Durst als ich so leise wie möglich durch meine Zähne einatmete und
konzentrierte mich auf die Aufgabe während ich das Wort in der richtigen Stelle
des Arbeitsblattes eintrug und anschließend das Präparat austauschte.
Was dachte sie jetzt? Wie hat es sich für sie angefühlt als ich ihre Hand
berührte? Meine Haut muss eiskalt gewesen sein – abstoßend. Kein Wunder dass
sie so still war.
Ich streifte das Präparat mit einem Blick.
„Anaphase,“ sagte ich mehr zu mir selbst als ich es in der nächsten Zeile
eintrug.
„Darf ich?“ fragte sie.
Ich sah auf und war überrascht zu sehen, dass sie eine Hand
erwartungsvoll nach dem Mikroskop ausgestreckt hatte. Sie sah nicht verängstigt
aus. Dachte sie wirklich meine Antwort wäre falsch?
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich den Hoffnungsvollen
Blick sah mit dem sie das Mikroskop entgegennahm.
Sie schaute durch das Okular mit einem Eifer, der sich schnell wieder
auflöste. Ihre Mundwinkel senkten sich.
„Präparat Nr. drei?“ fragte sie ohne von dem Mikroskop aufzusehen und
hielt ihre Hand auf. Ich lies es in ihre Hand fallen, darauf bedacht sie nicht noch
einmal zu berühren. Neben ihr zu sitzen war wie neben einem Heizstrahler zu
sitzen. Ich konnte fühlen wie meine Temperatur leicht anstieg.
Sie sah sich das Präparat nicht sehr lange an. „Interphase,“ sagte sie lässig
– vielleicht versuchte sie etwas zu lässig zu klingen – und schob mir das
Mikroskop zu. Sie berührte das Arbeitsblatt nicht und wartet stattdessen darauf,
dass ich die Antwort eintrug. Ich überprüfte ihre Antwort kurz – sie hatte wieder
recht.
Wir beendeten die Übung auf diese Weise, sprachen nur das Nötigste und
sahen uns nicht an. Wir waren als erstes fertig – die anderen hatten mehr
Probleme mit dem Versuch. Mike Newton hatte Probleme sich zu konzentrieren –
er versuchte Bella und mich zu beobachten.
Ich wünschte er wäre da geblieben wo auch immer er gewesen ist, dachte
Mike und beobachtet mich wütend. Hmm, interessant. Ich wusste nicht, dass
dieser Junge irgendeine Abneigung gegen mich hegte. Das war eine ganz neue
Entwicklung, genau so neu wie die Ankunft des Mädchens. Aber was ich noch
interessanter fand – zu meiner Überraschung – diese Abneigung beruhte auf
Gegenseitigkeit.
Ich sah wieder zu dem Mädchen, verwirrt von der großen Spanne von
Chaos und Umbruch die sie trotz ihres gewöhnlichen unbedrohlichen Auftretens
in meinem Leben verursacht hatte.
Es war nicht so, dass ich nicht nachvollziehen konnte, was in Mike vorging.
Sie war ehrlichgesagt ziemlich hübsch… auf eine ungewöhnliche Art und Weise.
Ihr Gesicht war mehr interessant als schön. Nicht gerade symmetrisch – ihr
schmales Kinn passte nicht zu ihren breiten Wangenknochen; Extreme Farben –
der hell/dunkel Kontrast zwischen ihrer Haut und ihren Haaren; und dann waren
da noch die Augen die übersprudelten vor lauter stillen Geheimnissen…
Augen die sich plötzlich in mich bohrten.
Ich starrte zurück und versuchte wenigstens eins dieser Geheimnisse zu
ergründen.
„Hast du Kontaktlinsen bekommen?“ fragte sie auf einmal.
Was für eine seltsame Frage. „Nein.“ Ich musste fast lachen bei der
Vorstellung, ich müsste mein Sehstärke verbessern.
„Oh,“ nuschelte sie. „Ich hatte das Gefühl dass deine Augen irgendwie
anders sind.“
Ich fühlte mich plötzlich wieder kälter als ich verstand, dass ich
offensichtlich nicht der einzige war der heute Geheimnisse aufdeckte.
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich in die Richtung wo der
Lehrer seine Runden zog.
Natürlich sahen meine Augen anders aus seit sie sie das letzte Mal
gesehen hatte. Um mich auf die Tortur, auf das Verlangen heute vorzubereiten,
hatte ich das ganze Wochenende damit verbracht zu jagen, meinen Durst so gut
es ging zu stillen, zu übersättigen. Ich überfüllte mich mit dem Blut von Tieren,
nicht dass es viel geändert hatte wenn ich wieder dem Duft gegenüberstand, der
die Luft um sie herum füllte. Als ich sie das letzte Mal angesehen hatte, waren
meine Augen schwarz vor Durst. Jetzt wo mein Körper mit Blut gefüllt war, hatten
meine Augen einen warmen Goldton. Bernsteinfarben von meinem exzessiven
Versuch meinen Durst zu stillen.
Noch ein Ausrutscher. Wenn ich gesehen hätte, was sie mit ihrer Frage
meinte, hätte ich einfach ja gesagt.
Seit zwei Jahren saß ich nun zwischen den Menschen in dieser Schule, und
sie war die erste die mich intensiv genug beobachtet hatte um den Unterschied
meiner Augenfarbe zu bemerken. Die anderen schauten sofort weg, wenn wir die
Blicke erwiderten die sie uns zuwarfen weil sie Schönheit meiner Familie
bewunderten. Sie scheuen zurück, blockieren die Details unsere Erscheinung in
dem instinktiven Bestreben besser nicht zu verstehen. Ignoranz war der Segen
des menschlichen Geistes.
Warum musste es ausgerechnet dieses Mädchen sein, das zu viel sah?
Mr. Banner erreichte unseren Tisch. Dankbar inhalierte ich den frischen
Windzug den er mitbrachte und der noch nicht von ihrem Duft getränkt war.
„Edward,“ sagte er mit dem Blick auf unseren Antworten. „Meinst du nicht
Isabella hätte auch ein wenig am Mikroskop üben sollen?“
„Bella“ korrigierte ich reflexartig. „Um ehrlich zu sein, drei der fünf hat sie
identifiziert.“
Mr. Banners Gedanken waren skeptisch, als er sich dem Mädchen
zuwandte. „Hast du die Übung schon mal gemacht?“
Ich beobachtete sie, vertieft in ihr lächeln, dass ein wenig peinlich berührt
aussah.
„Nicht mit Zwiebelwurzeln.“
„Mit Fisch-Blastula?“ riet Mr. Banner.
„Ja.“
Das überraschte ihn. Die heutige Übung hatte er von einem
fortgeschritteneren Kurs übernommen. Er nickte dem Mädchen gedankenverloren
zu. „Warst du in Phoenix in einem College-Vorbereitungskurs?“
„Ja.“
Sie war also fortgeschritten, intelligent für einen Menschen. Das
überraschte mich nicht.
„Naja,“ sagte Mr. Banner und schürzte seine Lippen. „Vielleicht ist es ganz
gut, dass ihr zusammensitzt.“ Er drehte sich um und nuschelte „Dann bekommen
die anderen Kids die Chance selbst etwas zu lernen,“ vor sich hin. Ich
bezweifelte, dass das Mädchen das gehört hatte. Sie begann wieder Kringel auf
ihren Ordner zu malen.
Zwei Ausrutscher in einer halben Stunde. Eine ganz miserable Vorstellung
von meiner Seite. Obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte, was das Mädchen
von mir dachte – wie viel Angst hatte sie, wie viel ahnte sie? – wusste ich dass ich
mich noch mehr anstrengen musste um einen guten Eindruck bei ihr zu
hinterlassen. Irgendwie musste ich ihre Erinnerung an unsere letzte grausame
Begegnung ertränken.
„Schade um den Schnee, nicht war?“ wiederholte ich den Smalltalk, den
duzende von Schülern schon geführt hatten. Ein langweiliges Gesprächsthema.
Das Wetter – ein sicheres Thema.
Sie starrte mich zweifelnd an – eine unnormale Reaktion auf meine
normale Frage. „Nicht wirklich,“ sagte sie und überraschte mich schon wieder.
Ich versuchte die Unterhaltung wieder auf einen banalen Pfad zu lenken.
Sie kam aus einer warmen, helleren Gegend – ihre Haut strahlte das irgendwie
aus – die Kälte musste unangenehm sein für sie. Genau wie meine eisige
Berührung…
„Du magst die Kälte nicht,“ nahm ich an.
„Genau wie die Nässe,“ stimmte sie mir zu.
„Es muss schwer für dich sein, in Forks zu leben.“ Vielleicht hättest du
nicht herkommen sollen, wollte ich noch hinzufügen. Vielleicht solltest du dahin
zurückgehen wo du hingehörst.
Aber ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Ich würde mich
immer an den Duft ihres Blutes erinnern – gab es eine Garantie dafür, dass ich ihr
nicht folgen würde? Abgesehen davon, wenn sie wieder wegging würden ihre
Gedanken für immer ein Geheimnis bleiben. Ein quälendes ungelöstes Puzzel.
„Du hast ja keine Ahnung,“ sagte sie mit schwacher Stimme und blickte für
einen Moment gedankenverloren an mir vorbei.
Ihre Antworten waren nie das, was ich erwartet hatte. Sie veranlassten
mich dazu mehr Fragen zu stellen.
„Warum bist du dann hierher gekommen?“ hakte ich nach, und merkte
sofort, dass mein Tonfall anklagend klang, nicht lässig genug für diese
Unterhaltung. Die Frage klang unhöflich, neugierig.
„Es ist… kompliziert.“
Sie blinzelte kurz mit ihren großen Augen und beließ es dabei. Ich platzte
fast vor Neugierde – die Neugierde brannte genauso heiß wie der Durst in meiner
Kehle. Ehrlichgesagt, wurde es langsam einfacher zu atmen; die Qual wurde
erträglicher durch die Vertrautheit.
„Ich denke, ich werd's verstehen,“ beharrte ich. Vielleicht würde normale
Neugierde sie dazu bringen meine Fragen so lange zu beantworten, wie ich
unhöflich genug war, sie zu stellen.
Sie schwieg und starrte auf ihre Hände. Das machte mich ungeduldig; ich
wollte meine Hand unter ihr Kinn legen und ihren Kopf anheben, damit ich in
ihren Augen lesen konnte. Aber das wäre dumm von mir – gefährlich – ihre Haut
noch einmal zu berühren.
Plötzlich sah sie auf. Es war eine Erleichterung die Gefühle wieder in ihren
Augen sehen zu können. Sie sprach schnell, ratterte die Wörter herunter.
„Meine Mutter hat wieder geheiratet.“
Ah, das war sehr menschlich, leicht zu verstehen. Sie senkte betrübt ihre
klaren Augen und die kleine Falte erschien wieder zwischen ihnen.
„Das hört sich nicht so kompliziert an,“ sagte ich. Meine Stimme war
freundlich ohne dass ich groß etwas dazu beitragen musste. Ihre Betrübnis
machte mich seltsam hilflos und ich wünschte mir ich könnte irgendetwas für sie
tun. Ein merkwürdiger Impuls. „Wann war das?“
„Letzten September.“ Sie atmete tief aus – nicht wirklich ein Seufzen. Ich
hielt die Luft an, als ihr warmer Atem mein Gesicht berührte.
„Und du magst ihn nicht.“ Vermutete ich in der Hoffnung mehr
Informationen zu bekommen.
„Nein, Phil ist schon ok,“ sagte sie und korrigierte meine Annahme. Die
Andeutung eines Lächelns umspielte ihre vollen Lippen. „Ein bisschen zu jung
vielleicht, aber nett.“
Das passte nicht zu der Situation die ich mir ausgemalt hatte.
„Warum bist du nicht bei ihnen geblieben?“ fragte ich etwas zu neugierig.
Es klang naseweis. Was ich zugegebenermaßen ja auch war.
„Phil reist sehr viel. Er spielt Profi-Baseball.“ Das kleine Lächeln trat nun
deutlicher hervor; diese Berufswahl amüsierte sie.
Ich lächelte auch ohne dass ich es beabsichtigt hätte. Ich versuchte gar
nicht ihr ein behagliches Gefühl zu vermitteln. Ihr Lächeln bewirkte, dass ich
zurücklächeln wollte – um ehrlich zu sein.
„Kenne ich ihn?“ Ich arbeitete die Liste aller Profi Baseballer im Kopf ab
und fragte mich, welcher Phil ihrer war…
„Eher nicht. So gut spielt er nicht.“ Wieder ein Lächeln. „Zweite Liga. Er
wechselt ständig.“
Die Liste in meinem Kopf veränderte sich und ich tabellierte eine Liste
anderer Möglichkeiten in weniger als einer Sekunde. Zur selben Zeit, malte ich
mir die neue Situation aus.
„Und deine Mutter hat dich hierher geschickt, damit sie mit ihm reisen
kann,“ sagte ich. Spekulationen schienen mehr Informationen aus ihr
herauszubekommen als meine Fragen vorher. Es klappte wieder. Sie schob ihr
Kinn vor und ihr Gesichtsausdruck war plötzlich starsinnig.
„Nein, sie hat mich nicht geschickt,“ sagte sie und ihre Stimme klang hart.
Meine Annahme hatte sie aufgebracht, obwohl ich nicht verstand, warum. „Ich
hab mich selbst geschickt.“
Ich verstand die Bedeutung nicht und auch nicht den Grund für ihren Groll.
Ich war gänzlich verloren.
Also gab ich auf. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Mädchen. Sie
war nicht wie anderen Menschen. Vielleicht waren die Stille ihrer Gedanken und
ihr verlockender Duft nicht die einzigen Dinge die anders an ihr waren.
„Das verstehe ich nicht,“ gab ich zu und hasste es, das einzugestehen.
Sie seufzte und schaute mir in die Augen, länger als nahezu jeder normale
Mensch es geschafft hätte.
„Zuerst blieb sie bei mir aber sie hat ihn vermisst,“ erklärte sie langsam,
ihr Tonfall hörte sich mit jedem Wort einsamer an. „Es hat sie unglücklich
gemacht… also habe ich mich dazu entschlossen, etwas mehr Zeit mit Charlie zu
verbringen.“
Die kleine Falte zwischen ihren Augen wurde tiefer.
„Und jetzt bist du unglücklich,“ murmelte ich. Ich könnte nicht damit
aufhören meine Hypothesen laut auszusprechen in der Hoffnung aus ihren
Reaktion zu lernen. Diese, wie auch immer, schien nicht allzu weit von der
Wahrheit entfern zu sein.
„Und?“ sagte sie, als wäre das ein Aspekt der nicht berücksichtigt werden
müsse.
Ich starrte ihr weiter in die Augen und merkte dass ich nun endlich meinen
ersten echten kleinen Einblick in ihre Seele bekommen hatte. In diesem einen
Wort sah ich, welchen Platz sie sich auf ihrer Prioritätenskala einräumte. Anders
als bei anderen Menschen, standen ihre eigenen Bedürfnisse ganz weit unten auf
der Liste.
Sie war selbstlos.
Als mir das bewusst wurde begann sich das Geheimnis um diese Person
die sich hinter stummen Gedanken versteckte ein wenig zu lüften.
„Das klingt nicht gerade fair,“ sagte ich. Lässig zuckte ich mit den
Schultern um meine Neugierde zu verbergen.
Sie lachte, aber es klang nicht amüsiert. „Hat dir das noch keiner gesagt?
Das Leben ist nicht fair.“
Ich wollte über ihre Worte lachen, obwohl auch ich nicht amüsiert war. Ich
wusste ein kleines bisschen was über die Ungerechtigkeit im Leben. „Ich denke,
das habe ich schon mal irgendwo gehört.“
Sie starrte mich an und wirkte wieder verwirrt. Ihre Augen flackerten und
dann trafen sie meine wieder.
„Das ist alles,“ sagte sie mir.
Aber ich war noch nicht bereit, diese Unterhaltung zu beenden. Das kleine
V zwischen ihren Augen, ein Anzeichen von Sorge, störte mich. Ich wollte es mit
meinen Fingerspitzen glattstreichen. Aber selbstverständlich konnte ich sie nicht
berühren. Es war in so vielerlei Hinsicht nicht sicher.
„Du überspielst das ziemlich gut.“ Ich sprach langsam, erwog immer noch
die nächste Hypothese. „Aber ich wette du leidest mehr als du irgendjemandem
zeigst.“
Sie verzog das Gesicht, ihre Augen verengten sich, ihre Lippen formten
einen Schmollmund und sie wandte sich wieder nach vorn zum Lehrerpult. Sie
mochte es nicht, wenn ich richtig riet. Sie war kein typischer Märtyrer – sie wollte
kein Publikum für ihren Schmerz.
„Habe ich unrecht?“
Sie wich leicht zurück, aber tat so als hätte sie mich nicht gehört.
Ich musste lächeln. „Ich denke nicht.“
„Warum interessiert dich das überhaupt?“ verlangte sie zu wissen und
starrte mich wieder an.
„Das ist eine gute Frage.“ Gab ich zu, mehr zu mir selbst statt als Antwort.
Ihr Urteilsvermögen war besser als meins – sie sah den Kern der Dinge
während ich am Rand herum zappelte und blind die Anhaltspunkte durchsiebte.
Die Details ihres menschlichen Lebens sollten mich nicht interessieren. Es war
falsch von mir mich um ihre Gedanken zu sorgen. Abgesehen vom Schutz meiner
Familie waren menschliche Gedanken bedeutungslos.
Ich war es nicht gewohnt der weniger intuitiver Part einer Beziehung zu
sein. Ich verließ mich zu sehr auf mein besonderes Gehör – ich war nicht so
scharfsinnig wie ich immer dachte.
Das Mädchen seufzte und blickte wieder nach vorne. Irgendetwas an ihrem
frustrierten Gesichtsausdruck war belustigend. Die ganze Situation, die ganze
Unterhaltung war belustigend. Niemand befand sich jemals in größerer Gefahr
vor mir als diese kleine Mädchen – jeden Moment, abgelenkt von dieser
lächerlichen Konversation, konnte ich durch meine Nase einatmen, die
Beherrschung verlieren und sie anfallen – und sie war irritiert weil ich ihre Frage
nicht beantwortet hatte.
„Nerve ich dich?“ fragte ich und schmunzelte über die Lächerlichkeit des
ganzen.
Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu und dann schienen ihre Augen von
meinen gefangen.
„Nicht wirklich,“ erklärte sie mir. „Ich bin von mir selbst genervt. Mein
Gesicht ist so einfach zu lesen – meine Mutter nennt mich immer ihr offenes
Buch.“
Verärgert runzelte sie die Stirn.
Ich starrte sie erstaunt an. Sie war verärgert weil ich sie zu leicht
durchschaute. Wie bizarr. Es hat mich in meinem ganzen Leben noch nie so viel
Aufwand gekostet um jemanden zu verstehen – oder besser Existenz, Leben war
wohl kaum das richtige Wort. Ich hatte nicht wirklich ein Leben.
„Ganz im Gegenteil,“ wiedersprach ich und fühlte mich seltsam…
vorsichtig, als ob da irgendeine versteckte Gefahr wäre die ich nicht sehen
konnte. Plötzlich war ich auf der Hut, die Vorwarnung machte mich vorsichtig.
„Ich finde du bist sehr schwer zu lesen.“
„Dann musst du ein guter Leser sein,“ folgerte sie, und hatte mit ihrer
Vermutung wieder mitten ins Schwarze getroffen.
„Normalerweise,“ stimmte ich ihr zu.
Ich lächelte breit um meine leuchtenden, messerscharfen Zähne zu zeigen.
Es war dumm von mir das zu tun aber plötzlich wollte ich verzweifelt eine
Warnung an dieses Mädchen loswerden. Ihr Körper war näher als vorher, ihre
Haltung hatte sich unbewusst geändert während unserer Unterhaltung. All die
kleinen Zeichen und Hinweise die dazu dienten alles Menschliche ängstlich auf
Abstand zu halten, schienen bei ihr nicht zu wirken. Warum wich sie nicht zurück
vor Schreck? Sicher hatte sie genug von meiner dunklen Seite gesehen um die
Gefahr zu bemerken, aufmerksam wie sie war.
Ich kam nicht dazu zu sehen, ob meine Warnung den gewünschten Effekt
erzielt hatte. Mr. Banner bat um die Aufmerksamkeit der Klasse und sie wandte
sich von mir ab. Sie wirkte erleichtert über die Unterbrechung, also hatte sie es
vielleicht unterbewusst verstanden.
Ich hoffe, sie hatte.
Ich bemerkte die Faszination die in mir aufkeimte und versuchte sie zu
entwurzeln. Ich konnte es mir nicht leisten, Bella Swan interessant zu finden.
Oder besser, sie konnte es sich nicht leisten. Und trotzdem sehnte ich mich schon
nach einer weiteren Chance um mit ihr zu reden. Ich wollte mehr über ihre Mutter
wissen, ihr Leben bevor sie hierherkam, ihr Beziehung zu ihrem Vater. All die
unbedeutenden Details die ihren Charakter deutlicher hervorbringen würden.
Aber jede Sekunde, die ich mit ihr verbrachte, war ein Fehler, ein Risiko dass sie
nicht eingehen sollte.
Gedankenverloren warf sie ihre Haare herum genau in dem Moment als ich
mir erlaubte zu atmen. Eine konzentrierte Welle ihres Duftes traf mich tief im
Rachen.
Es war wie am ersten Tag – wie die Abrissbirne. Der Schmerz der
brennenden Trockenheit ließ mich schwindeln. Ich musste wieder den Tisch
umklammern um mich auf meinem Stuhl zu halten. Dieses Mal hatte ich etwas
mehr Kontrolle. Wenigstens machte ich nichts kaputt. Das Monster knurrte in mir,
genoss aber nicht den Schmerz. Er war zu fest angebunden. Für den Moment.
Ich stellte das Atmen vollständig ein und lehnte mich so weit von dem
Mädchen weg, wie ich konnte.
Nein, ich konnte es mir nicht leisten, sie faszinierend zu finden. Je
interessanter ich sie fand umso größer war die Chance, dass ich sie töten würde.
Ich hatte heute schon zwei kleine Ausrutscher gehabt. Würde ich einen dritten
machen, der nicht klein war?
Sobald die Glocke klingelte, floh ich aus dem Klassenraum – vermutlich
zerstörte ich dadurch den kleinsten Eindruck von Höflichkeit den ich fast
aufgebaut hatte während dieser Stunde. Wieder keuchte ich an der frischen Luft
als wäre sie eine heilende Essenz. Ich beeilte mich, so viel Abstand wie möglich
zwischen mich und das Mädchen zu bringen.
Emmett wartete vor unserem Spanischkurs auf mich. Er las meinen wirren
Gesichtsausdruck für einen Moment.
Wie lief es? Wunderte er sich wachsam.
„Niemand ist gestorben,“ murmelte ich.
Na das ist doch was. Als ich sah wie Alice das Ende der letzten Stunde
geschwänzt hat, dachte ich schon…
Als wir den Klassenraum betraten sah ich seine Erinnerung an kurze Zeit
vorher, die er durch die offene Tür seiner letzten Unterrichtsstunde gesehen
hatte: Alice lief eilig und ausdruckslos über den Platz in Richtung
Wissenschaftsgebäude. Ich fühlte die Erinnerung an sein verlangen aufzustehen
und zu ihr zu gehen und dann seine Entscheidung zu bleiben. Wenn Alice seine
Hilfe brauchte, würde sie fragen…
Ich schloss meine Augen vor Ekel und Abscheu während ich mich auf
meine Stuhl fallen lies. „Ich hatte nicht bemerkt, dass es so knapp war. Ich hätte
nicht gedacht, ich würde… ich sah nicht, dass es so schlimm war,“ flüsterte ich.
War es auch nicht, beruhigte er mich. Niemand ist gestorben, richtig?
„Richtig,“ quetsche ich durch meine Zähne. „Diesmal nicht.“
Vielleicht wird es leichter.
„Klar.“
Oder, vielleicht tötest du sie auch. Er zuckte mit den Schultern. Du wärst
nicht der erste, der es vermasselt. Niemand würde dich zu hart verurteilen.
Manchmal riecht ein Mensch einfach zu gut. Ich bin beeindruckt, dass du so lange
durchhältst.
„Das ist nicht gerade hilfreich, Emmett!“
Ich war empört darüber, dass er einfach so akzeptierte, dass ich das
Mädchen töten würde, dass das irgendwie unumgänglich war. War es etwa ihre
Schuld, dass sie so gut roch?
Ich weiß noch, als es mir passierte…, er erinnerte sich und nahm mich mit
sich ein halbes Jahrhundert zurück, auf eine Landstraße in der Dämmerung, wo
eine Frau mittleren Alters ihre trockene Wäsche abnahm, die zwischen zwei
Apfelbäumen an einer Leine hing. Der Duft von Äpfeln hing schwer in der Luft –
die Ernte war vorüber und die überreifen Früchte lagen auf dem Boden verteilt,
die Druckstellen ließen ihren Duft in dicken Wolken auslaufen. Ein frisch
gemähtes Feld bildete den Hintergrund zu diesem Duft, harmonisch. Er ging die
Landstraße entlang, nahm die Frau überhaupt nicht war auf seinem Botengang
für Rosalie. Der Himmel über ihm war lila, im Westen orange. Er wäre den
verschlängelten Weg weitergegangen und es hätte keinen Grund gegeben, sich
an diesen Nachmittag zu erinnern, abgesehen von der leichten Briese, die die
weißen Laken aufblähte wie Segel im Wind und die den Duft der Frau über
Emmetts Gesicht fächerte.
„Ah,“ grummelte ich leise. Als ob die Erinnerung an meinen eigenen Durst
nicht schon genug wäre.
Ich weiß. Ich hab's nicht mal eine Sekunde ausgehalten. Ich hab nicht mal
darüber nachgedacht zu wiederstehen.
Seine Erinnerungen wurden zu detailiert für mich um sie noch länger zu
ertragen.
Ich sprang auf meine Füße, meine Zähne so hart aufeinander gepresst,
dass sie durch Stahl hätten schneiden können.
„Esta bien, Edward?“ fragte Senora Goff, erschrocken von meiner
plötzlichen Bewegung. Ich konnte mein Gesicht in ihren Gedanken sehen und
wusste, dass ich alles andere als gesund aussah.
„Me perdona,“ murmelte ich, als ich zur Tür stürmte.
„Emmett – por favor, puedas tu ayuda a tu hermano?“ fragte sie und
gestikulierte hilflos in meine Richtung, als ich aus dem Raum hastete.
„Klar,“ hörte ich ihn sagen. Und dann war er direkt hinter mir.
Er folgte mir zur anderen Seite des Gebäudes, wo er mich einholte und mir
seine Hand auf die Schulter legte.
Ich schüttelte seine Hand mit unnötiger Gewalt ab. Es hätte sämtliche
Knochen in einer menschlichen Hand gebrochen und sogar noch die Knochen des
Arms der daran hing.
„Tut mir leid, Edward.“
„Ich weiß.“ Ich atmete ein paarmal tief ein und aus um einen klaren Kopf
zu bekommen und meine Lungen zu reinigen.
„Ist es genauso schlimm?“ fragte er und versuchte nicht an den Duft und
den Geschmack aus seinen Erinnerungen zu denken, nicht gerade erfolgreich.
„Schlimmer, Emmett, schlimmer.“
Für einen Moment war er ganz still.
Vielleicht…
„Nein, es wäre nicht besser, wenn ich es einfach hinter mich bringe. Geh
zurück in die Klasse, Emmett. Ich möchte allein sein.“
Er drehte sich ohne ein weiteres Wort und ohne einen Gedanken um und
ging zurück. Er würde der Spanischlehrerin sagen, dass ich krank war, oder dass
ich schwänzte, oder dass ich ein gefährlicher, unkontrollierbarer Vampir war. War
seine Entschuldigung wirklich von Bedeutung? Vielleicht kam ich nicht mehr
zurück. Vielleicht musste ich gehen.
Ich ging zurück zu meinem Auto um auf Schulschluss zu warten. Um mich
zu verstecken. Schon wieder.
Ich hätte die Zeit nutzen sollen um einen Entscheidung zu treffen, oder um
meine Entschlossenheit zu verstärken, stattdessen, wie ein Süchtiger, erwischte
ich mich dabei wie ich die Gedanken, die vom Schulgebäude wiederhallten
durchsuchte. Die bekannten Stimmen traten deutlich hervor, aber ich war im
Moment nicht interessiert an Alices Visionen oder Rosalies Beschwerden. Ich fand
Jessica, aber das Mädchen war nicht bei ihr, also suchte ich weiter. Mike Newtons
Gedanken erregten meine Aufmerksamkeit und ich fand sie letztendlich im
Sportunterricht. Er war unglücklich weil ich heut in Biologie mit ihr gesprochen
hatte. Er grübelte über ihre Reaktion als er das Thema angesprochen hatte…
Ich hab ihn ehrlichgesagt noch nie mit jemandem mehr als nur ein paar
Wörter wechseln sehen. Natürlich entschloss er sich Bella interessant zu finden.
Ich mag nicht, wie er sie ansieht. Aber sie scheint nicht besonders angeregt zu
sein von ihm. Was hat sie noch gleich gesagt? `Ich frag mich, was er letzten
Montag hatte.` Irgendwas in der Art. Hörte sich nicht so an, als würde es sie
interessieren. Es kann keine besondere Unterhaltung gewesen sein…
Auf diese Art redete er sich weiter Mut zu, überzeugt davon, dass Bella
kein Interesse an dem Austausch mit mir gehabt hat. Das ärgerte mich ein
bisschen zu sehr für meinen Geschmack, also hörte ich auf ihn zu belauschen.
Ich legte eine CD mit brutaler Musik ein und drehte die Anlage so weit auf,
bis sie alle anderen Stimmen übertönte. Ich musste mich sehr stark auf die Musik
konzentrieren um nicht wieder zu Mike Newtons Gedanken zu driften, um das
ahnungslöse Mädchen auszuspionieren…
Ich schummelte ein paar Mal als die Schulstunde sich dem Ende näherte.
Nicht um zu spionieren, redete ich mir ein. Ich wollte mich bloß vorbereiten. Ich
wollte genau wissen, wann sie die Sporthalle verließ, wann sie auf dem Parkplatz
sein würde. Ich wollte nicht, dass sie mich überraschte.
Als die Schüler aus der Sporthalle strömten stieg ich aus meinem Auto aus,
unsicher, warum ich das tat. Es regnete leicht – ich ignorierte, dass er langsam
meine Haare tränkte.
Wollte ich, dass sie mich hier sah? Hoffte ich, dass sie mich ansprechen
würde? Was tat ich hier?
Obwohl ich versuchte, mich davon zu überzeugen wieder ins Auto zu
steigen, bewegte ich mich nicht, wohlwissen dass mein Verhalten erbärmlich war.
Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und atmete sehr flach, als ich sah
wie sie in meine Richtung lief, ihre Mundwinkel nach unten verzogen. Sie sah
mich nicht an. Sie blickte ein paarmal wütend zum Himmel, als ob er sie ärgern
wollte.
Ich war enttäuscht, als sie ihren Wagen erreichte bevor sie an mir vorbei
musste. Hätte sie mich angesprochen? Hätte ich sie angesprochen?
Sie stieg in einen ausgeblichenen roten Chevy Truck, ein rostiger Gigant,
der älter als ihr Vater war. Ich beobachtete wie sie den Truck startete – der alte
Motor röhrte lauter als irgendein anderes Gefährt auf dem Parkplatz – um dann
die Hände vor den Heizlüfter zu halten. Die Kälte war ihr unangenehm – sie
mochte sie nicht. Sie kämmte mit ihren Fingern durch ihre dichten Haare, hielt
die Locken in die warme Luft als ob sie versuchte sie zu föhnen. Ich stellte mir
vor, wie das Führerhaus des Trucks roch und verwarf den Gedanken schnell
wieder.
Sie sah sich kurz um, bevor sie ausparkte und blickte endlich in meine
Richtung. Sie starrte mich für weniger als eine halbe Sekunde an und alles was
ich in ihren Augen lesen konnte war Überraschung, bevor sie wieder wegsah und
ihren Truck zurücksetzte. Nur um sofort wieder mit quietschenden Reifen zum
Stehen zu kommen. Die Rückseite ihres Trucks wäre um ein Haar mit Erin
Teagues Kleinwagen zusammengestoßen.
Sie starrte in ihren Rückspiegel und verzog ärgerlich den Mund. Als der
Wagen an ihr vorbeigefahren war, überprüfte sie alle toten Winkel zweimal und
fuhr dann so langsam und vorsichtig aus ihrer Parklücke, dass ich grinsen
musste. Es war als würde sie denken sie sei gefährlich in ihrem baufälligen Truck.
Der Gedanke dass Bella Swan irgendwem gefährlich werden konnte, egal
was für ein Auto sie fuhr, brachte mich zum Lachen während sie an mir
vorbeifuhr und stur geradeaus schaute.
3. Erscheinung

Ehrlichgesagt, war ich gar nicht durstig und doch entschied ich mich, diese Nacht
jagen zu gehen. Ein kleiner Versuch der Vorbeugung, obwohl ich wusste, dass es
ungenügend sein würde.
Carlisle begleitete mich; seit ich aus Denali zurückgekehrt war, waren wir
nicht mehr allein miteinander gewesen. Während wir durch den dunklen Wald
rannten, hörte ich, wie er über meinen abrupten Aufbruch letzte Woche
nachdachte.
In seinen Gedanken sah ich wie meine Gesichtszüge in grimmiger
Verzweiflung verzogen waren. Ich fühlte seine Überraschung und seine
aufkeimende Sorgen.
„Edward?“
„Ich muss weg Carlisle. Ich muss sofort gehen.“
„Was ist passiert?“
„Nichts. Noch nicht. Aber es wird etwas passieren, wenn ich bleibe.“
Er streckte sich nach meinem Arm aus. Ich fühlte wie es ihn verletzt hatte,
als ich ihm meinem Arm entzog.
„Das verstehe ich nicht.“
„Hast du jemals… gab es mal eine Zeit in der…“
Ich sah, wie ich tief durchatmete, sah das wilde Flackern in meinen Augen
durch den Filter seiner tiefen Besorgnis.
„Hat irgendein Mensch jemals besser für dich gerochen als die anderen?
Viel besser?“
„Oh.“
Als ich merkte, dass er verstanden hatte, zeichnete sich Scham in meinem
Gesicht ab. Er streckte wieder seinen Arm nach mir aus, diesmal ignorierte er,
dass ich zurückzuckte und ließ seine Hand auf meiner Schulter liegen.
„Tu was immer du für nötig halst um zu wiederstehen mein Sohn. Ich
werde dich vermissen. Hier, nimm meinen Wagen. Er ist schneller.“
Jetzt fragte er sich, ob es richtig gewesen war, mich wegzuschicken. Fragte
sich, ob er mich verletzt hatte durch sein geringes Vertrauen.
„Nein,“ flüsterte ich beim Rennen. „Das war es, was ich brauchte. Ich hätte
dein Vertrauen zu leicht missbrauchen können, wenn du mir gesagt hättest, dass
ich bleiben soll.“
„Es tut mir leid, dass du leidest, Edward. Aber du solltest alles in deiner
Macht stehende tun um das Swan-Kind am Leben zu lassen. Auch wenn das
bedeutet, dass du uns wieder verlassen musst.“
„Ich weiß, ich weiß.“
„Warum bist du zurückgekommen? Du weißt, wie glücklich es mich macht,
dich hier zu haben, aber wenn es so schwer für dich ist…“
„Ich wollte kein Feigling sein,“ gab ich zu.
Wir wurden langsamer – wir joggten mehr durch die Dunkelheit.
„Besser das, als sie der Gefahr auszusetzen. In ein oder zwei Jahren wird
sie hier verschwinden.“
„Du hast recht, das weiß ich.“ Entgegen aller Vernunft, bewirkten seine
Worte eher, dass ich bestrebter war zu bleiben. In ein oder zwei Jahren würde das
Mädchen verschwinden…
Carlisle blieb stehen und ich auch; er wandte sich mir zu um meinen
Gesichtsausdruck zu untersuchen.
Aber du wirst nicht wegrennen, oder?
Ich senkte meinen Kopf.
Bist du zu stolz, Edward? Es ist keine Schande, wenn –
„Nein, es ist nicht mein Stolz, der mich hier hält. Nicht jetzt.“
Weißt du nicht, wo du hinsollst?
Ich lachte kurz auf. „Nein, das würde mich nicht aufhalten, wenn ich mich
dazu bewegen könnte, zu gehen.“
„Wir kommen selbstverständlich mit dir, wenn es das ist, was du brauchst.
Du musst es nur sagen. Ihr seid immer mit uns gezogen ohne euch zu
beschweren. Sie werden dir das nicht nachtragen.“
Ich hob eine Augenbraue.
Er lachte. „Ja, Rosalie vielleicht, aber sie schuldet dir was. Abgesehen
davon, es ist besser für uns, jetzt so gehen, wo noch nichts passiert ist, als zu
warten bis ein Leben beendet wurde.“ Am Ende des Satzes war sein Humor
verflogen.
Ich runzelte die Stirn bei seinen Worten.
„Ja,“ stimmte ich ihm mit rauer Stimme zu.
Aber du wirst nicht gehen?
Ich seufzte. „Ich sollte.“
„Was hält dich hier, Edward? Ich kann es nicht sehen…“
„Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann.“ Selbst für mich machte es keinen
Sinn.
Er studierte sehr lange meinen Gesichtsausdruck.
Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich respektiere deine Privatsphäre, wenn
es dir lieber ist.
„Danke. Das ist großzügig von dir, wenn man bedenkt, dass ich
niemandem Privatsphäre gebe.“ Mit einer Ausnahme. Ich gab mein bestes um
das zu ändern, oder nicht?
Wir haben alle unsere Macken. Er lachte wieder. Sollen wir?
Er hatte gerade den Duft einer kleinen Rehherde aufgeschnappt. Es war
schwer genug Begeisterung aufzubringen, wenn man bedenkt, dass das Aroma
einem nicht gerade das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und jetzt, wo ich
die Erinnerung an den Duft des Mädchens noch frisch im Kopf hatte, drehte sich
mir sogar fast der Magen um bei dem Geruch.
Ich seufzte. „Na los,“ stimmte ich zu, obwohl ich wusste, dass es kaum
helfen würde, wenn ich noch mehr Blut meine Kehle hinunter zwang.
Wir nahmen beide unsere Jagdhaltung an und ließen uns von dem
unappetitlichen Duft vorwärts leiten.

Als wir wieder nach Hause kamen, war es kälter geworden. Der geschmolzene
Schnee war gefroren; es war als wäre alles mit einer dünnen Glasschicht
überzogen – jede Tannennadel, jeder Farnwedel, jeder Grashalm war mit Eis
überzogen.
Während Carlisle sich fertig machte für seine Frühschickt im Krankenhaus,
blieb ich am Fluss stehen und wartete auf den Sonnenaufgang. Ich fühlte mich
aufgebläht von dem vielen Blut, dass ich getrunken hatte, aber ich wusste, dass
ich keinen Durst verspürte würde wenig helfen, wenn ich wieder neben dem
Mädchen saß.
Kalt und regungslos wie der Stein auf dem ich saß, starrte ich auf das
dunkle Wasser wie es zwischen dem Eis hindurchfloss, starrte direkt hindurch.
Carlisle hatte recht. Ich sollte Forks verlassen. Sie konnten irgendeine
Geschichte verbreiten, die meine Abwesenheit erklären würde. Ein Internat in
Europa. Besuch bei entfernten Verwandten. Ein jugendlicher Ausbruch von zu
Hause. Die Geschichte war egal. Niemand würde nachfragen.
Es waren nur ein oder zwei Jahre, und dann würde das Mädchen
verschwinden. Sie würde ihr Leben weiterleben – sie würde ein Leben haben,
dass sie weiterleben konnte. Sie würde irgendwo aufs College gehen, älter
werden, eine Karriere beginnen, vielleicht jemanden heiraten. Das konnte ich mir
vorstellen – ich konnte das Mädchen ganz in weiß vor mir sehen, wie sie den
Gang entlang schritt, den Arm unter dem ihres Vaters.
Es war seltsam, dass diese Bild schmerzen in mir auslöste. Ich verstand es
nicht. War ich eifersüchtig, weil sie eine Zukunft hatte die ich nie haben konnte?
Das ergab keinen Sinn. Jeder Mensch um mich herum hatte diese Möglichkeiten –
ein Leben – und ich beneidete sie nicht.
Ich sollte sie ihrer Zukunft überlassen. Sollte aufhören ihr Leben zu
riskieren. Das war das einzig richtige. Carlisle fand immer den richtigen Weg. Ich
sollte auch jetzt auf ihn hören.
Die Sonne erhob sich hinter den Wolken und das seichte Licht glänzte auf
dem gefrorenen Glas.
Nur noch ein Tag, entschied ich. Ich würde sie nur noch einmal sehen. Ich
schaffte das. Vielleicht würde ich erwähnen, dass ich wegging, um die Geschichte
einzuleiten.
Das würde schwieriger werden als ich gedacht hatte; weil mir die
Vorstellung zu gehen wiederstrebte, fing ich jetzt schon an Entschuldigungen zu
suchen um zu bleiben – um die Frist noch zwei Tage zu verlängern, drei, vier…
Aber ich würde das richtige tun. Ich wusste, ich konnte Carlisles Rat vertrauen.
Und ich wusste auch, dass ich zu durcheinander war um die richtige
Entscheidung allein zu treffen.
Viel zu durcheinander. Wie viel von diesem Widerwillen kam von meiner
zwanghaften Neugierde und wie viel von meinem ungesättigten Appetit?
Ich ging hinein um mir etwas Frisches für die Schule anzuziehen.
Alice wartete auf mich, sie saß auf der obersten Treppenstufe zur zweiten
Etage.
Du gehst schon wieder weg, klagte sie.
Ich seufzte und nickte.
Ich kann nicht sehen wo du diesmal hingehst.
„Ich weiß noch nicht wo ich hingehen werde,“ flüsterte ich.
Ich möchte, dass du bleibst.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Vielleicht können Jazz und ich mit dir kommen?
„Sie brauchen euch alle noch mehr, wenn ich nicht mehr da bin um mich
für sie umzuhören. Und denk an Esme. Würdest du ihr ihre halbe Familie mit
einem Schlag entreißen wollen?“
Du wirst sie so unglücklich machen.
„Ich weiß. Und deshalb musst du bleiben.“
Es ist nicht dasselbe, als wenn du hier wärst und das weißt du.
„Ja. Aber ich muss das richtige tun.“
Es gibt viele richtige Wege, und viele falsche Wege, nicht war?
Für einen kurzen Moment verschwamm sie in eine ihrer seltsamen
Visionen; ich beobachtet gemeinsam mit ihr wie die unbeständigen Bilder
flackerten. Ich sah mich selbst zwischen seltsamen Schatten, die ich nicht
zuordnen konnte – verschleierte ungenaue Formen. Und dann, plötzlich, meine
Haut wie sie in der Sonne glitzerte auf einer kleinen Lichtung. Diesen Ort kannte
ich. Da war eine Person mit mir auf der Lichtung, aber wieder war es ungenau,
nicht wirklich da um sie besser zu erkennen. Das Bild wackelte und verschwand
als sich millionen kleiner Stückte zu einer anderen Zukunft zusammensetzten.
„Ich hab nicht viel davon verstanden,“ sagte ich ihr, als die Vision schwarz
wurde.
Ich auch nicht. Deine Zukunft verändert sich sehr stark so dass ich nicht
viel davon greifen kann. Aber ich denke…
Sie hielt inne und überflog ein paar andere Visionen für mich. Sie waren
alle gleich – verschwommen und vage.
„Ich glaube, irgendetwas wird sich ändern,“ sagte sie laut. „Dein Leben
scheint sich an einer Kreuzung zu befinden.“
Ich lachte grimmig. „Dir ist schon klar, dass du dich anhörst wie eine
Wahrsagerin vom Jahrmarkt?“
Sie streckte mir ihre kleine Zunge raus.
„Heute ist alles in Ordnung, oder?“ fragte ich sie und meine Stimme klang
plötzlich besorgt.
„Ich sehe nicht, dass du heute irgendjemanden töten wirst,“ versicherte sie
mir.
„Danke, Alice.“
„Geh dich umziehen. Ich werde den anderen nichts sagen – du kannst
ihnen selber Bescheid geben, wenn du fertig bist.“
Sie stand auf und schoss mit hängenden Schultern die Treppe hinunter.
Vermiss dich wirklich.
Ja, ich würde sie auch sehr vermissen.
Es war eine ruhige Fahrt bis zur Schule. Jasper merkte, dass Alice wegen
irgendetwas unglücklich war, aber er wusste, wenn sie darüber hätte sprechen
wollen, dann hätte sie das bereits getan. Emmett und Rosalie hatten einen ihrer
Momente, in denen sie nichts um sich herum wahrnahmen und sich nur verliebt
in die Augen blickten – es war ekelhaft ihnen dabei zuzusehen. Wir waren uns alle
vollkommen im Klaren darüber wie überglücklich verliebt die beiden waren.
Vielleicht war ich aber auch nur verbittert, weil ich der einzige war, der alleine
war. An manchen Tagen war es schwerer als an anderen mit drei perfekt
zusammenpassenden Pärchen zusammenzuleben. Heute war einer dieser Tage.
Vielleicht wären sie alle glücklicher, wenn ich nicht mehr da wäre, grimmig
und verbittert wie der alte Mann, der ich eigentlich mittlerweile sein sollte.
Natürlich war das erste was ich tat, als wir die Schule erreichten, nach dem
Mädchen Ausschau zu halten. Nur um mich wieder vorzubereiten.
Richtig.
Es war peinlich zu sehen, dass die Welt um mich herum vollkommen leer
schien und sich alles nur noch um sie drehte – meine ganze Existenz kreiste nur
noch um sie, statt um mich selbst.
Dennoch war es auch irgendwie leicht zu verstehen; nach achtzig Jahren,
jeden Tag und jede Nacht dasselbe wurde jede Veränderung zu etwas ganz
besonderem.
Sie war noch nicht da, aber ich konnte den dröhnenden Motor ihres Trucks
in der Ferne hören. Ich lehnte mich an meinen Wagen um zu warten. Alice blieb
bei mir, während die anderen direkt zum Unterricht gingen. Sie waren
gelangweilt von meiner Fixierung – es war unverständlich für sie wie ein Mensch
mein Interesse so lange aufrecht erhalten konnte, egal wie köstlich sie roch.
Langsam fuhr das Mädchen in Sichtweite, ihre Augen auf die Straße
geheftet und mit den Händen das Lenkrad umklammert. Sie schien wegen
irgendetwas verängstigt zu sein. Ich brauchte eine Sekunde um zu begreifen was
dieses Etwas war, zu bemerkten, dass jeder Mensch heute mit diesem
Gesichtsausdruck fuhr. Die Straße war vereist und alle fuhren noch vorsichtiger
als sonst. Ich konnte sehen, dass sie das erhöhte Risiko sehr ernst nahm.
Das schien zu dem bisschen zu passen, was ich bisher über ihren
Charakter herausgefunden hatte. Ich fügte es meiner kleinen Liste hinzu: Sie war
eine ernsthafte Person, eine verantwortungsvolle Person.
Sie parkte nicht allzu weit von mir entfernt, aber sie hatte noch nicht
bemerkt, dass ich hier stand und sie beobachtete. Ich fragte mich wie sie
reagieren würde, wenn sie mich bemerkte? Erröten und weitergehen? Das war
meine erste Überlegung. Aber vielleicht würde sie meinen Blick erwidern.
Vielleicht würde sie herkommen und mit mir reden.
Ich atmete tief eine, hoffnungsvoll, nur für den Fall.
Sie stieg vorsichtig aus dem Truck aus und prüfte die Standfestigkeit ihrer
Füße bevor sie ihr Gewicht darauf abstützte. Sie schaute nicht auf, was mich
frustrierte. Vielleicht würde ich rübergehen und mit ihr reden…
Nein, das wäre ein Fehler.
Anstatt in Richtung Schule zu gehen, lief sie um ihren Truck herum,
hangelte sich vorsichtig an ihm entlang als würde sie ihren Füßen nicht trauen.
Es brachte mich zum lächeln, und ich spürte Alices Augen auf meinem Gesicht
ruhen. Ich hörte nicht was auch immer sie sich dabei dachte – es amüsierte mich
zu sehr, zu beobachten wie das Mädchen ihre Schneeketten überprüfte. So wie
ihre Füße herum schlingerten schien sie ernsthaft in Gefahr zu sein hinzufallen.
Niemand sonst hatte so viele Probleme – hatte sie an einer besonders eisigen
Stelle geparkt?
Sie hielt für einen kurzen Moment inne und ihr Gesicht bekam einen
seltsamen Ausdruck. Es war… weich? Als ob irgendetwas an den Ketten sie…
rührte?
Und wieder schmerzte die Neugierde in mir wie der Durst. Es war als
müsste ich wissen was sie denkt – als ob alles andere unwichtig wäre.
Ich würde zu ihr gehen und mit ihr reden. Sie sah sowieso danach aus, als
könnte sie eine helfende Hand gebrauchen, zumindest bis sie von dem glatten
Parkplatz runter war. Das konnte ich ihr selbstverständlich anbieten, oder nicht?
Ich zögerte hin und hergerissen. Bei der Abneigung die sie gegen Schnee hegte,
würde sie die Berührung meiner kalten Hand sicher nicht willkommen heißen. Ich
hätte Handschuhe anziehen sollen –
„NEIN!“ schrie Alice laut auf.
Instinktiv durchforstete ich ihre Gedanken in dem Glauben ich hätte eine
schlechte Entscheidung getroffen und sie sähe wie ich etwas Unverzeihliches tat.
Aber es hatte nichts mit mir zu tun.
Tyler Crowley hatte sich entschieden, die Kurve auf den Parkplatz etwas zu
schnell zu nehmen. Diese Entscheidung brachte ihn auf dem rutschigen Eis zum
schliddern…
Die Vision kam nur eine halbe Sekunde bevor sie eintrat. Tylers Van schoss
um die Ecke während ich immer noch das Ende der Vision beobachtet, das Alice
zu diesem ängstlichen Aufschrei bewogen hatte.
Nein, diese Vision hatte nichts mit mir zu tun, und doch hatte es alles mit
mir zu tun, denn Tylers van – die Reifen trafen nun in dem schlechtmöglichsten
Winkel auf das Eis – würde über den Parkplatz rutschen und das Mädchen
zerquetschen, das ungewollt zum Mittelpunkt meiner Welt geworden war.
Auch ohne Alices Vorhersage war es leicht zu erkennen, welchen Bahn der
Wagen, über den Tyler gerade die Kontrolle verlor einschlagen würde.
Das Mädchen, das genau am falschen Platz neben ihrem Truck stand, sah
auf, irritiert von dem Geräusch der quietschenden Reifen. Sie sah direkt in meine
geschockten Augen um dann direkt in ihren nahenden Tod zu blicken.
Nicht sie! Die Worte schrien in meinem Kopf als ob sie zu jemand anderem
gehörten.
Immer noch gefangen in Alices Gedanken, sah ich wie die Vision sich
veränderte, aber ich hatte keine Zeit mir den Ausgang anzusehen.
Ich schoss über den Platz und warf mich zwischen den heran rutschenden
Van und das vor Schock gefrorene Mädchen. Ich bewegte mich so schnell, dass
alles um mich herum verschwamm außer dem Objekt in meinem Blickfeld. Sie
sah mich nicht – kein menschliches Auge hätte meinem Flug folgen können – und
starrte immer noch auf das massige Gefährt dass ihren Körper gleich in den
Metall Rahmen ihres Trucks quetschen würde.
Ich packte sie um die Taille und warf sie mit einer solchen Eile um, dass ich
nicht mal annähernd so behutsam mit ihr umging, wie ich es hätte tun müssen. In
der hundertstel Sekunde nachdem ich sie aus der Schusslinie warf und bevor ich
mit ihr in meinen Armen auf den Boden aufschlug, wurde mir bewusst, wie
schwach und zerbrechlich ihr Körper war.
Als ich ihren Kopf auf das Eis aufschlagen hörte, erstarrte ich selbst auch
zu Eis.
Aber ich hatte nicht mal eine Sekunde zeit um ihren Zustand zu
überprüfen. Ich hörte wie der Van hinter uns sich quietschend um den eisernen
Körper des Trucks wickelte. Er änderte funkensprühend seine Richtung und
schlidderte erneut auf sie zu – als wäre sie ein Magnet der den Van anzog.
Ein Wort, das ich niemals in der Gegenwart einer Lady benutzt hätte,
entwich mir durch meine zusammengebissenen Zähne.
Ich hatte schon zu viel getan. Als ich fast durch die Luft geflogen bin um
sie aus dem Weg zu stoßen, war ich mir vollkommen bewusst, dass ich einen
Fehler machte. Zu wissen, dass es ein Fehler war, konnte mich nicht aufhalten,
aber das Risiko dass ich einging, war mir nicht bewusst – nicht nur für mich,
sondern für meine ganze Familie.
Entlarvung.
Aber es half nichts, ich konnte dem Van nicht erlauben bei seinem zweiten
Versuch ihr das Leben zu nehmen zu gewinnen.
Ich ließ sie los und streckte dem Van meine Hände entgegen bevor er sie
berühren konnte. Die Wucht des Aufpralls presste meine Schulter in den Wagen
der neben dem Truck stand und ich konnte spüren wie sich das Metall unter dem
Druck verbog. Der Van erschauerte unter der unnachgiebigen Sperre meiner
Arme und balancierte unstabil auf zwei Rädern.
Wenn ich meine Hände wegnahm, würde der Hinterreifen auf ihre Beine
fallen.
Oh, verdammt noch mal, es war verflucht, würde diese Katastrophe denn
nie enden? Konnte noch mehr schiefgehen? Ich konnte schlecht hier sitzen
bleiben, den Van in die Luft halten und auf Rettung warten. Wegwerfen konnte
ich ihn auch nicht – da war auch immer noch der Fahrer, dessen Gedanken
zusammenhanglos waren vor lauter Panik.
Ich stöhnte innerlich auf und stieß den Van kurz von uns weg. Als er wieder
runterfiel, fing ich ihn mit einer Hand unter der Karosserie auf und packte mit der
andern wieder die Taille des Mädchens um sie näher zu mir hin und unter dem
Wagen weg zu ziehen. Ihr Körper war schlaff als ich sie herum schwang um ihre
Beine in Sicherheit zu bringen – war sie bewusstlos? Wie schwer hatte ich sie
verletzt bei meinem improvisierten Rettungsversuch?
Jetzt wo ich sie nicht mehr verletzen konnte, ließ ich den Van fallen. Die
Fenster vibrierten als er auf den Asphalt krachte.
Ich wusste, dass ich mich mitten in einer Kriese befand. Wie viel hatte sie
mitbekommen? Hatte irgendein anderer Zeuge gesehen, wie ich mich aus dem
Nichts neben ihr materialisiert hatte und dann mit dem Van jonglierte um sie
darunter hervorzuholen? Diese Fragen sollten meine größte Sorge sein.
Aber ich war zu besorgt um mir darüber Gedanken zu machen, dass wir
entlarvt werden könnten. Zu sehr von der Panik erfasst, dass ich sie bei meinem
versucht sie zu schützen selbst verletzt haben könnte. Zu beängstigt da ich
wusste, was ich riechen würde, wenn ich mir erlaubte einzuatmen. Mir zu sehr
ihres warmen, weichen Körpers bewusst, der gegen meinen gepresst war – trotz
der doppelten Hinderung unsere Jacken konnte ich diese Hitze spüren…
Die erste Sorge war die größte. Als das schreien der zeugen um uns herum
ausbrach, lehnte ich mich über sie und begutachtete ihr Gesicht um zu sehen ob
sie bei Bewusstsein war – hoffte inständig, dass sie nirgendwo blutete.
Ihre Augen waren weit geöffnet vor Schock.
„Bella?“ fragte ich eindringend. „Bist du in Ordnung?“
„Es geht mir gut.“ Sagte sie automatisch mit schwacher Stimme.
Erleichterung durchfuhr mich als ich den Klang ihrer Stimme hörte, der so
herrlich war, dass es fast wehtat. Ich nahm einen kurzen Atemzug durch meine
Zähne und der begleitende Schmerz in meiner Kehler störte mich nicht. Ich
genoss ihn fast.
Sie versuchte sich aufzusetzen, aber ich war noch nicht bereit, sie
loszulassen. Es fühlte sich irgendwie… sicherer an? Besser jedenfalls, sie an
meiner Seite zu haben.
„Seih vorsichtig,“ warnte ich sie. „Ich glaube du hast dir deinen Kopf
ziemlich heftig angeschlagen.“
Da war kein Geruch von frischem Blut – welche Erleichterung – aber das
schloss noch lange keine inneren Verletzungen aus. Ich wollte sie so schnell wie
möglich zu Carlisle bringen und zu einem voll ausgestatteten Radiologischen
Institute.
„Au,“ sagte sie und ihre Stimme klang komischerweise überrascht, als sie
merkte, dass ich recht hatte, was ihren Kopf anging.
„Das hab ich mir gedacht.“ Ich lächelte vor Erleichterung, fast schon
albern.
„Wie zum Teufel…“ Ihre Stimme brach weg und ihre Lider zitterten. „Wie
bist du so schnell hierhergekommen?“
Die Erleichterung wurde bitter, der Humor verschwand. Sie hatte zu viel
gesehen.
Jetzt, da mir klar wurde, dass dem Mädchen nichts fehlte, wurde die Sorge
um meine Familie größer.
„Ich stand direkt neben dir, Bella.“ Aus Erfahrung wusste ich, dass ich sehr
überzeugend sein konnte, wenn ich log, es verunsicherte jeden Fragesteller bzgl.
der Wahrheit.
Sie versuchte wieder sich aufzusetzen und diesmal ließ ich es zu. Ich
musste einatmen um meine Rolle besser spielen zu können. Ich brauchte
Abstand zu ihrem mit warmem Blut gefüllten Körper, damit er mich in
Kombination mit ihrem Duft nicht übermannte. Ich wich so weit von ihr zurück,
wie es der schmale Raum zwischen den beiden Fahrzeugen zuließ.
Sie starrte zu mir hoch und ich starrte zurück. Zuerst wegzuschauen war
ein Fehler den nur ein inkompetenter Lügner begehen würde, und ich war kein
inkompetenter Lügner. Mein Gesichtsausdruck war mild und freundlich… Es
schien sie zu verwirren. Das war gut.
Die Unfallstelle war nun umstellt. Hauptsächlich Schüler, Kinder die
versuchten durch die Wracks einen Blick auf zerquetschte Körper erhaschen zu
können. Stimmengewirr und schockierte Gedanken erhoben sich. Ich durchsuchte
die Gedanken um sicherzugehen, dass es noch keine Verdächtigungen gab und
dann blendete ich sie aus um mich wieder auf das Mädchen zu konzentrieren.
Sie war abgelenkt von dem Durcheinander. Sie blickte sich um, ihr
Gesichtsausdruck immer noch geschockt und wollte aufstehen.
Ich legte meine Hand auf ihre Schulter um sie sanft wieder auf den Boden
zu drücken.
„Bleib besser noch etwas liegen.“ Sie wirkte zwar unverletzt, aber sollte sie
ihren Hals schon bewegen? Wieder wünschte ich Carlisle wäre hier. Meine
jahrelangen theoretischen Studien in Medizin waren kein Vergleich zu seiner
Jahrhundertelangen Praxiserfahrung.
„Aber es ist kalt,“ stellte sie fest.
Sie war vor wenigen Sekunden fast zu Tode gequetscht worden und ihre
einzige Sorge war die Kälte. Mir entfuhr ein kichern bevor ich mich dran
erinnerte, dass die Situation nicht komisch war.
Bella blinzelte und blickte mir dann direkt ins Gesicht. „Du warst dort
drüben.“
Das ernüchterte mich wieder.
Sie blickte nach Süden, obwohl dort nichts weiter zu sehen war als die
verbeulte Seite des Vans. „Du warst bei deinem Auto.“
„Nein, war ich nicht.“
„Ich hab dich gesehen,“ beharrte sie; ihre Stimme wirkte kindlich, wenn sie
stur war. Sie schob ihr Kinn vor.
„Bella, ich stand neben dir und hab dich beiseite gezogen.“
Ich schaute tief in ihre großen Augen um sie dazu zu bringen meine
Version zu akzeptieren – die einzig akzeptable Version die zur Verfügung stand.
„Nein.“
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, nicht in Panik zu geraten. Wenn ich sie nur
wenige Augenblicke ruhig stellen könnte, um mir die Chance zu geben die
Beweise zu vernichten… und um ihre Geschichte durch die Bekanntgabe ihrer
Kopfverletzung zu untergraben.
Sollte es nicht leicht sein, dieses stille, geheimnisvolle Mädchen ruhig zu
halten? Wenn sie mir nur vertrauen würde, nur für ein paar Augenblicke…
„Bitte, Bella,“ sagte ich, meine Stimme zu fordernd, weil ich wollte, dass
sie mir vertraute. Ich wollte es ganz verzweifelt, nicht nur wegen des Unfalls. Ein
dummes Verlangen. Was für einen Sinn würde es für sie machen, mir zu
vertrauen?
„Warum?“ fragte sie immer noch in Verteidigungshaltung.
„Vertrau mir,“ bat ich sie.
„Versprichst du mir später alles zu erklären?“
Es machte mich wütend, dass ich sie schon wieder anlügen musste,
obwohl ich mir so sehr wünschte, ich könnte ihr Vertrauen verdienen. Deshalb
klang meine Erwiderung scharf.
„Gut.“
„Gut,“ sagte sie in demselben Tonfall.
Als die Rettungsaktion um uns herum begann – Erwachsene tauchten auf,
Lehrer riefen, Sirenen heulten in der Ferne – versuchte ich das Mädchen zu
ignorieren und meine Prioritäten zu ordnen. Ich durchsuchte alle Gedanken in der
Menge, die Zeugen und die später da zugestoßenen, aber ich konnte nichts
Gefährliches finden. Viele waren überrascht, mich hier mit Bella zu sehen, aber
alle schlossen – da es keine andere Möglichkeit gab – dass sie einfach nicht
registriert hatten, dass ich neben dem Mädchen stand, vor dem Unfall.
Sie war die einzige die die einfache Erklärung nicht akzeptierte, aber sie
würde die am wenigsten glaubhafte Zeugin sein. Sie war ängstlich, traumatisiert
und von der Beule an ihrem Hinterkopf ganz zu schweigen. Vielleicht stand sie
unter Schock. Ihre Geschichte war annehmbar, wenn sie verwirrt war, oder nicht?
Niemand würde ihr allzu viel Beachtung schenken bei so vielen anderen zeugen…
Ich zuckte zusammen, als ich die Gedanken von Rosalie, Jasper und
Emmett auffing, die gerade erst am Ort des Geschehens eintrafen. Sie würden
mir heute Abend die Hölle heiß machen.
Ich wollte den Abdruck den meine Schultern in dem braunen Auto
hinterlassen hatte ausbügeln, aber das Mädchen war zu nah. Ich würde warten
müssen, bis sie weggetragen wurde.
Es war frustrierend zu warten – so viele Augen auf mich gerichtet – als die
Menschen mit dem Van kämpften um uns zu befreien. Ich hätte ihnen gern
geholfen um das ganze zu beschleunigen, aber ich hatte schon genug
Schwierigkeiten und das Mädchen hatte scharfe Augen. Endlich hatten sie es
geschafft, den Wagen weit genug weg zu schieben, damit sie Sanitäter mir ihren
Tragen zu uns durchkamen.
Ein bekanntes, besorgtes Gesicht begutachtete mich.
„Hey, Edward,“ sagte Brett Warner. Er war Pfleger und ich kannte ihn gut
aus dem Krankenhaus in dem Carlisle arbeitete. Ein glücklicher Zufall – das
einzige Glück heute – dass er als erster bei uns war. In Gedanken stellte er fest,
dass ich gesund und ruhig aussah. „Bist du in Ordnung, Junge?“
„Alles bestens, Brett. Ich hab nichts abbekommen. Aber ich glaube, Bella
könnte eine Gehirnerschütterung haben. Sie ist sehr hart mit dem Kopf
aufgeschlagen, als ich sie beiseite gezogen habe…“
Brett widmete seine Aufmerksamkeit dem Mädchen, das mir einen
grimmigen Blick zuwarf. Ach ja, richtig. Sie war der Stille Märtyrer – sie hätte
lieber im Stillen gelitten.
Sie stritt meine Geschichte nicht sofort ab, was mich erleichterte.
Der nächste Sanitäter wollte mich nicht so einfach davon kommen lassen,
aber ich hatte keine Mühe ihn davon zu überzeugen, dass es mir gut ging. Ich
versprach, dass ich mich von meinem Vater untersuchen lassen würde und damit
ließ er es gut sein. Den meisten Menschen musste man einfach nur mit einem
Sicheren Auftreten begegnen. Den meisten Menschen, aber nicht dem Mädchen,
natürlich nicht. Passte sie auf irgendeines der normalen Muster?
Als sie ihr eine Halskrause anlegten – ihr Gesicht lief rot an vor Scham –
nutzte ich den Moment in dem alle abgelenkt waren um mit meinem Fuß die
Delle in dem braunen Auto auszubeulen. Nur meine Geschwister merkten was ich
da tat und ich hörte Emmett Versprechen in Gedanken, dass er sich um alles
kümmern würde, was ich übersehen hatte.
Dankbar für seine Hilfe – und noch dankbarer dafür, dass Emmett mir
meine gefährliche Wahl schon vergeben hatte – stieg ich beruhigt auf den
Beifahrersitz des Krankenwagens neben Brett.
Der Polizeichef erreichte den Unfallort bevor man Bella in den hintern Teil
des Krankenwagens geschoben hatte.
Zwar waren die Gedanken von Bellas Vater keine Worte, aber die Panik
und die Sorge, die aus ihnen herausströmten, überlagerten alle anderen
Gedanken in der Nähe. Wortlose Angst und Schuldgefühle strömten Flutartig aus
ihm heraus, als er seine einzige Tochter auf die Bahre geschnallt sah.
Strömten aus ihm heraus und in mich hinein, hallten wieder und wurden
stärker. Als Alice mich warnte, dass der Tod von Charlie Swans Tochter ihn auch
töten würde, hatte sie nicht übertrieben.
Mein Kopf wurde schwer vor Schuldgefühlen, als ich seiner panischen
Stimme lauschte.
„Bella!“ rief er.
„Es geht mir gut, Char – Dad.“ Seufzte sie. „Mir ist nichts passiert.“
Ihre Versicherung beruhigte ihren Dad kaum. Er wandte sich sofort an den
nächsten Sanitäter um mehr Informationen zu bekommen.
Erst als ich ihn reden hörte, er formulierte perfekt zusammenhängende
Sätze, ohne panischen Unterton, bemerkte ich, dass seine Angst und seine Sorge
nicht wortlos waren. Ich konnte die genauen Worte einfach nur… nicht hören.
Hmm. Charlie Swan war nicht so still wie seine Tochter, aber ich konnte
sehen wo sie es herhatte. Interessant.
Ich hatte nie viel zeit in der Nähe des örtlichen Polizeichefs verbracht. Ich
hatte ihn immer für einen langsamen Denker gehalten – jetzt bemerkte ich, dass
ich derjenige war, der langsam war. Seine Gedanken waren teilweise
verschlossen, nicht abwesend. Ich konnte nur ihre Grundhaltung, ihren Ton
ausmachen…
Ich wollte genauer zuhören um zu sehen ob ich in diesem einfacheren
Puzzel den Schlüssel zu den Gedanken des Mädchens finden konnte. Aber Bella
war mittlerweile im hinteren Teil des Wagens und der Krankenwagen machte sich
auf den Weg zum Krankenhaus.
Es war schwer mich von der möglichen Lösung zu dem Geheimnis, dass
mich verfolgte loszureißen. Aber ich musste jetzt nachdenken – ich musste die
heutigen Geschehnisse aus jedem Winkel betrachten. Ich musste zuhören um
herauszufinden, ob ich uns alle in so große Gefahr gebracht hatte, dass wir auf
der Stelle würden abreisen müssen. Ich musste mich konzentrieren.
In den Gedanken der Sanitäter war nichts Beunruhigendes zu hören.
Soweit sie es beurteilen konnten, hatte das Mädchen keine ernsthaften
Verletzungen. Und Bella hielt sich an die Geschichte, die ich ihr geliefert hatte,
bis jetzt jedenfalls.
Als wir das Krankenhaus erreichten, war meine erste Priorität mit Carlisle
zu sprechen. Ich eilte durch die automatischen Türen, aber ich konnte nicht
darauf verzichten, Bella zu beobachten; ich behielt sie durch die Gedanken der
Sanitäter im Auge.
Es war leicht den bekannten Geist meines Vaters zu finden. Er war in
seinem kleinen Büro, allein – der zweite Glücksfall, an diesem mit Unglück
verhangenen Tag.
„Carlisle.“
Er hörte mich kommen und war sofort alarmiert als er den Ausdruck auf
meinem Gesicht sah. Er sprang auf seine Füße und sein Gesicht wurde
knochenbleich. Er lehnte sich über den sauber aufgeräumten
Walnussschreibtisch.
Edward – du hast doch nicht –
„Nein, nein, das ist es nicht.“
Er atmete tief durch. Natürlich nicht. Tut mir leid, dass ich sowas auch nur
denken konnte. Deine Augen, ich hätte es selbstverständlich wissen müssen… Er
bemerkte meine immer noch goldenen Augen mit Erleichterung.
„Sie ist trotzdem verletzt, Carlisle, vermutlich nicht schwer, aber…“
„Was ist passiert?“
„Ein blöder Autounfall. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber ich
konnte nicht einfach dastehen und zusehen – sie sterben lassen…“
Erzähl mir alles von Anfang an, ich versteh's nicht. Wie bist du in die Sache
verwickelt?
„Ein Van schlidderte über das Eis,“ flüsterte ich. Ich starrte die Wand hinter
ihm an während ich sprach. Statt einer Reihe von Diplomen hatte er nur ein
einfaches Ölgemälde an der Wand – eins seiner Lieblinge, ein unentdeckter
Hassam. „Sie war im Weg. Alice hat es kommen sehen, aber ich hatte keine Zeit
um irgendetwas anderes zu tun als über den Platz zu rennen und sie aus dem
Weg zu zerren. Niemand hat etwas gesehen… abgesehen von ihr. Es… es tut mir
leid, Carlisle. Ich wollte uns nicht in Gefahr bringen.“
Er umrundete den Tisch und legte seine Hand auf meine Schulter.
Du hast das richtige getan. Und es war sicher nicht leicht für dich. Ich bin
stolz auf dich, Edward.
Dann konnte ich ihm in die Augen sehen. „Sie weiß dass mit mir etwas…
nicht stimmt.“
„Das macht nichts. Wenn wir gehen müssen, dann gehen wir. Was hat sie
gesagt?“
Ich schüttelte ein wenig frustriert meinen Kopf. „Noch nichts.“
Noch?
„Sie hält sich an meine Version der Geschehnisse – aber sie erwartet eine
Erklärung.“
Er runzelte abwägend die Stirn.
„Sie hat sich den Kopf gestoßen – naja, ich bin daran schuld,“ fügte ich
schnell hinzu. „Ich warf sie ziemlich hart zu Boden. Sie scheint in Ordnung zu
sein, aber… ich denke nicht, dass es schwer wird, ihre Glaubhaftigkeit
anzuzweifeln.“
Ich fühlte mich wie ein Verräter, als ich das sagte.
Carlisle bemerkte, dass mir das nicht gefiel. Vielleicht wird das nicht nötig
sein. Lass uns sehen, was passiert, sollen wir? Es hört sich an, als hätte ich eine
Patientin nach der ich sehen muss.
„Ja bitte,“ sagte ich. „Ich mach mir solche Sorgen, dass ich sie verletzt
haben könnte.“
Carlisles Gesicht erhellte sich. Er glättete seine vollen Haare – nur ein paar
Stufen heller als seine goldenen Augen – und lachte.
Das war wohl ein interessanter Tag für dich, nicht war? In seinen Gedanken
konnte ich die Ironie erkenne und es schien ihn zu belustigen. Was für ein
Rollentausch. Irgendwann während dieser Gedankenlosen Sekunde in der ich
über den eisigen Parkplatz gesprintet bin, hatte ich mich vom Killer zum
Beschützer entwickelt.
Ich lachte mit ihm, als ich mich daran erinnerte, dass ich mir so sicher war,
dass Bella niemals mehr Schutz vor etwas brauchte, als vor mir. Aber mein
Lachen war halbherzig, denn abgesehen von dem Van, entsprach das immer
noch der Wahrheit.

Ich wartete allein in Carlisles Büro – eine der längsten Stunden in meinem ganzen
Leben – und lauschte dem Krankenhaus voller Gedanken.
Tyler Crowley, der Fahrer des Wagens schien es schlimmer erwischt zu
haben als Bella und die Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu, während sie darauf
wartete geröntgt zu werden. Carlisle hielt sich zurück und vertraute der Diagnose
der Sanitäter, dass das Mädchen nicht schwer verletzt war. Das beunruhigte
mich, aber ich wusste, dass er recht hatte. Ein Blick auf sein Gesicht und sie
würde sofort an mich denken, an die Tatsache dass mit meiner Familie etwas
nicht stimmte und das könnte sie zum Reden bringen.
Sie hatte sicher einen redseligen Gesprächspartner an ihrer Seite. Tyler
war voller Schuldgefühle weil er sie fast getötet hätte und er schien das Thema
nicht fallen lassen zu können. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck durch seine
Augen sehen und es war eindeutig, dass sie sich wünschte er würde damit
aufhören. Wie konnte er das nicht sehen?
Als Tyler sie fragte, wie sie so schnell reagieren konnte wurde ich hellhörig.
Ich wartete atemlos, als sie zögerte.
„Ähm…“ hörte er sie sagen. Dann überlegte sie so lange, dass Tyler
dachte, seine Frage hätte sie verwirrt. Schließlich sprach sie weiter. „Edward hat
mich zur Seite geschoben.“
Ich atmete auf. Und dann beschleunigte sich mein Atem. Ich hatte sie noch
nie zuvor meinen Namen aussprechen hören. Ich mochte den Klang – auch wenn
ich ihn nur durch Tylers Gedanken hörte. Ich wollte es selbst hören…
„Edward Cullen,“ sagte sie, als Tyler nicht verstand, wen sie meinte. Ich
fand mich an der Tür wieder mit der Hand am Türknauf. Das Verlangen sie zu
sehen wurde immer stärker. Ich musste mich daran erinnern, vorsichtig zu sein.
„Er stand neben mir.“
„Cullen?“ Häh. Das ist komisch. „Ich hab ihn gar nicht gesehen.“ Ich hätte
schwören können… „Wow, es ging alles so schnelle. Ist er okay?“
„Ich glaub schon. Er ist auch hier irgendwo, aber er musste nicht auf eine
Bahre.“
Ich sah den gedankenverlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, wie sich ihre
Augen verengten, aber diese kleinen Veränderungen bemerkte Tyler nicht.
Sie ist hübsch, dachte er beinahe überrascht. Sogar wenn sie total fertig
ist. Zwar eigentlich nicht mein Typ, aber dennoch… Ich sollte sie mal ausführen.
Vielleicht heute…
Mit einem Mal war ich auf dem Flur, auf halbem Weg zur Notaufnahme,
ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was ich tat.
Glücklicherweise betrat die Schwester vor mir den Raum – Bella sollte geröntgt
werden. Ich lehnte mich an die Wand in einen dunklen Winkel direkt um die Ecke
und versuchte mich zu fassen während sie weggerollt wurde.
Es war unwichtig, dass Tyler sie hübsch fand. Jedem würde das auffallen.
Es gab keinen Grund für diese Gefühle in mir… was waren das für Gefühle?
Verwirrung? Oder war ich eher wütend? Das machte alles keinen Sinn.
Ich blieb wo ich war so lange ich konnte, aber die Ungeduld obsiegte und
ich nahm einen anderen Weg in Richtung Röntgenraum. Sie wurde bereits zurück
zur Notaufnahme gebracht, aber ich konnte einen Blick auf ihre Röntgenbilder
werfen, als die Schwester mir den Rücken zudrehte.
Es beruhigte mich zu sehen, dass es ihrem Kopf gut ging. Ich hatte sie
nicht verletzte, nicht wirklich.
Carlisle erwischte mich hier.
Du siehst besser aus, kommentierte er.
Ich sah weiter geradeaus. Wir waren nicht allein, die Halle war voller
Patienten und Besucher.
Ah, ja. Er heftete ihre Röntgenbilder an die Lichttafel(?), aber ich brauchte
keinen zweiten Blick darauf zu werfen. Ich seh schon. Sie ist vollkommen in
Ordnung. Gut gemacht, Edward.
Die Anerkennung meines Vaters weckte gemischte Gefühle in mir. Ich wäre
erleichtert gewesen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er nicht loben würde,
was ich jetzt vorhatte. Er wäre nicht begeistert, wenn er meine wahre Motivation
kennen würde…
„Ich denke, ich werde jetzt mal mit ihr reden – bevor sie dich sieht,“
murmelte ich. „Verhalte mich normal, als wäre nichts gewesen. Ich werde es
ausbügeln.“ Alles akzeptable Gründe.
Carlisle nickte abwesend während er immer noch auf die Röntgenbilder
schaute. „Gute Idee. Hmm.“
Ich schaute nach, was sein Interesse geweckt hatte.
Schau dir all diese verheilten Prellungen an! Wie oft hat ihre Mutter sie
wohl fallen lassen? Carlisle lachte über seinen Witz.
„Ich fange an zu glauben, dass das Mädchen einfach nur Pech hat. Immer
zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Forks ist sicher der falsche Ort für sie, wenn du hier bist.
Ich zuckte zusammen.
Geh schon. Bügel es aus. Ich komme jeden Moment nach.
Ich lief schnell weg und fühlte mich schuldig. Vielleicht war ich ein zu guter
Lügner, wenn ich sogar Carlisle austricksen konnte.
Als ich in die Notaufnahme kam, murmelte Tyler immer noch
Entschuldigungen vor sich hin. Das Mädchen versuchte seiner Reue zu
entkommen indem sie so tat als würde sie schlafen. Ihre Augen waren
geschlossen, aber ihr Atem war nicht gleichmäßig und hin und wieder zuckten
ihre Finger ungeduldig.
Ich starrte sie lange an. Das war das letzte Mal dass ich sie sehen würde.
Diese Tatsache verursachte starke Schmerzen in meiner Brust. War es weil ich es
hasste ein Rätsel ungelöst zurückzulassen? Das erschien mir keine gute
Erklärung zu sein.
Dann atmete ich tief durch und trat ins Sichtfeld.
Als Tyler mich sah wollte er etwas sagen, aber ich legte einen Finger an
meine Lippen.
„Schläft sie?“ murmelte ich.
Bellas Augen sprangen auf und fixierten mich. Sie weiteten sich
augenblicklich und wurden dann kleiner vor Ärger und Misstrauen. Ich erinnerte
mich, dass ich eine Rolle zu spielen hatte, also lächelte ich sie an als wäre nichts
Ungewöhnliches passiert – außer einer Beule an ihrem Kopf und ein bisschen zu
viel Fantasie.
„Hey, Edward,“ sagte Tyler. „Es tut mir so leid…“
Ich hob eine Hand um sein Entschuldigung abzuwehren. „Es ist ja kein Blut
vergossen worden,“ sagte ich leichthin. Ohne nachzudenken lächelte ich ein
wenig zu breit über meinen kleinen Insider.
Es war erstaunlich einfach Tyler zu ignorieren, der keinen Meter von mir
entfernt lag über und über mit frischem Blut bedeckt. Ich hatte nie verstanden,
wie Carlisle das schaffte – das Blut seiner Patienten zu ignorieren, während er sie
behandelte. Wäre die andauernde Versuchung nicht zu groß, zu gefährlich…?
Aber jetzt… verstand ich es, wenn man sich nur stark genug auf etwas anderes
konzentrierte, war die Versuchung gar nicht so groß.
Obwohl es frisch und offensichtlich war, Tylers Blut war nichts im Vergleich
zu Bellas.
Ich hielt Abstand von ihr und setzte mich ans Fußende von Tylers Bett.
„Also, wie lautet das Urteil?“ fragte ich sie.
Sie schob ihre Unterlippe ein wenig vor. „Mit mir ist alles in Ordnung. Aber
sie lassen mich nicht gehen. Wie kommt es dass du nicht auf eine Bahre
geschnallt bist, wie der Rest von uns?“
Ihre Ungeduld brachte mich wieder zum lächeln.
Ich konnte Carlisle in der Halle hören.
„Alles eine Frage der Beziehungen,“ sagte ich leichthin. „Aber keine Sorge,
ich bin gekommen um dich hier rauszuholen.“
Ich beobachtete ihre Reaktion genau als mein Vater den Raum betrat. Ihre
Augen wurden größer und ihr Mund klappte auf vor Überraschung. Ich stöhnte
innerlich auf. Ja sie hatte die Ähnlichkeit bemerkt.
„So, Miss Swan, wie fühlen sie sich?“ fragte Carlisle. Er hatte eine Art an
sich mit der er jeden Patienten mühelos beruhigen konnte innerhalb weniger
Augenblicke. Ich konnte nicht sagen, wie es bei Bella wirkte.
„Es geht mir gut,“ sagte sie leise.
Carlisle befestigte die Röntgenbilder an der Lichttafel über dem Bett.
„Deine Röntgenaufnahmen sehen gut aus. Tut dein Kopf weh? Edward sagt, du
bist ziemlich hart aufgeschlagen.“
Sie seufzte und sagte wieder, „Es geht mir gut,“ aber diesmal schwang
etwas Ungeduld in ihrer Stimme mit. Dann warf sie mir einen kühlen Blick zu.
Carlisle trat näher an sie heran und tastete ihren Kopf ab, bis er die Beule
unter ihren Haaren fand.
Ich wurde hinterrücks von einer Welle seltsamer Gefühle überrannt.
Ich hatte Carlisle schon tausendmal zugesehen wie er Menschen
behandelte. Vor Jahren hab ich ihm sogar nebenbei geholfen – natürlich nur in
Situation wo kein Blut involviert war. Es war also nichts Neues für mich, zu sehen,
dass er mit dem Mädchen umging, als wäre er genauso menschlich wie sie. Ich
beneidete ihn oft wegen seiner Selbstkontrolle, aber dieses Gefühl war anders.
Ich beneidete ihn um mehr als nur um seine Selbstkontrolle. Ich sehnte mich
nach dem Unterschied zwischen Carlisle und mir – dass er sie sanft berühren
konnte, ohne angst haben zu müssen, zu wissen, dass er ihr nichts tun würde…
Sie zuckte zusammen und ich rutschte unruhig auf meinem Platz herum.
Ich musste mich einen Moment konzentrieren, um meine lässige Haltung
beizubehalten.
„Empfindlich?“ fragte Carlisle.
Ihr Kinn trat ein wenig hervor. „Nicht wirklich,“ sagte sie.
Ein weiterer kleiner Teil ihres Charakters offenbarte sich mir: sie war
mutig. Sie mochte es nicht, Schwäche zu zeigen.
Wohlmöglich die verletzlichste Person die ich je gesehen hatte und sie
wollte nicht schwach wirken. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
Sie warf mir einen weiteren wütenden Blick zu.
„Also,“ sagte Carlisle. „Dein Vater ist im Wartezimmer – du kannst mit ihm
nach Hause gehen. Aber komm wieder wenn dir schwindelig wird oder deine
Sicht beeinträchtigt wird.“
Ihr Vater war hier? Ich tastete die Gedanken im überfüllten Wartezimmer
ab, aber ich konnte seine feine mentale Stimme aus der Gruppe nicht
herausfiltern bis sie wieder sprach, ihr Gesichtsausdruck war ängstlich.
„Kann ich nicht wieder zur Schule gehen?“
„Vielleicht solltest du es langsam angehen, heute,“ schlug Carlisle vor.
Ihre Augen wendeten sich zu mir. „Kann er wieder zur Schule gehen?“
Verhalte dich normal, bügel alles aus… ignoriere wie es sich anfühlt, wenn
sie dir in die Augen blickt…
„Irgendjemand muss doch die Gute Neuigkeit überbringen, dass wir
überlebt haben,“ sagte ich.
„Eigentlich,“ korrigierte mich Carlisle, „befindet sich der Großteil der
Schule im Wartezimmer.“
Diesmal konnte ich mir ihre Reaktion vorstellen – ihre Aversion gegen
Aufmerksamkeit. Sie enttäuschte mich nicht.
„Oh nein,“ stöhnte sie und hob die Hände vors Gesicht.
Es fühlte sich gut an richtig geraten zu haben. Ich begann sie zu
verstehen…
„Möchtest du lieber noch bleiben?“ fragte Carlisle.
„Nein, nein!“ sagte sie schnell und schwang ihre Beine über die Bahre und
glitt auf den Boden. Sie verlor das Gleichgewicht und stolperte in Carlisles Arme.
Er fing sie auf und half ihr das Gleichgewicht wiederzufinden.
Und wieder keimte der Neid in mir auf.
„Es geht mir gut,“ sagte sie, bevor er etwas sagen konnte, ihr Wangen
wieder gerötet.
Natürlich würde das Carlisle nichts ausmachen. Er ging sicher, dass sie
stehen konnte und ließ sie los.
„Nimm etwas Tylenol gegen die Schmerzen,“ empfahl er.
„So schlimm tut es gar nicht weh.“
Carlisle lächelte als sie ihre Papiere unterzeichnete. „Hört sich an, als
hättest du großes Glück gehabt.“
Sie drehte ihr Gesicht leicht, um mich mit eisigen Augen anzustarren. „Ich
hatte Glück, dass Edward zufällig neben mir stand.“
„Oh, ja natürlich,“ stimmte Carlisle sofort zu. Er hatte dasselbe in ihrem
Tonfall gehört wie ich. Sie hatte ihren Verdacht nicht als Einbildung
abgeschrieben. Noch nicht.
Sie gehört dir, dachte Carlisle. Regel das wie du meinst.
„Vielen Dank auch,“ flüsterte ich schnell und leise. Kein Mensch konnte das
hören. Carlisles Mundwinkel hoben sich leicht, als er den Sarkasmus bemerkte
und wandte sich an Tyler. „Du musst aber wohl noch etwas länger bei uns
bleiben,“ sagte er als er die Schnittwunden untersuchte, die die zersplitterte
Windschutzscheibe hinterlassen hatte.
Naja, ich hatte mir die Suppe eingebrockt, da war es nur fair, dass ich sie
selbst auslöffelte.
Bella kam direkt auf mich zu und hielt nicht an, bis sie unangenehm nah
war. Ich erinnerte mich wie ich gehofft hatte, bevor das ganze Chaos
ausgebrochen war, dass sie auf mich zukommen würde… Das hier war wie eine
Verspottung dieses Wunsches.
„Kann ich kurz mal mit dir reden?“ zischte sie.
Ihr warmer Atem strich mir übers Gesicht und ich musste einen Schritt
zurückweichen. Ihre Anziehungskraft hatte kein bisschen nachgelassen. Jedesmal
wenn sie mir zu nahe kam, brachte es das schlechteste in mir zum Vorschein,
drängende Instinkte. Gift flutete meinen Mund und mein Körper verlangte danach
zuzuschlagen – sie zu packen und meine Zähne in ihren Hals zu schlagen.
Mein Geist war stärker als mein Körper, jetzt noch.
„Dein Vater wartet auf dich,“ erinnerte ich sie durch meine
zusammengepressten Zähne.
Sie blinzelte kurz zu Carlisle und Tyler. Tyler achtete nicht auf uns, aber
Carlisle beobachtete jeden meiner Atemzüge.
Vorsichtig, Edward.
„Ich würde gern mit dir unter vier Augen sprechen, wenn es dir nichts
ausmacht,“ beharrte sie leise.
Ich wollte ihr sagen, dass es mir sehr wohl etwas ausmachte, aber ich
wusste, dass ich das letzten Endes hinter mich bringen musste. Das konnte ich
genauso gut jetzt tun.
Ich war so voller widersprüchlicher Gefühle, als ich aus dem Raum
stolzierte und auf ihre Schritte lauschte die mir hinterher stolperten und
versuchten Schritt zu halten.
Ich musste meine Show weiterspielen. Ich kannte die Rolle, die ich spielen
musste – ich hatte den Charakter vor mir: Ich war der Schurke. Ich würde lügen,
spotten und grausam sein.
Es ging gegen alle meine besseren Manieren – die menschlichen Manieren
an die ich mich in all den Jahren gehalten hatte. Ich hatte mir noch nie so sehr
das Vertrauen von jemandem gewünscht wie in diesem Augenblick in dem ich
alle Gründe dafür zerstören musste.
Es machte es noch schlimmer, weil dies der letzte Eindruck war, den sie
von mir bekommen würde. Dies war meine Abschiedsszene.
Ich drehte mich zu ihr um.
„Was willst du?“ fragte ich kühl.
Sie schrak zurück vor meiner Feindseligkeit. Ihre Augen waren verwirrt, der
Ausdruck, der mich verfolgt hatte…
„Du schuldest mir eine Erklärung,“ sagte sie kleinlaut; ihr
elfenbeinfarbenes Gesicht wurde blass.
Es war sehr anstrengend meine Stimme rau zu halten. „Ich hab dir das
Leben gerettet – ich schulde dir gar nichts.“
Sie zucke zurück – es brannte wie Säure zu sehen, wie meine Worte sie
verletzten.
„Du hast es versprochen,“ flüsterte sie.
„Bella, du hast dir den Kopf gestoßen, du weißt nicht, was du da redest.“
Sie schob ihr Kinn vor. „Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung.“
Jetzt war sie wütend, was es mir leichter machte. Ich erwiderte ihren Blick
und ließ mein Gesicht noch unfreundlicher wirken.
„Was willst du von mir, Bella?“
„Ich möchte die Wahrheit hören. Ich möchte wissen, warum ich für dich
lüge.“
Was sie wollte, war nur fair – es frustriete mich, ihr das abschlagen zu
müssen.
„Was glaubst du denn, was passiert ist?“ ich knurrte fast.
Die Worte sprudelten in einem Sturzbach aus ihr heraus. „Alles was ich
weiß ist, dass du nicht in meiner Nähe warst – Tyler hat dich auch nicht gesehen,
also sag mir nicht, ich hätte mir den Kopf zu hart angeschlagen. Der Van hätte
uns beide zerquetscht – aber das hat er nicht, und dein Hände haben Abdrücke in
seiner Seite hinterlassen – und du hast auch Abdrücke in dem anderen Auto
hinterlassen, aber du bist kein bisschen verletzt – und der Van hätte meine Beine
zerquetscht, aber du hast ihn hochgehalten…“ plötzlich biss sie ihre Zähen
zusammen und ihr Augen glitzerten voller Tränen.
Ich starrte sie spöttisch an, aber was ich wirklich fühlte war Ehrfurcht; sie
hatte alles gesehen.
„Du glaubst, ich hätte einen Van angehoben?“ fragte ich sarkastisch.
Sie antwortete mit einem kurzen nicken.
Meine Stimme wurde noch spöttischer. „Niemand wird das glauben, das ist
dir klar, oder?“
Sie strengte sich an um ihre Wut zu kontrollieren. Als sie mir antwortete,
sprach sie jedes Wort mit Bedacht aus. „Ich werde es niemandem erzählen.“
Sie meinte es so wie sie es sagte – das konnte ich in ihren Augen sehen.
Sogar wütend und verraten, würden sie mein Geheimnis bewahren.
Warum?
Der Schock ruinierte meine sorgfältig aufgesetzte Mine für eine halbe
Sekunde, dann riss ich mich wieder zusammen.
„Warum ist es dann so wichtig?“ fragte ich, darauf bedacht meine Stimme
scharf klingen zu lassen.
„Es ist mir wichtig,“ sagte sie drängend. „Ich mag es nicht zu lügen – also
hätte ich gern einen guten Grund warum ich lüge.“
Sie bat mich, ihr zu vertrauen. Genau wie ich wollte, dass sie mir vertraute.
Aber das war eine Grenze, die ich nicht überschreiten konnte.
Meine Stimme blieb gleichgültig. „Kannst du mir nicht einfach danken und
die Sache auf sich beruhen lassen?“
„Danke,“ sagte sie, tobte innerlich vor Wut und wartete.
„Du wirst es nicht auf sich beruhen lassen, oder?“
„Nein.“
„In dem Fall…“ Ich konnte ihr nicht mal die Wahrheit sagen, wenn ich es
gewollt hätte… und ich wollte nicht. Mir war es lieber, sie würde ihre eigene
Geschichte erzählen bevor sie erfuhr was ich war, denn nichts konnte schlimmer
sein, als die Wahrheit – ich war ein lebender Alptraum, direkt von den Seiten
eines Horrorromans. „Ich hoffe, du kannst mit Enttäuschungen umgehen.“
Wir starrten uns an. Es war seltsam wie liebenswert ihre Wut war. Wie ein
wütendes Kätzchen, sanft und harmlos, und so nichtsahnend von ihrer eigenen
Verletzbarkeit.
Sie lief rot an und biss wieder ihre Zähne zusammen. „Warum stört es dich
dann?“
Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Ich verlor die Rolle die ich spielte. Ich
fühlte wie die Maske von meinem Gesicht wich und sagte ihr – dieses eine mal –
die Wahrheit.
„Ich weiß es nicht.“
Ich brannte mir ihr Gesicht ein letztes Mal ein – es war immer noch wütend,
das Blut immer noch in den Wangen – und dann drehte ich mich um und ließ sie
stehen.
4. Visionen

Ich ging zurück zur Schule. Es war das einzig richtige, die unauffälligste Art sich
zu benehmen.
Gegen Ende des Tages waren fast alle Schüler wieder in die Schule
zurückgekehrt. Nur Tyler, Bella und ein paar andere – die den Unfall dazu nutzen
um zu schwänzen – blieben abwesend.
Es sollte nicht so schwer für mich sein, das richtige zu tun. Aber den
ganzen Nachmittag biss ich meine Zähne zusammen um gegen das Verlangen
anzukämpfen, dass in mir die Sehnsucht weckte auch zu schwänzen – um das
Mädchen wieder zu finden.
Wie ein Stalker. Ein besessener Stalker. Ein besessener Vampir-Stalker.
Schule war heute – irgendwie, unmöglich – noch langweiliger als letzte
Woche. Koma-mäßig. Es war als wäre sämtliche Farbe aus den Backsteinen
gewichen, und aus den Bäumen, dem Himmel, den Gesichtern um mich herum…
Ich starrte auf die Risse in der Wand.
Es gab noch etwas richtiges, das ich tun musste… das ich nicht tat.
Natürlich war es ebenso falsch. Es kam ganz auf den Blickwinkel an von dem aus
man es betrachtete.
Von der Perspektive eines Cullen – nicht nur eines Vampirs, sondern eines
Cullen, jemandem der zu einer Familie gehörte, so ein seltener Status in unserer
Welt – das richtige wäre ungefähr das:
„Ich bin überrascht, dich hier im Unterricht zu sehen, Edward. Ich hab
gehört du warst in diesen schlimmen Autounfall heute Morgen verwickelt.“
„Ja, das war ich Mr. Banner, aber ich hatte Glück.“ Ein freundliches
Lächeln. „Ich bin nicht verletzt worden… ich wünschte ich könnte das selbe von
Tyler und Bella behaupten.“
„Wie geht es ihnen?“
„Ich glaube Tyler geht es soweit gut… nur ein paar oberflächliche Kratzer
von der Windschutzscheibe. Aber bei Bella bin ich mir nicht sicher.“ Ein besorgter
Seufzer. „Sie hat vielleicht eine Gehirnerschütterung. Ich hörte sie war etwas
verwirrt – sah sogar Dinge. Ich weiß, dass die Ärzte besorgt waren…“
So hätte es laufen sollen. Das schuldete ich meiner Familie.
„Ich bin überrascht, dich hier im Unterricht zu sehen, Edward. Ich hab
gehört du warst in diesen schlimmen Autounfall heute Morgen verwickelt.“
„Ich bin nicht verletzt worden.“ Kein Lächeln.
Mr. Banner verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
„Weißt du wie es Tyler Crowley und Bella Swan geht? Ich hab gehört, es
gab einige Verletzungen…“
Ich zuckte mit den Schultern. „Davon weiß ich nichts.“
Mr. Banner räusperte sich. „Ähm ja, richtig…“ sagte er und mein kalter
Blick ließ seine Stimme angespannt klingen.
Er ging eilig wieder nach vorne und begann mit dem Unterricht.
Es war falsch. Es seih denn man betrachtete es aus einem undeutlicheren
Blickwinkel.
Es kam mir nur so… so unritterlich vor hinter dem Rücken des Mädchens
schlecht von ihr zu reden, besonders da sie sich als vertrauenswürdiger erwies
als ich mir hätte träumen lassen. Sie hatte nichts gesagt das mich verraten hätte,
obwohl sie guten Grund dazu gehabt hätte. Konnte ich sie verraten, wenn sie
nichts anderes getan hatte, als mein Geheimnis zu bewahren?
Ich hatte eine ähnliche Unterhaltung mit Mrs. Goff – nur auf Spanisch statt
englisch – und Emmett warf mir einen langen Blick zu.
Ich hoffe du hast eine gute Erklärung für das was heute passiert ist. Rose
ist auf dem Kriegspfad.
Ich verdrehte meine Augen ohne ihn anzuschauen.
Ich hatte mir schon eine perfekte Erklärung zurechtgelegt. Man stelle sich
nur mal vor, ich hätte nichts unternommen um den Van davon abzuhalten, das
Mädchen zu zerquetschen… spulte ich meine Ausrede in Gedanken ab. Aber
wenn sie getroffen worden wäre, wenn sie zerfleischt worden wäre und geblutet
hätte, die rote Flüssigkeit verschwendet auf der Teerdecke, der Geruch des
frischen Blutes der durch die Luft strömte…
Ich erzitterte, aber nicht nur vor grauen. Ein Teil von mir zitterte vor
Verlangen. Nein, ich wäre nicht in der Lage gewesen sie bluten zu sehen ohne
uns auf abscheulichere und schockierendere Weise zu entlarven.
Es war eine perfekte Ausrede… aber ich würde sie nicht gebrauchen. Es
wäre zu beschämend.
Und ehrlichgesagt, hatte ich erst lange nach der Aktion über diese
Möglichkeit nachgedacht.
Pass auf wegen Jasper, fuhr Emmett fort ohne meine Träumerei zu
bemerken. Er ist nicht so sauer… aber er ist fester entschlossen.
Ich verstand sofort was er meinte und für einen Moment verschwamm der
Raum vor meinen Augen. Meine Wut war so all-umfassend dass ein roter Dunst
meine Sicht vernebelte. Ich dachte ich würde daran ersticken.
PSSST, EDWARD! REISS DICH ZUSAMMEN! Brüllte Emmett mir in seinem
Kopf entgegen. Er legte seine Hand auf meine Schulter und hielt mich fest, bevor
ich aufspringen konnte. Er nutzte selten auch nur annähernd seine ganze Kraft –
das war nicht nötig, denn er war stärker als jeder Vampir den einer von uns
jemals kennengelernt hatte – aber jetzt nutzte er sie. Er packte meinen Arm, aber
drückte mich nicht runter. Wenn er gedrückt hätte, wäre der Stuhl unter mir
zusammengebrochen.
RUHIG! Befahl er.
Ich versuchte mich zu beruhigen aber es war schwer. Die Wut brannte in
meinem Kopf.
Jasper wird nichts unternehmen, bevor wir uns nicht alle miteinander
unterhalten haben. Ich dachte nur du solltest wissen, in welche Richtung er
tendiert.
Ich konzentrierte mich darauf, mich zu entspannen und fühlte wie Emmetts
Hand sich löste.
Versuch nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Du hast schon genug
Schwierigkeiten.
Ich atmete tief durch und Emmett ließ mich los.
Ich hörte mich routiniert im Klassenraum um, aber unsere
Auseinandersetzung war so kurz und leise , dass nur ein paar Leute die hinter
Emmett saßen, etwas mitbekommen hatten. Niemand wusste etwas damit
anzufangen, also ließen sie es auf sich beruhen. Die Cullens waren Freaks – jeder
wusste das bereits.
Verdammt, Junge, du bist ein Wrack, fügte Emmett noch hinzu mit
Verständnis in der Stimme.
„Beiß mich,“ murmelte ich und hörte ihn leise kichern.
Emmett verurteilte niemanden und ich sollte dankbarer sein für seine
einfache Natur. Aber ich konnte sehen, dass Jaspers Pläne für ihn einen Sinn
ergaben, dass es ihm vorkam wie die bestmöglichste Lösung.
Die Wut brodelte in mir, kaum unter Kontrolle. Ja, Emmett war stärker als
ich, aber er musste mich noch im Wrestling schlagen. Er beschwerte sich, ich
würde mogeln, aber die Gedanken von jemandem zu hören war genauso ein Teil
von mir, wie seine immense Kraft ein Teil von ihm war. Wir waren uns ebenbürtig
in einem Kampf.
Ein Kampf? Lief es darauf hinaus? Würde ich gegen meine Familie kämpfen
wegen einem Menschen den ich kaum kannte?
Für einen Moment dachte ich darüber nach, dachte an das Gefühl des
zerbrechlichen Körpers des Mädchens in meinen Armen im Vergleich zu Jasper,
Rose und Emmett – übernatürlich stark und schnell, von Natur aus Killer
Maschinen…
Ja, ich würde für sie kämpfen. Gegen meine Familie. Ich schauderte.
Aber es war nicht fair sie schutzlos zurück zu lassen, wenn ich sie in Gefahr
gebracht hatte.
Aber ich konnte auch nicht alleine gewinnen, nicht gegen alle drei und ich
fragte mich, wer auf meiner Seite stehen würde.
Carlisle, ganz sicher. Er würde gegen niemanden kämpfen, aber er wäre
absolut gegen Roses und Jaspers Vorschlag. Das war vielleicht alles was ich
brauchte. Wir würden sehen…
Esme, eher nicht. Sie wäre auch nicht gegen mich und sie würden es
hassen nicht mit Carlisle übereinzustimmen aber sie wäre für jeden Plan der ihre
Familie zusammenhalten würde. Ihre oberste Priorität wäre nicht Recht, sondern
ich. Wenn Carlisle die Seele unserer Familie war, dann war Esme das Herz. Er gab
uns einen Anführer der es verdiente, dass man ihm folgte; sie sorgte dafür dass
wir aus Liebe folgten. Wir liebten uns alle – sogar unter der Wut die ich im
Moment für Rose und Jasper verspürte, sogar während ich plante sie zu
bekämpfen um das Mädchen zu schützen, wusste ich, dass ich sie liebte.
Alice… ich hatte keine Ahnung. Es würde vermutlich davon abhängen, was
sie kommen sah. Sie würde auf der Seite des Siegers stehen, könnte ich mir
vorstellen.
Also würde ich ohne Hilfe auskommen müssen. Allein war ich kein Gegner
für sie, aber ich würde nicht zulassen, dass das Mädchen wegen mir verletzt
würde. Das könnte Ausweichmöglichkeiten bedeuten…
Meine Wut wurde von dem schwarzen Humor gedämpft. Ich konnte mir
vorstellen, wie das Mädchen reagieren würde, wenn ich sie entführte. Natürlich
riet ich selten richtig, wenn es um ihre Reaktionen ging – aber wie konnte sie
anders reagieren als mit Schrecken?
Ich war mir nicht sicher, wie ich das anstellen sollte – sie entführen. Ich
wäre nicht in der Lage lange in ihrer Nähe zu sein. Vielleicht würde ich sie einfach
zurück zu ihrer Mutter bringen. Aber auch das wäre sehr gefährlich. Für sie.
Und auch für mich, bemerkte ich plötzlich. Wenn ich sie aus Versehen
tötete… ich war mir nicht sicher, wie viel Schmerz mir das bereiten würde, aber
ich wusste, dass es vielfältig und intensiv sein würde.
Die Zeit verging schnell, während ich über all die Komplikationen
nachdachte, die vor mir lagen: die Auseinandersetzung die zu Hause auf mich
wartete, der Konflikt mit meiner Familie, die Schritte die ich anschließend
gezwungen wäre einzuleiten…
Naja, immerhin konnte ich mich nicht darüber beschweren, dass das Leben
außerhalb der Schule monoton wäre. Das Mädchen hatte so viel verändert.
Emmett und ich gingen schweigend zum Auto als die Schulglocke läutete.
Er machte sich Sorgen um mich und um Rosalie. Er wusste auf welcher Seite er
stehen musste, wenn es zum Streit kam, und es störte ihn.
Die anderen warteten im Wagen auf uns, ebenso still. Wir waren ein
ruhiges Grüppchen. Nur ich konnte das Geschrei hören.
Idiot! Wahnsinniger! Schwachkopf! Esel! Selbstsüchtiger,
unverantwortlicher Dummkopf! Rosalie feuerte eine Beleidigung nach der
anderen auf mich ab. Es machte es schwerer die anderen zu hören, aber ich
blendet sie aus so gut es ging.
Emmett hatte recht, was Jasper anging. Er war sich sicher, welchen Weg er
gehen würde.
Alice war aufgewühlt, besorgt um Jasper jagte sie durch Bilder in der
Zukunft. Egal aus welcher Richtung Jasper auf das Mädchen zuging, sah Alice
immer mich, wie ich ihn abwehrte. Interessant… weder Rosalie noch Emmett
waren bei ihm in dieser Vision. Also plante Jasper alleine vorzugehen. Das glich
die Sache aus.
Jasper war der beste, der erfahrenste Kämpfer unter uns. Mein einziger
Vorteil bestand darin, dass ich seine Bewegungen hören konnte, bevor er sie
machte.
Ich hatte nie ernsthaft mit Emmett oder Jasper gekämpft – nur
herumgealbert. Es gefiel mir nicht, dass ich Jasper wirklich verletzen müsste…
Nein, nicht das. Nur abwehren. Das war alles.
Ich konzentrierte mich auf Alice, wie sie sich Jaspers verschiedene
Angriffswege merkte.
Als ich das tat, veränderten sich ihre Visionen, entfernten sich immer
weiter von dem Swan-Haus. Ich würde ihn vorher ausschalten…
Hör auf damit, Edward! Das kann nicht passieren. Ich werde es nicht
zulassen.
Ich antwortete ihr nicht, ich sah nur weiter zu.
Sie begann weiter voraus zu suchen, in den verschwommenen, unsicheren,
weit entfernten Möglichkeiten. Alles war schattenhaft und vage.
Auf dem ganzen Heimweg löste sich die unangenehme Stille nicht auf. Ich
parkte in der großen Garage des Hauses; Carlisles Mercedes war da, neben
Emmetts großen Jeep, Roses M3 und meinem Vanquish. Ich war erleichtert, dass
Carlisle schon zu Hause war – diese Stille würde mit einer Explosion enden und
ich wollt ihn dabei haben, wenn das passierte.
Wir gingen direkt ins Essezimmer.
Der Raum wurde selbstverständlich nie für seinen eigentlichen Zweck
genutzt. Aber er war möbliert mit einem langen ovalen Mahagoni-Tisch, der von
Stühlen umgeben war – wir waren gewissenhaft darauf bedacht alle Requisiten
an ihrem Platz zu haben. Carlisle nutzte ihn gern als Konferenzraum. In eine
Gruppe voller starker und verschiedener Charaktere war es manchmal von Nöten
die Dinge in einer ruhigen, gesitteten Atmosphäre zu besprechen.
Ich hatte so das Gefühl, dass es heute nicht gesittet zugehen würde.
Carlisle saß an seinem üblichen Platz, am östlichen Kopfende des Tisches.
Esme saß neben ihm – sie hielten sich an den Händen.
Esmes Augen ruhten auf mir, die goldenen Tiefen voller Sorge.
Bleib. Es war ihr einziger Gedanke.
Ich wünschte ich könnte die Frau anlächeln die in so vielerlei Hinsicht
wirklich meine Mutter war, aber ich hatte jetzt keine beruhigenden Blicke für sie.
Ich setzte mich zu Carlisles anderer Seite. Esme streckte sich an ihm
vorbei um mir ihre freie Hand auf die Schulter zu legen. Sie hatte keine Ahnung,
was hier gleich passieren würde; sie machte sich bloß Sorgen um mich.
Carlisle hatte ein besseres Gefühl dafür, was gleich kommen würde. Er
presste seine Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Der Ausdruck war zu alt
für sein junges Gesicht.
Als die anderen sich setzten, konnte ich die Trennlinie die gezogen wurde
genau sehen.
Rosalie setzte sich gegenüber von Carlisle, ans andere Ende des langen
Tisches. Sie funkelte mich an und machte keine Anstalten wieder wegzusehen.
Emmett setze sich neben sie, sein Gesicht und seine Gedanken verdreht.
Jasper zögerte und stellte sich dann an die Wand hinter Rosalie. Seine
Entscheidung war gefallen, egal wie diese Diskussion ausging. Ich presste meine
Zähne zusammen.
Alice betrat als letzte den Raum, ihre Augen auf etwas in weiter Ferne
gerichtet – die Zukunft, immer noch zu verworren um einen Nutzen daraus ziehen
zu können. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie sich neben Esme. Sie rieb
sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. Jasper wurde unruhig, unsicher ob er
sich zu ihr setzten sollte, aber er behielt seinen Platz bei.
Ich atmete tief durch. Ich hatte das ganze Angefangen – ich sollte zuerst
reden.
„Es tut mir leid,“ sagte ich und schaute erst zu Rose, dann Jasper und dann
Emmett. „Ich wollte niemanden von euch in Schwierigkeiten bringen. Es war
gedankenlos und ich übernehme die volle Verantwortung für meine übereilte
Aktion.“
Rosalie funkelte mich unheilvoll an. „Was meinst du mit `volle
Verantwortung übernehmen`? Wirst du es wieder geradebiegen?“
„Nicht so wie du denkst,“ sagte ich und versuchte meine Stimme ruhig und
gleichmäßig zu halten. „Ich bin bereit zu gehen, wenn es die Lage verbessert.“
Wenn ich glaube, dass das Mädchen sicher ist, wenn ich glaube, dass keiner von
euch sie anfassen wird, fügte ich in meinem Kopf hinzu.
„Nein,“ murmelte Esme. „Nein, Edward.“
Ich tätschelte ihre Hand. „Es ist doch nur für ein paar Jahre.“
„Esme hat recht,“ sagt Emmett. „Du kannst jetzt nirgendwo hingehen. Das
wäre das Gegenteil von Hilfreich. Wir müssen wissen, was die Leute denken. Jetzt
mehr denn je.“
„Alice wird alles Wichtige auffangen,“ wiedersprach ich.
Carlisle schüttelte seinen Kopf, „Ich denke Emmett hat recht. Das Mädchen
wird eher reden, wenn du verschwindest. Entweder wir gehen alle, oder keiner.“
„Sie wird nichts sagen,“ beharrte ich schnell. Rose war kurz davor zu
explodieren und ich wollte diesen Fakt vorher loswerden.
„Du kennst ihre Gedanken nicht,“ erinnerte mich Carlisle.
„Aber das weiß ich. Alice, bestätige mich.“
Alice starrte mich resignierend an. „Ich kann nicht sehen, was passiert,
wenn wir das einfach ignorieren.“ Sie blickte kurz zu Rose und Jasper.
Nein, diese Zukunft konnte sie nicht sehen – nicht wenn Rosalie und Jasper
so entschieden dagegen waren die Sache zu ignorieren.
Rosalie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wir können dem
Menschen nicht die Chance lassen irgendetwas zu sagen. Carlisle das muss dir
klar sein. Selbst wenn wir beschließen würden alle zu verschwinden, ist es nicht
sicher Geschichten zurückzulassen. Wir leben so anders als der Rest von unserer
Art – du weißt, dass es genug gibt, die jeden Grund willkommen heißen um mit
dem Finger auf uns zu zeigen. Wir müssen noch vorsichtiger sein, als alle
anderen!“
„Wir haben schon oft Gerüchte zurückgelassen,“ erinnerte ich sie.
„Nur Gerüchte und Annahmen, Edward. Keine Augenzeugen und Beweise!“
„Beweise!“ höhnte ich.
Aber Jasper nickte, seine Augen waren unerbittlich.
„Rose…“ begann Carlisle.
„Lass mich ausreden Carlisle. Es muss keine große Sache werden. Das
Mädchen hat sich heute den Kopf angeschlagen. Vielleicht stellt sich heraus, dass
die Verletzung schwerer war, als sie auf den ersten Blick schien.“ Rosalie zuckte
mit den Schultern. „Jeder Sterbliche geht mit dem Risiko ins Bett nie wieder
aufzuwachen. Die anderen erwarten von uns, dass wir hinter uns aufräumen.
Technisch gesehen wäre es Edwards Job das zu tun, aber das übersteigt
offensichtlich seine Kräfte. Du weißt, dass ich mich unter Kontrolle habe. Ich
würde keine Beweise zurücklassen.“
„Ja, Rosalie, wir alle wissen was für ein professioneller Meuchelmörder du
bist,“ knurrte ich.
Sie zischte mich wütend an.
„Edward, bitte,“ sagte Carlisle. Dann wandte er sich zu Rosalie. „Rosalie,
ich habe in Rochester nicht hingesehen weil ich der Meinung war, dass du deine
Gerechtigkeit verdient hattest. Die Männer die du getötet hast, haben dir großes
Unrecht angetan. Aber das hier ist nicht dieselbe Situation. Das Swan-Mädchen
ist unschuldig.“
„Es ist nichts persönliches, Carlisle,“ sagte Rose durch ihre Zähne. „Es ist
zu unserem Schutz.“
Es folgte ein kurzer Moment der Stille, als Carlisle seine Antwort
überdachte. Als er nickte, leuchteten Rosalies Augen auf. Sie hätte es besser
wissen müssen. Selbst wenn ich nicht in der Lage gewesen wäre, seine Gedanken
zu lesen, hätte ich seine nächsten Worte vorhersagen können. Carlisle machte
keine Kompromisse.
„Ich weiß, dass du es nur gut meinst, Rosalie, aber… ich möchte, dass
meine Familie es verdient beschützt zu werden. Der gelegentliche… Unfall oder
Fehltritt ist ein bedauerlicher Teil dessen was wir sind.“ Es war so typisch für ihn,
sich mit einzubeziehen, obwohl er nie selbst so einen Fehltritt hatte. „Ein
unschuldiges Kind kaltblütig zu ermorden ist etwas ganz anderes. Ich denke, die
Gefahr, die sie bedeutet, egal ob sie ihre Vermutungen ausspricht oder nicht, ist
kein übergeordnetes Risiko. Wenn wir ausnahmen machen um uns selbst zu
schützen, riskieren wir etwas viel wichtigeres. Wir verlieren das Wesen das uns
ausmacht.“
Ich riss mich zusammen so gut ich konnte. Es würde der Situation nicht
guttun, wenn ich jetzt grinste. Oder applaudierte, was ich so gern getan hätte.
Rosalie knurrte. „Es wäre nur verantwortlich.“
„Es wäre hartherzig,“ korrigierte Carlisle sanft. „Jedes Leben ist wertvoll.“
Rosalie seufzte schwer und schob ihre Unterlippe vor. Emmett tätschelte
ihre Schulter. „Es wird alles gut werden Rose,“ ermutigter er sie mit sanfter
Stimme.
„Die Frage ist,“ sprach Carlisle weiter, „ob wir weiterziehen sollen?“
„Nein,“ stöhnte Rosalie. „Wir haben uns gerade eingelebt. Ich möchte nicht
schon wieder in meinem zweiten High School Jahr anfangen!“
„Du könntest dein jetziges Alter natürlich beibehalten,“ sagte Carlisle.
„Um dann noch früher wieder wegzuziehen?“ konterte sie.
Carlisle zuckte mit den Schultern.
„Ich mag es hier! Hier scheint so selten die Sonne, wir sind fast normal.“
„Naja, wir müssen uns ja nicht gleich entscheiden. Wir können abwarten
und sehen ob es nötig ist. Edward scheint sich sicher zu sein, dass das Swan-
Mädchen nichts sagen wird.“
Rosalie schnaubte.
Aber um Rose machte ich mir keine Sorgen mehr. Ich konnte sehen, dass
sie sich Carlisles Entscheidung beugte, egal wie sauer sie auf mich war. Ihr
Gespräch ging mit unwichtigen Details weiter.
Jasper verharrte bewegungslos.
Ich verstand warum. Bevor er und Alice sich getroffen hatten, hatte er in
einem Kriegsgebiet gelebt, es war ein unbarmherziger Krieg. Er kannte die
Konsequenzen wenn man die Regeln brach – er hatte die grausamen
Nachwirkungen mit eigenen Augen gesehen.
Es hatte eine Menge ausgesagt, dass er Rosalie nicht mit seinen
besonderen Fähigkeiten beruhigt hatte, und es auch jetzt noch nicht tat. Er hielt
sich aus der Diskussion raus – stand darüber.
„Jasper,“ sagte ich.
Er erwiderter meinen Blick mit ausdruckslosem Gesicht.
„Sie wird nicht für meinen Fehler bezahlen. Das werde ich nicht zulassen.“
„Dann profitiert sie daraus? Sie hätte heute sterben sollen, Edward. Ich
würde das nur berichtigen.“
Ich wiederholte mich und betonte jedes Wort. „Ich werde es nicht
zulassen.“
Er hob überrascht die Augenbrauen. Damit hatte er nicht gerechnet – er
hätte nicht geglaubt dass ich ihn stoppen würde.
Er schüttelte einmal seinen Kopf. „Und ich werde nicht zulassen, dass Alice
in Gefahr gerät, nicht mal den Hauch einer Gefahr. Du empfindest nicht das
gleiche für jemanden was ich für sie empfinde, Edward, und du hast nicht
durchgemacht, was ich durchmachen musste, egal ob du meine Erinnerungen
gesehen hast, oder nicht. Du verstehst es nicht.“
„Ich werde darüber nicht mit dir diskutieren, Jasper. Aber ich sage es dir
jetzt noch einmal, Ich werde nicht zulassen, dass du Isabella Swan verletzt.“
Wir starrten uns an – nicht funkelnd, sondern um den Gegner
abzuschätzen. Ich spürte wie er die Stimmung um mich herum abtastete, um
meine Entschlossenheit zu prüfen.
„Jazz,“ unterbrach Alice uns.
Er erwiderte meinen Blick noch einen Moment länger und wandte sich
dann Alice zu. „Du brauchst mir nicht zu erzählen, dass du dich selber schützen
kannst, Alice. Das weiß ich. Dennoch muss ich…“
„Das wollte ich gar nicht sagen,“ unterbrach Alice. „Ich wollte dich um
einen Gefallen bitten.“
Ich sah was sie vorhatte und mein Unterkiefer klappte auf mit einem lauten
Japsen. Ich starrte sie an, geschockt, mir war nur vage bewusst, dass alle außer
Alice und Jasper mich vorsichtig anschauten.
„Ich weiß, dass du mich liebst. Danke. Aber es wäre mir wirklich lieber,
wenn du versuchen könntest, Bella nicht zu töten. Erstens, Edward ist sich sicher
und ich möchte nicht dass ihr beide euch bekämpft. Zweitens, sie ist meine
Freundin. Oder besser, sie wird es sein.“
Es war glasklar in ihrem Kopf: Alice, lächelnd, mit ihrem eisigen Arm auf
den warmen, zerbrechlichen Schultern des Mädchens. Und Bella lächelte auch.
Ihr Arm um Alices Hüfte.
Die Vision war felsenfest; nur der Zeitpunkt war noch unklar.
„Aber… Alice…“ keuchte Jasper. Ich war nicht in der Lage meinen Kopf zu
drehen um seinen Gesichtsausdruck zu erkenne. Ich konnte mich nicht von dem
Bild in Alices Kopf losreißen um seinen zu sehen.
„Ich werde sie eines Tages lieben, Jazz. Ich wäre sehr verärgert, wenn du
sie nicht in Ruhe lässt.“
Ich war immer noch gefangen in Alices Gedanken. Ich sah wie die Zukunft
schimmerte, als Jaspers Entschluss wankte bei ihrer unerwarteten Bitte.
„Ah,“ seufzte sie – seine Unentschlossenheit hatte eine neue Zukunft
hervorgebracht. „Seht ihr? Bella wird nichts sagen. Wir haben nichts zu
befürchten.“
Wie sie den Namen des Mädchens sagte… als wären sie längst enge
Vertraute…
„Alice,“ würgte ich hervor. „Was… soll das…?“
„Ich hab dir gesagt, dass eine Veränderung ansteht. Ich weiß es nicht,
Edward.“ Aber sie schloss ihren Mund, und ich konnte sehen, dass da noch mehr
dahintersteckte. Sie versuchte nicht daran zu denken; sie konzentrierte sich jetzt
auf Jasper, obwohl er zu perplex war um irgendwelche Entscheidungen zu treffen.
Das machte sie manchmal wenn sie versuchte, etwas vor mir zu
verbergen.
„Was, Alice? Was versteckst du?“
Ich hörte Emmett grummeln. Es frustriete ihn jedesmal wenn Alice und ich
diese Art von Unterhaltung führten.
Sie schüttelte ihren Kopf und versuchte mich nicht rein zulassen.
„Geht es um das Mädchen?“ verlangte ich zu wissen. „Geht es um Bella?“
Sie biss ihre Zähne zusammen vor Konzentration, aber als ich Bellas
Namen aussprach, rutschte sie ab. Der Ausrutscher dauerte nur den Bruchteil
einer Sekunde, aber das war lange genug.
„NEIN!“ schrie ich. Ich hörte wie mein Stuhl auf den Boden aufschlug und
erst da bemerkte ich, dass ich aufgesprungen war.
„Edward!“ Carlisle war auch aufgestanden und legte seinen Arm auf meine
Schulter. Ich nahm ihn kaum war.
„Es festigt sich,“ flüsterte Alice. „Jede Minute wirst du entschlossener. Es
gibt nur noch zwei Wege für sie. Der eine oder der andere, Edward.“
Ich konnte sehen, was sie sah… aber ich konnte es nicht akzeptieren.
„Nein,“ sagte ich wieder; mein Widerspruch war kraftlos. Meine Beine
fühlten sich dumpf an und ich musste mich auf dem Tisch abstützen.
„Könnte uns bitte irgendwer in das Geheiminis einweihen?“ beschwerte
sich Emmett.
„Ich muss gehen,“ flüsterte ich zu Alice und ignorierte ihn.
„Edward, das Thema haben wir hinter uns,“ sagte Emmett laut. „Das ist
der beste Weg um das Mädchen zum Reden zu bringen. Abgesehen davon, wenn
du weg bist, werden wir nicht mit Sicherheit wissen, ob sie redet oder nicht. Du
musst bleiben und damit klar kommen.“
„Ich sehe dich nirgendwo hingehen, Edward,“ erklärte mir Alice. „Ich weiß
nicht, ob du noch weggehen kannst.“ Denk darüber nach, fügte sie stumm hinzu.
Denk darüber nach zu gehen.
Ich verstand was sie meinte. Ja der Gedanke, das Mädchen nie wieder zu
sehen war… Schmerzhaft. Aber es war nötig. Ich konnte keine der
Zukunftsmöglichkeiten bewilligen zu der ich sie offensichtlich verdammt hatte.
Ich bin mir nicht sicher wegen Jasper, Edward, dachte Alice weiter. Wenn
du weggehst, wenn er glaubt sie ist eine Gefahr für uns…
„Das höre ich nicht,“ wiedersprach ich ihr und nahm das Publikum um uns
herum immer noch nicht wirklich war. Jasper schwankte. Er würde nichts tun,
dass Alice verletzten konnte.
Nicht in diesem Moment. Würdest du ihr Leben riskieren und sie schutzlos
zurücklassen?
„Warum tust du mir das an?“ ächzte ich. Mein Kopf fiel in meine Hände.
Ich war nicht Bellas Beschützer. Das konnte ich nicht sein. War Alices
geteilte Zukunft für Bella nicht der beste Beweis dafür?
Ich liebe sie auch. Oder ich werde. Es ist nicht dasselbe, aber ich möchte
sie hier haben, damit es passiert.
„Liebe sie auch?“ flüsterte ich ungläubig.
Sie seufzte. Du bist so blind, Edward. Kannst du nicht sehen, wo du
hinsteuerst? Kannst du nicht sehen, wo du bereits bist? Es ist unausweichlicher,
als die Tatsache, dass die Sonne im Osten aufgeht. Sieh, was ich sehe…
Ich schüttelte entsetzt meinen Kopf. „Nein.“ Ich versuchte die Vision
auszublenden, die sie mir offenbarte. „Ich muss diesem Kurs nicht folgen. Ich
werde gehen. Ich werde die Zukunft ändern.“
„Du kannst es versuchen,“ sagte sie, ihre Stimme klang skeptisch.
„Ach, kommt schon!“ bellte Emmett.
„Pass doch mal auf,“ zischte Rose ihn an. „Alice sieht, dass er sich in einen
Menschen verknallt! Das ist so klassisch, Edward!“ sie gluckste.
Ich hörte sie kaum.
„Was?“ sagte Emmett erschrocken. Dann hallte sein donnerndes Gelächter
durch den Raum. „Das ist es was hier vor sich geht?“ er lachte wieder. „Ein
krasser Bruch, Edward.“
Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter, und schüttelte sie ab. Ich
konnte ihm jetzt keine Aufmerksamkeit schenken.
„Verknallt sich in einen Menschen?“ widerholte Esme verblüfft. „In das
Mädchen, das er heute gerettet hat? Er verliebt sich in sie?“
„Was siehst du, Alice? Ganz genau,“ verlangte Jasper zu wissen.
Sie drehte sich zu ihm um; Ich starrte immer noch benommen auf ihr Profil.
„Es hängt alles davon ab, ob er stark genug ist, oder nicht. Entweder wird
er sie selbst töten“ – sie drehte sie wieder um und erwiderte meinen Blick,
strahlend – „was mich wirklich irritieren würde, Edward, wenn man bedenkt, was
das für dich bedeuten würde…“ dann wandte sie sich wieder an Jasper, „oder sie
wird eines Tages eine von uns sein.“
Irgendjemand japste; ich schaute nicht auf um zu sehen, wer es war.
„Das wird nicht passieren!“ Schrie ich wieder. „Beides nicht!“
Alice schien mich nicht zu hören. „Es kommt alles darauf an,“ wiederholte
sie. „Er wird vielleicht gerade eben stark genug sein, sie nicht zu töten – aber es
wird knapp. Es wird eine unglaubliche Selbstkontrolle verlangen,“ sinnierte sie.
„Sogar noch mehr als Carlisle aufbringen kann. Er wird so eben stark genug
sein… Das einzige wofür er nicht stark genug ist, ist sich von ihr fernzuhalten.
Das ist ein vergeblicher Kampf.“
Ich fand keine Worte. Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Der Raum
war stumm.
Ich starrte zu Alice und alle anderen starrten mich an. Ich konnte meinen
eigenen entsetzten Gesichtsausdruck aus fünf verschiedenen Blickwinkeln sehen.
Nach einer langen Pause seufzte Carlisle.
„Naja das… macht die Dinge komplizierter.“
„Würd ich auch sagen,“ stimmte Emmett zu. Seine Stimme klang immer
noch belustigt. Man konnte darauf vertrauen, dass Emmett sogar den Witz in der
Zerstörung meines Lebens finden würde.
„Ich denke, die Pläne sind immer noch die selben,“ sagte Carlisle
gedankenverloren. „Wir bleiben und beobachten. Selbstverständlich wird
niemand das Mädchen… verletzten.“
Ich versteifte mich.
„Nein,“ sagte Jasper leise. „Dem kann ich zustimmen. Wenn Alice nur diese
zwei Möglichkeiten sieht…“
„Nein!“ Meine Stimme war kein Brüllen, oder Knurren, oder
Verzweiflungsschrei, aber irgendeine Mischung aus allen dreien. „Nein!“
Ich musste raus, weg von dem Lärm ihrer Gedanken – Rosalies
selbstgefälliger Ekel, Emmetts Humor, Carlisles nie endende Geduld…
Noch schlimmer: Alice Überzeugung. Jaspers Überzeugung von dieser
Überzeugung.
Am schlimmsten von allen: Esmes… Freude.
Ich stolperte aus dem Raum. Esme berührte meinen Arm, als ich an ihr
vorbei lief, aber ich beachtete die Geste nicht.
Ich rannte noch bevor ich zur Tür hinaus war. Ich überquerte den Fluss mit
einem Satz und rannte in den Wald. Der Regen war zurück und ergoss sich so
stark, dass ich innerhalb weniger Momente durchnässt war. Ich mochte den
dicken Regenvorhang – er zog eine Mauer zwischen mir und dem Rest der Welt
hoch. Sie umschloss mich, ließ mich allein sein.
Ich rannte nach Osten, über und durch die Berge ohne von meinem Kurs
abzukommen, bis ich die Lichter von Seattle vor mir sah. Ich hielt an bevor ich
die Grenze zu menschlicher Zivilisation überschritt.
Eingeschlossen vom Regen, ganz allein, war ich endlich bereit, mich damit
auseinander zu setzen, was ich angerichtet hatte – wie ich die Zukunft geteilt
hatte.
Zuerst die Vision von Alice und dem Mädchen, wie sie sich umarmten – das
Vertrauen und die Freundschaft waren so offensichtlich, sie sprangen einen
regelrecht an. Bellas große Schokoladen-Augen waren nicht perplex in dieser
Vision, aber immer noch voller Geheimnisse – in diesem Moment schienen es
glückliche Geheimnisse zu sein. Sie schreckte nicht zurück vor Alices kaltem Arm.
Was hatte das zu bedeuten? Wie viel wusste sie? In diesem Still-Leben der
Zukunft, was dachte sie da über mich?
Dann das andere Bild, fast das gleiche, nun von Horror gezeichnet. Alice
und Bella, ihre arme immer noch in vertrauter Freundschaft umeinander gelegt.
Aber jetzt gab es keinen Unterschied zwischen diesen Armen – beide waren weiß,
eben und marmorn, hart wie Stahl. Bellas große Augen waren nicht mehr
Schokoladenbraun. Die Iris waren schockierend anschaulich blutrot. Die
Geheimnisse darin waren unergründlich – Akzeptanz oder Trostlosigkeit? Es war
unmöglich zu sagen. Ihr Gesicht war kalt und unsterblich.
Ich zuckte zusammen. Ich konnte die Frage nicht unterdrücken, ähnlich,
aber anders: Was hatte es zu bedeuten – wie war es dazu gekommen? Und was
dachte sie jetzt von mir?
Die letzte konnte ich beantworten. Wenn ich sie in dieses leere halbe
Leben zwang, aufgrund meiner Schwäche und meines Egoismus, würde sie mich
sicher hassen.
Aber da war noch ein entsetzliches Bild – schlimmer als jedes andere Bild,
dass ich je in meinem Kopf hatte.
Meine eigenen Augen, dunkelrot von menschlichem Blut, die Augen des
Monsters. Bellas zerstörter Körper in meinen Armen, aschfahl, ausgesaugt, leblos.
Es war so konkret, so klar.
Ich hielt es nicht aus, das zu sehen. Konnte es nicht ertragen. Ich
versuchte es aus meinen Gedanken zu vertreiben, versuchte etwas anderes zu
sehen, irgendetwas anderes. Versuchte den Ausdruck auf ihrem lebendigen
Gesicht zu sehen der meine Sicht im letzten Kapitel meines Lebens blockiert
hatte. Alles vergebens.
Alices trostlose Vision füllte meinen Kopf aus und ich krümmte mich
innerlich aufgrund der Höllenqualen die sie auslösten. Währenddessen schäumte
das Monster in mir über vor Freude, jubilierte über die Wahrscheinlichkeit seines
Erfolges. Es machte mich krank.
Das konnte nicht gestattet werden. Es musste einen Weg geben, die
Zukunft zu überlisten. Ich würde mich nicht von Alices Visionen leiten lassen. Ich
konnte einen anderen Weg wählen. Es gab immer eine Wahl.
Es musste eine Wahl geben.
5. Einladungen

High School. Nicht länger nur das Fegefeuer, sondern die pure Hölle. Qual und
Feuer… ja, ich hatte beides.
Ab jetzt machte ich alles richtig. Jedes „i“ bekam seinen Punkt, jedes „t“
seinen Strich. Niemand konnte mir vorwerfen ich würde mich vor der
Verantwortung drücken.
Esme zuliebe und um die anderen zu beschützen, blieb ich in Forks. Ich
ging zu meinem alten Tagesablauf über. Ich jagte nicht mehr als die anderen.
Jeden Tag ging ich zur High School und benahm mich menschlich. Jeden Tag
lauschte ich auf Neuigkeiten über die Cullens – es gab nie etwas Neues. Das
Mädchen hatte nicht ein Wort über ihre Beobachtungen verloren. Sie wiederholte
dieselbe Geschichte, immer und immer wieder – ich stand neben ihr und hab sie
zur Seite gerissen – bis ihre Zuhörer gelangweilt aufgaben noch mehr Fragen zu
stellen. Es bestand keine Gefahr. Mein übereiltes Handeln hatte niemandem
geschadet.
Niemandem außer mir.
Ich war fest entschlossen, die Zukunft zu ändern. Nicht gerade die
einfachste Aufgabe, die man sich selbst stellen konnte, aber es gab keine andere
Wahl mit der ich hätte leben können.
Alice sagte, ich wäre nicht stark genug um mich von dem Mädchen fern zu
halten. Ich würde ihr das Gegenteil beweisen.
Ich dachte, der erste Tag würde der schwerste sein. Am Ende des Tages,
war ich mir dessen sicher. Aber ich lag falsch.
Ich hatte Skrupel weil ich wusste, dass ich das Mädchen verletzten würde.
Ich beruhigte mich indem ich mir einredete, dass ihr Schmerz nicht schlimmer
war als ein Nadelstich – nur ein kleiner Stich – im Vergleich zu meinem. Bella war
ein Mensch und sie wusste, dass ich etwas anderes war, etwas falsches, etwas
beängstigendes. Sie würde vermutlicher eher erleichtert sein als verletzt, wenn
ich sie nicht mehr beachtete und so tat als würde sie nicht existieren.
„Hallo, Edward,“ grüßte sie mich an diesem ersten Tag in Biologie. Ihre
Stimme war lieblich, freundlich, eine hundertachtzig Grad Wendung im Vergleich
zum letzten Mal als ich mit ihr gesprochen hatte.
Warum? Was hatte die Veränderung zu bedeuten? Hatte sie es vergessen?
Sich entschieden, dass sie sich alles nur eingebildet hatte? Hatte sie mir
möglicherweise verziehen, dass ich mein Versprechen nicht gehalten hatte?
Die Fragen brannten in mir, wie der Durst der mich durchfuhr, jedesmal
wenn ich einatmete.
Nur einmal in ihre Augen blicken. Nur um zu sehen, ob ich darin die
Antworten lesen konnte…
Nein, ich konnte mir nicht mal das erlauben. Nicht, wenn ich die Zukunft
verändern wollte.
Ich nickte kurz in ihre Richtung ohne meinen Blick von der Tafel
abzuwenden.
Sie sprach mich nicht mehr an.
An diesem Nachmittag, sobald die Schule vorbei war und ich meine Rolle
gespielt hatte, rannte wieder nach Seattle, genau wie am Tag zuvor. Ich kam mir
so vor, als könnte ich mit dem schmerzenden Durst besser umgehen, wenn ich
über den Boden dahinflog und alles um mich herum in eine grüne Masse
verwandelte.
Dieser Lauf wurde eine tägliche Angewohnheit.
Liebte ich sie? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Noch nicht. Alices
flüchtige Einblicke in diese Zukunft verfolgten mich und ich konnte sehen wie
leicht es wäre, sich in Bella zu verlieben. Es war genau wie fallen: mühelos. Es
nicht zuzulassen, war das Gegenteil von fallen – es war als würde ich mich einen
Steilhang hinauf schleppen, eine Hand nach der anderen, und genauso
anstrengend als wäre ich nicht stärker als jeder Sterbliche.
Mehr als einen Monat verging und es wurde immer schwieriger. Das ergab
keinen Sinn – ich wartete darauf, darüber hinweg zu kommen, dass es leichter
wurde. Das musste Alice gemeint haben, als sie vorhergesehen hatte, dass ich
nicht in der Lage sein würde, mich von dem Mädchen fern zu halten. Sie hatte
das Ausmaß der Schmerzen gesehen. Aber ich konnte Schmerzen ertragen.
Ich würde Bellas Zukunft nicht zerstören. Wenn es mein Schicksal war, sie
zu lieben, war dann nicht das Beste was ich tun konnte, sie zu meiden?
Sie zu meiden, war das die Grenze von dem was ich ertragen konnte? Ich
konnte so tun, als würde ich sie ignorieren, und nie in ihre Richtung schauen. Ich
konnte so tun, als würde sie mich nicht interessieren. Das war das äußerste, so
zu tun, aber nicht die Wahrheit.
Ich sog immer noch jeden ihrer Atemzüge auf, jedes Wort, das sie sagte.
Ich teilte meine Qual in vier Kategorien ein.
Die ersten beiden waren bekannt. Ihr Duft und ihre Stille. Oder besser – ich
trug die Verantwortung auf meinen eigenen Schultern wo sie hingehörte – mein
Durst und meine Neugierde.
Der Durst war die größte Qual. Ich gewöhnte mir an in Biologie nicht mehr
zu atmen. Natürlich gab es Ausnahmen – wenn ich eine Frage beantworten
musste oder sowas in der Art, und ich etwas Luft brauchte um zu sprechen.
Jedesmal schmeckte ich die Luft um das Mädchen, es war wie am ersten Tag –
Feuer und Verlangen und verzweifelte Gewalt die danach verlangte
auszubrechen. In diesen Momenten war es hart auch nur darüber nachzudenken
zu wiederstehen. Und genau wie an diesem ersten Tag, knurrte das Monster in
mir ganz dicht an der Oberfläche…
Die Neugierde war die Konstanteste Qual. Die Frage schwirrte immer in
meinem Kopf: Was denkt sie gerade? Wenn ich sie leise seufzen hörte. Wenn sie
abwesend mit einer Strähne ihres vollen Haares spielte. Wenn sie ihre Bücher
lauter auf den Tisch fallen ließ, als sonst. Wenn sie zu spät in den Unterricht
hetzte. Wenn sie mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden klopfte. Jede ihrer
Bewegungen, die ich mit meiner Gabe beobachtete, war ein quälendes
Geheimnis. Wenn sie mit den anderen menschlichen Schülern sprach analysierte
ich jedes Wort und jeden Tonfall. Sagte sie, was sie dachte, oder was sie glaubte,
sagen zu müssen? Oft hörte es sich für mich so an, als würde sie ihren Zuhören
das sagen, was sie hören wollten, was mich an meine Familie und ihr alltägliches
Leben voller Illusionen erinnerte – wir waren besser darin, als sie. Es seih denn
ich lag falsch, ich interpretierte nur. Warum sollte sie eine Rolle spielen müssen?
Sie war eine von ihnen – ein menschlicher Teenager.
Mike Newton war die größte Überraschung meiner Qualen. Wer hätte
gedacht, dass so ein gewöhnlicher, langweiliger Sterblicher so ärgerlich sein
konnte? Um ehrlich zu sein, hätte ich diesem nervenden Jungen dankbar sein
sollen; er brachte sie mehr zum Reden als die anderen. Ich lernte so viel über sie
durch diese Unterhaltungen – ich vervollständigte immer noch meine Liste – aber
andererseits, Mikes Hilfe bei diesem Projekt verärgerte mich nur noch mehr. Ich
wollte nicht, dass Mike derjenige war der ihre Geheimnisse lüftete. Das wollte ich
selbst tun.
Es half, dass er ihre kleinen Offenbarungen, ihre kleinen Ausrutscher nicht
bemerkte. Er wusste nichts über sie. Er erschaffte sich eine Bella die nicht
existierte – ein Mädchen genauso gewöhnlich wie er selbst. Er hatte die
Selbstlosigkeit, den Mut, der sie von allen anderen Menschen unterschied nicht
bemerkt, er konnte den unnormalen Ablauf ihrer ausgesprochenen Gedanken
nicht hören. Er bemerkte nicht, dass sie sich eher anhörte wie ein Elternteil dass
von seinem Kind erzählt, als andersherum, wenn sie über ihre Mutter sprach –
liebend, nachsichtig, leicht amüsiert und sehr beschützerisch. Er hörte nicht die
Geduld in ihrer Stimme, wenn sie Interesse an seinen weitläufigen Geschichten
vorgab, und dachte nicht an die Güte hinter dieser Geduld.
Durch die Unterhaltung mit Mike, konnte ich die wichtigste ihrer Qualitäten
zu meiner Liste hinzufügen, die aufschlussreichste von allen, so simpel wie sie
selten war. Bella war gut. Alle anderen Dinge fügten sich zu einem ganzen
zusammen – gütig und bescheiden und selbstlos und liebevoll und mutig – sie
war durch und durch gut.
Diese hilfreichen Entdeckungen ließen mich gegenüber dem Junge nicht
auftauen, warum auch immer. Diese besessene Art mit der er Bella ansah – als
wäre sie eine Eroberung die er machen musste – provozierte mich fast so sehr
wie die geschmacklosen Fantasien die er über sie hatte. Er wurde sich ihrer
immer sicherer, während die Zeit verging, denn sie schien ihn seinen erdachten
Rivalen vorzuziehen – Tyler Crowley, Eric Yorkie und sogar, nur sporadisch, meine
Wenigkeit. Er saß jeden Tag routiniert auf ihrer Seite unseres Tisches und
quatschte mit ihr, ermutigt durch ihr lächeln. Nur ein höfliches Lächeln, redete
ich mir ein. Es war jedes Mal dasselbe, ich amüsierte mich bei der Vorstellung ihn
quer durch den Raum an die hintere Wand zu schleudern… es würde ihn
vermutlich nicht allzu schwer verletzen…
Mike dachte nicht an mich als Rivale. Nach dem Unfall dachte er, Bella und
ich wären durch die Erfahrung zusammengeschweißt, aber offensichtlich war das
Gegenteil der Fall. Damals hatte es ihn noch gestört, dass ich Bella dazu
auserkoren hatte, ihr meine Aufmerksamkeit zu schenken. Aber jetzt ignorierte
ich sie genauso konsequent wie alle anderen und damit war er zufrieden.
Was dachte sie jetzt? Begrüßte sie seine Aufmerksamkeit?
Und zum Schluss, die letzte meiner Qualen, die schmerzvollste: Bellas
Gleichgültigkeit. Wenn ich sie ignorierte, ignorierte sie mich. Sie versucht nicht
noch einmal mit mir zu sprechen. Und soweit ich es beurteilen konnte, dachte sie
auch nicht an mich.
Das hätte mich verrückt gemacht – oder sogar meine Entschlossenheit
gebrochen, die Zukunft ändern zu wollen – wenn sie mir nicht manchmal die
gleichen verstohlenen Blicke zugeworfen hätte, wie früher. Ich sah es nicht
selbst, da ich mir nicht erlauben konnte sie anzusehen, aber Alice warnte uns
jedesmal wenn sie kurz davor war zu uns herüberzusehen; die anderen waren
immer noch misstrauisch weil das Mädchen zu viel wusste.
Es milderte die Schmerzen ein wenig, zu wissen, dass sie mich hin und
wieder aus der Ferne beobachtete. Natürlich war es möglich, dass sie nur
darüber nachdachte, was für ein Freak ich war.
„Bella wird in etwa einer Minute zu Edward blicken. Seht normal aus,“
sagte Alice an einem Dienstag im März und die anderen waren darauf bedacht
auf ihren Plätzen herumzurutschen und sich wie Menschen zu benehmen;
konsequentes Stillsitzen war typisch für unsere Art.
Ich achtete darauf, wie oft sie in meine Richtung sah. Es beruhigte mich,
obwohl es das nicht sollte, dass ihre Häufigkeit nicht nachließ, als die Zeit
verstrich. Ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, aber es fühlte sich gut an.
Alice seufzte. Ich wünschte…
„Halt dich da raus, Alice,“ presste ich hervor. „Es wird nicht passieren.“
Sie schmollte. Alice sehnte sich danach, sich mit dem Mädchen
anzufreunden, so wie sie es in ihrer Vision gesehen hatte. Auf eine seltsame Art
und Weise vermisste sie das Mädchen, dass sie gar nicht kannte.
Ich gebe zu, du bist besser, als ich gedacht hätte. Du hast die Zukunft
wieder verschwommen und sinnlos werden lassen. Bist du jetzt zufrieden?
„Für mich ergibt sie eine Menge Sinn.“
Sie schnaubte verächtlich.
Ich versuchte sie auszublenden, ich war zu ungeduldig für eine
Unterhaltung. Meine Stimmung war nicht gerade die beste – angespannter als ich
irgendeinem von ihnen zeigte. Nur Jasper wusste wie sehr ich mich wandte, er
fühlte den Stress den ich ausstrahlte aufgrund seiner besonderen Fähigkeit die
Gefühle anderer zu ertasten und zu beeinflussen. Er verstand den Grund für diese
Gefühle nicht, und – da ich ständig schlecht gelaunt war in den letzten Tagen –
ignorierte er es.
Heute würde ein harter Tag werden. Schlimmer als der Tag zuvor.
Mike Newton, der verhasste Typ mit dem ich es mir nicht erlauben konnte
zu konkurrieren, hatte vor, Bella heute nach einem Date zu fragen.
Ein Ball mit Damenwahl stand aus und er hatte gehofft, dass Bella ihn
fragen würde. Dass sie es bisher noch nicht getan hatte, verunsicherte ihn. Jetzt
war er hin und her gerissen – ich freute mich über seine Probleme, was ich nicht
sollte – denn Jessica Stanley hatte ihn gefragt, ob er mir ihr zu diesem Ball gehen
würde. Er wollte nicht „ja“ sagen, da er immer noch hoffte, dass Bella ihn fragen
würde (und ihn darin bestätigte, dass er seine Rivalen besiegt hatte), aber er
wollte auch nicht „nein“ sagen und somit ganz auf den Ball verzichten, falls Bella
ihn nicht fragte. Jessica, verletzt durch sein Zögern und wohlwissentlich was der
Grund dafür war, warf in Gedanken mit Messern nach Bella. Und wieder hatte ich
das Verlangen mich zwischen Bella und Jessicas feindselige Gedanken zu werfen.
Ich Verstand diesen Instinkt jetzt besser, aber das machte es nur noch
frustrierender, dass ich ihm nicht nachgeben konnte.
Daran zu denken, dass es soweit gekommen war! Jetzt war ich ein Teil
dieser belanglosen High School Dramen, die ich sonst so sehr verachtet hatte.
Mike nahm all seinen Mut zusammen, als er in Biologie zu Bella
hinüberging. Ich lauschte seinen Schritten und erwartete seine Ankunft. Der
Junge war schwach. Er hatte darauf gewartet, dass sie ihn um dieses Date bitten
würde, aus Angst, seine Verliebtheit bekannt zu geben bevor sie ihm nicht ein
Zeichen gegeben hätte, das sie auf Gegenseitigkeit beruht. Er wollte keine
Zurückweisung einstecken, ihm wäre es lieber, wenn sie den ersten Schritt
machte.
Feigling.
Er setzte sich wieder auf unseren Tisch und fühlte sich direkt besser
aufgrund der vertrauten Situation. Ich malte mir aus, welches Geräusch sein
Körper wohl machte, wenn er die gegenüberliegende Wand mit solcher Wucht
traf, dass fast alle seine Knochen auf einmal brechen würden.
„Also,“ sagte er mit gesenktem Blick zu dem Mädchen. „Jessica hat mich
gefragt, ob ich mit ihr zum Frühlingsball gehe.“
„Das ist ja toll,“ antwortete Bella sofort enthusiastisch. Es war schwer nicht
zu lächeln, als Mike sich ihres Tonfalls bewusst wurde. Er hatte mit Betroffenheit
gerechnet. „Ihr werdet sicher eine Menge Spaß haben.“
Er rang nach der richtigen Antwort. „Naja…“ zögerte er und wäre fast zu
feige gewesen es auszusprechen. Dann sammelte er sich. „Ich hab ihr gesagt,
dass ich darüber nachdenke.“
„Warum solltest du so etwas tun?“ verlangte sie zu wissen. Ihr Tonfall
hatte etwas missbilligendes, aber auch einen kleinen Funken Erleichterung.
Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Ein unerwartet heftiger Anflug
von Wut ließ mich meine Hände zu Fäusten ballen.
Mike hörte die Erleichterung nicht. Sein Gesicht war rot angelaufen – ich
war plötzlich angespannt, das wirkte wie eine Einladung – und er sah wieder zu
Boden als er weitersprach.
„Ich hab mich gefragt, ob… naja, ob du nicht vielleicht vorhattest, mich zu
fragen.“
Bella zögerte.
In diesem kurzen Moment ihres Zögerns, sah ich die Zukunft viel klarer als
Alice sie jemals gesehen hatte.
Es war egal, ob sie Mikes unausgesprochene Frage mit Ja beantwortete
oder nicht, denn irgendwann würde sie zu irgendjemandem ja sagen. Sie war
liebenswert und faszinierend und menschliche Männer würden das auch sehen.
Egal ob sie sich für jemanden aus dieser glanzlosen Masse entschied oder
wartete bis sie aus Forks weg war, der Tag würde kommen, an dem sie ja sagen
würde.
Ich sah ihr Leben vor mir, wie ich es schon einmal gesehen hatte – College,
Karriere… Liebe, Hochzeit. Ich sah sie am Arm ihres Vaters, ganz in weiß, ihr
Gesicht gerötet vor Glück, als sie sich zu Wagners Hochzeitsmarsch
vorwärtsbewegte.
Dieser Schmerz war schlimmer als alles was ich jemals empfunden hatte.
Ein Mensch wäre an diesen Schmerzen gestorben – ein Mensch hätte das nicht
überlebt.
Und nicht nur Schmerz, sondern unverblümte Wut.
Die Wut sehnte sich nach einem Ventil. Obwohl dieser bedeutungslose,
unwürdige Junge vielleicht nicht derjenige war zu dem Balle ja sagen würde,
wollte ich seinen Schädel mit meiner Hand zerquetschen, stellvertretend für wer
auch immer es sein würde.
Ich verstand dieses Gefühl nicht – es war ein Durcheinander aus Schmerz
und Wut und Verlangen und Verzweiflung. So etwas hatte ich noch nie gefühlt;
ich konnte es nicht benennen.
„Mike, ich denke, du solltest ihre Einladung annehmen,“ sagte Bella sanft.
Mikes Hoffnungen verschwanden. Unter anderen Umständen hätte ich das
genossen, aber ich stand immer noch unter Schock wegen des Schmerzes – und
der Gewissensbisse wegen dem was dieser Schmerz und die Wut in mir ausgelöst
hatten.
Alice hatte recht. Ich war nicht stark genug.
In diesem Moment würde Alice sehen wie sich die Zukunft wieder änderte,
wieder klarer wurde. Würde sie das beruhigen?
„Hast du schon jemand anderen gefragt?“ fragte Mike mürrisch. Er warf
mir einen finsteren Blick zu, wieder argwöhnisch, das erste Mal seit Wochen. Ich
bemerkte, dass ich mein Interesse verraten hatte; mein Kopf hatte sich Bella
zugewandt.
Der wütende Neid in seinen Gedanken – Neid auf denjenigen den das
Mädchen ausgesucht hatte – gab meinem unbekannten Gefühl plötzlich einen
Namen.
Ich war eifersüchtig.
„Nein,“ sagte das Mädchen leicht amüsiert. „Ich werde nicht zu dem Ball
gehen.“
Durch all den Ärger hindurch, spürte ich trotzdem Erleichterung in ihren
Worten. Plötzlich wurde ich mir meiner Rivalen bewusst.
„Warum nicht?“ fragte Mike beinahe unhöflich. Es gefiel mir nicht, wenn er
in diesem Ton mit ihr sprach. Ich unterdrückte ein knurren.
„Ich fahre nach Seattle diesen Samstag,“ antwortet sie.
Die Neugier war nicht so unverhohlen wie sonst – jetzt da ich beabsichtigte
alle Antworten herauszufinden. Ich würde das Wieso und Warum dieser neuen
Erkenntnis bald herausfinden.
Mikes Tonfall wurde jetzt unangenehm bettelnd. „Kannst du nicht an einem
anderen Wochenende nach Seattle fahren?“
„Nein, tut mir leid.“ Bella war nun etwas brüsker. „Du solltest Jess nicht
länger warten lassen – das ist unhöflich.“
Ihre Sorge um Jessicas Gefühle fächerte meine Eifersucht nur noch mehr
an. Dieser Seattle-Trip war eindeutig eine Ausrede um ihm abzusagen – hatte sie
nur aus Loyalität ihrer Freundin gegenüber abgelehnt? Sie war selbstlos genug
um so etwas zu tun. Wünschte sie sich, sie könnte ja sagen? Oder waren beide
Vermutung falsch? Hatte sie an jemand anderem Interesse?
„Ja, du hast recht,“ murmelte Mike, so niedergeschlagen, dass ich fast
Mitleid mit ihm gehabt hätte. Fast.
Er wandte sich von ihr ab und schnitt mir den Blick auf ihr Gesicht durch
seine Gedanken ab.
Das würde ich nicht dulden.
Ich drehte mich um, um ihren Gesichtsausdruck selbst zu lesen, das erste
Mal seit über einem Monat. Es war eine große Erleichterung, als würde ein
Ertrinkender nach Luft schnappen.
Sie hatte ihre Augen geschlossen und die Hände an die Schläfen gepresst.
Ihr Schultern schützend hochgezogen. Sie schüttelte langsam ihren Kopf, als
versuche sie irgendeinen Gedanken loszuwerden.
Frustrierend. Faszinierend.
Die Stimme von Mr. Banner holte sie aus ihrer Starre und sie öffnete
langsam ihre Augen. Sie sah sofort zu mir herüber, vielleicht hatte sie meinen
Blick gespürt. Sie schaute mir in die Augen mit diesem verwirrten Ausdruck, der
mich so lange verfolgt hatte.
In dieser Sekunde spürte ich weder die Gewissensbisse, noch die
Schuldgefühle, noch die Wut. Ich wusste dass diese Gefühle wiederkommen
würden, bald, aber in diesem Moment fühlte ich mich seltsam beflügelt. Als hätte
ich gewonnen statt verloren.
Sie schaute nicht weg, obwohl ich sie mit unangebrachter Intensität
anstarrte und vergeblich versuchte ihre Gedanken in ihren flüssigen braunen
Augen zu lesen. Sie waren voller Fragen statt Antworten.
Ich sah dir Reflektion meiner Augen in ihren und sie waren schwarz vor
Durst. Mein letzter Jagdausflug war fast zwei Wochen her; das war nicht der
sicherste Tag um meinen Willen zum bröckeln zu bringen. Aber die Schwärze
schien ihr keine Angst zu machen. Sie schaute immer noch nicht weg, so sanft,
ein umwerfendes Rot verfärbte ihre Haut.
Was dachte sie bloß?
Ich war kurz davor die Frage laut auszusprechen als Mr. Banner meinen
Namen rief. Ich sah die Antwort in seinem Kopf als ich ihm einen kurzen Blick
zuwarf.
Ich atmete kurz ein. „Der Krebs-Zyklus.“
Durst brannte in meiner Kehle – spannte meine Muskeln und füllte meinen
Mund mit Gift – ich schloss meine Augen und versuchte mich trotz des
Verlangens nach ihrem Blut das in mir aufflammte zu konzentrieren.
Das Monster war noch stärker als zuvor. Das Monster frohlockte. Es
begrüßte die zweigeteilte Zukunft, die ihm eine fünfzig-fünfzig Chance gab, sein
boshaftes Verlangen zu stillen. Die dritte mögliche Zukunft die ich allein durch
Willenskraft hatte aufbauen wollen fiel in sich zusammen – zerstört von
gewöhnlicher Eifersucht – und das Monster war so viel Näher an seinem Ziel.
Die Gewissensbisse und die Schuldgefühle brannten gemeinsam mit
meinem Durst, und wenn ich in der Lage gewesen wäre Tränen zu produzieren,
hätten sie meine Augen gefüllt.
Was hatte ich getan?
Mit dem Wissen, dass der Kampf sowieso schon verloren war, sah ich keine
Notwendigkeit mehr darin, dem zu widerstehen, was ich wirklich wollte; ich
starrte wieder zu dem Mädchen.
Sie hatte sich wieder hinter ihren Haaren versteckt, aber ich konnte
zwischen den Strähnen erkennen, dass ihre Wangen dunkelrot angelaufen waren.
Dem Monster gefiel es.
Sie erwiderte meinen Blick nicht, aber sie wickelte eine Strähne ihres
vollen Haares nervös um ihren Finger. Ihre delikaten Finger, ihr zartes
Handgelenk – sie waren so zerbrechlich, sahen so aus, als würde ein Hauch
meines Atems reichen um sie zu knacken.
Nein, nein, nein. Ich konnte das nicht tun. Sie war zu zerbrechlich, zu gut,
zu wertvoll um dieses Schicksal zu verdienen. Ich konnte nicht erlauben, dass
mein Leben auf ihres prallte, es zerstörte.
Aber ich konnte mich auch nicht von ihr fernhalten. Alice hatte recht.
Das Monster in mir zischte vor Frustration als ich ins Wanken geriet, erst
der eine Weg, dann der anderen.
Die kurze Stunde mit ihr verging viel zu schnell, während ich zwischen Pest
und Cholera wankte. Die Glocke läutete und sie suchte ihre Sachen zusammen
ohne mich noch einmal anzusehen. Es enttäuschte mich, aber ich konnte auch
nichts anderes erwarten. Es war unverzeihlich wie ich sie nach dem Unfall
behandelt hatte.
„Bella?“ sagte ich, nicht in der Lage mich zurückzuhalten. Meine
Willenskraft lag in Trümmern.
Sie zögerte bevor sie mich ansah; ihr Ausdruck war abweisend,
misstrauisch.
Ich erinnerte mich selbst daran, dass sie allen Grund hatte, mir nicht zu
trauen. Das es besser für sie war.
Sie wartete darauf, dass ich weitersprach, aber ich starrte sie nur an und
versuchte ihr Gesicht zu lesen. Ich nahm kurze, hastige Atemzüge um meinen
Durst zu bekämpfen.
„Was?“ sagte sie endlich. „Sprichst du jetzt wieder mit mir?“ In ihre
Stimme lag Abneigung die, genau wie ihre Wut irgendwie liebenswert war. Ich
wollte lächeln.
Ich war mir nicht sicher, was ich auf diese Frage antworten sollte. Sprach
ich wieder mit ihr, so wie sie dachte?
Nein. Nicht wenn ich es verhindern konnte. Ich würde es zumindest
versuchen.
„Nein, nicht wirklich,“ sagte ich zu ihr.
Sie schloss ihre Augen, was mich frustrierte. Es schnitt mir den besten Weg
zu ihren Gefühlen ab. Sie atmete tief ein ohne die Augen wieder zu öffnen. Ihre
Lippen fest zusammengepresst.
Mit immer noch geschlossenen Augen, antwortete sie. Das war keine
normale menschliche Art eine Unterhaltung zu führen. Warum tat sie es dann?
„Was willst du dann, Edward?“
Der Klang meines Namens aus ihrem Mund machte seltsame Dinge mit
meinem Körper. Wenn ich einen Herzschlag gehabt hätte, wäre er jetzt schneller
geworden.
Aber was sollte ich ihr antworten?
Die Wahrheit, entschied ich. Ich würde so vertrauenswürdig sein, wie ich
konnte, von jetzt an. Ich wollte ihr Misstrauen nicht verdienen auch wenn ihr
Vertrauen zu gewinnen unmöglich war.
„Es tut mir leid,“ erkläre ich ihr. Das entsprach mehr der Wahrheit als sie je
erfahren würde. Unglücklicherweise konnte ich mich nur für die belanglosen
Dinge entschuldigen. „Ich bin sehr unhöflich zu dir. Aber so ist es besser,
wirklich.“
Es wäre besser für sie, wenn ich weiterhin unhöflich zu ihr wäre. Könnte ich
das?
Sie öffnete ihre Augen, immer noch wachsam.
„Ich verstehe nicht, was du meinst.“
Ich versuchte sie so deutlich es ging zu warnen. „Es wäre besser, wenn wir
nicht befreundet wären.“ Soviel würde sie sicher verstehen. Sie war schließlich
ein cleveres Mädchen. „Vertrau mir.“
Ich Augen verengten sich und ich erinnerte mich, dass ich das schon mal
zu ihr gesagt hatte – kurz bevor ich ein Versprechen gebrochen hatte. Ich zuckte
zusammen, als sie ihre Zähne aufeinanderschlug – sie erinnerte sich natürlich
auch daran.
„Schade, dass du das nicht schon früher herausgefunden hast,“ sagte sie
wütend. „Dann hättest du dir die Reue sparen können.“
Ich starrte sie schockiert an. Was wusste sie von meiner Reue?
„Reue? Was denn bereuen?“ fragte ich sie.
„Dass du nicht zugelassen hast, dass der blöde Van mich zerquetscht!“
brachte sie bissig hervor.
Ich erstarrte, geschockt.
Wie konnte sie sowas denken? Ihr Leben zu retten war das einzig richtige
was ich getan hatte, seid ich ihr das erste Mal begegnet bin. Das einzige wofür
ich mich nicht schämte. Der einzige Grund weshalb ich froh war überhaupt zu
existieren. Ich kämpfe um ihr Leben seit dem ersten Moment in dem ich ihren
Duft aufgeschnappt hatte. Wie konnte sie so etwas von mir denken? Wie konnte
sie meine einzige gute Tat in diesem Durcheinander in Frage stellen?
„Du denkst ich würde es bereuen, dein Leben gerettet zu haben?“
„Ich weiß, dass du das tust,“ gab sie zurück.
Ihre Einschätzung meiner Absichten ließ mich aufkochen. „Du weißt gar
nichts.“
Wie verwirrend und unverständlich ihr Gehirn arbeitete! Sie schien nicht
wie andere Menschen zu denken. Das musste die Erklärung für ihre mentale Stille
sein. Sie war ganz anders.
Sie warf ihren Kopf zurück und schlug wieder ihre Zähne aufeinander. Ihre
Wangen waren wieder rot, diesmal vor Wut. Sie stapelte laut ihre Bücher
aufeinander und marschierte zur Tür ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.
Obwohl ich verärgert war, war es unmöglich ihre Wut nicht amüsant zu
finden.
Sie ging steif, ohne auf ihre Füße zu achten und stolperte über die
Fußleiste. Sie strauchelte und ihre Bücher fielen auf den Boden. Statt sich nach
ihnen zu bücken, stand sie steif da und schaute nicht mal runter, als ob sie
überlegte, die Bücher einfach liegen zu lassen.
Ich schaffte es, nicht zu lachen.
Niemand konnte mich sehen; Ich huschte an ihre Seite und hatte ihre
Bücher aufgesammelte bevor sie nach unten blickte.
Sie wollte sich gerade bücken und erstarrte dann. Ich gab ihr ihre Bücher
zurück und achtete darauf sie dabei nicht zu berühren.
„Danke,“ sagte sie mit kühler reservierter Stimme.
Ihr Tonfall verärgerte mich wieder.
„Gern geschehen,“ erwiderte ich genauso kühl.
Sie richtete sich wieder auf und stapfte zum Unterricht.
Ich schaute ihr so lange hinterher bis sie außer Sichtweite war.
Spanisch nahm ich nur verschwommen war. Mrs. Goff kümmerte sich nicht
um meine Geistesabwesenheit – sie wusste dass mein Spanisch besser war als
ihres und sie räumte mir sämtliche Freiheiten ein – ich konnte in Ruhe
nachdenken.
Also konnte ich das Mädchen nicht ignorieren. Das war offensichtlich. Aber
bedeutete das wirklich, dass ich mich entscheiden musste sie zu verwandeln oder
zu töten? Das konnte nicht die einzig mögliche Zukunft sein. Es musste noch eine
Wahl geben, irgendeine feine Balance. Ich versuchte eine Lösung zu finden…
Ich beachtete Emmett nicht besonders bis die Stunde fast vorbei war. Er
war besorgt – Emmett war nie besonders feinfühlig was die Gefühle anderer
anging, aber er konnte die offensichtliche Veränderung in mir sehen. Er fragte
sich, was passiert war, dass den unerbittlich finsteren Ausdruck aus meinem
Gesicht vertrieben hatte. Er grübelte über meinen neuen Gesichtsausdruck und
kam zu dem Ergebnis, dass ich Hoffnungsvoll aussah.
Hoffnungsvoll? Sah es so für die Außenwelt aus?
Ich erwog die Idee von Hoffnung zu sprechen, während wir zum Volvo
gingen und fragte mich auf was ich denn genau hoffen konnte.
Aber ich musste nicht lange überlegen. Ich war so sensibel für alle
Gedanken die sich um das Mädchen drehten, dass der Klang von Bellas Namen in
den Köpfen meiner…. den Köpfen meiner Rivalen, das musste ich wohl zugeben,
meine Aufmerksamkeit erregte. Eric und Tyler hatten gehört – mit Genugtuung –
dass Mike abgewiesen worden war und bereiteten ihre Schritte vor.
Eric stand schon in Position, er lehnte an ihrem Truck wo sie ihm nicht aus
dem Weg gehen konnte. Tylers Kurs musste länger im Klassenzimmer bleiben
aufgrund einer Ankündigung weshalb er sich beeilte sie noch einzuholen bevor
sie ihm entkam.
Das musste ich mir ansehen.
„Warte hier auf die anderen, okay?“ murmelte ich zu Emmett.
Er beobachtete mich misstrauisch, zuckte aber dann mit den Schultern und
nickte.
Der Junge hat seinen Verstand verloren, dachte er amüsiert von meiner
seltsamen Bitte.
Ich sah Bella wie sie die Turnhalle verließ und positionierte mich so, dass
sie mich nicht sehen konnte, als sie an mir vorbeilief. Als sie sich Erics Hinterhalt
näherte, hielt ich mich bereit um im richtigen Moment an ihnen vorbei zu laufen.
Ich sah wie sie sich versteifte, als sie den Jungen an ihrem Truck stehen
sah. Sie erstatte für einen Moment, dann fing sie sich wieder und ging weiter.
„Hi, Eric,“ hörte ich sie freundlich sagen.
Ich war plötzlich und unerwartet wütend. Was wenn dieser schlaksige Typ
mit seiner unreinen Haut auf irgendeine Art attraktiv für sie war?
Eric schluckte laut. „Hi, Bella.“
Sie schien seine Nervosität nicht zu bemerken.
„Was gibt’s?“ fragte sie während sie ihren Truck aufschloss ohne auf sein
ängstliches Gesicht zu achten.
„Ähm, ich hab mich nur gefragt… ob du vielleicht mit mir zum Frühlingsball
gehen möchtest?“ Seine Stimme überschlug sich.
Dann sah sie auf. War sie bestürzt, oder erfreut? Eric konnte ihr nicht in die
Augen sehen, also konnte ich ihren Ausdruck nicht in seinen Gedanken sehen.
„Ich dachte, es wäre Damenwahl,“ sagte sie nervös.
„Naja, schon,“ gestand er.
Dieser Bedauernswerte Junge verärgert mich nicht so sehr wie Mike
Newton, aber ich empfand auch kein Mitleid mit ihm als Bella ihm mit sanfter
Stimme antwortete.
„Danke dass du fragst, aber ich bin an dem Tag in Seattle.“
Davon hatte er schon gehört; dennoch war es eine Enttäuschung.
„Oh,“ murmelte er und traute sich sein Augen gerade so weit zu heben,
dass er ihre Nasenspitze sehen konnte. „Dann vielleicht ein Andermal.“
„Klar,“ sagte sie. Dann biss sie sich auf die Lippe als würde sie bedauern
ihm ein Schlupfloch geboten zu haben. Das gefiel mir.
Eric stolperte vorwärts ging in die Entgegengesetzte Richtung von seinem
Auto. Sein einziger Gedanke war Flucht.
In dem Moment ging ich an ihr vorbei und hörte ihren erleichterten
Seufzer. Ich lachte.
Sie drehte sich nach dem Geräusch um, aber ich blickte stur geradeaus
und versuchte meine Mundwinkel davon abzuhalten amüsiert zu zucken.
Tyler war hinter mir, er rannte fast weil er sie unbedingt noch erwischen
wollte bevor sie davonfuhr. Er war Mutiger und Selbstsicherer als die anderen
beiden; er hatte nur so lange gewartet um sie zu fragen, weil er Mikes Vorrecht
respektierte.
Ich wollte aus zwei Gründen, dass er sie erreichte. Wenn – wie ich mir
überlegt hatte – diese ganze Aufmerksamkeit unangenehm für Bella war, wollte
ich ihre Reaktion beobachten. Aber wenn dem nicht so war – wenn Tylers
Einladung die war auf die sie gewartet hatte - dann wollte ich das auch wissen.
Ich schätze Tyler als Rivalen ab, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Er
wirkte auf mich ermüdend, durchschnittlich und unbedeutend, aber was wusste
ich schon von Bellas Vorlieben? Vielleicht mochte sie durchschnittliche Typen…
Bei dem Gedanken zuckte ich zusammen. Ich könnte nie ein
durchschnittlicher Typ sein. Wie dumm von mir, mich als ein Rivale um ihre
Zuneigung zu sehen. Wie könnte sie etwas für jemanden empfinden, der in jeder
Hinsicht ein Monster war?
Sie war zu gut für ein Monster.
Ich sollte sie entkommen lassen, aber unentschuldbare Neugierde hielt
mich davon ab, das richtige zu tun. Mal wieder. Aber was, wenn Tyler seine
Chance verpasste nur um sie später zu kontaktieren, wenn ich nicht die
Möglichkeit hatte, zuzusehen, wie es ausging. Ich setzte meinen Volvo zurück
und versperrte ihr den Weg.
Emmett und die anderen waren schon auf dem Weg, aber er hatte ihnen
mein seltsames Benehmen beschrieben und sie gingen langsam, beobachteten
mich und versuchten herauszufinden, was ich vorhatte.
Ich beobachtete das Mädchen durch meinen Rückspiegel. Sie schaute
finster auf meinen Wagen ohne meinen Blick zu erwidern. Sie sah aus als würde
sie jetzt lieber einen Panzer fahren statt diesen rostigen Chevy.
Tyler rannte zu seinem Wagen und fuhr direkt hinter sie in die Schlange,
dankbar für mein seltsames Verhalten. Er winkte ihr zu um ihre Aufmerksamkeit
zu ergattern, aber sie bemerkte ihn nicht. Er wartete kurz und dann verließ er
seinen Wagen und hastete zu ihrer Beifahrertür. Er klopfte an die Scheibe.
Sie erschrak und starrte ihn verwirrt an. Eine Sekunde später kurbelte sie
das Fenster herunter, sie schien Probleme damit zu haben.
„Tut mir leid, Tyler,“ sagte sie, ihre Stimme verärgert. „Ich stecke hinter
Cullen fest.“
Sie nannte meinen Nachnamen in einem rauen Tonfall – sie war immer
noch sauer auf mich.
„Ja, ich weiß,“ sagte Tyler, den ihre Stimmung nicht abschreckte. „Ich
wollte dich nur etwas fragen, während wir hier feststecken.“
Sein Grinsen war schelmisch.
Es befriedigte mich zu sehen wie sie erbleichte als ihr klar wurde, was er
vorhatte.
„Wirst du mich fragen ob ich mit dir zum Frühlingsball gehe?“ fragte er und
verschwendete keinen Gedanken daran zurückgewiesen zu werden.
„Ich bin nicht in der Stadt, Tyler,“ erklärte sie ihm, immer noch verärgert.
„Ja, das hat Mike auch gesagt.“
„Aber warum - ?“ wollte sie fragen.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte gehofft du wolltest ihn nur nicht
verletzen.“
Ihre Augen funkelten und wurden dann kalt. „Sorry, Tyler,“ sagte sie,
wirkte aber kein bisschen so als würde es ihr leid tun. „Ich werde wirklich nicht
hier sein.“
Er akzeptierte ihre Entschuldigung, seine Selbstsicherheit war ungetrübt.
„Kein Problem. Wir haben ja immer noch den Abschlussball.“
Er stolzierte zurück zu seinem Wagen.
Es war gut, dass ich darauf gewartet hatte.
Der Entsetzte Ausdruck in ihrem Gesicht war unbezahlbar. Er sagte mir,
was ich nicht so verzweifelt wissen wollen sollte – dass sie keinerlei Gefühle für
irgendeinen dieser menschlichen Typen hatte, die sie ausführen wollten.
Außerdem war ihr Gesichtsausdruck das lustigste was ich je gesehen hatte.
Meine Familie erreichte den Wagen, sie waren verwirrt darüber dass ich
ausnahmsweise mal vor Lachen bebte, statt alles in meinem Blickfeld mit
mörderischen Blicken zu bestrafen.
Was ist so lustig? Wollte Emmett wissen.
Ich schüttelte nur meinen Kopf während ich von erneutem Lachen
geschüttelt wurde als Bella ihren lauten Motor wütend aufheulen ließ. Sie sah
aus, als würde sie sich wieder einen Panzer wünschen.
„Fahr los!“ zischte Rosalie ungeduldig. „Und hör auf dich wie ein Idiot zu
verhalten, wenn du das kannst.“
Ihre Worte störten mich nicht – ich hatte zu viel Spaß. Aber ich fuhr los.
Niemand sprach mit mir auf dem Heimweg. Ich musste immer wieder
kichern wenn ich an Bellas Gesicht dachte.
Ich bog in unsere Einfahrt ein – erhöhte die Geschwindigkeit, jetzt wo keine
Zeugen mehr da waren – Alice ruinierte meine Stimmung.
„Also, kann ich jetzt mit Bella reden?“ fragte sie plötzlich, ohne vorher über
ihre Worte nachzudenken, was mich vorgewarnt hätte.
„Nein,“ schnappte ich.
„Das ist nicht fair! Worauf soll ich denn warten?“
„Ich hab mich noch nicht entschieden, Alice.“
„Was auch immer, Edward.“
Bellas zwei Schicksale waren wieder klar und deutlich in ihrem Kopf.
„Warum willst du sie überhaupt kennenlernen?“ murmelte ich mürrisch.
„Wenn ich sie doch sowieso umbringen werde?“
Alice zögerte eine Sekunde. „Ein Punkt für dich,“ gab sie zu.
Ich nahm die letzte enge Kurve mit neunzig Meilen und kam mit
quietschenden Reifen wenige Zentimeter vor der hinteren Garagenwand zum
stehen.
„Viel Spaß bei deinem Lauf,“ sagte Rosalie selbstgefällig, als ich aus dem
Auto stürmte.
Aber heute wollte ich nicht rennen, stattdessen ging ich auf die Jagd.
Die anderen hatten vereinbart morgen jagen zu gehen, aber ich konnte es
mir jetzt nicht mehr leisten durstig zu sein. Ich übertrieb es ein wenig, trank mehr
als nötig, übersättigte mich wieder – eine kleine Elchherde und ein Schwarzbär.
Ich hatte Glück zu dieser Jahreszeit über ihn zu stolpern. Ich war so voll, dass es
unangenehm war. Warum war das nicht genug? Warum musste ihr Duft so viel
stärker sein, als alles andere?
Ich war jagen gegangen um mich auf den nächsten Tag vorzubereiten,
aber als ich nicht mehr weiterjagen konnte, war der Sonnenaufgang immer noch
stundenlang entfernt und ich wusste, dass der nächste Tag nicht schnell genug
kommen würde.
Als ich realisierte, dass ich mich auf die Suche nach dem Mädchen machen
würde, stellte sich wieder dieses beflügelte Gefühl ein.
Ich haderte mit mir auf dem ganzen Weg zurück nach Forks, aber die
weniger noble Seite in mir gewann und ich fuhr fort mit meinem unvertretbaren
Plan. Das Monster war unruhig aber gesättigt. Ich wusste, dass ich einen sicheren
Abstand zu ihr wahren würde. Ich wollte nur wissen, wo sie war. Ich wollte nur ihr
Gesicht sehen.
Es war schon nach Mitternacht und Bellas Haus war dunkel und still. Ihr
Truck stand am Straßenrand, der Polizeiwagen ihres Vaters in der Einfahrt. Es
gab keine bewussten Gedanken in der Nachbarschaft. Ich beobachtet das Haus
vom Wald aus, der an den östlichen Teil des Grundstücks angrenzte. Die
Vordertür war vermutlich abgeschlossen – nicht dass das ein Problem gewesen
wäre, aber ich wollte keine zertrümmerte Tür als Beweis hinterlassen. Ich
beschloss zuerst die Fenster in der oberen Etage zu versuchen. Die wenigsten
Menschen bauten dort Schlösser ein.
Ich umrundete die offene Fläche und erklomm die Hauswand in einer
halben Sekunde. Ich baumelte mit einer Hand an der Regenrinne über dem
Fenster und schaute hindurch. Mein Atem stockte.
Es war ihr Zimmer. Ich konnte sie in dem schmalen Bett sehen, ihre Decke
lag auf dem Boden und ihr Bettlaken war unter ihren Beinen verdreht.
Während ich sie beobachtete drehte sie sich unruhig hin und her und warf
einen Arm über ihren Kopf. Sie schlief unruhig, zumindest in dieser Nacht. Ob sie
die Gefahr in ihrer Nähe spürte?
Ich schreckte zurück als ich sah wie sie sich wieder hin und her warf. Wie
konnte ich besser sein, als irgend so ein Spanner? Ich war nicht besser. Ich war
viel viel schlimmer.
Ich lockerte meine Finger um mich fallen zu lassen. Aber vorher erlaubte
ich mir einen langen Blick auf ihr Gesicht.
Es war nicht friedlich. Die kleine Falte war wieder zwischen ihren
Augenbrauen und ihre Mundwinkel hingen herunter. Ihre Lippen bebten und dann
öffneten sie sich.
„Okay, Mom,“ murmelte sie.
Balle redete im Schlaf.
Die Neugierde gewann die Oberhand über den Ekel vor mir selbst. Die
Verlockung dieser ungeschützten, unbewusst ausgesprochenen Gedanken war
unglaublich verführerisch.
Ich prüfte das Fenster, es war nicht verschlossen, aber es klemmte da es
vermutlich lange nicht genutzt worden war. Ich schob es langsam zur Seite, es
quietsche bei jedem Millimeter. Nächstes Mal sollte ich etwas Öl mitbringen…
Nächstes Mal? Ich schüttelte angewidert meinen Kopf.
Ich schlüpfte leise durch das halb geöffnete Fenster.
Ihr Zimmer war klein – unorganisiert aber nicht unordentlich. Ein Stapel
Bücher lag neben ihrem Bett, mit den Buchrücken zu ihr hin, und CDs verteilt um
ihren billigen CD-Player – die CD obenauf war nur eine klare durchsichtige Hülle.
Papierstapel lagen neben einem Computer, der aussah, als gehöre er in ein
Museum für überholte Technologie. Schuhe lagen auf dem Boden verstreut.
Ich wollte unbedingt die Titel ihrer Bücher und CDs lesen, aber ich hatte
mir geschworen auf Distanz zu bleiben; stattdessen setzte ich mich in den alten
Schaukelstuhl am anderen Ende des Raumes.
Hatte ich wirklich mal gedacht sie sähe durchschnittlich aus? Ich dachte an
diesen ersten Tag und meine Abneigung gegen die Jungs, die sich sofort in die
verknallt hatten. Aber wenn ich mich jetzt an ihr Gesicht in ihren Gedanken
erinnerte, konnte ich nicht verstehen, warum ich sie nicht sofort für wunderschön
gehalten hatten. Es war so offensichtlich.
Und jetzt – ihre dunklen Haar zerzaust und wirr um ihr blasses Gesicht, in
diesem abgetragenen T-Shirt voller Löcher und in schäbigen Jogginghosen, ihre
Züge unbewusst entspannt, ihre vollen Lippen leicht geöffnet – sie raubte mir den
Atem. Oder hätte mir den Atem geraubt, dachte ich ironisch, wenn ich geatmet
hätte.
Sie sprach nicht mehr. Vielleicht war ihr Traum zu Ende.
Ich starrte in ihr Gesicht und versuchte die Zukunft erträglicher zu machen.
Sie zu verletzen war nicht erträglich. Bedeutete das, dass meine einzige
Wahl darin bestand zu versuchen wieder weg zu gehen?
Die anderen konnten mich jetzt nicht davon abhalten. Meine Abwesenheit
würde niemanden in Gefahr bringen. Es würde keine Vermutungen geben, nichts
was die Gedanken von irgendwem wieder auf den Unfall lenken könnte.
Ich schwanke wie heute Nachmittag, aber ich fand keinen Ausweg.
Ich konnte nicht mit den menschlichen Jungs konkurrieren, auch wenn
diese speziellen Jungs nicht ihr Interesse weckten. Ich war ein Monster. Wie
könnte sie etwas anderes in mir sehen? Wenn sie die Wahrheit über mich
erfahren würde, würde es sie ängstlich zurückschrecken lassen. Wie das typische
Opfer in einem Horrorfilm, würde sie schreiend wegrennen vor angst.
Ich erinnerte mich an ihren ersten Tag in Biologie… und ich wusste, dass
das genau die richtige Reaktion wäre.
Es war albern von mir zu glauben, dass sie, wenn ich sie zu diesem blöden
Tanz eingeladen hätte, ihre eilig gemachten Pläne über den Haufen geworfen
hätte und mit mir zum Ball gehen würde.
Ich war nicht derjenige zu dem sie ja sagen würde. Es war jemand anderes,
jemand menschliches und warmes. Und ich könnte ihn nicht mal – wenn das Ja
eines Tages gesagt wäre – jagen und töten, weil sie ihn verdient hatte, wer
immer er war. Sie verdiente Glück und Liebe mit wen auch immer sie auswählte.
Ich schuldete es ihr, dass ich jetzt das richtige tat; ich konnte mir nicht
länger einreden, dass ich nur Gefahr lief das Mädchen zu lieben.
Es wäre egal, wenn ich jetzt ging denn Bella würde mich nie so sehen wie
ich mir wünschte, dass sie mich sah. Sie würde mich niemals so sehen als wäre
ich es wert geliebt zu werden.
Niemals.
Konnte ein totes, kaltes Herz brechen? Es fühlte sich so als würde meins
brechen.
„Edward,“ sagte Bella.
Ich erstarrte, mein Blick auf ihre ungeöffneten Augen geheftet.
Ist sie aufgewacht und hatte mich hier entdeckt? Sie sah aus als schliefe
sie, aber ihre Stimme war so klar…
Sie seufzte einen leisen Seufzer und dann wurde sie wieder unruhig, rollte
sich auf die Seite – immer noch tief schlafend und träumend.
„Edward,“ murmelte sie sanft.
Sie träumte von mir.
Konnte ein totes, kaltes Herz wieder schlagen? Es fühlte sich so an als
wäre meins kurz davor.
„Bleib,“ seufzte sie. „Geh nicht. Bitte… geh nicht.“
Sie träumte von mir und es war kein Albtraum. Sie wollte, dass ich bei ihr
blieb, dort in ihren Träumen.
Ich versuchte die Gefühle die mich durchfluteten in Worte zu fassen, aber
es gab keine Worte die stark genug waren um das zu beschreiben. Für einen
langen Moment, versank ich darin.
Als ich wieder an die Oberfläche kam, war ich nicht mehr derselbe Mann
der ich vorher gewesen war.
Mein Leben war eine unendliche, unveränderliche Nacht. Es musste,
notwendigerweise, immer Nacht für mich sein. Also wie war es möglich, dass jetzt
mitten in meiner schwärzesten Nacht die Sonne aufging?
In dem Moment als ich ein Vampir wurde, als ich meine Seele und meine
Sterblichkeit unter den sengenden Schmerzen der Verwandlung gegen
Unsterblichkeit eingetauscht hatte, war ich wahrhaftig gefroren. Mein Körper war
mehr Stein als Fleisch, beständig und unveränderlich. Ich selbst bin auch
gefroren – meine Persönlichkeit, meine Vorlieben und Abneigungen, meine
Stimmungen und meine Bedürfnisse; alles war so geblieben.
Mit den anderen war es ganz genauso. Wir waren alle gefroren. Lebende
Steine.
Wenn sich doch einmal etwas für einen von uns veränderte, war das etwas
Seltenes und andauerndes. Ich hatte gesehen wie es mit Carlisle passiert und ein
Jahrzehnt später mit Rosalie. Liebe hatte sie für die Ewigkeit verändert. Mehr als
achtzig Jahre waren vergangen seit Carlisle Esme gefunden hatte und dennoch
blickte er sie jedesmal mit den Augen eines frisch verliebten an. So würde es
immer für sie sein.
So würde es auch immer für mich sein. Ich würde dieses zerbrechliche
menschliche Mädchen immer lieben, für den Rest meiner unendlichen Existenz.
Ich blickte auf ihr bewusstloses Gesicht und fühlte wie mich diese Liebe bis
in den kleinsten Winkel meines steinernen Körpers ausfüllte.
Sie schlief jetzt friedlicher, ein kleines Lächeln auf den Lippen.
Während ich sie beobachtete, schmiedete ich einen Plan.
Ich liebte sie, also würde ich versuchen stark genug zu sein um sie zu
verlassen. Ich wusste, dass ich jetzt nicht stark genug dafür war. Daran würde ich
arbeiten. Aber vielleicht war ich stark genug die Zukunft auf einem anderen Weg
zu überlisten.
Alice hatte nur zwei Zukunftsvisionen für Bella gesehen, und jetzt verstand
ich sie beide.
Sie zu lieben würde mich nicht davon abhalten sie zu töten, wenn ich es
zuließ, dass ich Fehler machte.
Dennoch konnte ich das Monster in mir jetzt nicht spüren, konnte es
nirgendwo in mir finden. Vielleicht hatte die Liebe es für immer zum Schweigen
gebracht. Wenn ich sie jetzt tötete, wäre es nicht absichtlich, es wäre ein
schrecklicher Unfall.
Ich würde unglaublich vorsichtig sein müssen. Ich würde niemals meine
Zurückhaltung fallen lassen können. Ich würde jeden meiner Atemzüge
kontrollieren müssen. Ich würde immer einen Sicherheitsabstand einhalten
müssen.
Ich würde keine Fehler machen.
Endlich verstand ich die zweite Zukunftsvision. Sie hatte mich verwirrt –
was könnte passieren, weshalb Bella in diesem Unsterblichen halben Leben
gefangen sein sollte? Jetzt – am Boden zerstört vor Verlangen nach dem Mädchen
– konnte ich verstehen, wie ich in unverzeihlichem Egoismus meinen Vater um
diesen Gefallen bitten konnte. Ihn darum bitten, ihr Leben zu beenden, ihr ihre
Seele zu rauben nur damit ich sie für immer behalten könnte.
Sie verdiente etwas Besseres.
Aber ich sah noch eine andere Zukunft, ein dünnes Seil auf dem ich
vielleicht laufen konnte, wenn ich die Balance halten könnte.
Könnte ich das schaffen? Mit ihr zusammen sein und sie ein Mensch
bleiben lassen?
Mit voller Absicht nahm ich einen tiefen Atemzug, und dann noch einen,
ließ mich von ihrem Duft durchströmen wie ein Lauffeuer. Der Raum war
angereichert mit ihrem Duft; ihr Parfum lag auf jedem Gegenstand. Mein Kopf
begann zu schwimmen, aber ich kämpfte dagegen an. Ich würde mich daran
gewöhnen müssen, wenn ich irgendeine Art von Beziehung mit ihr führen wollte.
Ich nahm einen weiteren brennenden Atemzug.
Ich beobachtete sie weiter während sie schlief bis die Sonne hinter den
östlichen Wolken aufging, plante und atmete.
Ich kam nach Hause, kurz nachdem die anderen zur Schule aufgebrochen waren.
Ich wich Esmes fragenden Augen aus und zog mich schnell um. Sie sah den
fiebrigen Ausdruck auf meinem Gesicht und fühlte sowohl Sorge als auch
Erleichterung. Meine lange Melancholie hatte ihr weh getan und sie war froh,
dass sie vorbei zu sein schien.
Ich rannte zur Schule und kam nur wenige Sekunden nach meinen
Geschwistern dort an. Sie drehten sich nicht zu mir um, obwohl Alice wissen
musste, dass ich zwischen den dichten Bäumen die den Parkplatz umrahmten
stand. Ich wartete bis niemand hinsah und stolzierte lässig zwischen den Bäumen
hervor auf den überfüllten Parkplatz.
Ich hörte wie Bellas Truck laut um die Ecke polterte und ich hielt hinter
einen Suburban, wo mich keiner sehen konnte.
Sie fuhr auf den Parkplatz und warf einen langen finsteren Blick auf meinen
Volvo bevor sie in die am weitesten entfernte Parklücke fuhr, die Stirn in Falten
gelegt.
Es war seltsam, sich daran zu erinnern, dass sie immer noch sauer auf
mich war und zwar aus gutem Grund.
Ich wollte über mich selbst lachen – oder mich treten. Meine ganzen
Planungen und Überlegungen waren vollkommen irrelevant, wenn sie sich nichts
aus mir machte, oder? Ihr Traum konnte von etwas vollkommen belanglosem
gehandelt haben. Ich war so ein arroganter Blödmann.
Naja, es war sowieso besser für sie, sich nichts aus mir zu machen. Das
würde mich nicht davon abhalten, ihr hinterherzulaufen, aber ich würde sie
jedesmal vorwarnen, wenn ich ihr nachlief. Das schuldete ich ihr.
Ich trat leise hervor und überlegte, wie ich am besten auf sie zugehen
konnte.
Sie machte es mir leicht. Ihr Autoschlüssel fiel ihr aus der Hand als sie
ausstieg, in eine tiefe Pfütze.
Sie bückte sich danach, aber ich war schneller, hob ihn auf bevor sie ihre
Finger in das eisige Wasser tauchen musste.
Ich lehnte mich an ihren Truck als sie sich aufrichtete.
„Wie machst du das?“ verlangte sie zu wissen.
Ja, sie war immer noch sauer.
Ich hielt ihr ihren Schlüssle hin. „Was mache ich denn?“
Sie streckte ihre Hand aus und ich ließ den Schlüssel in ihre Handfläche
fallen. Ich atmete tief durch, sog ihren Duft ein.
„Einfach so aus dem Nichts auftauchen,“ erläuterte sie.
„Bella, ich kann nichts dafür, dass du so unaufmerksam bist.“ Die Worte
waren ironisch, fast schon witzig. Gab es irgendetwas, das ihr nicht auffiel?
Hörte sie, dass meine Stimme sich liebkosend um ihren Namen legte?
Sie blickte mich finster an, mein Humor schien sie kalt zu lassen. Ihr
Herzschlag beschleunigte sich – vor Wut? Aus Angst? Dann senkte sie ihren Blick.
„Was sollte der Stau gestern?“ fragte sie ohne mich anzusehen. „Ich
dachte du wolltest so tun, als gäbe es mich nicht statt mich zu Tode reizen?“
Immer noch sehr wütend. Es würde mich einige Anstrengung kosten, die
Dinge gerade zu rücken. Ich erinnerte mich an meinen Vorsatz ihr gegenüber
ehrlich zu sein…
„Das war Tyler zu liebe, nicht meinetwegen. Ich wollte ihm seine Chance
lassen.“ Und dann lachte ich. Ich konnte mir nicht helfen bei dem Gedanken an
ihren Gesichtsausdruck gestern.
„Du…“ sie keuchte und brach ab, anscheinend zu wütend um weiter zu
reden. Da war er wieder – derselbe Gesichtsausdruck. Ich unterdrückte ein
weiteres Lachen. Sie war schon sauer genug.
„Und ich tue nicht so als gäbe es dich nicht,“ schloss ich. Es war wichtig die
Unterhaltung lässig wirken zu lassen. Sie würde es nicht verstehen, wenn ich ihr
zeigte, was ich wirklich empfand. Ich würde ihr Angst machen. Ich musste meine
Gefühle für mich behalten, es langsam angehen lassen…
„Also willst du mich zu Tode reizen? Da Tylers Van das nicht geschafft
hat?“
Ein kurz aufblitzender Ärger durchfuhr mich. Glaubte sie das wirklich?
Es irritierte mich so angegriffen zu werden – sie wusste nichts von der
Veränderung die letzte Nacht geschehen war. Aber dennoch war ich sauer
darüber.
„Bella, das ist vollkommen absurd,“ schnappte ich.
Ihr Gesicht wurde rot und sie wandte sich ab. Sie stapfte davon.
Gewissensbisse. Meine Wut war unberechtigt.
„Warte,“ bat ich sie.
Sie blieb nicht stehen, also lief ich ihr nach.
„Es tut mir leid, das war unhöflich. Ich sage nicht, dass es nicht wahr wäre“
– es war absurd sich vorzustellen, ich wollte ihr auf irgendeine Art und Weise
Schaden zufügen – „aber es war unhöflich, es auszusprechen.“
„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“
Glaub mir, wollte ich sagen. Das hab ich versucht.
Oh, und außerdem bin ich elendig in dich verliebt.
Lass es langsam angehen.
„Ich wollte dich etwas fragen, aber du hast mich abgelenkt.“ Mir war
soeben eine Vorgehensweise eingefallen und ich lachte.
„Hast du vielleicht eine gespaltene Persönlichkeit?“ fragte sie.
So musste es tatsächlich für sie aussehen. Meine Stimmung war
unberechenbar, so viele neue Gefühle durchfuhren mich.
„Du machst es schon wieder,“ stellte ich fest.
Sie seufzte. „Na gut. Was willst du mich fragen?“
„Ich hab mich gefragt, ob du nächsten Samstag…“ ich sah wie sich der
Schock auf ihrem Gesicht ausbreitete und unterdrückte wieder ein Lachen. „Du
weißt schon, der Tag, an dem der Frühlingsball stattfindet…“
Sie unterbrach mich und schaute mir endlich wieder in die Augen. „Soll das
irgendwie witzig sein?“
Ja. „Lässt du mich bitte ausreden?“
Sie wartete und biss sich auf die Unterlippe.
Dieser Anblick lenkte mich kurz ab. Seltsame, unbekannte Reaktionen
rührten sich in meinem lang vergessenen menschlichen Kern. Ich versuchte sie
abzuschütteln, damit ich meine Rolle weiterspielen konnte.
„Ich hab gehört, dass du an dem Tag nach Seattle fährst, und ich hab mich
gefragt, ob du mitfahren möchtest?“ bot ich ihr an. Mir war aufgefallen, dass es
vielleicht besser war ihre Pläne zu teilen, statt sie darüber auszufragen.
Sie starrte mich mit leerem Gesicht an. „Was?“
„Möchtest du mitfahren nach Seattle?“ Allein in einem Auto mit ihr – meine
Kehle brannte bei dem Gedanken. Gewöhn dich daran.
„Mit wem?“ fragte sie, ihre Augen geweitet und wieder verwirrt.
„Mit mir, offensichtlich,“ sagte ich langsam.
„Warum?“
War es wirklich so schockierend, dass ich ihre Gesellschaft wollte? Sie
muss meinem Benehme der letzten Wochen die schlimmstmögliche Bedeutung
beigemessen haben.
„Naja,“ sagte ich so lässig wie möglich, „ich hatte ohnehin geplant in den
nächsten Wochen nach Seattle zu fahren, und um ehrlich zu sein, ich bin mir
nicht sicher, ob dein Truck die Strecke schafft.“ Es war leichter sie zu ärgern als
ernst zu sein.
„Mein Truck läuft wunderbar, danke der Nachfrage,“ sagte sie mit
derselben überraschten Stimme. Sie begann weiter zu gehen. Ich hielt mit ihr
Schritt.
Sie hatte noch nicht wirklich nein gesagt, also nutzte ich diesen Vorteil.
Würde sie nein sagen? Was würde ich tun, wenn sie nein sagte?
„Aber schafft dein Truck es auch mit nur einer Tankfüllung?“
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht,“ grollte sie.
Das war immer noch kein nein. Und ihr Herz raste wieder, ihr Atem ging
schneller.
„Der Verbrauch begrenzter Ressourcen geht jeden etwas an.“
„Ehrlich Edward, ich versteh dich nicht. Ich dachte du willst nicht mit mir
befreundet seit.“
Aufregung durchfuhr mich, als sie meinen Namen aussprach.
Wie soll man es langsam angehen und zur gleichen Zeit ehrlich sein? Naja,
es war wichtiger, ehrlich zu sein. Besonders in diesem Punkt.
„Ich sagte, es wäre besser, wenn wir nicht befreundet wären, nicht dass
ich es nicht will.“
„Oh, danke, das erklärt natürlich alles,“ sagte sie sarkastisch.
Sie hielt unter dem Vordach der Cafeteria und erwiderte meinen Blick. Ihr
Herzschlag geriet ins Stottern. Hatte sie angst?
Ich wählte meine Worte mit Bedacht. Nein, ich konnte sie nicht in Ruhe
lassen, aber vielleicht war sie schlau genug, mich in Ruhe zu lassen, bevor es zu
spät war.
„Es wäre… klüger für dich, nicht mit mir befreundet zu sein.“ In die Tiefen
ihrer aus geschmolzener Schokolade bestehenden Augen zu blicken machten
langsam unmöglich. „Aber ich bin es leid, mich von dir fernzuhalten Bella.“ Die
Worte brannten mit viel zu viel Inbrunst.
Sie hielt den Atem an und die Sekunde die sie brauchte um weiter zu
atmen beunruhigte mich. Wie sehr hatte ich sie erschreckt? Naja, ich würde es
herausfinden.
„Möchtest du mit mir nach Seattle fahren?“ fragte ich sie geradeheraus.
Sie nickte, ihr Herz pochte laut.
Ja. Sie hatte ja gesagt, zu mir.
Und dann wurde mir schlagartig etwas bewusst. Was würde sie das
kosten?
„Du solltest dich wirklich von mir fernhalten,“ warnte ich sie. Hatte sie
mich gehört? Würde sie der Zukunft entkommen, in die ich sie hineindrängte?
Konnte ich irgendetwas tun, um sie vor mir zu beschützen?
Geh es langsam an, brüllte ich mich an. „Wir sehen uns dann im
Unterricht.“
Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu rennen, als ich floh.
6. Blutgruppe

Den ganzen Tag folgte ich ihr durch die Augen von anderen Schülern und nahm
meine eigenen Umgebung kaum war.
Nicht durch die Augen von Mike Newton, denn ich konnte seine anstößigen
Fantasien nicht mehr ertragen und auch nicht durch die von Jessica Stanley, denn
ihre Abneigung gegenüber Bella machte mich wütend auf eine Art die nicht
gesund war für das engstirnige Mädchen. Angela Webber war eine gute Wahl,
wenn ihre Augen zur Verfügung standen; sie war freundlich – ihr Kopf war ein
angenehmer Ort. Und manchmal waren es die Lehrer, die einem den besten Blick
boten.
Ich überrascht zu sehen, wie sie durch den Tag stolperte – trippelte über
Risse im Gehweg, verstreute ihre Bücher, und, am häufigsten von allem, viel sie
über ihre eignen Füße – die Leute durch deren Augen ich sie belauschte dachten
sie wäre tollpatschig.
Ich dachte darüber nach. Es stimmte, dass ich öfter mal Probleme damit
hatte, aufrecht zu stehen. Ich erinnerte mich, wie sie an diesem ersten Tag in den
Tisch vor mir gerannt ist, wie sie auf dem Eis hin und her rutschte vor dem Unfall,
wie sie über die Fußleiste im Türrahmen gestolpert ist gestern… Wie seltsam, sie
hatten recht. Sie war tollpatschig.
Ich wusste nicht, warum ich das so witzig fand, aber ich musste laut
loslachen während ich von Geschichte zu Englisch ging und einige Leute warfen
mir verwirrte Blicke zu. Warum war mir das bloß noch nie aufgefallen? Vielleicht
weil da irgendetwas Anmutiges in ihrer Stille war, so wie sie ihren Kopf hielt, der
Bogen ihres Nackens…
Jetzt hatte sie nichts Anmutiges mehr an sich. Mr. Varner beobachtete, wie
sie mit der Spitze ihres Schuhs am Teppich hängen blieb und sich wortwörtlich in
ihren Stuhl fallen ließ.
Ich musste wieder lachen.
Die Zeit verging unglaublich langsam, während ich auf meine Möglichkeit
wartete, sie wieder mit meinen eigenen Augen sehen zu können. Endlich ertönte
die Glocke. Ich marschierte so schnell es ging ohne aufzufallen, zur Cafeteria um
meinen Platz zu sichern. Ich war einer er ersten. Ich entschied mich für einen
Tisch der meistens leer war und war mir sicher, dass er das auch bleiben würde,
wenn ich dort saß.
Als meine Familie den Raum betrat und mich an einem anderen Tisch
sitzen sah, waren sie nicht überrascht. Alice musste sie vorgewarnt haben.
Rosalie stolzierte an mir vorbei ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Idiot.
Rosalie und ich hatten nie eine einfache Beziehung gehabt – ich hatte sie
gekränkt, als sie mich das allererste mal hatte sprechen hören, von da an ging es
abwärts – aber es schien als wäre sie in den letzten Tagen noch schlechter
gelaunt. Ich seufzte. Rosalie machte es sich selbst schwer.
Jasper schenkte mir ein halbes Lächeln als er an mir vorbeilief.
Viel Glück, dachte er zweifelnd.
Emmett verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
Er hat seinen Verstand verloren, der arme Junge.
Alice strahlte, ihre Zähne zu weit entblößt.
Kann ich jetzt mit Bella reden??
„Halt dich da raus,“ flüsterte ich unter vorgehaltener Hand.
Ihr Lächeln senkte sich und dann strahlte sie wieder.
Na gut. Dann seih eben Stur. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Ich seufzte wieder.
Vergiss den Versuch in Biologie heute nicht, erinnerte sie mich.
Ich nickte. Nein, das hatte ich nicht vergessen.
Während ich darauf wartete, dass Bella die Cafeteria erreichte folgte ich ihr
durch die Augen eines High School Anfängers, der hinter Jessica lief. Jessica
quasselte ununterbrochen von dem Ball, aber Bella antwortete nicht. Nicht das
Jessica ihr die Möglichkeit dazu gegeben hätte.
In dem Moment als Bella durch die Tür der Cafeteria trat, warf sie einen
Blick zu dem Tisch an dem meine Geschwister saßen. Sie schaute einen Moment,
dann legte sie ihre Stirn in Falten und ihre Augen senken sich zum Boden. Sie
hatte mich noch nicht gesehen.
Sie sah so… traurig aus. Ich verspürte das starke verlangen, aufzustehen
und an ihre Seite zu gehen, um sie irgendwie zu trösten, nur ich wusste nicht,
was sie als tröstend empfunden hätte. Ich wusste nicht, warum sie plötzlich so
traurig war. Jessica plapperte weiter über den Ball. War Bella traurig, dass sie
nicht dabei sein würde? Das kam mir unwahrscheinlich vor…
Aber das könnte man ändern, wenn sie wollte.
Sie kaufte sich etwas zu trinken und sonst nichts. War das richtig?
Brauchte sie nicht mehr Nahrung als das? Ich hatte mir nie viele Gedanken über
die menschliche Ernährung gemacht.
Menschen waren so verdammt gebrechlich! Es gab millionen
verschiedener Dinge um die man sich sorgen musste…
„Edward Cullen starrt dich schon wieder an,“ hörte ich Jessica sagen. „Ich
frag mich, warum er heute alleine sitzt?“
Ich war Jessica dankbar – obwohl ihre Abneigung jetzt noch größer wurde –
denn Bellas Kopf schoss nach oben und sie sah sich um, bis sich unsere Blicke
trafen.
Da war keine Spur mehr von Trauer in ihren Augen. Ich machte mir
Hoffnungen, dass sie vielleicht traurig gewesen war, weil sie dachte ich hätte die
Schule heute früher verlassen und diese Hoffnung ließ mich lächeln.
Ich bedeutete ihr mit meinem Finger sich zu mir zu setzten. Sie wirkte so
geschockt darüber, dass ich sie wieder aufziehen wollte.
Also zwinkerte ich und ihr Mund klappte auf.
„Meint er dich?“ fragte Jessica entgeistert.
„Vielleicht braucht er Hilfe mit seinen Bio-Hausaufgaben,“ sagte sie mit
leiser, verunsicherter Stimme. „Ähm, ich geh besser mal gucken, was er will.“
Das war wieder ein Ja.
Sie stolperte zweimal auf dem Weg zu meinem Tisch obwohl auf ihrem
Weg nichts lag außer perfekt glattem Linoleum. Mal ehrlich, wie konnte ich das
übersehen? Ich vermute mal ich hatte ihren stummen Gedanken mehr
Aufmerksamkeit geschenkt… Was hatte ich sonst noch übersehen?
Seih ehrlich und geh es langsam an, ermahnte ich mich selbst.
Sie hielt hinter dem Stuhl der mir gegenüberstand und zögerte. Ich atmete
tief ein, diesmal durch meine Nase statt durch den Mund.
Spüre das brennen, dachte ich trocken.
„Warum setzt du dich heute nicht mal zu mir?“ fragte ich sie.
Sie zog den Stuhl zurück und setzte sich, wobei sie mich die ganze Zeit
nicht aus den Augen ließ. Sie wirkte nervös, aber ihre Physische Zusage war
wieder ein Ja.
Ich wartete darauf, dass sie etwas sagte.
Es dauerte einen Moment, aber dann sagte sie, „Das ist komisch.“
„Naja…“ ich zögerte. „Ich dachte mir, wenn ich schon in die Hölle komme,
dann richtig.“
Warum hatte ich das gesagt? Ich vermute es war wenigstens ehrlich. Und
vielleicht hatte sie die unterschwellige Warnung in meinen Worten gehört.
Vielleicht merkte sie, dass sie besser aufstehen und so schnell wie möglich
verschwinden sollte…
Sie stand nicht auf. Sie starrte mich an, abwartend, als hätte ich meinen
Satz noch nicht beendet.
„Du weißt, dass ich keine Ahnung habe wovon du redest,“ sagte sie als ich
nicht weitersprach.
Das war eine Erleichterung. Ich lächelte.
„Ich weiß.“
Es war schwer die Gedanken zu ignorieren, die hinter meinem Rücken
schrien – und ich sollte ohnehin das Thema wechseln.
„Ich glaube deine Freunde sind sauer auf mich, weil ich dich entführt
habe.“
Das schien sie nicht zu kümmern. „Sie werden es überleben.“
„Aber vielleicht gebe ich dich nicht zurück.“ Ich wusste nicht mal ob ich
versuchte ehrlich zu sein, oder ob ich sie nur wieder aufziehen wollte. In ihrer
Nähe war es schwer meine eigenen Gedanken zu verstehen.
Bella schluckte laut.
Ich lachte über ihren Gesichtsausdruck. „Du siehst besorgt aus.“ Es sollte
wirklich nicht lustig sein… Sie sollte besorgt sein.
„Nein.“ Sie war eine schlechte Lügnerin; es half nicht, dass ihre Stimme
wegbrach. „Überrascht, ehrlichgesagt… Wie kommt das?“
„Ich hab dir doch gesagt,“ erinnerte ich sie. „Ich bin es leid mich von dir
fernzuhalten. Also hab ich es aufgegeben.“ Ich bemühte mich mein lächeln
beizubehalten. Es war gar nicht so einfach – ehrlich und lässig zu gleich zu sein.
„Aufgegeben?“ wiederholte sie verwirrt.
„Ja – aufgegeben gut zu sein.“ Und scheinbar auch aufgeben lässig zu sein.
„Ich mache jetzt nur noch was ich will und lasse die Würfel fallen wie sie wollen.“
Das war ehrlich genug. Ihr meinen Egoismus zeigen. Es ihr auch eine Warnung
sein lassen.
„Ich versteh schon wieder nichts.“
Ich war egoistisch genug um mich darüber zu freuen. „Ich sage immer zu
viel, wenn ich mit dir rede – das ist eins der Probleme.“
Ein eher kleines Problem, verglichen mit den anderen.
„Keine Sorge,“ versicherte sie mir. „Ich verstehe sowieso nichts.“
Gut. Das bedeutete sie blieb. „Das hoffe ich doch.“
„Also im Klartext, sind wir jetzt Freunde?“
Ich überschlug das kurz für eine Sekunde. „Freunde…“ wiederholte ich. Ich
mochte den Klang nicht. Es war nicht genug.
„Oder nicht,“ murmelte sie und sah beschämt aus.
Dachte sie, dass ich sie dafür nicht genug mögen würde?
Ich lächelte. „Naja, wir können es versuchen, denke ich. Aber ich warne
dich, ich bin kein guter Freund für dich.“
Hin und her gerissen wartete ich auf ihre Reaktion – einerseits wünschte
ich mir, sie würde endlich verstehen, anderseits dachte ich, ich würde sterben,
wenn sie es tat. Wie Melodramatisch. Ich benahm mich so menschlich.
Ihr Herz schlug schneller. „Das sagst du ständig.“
„Ja, weil du nicht auf mich hörst,“ sagte ich wieder zu leidenschaftlich. „Ich
warte immer noch darauf, dass du mir endlich glaubst. Wenn du schlau bist,
gehst du mir aus dem Weg.“
Aber würde ich es zulassen, wenn sie es versuchen würde?
Ihre Augen verengten sich. „Ich denke deinen Eindruck meiner Intelligenz
hast du damit klar gemacht.“
Ich war mir nicht ganz sicher, was sie damit meinte, aber ich lächelte
entschuldigend, weil ich sie wohl versehentlich gekränkt hatte.
„Also,“ sagte sie langsam. „So lange ich… nicht schlau bin, können wir
versuchen Freunde zu sein?“
„So könnte man es sagen.“
Sie senkte ihren Blick und starrte intensiv auf die Limonadenflasche in
ihrer Hand.
Die altbekannte Neugierte folterte mich.
„Was denkst du gerade?“ fragte ich – es war befreiend diese Worte endlich
laut aussprechen zu können.
Sie erwiderte meinen Blick, ihr Puls wurde schneller während ihre Wangen
rot anliefen. Ich atmete ein, um die Luft zu schmecken.
„Ich versuche herauszufinden, was du bist.“
Ich behielt mein Lächeln bei und festigte meine Gesichtszüge während
Panik in mir aufstieg.
Natürlich versuchte sie das. Sie war nicht dumm. Ich konnte nicht hoffen,
dass sie etwas so offensichtliches übersah.
„Und, funktioniert es?“ fragte ich so ruhig wie ich konnte.
„Nicht wirklich,“ gab sie zu.
Ich kicherte vor Erleichterung. „Hast du irgendwelche Theorien?“
Sie konnten nicht schlimmer sein, als die Wahrheit, egal was sie sich
überlegt hatte.
Ihre Wangen wurden noch röter und sie sagte nichts. Ich konnte die Wärme
ihrer geröteten Wangen in der Luft spüren.
Ich versuchte meinen überzeugenden Tonfall bei ihr anzuwenden. Bei
normalen Menschen funktionierte es wunderbar.
„Willst du sie mir nicht erzählen?“ Ich lächelte ermutigend.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Zu peinlich.“
Hmpf. Es nicht zu wissen, war schlimmer als alles andere. Warum sollten
ihr ihre Überlegungen peinlich sein? Ich hielt es nicht aus, es nicht zu wissen.
„Das ist wirklich frustrierend, weißt du das?“
Meine Beschwerde löste irgendetwas in ihr aus. Ihre Augen funkelten und
die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
„Nein, ich kann mir nicht vorstellen, warum das frustrierend sein sollte –
nur weil jemand dir nicht sagen möchte, was er denkt, obwohl er selber nur
kryptische Andeutungen macht nur um dich die ganze Nacht wach zu halten um
darüber nachzudenken, was sie bedeuten könnten… also, warum sollte das
frustrierend sein?“
Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, weil ich wusste, dass sie recht hatte.
Ich war nicht fair.
Sie fuhr fort. „Oder noch besser, sagen wir mal diese Person macht einen
Haufen seltsamer Dinge – am einen Tag rettet sie dein Leben unter unmöglichen
Umständen und am nächsten behandelt sie dich wie einen Parasiten und erklärt
weder das eine noch das andere. Das wäre auch alles gar nicht frustrierend.“
Das war die längste Rede die ich je aus ihrem Mund gehört hatte und sie
gab mir einen weiteren Punkt für meine Liste.
„Du hast ein ziemliches Temperament, oder?“
„Ich mag keine Doppelmoral.“
Sie ging total auf in ihrem Ärger.
Ich starrte Bella an und überlegte, ob ich überhaupt irgendetwas richtig
machen konnte in ihren Augen, als Mike Newtons stille Rufe mich ablenkten.
Er war so wütend, dass ich lachen musste.
„Was?“ schnaubte sie.
„Dein Freund denkt ich bin gemein zu dir – er überlegt ob er herkommen
und unseren Streit beenden sollte.“ Das würde ich gern sehen. Ich lachte wieder.
„Ich weiß nicht von wem du redest,“ sagte sie eisig. „Aber ich denke du
hast unrecht.“
Ich genoss die Art wie sie ihm eine Abfuhr erteilte durch diese Aussage.
„Hab ich nicht. Ich sagte dir doch, dass die meisten Menschen leicht zu
durchschauen sind.“
„Abgesehen von mir.“
„Ja. Abgesehen von dir.“ Musste sie für alles eine Ausnahme sein? Wäre es
nicht fairer – wenn man bedenkt womit ich jetzt alles klar kommen musste –
wenn ich wenigsten etwas in ihrem Kopf hören könnte? War das zu viel verlangt?
„Ich frag mich, warum das so ist?“
Ich starrte in ihre Augen und versuchte es wieder…
Sie senkte den Blick. Die Augen stur auf den Tisch gerichtet, öffnete sie
ihre Limonade und nahm einen kurzen Schluck.
„Hast du keinen Hunger?“ fragte ich.
„Nein.“ Sie sah auf den leeren Tisch zwischen uns. „Und du?“
„Nein, ich hab keinen Hunger,“ sagte ich. Den hatte ich definitiv nicht.
Sie schürzte ihre Lippe und starrte weiter auf den Tisch. Ich wartete.
„Würdest du mir einen Gefallen tun?“ fragte sie und blickte plötzlich
wieder auf.
Was könnte sie von mir wollen? Würde sie nach der Wahrheit fragen, die
ich ihr nicht erzählen konnte – die Wahrheit von der ich niemals wollte, dass sie
sie erfährt?
„Das kommt darauf an, was du möchtest?“
„Nicht viel,“ versprach sie.
Ich wartete, wieder neugierig.
„Ich hab mich nur gefragt,“ sagte sie langsam während sie auf die
Limonadenflasche starrte und mit dem kleinen Finger über die Öffnung strick.
„Ob du mich vielleicht vorwarnen könntest wenn du dich das nächste mal
entschließt, mich zu meinem wohl zu ignorieren? Nur damit ich vorbereitet bin.“
Sie wollte eine Vorwarnung? Also musste meine Ignoranz etwas schlechtes
sein… ich lächelte.
„Das hört sich fair an,“ stimmte ich zu.
„Danke,“ sagte sie. Ihr Gesicht war so erleichtert, dass ich über meine
eigene Erleichterung lachen wollte.
„Kann ich dann auch einen Gefallen haben?“ fragte ich Hoffnungsvoll.
„Einen,“ erlaubte sie.
„Nenn mir eine Theorie.“
Sie wurde rot. „Das nicht.“
„Du hast keine Einschränkungen gemacht, nur versprochen zu antworten,“
argumentierte ich.
„Du hast selbst schon Versprechen gebrochen,“ gab sie zurück.
Da hatte sie recht.
„Nur eine Theorie – ich werde auch nicht lachen.“
„Doch, du wirst.“ Sie schien sich dessen absolut sicher zu sein, obwohl ich
mir nicht vorstellen konnte, was daran lustig sein könnte.
Ich versuchte erneut überzeugend zu sein. Ich schaute ihr tief in die Augen
– das war einfach bei Augen mit einer solchen Tiefe – und flüsterte, „Bitte?“
Sie blinzelte und ihr Gesicht wurde Ausdruckslos.
Naja, das war nicht genau die Reaktion die ich mir erhofft hatte.
„Äh, was?“ fragte sie. Sie sah benommen aus. Was stimmte nicht mit ihr?
Aber ich gab noch nicht auf.
„Bitte sag mir nur eine kleine Theorie,“ bettelte ich mit meiner sanften,
nicht-furchteinflößenden Stimme, während ich ihren Blick auffing.
Zu meiner Überraschung und Zufriedenheit, schien es endlich zu wirken.
„Ähm, naja, hat dich eine Radioaktive Spinne gebissen?“
Comics? Kein Wunder, dass sie dachte, ich würde lachen.
„Das ist nicht besonders kreativ,“ schalt ich sie und versuchte meine
erneute Erleichterung zu verbergen.
„Tut mir leid, weiter bin ich noch nicht,“ gab sie sich geschlagen.
Das erleichterte mich noch mehr. Jetzt konnte ich sie wieder aufziehen.
„Du bist nicht mal nahe dran.“
„Keine Spinnen?“
„Nein.“
„Keine Radioaktivität?“
„Keine.“
„Verdammt,“ seufzte sie.
„Kryptonit macht mir auch nichts aus,“ sagte ich schnell – bevor sie nach
Bissen fragen konnte – und dann musste ich lachen, weil sie dachte ich wäre ein
Superheld.
„Du hast versprochen nicht zu lachen.“
Ich presste meine Lippen aufeinander.
„Ich werd‘s noch herausfinden,“ versprach sie.
Und wenn sie das tat würde sie wegrennen.
„Ich wünschte du würdest es nicht versuchen,“ sagte ich ohne zu sticheln.
„Weil…?“
Ich schuldete ihr Ehrlichkeit. Ich versuchte zu lächeln um meine Worte
weniger furchteinflößend klingen zu lassen. „Was wenn ich kein Superheld bin?
Was wenn ich der Böse bin?“
Ihre Augen wurden ein kleines bisschen größer und ihre Lippen öffneten
sich leicht. „Oh,“ sagte sie. Und nach einer weiteren Sekunde, „Ich verstehe.“
Sie hatte mich endlich gehört.
„Wirklich?“ fragte ich und unterdrückte meine Verzweiflung.
„Du bist gefährlich?“ vermutete sie. Ihr Atem überschlug sich und ihr Herz
raste.
Ich konnte ihr nicht antworten. War dies mein letzter Moment mit ihr?
Würde sie jetzt wegrennen? Würde es mir möglich sein ihr zu sagen, dass ich sie
liebte, bevor sie weg war? Oder würde ihr das noch mehr Angst machen?
„Aber nicht böse,“ flüsterte sie und schüttelte ihren Kopf, in ihren Augen
lag keine Spur von Angst. „Nein, ich glaube nicht, dass du böse bist.“
„Da liegst du falsch,“ stöhnte ich.
Natürlich war ich böse. Frohlockte ich jetzt nicht, da ich wusste, dass sie
besser von mir dachte, als ich es verdiente? Wenn ich gut wäre würde ich mich
von ihr fernhalten.
Ich streckte meine Hand über den Tisch um, als Ausrede, nach dem Deckel
ihrer Limonadenflasche zu greifen. Sie zuckte nicht zurück, obwohl meine kalte
Hand plötzlich so nah war. Sie hatte wirklich keine Angst vor mir. Noch nicht.
Ich drehte den Deckel wie einen Kreisel und beobachtete ihn, statt sie.
Meine Gedanken waren das reinste Durcheinander.
Lauf, Bella, lauf. (Lauf Forrest, lauf! *lol*) Ich brachte es nicht über mich
die Worte laut auszusprechen.
Sie sprang auf. „Wir kommen zu spät,“ sagte sie genau in dem Moment wo
ich dachte, sie hätte irgendwie meine Stumme Warnung gehört.
„Ich gehe heute nicht zum Unterricht.“
„Warum nicht?“
Weil ich dich nicht töten will. „Es ist manchmal gesünder zu schwänzen.“
Um genau zu sein, war es gesünder für die Menschen, wenn die Vampire
schwänzten an Tagen an denen Menschliches Blut vergossen werden sollte. Mr.
Banner wollte heute Blutgruppen bestimmen. Alice hatte schon ihre erste Stunde
geschwänzt.
„Naja, ich gehe jedenfalls hin,“ sagte sie. Das überraschte mich nicht. Sie
war verantwortungsbewusst – sie tat immer das Richtige.
Sie war das Gegenteil von mir.
„Wir sehen uns dann später,“ sagte ich, ein Versuch wieder lässig zu
klingen während ich auf den kreisenden Deckel starrte. Und, ganz nebenbei, ich
bete dich an… auf eine angsteinflößende, gefährliche Art und Weise.
Sie zögerte, und ich hoffte für einen kurzen Moment, dass sie trotz allem
bei mir bleiben würde. Aber die Glocke läutete und sie rannte davon.
Ich wartete, bis sie verschwunden war und dann steckte ich den Deckel in
meine Tasche – ein Andenken an diese wichtige Unterhaltung – und lief durch
den Regen zu meinem Auto.
Ich legte meine Lieblings Beruhigungs CD ein – dieselbe die ich mir an
diesem ersten Tag angehört hatte – aber ich hörte Debussys Noten nicht sehr
lange. Andere Noten klangen in meinem Kopf, das Fragment einer Melodie, die
mich befriedigte und faszinierte. Ich drehte die Anlage leiser und lauschte der
Musik in meinem Kopf, spielte mit dem Fragment, bis es sich zu einer volleren
Harmonie entwickelte. Instinktiv bewegte ich meine Finger in der Luft über
imaginäre Pianotasten.
Die neue Komposition kam gut voran, als eine Welle Seelischer Pein meine
Aufmerksamkeit erweckte.
Ich schaute in die Richtung aus der diese Pein kam.
Wird sie jetzt umkippen? Was soll ich jetzt tun? Mike war in Panik.
Ungefähr 100 Yards entfernt, ließ Mike Newton Bellas schlaffen Körper auf
den Bürgersteig sinken. Sie plumpste teilnahmslos auf den nassen Beton, ihre
Augen geschlossen, ihre Haut kreidebleich wie eine Leiche.
Ich riss fast die Tür aus dem Auto.
„Bella?“ rief ich.
Da war keine Veränderung in ihrem leblosen Gesicht, als ich ihren Namen
rief.
Mein Körper wurde kälter als Eis.
Ich war mir Mikes verärgerter Überraschung bewusst, als ich wütend seine
Gedanken aussiebte. Er dachte nur an seine Wut auf mich, also wusste ich nicht,
was mit Bella los war. Wenn er ihr irgendetwas angetan hätte würde ich ihn
auslöschen.
„Was hat sie – ist sie verletzt?“ verlangte ich zu wissen während ich
versuchte mich auf seine Gedanken zu konzentrieren. Es machte mich
wahnsinnig, dass ich in menschlicher Geschwindigkeit laufen musste. Ich hätte
mein Auftauchen nicht ankündigen sollen.
Dann konnte ich ihr Herz schlagen hören und ihren flachen Atem. Als ich zu
ihr hinsah, presste sie ihre Augen noch fester zu. Das beruhigte meine Panik ein
bisschen.
Ich sah eine Erinnerung in Mikes Gedanken auf flimmern, ein Schwall von
Bildern aus dem Biologieraum. Bellas Kopf auf unserem Tisch, ihre blasse Haut
leicht grünlich. Rote Tropfen auf den weißen Karten…
Blutgruppen-Bestimmung.
Ich blieb auf der Stelle stehen und hielt den Atem an. Ihr Duft war eine
Sache, aber ihr fließendes Blut eine ganz andere.
„Ich glaube sie ist Ohnmächtig,“ sagte Mike, ängstlich und aufgebracht in
einem. „Ich weiß nicht, was passiert ist, sie hat sich noch nicht mal in den Finger
gestochen.“
Eine Welle der Erleichterung durchfuhr mich und ich atmete wieder,
schmeckte die Luft. Ah, ich konnte den kleinen Fluss von Mike Newtons
Nadelstichgroßen Wunde riechen. Einst hätte mich das wohl gereizt.
Ich kniete mich neben sie, Mike schwebte neben mir, wütend über meine
Einmischung.
„Bella. Kannst du mich hören?“
„Nein,“ jammerte sie. „Geh weg.“
Die Erleichterung war so groß, dass ich lachen musste. Es ging ihr gut.
„Ich wollte sie gerade zur Krankenschwester bringen,“ sagte Mike. „Aber
sie konnte nicht mehr weitergehen.“
„Ich mach das. Du kannst zurück in den Unterricht gehen,“ sagte ich
abweisend.
Mike schlug seine Zähne aufeinander. „Nein, ich soll das machen.“
Ich hatte nicht vor hier herum zu stehen und mit diesem Kerl zu
diskutieren.
Erregt und panisch, halb dankbar und halb betrübt von dem Dilemma, das
es unumgänglich machte sie zu berühren, hob ich Bella sanft vom Bürgersteig
auf und hielt sie in meinen Armen. Ich berührte nur ihre Kleidung und versuchte
so viel Abstand wie Möglich zwischen unseren Körper zu behalten. In derselben
Bewegung schritt ich vorwärts um so schnell wir möglich in Sicherheit zu bringen
– mit anderen Worten, weiter weg von mir.
Erstaunt riss sie die Augen auf.
„Lass mich runter,“ befahl sie mich schwacher Stimme – schon wieder
verlegen, erriet ich an ihrem Ausdruck. Sie mochte es nicht, Schwäche zu zeigen.
Ich hörte Mikes lauten Protest hinter uns kaum.
„Du siehst furchtbar aus,“ sagte ich ihr und grinste, denn sie war
vollkommen in Ordnung abgesehen von einem schwachen Kopf und einem flauen
Magen.
„Leg mich wieder auf den Bürgersteig,“ sagte sie. Ihre Lippen waren weiß.
„Du wirst also Ohnmächtig wenn du Blut siehst?“ Konnte es noch
ironischer werden?
Sie schloss ihre Augen und presste die Lippen zusammen.
„Und nicht mal dein eigenes Blut,“ fügte ich hinzu und mein grinsen wurde
breiter.
Wir waren jetzt am Sekretariat. Die Tür war einen Spalt geöffnet und ich
trat sie aus meinem Weg.
Ms. Cope sprang überrascht auf. „Oh je,“ japste sie als sie das aschfahle
Mädchen in meinen Armen sah.
„Sie ist in Biologie umgekippt,“ erklärte ich, bevor sie sich sonst was
überlegen konnte.
Ms. Cope beeilte sich, die Tür zum Zimmer der Krankenschwester zu
öffnen. Bella hatte ihre Augen wieder geöffnet und beobachtete sie. Ich hörte das
innerliche Erstaunen der Krankenschwester als ich das Mädchen auf das schmale
Bett legte. Sobald ich sie abgelegt hatte, wich ich soweit von ihr zurück wie es
der schmale Raum zu ließ. Mein Körper war zu aufgeregt, zu begierig, meine
Muskeln angespannt und das Gift floss. Sie war so warm und wohlriechend.
„Ihr ist nur etwas schwindlig,“ versicherte ich Mrs. Hammond. „Sie
bestimmen Blutgruppen in Biologie.“
Sie nickte verstehend. „Es gibt immer einen.“
Ich unterdrückte ein Lachen. War klar, dass Bella diese eine sein würde.
„Leg dich einfach ein bisschen hin, Liebes,“ sagte Mrs. Hammond. „Es geht
vorbei.“
„Ich weiß,“ sagte Bella.
„Passiert das öfter?“ fragte die Krankenschwester.
„Manchmal,“ gab Bella zu.
Ich versuchte mein Lachen als Husten zu tarnen.
Das erinnerte die Krankenschwester daran, dass ich auch noch da war. „Du
kannst jetzt zurück zum Unterricht gehen,“ sagte sie.
Ich sah ihr direkt in die Augen und log mit perfekter Überzeugung. „Ich soll
bei ihr bleiben.“
Hmm. Ich frage mich… ach naja. Mrs. Hammond nickte.
Es funktionierte wunderbar bei ihr. Warum musste Bella so schwierig sein?
„Ich hole dir ein bisschen Eis für deinen Kopf, Liebes,“ sagte die
Krankenschwester, leicht irritiert davon mir in die Augen gesehen zu haben – so
wie Menschen reagieren sollten – und verließ den Raum.
„Du hattest recht,“ stöhnte Bella und schloss wieder ihre Augen.
Was meinte sie damit? Ich kam zum schlimmsten Ergebnis: sie hatte meine
Warnungen akzeptiert.
„Ich hab meistens recht,“ sagte ich und versuchte meine Stimme amüsiert
klingen zu lassen; sie klang er sauer. „Aber womit denn genau?“
„Schwänzen ist gesund,“ seufzte sie.
Ah, wieder Erleichterung.
Dann war sie still. Sie atmete langsam ein und aus. Ihre Lippen wurden
langsam wieder rosa. Auf ihren Mund zu starren löste seltsame Gefühle in mir
aus. Ich wollte mich zu ihr hinbewegen, aber das war keine gute Idee.
„Du hast mir vorhin einen ganz schönen Schrecken eingejagt,“ sagte ich –
um die Unterhaltung wieder in Gang zu setzen, damit ich wieder ihre Stimme
hören konnte. „Ich dachte, Newton würde deinen toten Körper wegzerren um ihn
im Wald zu vergraben.“
„Ha ha,“ sagte sie.
„Ehrlich – ich hab schon Leichen mit besserer Farbe gesehen.“ Das
stimmte sogar. „Ich dachte schon, ich müsste deinen Mord rächen.“ Und das
hätte ich auch getan.
„Der arme Mike,“ seufzte sie. „Ich wette er ist sauer.“
Wurt stieg in mir auf, aber ich dämmte sie sofort ein. Ihre Sorge war sicher
nur Mitleid. Sie war gütig. Das war alles.
„Er hasst mich,“ sagte ich ihr, diese Idee brachte mich um jubeln.
„Das kannst du nicht wissen.“
„Ich hab sein Gesicht gesehen – Ich kann es wissen.“ Es war vermutlich die
Wahrheit, dass sein Gesicht zu lesen mir genug Informationen gegeben hätte um
diese Feststellung zu machen. Und die ganze Übung mit Bella verbesserte meine
Fähigkeit menschliche Gesichter zu lesen.
„Wie konntest du mich sehen? Ich dachte du schwänzt.“ Ihr Gesicht sah
besser aus – der grüne Ton war aus ihrer transparenten Haut verschwunden.
„Ich saß in meinem Auto und hab Musik gehört.“
Ihr Gesicht zuckte, als hätte meine gewöhnliche Antwort sie irgendwie
überrascht.
Sie öffnete wieder ihre Augen als Mrs. Hammond mit dem Eisbeutel
zurückkam.
„Hier, Liebes,“ sagte die Krankenschwester, während sie Bella das Eis auf
die Stirn legte. „Du siehst besser aus.“
„Ich glaube mir geht es gut,“ sagte Bella und nahm den Eisbeutel von
ihrem Kopf während sie sich aufsetzte. Natürlich. Sie mochte es nicht, wenn man
sich um sie kümmerte.
Mrs. Hammonds faltige Hand flatterte auf Bella zu, als wollte sie sie wieder
runter drücken, aber in diesem Moment öffnete Ms. Cope die Tür und beugte sich
hinein. Ihr Auftauchen wurde begleitet von dem Geruch von frischem Blut, nur
ein Hauch.
Unsichtbar für mich im Raum hinter ihr, stand Mike Newton, immer noch
sehr sauer, und wünschte sich, der schwere Junge den er jetzt hinter sich herzog
wäre das Mädchen das mit mir hier drin war.
„Wir haben hier noch einen,“ sagte Ms. Cope.
Bella sprang schnell von dem Bett, dankbar aus dem Scheinwerferlicht zu
sein.
„Hier,“ sagte sie und reichte Mrs. Hammond den Eisbeutel. „Den brauche
ich nicht mehr.“
Mike grunzte als er Lee Stevens halb durch die Tür schob. Es sickerte
immer noch Blut aus der Hand die Lee vor sein Gesicht hielt und rann zu seinem
Handgelenk.
„Oh nein.“ Das war mein Stichwort zu gehen – und Bellas auch wie es
schien. „Geh raus, Bella.“
Sie starrte mit verwirrten Augen zu mir hoch.
„Vertrau mir – geh.“
Sie wirbelte herum, erreichte die Tür bevor sie zufiel und eilte hindurch
zum Sekretariat. Ich war nur wenige Zentimeter hinter ihr. Ihre wehenden Haare
streiften meine Hand…
Sie drehte sich zu mir um, immer noch mit geweiteten Augen.
„Du hast auf mich gehört.“ Das war das erste Mal.
Sie rümpfte ihre kleine Nase. „Ich hab das Blut gerochen.“
Ich starrte sie vollkommen perplex an. „Menschen können kein Blut
riechen.“
„Naja, ich schon – das ist es wovon mir schlecht wird. Es riecht rostig… und
salzig.“
Mein Gesicht war gefroren, ich starrte sie immer noch an.
Was sie wirklich ein Mensch? Sie sah menschlich aus. Sie fühlte sich so
weich an, wie ein Mensch. Sie roch menschlich – naja, eigentlich besser. Sie
benahm sich menschlich… irgendwie. Aber sie dachte nicht wie ein Mensch, oder
reagierte wie einer.
Was gab es sonst noch für Möglichkeiten?
„Was?“ verlangte sie.
„Es ist nichts.“
Mike Newton unterbrach uns indem er den Raum mit grollenden, brutalen
Gedanken betrat.
„Du siehst besser aus,“ sagte er ungehalten zu ihr.
Meine Hand zuckte, wollte ihm Manieren beibringen. Ich sollte besser
aufpassen, sonst würde ich damit enden diesen unausstehlichen Jungen zu töten.
„Behalt bloß deine Hand in der Tasche,“ sagte sie. Für eine Sekunde
dachte ich sie redete mit mir.
„Es blutet nicht mehr,“ antwortete er beleidigt. „Kommst du mit zurück
zum Unterricht?“
„Machst du Witze? Da kann ich ja direkt hier bleiben.“
Das war sehr gut. Ich dachte ich würde die ganze Stunde mit ihr verpassen
und jetzt bekam ich sogar zusätzliche Zeit. Ich fühlte mich habgierig wie ein
Geizhals der über jede Minute freute.
„Ja, stimmt wohl…“ murmelte Mike. „Also kommst du dieses Wochenende
mit? Zum Strand?“
Ah, sie hatten Pläne. Der Ärger ließ mich erstarren. Es war ein
Gruppenausflug. Ich hatte etwas davon in den Köpfen der anderen Schüler
gesehen. Es waren nicht nur die beiden. Ich war immer noch wütend. Ich lehnte
mich an den Tresen und versuchte die Kontrolle zu behalten.
„Klar, ich hab doch gesagt, dass ich dabei bin,“ versprach sie ihm.
Also hatte sie zu ihm auch Ja gesagt. Die Eifersucht brannte, schmerzhafter
als Durst.
Nein, es war nur ein Gruppenausflug, versuchte ich mich zu überzeugen.
Sie verbrachte den Tag mit Freunden. Nichts weiter.
„Wir treffen uns am Laden meines Vaters, gegen zehn.“ Und Cullen ist
NICHT eingeladen.
„Ich werde da sein,“ sagte sie.
„Wir sehen uns dann in Sport.“
„Ja bis dann,“ antwortete sie.
Er trottete zurück zu seinem Unterricht, seine Gedanken voller Zorn. Was
sieht sie bloß in diesem Freak? Klar, er ist reich, denke ich. Die Mädchen denken
er wäre heiß, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Viel zu… zu perfekt. Ich
wette sein Vater experimentiert mit Schönheitsoperationen an ihnen allen.
Deshalb sind sie alle so weiß und schön. Das ist nicht normal. Und er sieht
irgendwie… unheimlich aus. Manchmal wenn er mich ansieht, könnte ich
schwören dass er darüber nachdenkt mich zu töten… Freak…
Mike war nicht vollkommen unaufmerksam.
„Sport,“ wiederholte Bella leise. Ein Ächzen.
Ich sah zu ihr bemerkte, dass wieder traurig war wegen irgendetwas. Ich
war mir nicht sicher weswegen, aber es war offensichtlich, dass sie nicht zu ihrer
nächsten Stunde mit Mike gehen wollte und ich war absolut für diesen Plan.
Ich ging zu ihr und lehnte mich zu ihr hinunter, fühlte wie die Wärme ihrer
Haut zu meinen Lippen ausstrahlte. Ich durfte nicht atmen.
„Ich kümmere mich darum,“ murmelte ich. „Setzt dich da drüben hin und
sieh blass aus.“
Sie tat was ich sagte, setzte sich auf einen der Klappstühle und lehnte
ihren Kopf an die Wand, während hinter mir Ms. Cope aus dem Hinterzimmer kam
und zu ihrem Schreibtisch ging. Mit geschlossenen Augen sah Bella so aus, als
wäre sie wieder ohnmächtig. Ihre Farbe war noch nicht vollständig
zurückgekehrt.
Ich drehte mich zu der Sekretärin um. Hoffentlich passte Bella gut auf,
dachte ich hämisch. So hatte ein Mensch zu reagieren.
„Ms. Cope?“ fragte ich mit meiner überzeugenden Stimme.
Ihre Augenlieder flatterten und ihr Puls beschleunigte. Zu jung, reiß dich
zusammen! „Ja?“
Das war interessant. Wenn Shelly Copes Puls schneller ging, lag es daran,
dass sie mich attraktiv fand, nicht weil sie angst hatte. Ich war an sowas gewöhnt
wenn ich von menschlichen Frauen umgeben war… dennoch hatte ich diese
Erklärung nie für Bellas rasendes Herz in Betracht gezogen.
Diese Vorstellung gefiel mir sehr viel besser. Zu sehr, ehrlichgesagt. Ich
lächelte und Mrs. Copes Atem wurde lauter.
„Bella hat Sport in der nächsten Stunde, aber ich glaube nicht dass
sie sich schon so viel besser fühlt. Eigentlich dachte ich, es wäre besser, wenn ich
sie jetzt nach Hause bringe. Glauben sie sie könnten sie entschuldigen?“ Ich
schaute in ihre Augen und genoss das Chaos, das das in ihren Gedanken
verursachte. War es möglich, dass Bella…?
Mrs. Cope musste laut schlucken bevor sie mir antworten konnte.
„Brauchst du auch eine Entschuldigung, Edward?“
„Nein, ich habe Ms. Goff, sie wird es nicht stören.“
Ich beachtete sie nicht weiter. Ich überdachte diese neue Möglichkeit.
Hmm. Ich hätte gern geglaubt, dass Bella mich genauso attraktiv fand, wie
es andere Menschen taten, aber wann hatte Bella jemals die gleichen Reaktionen
wie andere Menschen? Ich sollte meine Hoffnung nicht aufkeimen lassen.
„Okay, alles klar. Geht’s die besser, Bella?“
Bella nickte schwach – ein bisschen zu theatralisch.
„Kannst du laufen, oder wäre es dir lieber, wenn ich dich wieder trage?“
fragte ich amüsiert von ihren schlechten Schauspielkünsten. Ich wusste, dass sie
lieber laufen wollte – sie wollte nicht schwach sein.
„Ich werde laufen,“ sagte sie.
Wieder recht gehabt. Ich wurde immer besser darin.
Sie stand auf und zögerte kurz, als ob sie ihr Gleichgewicht testen wollte.
Ich hielt ihr die Tür auf und wir traten hinaus in den Regen.
Ich beobachtete sie, wie sie ihr Gesicht in den Regen hielt mit
geschlossenen Augen und einem leichten Lächeln auf den Lippen. Was dachte
sie? Irgendetwas an dieser Haltung wirkte seltsam und ich erkannte schnell
warum es mir so unbekannt vorkam. Normale menschliche Mädchen würden ihr
Gesicht nicht in diesen Sprühregen halten; normale menschliche Mädchen trugen
Make-up, sogar hier an diesem nassen Ort.
Bella trug nie Make-up und brauchte es auch nicht. Die Kosmetikindustrie
verdiente Milliarden Dollar im Jahr an Mädchen die versuchten so eine Haut zu
bekommen wie sie.
„Danke,“ sagte sie und lächelte mich an. „Es ist gut wenn einem übel wird,
wenn man dafür Sport schwänzen kann.“
Ich blickte über den Schulhof während ich überlegte wie ich meine Zeit mit
ihr verlängern konnte. „Jederzeit,“ sagte ich.
„Also, kommst du auch? Diesen Samstag meine ich?“ Sie klang
hoffnungsvoll.
Ah, ihre Hoffnung war beruhigend. Sie wollte dass ich bei ihr bin und nicht
Mike Newton. Und ich wollte Ja sagen. Aber da waren viele Dinge die beachtet
werden mussten. Zum einen würde diesen Samstag die Sonne scheinen…
„Wo geht ihr denn genau hin?“ Ich versuchte beiläufig zu klingen, als ob es
mich nicht so sehr interessieren würde. Mike hatte etwas von Strand gesagt.
Nicht viele Möglichkeiten der Sonne dort auszuweichen.
„Runter nach La Push, nach First Beach.“
Verdammt. Naja, dann war es unmöglich.
Außerdem, Emmett wäre verärgert, wenn ich unsere Pläne absagen würde.
Ich blickte zu ihr hinunter und lächelte ironisch. „Ich glaube nicht, dass ich
eingeladen wurde.“
Sie seufzte, sie hatte bereits aufgegeben. „Ich hab dich gerade
eingeladen.“
„Lass uns den armen Mike nicht noch weiter reizen diese Woche. Wir
wollen doch nicht dass er zerreißt.“ Ich dachte daran den armen Mike selbst zu
zerreißen und genoss das Bild in meinem Kopf.
„Mike-schmike,“ (was soviel heißt wie „Schwuler Lackaffe“ ganz frei
übersetzt, aber das hört sich nicht so schön an ;) ) sagte sie, wieder abweisend.
Ich lächelte breit.
Und dann ging sie von mir weg.
Ohne nachzudenken, packte ich sie an ihrer Jacke. Mit einem Ruck kam sie
zum stehen.
„Was glaubst du wo du hingehst?“ Ich war fast sauer darüber, dass sie
mich verlassen wollte. Ich hatte noch nicht genug Zeit mit ihr verbracht. Sie
konnte nicht gehen, noch nicht.
„Ich geh nach Hause,“ sagte sie, verblüfft darüber weshalb mich dass
stören sollte.
„Hast du nicht gehört, dass ich versprochen habe, dich sicher nach Hause
zu bringen? Denkst du ich würde dich in deinem Zustand Auto fahren lassen?“ Ich
wusste, dass sie das nicht mögen würde – meine Folgerung ihrer Schwäche. Aber
ich musste ohnehin für den Seattle-Ausflug üben. Sehen ob ich mit ihrer Nähe
klar kam auf engem Raum. Das hier war eine sehr viel kürzere Fahr.
„Was für ein Zustand?“ verlangte sie. „Und was ist mit meinem Truck?“
„Alice bringt ihn dir nach der Schule.“ Ich zog sie zurück zu meinem Auto,
sehr vorsichtig, da ich mittlerweile wusste, dass sie schon beim vorwärtsgehen
Probleme hatte.
„Lass mich los!“ sagte sie, drehte sich seitwärts und stolperte fast. Ich
strecke eine Hand aus um sie aufzufangen, aber sie fing sich wieder bevor es
nötig war. Ich sollte nicht nach Ausreden suchen um sie zu berühren. Ich dachte
wieder an Mrs. Copes Reaktion auf mich, aber ich verschob es auf später. Da war
vieles was berücksichtigt werden musste an dieser Front.
Neben dem Auto ließ ich sie los, und sie stolperte gegen die Tür. Ich würde
noch vorsichtiger mit ihr umgehen müssen in Anbetracht ihrer
Gleichgewichtsprobleme…
„Du bist so aufdringlich!“
„Es ist offen.“
Ich stieg auf meiner Seite ein und startete den Wagen. Sie versteifte sich,
immer noch draußen obwohl der Regen stärker wurde und ich wusste, dass sie
die Kälte und die Nässe nicht mochte. Wasser tränke ihre dichten Haare und ließ
sie fast schwarz erscheinen.
„Ich bin absolut in der Lage, mich selbst nach Hause zu fahren.“
Natürlich war sie das – aber ich war nicht in der Lage sie gehen zu lassen.
Ich ließ das Beifahrerfenster herunter und lehnte mich zu ihr. „Steig ein
Bella.“
Sie verengte ihre Augen und ich vermutete, dass sie überlegte ob sie
versuchen sollte zu ihrem Wagen zu rennen.
„Ich hol dich sowieso wieder zurück,“ versprach ich und genoss ihren
verärgerten Gesichtsausdruck, als sie verstand, dass ich es ernst meinte.
Sie reckte ihr Kinn in die Luft, öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Der
Regen tropfte von ihren Haaren auf das Leder und ihre Stiefel quietschten.
„Das ist vollkommen unnötig,“ sagte sie kühl. Sie sah ein bisschen
verlegen aus unter ihrem Ärger.
Ich machte die Heizung an, damit sie es nicht unbequem hatte und drehte
die Musik leiser. Ich führ Richtung Ausfahrt und beobachtete sie aus dem
Augenwinkel. Sie schob schmollend die Unterlippe vor. Während ich es
beobachtete überlegte ich was das für Gefühle in mir auslöste… dachte dabei
wieder an die Reaktion der Sekretärin…
Plötzlich sah sie zu der Anlage und lächelte, ihre Augen geweitet. „Claire
de Lune?“ fragte sie.
Ein Klassik-Fan? „Du kennst Debussy?“
„Nicht gut,“ sagte sie. „Meine Mutter hört gern klassische Musik zu Hause –
ich kenne nur meine Lieblingsstücke.“
„Das ist auch eins meiner Lieblingsstücke.“ Ich starrte nachdenklich in den
Regen. Ich hatte tatsächlich etwas mit ihr gemeinsam. Dabei hatte ich gerade
angefangen zu denken, wir wären das genaue Gegenteil in jeder Hinsicht.
Sie wirkte jetzt entspannter und starrte, wie ich, in den Regen ohne etwas
zu sehen. Ich nutze ihre Ablenkung um mit meiner Atmung zu experimentieren.
Ich atmete vorsichtig durch die Nase ein.
Gewaltig.
Ich klammerte mich an das Lenkrad. Der Regen hatte ihren Duft noch
verbessert. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich wäre. Dummerweise stellte
ich mir jetzt vor, wie sie wohl schmecken würde
Ich versuchte gegen das Feuer in meiner Kehle an zu schlucken und an
etwas anderes zu denken.
„Wie ist deine Mutter so?“ fragte ich um mich abzulenken.
Bella lächelte. „Sie sieht genauso aus wie ich, nur hübscher.“
Das bezweifelte ich.
„Ich hab zu viel von Charlie in mir,“ sprach sie weiter. „Sie ist
aufgeschlossener als ich und mutiger.“
Das bezweifelte ich auch.
„Sie ist unverantwortlich und ein bisschen exzentrisch und sie ist eine sehr
unvorhersehbare Köchin. Sie ist meine beste Freundin.“ Ihre Stimme wurde
melancholisch; sie runzelte die Stirn.
Wieder klang sie mehr wie ein Elternteil als ein Kind.
Ich hielt vor ihrem Haus und fragte mich viel zu spät ob ich überhaupt
wissen durfte wo sie wohnt. Nein, das wäre nichts Ungewöhnliches in so einer
kleinen Stadt, mit ihrem Vater als Person der Öffentlichkeit…
„Wie alt bist du, Bella?“ Sie musste älter sein, als sie aussah. Vielleicht
kam sie erst spät in die Schule, oder ist sitzengeblieben… das schien eher
unwahrscheinlich.
„Ich bin siebzehn,“ antwortete sie.
„Du wirkst nicht wie siebzehn.“
Sie lachte.
„Was?“
„Meine Mutter sagt immer, ich bin mit fünfunddreißig geboren worden und
dass ich immer älter werde.“ Sie lachte wieder und dann seufzte sie. „Naja,
irgendeine muss ja die erwachsene sein.“
Das machte einiges klarer. Ich verstand jetzt… wie die unverantwortliche
Mutter Bellas Reife erklärte. Sie musste früh erwachsen werden um die
Verantwortung zu übernehmen. Deshalb mochte sie es nicht, wenn man sich um
sie kümmerte – sie dachte, das wäre ihr Job.
„Du wirkst aber auch nicht wie ein normaler High School Schüler,“ sagte
sie und riss mich aus meiner Träumerei.
Ich verzog das Gesicht. Jedesmal wenn ich etwas an ihre bemerkte,
bemerkte sie zu viel an mir. Ich wechselte das Thema.
„Also, warum hat deine Mutter Phil geheiratet?“
Sie zögerte eine Minute bevor sie antwortete. „Meine Mutter… sie ist sehr
jung für ihr Alter. Ich glaube bei Phil fühlt sie sich noch jünger. Sie ist verrückt
nach ihm.“ Sie schüttelte nachsichtig den Kopf.
„Akzeptierst du ihn?“ wunderte ich mich.
„Spielt das eine Rolle?“ fragte sie. „Ich möchte, dass sie glücklich ist… und
er ist es, den sie will.“
Die Selbstlosigkeit dieses Kommentars hätte mich verwundert, wenn es
nicht so perfekt zu dem gepasst hätte, was ich bisher über ihren Charakter
herausgefunden hatte.
„Das ist sehr großzügig… ich frag mich…“
„Was?“
„Wäre sie dir gegenüber auch so großzügig, was meinst du? Egal auf wen
deine Wahl fallen würde?“
Es war eine dumme Frage und ich schaffte es nicht meine Stimme lässig
klingen zu lassen, als ich sie stellte. Wie dämlich von mir überhaupt darüber
nachzudenke, jemand könnte mich für seine Tochter akzeptieren. Wie dämlich
von mir überhaupt nur zu denken, Bella könnte mich wählen.
„Ich – ich denke schon,“ stammelte sie als Reaktion auf meinen Blick.
Angst… oder Anziehung?
„Aber sie ist immer noch meine Mutter. Das ist ein bisschen was anderes,“
schloss sie.
Ich lächelte ironisch. „Also niemand allzu unheimliches.“
Sie grinste mich an. „Was meinst du mit unheimlich? Haufenweise
Piercings im Gesicht und Tattoos am ganzen Körper?“
„Das wäre auch eine Definition, denke ich.“ Eine sehr harmlose Definition
in meinen Augen.
„Was wäre deine Definition?“
Sie stellte immer die falschen Fragen. Oder vielleicht genau die richtigen
Fragen. Die Fragen die ich auf keinen Fall beantworten wollte.
„Glaubst du, ich könnte unheimlich sein?“ fragte ich sie und versuchte ein
bisschen zu lächeln.
Sie dachte kurz darüber nach bevor sie mir mit ernster Stimme antwortete.
„Hmm… Ich denke du könntest unheimlich sein, wenn du wolltest.“
Ich war jetzt auch ernst. „Hast du jetzt angst vor mir?“
Sie antwortet sofort, ohne darüber nachzudenken. „Nein.“
Ich lächelte wieder. Ich glaube nicht, dass sie die ganze Wahrheit sagte,
aber sie log auch nicht wirklich. Sie hatte immerhin nicht genug Angst um
wegrennen zu wollen. Ich fragte mich, wie sie sich wohl fühlte wenn ich ihr sagte,
dass sie diese Unterhaltung mit einem Vampir führte. Ich zuckte instinktiv
zusammen, als ich mir ihre Reaktion vorstellte.
„Also, erzählst du mir jetzt etwas über deine Familie? Das ist bestimmt
eine viel interessantere Geschichte als meine.“
Eine unheimlichere auf jeden Fall.
„Was möchtest du denn wissen?“ fragte ich vorsichtig.
„Die Cullens haben die adoptiert?“
„Ja.“
Sie zögerte und fragte dann kleinlaut. „Was ist mit deinen Eltern passiert?“
Das war nicht so schwer; Ich würde nicht mal lügen müssen. „Sie sind vor
langer Zeit gestorben.“
„Das tut mir leid,“ murmelte sie, offensichtlich besorgt, sie könnte mich
verletzt haben.
Sie machte sich Sorgen um mich.
„Ich erinnere mich nicht mehr so genau an sie,“ versicherte ich ihr.
„Carlisle und Esme sind schon lange meine Eltern.“
„Und du liebst sie,“ stellte sie fest.
Ich lächelte. „Ja. Ich könnte mir keine besseren Menschen vorstellen.“
„Du hast Glück.“
„Ja, das weiß ich.“ Unter diesen Umständen, was Eltern angeht, konnte
man mein Glück nicht abstreiten.
„Und deine Brüder und Schwestern?“
Wenn ich zuließ dass sie nach mehr Details fragte würde ich lügen müssen.
Ich schielte auf die Uhr, entmutigt stellte ich fest, dass meine Zeit mit ihr um war.
„Mein Bruder und meine Schwester und Jasper und Rosalie, werden ganz
schön sauer auf mich sein, wenn ich sie im Regen stehen lasse.“
„Oh, tut mir leid. Ich halte dich auf.“
Sie rührte sich nicht. Sie wollte auch nicht, dass unsere Zeit schon um war.
Das gefiel mir sehr, sehr gut.
„Und wahrscheinlich möchtest du deinen Truck wieder haben bevor Chief
Swan nach Hause kommt, damit du ihm nichts von dem Unfall in Biologie
erzählen musst.“ Bei der Erinnerung an ihre Verlegenheit in meinen Armen
musste ich grinsen.
„Ich bin mir sicher, dass er es längst gehört hat. Es gibt keine Geheimnisse
in Forks.“ Sie sagte den Namen der Stadt mit ausgeprägtem Missfallen.
Bei ihren Worten musste ich lachen. Keine Geheimnisse, allerdings. „Viel
Spaß am Strand.“ Ich blickte in den strömenden Regen, wohlwissend, dass er
nicht anhalten würde und wünschte mir stärker als sonst, dass er es doch tun
würde. „Gutes Wetter zum Sonnenbaden.“ Naja, am Samstag würde es das sein.
Sie wird das genießen.
„Sehen wir uns morgen nicht?“
Die Sorge in ihrer Stimme gefiel mir.
„Nein. Emmett und ich starten das Wochenende etwas früher.“ Ich
verfluchte mich dafür, dass ich diese Pläne gemacht hatte. Ich könnte sie
absagen… aber es gab jetzt nichts Wichtigeres als zu jagen und meine Familie
würde von meinem Benehmen schon beunruhigt genug sein ohne dass ich
enthüllte wie besessen ich bereits war.
„Was habt ihr vor?“ fragte sie. Sie klang nicht glücklich über meine
Antwort.
Gut.
„Wir gehen campen in der Goat Rocks Wildnis, südlich von Rainier.“
Emmett war begierig auf die Bären Saison.
„Oh, naja, viel Spaß,“ sagte sie halbherzig. Das gefiel mir auch.
Als ich sie so ansah, quälte mich die Vorstellung auch nur zeitweise auf
Wiedersehen sagen zu müssen. Sie war so weich und zerbrechlich. Es wirkte
leichtsinnig sie aus den Augen zu lassen, wo ihr so viel zustoßen konnte. Und
trotzdem, das schlimmste was ihr passieren konnte, war mit mir zusammen zu
sein.
„Könntest du mir dieses Wochenende einen Gefallen tun?“ fragte ich ernst.
Sie nickte, ihre Augen groß und verwirrt von meinem drängen.
Geh es langsam an.
„Seih nicht sauer, aber du scheinst jemand zu sein, der Gefahren
magnetisch anzieht. Also… versuch nicht ins Meer zu fallen oder dich überfahren
zu lassen oder so etwas, in Ordnung?“
Ich lächelte sie reumütig an und hoffte sie würde die Trauer in meinem
Blick nicht sehen. Wie sehr ich mir wünschte, dass es nicht so viel besser für sie
war nicht in meiner Nähe zu sein, egal was ihr dort passieren konnte.
Lauf, Bella, lauf. Ich liebe dich zu sehr für dein eigenes Wohl oder meins.
Sie war verärgert über meine Neckerei. Sie warf mir einen finsteren Blick
zu. „Ich werd sehen, was sich machen lässt,“ schnappte sie, bevor sie aus dem
Wagen in den Regen sprang und die Tür hinter sich zuschlug so fest sie konnte.
Genau wie ein wütendes Kätzchen das denkt es seih ein Tiger.
Ich schloss meine Finger um den Schlüssel, den ich ihr gerade aus der
Tasche gezogen hatte und lächelte als ich davonfuhr.
7. Melodie

Ich musste warten als ich zur Schule zurückkam. Die letzte Stunde war noch nicht
zu Ende. Das war gut, denn ich musste über einiges nachdenken und brauchte
etwas Zeit für mich.
Ihr Duft lag noch immer im Auto. Ich hielt die Fenster geschlossen um ihn
auf mich einstürmen zu lassen, versuchte mich an das Gefühl zu gewöhnen
meine Kehle absichtlich abzufackeln.
Anziehung.
Es war kompliziert darüber nachzudenken. So viele Seiten, so viele
Bedeutungen und Ebenen. Nicht das gleiche wie Liebe, aber unausweichlich
damit verbunden.
Ich hatte keine Ahnung, ob sich Bella von mir angezogen fühlte. (Würde
ihre mentale Stille mich immer weiter frustrieren bis ich irgendwann verrückt
werden würde? Oder gab es da eine Grenze, die ich eventuell erreichen konnte?)
Ich versuchte ihre physischen Reaktionen mit denen von anderen zu
vergleichen, wie die der Sekretärin oder Jessica Stanley, aber die Vergleiche
waren ergebnislos. Dieselben Anzeichen – Veränderung der Herzfrequenz und
Atemrhythmus – konnten genauso gut Angst oder Schock oder Wut bedeuten
genau wie Interesse. Es schien undenkbar, dass Bella die gleichen Gedanken
hegte wie Jessica Stanley. Außerdem wusste Bella ganz genau, dass mit mir
etwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht wusste, was es war. Sie hatte meine
eisige Haut berührt und ihre Hand zurückgerissen wegen der Kälte.
Und dennoch… als ich mich an diese Fantasien Erinnerte die mich so
zurückschrecken ließen, aber mit Bella an Jessicas Stelle…
Ich atmete schneller, das Feuer kletterte meine Kehle rauf und runter.
Was wenn es Bella gewesen wäre, die sich vorgestellt hatte, wie ich meine
Arme um ihren zerbrechlichen Körper legte? Fühlte wie ich sie enger an meine
Brust zog und meine Hand unter ihr Kinn legte? Den schweren Vorhang ihrer
Haare aus ihrem geröteten Gesicht kämmte? Mit meinen Fingerspitzen die
Konturen ihrer vollen Lippen nachfuhr? Mein Gesicht näher zu ihrem lehnte, wo
ich die Hitze ihres Atems auf meinem Mund spüren konnte? Immer nähre
kommend…
Aber dann zuckte ich zurück aus diesem Tagtraum, wohlwissend, was ich
schon wusste als Jessica sich diese Dinge vorgestellt hatte, was passieren würde,
wenn ich ihr so nah kam.
Anziehung war ein unmögliches Dilemma, denn ich wurde bereits auf die
schlimmste Art und Weise von Bella angezogen.
Wollte ich dass sich Bella von mir angezogen fühlte, eine Frau zu einem
Mann?
Das war die falsche Frage. Die richtige Frage war, sollte ich wollen, dass
Bella sich von mir auf diese Art und Weise angezogen fühlte, und die Antwort war
nein. Denn ich war kein menschlicher Mann und das war ihr gegenüber nicht fair.
Mit jeder Faser meiner Existenz sehnte ich mich danach ein normaler Mann
zu sein, damit ich sie in meinen Armen halten konnte ohne ihr Leben zu
gefährden. Damit ich meine eigenen Fantasien spinnen konnte, Fantasien die
nicht mit ihrem Blut an meinen Händen endeten, ihrem Blut glühend in meinen
Augen.
Mein Streben nach ihr war unvertretbar. Was für eine Art von Beziehung
konnte ich ihr bieten, wenn ich es nicht riskieren konnte, sie zu berühren?
Ich senkte meinen Kopf in meine Hände.
Es war alles noch viel verwirrender, weil ich mich in meinem ganzen Leben
noch nie so menschlich gefühlt hatte – nicht mal als ich noch menschlich war,
soweit ich mich erinnern konnte. Als ich ein Mensch war drehten sich all meine
Gedanken um die Soldatenehre. Der Große Krieg wütete die meiste Zeit meiner
Jugend und ich war nur neun Monate von meinem achtzehnten Geburtstag
entfernt als die Grippe ausbrach… Ich hatte nur vage Erinnerungen an diese
menschlichen Jahre, dunkle Erinnerungen die mit jedem Jahrzehnt weiter
verblassten. An meine Mutter erinnerte ich mich noch am deutlichsten, ich fühlte
einen uralten Schmerz wenn ich an ihr Gesicht dachte. Ich erinnerte mich
schwach daran wie sehr sie die Zukunft hasste von der ich kaum erwarten
konnte, dass sie endlich eintrat. Ich betete jede Nacht dafür während sie beim
Tischgebet darum bat, dass der „schreckliche Krieg“ bald enden möge… Ich
hatte keine Erinnerung an eine andere Art von Verlangen. Abgesehen von der
Liebe meiner Mutter, gab es keine andere Liebe die mich zum bleiben bewegt
hätte…
Das war alles absolut neu für mich. Ich konnte keine Parallelen ziehen,
keine Vergleiche erstellen.
Die Liebe die ich für Bella empfand war rein, aber jetzt waren die Gewässer
trübe. Ich wollte so sehr in der Lage sein sie zu berühren. Fühlte sie genauso wie
ich?
Das wäre egal, versuchte ich mich zu überzeugen.
Ich starrte auf meine weißen Hände, hasste ihre Härte, ihre Kälte, ihre
übermenschliche Kraft…
Ich zuckte vor Schreck zusammen als sich die Beifahrertür öffnete.
Ha. Ich hab dich überrascht. Es gibt immer ein erstes Mal, dachte Emmett
als er auf den Beifahrersitz glitt. „Ich wetter Mrs. Goff denkt du nimmst Drogen,
du warst so fahrig in letzter Zeit. Wo warst du heute?“
„Ich hab… eine gute Tat vollbracht.“
Häh?
Ich kicherte. „Mich um die Kranken gekümmert, sowas in der Art.“
Das verwirrte ihn noch mehr, aber dann atmete er ein und bemerkte den
Duft im Auto.
„Oh. Schon wieder dieses Mädchen?“
Ich verzog das Gesicht.
Das wird langsam komisch.
„Erzähl mir davon,“ murmelte ich.
Er atmete wieder ein. „Hmm, sie hat schon einen besonderen Duft, nicht
war?“
Das Knurren brach zwischen meinen Lippen hervor bevor er die Worte zu
ende gesprochen hatte, eine automatische Reaktion.
„Ganz ruhig, Junge, ich sag’s doch nur.“
Dann kamen die anderen. Rosalie bemerkte den Duft sofort und warf mir
einen finsteren Blick zu, sie war immer noch nicht über ihren Ärger hinweg. Ich
fragte mich, was ihr Problem war, aber alles was ich von ihr hören konnte waren
Beschimpfungen.
Ich mochte auch Jaspers Reaktion nicht. Wie Emmett bemerkte er Bellas
Anwesenheit. Nicht dass der Duft für einen von ihnen auch nur ein tausendstel
des Vorzugs hatte wie für mich. Aber es ärgerte mich trotzdem, dass ihr Blut süß
für sie war. Jasper hatte sich nicht gut unter Kontrolle…
Alice kam zu meiner Seite des Wagens und streckte ihre Hand nach Bellas
Autoschlüssel aus.
„Ich hab nur gesehen, dass ich es tun würde,“ sagte sie – verschleiert, wie
es ihre Angewohnheit war. „Du musst mir das Warum erklären.“
„Das bedeutet nicht…“
„Ich weiß, ich weiß. Ich werde warten. Es wird nicht mehr lange dauern.“
Ich seufzte und gab ihr den Schlüssel.
Ich folgte ihr zu Bellas Haus. Der Regen fiel herab wie millionen kleiner
Hämmer, so laut dass Bellas menschliche Ohren, das Donnern ihres Trucks
vielleicht nicht hören konnten. Ich beobachtete ihre Fenster aber sie kam nicht
um hinauszusehen. Vielleicht war sie nicht zu Hause. Da waren keine Gedanken
zu hören.
Es machte mich traurig, dass ich nicht mal genug hören konnte um nach
ihr zu sehen – um sicher zu gehen, dass sie glücklich war, oder wenigstens
sicher.
Alice kletterte auf den Rücksitz und wir rasten nach Hause. Die Straßen
waren leer, also dauerte es nur ein paar Minuten. Wir strömten ins Haus und
jeder ging seinem Zeitvertreib nach.
Emmett und Jasper waren in der Mitte eines raffinierten Schachspiels, mit
acht Schachbrettern – ausgebreitet vor der riesigen Glasfront – und ihren eigenen
komplizierten Regeln. Sie würden mich nicht spielen lassen; nur Alice spielte
noch Spiele mit mir.
Alice ging zu ihrem Computer der bei ihnen um die Ecke stand und ich
hörte wie die Monitore zu flimmern begannen. Alice arbeitete an einem
Modedesign Programm für Rosalies Kleiderschrank, aber Rosalie begleitet sie
heute nicht um hinter ihr zu stehen und Schnitt und Farbe zu diktieren während
Alices Hand über den Touchscreen huschte (Carlisle und ich mussten das System
ein wenig ausbessern, da die meisten Touchscreens auf Temperaturen
reagierten). Stattdessen fläzte sie sich heute auf das Sofa und zappte durch
zwanzig Kanäle pro Sekunde ohne Pause. Ich konnte hören wie sie darüber
nachdachte, ob sie in die Garage gehen und ihren BMW erneut tunen sollte.
Esme war oben und grübelte über ein paar neuen Blaupausen.
Alice lehnte sich um die Ecke und fing an Emmetts nächste Züge für Jasper
mit dem Mund zu formen – Emmett saß auf dem Boden mit dem Rücken zu ihr –
der seinen Gesichtsausdruck nicht veränderte als er Emmetts besten Läufer vom
Brett kickte.
Und ich, das erste mal seit so langer Zeit, dass ich mich schämte, setzte
mich an das erlesene prachtvolle Piano, dass direkt am Eingang stand.
Behutsam arbeitete ich mit meinen Fingern die Tonleiter ab um die
Tonlage zu testen. Es war immer noch perfekt gestimmt.
Oben hielt Esme inne mit dem was sie tat und legte ihren Kopf zur Seite.
Ich begann die erste Reihe der Melodie zu spielen, die sich mir selbst heute
im Auto eingeflüstert hatte, erfreut darüber dass sie sich sogar noch besser
anhörte als ich mir vorgestellt hatte.
Edward spielt wieder, dachte Esme überglücklich, ein strahlendes Lächeln
auf ihrem Gesicht. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und glitt leise zum
Treppenabsatz.
Ich fügte eine Harmonie hinzu und ließ die zentrale Melodie hindurch
weben.
Esme seufzte zufrieden, setzte sich auf die oberste Stufe und lehnte ihren
Kopf an das Geländer. Ein neues Stück. Es ist so lange her. Was für eine liebliche
Melodie.
Ich ließ die Melodie eine neue Richtung einschlagen, folgte ihr mit der
Basslinie.
Edward komponiert wieder? Dachte Rosalie und ihre Zähne schlugen in
grimmiger Verbitterung aufeinander.
In diesem Moment hatte ich einen kurzen Einblick in ihre grundlegende
Empörung. Ich sah warum sie so schlecht auf mich zu sprechen war. Warum
Isabella Swan zu töten ihr kein schlechtes Gewissen verursacht hätte.
Bei Rosalie drehte sich alles um Eitelkeit.
Die Musik brach abrupt ab und ich lachte bevor ich mich zusammenreißen
konnte, ein scharfes Bellen vor Belustigung brach ab, als ich meine Hand schnell
vor meinen Mund hielt.
Rosalie drehte sich zu mir, um mir einen finsteren Blick zuzuwerfen, ihre
Augen waren gespickt mit verärgerter Wut.
Emmett und Jasper drehten sich auch um und ich hörte Esmes Verwirrung.
Esme sauste blitzschnell nach unten und schaute von Rosalie zu mir.
„Hör nicht auf Edward,“ ermutigte mich Esme nach einem angespannten
Moment.
Ich fing wieder an zu spielen, wandte Rosalie meinen Rücken zu und
versuchte sehr angestrengt das Grinsen auf meinem Gesicht zu kontrollieren. Sie
sprang auf und marschierte aus dem Raum, eher wütend als verlegen. Aber
sicherlich auch sehr verlegen.
Wenn du irgendetwas sagst, werde ich dich jagen wie einen Hund.
Ich unterdrückte ein weiteres Lachen.
„Was ist los, Rose?“ rief ihr Emmett nach. Rosalie drehte sich nicht um. Sie
marschierte weiter in die Garage und kletterte unter ihren Wagen, als könnte sie
sich dort begraben.
„Was ist denn jetzt los?“ fragte Emmett mich.
„Ich hab nicht die leiseste Ahnung,“ log ich.
Emmett grummelte frustriert.
„Spiel weiter,“ drängte Esme. Meine Hände hatten wieder innegehalten.
Ich tat was sie sagte und sie stellte sich hinter mich um mir ihre Hände auf
die Schultern zu legen.
Das Stück war überwältigend aber unvollständig. Ich spielte mit einer
Brücke, aber es schien irgendwie nicht richtig zu sein.
„Es ist bezaubernd. Hat es einen Namen?“ fragte Esme.
„Noch nicht.“
„Gibt es einen Geschichte dazu?“ fragte sie mit einem Lächeln in der
Stimme. Es bereitete ihr so viel Vergnügen und ich fühlte mich schuldig, dass ich
ihr meine Musik so lange vorenthalten hatte. Es war egoistisch.
„Es ist… ein Schlaflied, denke ich.“ Und dann bekam ich die Brücke richtig
hin. Sie leitete leicht zu der nächsten Bewegung über und entwickelte ein
Eigenleben.
„Ein Schlaflied,“ wiederholte sie für sich.
Es gab eine Geschichte zu dieser Melodie und sobald ich das bemerkte,
vielen die Noten ohne Anstrengung auf ihren Platz. Die Geschichte war ein
schlafendes Mädchen in einem schmalen Bett, dunkles Haar, dick und wild und
verschlungen wie Seegras auf dem Kissen…
Alice überließ Jasper sich selbst und setzte sich zu mir auf die Bank. Mit
ihrer trällernden, Glockenspiel ähnlichen Stimme skizzierte sie einen wortlosen
Sopran zwei Oktaven über der Melodie.
„Das gefällt mir,“ murmelte ich. „Aber wie wäre es damit?“
Ich fügte ihre Melodie der Harmonie hinzu – meine Hände flogen nun über
die Tasten um alle einzelnen Stücke zusammen zu setzen – modifizierte sie ein
wenig und führte sie in eine andere Richtung…
Sie erfasste die Stimmung und sang mit.
„Ja. Perfekt,“ sagte ich.
Esme drückte meine Schulter.
Aber jetzt konnte ich das Ende sehen, mit Alices Stimme die sich über der
Melodie erhob und sie an einen anderen Ort führte. Ich konnte sehen wie das
Stück enden musste, denn das schlafende Mädchen war perfekt genau so wie es
war und jeder Veränderung wäre falsch, eine Betrübnis. Das Stück wich ab, der
Erkenntnis entgegen, langsamer und leiser jetzt. Alices Stimme wurde auch leiser
und feierlich, eine Melodie die unter die Hallenden Bögen einer von Kerzen
erleuchteten Kathedrale gehörte.
Ich spielte diese letzte Note und beugte meinen Kopf über die Tasten.
Esme strich mir durchs Haar. Es wird alles gut werden, Edward. Es wird
alles ein gutes Ende nehmen. Du verdienst Glück, mein Sohn. Das Schicksal
schuldet es dir.
„Danke,“ flüsterte ich und wünschte ich könnte es glauben.
Die Liebe kommt nicht immer auf dem einfachsten Weg.
Ich lachte kurz auf ohne Humor.
Du bist vielleicht am besten von allen auf diesem Planeten dafür
ausgestattet um mit einer solchen Zwickmühle umzugehen. Du bist der beste
und klügste von uns allen.
Ich seufzte. Jede Mutter dachte dasselbe von ihrem Sohn.
Esme war immer noch voller Freude darüber dass mein Herz nach all der
Zeit berührt wurde, egal wie groß die Tragödie war die damit verbunden war. Sie
hatte gedacht, ich würde für immer allein bleiben…
Sie wird dich auch lieben müssen, dachte sie plötzlich und überraschte
mich mit der Richtung die ihre Gedanken eingeschlagen hatten. Wenn sie ein
kluges Mädchen ist. Sie lächelte. Aber ich kann mir niemanden vorstellen, der so
langsam ist um nicht zu sehen, was für ein Fang du bist.
„Hör auf damit, Mom, du bringst mich in Verlegenheit,“ zog ich sie auf. Ihre
Worte, obwohl sie unmöglich waren, munterten mich auf.
Alice lachte und begann die erste Stimme von „Heart and Soul“. Ich grinste
und beendete die einfache Tonfolge mit ihr. Dann begünstigte ich sie mit einer
Darbietung von „Chopsticks“.
Sie kicherte und seufzte dann. „Also ich wünschte du würdest mir sagen,
warum du vorhin über Rose gelacht hast,“ sagte Alice. „Aber ich kann sehen,
dass du es nicht tun wirst.“
„Nein.“
Sie schnippte mit ihren Fingern gegen mein Ohr.
„Sei nett, Alice,“ ermahnte Esme sie. „Edward benimmt sich nur wie ein
Gentleman.“
„Aber ich möchte es wissen.“
Ich lachte über den jammernden Ton den sie angeschlagen hatte. Dann
sagte ich, „Hier, Esme,“ und begann ihr Lieblingsstück zu spielen, eine
namenlose Ehrung an die Liebe die ich zwischen ihr und Carlisle beobachtet
hatte, für so viele Jahre.
„Danke, Liebling.“ Sie drückte wieder meine Schulter.
Ich musste mich nicht konzentrieren um das bekannte Stück zu spielen.
Stattdessen dachte ich an Rosalie, die sich immer noch bildlich in der Garage
wand vor Demütigung, und ich grinste in mich hinein.
Da ich gerade erst die Potenz von Eifersucht für mich selbst entdeckt
hatte, hatte ich ein klein wenig Mitleid mit mir. Es war ein mieses Gefühl.
Natürlich war ihre Eifersucht tausendmal belangloser als meine. Das berühmte
Fuchs in der Krippe Szenario (ein komisches Sprichwort das bei uns soviel
bedeutet wie „Neidhammel“ oder „Spielverderber“ heißt, da ich den
Zusammenhang aber dann nicht verstehe, hab ich’s so übernommen wie‘s da
steht).
Ich frag mich, inwiefern Rosalies Leben und Persönlichkeit anders gewesen
wären, wenn sie nicht immer die schönste von allen gewesen wäre. Wäre sie
glücklicher gewesen, wenn Schönheit nicht schon immer ihre größte Stärke
gewesen wäre? Weniger egozentrisch? Mitfühlender? Naja, ich denke es war
sinnlos darüber nachzudenken, denn die Dinge waren nun mal so und sie war
immer die Schönste.
Sogar als Mensch hat sie immer im Mittelpunkt ihrer eigenen Herrlichkeit
gestanden. Nicht dass es sie gestört hätte. Ganz im Gegenteil – sie liebte
Anbetung mehr als alles andere. Das hat sie mit dem Verlust ihrer Sterblichkeit
auch nicht geändert.
Es war daher kein Wunder, dass sie verletzt war, als ich sie schon von
Anfang an nicht so vergöttert hatte, wie es alle Männer immer getan hatten.
Nicht dass sie mich auf irgendeine Art gewollt hätte – ganz im Gegenteil. Aber es
hatte sie verärgert, dass ich sie gewollt hatte, schlimmer noch. Sie war es
gewöhnt gewollt zu werden.
Mit Jasper und Carlisle war das anders – sie waren beide schon in
jemanden verliebt. Ich war komplett unberührt und dennoch kein bisschen von
ihr angetan.
Ich dachte der alte Groll wäre begraben. Das sie das lange hinter sich
gelassen hatte.
Und das hatte sie auch… bis zu dem Tag an dem ich jemanden gefunden
hatte, dessen Schönheit mich so berührt hatte, wie ihre es nicht getan hatten.
Rosalie hatte sich darauf verlassen, dass, wenn ich ihre Schönheit nicht
anbetungswürdig gefunden hatte, es auf der ganzen Welt keine Schönheit gab,
die mich berühren würde. Sie war wütend seit dem Moment als ich Bella das
Leben gerettet hatte, denn durch ihre untrügliche weibliche Intuition hatte sie da
schon gewusst, was mir selbst noch nicht bewusst gewesen ist.
Rosalie war zu Tode gekränkt, dass ich ein unbedeutendes menschliches
Mädchen anziehender fand als sie.
Ich unterdrückte wieder ein Lachen.
Auf eine Art störte es mich aber auch, wie sie Bella sah. Rosalie dachte,
das Mädchen wäre gewöhnlich. Wie konnte sie sowas nur glauben? Für mich
wirkte es absolut unverständlich. Ein Produkt ihrer Eifersucht, kein Zweifel.
„Oh!“ sagte Alice abrupt. „Jasper, weißt du was?“
Ich sah, was sie gesehen hatte und meine Hände erstarrten auf den
Tasten.
„Was, Alice?“ fragte Jasper
„Peter und Charlotte kommen uns nächste Woche besuchen! Sie werden in
der Gegend sein, ist das nicht nett?“
„Was hast du Edward?“ fragte Esme, die die Anspannung in meinen
Schultern spürte.
„Peter und Charlotte kommen nach Forks?“ zischte ich zu Alice.
Sie verdrehte ihre Augen. „Reg dich ab, Edward. Es ist nicht ihr erster
Besuch.“
Ich biss meine Zähne zusammen. Es war ihr erster Besuch, seit Bella hier
war und ihr süßer Duft sprach nicht nur mich an.
Alice runzelte die Stirn. „Sie jagen nie hier. Das weißt du.“
Aber Jaspers selbsternannter Bruder und der kleine Vampir den er liebte
waren nicht wie wir; sie jagten auf die übliche Art. Man konnte ihnen nicht trauen,
wenn Bella in der Nähe war.
„Wann?“ verlangte ich.
Sie schürzte unglücklich ihre Lippen, aber sagte mir was ich wissen
musste. Montagmorgen. Niemand wird Bella etwas tun.
„Nein,“ stimmte ich ihr zu und wandte mich dann von ihr ab. „Bist du
soweit Emmett?“
„Ich dachte wir brechen erst morgens auf?“
„Wir kommen Sonntagnacht zurück. Es liegt an dir, wann wir losgehen.“
„Na gut. Aber lass mich wenigstens noch Rose auf Wiedersehen sagen.“
„Klar.“ Bei der Stimmung in der Rose war, würde es ein kurzer Abschied
werden.
Du bist echt verloren, Edward, dachte er, während er Richtung Vordertür
ging.
„Ich denke, das bin ich.“
„Spiel das neue Stück noch einmal für mich,“ fragte Esme.
„Wenn du magst,“ stimmte ich zu, obwohl ich etwas zögerte, der Melodie
bis zu ihrem unausweichlichen Ende zu folgen – das Ende, das mir unbekannte
Schmerzen verursachte. Ich dachte kurz nach und nahm dann den
Flaschendeckel aus meiner Tasche und legte ihn auf den leeren Notenständer.
Das half ein bisschen – meine kleine Erinnerung an ihr Ja.
Ich nickte zu mir selbst und begann zu spielen.
Esme und Alice wechselten einen kurzen Blick, aber keine von beiden
fragte nach.

„Hat dir noch niemand gesagt, dass man nicht mit seinem Essen spielt?“ rief ich
Emmett zu.
„Oh, hey Edward!“ rief er zurück, grinste und winkte mir zu. Der Bär zog
einen Vorteil aus seiner Ablenkung und schwang seine schwere Pranke über
Emmett Brust. Die scharfen Krallen fuhren durch sein Shirt und quietschten über
seine Haut.
Der Bär heulte auf bei dem hohen scharfen Ton.
Ah, verdammt, Rose hatte mir dieses Shirt geschenkt!
Emmett brüllte den wütenden Bären an.
Ich seufzte und setzte mich auf einen geeigneten Felsbrocken. Das könnte
noch eine Weile dauern.
Aber Emmett war fast fertig. Er ließ es zu, dass der Bär versuchte ihm mit
einem weiteren Hieb seiner Pranke den Kopf abzuschlagen und lachte als der Bär
abprallte und zurücktaumelte. Der Bär brüllte und Emmett brüllte lachend zurück.
Dann sprang er auf das Tier zu, das einen Kopf größer als er war und auf seinen
Hinterpfoten stand und ihre Körper vielen eng umschlungen zu Boden und rissen
eine Fichte mit sich. Das Brüllen des Bären erstarb mit einem Gurgeln.
Ein paar Minuten später joggte Emmett auf mich zu. Sein Shirt war
zerstört, zerrissen und voller Blut, mit Fell bedeckt. Seine dunklen lockigen Haare
waren in keinem besseren Zustand. Er hatte ein breites Grinsen im Gesicht.
„Der war stark. Ich konnte es fast spüren, als er nach mir schlug.“
„Du bist so ein Kind, Emmett.“
Er beäugte mein gepflegtes, strahlend weißes Button-Down Hemd. „Hast
du es nicht geschafft, den Puma zu erledigen?“
„Natürlich hab ich das geschafft. Aber ich esse nicht wie ein unzivilisierter
Barbar.“
Emmett lachte. „Ich wünschte sie wären stärker. Das würde mehr Spaß
machen.“
„Niemand hat gesagt, du sollst dein Essen bekämpfen.“
„Ja, aber mit wem soll ich denn sonst kämpfen? Du und Alice, ihr
schummelt, Rose will ihre Haare nicht durcheinander bringen und Esme wird
sauer, wenn Jasper und ich wirklich zur Sache kommen.“
„Das Leben ist schon hart, nicht war?“
Emmett grinste mich an, verlagerte ein wenig sein Gewicht so dass er
genug Platz hatte um auszuholen.
„Komm schon Edward. Schalt es für eine Minute aus und kämpf fair.“
„Man kann das nicht ausschalten,“ erinnerte ich ihn.
„Ich frag mich was dieses Menschenmädchen macht um dich aus ihrem
Kopf zu halten?“ überlegte Emmett. „Vielleicht kann sie mir ein paar Tipps
geben.“
Mein Humor war mit einem Mal verschwunden. „Halt dich von ihr fern,“
knurrte ich durch meine Zähne.
„Empfindlich, hmm?“
Ich seufzte. Emmett setzte sich neben mich auf den Felsen.
„Tut mir leid. Ich weiß, dass du eine harte Zeit durchmachst. Ich geb mir
wirklich mühe keine allzu große Nervensäge zu sein, aber da es Teil meiner Natur
ist…“
Er wartete darauf, dass ich über seinen Witz lachte und verzog dann das
Gesicht.
Du bist immer so ernst. Was bedrückt dich?
„Ich denke über sie nach. Naja, ich sorge mich eher, ehrlichgesagt.“
„Was gibt es denn worüber du dir Sorgen machen müsstest? Du bist doch
hier.“ Er lachte laut auf.
Ich ignorierte auch diesen Witz, aber beantwortete seine Frage. „Hast du
jemals darüber nachgedacht, wie verletzlich sie alle sind? Wie viele Gefährliche
Dinge einem Sterblichen passieren können?“
„Nicht wirklich. Aber ich glaube ich verstehe was du meinst. Ich war kein
wirklicher Gegner für einen Bären damals, nicht war?“
„Bären,“ nuschelte ich und fügte dem Stapel eine weiter Angst hinzu. „Das
würde ihr zu ihrem Glück gerade noch fehlen, was? Verirrter Bär in der Stadt:
natürlich würde er direkt Bella über den Weg laufen.“
Emmett kicherte. „Du klingst ziemlich verrückt, weißt du das?“
„Stell dir nur mal für einen Moment vor, Rosalie wäre menschlich, Emmett.
Und sie würde einem Bär über den Weg laufen… oder von einem Auto überfahren
werden… oder von einem Blitz getroffen… oder die Treppe herunterfallen… oder
krank werden – eine schwere Krankheit bekommen!“ Die Worte flossen nur so
aus mir heraus. Es war eine Erleichterung sie raus zu lassen – sie hatte schon das
ganze Wochenende in meinem Körper geeitert. „Feuer und Erdbeben und
Tornados! Ugh! Wann hast du dir das letzte Mal die Nachrichten angesehen? Hast
du gesehen, was den Menschen alles so passieren kann? Einbruch und Mord…“
meine Zähne schlugen aufeinander und ich war plötzlich so aufgebracht von der
Idee was ein anderer Mensch ihr antun könnte, dass ich nicht atmen konnte.
„Hey, hey! Krieg dich wieder ein, Junge. Sie wohnt in Forks, du erinnerst
dich? Sie wird also nass geregnet.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Ich glaube sie hat ernsthaftes Pech, Emmett, das glaube ich wirklich.
Schau dir die Beweise an. Von all den Orten auf der Welt wo sie hätte landen
könnten, endet sie in einer Stadt, wo Vampire einen kleinen Teil der Bevölkerung
ausmachen.“
„Ja, aber wir sind Vegetarier. Also ist es nicht eher Glück als Pech?“
„So wie sie riecht? Definitiv Pech. Und noch größeres Pech, dass sie für
mich noch so viel besser riecht.“ Ich schielte auf meine Hände und hasste sie
wieder.
„Abgesehen davon, dass du nach Carlisle die beste Selbstbeherrschung
von uns allen hast. Wieder Glück.“
„Der Van?“
„Das war bloß ein Unfall.“
„Du hättest sehen sollen wie er immer und immer wieder versucht hat sie
zu erwischen, Em. Ich schwöre dir, es war als wäre sie ein Magnet oder sowas.“
„Aber du warst da. Das war Glück.“
„War es? Ist das nicht das größte Pech dass ein Mensch haben kann – ein
Vampir der in ihn verliebt ist?“
Emmett überschlug diesen Gedanken leise für einen Moment. Er stellte
sich das Mädchen vor und fand die Vorstellung uninteressant. Ehrlich ich versteh
dich nicht.
„Naja, ich kann Rosalies Vorzüge auch nicht wirklich sehen,“ sagte ich
unhöflich. „Ehrlich, sie scheint anstrengender zu sein, als irgendein schönes
Gesicht es wert ist.“
Emmett kicherte. „Ich denke nicht, dass du mir erzählen wirst, was…“
„Ich weiß nicht, was sie für ein Problem hat, Emmett,“ log ich mit einem
plötzlichen breiten Grinsen.
Ich sah rechtzeitig was er vorhatte um auszuweichen. Er versuchte mich
von dem Felsen zu stoßen und der Stein verursachte eine lautes Krachen als er
sich zwischen uns spaltete.
„Betrüger,“ murmelte er.
Ich wartete darauf, dass er es noch einmal versuchen würde, aber seine
Gedanken nahmen eine andere Richtung. Er stellte sich wieder Bellas Gesicht
vor, aber weißer mit blutroten Augen…
„Nein,“ sagte ich und meine Stimme überschlug sich.
„Es löst deine Probleme bzgl. Ihrer Sterblichkeit oder nicht? Und dann
würdest du sie auch nicht töten wollen. Wäre das nicht der beste Weg?“
„Für mich? Oder für sie?“
„Für dich,“ antwortet er leichthin. Sein Ton implizierte ein
selbstverständlich.
Ich lachte humorlos. „Falsche Antwort.“
„Mir hat es nicht allzu viel ausgemacht,“ erinnerte er mich.
„Rosalie schon.“
Er seufzte. Wir wussten beide, dass Rosalie alles tun würde, alles aufgeben
würde um wieder ein Mensch zu sein. Sogar Emmett.
„Ja, Rose schon,“ gab er leise zu.
„Ich kann nicht… ich sollte nicht… ich werde Bellas Leben nicht zerstören.
Würdest du nicht genauso empfinden, wenn es Rosalie wäre?“
Emmett dachte einen Moment darüber nach. Du… liebst sie wirklich?
„Ich kann es nicht beschreiben, Emmett. Auf einmal bedeutet dieses
Mädchen die Welt für mich. Ich kann den Sinn der Welt nicht sehen, wenn sie
nicht mehr da wäre.“
Aber du wirst sie nicht verwandeln? Sie wird nicht für immer da sein,
Edward.
„Das weiß ich,“ grummelte ich.
Und, wie du schon gesagt hast, sie ist irgendwie zerbrechlich.
„Glaub mir – das weiß ich auch.“
Emmett war nicht besonders taktvoll und heikle Gespräche waren nicht
seine Stärke. Er zögerte nun, weil er nicht zu direkt sein wollte.
Kannst du sie überhaupt berühren? Ich meine, wenn du sie liebst…
würdest du sie nicht, naja, anfassen wollen…?
Emmett und Rosalie teilten eine sehr körperliche Liebe. Er konnte nicht
nachvollziehen wie jemand lieben konnte ohne diesen Teil einer Beziehung.
Ich seufzte. „An sowas kann ich nicht mal denken, Emmett“
Wow. Was hast du denn dann für Möglichkeiten?
„Ich weiß es nicht,“ flüsterte ich. „Ich versuche einen Weg zu finden, sie
zu… verlassen. Aber ich weiß einfach nicht wie ich mich von ihr fernhalten
sollte…“
Mit tiefer Befriedigung stellte ich plötzlich fest, dass es richtig von mir war
zu bleiben – zumindest jetzt, wo Peter und Charlotte auf dem Weg nach Forks
waren. Sie war sicherer wenn ich da war, zeitweise, als wenn ich weg wäre. Für
den Moment konnte ich so etwas wie ihr Beschützer sein.
Der Gedanke wühlte mich auf; ich brannte darauf so schnell wie möglich
wieder zurück in Forks zu sein um diese Rolle so lange wie möglich zu erfüllen.
Emmett bemerkte die Veränderung in meinem Gesicht. Was denkst du
gerade?
„Genau jetzt,“ gab ich etwas beschämt zu, „kann ich es kaum erwarten
nach Forks zu rennen und nach ihr zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich es bis
Sonntagnacht aushalte.“
„Oh nein! Du gehst nicht früher nach Hause. Lass Rose etwas Zeit um sich
abzuregen. Bitte! Mir zu liebe.“
„Ich werde versuchen zu bleiben,“ sagte ich zweifelnd.
Emmett deutete auf das Handy in meiner Tasche. „Alice würde anrufen,
wenn es einen Grund für deine Panik gäbe. Sie ist genauso verrückt nach diesem
Mädchen wie du.“
Ich zog ein Gesicht. „Gut. Aber ich bleibe nicht länger als bis Sonntag.“
„Es gibt keinen Grund zurück zu eilen – es wird sowieso sonnig werden.
Alice sagte, wir hätten Schulfrei bis Mittwoch.“
Ich schüttelte starr meinen Kopf.
„Peter und Charlotte wissen wie man sich benimmt.“
„Das ist mir wirklich egal, Emmett. Bei Bellas Glück geht sie genau zur
falschen Zeit in den Wald und…“ ich schrak zurück. „Peter ist nicht gerade
bekannt für seine Selbstbeherrschung. Ich werde Sonntag zurückgehen.“
Emmett seufzte. Wie ein Verrückter.

Bella schlief tief und fest, als ich am frühen Montagmorgen durch ihr Fenster
kletterte. Diesmal hatte ich an etwas Öl gedacht und das Fenster ließ sich
geräuschlos aus dem Weg schieben.
Daran, dass ihre Haare glatt auf dem Kissen lagen konnte ich erkenne,
dass sie eine ruhigere Nacht hatte, als das letzte Mal als ich hier war. Sie hatte
die Hände unter ihrer Wange gefaltet wie ein kleines Kind und ihr Mund war leicht
geöffnet. Ich konnte hören wie ihr Atem langsam durch ihre Lippen ein und
ausströmte.
Es war eine unglaubliche Erleichterung hier zu sein, sie wieder sehen zu
können. Ich bemerkte, dass ich nicht wirklich ruhig war bis das der Fall war.
Nichts stimmte, wenn ich nicht bei ihr war.
Nicht dass alles richtig war, wenn ich bei ihr war… dennoch. Ich seufzte
und ließ das Feuer durch meine Kehle strömen. Ich war zu lange weg gewesen.
Die ganze Zeit ohne den Schmerz und das Verlangen verstärkten es jetzt noch.
Es war schlimm genug, dass ich mich nicht traute mich neben ihr Bett zu knien so
dass ich die Buchtitel lesen konnte. Ich wollte die Geschichten in ihrem Kopf
kennen, aber ich hatte vor noch mehr angst, als nur vor meinem Durst, Angst,
dass ich wenn ihr so nahe kam, immer noch näher sein wollte…
Ihre Lippen sahen sehr weich und warm aus. Ich konnte mir vorstellen sie
mit meinen Fingerspitzen zu berühren. Ganz sanft…
Das war genau die Art von Fehler die ich nicht zulassen konnte.
Meine Augen glitten wieder und wieder über ihr Gesicht und untersuchten
es nach Veränderungen. Sterblich veränderten sich ständig – der Gedanken ich
könnte etwas verpassen macht mich traurig…
Ich hatte den Eindruck sie sähe… müde aus. Als hätte sie nicht genug
Schlaf bekommen dieses Wochenende. War sie ausgegangen?
Ich lachte leise und ironisch darüber, dass mich der Gedanke störte. Was
wäre wenn? Ich besaß sie nicht. Sie war nicht mein.
Nein, sie war nicht mein – und ich war wieder traurig.
Sie drehte eine ihrer Hände um und ich sah, dass sie schwache,
ansatzweise verheilte Kratzer in ihrer Handfläche hatte. Hat sie sich verletzt?
Obwohl es offensichtlich keine schwere Verletzung war, störte es mich. Ich
erinnerte mich daran wo sie dieses Wochenende gewesen war und schloss, dass
gestolpert sein musste. Das schien eine glaubwürdige Erklärung zu sein.
Es war beruhigend zu wissen, dass ich über diese kleinen Geheimnisse
nicht ewig nachgrübeln musste. Wir waren jetzt Freunde - oder zumindest
versuchten wir befreundet zu sein. Ich konnte sie nach ihrem Wochenende fragen
– nach dem Strand und welche Nachtaktivität sie so erschöpft aussehen ließ. Ich
konnte fragen, was mit ihren Händen passiert war. Und ich konnte ein bisschen
lachen, wenn sie meine Theorie bestätigte.
Ich lächelte sanft als ich mir vorstelle, dass sie vielleicht wirklich ins Meer
gefallen war. Ich fragte mich ob sie eine schöne zeit gehabt hat dort draußen. Ich
fragte mich, ob sie vielleicht an mich gedacht hatte. Ob sie mich vielleicht auch
nur einen Hauch so sehr vermisst hatte, wie ich sie vermisst hatte.
Ich versuchte sie mir in der Sonne am Strand vorzustellen. Das Bild war
allerdings unvollständig, denn ich war noch nie am First Beach gewesen. Ich
kannte ihn nur von Bildern…
Ich fühle mich ein wenig unbehaglich als ich an den Grund dafür dachte,
dass ich noch nie noch nie an diesem schönen Strand war, der, wenn man rannte,
nur wenige Minuten von unserem Haus entfernt war. Bella hatte den Tag in La
Push verbracht – ein Ort an den es mir vertraglich verboten war zu gehen. Ein Ort
an dem ein paar alte Männer sich immer noch an die Geschichten über die
Cullens erinnerten, sich erinnerten und daran glaubten. An Ort an dem unser
Geheimnis bekannt war…
Ich schüttelte meinen Kopf. Ich hatte nichts zu befürchten. Die Quileutes
waren auch vertraglich gebunden. Sogar wenn Bella einer dieser alten Sagen
begegnet wäre, konnten sie nichts aufdecken. Und warum sollte das Thema
überhaupt zur Sprache kommen? Warum sollte Bella ihre Verwunderungen dort
aussprechen? Nein – die Quileutes waren vermutlich eine der wenigen Dinge um
die ich mir keinen Sorgen zu machen brauchte.
Ich war sauer auf die Sonne, als sie aufzugehen begann. Sie erinnerte mich
daran, dass ich meine Neugierde in den nächsten Tagen nicht stillen konnte.
Warum entschied sie sich gerade jetzt zu scheinen?
Mit einem Seufzer duckte ich mich aus ihrem Fenster bevor es hell genug
war, dass mich irgendjemand sehen konnte. Ich hatte vor in dem dichten Wald
bei ihrem Haus darauf zu warten, dass sie zur Schule aufbrach, aber als ich
zwischen den Bäumen ankam war ich überrauscht die Spur ihres Duftes auf dem
schmalen Pfand zu erahnen.
Ich folgte der Spur schnell, neugierig und wurde immer besorgter als sie
mich tiefer in die Dunkelheit führte. Was hatte Bella hier draußen gemacht?
Der Pfad verschwand plötzlich mitten im Nirgendwo. Sie war nur wenige
Schritte von dem Pfad herunter in den Farn gegangen, wo sie den Stumpf eines
umgestürzten Baumes berührt hatte. Vielleicht dort gesessen hatte…
Also, Bella, ich bin der Spur deines Geruchs in den Wald gefolgt, nachdem
ich dein Zimmer verlassen hatte, wo ich dir beim schlafen zugesehen hatte… Ja,
damit würde ich das Eis brechen.
Ich würde nie erfahren was sie hier draußen gedacht und getan hatte, und
ich schlug frustriert meine Zähne aufeinander. Schlimmer noch, das war genau
das Szenario dass ich mir für Emmett ausgedacht hatte – Bella wanderte allein
durch den Wald wo ihr Duft jeden ansprach der in der Lage war ihn zu
verfolgen…
Ich knurrte. Sie hatte nicht einfach nur Pech, sie forderte es auch noch
heraus.
Naja, jetzt hatte sie jedenfalls einen Beschützer. Ich würde über sie wachen
und sie vor allem schützen so lange ich es verantworten konnte.
Ich erwischte mich dabei, wie ich mir wünschte, Peter und Charlotte
würden etwas länger bleiben.
8. Geist

Ich sah nicht viel von Jaspers Besuch während der zwei sonnigen Tage, die sie in
Forks verbrachten. Ich kam nur nach Hause damit Esme sich keine Sorgen
machte. Ansonsten war mein Leben eher das eines Gespenstes statt eines
Vampirs. Ich schwebte unsichtbar durch die Schatten, wo ich dem Objekt meiner
Liebe und Begierde folgen konnte – wo ich sie durch die Gedanken der
glücklichen Menschen die mit ihr durch das Sonnenlicht spazieren konnten sehen
und hören konnte, manchmal berührten sie aus Versehen ihre Hand. Sie
reagierte nie auf solche Berührungen; diese Hände waren genauso warm wie
ihre.
Die gezwungene Abwesenheit in der Schule war nie eine größere
Herausforderung als jetzt. Aber die Sonne schien sie glücklich zu machen, also
konnte ich sie nicht allzu sehr verabscheuen. Alles was ihr gefiel erhielt meine
Zustimmung.
Montagmorgen hörte ich eine Unterhaltung die fast mein Vertrauen
zerstörte und meine Abwesenheit von Bella zur Folter machte. Als sie endete,
versüßte sie mir jedoch den Tag.
Ich hatte ein wenig Respekt vor Mike Newton; er hatte nicht einfach
aufgegeben und sich zurückgezogen um seine Wunden zu lecken. Er war mutiger
als ich gedacht hätte. Er versuchte es erneut.
Bella war ziemlich früh in der Schule und, sie genoss die Sonne so lang sie
schien, setzte sich auf eine der Picknickbänke während sie auf das erste Läuten
wartete. Ihr Haar schimmerte in der Sonne auf unerwartete Art und Weise,
offenbarten einen Rotton, den ich vorher nicht bemerkt hatte.
Mike fand sie dort – sie kritzelte wieder – und war froh über sein Glück.
Es war schrecklich einfach nur zusehen zu können, machtlos, gebunden an
die Schatten des Waldes durch das strahlende Sonnenlicht.
Sie grüßte ihn freudig genug um ihn in Extase und mich in das Gegenteil zu
versetzen.
Na also, sie mag mich. Sie würde nicht so lächeln wenn es nicht so wäre.
Ich wette sie wäre gern mit mir zu dem Ball gegangen. Ich frag mich, was so
wichtig ist in Seattle…
Er bemerkte die Veränderung ihrer Haare. „Das hab ich vorher ja noch gar
nicht bemerkt – dein Haar ist ja rötlich.“
Ich entwurzelte versehentlich die Fichte an der meine Hand lehnte, als er
eine ihrer Locken um seinen Finger wickelte.
„Nur in der Sonne,“ sagte sie. Zu meiner tiefen Zufriedenheit rückte sie ein
Stück von ihm weg, als er die Strähne hinters Ohr schob.
Mike brauchte eine Minute um seinen Mut zusammen zu nehmen und
verschwendete seine Zeit mit Small-Talk.
Sie erinnerte ihn an den Aufsatz den wir alle am Mittwoch abgeben
mussten. Aus dem zufriedenen Ausdrucks auf ihrem Gesicht zu urteilen, war ihrer
bereits fertig. Er hatte es vollkommen vergessen und das dezimierte seine
Freizeit.
Verdammt – scheiß Aufsatz.
Endlich kam er zum Punkt – ich presste meine Zähne so stark aufeinander,
sie hätten Granit pulverisieren können – doch selbst dann schaffte er es nicht
seine Frage geradeheraus zu stellen.
„Ich hatte vor dich zu fragen, ob du vielleicht ausgehen möchtest.“
„Oh,“ sagte sie.
Dann waren beide kurz still.
Oh? Was soll das heißen? Wird sie Ja sagen? Warte – ich glaub ich hab gar
nicht richtig gefragt.
Er schluckte schwer.
„Naja, wir könnten etwas essen gehen, oder so… und ich könnte später an
meinem Aufsatz arbeiten.“
Dumm – das war auch keine richtige Frage.
„Mike…“
Der Zorn und die Wut meiner Eifersucht waren genauso stark wie letzte
Woche. Ich zerbrach einen weiteren Baum bei dem Versuch mich hier zu halten.
Ich wollte so sehr über den Schulhof rennen, zu schnell für das menschliche
Auge, und sie packen – sie von diesem Jungen stehlen, den ich in diesem Moment
so sehr hasste, dass ich ihn am liebsten getötet hätte, und es hätte mir Spaß
gemacht.
Würde sie Ja zu ihm sagen?
„Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee wäre.“
Ich atmete wieder. Mein aufgebrachter Körper beruhigte sich.
Seattle war also doch eine Ausrede. Ich hätte nicht fragen sollen. Was
dachte ich mir bloß? Ich wette es ist dieser Freak, Cullen…
„Warum?“ fragte er enttäuscht.
„Ich glaube…“ zögerte sie. „Und wenn du irgendjemandem erzählst, was
ich dir jetzt sage, werde ich dich totschlagen…“
Ich musste laut auflachen als diese Todesdrohung ihre Lippen verließ. Ein
Eichelher kreischte, stolperte und flüchtete bei dem Geräusch.
„Aber ich denke, das würde Jessica verletzten.“
„Jessica?“ Was? Aber… Oh. Okay. Ich glaube… Also… Häh.
Seine Gedanken ergaben keinen Sinn mehr.
„Ehrlich, Mike, bist du blind?“
Ich betete ihre Sentimentalität an. Sie sollte nicht von jedem erwarten,
dass er so Aufmerksam war wie sie, aber ehrlich dieser Umstand war
unübersehbar. Bei dem Aufwand den es Mike gekostet hatte, Bella nach einem
Date zu fragen, glaubte er nicht, dass es für Jessica ähnlich schwer war? Es
musste Egoismus sein, der ihn anderen gegenüber so blind machte. Und Bella
war so selbstlos, sie sah alles.
Jessica. Häh. Wow. Hmm. „Oh,“ brachte er schließlich heraus.
Bella nutze seine Verwirrung um sich zu verdrücken.
„Der Unterricht fängt gleich an und ich kann nicht schon wieder zu spät
kommen.“
Von da an war Mike kein zur Verfügung stehender Aussichtspunkt mehr.
Als er über die Vorstellung von Jessica nachdachte, fand er, dass es ihm gefiel,
dass sie ihn attraktiv fand. Sie war zweite Wahl, nicht so gut, wie wenn Bella so
empfunden hätte.
Sie ist irgendwie süß, denke ich. Ein schöner Körper. Ein Spatz in der
Hand…
Er malte sich zwei neue Fantasien aus, die genauso vulgär waren, wie die
über Bella, aber nun waren sie eher lästig als ärgerlich. Er verdiente keine von
beiden; sie waren austauschbar für ihn. Danach hielt ich mich aus seinem Kopf
raus.
Als sie außer Sichtweite war, hockte ich mich auf einen Baumstumpf und
tanzte von Kopf zu Kopf um sie zu beobachten und war jedesmal froh, wenn
Angela Webber zur Verfügung stand. Ich wünschte es gäbe einen Weg dem
Webber-Mädchen dafür zu danken, dass sie einfach nur ein netter Mensch war.
Es beruhigte mich zu wissen, dass Bella wenigstens eine Freundin hatte, die es
wert war, als solche bezeichnet zu werden.
Ich betrachtete Bellas Gesicht aus jedem Blickwinkel der gerade zur
Verfügung stand und ich konnte sehen, dass sie wieder traurig war. Das
überraschte mich – ich dachte die Sonne würde ausreichen um sie zum lächeln zu
bringen. In der Pause sah ich wie sie immer wieder einen verstohlenen Blick zu
dem leeren Cullen-Tisch warf und das erregte mich. Es gab mir Hoffnung.
Vielleicht vermisste sie mich auch.
Sie hatte Pläne mit den anderen Mädchen auszugehen – ich plante
automatisch meine Überwachung – aber diese Pläne wurden verschoben, als
Mike Jessica zu dem Date einlud, dass er für Bella geplant hatte.
Also ging ich direkt zu ihr nach Hause, huschte kurz durch den Wald um
sicher zu gehen, dass niemand gefährliches zu nah vorbeigekommen war. Ich
wusste, dass Jasper seinen einstigen Bruder gebeten hatte, die Stadt zu meiden –
er zitierte dabei meinen Wahnsinn, sowohl als Erklärung als auch als Warnung –
aber das war gar nicht nötig gewesen. Peter und Charlotte hatte nicht vor es sich
mit meiner Familie zu verscherzen, aber Vorhaben konnten sich ändern…
Na gut, ich übertrieb es. Das wusste ich.
Als ob sie wusste, dass ich sie beobachtete, als ob sie Mitleid mit mir hätte,
weil ich jedesmal verzweifelte wenn ich sie nicht sehen konnte, kam Bella nach
einer langen Stunde im Haus hinaus in den Garten. Sie hatte ein Buch in der
Hand und eine Decke unter dem Arm.
Leise kletterte ich in den nächsten Baum um den Garten zu überblicken.
Sie breitete die Decke auf dem feuchten Gras aus, legte sich bäuchlings
darauf und fing an durch das abgenutzte Buch zu blättern, als ob sie ihre Stelle
suchen würde. Ich las über ihrer Schulter mit.
Ah – mehr Klassik. Sie war ein Austen Fan.
Sie las schnell und kreuzte ihre Beine in der Luft. Ich beobachtete wie das
Sonnenlicht und der Wind in ihren Haaren spielte, als ihr Körper sich plötzlich
versteifte und ihre Hand auf der Seite gefror. Alles was ich sehen konnte war,
dass sie Kapitel drei erreicht hatte und dann eine ganze Reihe Seiten auf einmal
umblätterte.
Ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Titelseite, Mansfield Park. Sie
begann eine neue Geschichte – das Buch war ein Sammelband verschiedener
Romane. Ich wunderte mich, warum sie die Geschichten so abrupt wechselte.
Nur wenige Augenblicke später schlug sie das Buch wütend zu. Mit einem
verärgerten Gesichtsausdruck schob sie das Buch zur Seite und drehte sich auf
ihren Rücken. Sie atmete tief ein, als müsse sie sich beruhigen, krempelte ihr
Ärmel hoch und schloss die Augen. Ich erinnerte mich an den Roman, aber ich
konnte mich an nichts Anstößiges darin erinnern, dass sie verärgert haben
könnte. Ein weiteres Geheimnis. Ich seufzte.
Sie lag sehr ruhig da, und bewegte sich nur einmal kurz um eine
Haarsträhne aus ihrem Gesicht zu streichen. Ihr Haar fächerte sich um ihren Kopf
aus, ein Fluss aus Haselnüssen. Und dann war sie wieder bewegungslos.
Ihr Atem wurde gleichmäßiger. Nach einigen langen Minuten begannen
ihre Lippen zu beben. Murmelten im Schlaf.
Ich konnte nicht widerstehen. Ich hörte mich soweit wie möglich in der
Nachbarschaft nach Gedanken um.
Zwei Esslöffel Mehl… eine Tasse Milch…
Komm schon! Nimm ihn in die Mangel! Komm schon!
Rot oder Blau… oder vielleicht sollte ich etwas weniger auffälliges tragen…
Es war niemand in der Nähe. Ich sprang auf den Boden und landete leise
auf meinen Zehen.
Das war absolut falsch, viel zu riskant. Wie herablassend ich einst Emmett
gerichtet hatte für seine Gedankenlose Art und Jasper für seine Disziplinlosigkeit -
und jetzt missachtete ich bewusst alle Regeln mit solch einer Verachtung, die
ihre Fehltritte wie nichts erscheinen ließen. Ich sollte der
Verantwortungsbewusste sein.
Ich seufzte, aber kroch dennoch ohne Rücksicht ins Sonnenlicht.
Ich vermied es mich selbst anzusehen in den Strahlen der Sonne. Es war
schlimm genug, dass meine Haut im Schatten steinern und unmenschlich war;
Ich wollte Bella und mich nicht nebeneinander im Sonnenlicht sehen. Der
Unterschied zwischen uns war sowieso schon unüberbrückbar, schmerzvoll genug
auch ohne dieses zusätzliche Bild in meinem Kopf.
Aber ich konnte die regenbogenfarbenen Punkte auf ihrer Haut nicht
ignorieren, als ich näher kam. Ich war so ein Freak! Ich stellte mir ihre Panik vor,
wenn sie jetzt die Augen öffnete…
Ich wollte schon zurückweichen, aber sie murmelte wieder und hielt mich
dort.
„Mmm… Mmm.“
Nichts Verständliches. Naja, ich würde noch ein bisschen warten.
Vorsichtig stahl ich ihr Buch, streckte meinen Arm aus und hielt meinen
Atem an, als ich ihr so nahe war, nur zur Sicherheit. Ich begann wieder zu atmen
als ich ein paar Meter entfernt war und teste wie das Sonnenlicht und die frische
Luft ihren Duft beeinflusst hatten. Die Hitze schien den Duft zu versüßen. Meine
Kehle flammte auf vor Verlangen, das Feuer war wieder frisch und wütend, weil
ich zu lange von ihr getrennt gewesen war.
Ich verbrachte einen Moment damit, mich zu konzentrieren und dann – ich
zwang mich durch meine Nase zu atmen – ließ ich das Buch in meinen Händen
auffallen. Sie hatte mit dem ersten Buch angefangen… Ich überflog die Seiten bis
zum dritten Kapitel von Sinn und Sinnlichkeit auf der Suche nach irgendetwas
Provozierendem auf Austen‘s allzu höflichen Seiten.
Meine Augen stoppten automatisch bei meinem Namen – der Charakter
Edward Ferrars wurde zum ersten Mal eingefügt – Bella sprach wieder.
„Mmm. Edward,“ seufzte sie.
Dieses Mal hatte ich keine Angst, dass sie aufgewacht sein könnte. Ihre
Stimme war nur ein leises Murmeln. Kein angsterfüllter Schrei, den sie von sich
gegeben hätte, wenn sie mich jetzt gesehen hätte.
Freude rang mit dem Ekel vor mir selbst. Sie träumte immer noch von mir.
„Edmund. Ah. Zu… ähnlich…“
Edmund?
Ha! Sie träumte gar nicht von mir, stellte ich verbitterte fest. Der Ekel kam
stärker zurück. Sie träumte von fiktionalen Charakteren. So viel zu meiner
Einbildung.
Ich legte ihr Buch zurück und stahl mich zurück in die Schatten – wo ich
hingehörte.
Der Nachmittag verstrich und ich beobachtete wie die Sonne langsam am
Himmel versank und die Schatten langsam auf sie zu krochen. Ich fühlte mich
wieder hilflos. Ich wollte die Schatten vertreiben, aber die Dunkelheit war
unausweichlich; die Schatten verschlangen sie. Als das Licht verschwunden war,
sah ihre Haut zu blass aus – geisterhaft. Ihr Haar wieder dunkel, fast schwarz
neben ihrem Gesicht.
Es war beängstigend zu beobachten – als würde ich zusehen, wie Alices
Vision in Erfüllung ging. Bellas stetiger Herzschlag war die einzige Beruhigung,
das Geräusch, das diesen Moment davon abhielt zu einem Albtraum zu werden.
Ich war erleichtert als ihr Vater nach Hause kam.
Ich konnte nicht viel von ihm hören, als er die Straße herunter Richtung
Haus fuhr. Eine vage Verstimmung… in der Vergangenheit, irgendetwas von
seinem Arbeitstag. Erwartung vermischt mit Hunger – ich vermutete, dass er sich
auf das Abendessen freute. Aber diese Gedanken waren so leise und
zurückhaltend, dass ich mir nicht sicher sein konnte; ich bekam nur das
Wesentliche von ihnen mit.
Ich fragte mich, wie ihre Mutter wohl klang – welche genetischen
Verbindungen sie so einzigartig machte.
Bella wachte langsam auf und setzte sich ruckartig auf als der Wagen ihres
Vaters die steinige Auffahrt entlangfuhr. Sie schaute sich um und wirkte verwirrt
von der unerwarteten Dunkelheit. Für einen kurzen Moment fiel ihr Blick auf die
Schatten in denen ich mich versteckte, aber dann wandte sie sich wieder ab.
„Charlie?“ fragte sie leise während sie immer noch in die Bäume spähte
die um den Garten herumstanden.
Er schlug die Autotür zu und sie sah in die Richtung aus der das Geräusch
kam. Sie sprang schnell auf die Füße, raffte ihr Zeug zusammen und warf noch
einen letzten Blick auf den Wald.
Ich kletterte auf einen Baum, der nähe bei dem Küchenfenster stand und
belauschte ihren Abend. Es war interessant Charlies Worte mit seinen
verschlüsselten Gedanken zu vergleichen. Seine Liebe und seine Sorge um seine
einzige Tochter waren schier überwältigend, und doch waren seine Worte immer
knapp und beiläufig. Die meiste Zeit saßen sie in geselliger Stille beisammen.
Ich hörte wie sie ihre Pläne für den morgigen Tag in Port Angeles mit ihm
besprach und ich passte meine eigenen Pläne an, während ich zuhörte. Jasper
hatte Peter und Charlotte nicht gebeten sich von Port Angeles fern zu halten.
Obwohl ich wusste, dass sie ausreichend gesättigt waren und nicht vorhatten in
der näheren Umgebung zu jagen, würde ich sie nicht aus den Augen lassen, nur
zur Sicherheit. Abgesehen davon, gab es immer noch andere meiner Art da
draußen. Und dann waren da noch die vielen menschlichen Gefahren da draußen,
über die ich vorher nie nachgedacht hatte.
Ich hörte wie sie sich darum sorgte ihren Vater mit den Vorbereitungen des
Abendessens allein zu lassen und lächelte über diese Bestätigung meiner Theorie
– ja sie kümmerte sich um andere.
Und dann ging ich mit dem Wissen, dass ich wiederkommen würde wenn
sie schlief.
Ich würde ihre Privatsphäre nicht in dem Sinne missachten wie ein Spanner
es tat. Ich war hier als ihr Beschützer und nicht um sie anzugaffen, wie Mike
Newton es zweifellos getan hätte wenn er behende genug gewesen wäre, sich so
wie ich durch die Baumkronen zu bewegen. Ich würde sie nicht so respektlos
behandeln.
Mein Haus war leer als ich zurückkam, was mir sehr recht war. Ich
vermisste die verwunderten oder geringschätzigen Gedanken nicht, die meinen
Verstand in Frage stellten. Emmett hatte eine Nachricht auf dem Treppenpfosten
hinterlassen.
Football auf dem Rainier Feld – komm schon! Bitte?
Ich fand einen Stift und kritzelte das Wort sorry unter seine Bitte. Die
Teams waren auch ohne mich ausgeglichen.
Ich machte den kürzesten Jagdausflug meines Lebens, gab mich mit
kleineren, harmloseren Kreaturen zufrieden, die nicht so gut schmeckten wie die
Raubtiere und schlüpfte in frische Kleidung bevor ich nach Forks zurückrannte.
Bella schlief diese Nacht wieder unruhig. Sie zerwühlte ihr Bettlaken, ihr
Gesicht mal besorgt und mal traurig. Ich fragte mich was für ein Albtraum sie
verfolgte… und bemerkte dann dass ich das vielleicht besser gar nicht wissen
wollte.
Wenn sie sprach, murmelte sie hauptsächlich abfällig Dinge über Forks in
einem mürrischen Tonfall. Nur einmal, als sie die Worte „Komm zurück“ seufzte
und ihre Handfläche nach außen drehte – eine wortlose Bitte – hatte ich die
Hoffnung, dass sie vielleicht von mir träumte.
Der nächste Schultag, der letzt Tag an dem die Sonne mich gefangen hielt,
war genau wie der Tag zuvor. Bella wirkte noch trauriger als gestern und ich
fragte mich, ob sie ihre Pläne doch noch absagen würde – sie schien nicht in der
Stimmung dafür zu sein.
Aber, da sie Bella war, würde sie vermutlich das Vergnügen ihrer Freunde
über ihr eigenes stellen.
Sie trug heute eine dunkelblaue Bluse und die Farbe betonte ihre Haut
perfekt, ließ sie cremig aussehen.
Als die Schule zu Ende war, vereinbarten sie, dass Jessica die anderen
Mädchen abholen würde – Angela kam auch mit, wofür ich dankbar war.
Ich ging nach Hause um meinen Wagen zu holen. Als ich dort Peter und
Charlotte vorfand entschied ich, den Mädchen eine Stunde Vorsprung zu lassen.
Ich hätte es sowieso nicht ausgehalten mich an ihr Tempo zu halten um ihnen zu
folgen – ein scheußlicher Gedanke.
Ich kam zur Küche hinein und nickte Emmett und Esme kurz zu während
ich an den anderen vorbei direkt zum Piano ging.
Ugh, er ist zurück. Rosalie natürlich.
Ah, Edward. Ich hasse es ihn so leiden zu sehen. Esmes Freude wurde von
Sorge überlagert. Sie sollte besorgt sein. Diese Love Story die sie sich für mich
wünschte raste immer spürbarer auf eine Tragödie zu.
Viel Spaß in Port Angeles heute Abend, dacht Alice aufmunternd. Sag mir
bescheid, wenn ich endlich mit Bella reden darf.
Du bist erbärmlich. Ich kann es nicht fassen, dass du das Spiel letzte Nacht
verpasst hast um jemanden beim Schlafen zu beobachten, grummelte Emmett.
Jasper beachtete mich nicht in seinen Gedanken, auch nicht als das Stück
dass ich zu spielen begann etwas stürmischer klang als ich beabsichtigt hatte. Es
war ein altes Stück mit einem bekannten Thema: Ungeduld. Jasper
verabschiedete sich von seinen Freunden die mich neugierig beobachteten.
Was für eine seltsame Kreatur, dachte die weißblonde Charlotte, die
ungefähr so groß war wie Alice. Und er war so normal und höflich als wir ihn das
letzte Mal getroffen haben.
Peters Gedanken stimmten mit ihren überein, wie es meistens der Fall war.
Es muss an den Tieren liegen. Ohne menschliches Blut werden sie
vielleicht alle irgendwann verrückt, schloss er. Sein Haar war genauso hell wie
ihres und auch fast so lang. Sie waren sich sehr ähnlich – abgesehen von der
Größe, denn er war ungefähr so groß wie Jasper – sowohl optisch als auch in ihren
Gedanken. Sie waren ein perfektes Paar.
Alle außer Esme hörten bald auf über mich nachzudenken und ich spielte
gemäßigtere Töne um ihre Aufmerksamkeit nicht wieder auf mich zu lenken. Es
war schwer das Mädchen nicht mehr zu sehen. Ich horchte erst wieder auf, als
die Verabschiedung langsam endgültig klang.
„Wenn du Maria wieder siehst,“ sagte Jasper ein bisschen ironisch, „bestell
ihr schöne Grüße von mir.“
Maria war der Vampir der sie beide, Jasper und Peter erschaffen hatte –
Jasper in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Peter erst vor kurzem,
in den Neunzehnhundertvierzigern. Sie hatte einmal nach Jasper gesehen, als wir
in Calgary waren. Es war ein aufregender Besuch – wir mussten sofort umziehen.
Jasper hatte sie höflich gebeten, sich von nun an von uns fern zu halten.
„Ich glaube nicht, dass das so bald passieren wird,“ sagte Peter lachend –
Maria war unglaublich gefährlich und es war nicht mehr viel Zuneigung zwischen
ihr und Peter übrig geblieben. Peter war maßgeblich an Jaspers Treuebruch
beteiligt. Jasper war immer Marias Liebling gewesen; sie betrachtete es als
unwichtige Kleinigkeit, dass sie einst vorhatte ihn zu töten. „Aber wenn es
passieren sollte, werde ich es ihr auf jeden Fall ausrichten.“
Sie reichten sich die Hände. Ich ließ das Stück zu einem unbefriedigenden
Ende auslaufen und stand hastig auf.
„Charlotte, Peter,“ sagte ich und nickte.
„Es war nett dich wiederzusehen, Edward,“ sagte Charlotte zweifelnd.
Peter nickte nur zustimmend.
Verrückter, warf mir Emmett nach.
Idiot, dachte Rosalie zur gleichen Zeit.
Armer Junge. Esme.
Und Alice, in einem neckenden Tonfall. Sie gehen direkt nach Osten, nach
Seattle. Nicht mal in die Nähe von Port Angeles. Sie zeigte mir den Beweis in
ihrer Vision.
Ich tat so als hätte ich sie nicht gehört. Meine Entschuldigungen waren
sowieso schon schwach genug.
Sobald ich in meinem Auto war, fühlte ich mich entspannter; das stabile
Schnurren des Motors das Rosalie für mich verstärkt hatte – letztes Jahr als sie
noch bessere Laune hatte – war beruhigend. Es war eine Erleichterung in
Bewegung zu sein, zu wissen, dass ich mit jeder Meile die unter mir hinweg flog
näher zu Bella kam.
9. Port Angeles

Als ich in Port Angeles ankam war es noch zu hell für mich um in die Stadt zu
fahren; die Sonne stand immer noch zu hoch am Himmel, und, obwohl meine
Scheiben schwarz getönt waren, wollte ich kein unnötiges Risiko eingehen. Mehr
unnötige Risiken, sollte ich sagen.
Ich war zuversichtlich, dass ich Jessicas Gedanken auch aus der Ferne
finden würde – Jessicas Gedanken waren lauter als Angelas, aber wenn ich die
eine gefunden hatte, konnte ich auch die andere finden. Wenn die Schatten
länger wurden, konnte ich näher kommen. Aber jetzt lenkte ich den Wagen erst
mal von der Straße auf eine überwucherte Einfahrt kurz vor der Stadt die selten
genutzt wurde.
Ich wusste die ungefähre Richtung in der ich suchen müsste – es gab
wirklich nur einen Ort in Port Angeles wo man Klamotten kaufen konnte. Es
dauerte nicht lange bis ich Jessica gefunden hatte, die sich vor einem
dreigeteilten Spiegel hin und her drehte, und ich konnte Bella im Hintergrund
sitzen sehen, um das lange schwarze Kleid, das sie trug zu begutachten.
Bella sieht immer noch sauer aus. Ha ha. Angela hatte recht – Tyler hatte
sich etwas eingebildet. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum sie sich so
anstellt. Immerhin weiß sie, dass sie ein Date in Reserve hat für den
Abschlussball. Was wenn Mike sich auf dem Frühlingsball nicht amüsiert und
mich nicht noch einmal fragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte? Was wenn er
Bella zum Abschlussball einlädt? Hätte sie Mike gefragt ob er mit ihr zum
Frühlingsball geht, wenn ich nichts gesagt hätte? Findet er sie hübscher als
mich? Findet sie sich hübscher als mich?
„Ich glaube ich finde das Blaue besser. Es betont deine Augen.“
Jessica lächelte Bella mit falscher Wärme an, während sie sie misstrauisch
anschielte.
Glaubt sie das wirklich? Oder will sie, dass ich am Samstag wie eine Kuh
aussehe?
Ich hatte schon keine Lust mehr, Jessica zuzuhören. Ich suchte in der Nähe
nach Angela – ah, aber Angela zog sich grad um und ich verschwand schnell
wieder aus ihrem Kopf um ihr etwas Privatsphäre zu geben.
Naja, es gab nicht viele Gefahren denen Bella in einem
Bekleidungsgeschäft ausgesetzt war. Ich würde sie erst mal in Ruhe shoppen
lassen und sie dann einholen wenn sie fertig waren. Es würde nicht mehr lange
dauern bis es dunkel war – die Wolken kamen langsam aus Richtung Westen
zurück. Ich sah sie nur schemenhaft zwischen den dicken Bäumen, aber ich
konnte sehen, wie sie den Sonnenuntergang beschleunigten. Ich freute mich über
sie, erflehte sie mehr als ich mich jemals zuvor nach ihren Schatten gesehnt
hatte. Morgen konnte ich wieder neben Bella in der Schule sitzen, ihre ganze
Aufmerksamkeit während der Pause für mich beanspruchen. Ich konnte ihr all die
Fragen stellen, die ich mir aufgehoben hatte…
Also, sie war sauer über Tylers Annahme. Ich hatte es in seinem Kopf
gesehen – dass er es wörtlich gemeint hatte, als er vom Abschlussball sprach,
dass er ein Anrecht erhob. Ich erinnerte mich an ihren Gesichtsausdruck an
diesem einen Nachmittag – dieser geschockte Zweifel – und ich lachte. Ich fragte
mich, was sie ihm wohl dazu sagen würde. Ich würde ihre Reaktion nicht
verpassen wollen.
Die Zeit verging langsam während ich darauf wartete, dass die Schatten
länger wurden. Ich schaute hin und wieder nach Jessica; ihre mentale Stimme
war am einfachsten zu finden, aber ich hielt es dort nicht lange aus. Ich sah das
Restaurant indem sie planten zu Abend zu essen. Dann würde es dunkel sein…
vielleicht würde ich zufällig dasselbe Restaurant wählen. Ich berührte das Telefon
in meiner Tasche und überlegte ob ich Alice zum Essen einladen sollte… Das
würde ihr gefallen, aber sie würde auch mit Bella reden wollen. Ich war mir nicht
sicher, ob ich bereit war um Bella noch weiter in meine Welt zu involvieren. War
ein Vampir nicht schon Problem genug?
Ich schaute wieder bei Jessica rein. Sie dachte über ihren Schmuck nach
und fragte Angela nach ihrer Meinung.
„Vielleicht sollte ich die Kette zurückbringen. Ich hab eine Zuhause die
passen könnte, außerdem hab ich schon mehr Geld ausgegeben als ich durfte…“
Meine Mutter wird ausrasten. Was hab ich mir nur dabei gedacht?
„Es macht mir nichts aus zu dem Laden zurück zu gehen. Aber meinst du
nicht, Bella wird sich wundern wo wir bleiben?“
Was war das? Bella war nicht bei ihnen? Ich schaute zuerst durch Jessicas
Augen, dann durch Angelas. Sie waren auf dem Gehweg vor einer Reihe von
Läden und machten gerade kehrt. Bella war nirgendwo zu sehen.
Oh, wen interessiert denn schon Bella? Dachte Jessica ungeduldig bevor sie
Angelas Frage beantwortete. „Es geht ihr sicher gut. Wir werden schon noch früh
genug bei dem Restaurant sein, auch wenn wir zurück gehen. Abgesehen davon
hatte ich den Eindruck, dass sie allein sein wollte.“ Ich erhaschte einen kurzen
Blick auf einen Buchladen zu dem Jessica dachte, dass Bella gegangen seih.
„Dann lass uns beeilen,“ sagte Angela. Ich hoffe, Bella denkt nicht wir
hätten sie sitzen lassen. Sie war heute im Auto so nett zu mir… sie ist wirklich ein
liebenswerter Mensch. Aber sie wirkte den ganzen Tag irgendwie deprimiert. Ich
frag mich, ob das mit Edward Cullen zusammenhängt? Ich wette, deshalb hat sie
nach seiner Familie gefragt…
Ich hätte besser aufpassen sollen. Was hatte ich sonst noch verpasst? Bella
lief hier ganz alleine herum und sie hatte vorher nach mir gefragt? Angela
schenkte nun Jessica ihre Aufmerksamkeit – Jessica quasselte über diesen Idioten
Mike – und ich konnte keine Informationen mehr von ihr bekommen.
Ich kontrollierte die Schatten. Die Sonne würde sehr bald hinter den
Wolken verschwunden sein. Wenn ich auf der westlichen Seite der Straße blieb,
wo die Gebäude sie vor dem schwindenden Licht abschirmten…
Ich wurde langsam ängstlich während ich durch den dichten Verkehr
Richtung Stadtmitte fuhr. Damit hatte ich nicht gerechnet – Bella lief alleine los –
und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie finden könnte. Ich hätte damit rechnen
müssen.
Ich kannte Port Angeles gut; ich fuhr direkt zu dem Buchladen aus Jessicas
Kopf, in der Hoffnung, dass meine Suche kurz sein würde, bezweifelte jedoch,
dass es so einfach sein würde. Wann machte Bella es je einfach?
Und natürlich war der kleine Laden leer, abgesehen von der seltsam
gekleideten Frau hinter der Kasse. Das sah nicht nach einem Ort aus, an dem
Bella interessiert gewesen wäre – zu New Age für eine bodenständige Person. Ich
fragte mich, ob sie überhaupt hineingegangen war?
Da war ein schattiges Plätzchen in dem ich parken konnte… Von dem Platz
führte ein dunkler Pfad direkt bis zum Überhang des Ladens. Das sollt ich wirklich
nicht tun. Zu dieser Tageszeit herumzulaufen war nicht sicher. Was wenn ein
vorbeifahrendes Auto die Sonne in genau dem falschen Moment in Richtung
Schatten reflektieren würde?
Aber ich wusste nicht, wie ich sonst nach Bella suchen sollte!
Ich parkte, stieg aus und hielt mich im tiefsten Schatten auf. Schnell
hastete ich in den Laden und erhaschte den Hauch von Bellas Duft in der Luft. Sie
war hier gewesen, auf dem Gehweg, aber kein Zeichen ihrer Anwesenheit im
Laden.
„Guten Tag! Kann ich ihnen helfen…“ begann die Verkäuferin, aber da war
ich längst wieder zur Tür hinaus.
Ich folgte Bellas Duft soweit der Schatten es erlaubte und hielt am Rande
des Sonnenlichts an.
Wie hilflos ich mich fühlte – eingepfercht von der schmalen Linie zwischen
Dunkelheit und Licht, die sich über den Gehweg vor mir zog. So eingeschränkt.
Ich konnte nur raten, dass sie der Straße in Richtung Süden gefolgt war.
Dort gab es nicht viel zu sehen. Hatte sie sich verlaufen? Naja, das schien nicht
besonders abwegig.
Ich stieg wieder ins Auto und fuhr langsam durch die Straßen, auf der
Suche nach Ihr. Hin und wieder stieg ich an Schattigen Stellen aus, aber ich
witterte ihren Duft nur noch ein Mal und die Richtung in die er wehte, verwirrte
mich. Wo wollte sie hin?
Ich fuhr ein paarmal zwischen dem Buchladen und dem Restaurant hin und
her, in der Hoffnung ihr auf dem Weg zu begegnen. Jessica und Angela waren
bereits da und überlegten ob sie schon mal bestellen oder noch auf Bella warten
sollten. Jessica drängte dazu, sofort zu bestellen.
Ich begann durch die Gedanken von Fremden zu huschen um durch ihre
Augen zu sehen. Bestimmt musste sie irgendwer gesehen haben.
Je länger sie verschwunden blieb umso nervöser und besorgter wurde ich.
Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde, sie wieder zu finden, wenn
ich sie einmal, wie jetzt, verlieren würde. Das gefiel mir nicht.
Die Wolken verdichteten sich am Horizont und in ein paar Minuten konnte
ich ihr zu Fuß folgen. Dann würde ich nicht mehr so lange brauchen. Einzig die
Sonne machte mich so hilflos. Nur noch ein paar Minuten und der Vorteil läge
wieder auf meiner Seite, dann wäre die menschliche Welt wieder machtlos.
Andere Gedanken und wieder andere. So viele belanglose Gedanken.
… ich glaube das Baby hat schon wieder eine Ohrenentzündung…
War es sechs vier null oder sechs null vier…?
Schon wieder zu spät. Ich sollte ihm mal sagen…
Da kommt sie! Aha!
Endlich, da war ihr Gesicht. Letztendlich hatte jemand sie bemerkt!
Die Erleichterung hielt nur für den Bruchteil einer Sekunde und dann las
ich die Gedanken des Mannes der aus dem Schatten ihr Gesicht begutachtete
genauer.
Sein Geist war mir fremd und doch nicht ganz unbekannt. Einst hatte ich
genau solche Gedanken gejagt.
„NEIN!“ brüllte ich, und ein gewaltiges Knurren brach aus meiner Kehle.
Mein Fuß trat das Gaspedal durch, aber wo sollte ich hinfahren?
Ich kannte die ungefähre Richtung aus der die Gedanken kamen, aber das
Wissen war nicht detailiert genug. Irgendetwas, da musste irgendetwas sein – ein
Straßenschild, eine Ladenfront, irgendetwas in seinem Blickfeld, dass seinen
Aufenthaltsort verraten würde. Aber Bella stand im Schatten und sein Blick war
auf ihr verängstigtes Gesicht geheftet – er genoss ihre Angst.
Ihr Gesicht verschwamm in seinen Gedanken mit anderen Gesichtern. Bella
war nicht sein erstes Opfer.
Das Geräusch meines Knurrens brachte den Autorahmen zum vibrieren,
aber das lenkte mich nicht ab.
In den Wänden hinter ihr waren keine Fenster. Irgendwo im
Industriegebiet, weit weg von der bevölkerten Einkaufsstraße. Mein Wagen fuhr
quietschend um die Kurve, überholte ein anderes Fahrzeug auf dem Weg in die,
wie ich hoffte, richtige Richtung. Als der andere Fahrer hupte, war das Geräusch
schon weit hinter mir.
Sie nur wie sie zittert! Der Mann lachte erwartungsvoll. Die Angst war seine
Motivation – er genoss es.
„Bleib weg von mir.“ Ihre Stimme war ruhig und fest, kein Schrei.
„Seih doch nicht so, Herzchen.“
Er sah wie sie sich zu einem rauen Lachen umdrehte, das aus einer
anderen Richtung kam. Das Geräusch verärgerte ihn – Halts Maul, Jeff! Dachte er
– aber er mochte es wie sie zusammenzuckte. Es erregte ihn. Er begann sich ihre
Bitten vorzustellen, wie sie betteln würde…
Ich hatte nicht mitbekommen, dass da noch andere bei ihm waren, bis ich
das Lachen gehört hatte. Ich verließ seine Gedanken auf der Verzweifelten Suche
nach etwas was ich gebrauchen könnte. Er machte einen Schritt auf sie zu und
bog seine Finger durch.
Die Gedanken um ihn herum waren nicht so eine Kloake wie seine. Sie
waren alle leicht betrunken und keiner von ihnen war sich darüber im Klaren wie
weit der Kerl, den sie Lonnie nannten, vorhatte zu gehen. Sie folgten ihm blind. Er
hatte ihnen ein bisschen Spaß versprochen…
Einer von ihnen sah nervös die Straße hinunter – er wollte nicht dabei
erwischt werden wie er ein Mädchen belästigte – und gab mir was ich brauchte.
Ich erkannte die Kreuzung zu der er hinübersah.
Ich überfuhr eine rote Ampel und schlidderte durch eine Lücke zwischen
zwei Autos die gerade groß genug für meinen Wagen war. Hinter mir erhob sich
ein wahres Hupkonzert.
Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Ich ignorierte es.
Lonnie bewegte sich langsam auf das Mädchen zu um die Spannung zu
steigern – der Moment des Schreckens der ihn erregte. Er wartete auf ihren
Schrei um ihn auszukosten.
Aber Bella hielt den Mund geschlossen und spannte ihren Körper. Er war
überrascht – er hatte erwartet, dass sie versuchen würde, wegzurennen.
Überrascht und ein wenig enttäuscht. Er mochte es, seiner Beute nach zu rennen,
das Adrenalin der Jagd.
Diese hier ist mutig. Ich denke, dass ist vielleicht sogar besser… sie ist
kämpferisch.
Ich war nur noch einen Block entfernt. Das Monster konnte jetzt das
Dröhnen meines Motors hören, aber er beachtet ihn nicht, er war zu sehr auf sein
Opfer versteift.
Mal sehen, wie er die Jagd fand, wenn er die Beute war. Mal sehen, was er
von meiner Art zu jagen hielt.
In einem anderen Teil meiner Gedanken ging ich bereits die verschiedenen
Foltermethoden durch, die ich in meinen Tagen der Selbstjustiz bezeugt hatte,
um die schmerzvollste herauszusuchen. Er würde dafür leiden. Er würde sich vor
Schmerz winden. Die anderen würden einfach nur sterben, aber das Monster das
Lonnie hieß würde um seinen Tod betteln lange bevor ich ihm dieses Geschenk
machen würde.
Ich war in der Straße, die ihre kreuzte.
Ich flog scharf um die Kurve, meine Scheinwerfer huschten über die
Szenerie und ließen alle erstarren. Ich hätte den Anführer überfahren können, der
zur Seite sprang, aber das war ein zu schneller Tod für ihn.
Der Wagen drehte sich und rutschte über die Fahrbahn, bis er wieder in die
Richtung zeigte aus der ich gekommen war. Die Beifahrertür war Bella am
nächsten und ich ließ sie aufschwingen. Sie rannte bereits zum Wagen.
„Steig ein,“ knurrte ich.
Was zum Teufel?
Ich wusste, dass das keine gute Idee ist! Sie ist nicht allein.
Soll ich rennen?
Ich glaub ich muss mich übergeben…
Bella sprang durch die offene Tür ohne zu zögern und schlug sie hinter sich
zu.
Und dann sah sie mich an, mit dem vertrauensvollsten Blick den ich je an
einem Menschen gesehen hatte und all meine brutalen Pläne fielen in sich
zusammen.
Es dauerte weniger als eine Sekunde bis ich begriff, dass ich sie nicht im
Wagen lassen konnte während ich mich um die vier Männer auf der Straße
kümmerte. Was würde ich ihr sagen, nicht hinsehen? Hah! Wann tat sie jemals
das was ich ihr sagte? Wann tat sie jemals etwas Sicheres?
Würde ich die Kerle wegzerren, weg aus ihrer Sichtweite, und sie hier
alleine lassen? Es war eher unwahrscheinlich, dass ein weiterer gefährlicher
Mensch heute Nacht durch die Straßen von Port Angeles schlich, aber der erste
war genauso unwahrscheinlich gewesen! Wie ein Magnet zog sie alles Gefährlich
an. Ich konnte sie nicht aus den Augen lassen.
Für sie wirkte es wie ein und dieselbe Bewegung als ich beschleunigte und
sie so schnell von ihren Verfolgern wegbrachte, dass diese meinem Wagen nur
mit einem verständnislosen Blick hinterher starrten. Sie hatte mein Zögern nicht
bemerkte. Für sie sah es so aus, als wäre Flucht von Anfang an der Plan gewesen.
Ich konnte ihn nicht einmal anfahren. Das würde ihr Angst machen.
Ich wollte seinen Tod so verzweifelt, dass das Verlangen danach in meinen
Ohren klingelte, meine Sicht vernebelte und wie ein bitterer Nachgeschmack auf
meiner Zunge lag. Meine Muskeln waren von dem Druck angespannt, der
Begierde, der Notwendigkeit. Ich musste ihn töten. Ich würde ihn langsam
schälen, Stück für Stück, Haut von Muskel, Muskel von Knochen…
Allerdings saß da das Mädchen – das einzige Mädchen auf dieser Welt –
dass sich mit beiden Händen in den Sitz krallte und mich anstarrte, ihre Augen
immer noch geweitet und voller Vertrauen. Vergeltung würde warten müssen.
„Schnall dich an,“ befahl ich. Meine Stimme war rau vor lauter Hass und
Blutdurst. Nicht der gewöhnliche Blutdurst. Ich würde mich nicht damit beflecken
irgendeinen Teil dieses Mannes in mir aufzunehmen.
Sie schloss den Sicherheitsgurt und schreckte zusammen bei dem leisen
Klicken. Dieses kleine Geräusch lies sie zusammenzucken, aber es störte sie
nicht, dass ich durch die Straße jagte und alle Verkehrsregeln missachtete. Ich
fühlte dass sie mich ansah. Sie wirkte seltsam entspannt. Das ergab keinen Sinn
für mich – nicht nachdem was sie gerade erlebt hatte.
„Bist du okay?“ fragte sie, ihre Stimme war rau vor Aufregung und Angst.
Sie wollte wissen, ob ich okay war?
Ich dachte für den Bruchteil einer Sekunde über ihre Frage nach. Nicht
lange genug für sie um das Zögern zu bemerken. War ich okay?
„Nein,“ bemerkte ich und mein Ton schäumte vor Wut.
Ich brachte sie zu derselben unbenutzten Einfahrt an der ich den
Nachmittag verbracht hatte, beschäftigt mit der erbärmlichsten Überwachung
überhaupt. Unter den Bäumen war sie jetzt schwarz.
Ich war so wütend, dass mein Körper erstarrte und ich bewegungslos
dasaß. Meine eisigen Hände sehnten sich danach ihren Angreifer zu erschlagen,
ihn in Stücke zu reißen und so zu verstümmeln, dass man seinen Körper nie mehr
identifizieren könnte…
Aber das würde beinhalten, dass ich sie hier allein lassen musste,
ungeschützt in der dunklen Nacht.
„Bella?“ fragte ich mit zusammengepressten Zähnen.
„Ja?“ erwiderte sie heiser. Sie räusperte sich.
„Geht es dir gut?“ das war das allerwichtigste, oberste Priorität. Vergeltung
war zweitrangig. Ich wusste das, aber mein Körper war so voller Wut, dass ich
kaum denken konnte.
„Ja.“ Ihre Stimme war immer noch belegt – vor Angst, kein Zweifel.
Also konnte ich sie nicht allein lassen.
Selbst wenn sie aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen mal nicht in
dauernder Gefahr schwebte – ein blöder Scherz, den das Universum mit mir trieb
- selbst wenn ich sicher sein konnte, dass sie in meiner Abwesenheit absolut
sicher war, konnte ich sie in der Dunkelheit nicht allein lassen.
Sie musste schreckliche angst haben.
Dennoch war ich im Moment nicht in der Lage sie zu trösten – selbst wenn
ich gewusst hätte wie man so etwas macht, was ich nicht wusste. Sicher würde
sie die Gewaltbereitschaft spüren, die ich ausstrahlte, so viel war offensichtlich.
Ich würde sie nur noch mehr ängstigen, wenn ich die Lust jemanden
abzuschlachten, die in mir brodelte, nicht bändigen konnte.
Ich musste an etwas anderes denken.
„Lenk mich bitte ab,“ bat ich sie.
„Wie bitte?“
Ich hatte kaum genug Selbstkontrolle um ihr zu erklären, was ich brauchte.
„Plapper über irgendetwas unbedeutendes bis ich mich beruhigt habe,“
erklärte ich mit zusammengekniffenen Zähnen. Einzig die Tatsache, dass sie
mich brauchte, hielt mich im Wagen. Ich konnte die Gedanken des Mannes hören,
seine Enttäuschung, seine Wut… Ich wusste wo ich ihn finden konnte… Ich
schloss meine Augen und wünschte mir, dass ich nichts sehen konnte…
„Ähm…“ Sie zögerte – ich vermute sie versuchte aus meiner Bitte schlau
zu werden. „Ich werde wohl Tyler Crowley morgen nach der Schule überfahren?“
Sie sagte es, als wäre es eine Frage.
Ja – das war es was ich brauchte. Natürlich fing Bella mit etwas an, womit
ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Genau wie vorher klang der Hang zur
Gewalt in ihrer Stimme eher belustigt – ein alberner Widerspruch. Wenn ich nicht
innerlich gebrannt hätte vor lauter Verlangen jemanden zu töten, hätte ich
gelacht.
„Warum?“ bellte ich um sie zum weitersprechen zu bewegen.
„Er erzählt überall herum, dass ich mit ihm zum Abschlussball gehen
würde,“ sagte sie, ihre Stimme hatte wieder diesen wütenden Tiger-Kätzchen-
Tonfall. „Entweder er ist total verrückt, oder er versucht immer noch es wieder
gut zu machen, dass er mich fast getötet hätte, letzten… naja, du weißt schon
wann,“ fügte sie trocken hinzu, „und irgendwie glaubt er, der Abschlussball wäre
die beste Möglichkeit, das zu tun. Also hab ich mir gedacht, wenn ich sein Leben
auch in Gefahr bringe, sind wir quitt, und er kann aufhören sich schuldig zu
fühlen. Ich kann ganz gut auf Feinde verzichten und vielleicht hört Lauren auf Gift
zu versprühen, wenn er mich in Ruhe lässt. Vielleicht muss ich aber auch seinen
Sentra schrotten,“ fuhr sie gedankenverloren fort. „Wenn er kein Auto hat, kann
er auch niemanden zum Abschlussball fahren…“
Es war ermutigend zu sehen, dass sie manche Dinge auch mal falsch
verstand. Tylers Aufmerksamkeit hatte nichts mit dem Unfall zu tun. Sie schien
nicht zu verstehen wie sie auf die menschlichen Jungs an der High School wirkte.
Merkte sie auch nicht, wie sie auf mich wirkte?
Ah, es funktionierte. Ihre verblüffenden Gedankengänge zogen doch immer
wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich begann wieder die Kontrolle über
mich zu gewinnen, etwas anderes als Rache und Folter zu sehen…
„Davon hab ich gehört,“ erzählte ich ihr. Sie hatte aufgehört zu reden und
ich musste sie dazu bringen, dass sie weitersprach.
„Du hast davon gehört?“ fragte sie ungläubig. Und dann klang sie
wütender als zuvor. „Wenn er vom Hals abwärts gelähmt ist kann er auch nicht
zum Ball gehen.“
Ich wünschte es gäbe einen Weg sie zu bitten mit ihren Mordgelüsten und
angedrohten Körperverletzungen fortzufahren ohne verrückt zu klingen. Sie hätte
sich keine bessere Methode einfallen lassen können um mich zu beruhigen. Und
ihre Worte – für sie reiner Sarkasmus, Übertreibung – waren eine Erinnerung die
ich in diesem Moment herzlich gebrauchen konnte.
Ich seufzte und öffnete meine Augen.
„Besser?“ fragte sie ängstlich.
„Nicht wirklich.“
Nein, ich war ruhiger aber mir ging es nicht besser. Denn ich hatte gerade
festgestellt, dass ich das Monster namens Lonnie nicht töten könnte, aber ich
wollte es immer noch mehr als fast alles andere auf der Welt. Fast.
Das einzige was ich im Moment mehr wollte, als einen absolut berechtigten
Mord zu begehen, war dieses Mädchen. Und, obwohl ich sie nicht haben konnte,
machte der Traum sie zu haben es mir unmöglich heute Nacht auf Mordtour zu
gehen – ganz egal wie gerechtfertigt diese Sache sein würde.
Bella verdiente etwas Besseres als einen Mörder.
Ich hatte sieben Jahrzehnte damit verbracht etwas anderes als das zu sein
– alles andere als ein Mörder. Diese Jahrelange Anstrengung konnte mich
dennoch nicht zu dem machen, den dieses Mädchen, das neben mir saß,
verdiente. Und dennoch hatte ich das Gefühl, wenn ich zu diesem Leben
zurückkehrte – das Leben eines Mörders – wenn auch nur für eine Nacht, würde
ich sie für immer verlieren. Selbst wenn ich nicht ihr Blut trank – selbst wenn ich
nicht das flammende Rot als Beweis in meinen Augen hätte – würde sie den
Unterschied nicht bemerkten?
Ich versuchte gut genug für sie zu sein. Das war ein unmögliches Ziel. Aber
ich würde es weiter versuchen.
„Was ist los?“ flüsterte sie.
Ihr Atem füllte meine Nase und erinnerte mich daran, warum ich sie nicht
verdiente. Nach all dem was passiert war, sogar mit all der Liebe die ich für sie
empfand… mir lief immer noch das Wasser im Munde zusammen.
Ich würde ihr soviel Ehrlichkeit geben wie ich konnte. Das schuldete ich ihr.
„Manchmal habe ich etwas Probleme mich zu beherrschen, Bella.“ Ich
starrte in die schwarze Nacht und wünschte mir, dass sie den Schrecken in
meiner Stimme hörte und gleichzeitig auch nicht. Der Wunsch sie würde es nicht
hören, war stärker. Lauf, Bella, lauf. Bleib, Bella, bleib. „Aber es wäre nicht
hilfreich, wenn ich zurückfahren und sie jagen würde…“ allein schon der Gedanke
daran, ließ mich fast aus dem Wagen springen. Ich atmete tief durch und ließ
ihren Duft meine Kehle hinunter brennen. „Jedenfalls, versuche ich mich davon
zu überzeugen.“
„Oh.“
Sie sagte nichts weiter. Wie viel hatte sie aus meinen Worten
herausgehört? Ich schielte heimlich zu ihr herüber, aber in ihrem Gesicht war
nichts zu lesen. Ausdruckslos vor Schock, vielleicht. Naja, sie schrie wenigstens
nicht. Noch nicht.
Für einen Moment war es still. Ich rang mit mir selbst bei dem Versuch
etwas zu sein was ich sein sollte. Was ich nicht sein konnte.
„Jessica und Angela werden sich Sorgen machen,“ sagte sie leise. Ihre
Stimme klang sehr ruhig und ich war mir nicht sicher, wie das sein konnte. Stand
sie unter Schock? Vielleicht hatte sie die Geschehnisse des heutigen Abends noch
nicht ganz realisiert? „Wir wollten uns treffen.“
Wollte sie weg von mir? Oder machte sie sich nur Gedanken, um die Sorge
ihrer Freunde?
Ich antwortete ihr nicht, sondern startete den Wagen und fuhr zurück. Mit
jedem Schritt den ich der Stadt näher kam, wurde es schwerer mich an meine
Vorsätze zu halten. Ich war schon viel zu nah an ihm dran…
Wenn es unmöglich war – wenn ich dieses Mädchen niemals haben oder
verdienen könnte – wo war dann der Sinn darin, diesen Kerl unbeschadet davon
kommen zu lassen? Bestimmt würde ich mir soviel erlauben können…
Nein. Ich würde nicht aufgeben. Noch nicht. Ich wollte sie zu sehr um zu
kapitulieren.
Wir waren bereits an dem Restaurant an dem sie ihre Freunde treffen
wollte, bevor ich überhaupt den Sinn meiner Gedanken verstand. Jessica und
Angela hatten schon zu Ende gegessen und waren nun beide ehrlich besorgt um
Bella. Sie machten sich gerade auf den Weg um nach ihr zu suchen und gingen
die dunkle Straße hinunter.
Es war keine gute Nacht für sie um alleine herumzulaufen –
„Woher wusstest du, wo…?“ Bellas nicht beendete Frage unterbrach mich
und ich bemerkte dass ich schon wieder einen Fauxpas begangen hatte. Ich war
zu abgelenkt gewesen um sie zu fragen wo sie sich mit ihren Freunden treffen
wollte.
Aber anstatt, die Frage zu beenden und auf einer Antwort zu beharren,
schüttelte Bella nur ihren Kopf und lächelte leicht.
Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Naja, ich hatte keine Zeit über ihre seltsame Akzeptanz meines noch
seltsameren Wissens zu rätseln. Ich öffnete meine Tür.
„Was machst du?“ fragte sie verwirrt.
Dich nicht aus den Augen lassen. Mir nicht erlauben heute Nacht allein zu
sein. In dieser Reihenfolge. „Ich lade dich zum Essen ein.“
Naja, das würde interessant werden. Es wirkte als wäre es eine andere
Nacht gewesen, in der ich mir überlegt hatte, Alice mitzubringen und so zu tun
als hätte ich zufällig das selbe Restaurant ausgewählt wie Bella und ihre
Freundinnen. Und jetzt stand ich hier und hatte praktisch eine Verabredung mit
dem Mädchen. Obwohl es nicht wirklich zählte da ich ihr nicht die Gelegenheit
gab, abzulehnen.
Sie hatte ihre Tür schon halb geöffnet, bevor ich um das Auto herum war –
normalerweise war es nicht allzu frustrierend sich in einer unauffälligen
Geschwindigkeit zu bewegen – statt darauf zu warten, dass ich das für sie tat. Tat
sie das weil sie es nicht gewohnt war wie eine Dame behandelt zu werden oder
weil sie mich nicht für einen Gentleman hielt?
Ich wartete auf sie während ich beobachtete wie ihre Freundinnen fast um
die dunkle Ecke verschwanden.
„Würdest du bitte Jessica und Angela davon abhalten nach dir zu suchen,
bevor ich sie auch noch retten muss?“ bat ich sie schnell. „Ich glaube nicht, dass
ich mich beherrschen kann, wenn ich deinen anderen Freunden noch einmal
begegne.“ Nein, dafür wäre ich nicht stark genug.
Sie zuckte zusammen und fasste sich dann schnell wieder. Sie machte
einen Schritt in ihre Richtung und rief, „Jess! Angela!“ mit kräftiger Stimme. Sie
drehten sich um und sie wedelte mit ihrem Arm über ihrem Kopf herum um ihre
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Bella! Es geht ihr gut! Dachte Angela erleichtert.
Ziemlich spät. Grummelte Jessica vor sich hin, aber auch sie war dankbar,
dass Bell nichts zugestoßen war. Das machte sie etwas sympathischer.
Sie eilten zurück und blieben dann abrupt stehen, geschockt, als sie mich
neben ihr sahen.
Oh – oh! Dachte Jess, überrascht. Auf keinen Fall!
Edward Cullen? Ist sie alleine losgegangen um ihn zu suchen? Aber warum
sollte sie sich danach erkundigen, dass sie nicht in der Stadt waren, wenn sie
wusste, dass er hier war… Ich erhaschte einen kurzen Blick auf Bellas gekränktes
Gesicht als sie Angela gefragt hatte, ob meine Familie öfter mal der Schule
fernblieb. Nein, sie konnte es nicht gewusst haben, entschied Angela.
Jessicas Gedanken hatte die Überraschung überwunden und begannen mit
den Spekulationen. Bella verheimlicht mir etwas.
„Wo warst du?“ fragte sie. Sie schaute Bella an aber beobachtete mich aus
den Augenwinkeln.
„Ich hatte mich verlaufen. Und dann habe ich Edward getroffen,“ sagte
Bella und wedelte mit einer Hand in meine Richtung. Ihre Stimme klang seltsam
normal. Als wäre das wirklich alles was passiert war.
Sie musste einfach unter Schock stehen. Das war die einzige Erklärung für
ihre Ruhe.
„Wäre es in Ordnung, wenn ich mich euch anschließen würde?“ fragte ich –
um höflich zu sein; ich wusste, dass sie bereits gegessen hatten.
Heilige Scheiße, ist der heiß! Dachte Jessica, ihre Gedanken waren plötzlich
unzusammenhängend.
Angela war nicht viel mehr gefasst. Ich wünschte wir hätten noch nicht
gegessen. Wow. Einfach nur. Wow.
Warum konnte Bella nicht so auf mich reagieren?
„Äh… klar,“ stimmte Jessica zu.
Angelas Blick wurde etwas düster. „Ähm, eigentlich haben wir schon
gegessen, während wir auf dich gewartet haben, Bella,“ gab sie zu. „Tut mir
leid.“
Was? Halt die Klappe! Beschwerte sich Jessica innerlich.
Bella zuckte lässig mit den Schultern. So ungezwungen. Definitiv unter
Schock. „Das ist ok – ich hab sowieso keinen Hunger.“
„Ich denke, du solltest etwas essen,“ wiedersprach ich. Sie brauchte
Zucker für ihren Kreislauf – obwohl ihr Blut süß genug roch, so wie es war, dachte
ich ironisch. Das Entsetzen würde sie jeden Moment packen und ein leerer Magen
würde da nicht helfen. Sie wurde leicht ohnmächtig wie ich aus Erfahrung wusste.
Diese Mädchen waren nicht in Gefahr wenn sie sich sofort auf den
Heimweg machen würden. Die Gefahr verfolgte nicht jeden ihrer Schritte.
Und ich wäre lieber allein mit Bella – so lange sie auch mit mir allein sein
wollte.
„Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich Bella heute nach Hause fahre?“
sagte ich zu Jessica bevor Bella etwas entgegnen konnte. „Dann müsstet ihr nicht
warten, während sie isst.“
„Äh, nein, das ist kein Problem, denke ich…“ Jessica schaute Bella intensiv
an und hielt nach einem Anzeichen dafür Ausschau, dass es das war was sie
wollte.
Ich würde so gern bleiben… aber sie will ihn vermutlich für sich allein
haben. Wer würde das nicht wollen? Dachte Jess. Zur gleichen Zeit, sah sie wie
Bella ihr zuzwinkerte.
Bella zwinkerte?
„Okay,“ sagte Angela schnell, sie hatte es eilig zu verschwinden, wenn es
das war, was Bella wollte. Und es schien, dass sie es wirklich wollte. „Wir sehen
uns dann morgen, Bella… Edward.“ Sie bemühte sich meinen Namen so lässig
wie möglich auszusprechen. Dann griff sie nach Jessicas Hand und zog sie von
uns weg.
Ich würde einen Weg finden müssen um Angela dafür zu danken.
Jessicas Auto stand nicht weit entfernt in dem Lichtkegel einer
Straßenlaterne. Bella beobachtete sie genau, bis sie im Wagen waren, eine kleine
Sorgenfalte auf der Stirn. Sie musste sich also sehr wohl im Klaren darüber sein,
in was für einer Gefahr sie sich befunden hatte. Jessica winkte noch einmal als sie
davon fuhr und Bella winkte zurück. Erst als der Wagen verschwunden war,
atmete sie tief durch und wandte sich zu mir um.
„Ehrlich, ich bin nicht hungrig,“ sagte sie.
Warum hatte sie gewartet bis sie weg waren um zu reden? Wollte sie
wirklich mit mir allein sein – sogar jetzt, nachdem sie meine mörderische Wut
bezeugt hatte?
Ob das nun der Fall war oder nicht, sie würde etwas essen.
„Tu mir den Gefallen,“ sagte ich.
Ich öffnete ihr die Restauranttür und wartete.
Sie seufzte und trat ein.
Ich ging neben ihr zu dem Podium an dem die Hostess stand. Bella wirkte
immer noch vollkommen selbstbeherrscht. Ich wollte ihre Hand berühren, ihre
Stirn, um ihre Temperatur zu überprüfen. Aber sie würde vor meiner kalten Hand
zurückschrecken wie zuvor.
Oh, Mann, die recht laute mentale Stimme der Hostess drang in mein
Bewusstsein. Oh Mann, oh Mann.
Heute Nacht verdrehte ich einige Köpfe. Oder bemerkte ich es heute nur so
intensiv, weil ich so sehr wollte, dass Bella mich so sah? Wir wirkten immer
besonders anziehend auf unsere Beute. Ich hatte nie besonders darüber
nachgedacht. Normalerweise – es seih denn man versuchte wiederholt, wie
Shelly Cope und Jessica Stanley, den Schrecken zu übersehen – gewann die Angst
recht schnell die Oberhand über die anfänglichen Anziehung…
„Ein Tisch für zwei?“ bat ich, als die Hostess nichts sagte.
„Oh, äh, ja. Willkommen im La Bella Italia.“ Mmm! Was für eine Stimme!
„Folgen sie mir bitte.“ Ihre Gedanken waren abwesend – abschätzend.
Vielleicht ist sie seine Kusine. Sie kann nicht sein Schwester sein, sie sehen
sich kein bisschen ähnlich. Aber auf jeden Fall verwandt. Er kann nicht mit ihr
zusammen sein.
Der menschliche Blick war getrübt; sie sahen nicht klar. Wie konnte diese
kleingeistige Frau meine Erscheinung – eine Falle für die Beute – so attraktive
finden aber trotzdem nicht in der Lage sein, die sanfte Perfektion des Mädchens
neben mir zu sehen?
Naja, man muss ihr ja nicht auch noch helfen, nur für den Fall, dachte die
Hostess während sie uns an einen Vier-Personen Tisch in der Mitte des
überfüllten Teils des Restaurants führte. Kann ich ihm meine Nummer geben,
wenn sie daneben sitzt…? Grübelte sie.
Ich zog einen Schein aus meiner hinteren Hosentasche. Menschen waren
besonders kooperativ, wenn Geld mit im Spiel war.
Bella war bereits im Begriff sich zu setzen. Ich schüttelte meinen Kopf in
ihre Richtung und sie zögerte während sie ihren Kopf verwirrt zur Seite neigte. Ja,
sie würde heute Nacht noch verwirrter sein. Eine Menschenmenge war nicht der
ideale Ort für so eine Unterhaltung.
„Vielleicht hätten Sie einen etwas ruhigeren Tisch für uns?“ fragte ich die
Dame und reichte ihr den Schein. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und
verengten sich wieder als sie den Schein entgegen nahm.
„Natürlich.“
Sie schielte auf den Schein, während sie uns hinter eine Trennwand führte.
Fünfzig Dollar für einen besseren Tisch? Reich ist er auch noch. Das macht
Sinn – ich wette seine Jacke ist mehr wert als mein letzter Gehaltscheck.
Verdammt. Warum will er mit ihr allein sein?
Sie bot uns einen Tisch in einer ruhigen Ecke des Restaurants an, wo uns
niemand sehen konnte – wo niemand Bellas Reaktion sehen konnte auf was
immer ich ihr erzählen würde. Ich hatte keine Ahnung, was sie heute von mir
wissen wollen würde. Oder was ich ihr preisgeben würde.
Wie viel hatte sie bereits erahnt? Welche Erklärungen der heutigen
Ereignisse hatte sie sich selbst zusammengereimt?
„Wie wäre dieser Tisch?“ fragte die Hostess.
„Perfekt,“ beteuerte ich ihr und, etwas genervt von ihrem herablassenden
Verhalten Bella gegenüber, lächelte ich sie breit an und zeigte meine Zähne.
Damit sie mich richtig sah.
Whoa. „Ähm… ihre Kellnerin wird sofort bei ihnen sein.“ Er kann nicht echt
sein. Ich muss träumen. Vielleicht verschwindet sie… vielleicht sollte ich meine
Nummer mit Ketchup auf seinen Teller schreiben… Sie wandte sich ab und
wankte leicht davon.
Seltsam. Sie hatte immer noch keine Angst. Ich erinnerte mich plötzlich
daran wie Emmett mich vor so vielen Wochen in der Cafeteria aufgezogen hatte.
Ich wette ich hätte ihr mehr Angst einjagen können als du.
Verlor ich meinen Schrecken?
„Du solltest wirklich aufhören so etwas mit den Menschen zu machen,“
unterbrach Bella missbilligend meine Gedanken. „Das ist wirklich nicht fair.“
Ich sah ihren kritischen Gesichtsausdruck. Was meinte sie? Ich hatte die
Dame nicht verängstigt, obwohl ich es vorgehabt hatte. „Was mache ich denn?“
„Leute so zu blenden – sie hyperventiliert vermutlich gerade in der Küche.“
Hmm. Bella lag fast richtig. Die Hostess war im Moment wenig
zusammenhängend, während sie ihre inkorrekte Beschreibung von mir ihren
Kollegen zum Besten gab.
„Ach, komm schon,“ zog Bella mich auf, als ich nicht direkt antwortete.
„Du musst doch wissen, wie du auf die Mensch wirkst.“
„Ich blende die Leute?“ Das war eine interessante Umschreibung. Korrekt
genug für heute Abend. Ich frag mich, warum es so anders war…
„Du hast es nicht bemerkt?“ fragte sie kritisch. „Glaubst du jeder bekommt
so einfach was er will?“
„Blende ich dich?“ meine Neugier brach aus mir heraus bevor ich die
Worte zurückhalten konnte.
Aber bevor ich wirklich bereuen konnte die Worte ausgesprochen zu
haben, antwortete sie, „Manchmal.“ Und ihre Wangen bekamen einen leichten
Rotton.
Ich blendete sie.
Mein stummes Herz schwoll vor einer so intensiven Hoffnung an die ich
noch nie zuvor empfunden hatte.
„Hallo,“ sagte jemand. Die Kellnerin. Ihre Gedanken waren lauter und
expliziter als die der Hostess, aber ich blendete sie aus. Stattdessen starrte ich
auf Bellas Gesicht, beobachtete wie das Blut unter ihrer Haut floss, bemerkte
nicht, wie es in meiner Kehle brannte, aber bemerkte sehr wohl wie es ihr blasses
Gesicht erhellte, wie es ihre cremige Haut betonte…
Die Kellnerin wartete auf etwas von mir. Ah, sie hatte gefragt, was wir
trinken wollten. Ich schaute immer noch auf Bella und die Kellnerin wandte sich
ihr fluchend zu.
„Ich nehme eine Cola?“ sagte Bella, als ob sie um Erlaubnis fragte.
„Zwei Cola,“ bestellte ich. Durst – normaler, menschlicher Durst – war ein
Zeichen von Schock. Ich würde sichergehen, dass sie den Zucker aus der Cola in
ihren Kreislauf aufnahm.
Sie sah ziemlich gesund aus. Mehr als gesund. Sie sah blendend aus.
„Was?“ verlangte sie – sie fragte sich wohl, warum ich sie anstarrte. Ich
hatte kaum mitbekommen, dass die Kellnerin gegangen war.
„Wie fühlst du dich?“ fragte ich.
Die Frage überraschte sie. „Mir geht es gut.“
„Du fühlst dich nicht schwindelig, schlecht, kalt?“
Das verwirrte sie noch mehr. „Sollte ich?“
„Naja, ehrlichgesagt warte ich darauf, dass du einen Schock bekommst.“
Ich lächelte leicht und erwartete ihren Wiederspruch. Sie wollte nicht, dass man
sich um sie kümmerte.
Sie brauchte eine Minute um mir zu antworten. Ihr Blick war irritiert. So
schaute sie manchmal wenn ich sie anlächelte. War sie… geblendet?
Das würde ich nur zu gerne glauben.
„Ich glaube nicht, dass das passiert. Ich war schon immer gut darin
unangenehme Dinge auszublenden,“ antwortete sie ein wenige atemlos.
Hatte sie viel Erfahrung mit unangenehmen Dingen? War ihr Leben immer
so gefährlich?
„Ich fühle mich besser, wenn du etwas Zucker und Essen zu dir genommen
hast.“
Die Kellnerin brachte die Colas und einen Korb mit Brot. Sie stellte alles ab
und versuchte Augenkontakt mit mir herzustellen während sie nach meiner
Bestellung fragte. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie sich auf Bella konzentrieren
sollte und blendete sie dann wieder aus. Ihre Gedanken waren vulgär.
„Ähm…“ Bella warf einen kurzen Blick auf die Speisekarte. „Ich nehme die
Pilzravioli.“
Die Kellnerin wandte sich sofort wieder zu mir um. „Und für dich?“
„Ich nehme nichts, danke.“
Bella machte ein beleidigtes Gesicht. Hmm. Sie musste bemerkt haben
dass ich nie aß. Sie bemerkte alles. Und ich vergaß in ihrer Gegenwart immer
vorsichtig zu sein.
Ich wartete, bis wir wieder allein waren.
„Trink,“ ermahnte ich sie.
Ich war überrascht, als sie sofort reagierte ohne Wiederworte zu geben. Sie
trank das Glas in einem Zug leer, also schob ich ihr stirnrunzelnd die zweite Cola
herüber. Durst oder Schock?
Sie trank noch ein paar Schlucke und schüttelte sich kurz.
„Ist dir kalt?“
„Nur die Cola,“ sagte sie, aber sie zitterte wieder und ihre Lippen bebten
leicht als würden ihre Zähne gleich anfangen zu klappern.
Die schöne Bluse die sie trug war zu dünn um sie zu schützen. Sie lag an
ihr wie eine zweite Haut und war genauso zart wie die erste. Sie war so schwach,
so sterblich. „Hast du keine Jacke dabei?“
„Doch.“ Sie sah sich etwas verwundert um. „Oh – Ich hab sie in Jessicas
Wagen liegen lassen.“
Ich zog meine Jacke aus und hoffte, dass die Geste nicht durch meine
Körpertemperatur geschmälert wurde. Es wäre schön gewesen ihr einen warmen
Mantel anbieten zu können. Sie schaute mich wieder mit leicht erröteten Wangen
an. Was dachte sie jetzt?
Ich reichte ihr die Jacke über den Tisch und sie zog sie sofort an, dann
zitterte sie wieder.
Ja, es wäre schön warm zu sein.
„Danke,“ sagte sie. Sie atmete tief ein und schob dann die Ärmel der Jacke
soweit hoch, dass sie ihre Hände frei bekam. Dann atmete sie wieder tief durch.
Wurden ihr die Geschehnisse des heutigen Abends endlich bewusst? Ihr
Gesichtsfarbe war immer noch normal; ihre Haut war cremig und rosig neben
dem dunklen Blau ihrer Bluse.
„Die Farbe Blau hebt deinen Hautton sehr schön hervor,“ bemerkte ich. Ich
war nur ehrlich.
Sie errötete und verstärkte dadurch den Effekt.
Sie sah gesund aus, aber das war kein Grund so zu tun, als wäre nichts
gewesen. Ich schob ihr den Korb mit Brot zu.
„Ehrlich,“ wiedesprach sie, als sie erriet was ich vorhatte. „Ich bekomme
keinen Schock.“
„Das solltest du aber – ein normaler Mensch würde einen Schock
bekommen. Du siehst nicht einmal verängstigt aus.“ Ich beobachtete sie,
abschätzend und fragte mich, warum sie nicht normal sein konnte und dann, ob
ich das wirklich wollte.
„Ich fühle mich sicher bei dir,“ sagte sie und ihre Augen waren wieder
voller Vertrauen. Vertrauen das ich nicht verdiente.
Ihre Instinkte waren vollkommen falsch – entgegengesetzt. Das musste das
Problem sein. Sie sah die Gefahr nicht so wie ein menschliches Wesen sie sehen
sollte. Sie hatte die gegenteilige Reaktion. Anstatt zu rennen, verweilte sie,
angezogen von dem was sie ängstigen sollte…
Wie sollte ich sie vor mir selbst schützen wenn keiner von uns beiden das
wollte?
„Das ist komplizierter als ich gedacht hätte,“ murmelte ich.
Ich konnte sehen wie sie meine Worte in ihrem Kopf drehte und wendete
und ich fragte mich, was sie daraus machte. Sie nahm eine Brotstangen und
begann zu essen, ohne es wirklich zu bemerken. Sie kaute einen Moment und
legte ihren Kopf dann gedankenverloren zur Seite.
„Normalerweise bist du besser gelaunt, wenn deine Augen so hell sind,“
sagte sie ihn einem lässigen Tonfall.
Ihre Beobachtung, so selbstverständlich ausgesprochen, lies mich taumeln.
„Was?“
„Du bist immer sehr schlecht gelaunt, wenn deine Augen schwarz sind –
dann rechne ich damit. Ich hab eine Theorie dazu,“ fügte sie leichthin hinzu.
Also hatte sie sich ihre eigenen Theorien zusammengebastelt. Natürlich
hatte sie das. Ich bekam ein wenig Angst als ich versuchte mir vorzustellen wie
nahe sie der Wahrheit gekommen sein könnte.
„Mehr Theorien?“
„Mm-hm.“ Sie kaute einen weiteren Bissen, absolut unbekümmert. Als ob
sie nicht gerade die Eigenschaften eines Monster mit dem Monster selbst
besprechen würde.
„Ich hoffe, du warst diesmal etwas kreativer…“ log ich, als sie nicht
weitersprach. Was ich wirklich hoffte war, dass sie falsch lag – Meilenweit von der
Wahrheit entfernt. „Oder klaust du immer noch aus Comics?“
„Naja, nein, ich hab es nicht aus einem Comic,“ sagte sie etwas verschämt.
„Aber ich bin auch nicht ganz allein darauf gekommen.“
„Und?“ fragte ich durch meine Zähne.
Sie würde bestimmt nicht so locker reden, wenn sie kurz davor war zu
schreien.
Als sie sich zögernd auf die Lippe biss, kam die Kellnerin mit ihrem Essen
um die Ecke. Ich beachtete sie kaum als sie den Teller vor Bella abstellte und
fragte, ob ich noch etwas bräuchte.
Ich verneinte, bestellte aber noch etwas Cola. Die Kellnerin hatte die
leeren Gläser nicht bemerkt. Sie nahm sie an sich und verschwand.
„Du wolltest etwas sagen?“ brachte ich ungeduldig hervor sobald wir
wieder allein waren.
„Ich erzähl es dir im Auto,“ sagte sie leise. Ah, das würde böse werden. Sie
wollte ihre Vermutung nicht vor anderen aussprechen. „Wenn…“ fuhr sie plötzlich
fort.
„Es gibt Bedingungen?“ ich war so gespannt, dass ich die Worte fast
knurrte.
„Ich hab natürlich ein paar Fragen.“
„Natürlich,“ stimmte ich mit fester Stimme zu.
Ihr Fragen würden vielleicht ausreichen um mir zu zeigen in welche
Richtung ihre Theorie ging. Aber wie sollte ich sie beantworten? Mit vertretbaren
Lügen? Oder würde ich sie mit der Wahrheit davon kommen lassen? Oder würde
ich gar nichts sagen, da ich mich nicht entscheiden konnte?
Wir saßen uns stumm gegenüber während die Kellnerin zwei weitere Colas
brachte.
„Na dann leg mal los,“ sagte ich, als sie wieder verschwunden war und biss
die Zähne zusammen.
„Warum bist du in Port Angeles?“
Das war eine zu einfache Frage – für sie. Die Frage verriet nichts,
wohingegen meine Antwort viel zu viel verraten würde. Sie sollte zuerst etwas
aufdecken.
„Nächste,“ sagte ich.
„Aber das ist doch die einfachste!“
„Nächste,“ sagte ich wieder.
Meine Ablehnung frustrierte sie. Sie wandte den Blick von mir ab und
schaute auf ihr Essen. Während sie scharf nachdachte, nahm sie einen Bissen
und kaute sorgfältig. Sie spülte den Bissen mit etwas Cola hinunter und sah
wieder zu mir auf. Ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen
während sie überlegte.
„Na gut, dann,“ sagte sie, „sagen wir mal, rein hypothetisch natürlich,
jemand… weiß was andere Menschen denken, kann ihre Gedanken lesen, sowas
in der Art – mit ein paar Ausnahmen.“
Es könnte schlimmer sein.
Das erklärte das kleine Lächeln im Auto. Sie war schnell – bisher hatte das
noch niemand von mir erraten. Abgesehen vor Carlisle, aber damals war es
ziemlich offensichtlich gewesen, als ich zu Beginn alle seine Gedanken
beantwortet hatte, als hätte er sie laut ausgesprochen. Er verstand es bevor ich
es verstand…
Die Frage war nicht so schlimm. Da klar war, dass sie wusste, dass mit mir
etwas nicht stimmte, war diese Frage nicht so ernst. Gedankenlesen war
immerhin keine typische Eigenschaft für Vampire. Ich ging auf ihre Hypothese
ein.
„Nur eine Ausnahme,“ korrigierte ich. „Hypothetisch.“
Sie unterdrückte ein Lächeln – meine vage Ehrlichkeit gefiel ihr. „Na gut,
mit einer Ausnahme also. Wie funktioniert das? Wo sind die Grenzen? Wie
könnte… dieser Jemand… jemand anderen zu genau der richtigen Zeit finden?
Wie könnte er wissen, dass sie in Gefahr war?“
„Hypothetisch?“
„Klar.“ Ihre Lippen zuckten und ihre flüssigen braunen Augen schauten
mich begierig an.
„Naja,“ ich zögerte. „Wenn… dieser Jemand…“
„Sagen wir, er heißt Joe,“ schlug sie vor.
Ich musste über ihren Enthusiasmus lächeln. Glaubte sie wirklich die
Wahrheit wäre etwas Gutes? Wenn meine Geheimnisse angenehm wären, warum
sollte ich sie dann vor ihr bewahren?
„Also dann Joe,“ stimmte ich zu. „Wenn Joe gut aufpasste müsste das
Timing gar nicht mal so gut sein.“ Ich schüttelte meinen Kopf und unterdrückte
einen Schauer bei dem Gedanken, dass ich heute beinahe zu spät gekommen
wäre. „Nur du kannst in einer so kleinen Stadt in Schwierigkeiten geraten. Du
hättest ihre Verbrechensrate für die nächsten Jahrzehnte in die Höhe getrieben.“
Ihre Mundwinkel senkten sich und sie zog einen Schmollmund. „Wir haben
von einem rein hypothetischen fall gesprochen.“
Ich lachte über ihren Ärger.
Ihre Lippen, ihre Haut… sie sahen so weich aus. Ich wollte sie berühren. Ich
wollte mit meinen Fingerspitzen ihre Mundwinkel berühren und sie wieder nach
oben ziehen. Unmöglich. Meine Haut würde abstoßend auf sie wirken.
„Ja, stimmt,“ sagte ich um zu der Unterhaltung zurückzukommen bevor ich
mich noch mehr deprimierte. „Sollen wir dich Jane nennen?“
Sie beugte sich über den Tisch zu mir herüber, jedwede Belustigung und
Verunsicherung waren aus ihrem Blick gewichen.
„Woher wusstest du es?“ fragte sie mit ruhiger und fester Stimme.
Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Und wenn ja, wie viel?
Ich wollte es ihr sagen. Ich wollte das Vertrauen verdienen, dass ich immer
noch in ihrem Gesicht sah.
„Du kannst mir vertrauen, weißt du,“ flüsterte sie und streckte eine Hand
aus, als wolle sie meine Hände berühren, die gefaltet auf dem leeren Tisch vor
mir lagen.
Ich zog sie zurück – ich hasste die Vorstellung ihrer Reaktion auf meine
kalte, steinerne Haut – und sie ließ ihre Hand fallen.
Ich wusste, dass ich darauf vertrauen konnte, dass sie meine Geheimnisse
bewahrte; sie war absolut vertrauenswürdig, durch und durch gut. Aber ich
konnte nicht darauf vertrauen, dass sie nicht entsetzt sein würde. Sie sollte
entsetzt sein. Die Wahrheit war Entsetzlich.
„Ich weiß nicht, ob ich noch die Wahl habe,“ murmelte ich. Ich erinnerte
mich daran, dass ich sie mal damit aufgezogen hatte, dass sie `sehr
unaufmerksam` war. Ich hatte sie damit beleidigt, wenn ich ihren
Gesichtsausdruck richtig gedeutet hatte. Naja, ich konnte diese Fehleinschätzung
korrigieren. „Ich lag falsch – du bist viel aufmerksamer als ich dir zugetraut
hatte.“ Und obwohl sie es vielleicht nicht bemerkt hatte, ich traute ihr eine
Menge zu. Ihr entging nichts.
„Ich dacht, du hättest immer recht,“ sagte sie und zog mich lächelnd auf.
„Normalerweise schon.“ Normalerweise wusste ich was ich tat.
Normalerweise war ich mir der Dinge sicher. Und jetzt war alles Chaos und
Tumult.
Dennoch würde ich es nicht eintauschen wollen. Ich wollte nicht das Leben,
das Sinn machte. Nicht wenn Chaos bedeutete, bei Bella zu sein.
„Ich lag falsch was dich angeht und noch bei einer anderen Sache,“ fuhr
ich fort und wechselte gleich das Thema. „Du bist kein Magnet für Unfälle – das
ist nicht ganz die Richtige Bezeichnung. Du bist ein Magnet für Gefahren. Wenn
es im Umkreis von zehn Meilen irgendeine Gefahr gibt, wird sie dich finden.“
Warum sie? Was hatte sie getan um das alles zu verdienen?
Bellas Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. „Und du zählst dich selbst
auch zu diesen Gefahren?“
Auf diese Frage ehrlich zu antworten war wichtiger als alles andere.
„Eindeutig.“
Ihre Augen verengten sich leicht – nicht argwöhnisch diesmal, sondern
seltsam betroffen. Sie streckte ihre Hand wieder über den Tisch, langsam und
ganz bewusst. Ich zog meine Hand ein Stück zurück, aber sie ignorierte es, sie
war entschlossen mich zu berühren. Ich hielt den Atem an – nicht wegen ihres
Duftes, sondern wegen der plötzlichen überwältigenden Anspannung. Angst.
Meine Haut würde sie abschrecken. Sie würde davonlaufen.
Sie strich sanft mit ihren Fingerspitzen über meinen Handrücken. Die Hitze
ihrer sanften, freiwilligen Berührung war mit nichts zu vergleichen dass ich je
zuvor gefühlt hatte. Es war fast reine Freude. Hätte es sein können, wenn ich
nicht solche Angst gehabt hätte. Ich beobachtete ihr Gesicht, als sie meine kalte
steinerne Haut berührte und war immer noch nicht in der Lage zu atmen.
Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln.
„Danke,“ sagte sie und erwiderte meinen Blick. „Das war schon das zweite
Mal.“
Ihre weichen Finger verweilten auf meiner Hand als ob es ihnen dort gefiel.
Ich antwortete ihr so locker ich konnte. „Wir sollten es nicht auf ein drittes
Mal ankommen lassen, einverstanden?“
Sie verzog ein bisschen das Gesicht, nickte aber.
Ich zog meine Hand unter ihrer weg. So wunderbar wie sich ihre Berührung
angefühlt hatte, wollte ich nicht darauf warten, dass die Magie ihrer Toleranz
verschwand und sich in Abscheu verwandelte. Ich versteckte meine Hände unter
dem Tisch.
Ich las in ihren Augen; obwohl ihre Gedanken stumm waren, konnte ich
Vertrauen und Bewunderung in ihnen erkennen. In diesem Moment bemerkte ich,
dass ich ihre Fragen beantworten wollte. Nicht weil ich es ihr schuldete. Nicht
weil ich wollte, dass sie mir vertraute.
Ich wollte, dass sie mich kannte.
„Ich bin dir nach Port Angeles gefolgt,“ sagte ich ihr, die Worte sprudelten
so schnell aus mir heraus, dass ich sie nicht überdenken konnte. Ich kannte die
Gefahren der Wahrheit, das Risiko das ich einging. Jeden Moment konnte ihre
unnatürliche Gelassenheit in Hysterie umschwenken. Aber das brachte mich nur
dazu, noch schneller zu sprechen. „Ich habe noch nie zuvor versucht jemanden
zu beschützen und es ist schwieriger als ich gedacht hätte. Aber das liegt
vermutlich nur daran, dass du es bist. Normale Menschen scheinen den Tag ohne
größere Katastrophen zu überstehen.“
Ich beobachtete sie abwartend.
Sie lächelte. Ihre Mundwinkel hoben sich und ihre Schokoladen-Augen
wurden warm.
Ich hatte gerade zugegeben, dass ich sie verfolgte und sie lächelte.
„Hast du je darüber nachgedacht, dass meine Tage beim ersten Mal schon
gezählt waren, als der Van auf mich zukam und du ins Schicksal eingegriffen
hast?“ fragte sie.
„Das war nicht das erste Mal,“ sagte ich und starrte auf den dunklen Tisch,
meine Schultern beschämt gesenkt. „Deine Tage waren gezählt, als ich dich das
erste Mal gesehen habe.“
Es war die Wahrheit und es erzürnte mich. Ich hing über ihrem Leben wie
die Klinge einer Guillotine. Es war als wäre sie von einem grausamen,
ungerechten Schicksal zum Tode verurteilt und – nachdem ich mich als
unbrauchbares Werkzeug erwiesen hatte –versuchte dieses Schicksal immer
wieder sie zu töten. Ich versuchte mir dieses Schicksal bildlich vorzustellen – eine
grausige, eifersüchtige Hexe, eine rachsüchtige Harpyie.
Ich wollte etwas oder jemanden haben, der dafür verantwortlich war –
damit ich etwas Konkretes hatte, gegen das ich kämpfen konnte. Irgendetwas
zum vernichten, damit Bella sicher war.
Bella war sehr ruhig; ihr Atem ging schneller.
Ich sah zu ihr auf, wohlwissentlich dass ich endlich die Angst sehen würde
auf die ich so lange gewartet hatte. Hatte ich nicht gerade zugegeben wie nah
ich daran gewesen war sie zu töten? Näher als der Van der versucht hatte sie zu
zerquetschen. Und doch war ihr Gesicht immer noch entspannt, ihre Augen nur
verwundert zusammengezogen.
„Erinnerst du dich?“ Sie musste sich daran erinnern.
„Ja,“ sagte sie mit klarer fester Stimme. Ihre tiefen Augen waren voller
Erkenntnis.
Sie wusste es. Sie wusste, dass ich sie hatte töten wollen.
Wo blieben die Schreie?
„Und dennoch sitzt du hier,“ sagte ich und brachte die Tatsache auf den
Punkt.
„Ja, ich sitze hier… wegen dir.“ Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich,
wurde neugierig, als sie grob das Thema wechselte. „Weil du irgendwie wusstest,
wie du mich heute finden konntest…?“
Hoffnungslos versuchte ich ein weiteres Mal durch die Barriere zu brechen
die ihre Gedanken abschirmte, ich wollte sie so verzweifelt verstehen. Es ergab
alles keinen Sinn für mich. Wie konnte sie sich darüber noch Gedanken machen,
nachdem die Wahrheit so deutlich auf dem Tisch lag?
Sie wartete nur neugierig. Ihre Haut war blass, was normal für sie war,
aber es beunruhigte mich dennoch. Ihr Essen stand immer noch fast unberührt
vor ihr. Wenn ich ihr weiterhin zu viel erzählen würde, bräuchte sie eine
Grundlage wenn der Schock letztlich eintrat.
Ich nannte meine Bedingungen. „Du isst, ich rede.“
Sie überschlug den Gedanken eine halbe Sekunde lang und schob sich
dann hastig einen Bissen in den Mund. Die Eile strafte ihre Ruhe lügen. Sie war
begieriger nach meiner Antwort als ihre Augen zugaben.
„Es ist schwerer als es sein sollte – dir zu folgen,“ erkläre ich ihr.
„Normalerweise kann ich jemanden sehr schnell finden, wenn ich einmal seine
Gedanken gehört habe.“
Ich beobachtete ihr Gesicht ganz genau, während ich das sagte. Richtig zu
raten war eine Sache, aber es bestätigt zu bekommen eine ganz andere.
Sie regte sich nicht, ihre Augen waren geweitet. Ich spürte wie ich meine
Zähne zusammen biss während ich auf ihre Panik wartete.
Aber sie blinzelte nur einmal, schluckte laut und schob sich direkt einen
weiteren Bissen in den Mund. Sie wollte dass ich weitersprach.
„Ich konzentrierte mich auf Jessica,“ fuhr ich fort und beobachtete wie sie
jedes Wort aufsog. „Nicht besonders aufmerksam – wie schon gesagt, nur du
kannst in Port Angeles in Gefahr geraten“ ich konnte nicht wiederstehen das
hinzuzufügen. War ihr bewusst, dass andere Menschen nicht ständig Todesnahe
Erfahrungen machten oder dachte sie, sie seih normal? Sie war alles andere als
normal, unnormaler als alles was ich bisher kannte. „Und zu erst bemerkte ich
gar nicht dass du alleine losgezogen bist. Als ich bemerkte, dass du nicht mehr
bei ihr warst fuhr ich zu dem Buchladen den ich in ihrem Kopf gesehen hatte. Ich
wusste, dass du nicht hineingegangen bist, sondern dich nach Süden gewandt
hattest… und ich wusste, dass du bald umdrehen musstest. Als hab ich einfach
auf dich gewartet und die Gedanken der Passanten durchstöbert – um zu sehen
ob dich irgendjemand bemerkt hatte, damit ich wusste, wo ich dich finden
konnte. Ich hatte keinen Grund besorgt zu sein… aber ich war seltsam
beunruhigt…“ ich atmete schneller als ich mich an das Gefühl der Panik
erinnerte. Ihr Duft brannte in meinem Hals und ich war dankbar. Es war ein
Schmerz der bedeutete, dass sie am Leben war. So lange ich brannte, war sie
sicher.
„Ich begann im Kreis herumzufahren und zu… lauschen.“ Ich hoffte die
Worte ergaben einen Sinn für sie. Das musste verwirrend sein. „Die Sonne ging
langsam unter und ich war kurz davor dir zu Fuß zu folgen. Und dann…“
Als mich die Erinnerung überkam – absolut klar und deutlich, als wäre ich
zu diesem Zeitpunkt zurückversetzt woren – fühlte ich die selbe mörderisch Wut
in mir aufschäumen.
Ich wollte seinen Tod. Ich brauchte seinen Tod. Ich biss meine Zähne
zusammen und konzentrierte mich darauf, an dem Tisch sitzen zu bleiben. Bella
brauchte mich immer noch. Nur darauf kam es an.
„Was dann?“ flüsterte sie mit geweiteten Augen.
„Ich hörte was sie dachten,“ quetschte ich durch meine Zähen hervor,
nicht in der Lage ein knurren zu unterdrücken. „Ich sah dein Gesicht in seinen
Gedanken.“
Ich konnte dem Verlangen zu töten kaum wiederstehen. Ich wusste genau
wo ich ihn finden würde. Seine dunklen Gedanken klebten am Nachthimmel und
zogen mich zu ihm…
Ich bedeckte mein Gesicht, in dem Bewusstsein, dass mein Ausdruck der
eines Monsters war, eines Jägers, eines Killers. Ich fixierte ihr Gesicht vor meinen
geschlossenen Augen um die Kontrolle zu behalten, konzentrierte mich nur auf
ihr Gesicht. Ihr zartes Knochengerüst, die dünne Hülle ihrer blassen Haut – wie
Seide, gespannt über Glas, unglaublich weich und leicht zu zerbrechen. Sie war
zu verletzlich für diese Welt. Sie brauchte einen Beschützer. Und, aufgrund einer
verworrenen schlechten Leitung des Schicksals, war ich das Beste was zur
Verfügung stand.
Ich versuchte meine heftige Reaktion zu erklären, damit sie mich verstand.
„Es war sehr… schwer – du kannst dir nicht vorstellen wie schwer – dich
einfach nur fortzubringen und sie… am Leben zu lassen,“ flüsterte ich. „Ich hätte
dich mit Jessica und Angela nach Hause fahren lassen können, aber ich hatte
Angst, dass ich nach ihnen suchen würde, wenn du weg wärst.“
Das zweite Mal heute Nacht gestand ich einen Mord geplant zu haben.
Immerhin war dieser hier vertretbar.
Sie war ruhig während ich versuchte mich zu fassen. Ich hörte ihren
Herzschlag. Der Rhythmus war unregelmäßig, aber er verlangsamte sich mit der
Zeit und wurde wieder stabil. Auch ihr Atem war gleichmäßig.
Ich war zu dicht an der Grenze. Ich musste sie nach Hause bringen bevor…
Würde ich ihn dann töten? Würde ich wieder zum Mörder werden nachdem
sie mir vertraute? Gab es irgendeinen Weg mich aufzuhalten?
Sie hatte versprochen mir ihre neueste Theorie zu verraten wenn wir
alleine waren. Wollte ich sie hören? Ich sehnte mich danach, aber würde die
Befriedigung meiner Neugierde besser sein, als es nicht zu wissen?
Irgendwie musste sie genug Vertrauen für eine Nacht haben.
Ich sah sie wieder an, ihr Gesicht war blasser als vorher aber gefasst.
„Bist du fertig? Können wir nach Hause fahren?“ fragte ich.
„Ich bin fertig,“ sagte sie und wählte ihre Worte bewusst, als ob ein
einfaches `Ja` nicht ausdrücken könnte, was sie sagen wollte.
Frustrierend.
Die Kellnerin kam zurück. Sie hatte Bellas letzten Satz gehört, während sie
hinter der Abtrennung hin und her überlegt hatte, was sie mir noch anbieten
könnte. Ich wollte meine Augen verdrehen bei den Angeboten die sie im Kopf
hatte.
„Na, wie sieht’s aus?“ fragte sie mich.
„Wir hätten gern die Rechnung, danke,“ sagte ich ihr, mit dem Blick auf
Bella.
Die Atmung der Kellnerin beschleunigte und sie war für einen Augenblick –
um es mit Bellas Worten zu sagen – geblendet von meiner Stimme.
In einem Moment plötzlicher Erkenntnis, während ich meine Stimme im
Kopf der Kellnerin hörte, bemerkte ich warum ich heute so viel Bewunderung
erntete – unbeschadet von der normalen Angst.
Es war wegen Bella. Bei dem Versuch, keine Gefahr für sie zu sein, weniger
gruselig zu sein, menschlich zu sein, hatte ich wirklich die Grenzen überschritten.
Die anderen Menschen sahen nur noch Schönheit, da ich meinen Schrecken so
sehr unter Kontrolle hielt.
Ich schaute zur Kellnerin auf und wartete bis sie sich wieder gefasst hatte.
Es war irgendwie amüsant, jetzt da ich den Grund dafür kannte.
„Natürlich,“ stotterte sie. „Bitte sehr.“
Sie gab mir die Mappe mit der Rechnung und dachte an die Karte, die sie
darin versteckt hatte. Eine Karte mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer.
Ja, es war irgendwie lustig.
Ich hatte das Geld schon bereit. Ich gab die Mappe sofort zurück damit sie
nicht auf einen Anruf warten musste, der niemals kommen würde.
„Stimmt so,“ sagte ich und hoffte, dass die Menge des Trinkgeldes ihre
Enttäuschung ein wenig lindern würde.
Ich stand auf und Bella folgte mir. Ich wollte ihr meine Hand anbieten,
dachte aber, dass das mein Glück für heute zu sehr strapazieren würde. Ich
bedankte mich bei der Kellnerin, lies Bella dabei aber kein einziges Mal aus den
Augen. Bella schien sich ebenfalls über irgendetwas zu amüsieren.
Wir verließen das Restaurant; ich lief so nah neben ihr her wie ich es mir
zutraute. Nah genug, dass die Wärme die ihr Körper ausstrahlte wie eine
physische Berührung an meiner linken Seite war. Als ich ihr die Tür öffnete
seufzte sie leise und ich fragte mich, was sie so sehr bedauerte dass es sie
traurig machte. Ich schaute ihr in die Augen und wollte gerade fragen, als sie
ihren Blick senkte, vor Verlegenheit. Das machte mich noch neugieriger aber
auch abgeneigter zu fragen. Die Stille zwischen uns hielt auch noch an als ich ihr
die Autotür aufhielt und mich dann auf den Fahrersitz setzte.
Ich schaltete die Heizung an – das warme Wetter war plötzlich vorbei; das
kalte Auto musste unangenehm für sie sein. Sie kuschelte sich in meine Jacke mit
einem leichten Lächeln auf den Lippen.
Ich wartete und schob die Unterhaltung hinaus bis das Licht der
Promenade hinter uns verblasste. Dadurch fühlte ich mich mehr allein mit ihr.
War das richtig? Jetzt da ich mich nur noch auf sie konzentrierte wirkte das
Auto plötzlich sehr klein. Ihr Duft wurde von der Heizung herumgewirbelt, baute
sich auf und wurde stärke. Er wuchs immer mehr an und wurde zu einem eigenen
weiteren Wesen im Auto. Eine Präsenz die Anerkennung forderte.
Die hatte sie; ich brannte. Aber das Brennen war erträglich. Es wirkte
seltsam richtig für mich. Ich hatte so viel gegeben heute Nacht - mehr als ich
erwartet hatte. Und hier war sie, immer noch freiwillig an meiner Seite. Ich war
dafür etwas schuldig. Ein Opfer. Ein brennendes Angebot.
Wenn ich es nur dabei belassen könnte; nur brennen, nichts weiter. Aber
das Gift füllte meinen Mund, und meine Muskeln spannten sich in Erwartung, als
würde ich jagen…
Ich musste solche Gedanken aus meinem Kopf verbannen. Und ich wusste
was mich ablenken würde.
„Jetzt,“ sagte ich zur ihr und die Angst vor ihrer Antwort überschattete das
Brennen. „Bist du dran.“
10.Theorie

„Kann ich dir noch eine Frage stellen?“ bat sie, statt auf meine Aufforderung zu
antworten.
Ich war hellhörig und rechnete mit dem schlimmsten. Und dennoch, wie
verführerisch es war, diesen Moment noch länger hinauszuzögern. Bella freiwillig
für noch ein paar Sekunden länger bei mir zu haben. Ich seufzte bei dem
Dilemma und sagte, „Eine.“
„Naja…,“ sie zögerte für einen Moment als ob sie erst darüber nachdenken
musste, welche Frage sie stellen wollte. „Du hast gesagt, du wusstest, dass ich
nicht in den Buchladen gegangen bin und dass ich nach Süden gegangen bin. Ich
hab mich nur gefragt, woher du das gewusst hast.“
Ich warf einen kurzen Blick durch die Windschutzscheibe. Wieder eine
Frage, die nichts von ihr preisgab, aber viel zu viel von mir.
„Ich dachte wir hätten die Ausflüchte hinter uns,“ sagte sie in kritischem,
enttäuschtem Ton.
Wie ironisch. Sie war absolut ausweichend ohne es überhaupt zu
versuchen.
Naja, sie wollte dass ich direkt war. Und bedauerlicherweise führte diese
Beziehung in keine gute Richtung.
„Na gut, also,“ sagte ich. „Ich bin deinem Geruch gefolgt.“
Ich wollte ihr Gesicht sehen, aber ich hatte Angst davor, was ich wohl
sehen würde. Stattdessen lauschte ich wie ihr Atem schneller und dann wieder
normal wurde. Nach einer Weile sprach sie wieder und ihre Stimme war fester als
ich erwartet hatte.
„Und dann hast du eine meiner ersten Fragen noch nicht beantwortet…“
sagte sie.
Ich schaute sie stirnrunzelnd an. Sie versuchte auch Zeit zu schinden.
„Welche?“
„Wie funktioniert das – mit dem Gedankenlesen?“ wiederholte sie ihre
Frage aus dem Restaurant. „Kannst du von jedem die Gedanken lesen, überall?
Wie machst du das? Kann der Rest deiner Familie…?“ sie brach ab und errötete
wieder.
„Das ist mehr als eine,“ sagte ich.
Sie sah mich nur an und wartete auf ihre Antworten.
Warum sollte ich sie ihr nicht geben? Sie hatte schon so viel erraten und es
war ein einfacheres Thema als das was drohend näher rückte.
„Nur ich kann Gedanken lesen. Aber ich kann auch nicht jeden überall
hören. Ich muss ungefähr in der Umgebung sein. Je bekannter die `Stimme` ist,
umso weiter entfernt kann ich sie hören. Aber nicht mehr als ein paar Meilen
weit.“ Ich versuchte es so zu beschreiben, dass sie es verstand. Versuchte etwas
zu finden, womit ich es vergleichen konnte. „Es ist ein bisschen so, als würde
man in einer riesigen Halle stehen voller Leute und alle reden gleichzeitig. Es ist
nur ein Summen – ein Meer von Stimmen im Hintergrund. Bis ich mich auf eine
Stimme konzentriere, dann werden diese Gedanken klar. Meistens blende ich
alles aus – es kann sehr ablenkend sein. Außerdem ist es dann einfacher normal
zu wirken,“ – ich schnitt eine Grimasse – „wenn ich nicht aus Versehen die
Gedanken von jemandem beantworte statt seine Worte.“
„Warum glaubst du kannst du mich nicht hören?“ wunderte sie sich.
Ich gab ihr eine weitere Wahrheit und einen weiteren Vergleich.
„Ich weiß es nicht,“ gab ich zu. „Ich vermute, dass dein Gehirn nicht
genauso arbeitet wie das der anderen. Als würden deine Gedanken auf UKW
gesendet, aber ich kann nur KW empfangen.“
Ich bemerkte, dass sie diesen Vergleich nicht mögen würde. Die Erwartung
ihrer Reaktion brachte mich zum lächeln. Sie enttäuschte mich nicht.
„Mein Gehirn funktioniert nicht richtig?“ fragte sie und hob verärgert ihre
Stimme. „Ich bin also ein Freak?“
Ah, die Ironie wieder.
„Ich höre Stimmen in meinem Kopf und du glaubst, du wärst der Freak?“
Ich lachte. Sie verstand all die kleinen Dinge, aber die großen verstand sie immer
falsch. Immer die falschen Instinkte…
Bella nagte an ihrer Unterlippe und die Falte zwischen ihren Augen war
sehr tief.
„Keine Sorge,“ versicherte ich ihr. „Es ist nur eine Theorie…“ und es gab
eine viel wichtigere Theorie zu besprechen. Ich konnte es nicht erwarten, das
endlich hinter mich zu bringen. Jede Sekunde die verstrich fühlte sich immer
mehr wie gestohlene Zeit an.
„Was uns wieder zu dir zurück bringt,“ sagte ich zwiegespalten, einerseits
ängstlich, andererseits wiederstrebend.
Sie seufzte und kaute immer noch auf ihrer Lippe herum – ich machte mir
sorgen, dass sie sich verletzen könnte. Sie schaute mir mit aufgewühltem
Gesichtsausdruck in die Augen.
„Haben wir die Ausflüchte nicht alle hinter uns gelassen?“ fragte ich leise.
Sie senkte den Blick und schien einen inneren Kampf zu führen. Plötzlich
versteifte sie sich und riss erschrocken die Augen auf. Das erste Mal stand ihr die
Angst ins Gesicht geschrieben.
„Heilige Scheiße!“ japste sie.
Ich bekam Panik. Was hatte sie gesehen? Wie hatte ich sie verängstigt?
Dann rief sie, „Fahr langsamer!“
„Was ist los?“ Ich verstand nicht woher ihre Angst kam.
„Du fährst fast 100 Meilen pro Stunde!“ brüllte sie mich an. Sie warf einen
kurzen Blick aus dem Fenster und schrak vor den vorbeirasenden Bäumen
zurück.
Das bisschen Geschwindigkeit ließ sie vor Angst aufschreien?
Ich verdrehte meine Augen. „Entspann dich Bella.“
„Willst du uns umbringen?“ warf sie mir mit hoher angespannter Stimme
vor.
„Es wird schon nichts passieren,“ versprach ich ihr.
Sie atmete tief ein und sprach dann etwas ruhiger weiter. „Warum hast du
es so eilig?“
„Ich fahre immer so.“
Amüsiert von ihrem geschockten Gesichtsausdruck erwiderte ich ihren
Blick.
„Schau auf die Straße!“ rief sie.
„Ich hatte noch nie einen Unfall, Bella. Ich hab noch nicht einmal einen
Strafzettel bekommen.“ Ich grinste sie an und tippte mir an die Stirn. Es machte
die Situation noch komischer – es war so absurd mich mit ihr über so etwas
Geheimes und seltsames lustig zu machen. „Eingebauter Radardetektor.“
„Sehr witzig,“ sagte sie sarkastisch, ihre Stimme klang eher ängstlich als
sauer. „Charlie ist Polizist, du erinnerst dich? Ich bin dazu erzogen worden, mich
an Verkehrsregeln zu halten. Abgesehen davon, wenn du uns vor einen Baum
fährst, kannst du wahrscheinlich einfach aussteigen und weggehen.“
„Wahrscheinlich,“ wiederholte ich und lachte humorlos. Ja, wir würden wohl
einen sehr unterschiedlichen Preis zahlen müssen bei einem Autounfall. Ich
konnte verstehen, dass sie Angst hatte, trotz meiner Qualitäten als Autofahrer…
„Aber du nicht.“
Mit einem Seufzer senkte ich die Geschwindigkeit. „Zufrieden?“
Sie warf einen Blick auf den Tacho. „Fast.“
„Genug Kommentare zu meinem Fahrstil,“ sagte ich ungeduldig. Wie oft
war sie meiner Frage jetzt ausgewichen? Dreimal? Vier? Waren ihre
Spekulationen so Schrecklich? Ich musste es wissen – sofort. „Ich warte immer
noch auf deine neueste Theorie.“
Sie biss sich wieder auf die Lippe und sah bedrückt aus, fast schon als
hätte sie Schmerzen.
Ich versuchte meine Ungeduld zu beherrschen und meine Stimme weicher
klingen zu lassen. Ich wollte sie nicht beunruhigen.
„Ich werde nicht lachen,“ versprach ich, in der Hoffnung, dass sie nur vor
Scham nicht sprechen wollte.
„Ich habe eher Angst dass du sauer auf mich sein könntest,“ flüsterte sie.
Ich hatte Mühe meine Stimme zu kontrollieren. „Ist es so schlimm?“
„Ziemlich, ja.“
Sie schaute nach unten und wich meinem Blick aus. Die Sekunden
verstrichen.
„Schieß los,“ ermutigte ich sie.
Sie antwortete kleinlaut, „Ich wo nicht wie ich anfangen soll.“
„Wieso fängst du nicht am Anfang an?“ Ich erinnerte mich an ihre Worte
vor dem Essen. „Du sagtest du wärst nicht allein drauf gekommen.“
„Nein,“ stimmte sie zu und war dann wieder still.
Ich versuchte mir zu überlegen, was sie inspiriert haben könnte. „Wie bist
du darauf gekommen – ein Buch? Ein Film?“
Ich hätte ihre Sammlung durchsehen sollen, als sie nicht zu Hause war. Ich
hatte keine Ahnung, ob Bram Stoker oder Anne Rice bei ihren abgegriffenen
Büchern lagen…
„Nein,“ sagte sie wieder. „Es war am Samstag, am Strand.“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Der lokale Klatsch und Tratsch über uns
war nie besonders bizarr gewesen – oder präzise. Gab es ein neues Gerücht, dass
ich verpasst hatte? Bella spähte von ihren Händen auf und sah meinen
Überraschten Gesichtsausdruck.
„Ich hab einen alten Freund der Familie getroffen – Jacob Black,“ fuhr sie
fort. „Sein Vater und Charlie sind schon befreundet seit ich ein Baby war.“
Jacob Black – der Name war mir nicht bekannt und dennoch erinnerte er
mich an etwas… vor langer Zeit… ich schaute gerade aus durch die
Windschutzscheibe und durchforstete meine Erinnerungen um die Verbindung zu
finden.
„Sein Vater ist einer der Ältesten von den Quileute,“ sagte sie.
Jacob Black. Ephraim Black. Ein Nachfahre, kein Zweifel.
Es war so schlimm wie es nur kommen konnte.
Sie kannte die Wahrheit.
In Gedanken ging ich die Konsequenzen durch während der Wagen durch
die schwarzen Kurven der Straße flog, mein Körper war starr vor Angst –
bewegungslos abgesehen von den kleinen automatischen Aktionen die nötig
waren um den Wagen zu steuern.
Sie kannte die Wahrheit.
Aber… wenn sie die Wahrheit am Samstag erfahren hatte… dann kannte
sie sie schon den ganzen Abend… und dennoch…
„Wir sind spazieren gegangen,“ erzählte sie weiter. „Und er hat mir von ein
paar alten Legenden erzählt – er wollte mir ein bisschen Angst machen, denke
ich. Er erzählte mir eine…“
Sie hielt kurz inne, aber es gab keinen Grund mehr für Skrupel; ich wusste,
was sie sagen würde. Das einzige Geheimnis das es noch zu lüften galt war das,
warum sie jetzt und hier bei mir war.
„Erzähl weiter,“ sagte ich.
„Über Vampire,“ hauchte sie, ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern.
Irgendwie war es noch schlimmer, sie das Wort aussprechen zu hören, als
zu wissen, dass sie die Wahrheit kannte. Ich schrak bei dem Ausdruck zurück,
hatte mich aber schnell wieder in der Gewalt.
„Und da hast du sofort an mich gedacht?“ fragte ich.
„Nein. Er… hat deine Familie erwähnt.“
Es war pure Ironie, dass ausrechnet der Nachfahre von Ephraim den
Vertrag verletzte den er geschworen hatte einzuhalten. Ein Enkel, oder vielleicht
Ur-Enkel. Wie viele Jahre war es her? Siebzig?
Ich hätte wissen müssen, dass die Gefahr weniger von dem alten Mann
ausging der an die Legenden glaubte. Natürlich, die jüngere Generation –
diejenigen die zwar gewarnt wurden, die aber den alten Aberglauben lächerlich
fanden – natürlich lag dort die Gefahr der Entlarvung.
Ich vermutete, dass es mir nun erlaubt war, den kleinen Stamm
abzuschlachten wenn ich dazu geneigt wäre. Ephraim und sein Rudel von
Beschützern waren lange tot…
„Er dacht es wäre bloß ein dummer Aberglaube,“ sagte Bella plötzlich mit
einer neuen Angst in der Stimme. „Er hätte nicht gedacht, dass ich irgendetwas
davon ernst nehmen würde.“
Aus meinem Augenwinkel sah ich, wie sie unruhig ihre Hände
verschränkte.
„Es war mein Fehler,“ sagte sie nach einer kurzen Pause und dann senkte
sie ihren Kopf als ob sie sich schämen würde. „Ich habe ihn dazu gebracht es mir
zu erzählen.“
„Warum?“ Es war nicht mehr so anstrengend meine Stimme gleichmäßig
zu halten. Das schlimmste war bereits geschehen. So lange wir über die Details
der Aufdeckung sprachen, mussten wir uns keine Gedanken über ihre
Konsequenzen machen.
„Lauren hatte etwas über dich gesagt – sie hatte versucht mich zu
provozieren.“ Sie verzog ein bisschen das Gesicht bei der Erinnerung daran. Ich
war ein bisschen abgelenkt von der Frage, wie Bella von irgendjemandem
provoziert werden konnte, der über mich sprach… „Und ein älterer Junge des
Stammes hatte gesagt, dass deine Familie nicht zum Reservat kommen würde,
aber es hörte sich so an, als ob er etwas anderes meinte. Also hab ich Jacob
beiseite genommen und es aus ihm heraus gekitzelt.“
Sie senkte ihren Kopf noch weiter als sie das zugab und ihr Ausdruck
wirkte irgendwie… schuldig.
Ich wand meinen Blick von ihr ab und lachte laut auf. Sie fühlte sich
schuldig? Was könnte sie getan haben um irgendeine Art von Tadel zu
verdienen?
„Wie hast du es aus ihm heraus gekitzelt?“ fragte ich.
„Ich hab versucht zu flirten – es hat besser geklappt als ich gedacht hätte,“
erklärte sie und ihre Stimme klang ungläubig bei der Erinnerung an ihren Erfolg.
Ich konnte es mir nur vorstellen – wenn man bedachte was für eine
Wirkung sie auf alles Männliche in ihrer Umgebung hatte, vollkommen unbewusst
von ihrer Seite – wir überwältigend musste sie dann erst sein, wenn sie versuchte
attraktiv zu sein. Ich hatte plötzlich Mitleid mit dem armen Jungen auf den sie
ihre ganze Naturgewalt losgelassen hatte.
„Das hätte ich zu gern gesehen,“ sagte ich und lachte wieder vor
Schadenfreude. Ich wünschte ich hätte die Reaktion des Jungen gesehen, hätte
das ganze Ausmaß der Verwüstung mit eigenen Augen bezeugt. „Und du wirfst
mir vor, ich würde die Leute blenden – armer Jacob Black.“
Ich war nicht so sauer über die Art meiner Entlarvung wie ich gedacht
hätte, dass ich sein würde. Er wusste es einfach nicht besser. Und wie konnte ich
von irgendjemandem erwarten, dass er diesem Mädchen irgendeinen Wunsch
verwehrte? Nein, ich hatte nur Mitleid aufgrund des Schadens den sie diesem
unschuldigen Geist zugefügt haben mochte.
Ich spürte wie ihr Erröten die Luft zwischen uns aufheizte. Ich sah zu ihr
herüber und sie schaute aus dem Fenster. Sie sprach nicht weiter.
„Was hast du dann gemacht?“ fragte ich. Zeit um zu der Horrorgeschichte
zurückzukehren.
„Ich hab ein bisschen im Internet nachgeforscht.“
Immer wieder praktisch. „Und hat dich das überzeugt?“
„Nein,“ sagte sie. „Nichts passte. Das meiste war eher albern. Und dann…“
Sie brach ab und ich hörte wie sie ihre Zähne zusammenbiss.
„Was?“ verlangte ich. Was hatte sie gefunden? Was an diesem Albtraum
hatte einen Sinn für sie ergeben?
Nach einer kurzen Pause flüsterte, „Ich hab beschlossen, dass es egal ist.“
Für den Bruchteil einer Sekunde waren meinen Gedanken erstarrt und
plötzlich passte alles zusammen. Weshalb sie ihre Freunde weggeschickt hatte,
statt mit ihnen zu flüchten. Warum sie wieder zu mir ins Auto gestiegen war, statt
wegzurennen und nach der Polizei zu rufen…
Ihre Reaktionen waren immer falsch – immer absolut falsch. Sie zog die
Gefahr an. Sie lud sie ein.
„Es ist egal?“ presste ich durch meine Zähne und Wut stieg in mir auf. Wie
sollte ich jemanden beschützen der so… so… so entschlossen war ungeschützt zu
sein?
„Ja,“ sagte sie leise mit einer Stimme die unglaublich weich klang. „Es ist
mir egal, was du bist.“
Sie war unglaublich.
„Es ist macht dir nichts aus, dass ich ein Monster bin? Dass ich kein
Mensch bin?“
„Nein.“
Ich fing an mich zu fragen, ob sie wirklich gesund war.
Ich könnte die beste Pflege für sie arrangieren… Carlisle hatte die nötigen
Verbindungen um ihr die besten Ärzte zu besorgen, die talentiertesten
Therapeuten. Vielleicht konnte man irgendetwas tun um was immer mit ihr nicht
stimmte zu heilen, was immer es war, dass es ihr ermöglichte neben einem
Vampir zu sitzen mit einem absolut ruhigen und gleichmäßigen Puls. Ich würde
ihre Behandlung selbstverständlich überwachen und sie so oft besuchen wie es
mir erlaubt war…
„Du bist sauer,“ seufzte sie. „Ich hätte besser nichts gesagt.“
Als ob es einem von uns geholfen hätte, wenn sie diese störende Tatsache
verschwiegen hätte.
„Nein. Ich möchte gerne wissen, was du denkst – auch wenn, was du
denkst vollkommen verrückt ist.“
„Also liege ich wieder falsch?“ fragte sie in einem etwas streitlustigen
Tonfall.
„Das habe ich damit nicht gemeint!“ Ich biss wieder die Zähne zusammen.
„`Es ist egal`!“ wiederholte ich bissig.
Sie japste. „Ich hab also recht?“
„Ist das wichtig?“ konterte ich.
Sie atmete tief durch. Ich wartete wütend auf ihre Antwort.
„Nicht wirklich,“ sagte sie mit kontrollierter Stimme. „Aber ich bin
neugierig.“
Nicht wirklich. Es war nicht wirklich wichtig. Es war ihr egal. Sie wusste
dass ich kein Mensch war, ein Monster, es war ihr nicht wirklich wichtig.
Abgesehen von meinen Zweifeln an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit,
fühlte ich einen leichten Anflug von Hoffnung. Ich versuchte sie zu unterdrücken.
„Was möchtest du wissen?“ fragte ich sie. Es gab keine Geheimnisse mehr
nur noch unwichtige Details.
„Wie alt bist du?“ fragte sie.
Meine Antwort kam automatisch und war tief verwurzelt. „Siebzehn.“
„Und wie lange bist du schon Siebzehn?“
Ich versuchte nicht zu lächeln bei ihrem herablassenden Tonfall. „Eine
Weile,“ gab ich zu.
„Okay,“ sagte sie plötzlich enthusiastisch. Sie lächelte mich an. Als ich
ihren Blick erwiderte, wieder an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifelnd,
lächelte sie noch breiter. Ich verzog das Gesicht.
„Lach jetzt nicht,“ warnte sie. „Aber wie kommt es, dass du bei Tageslicht
rausgehen kannst?“
Ich lachte trotz ihrer Bitte. Es sah so aus als hätten ihre Nachforschungen
nichts Unnormales ergeben. „Mythos,“ erklärte ich ihr.
„Ihr verbrennt nicht in der Sonne?“
„Mythos.“
„Ihr schlaft nicht in Särgen?“
„Mythos.“
Schlaf war schon so lange kein Teil meines Lebens mehr – zumindest nicht
bis zu den letzten paar Nächten in denen ich Bella beim Träumen beobachtet
hatte…
„Ich kann nicht schlafen,“ murmelte ich und beantwortete ihre Frage damit
ausführlicher.
Sie war für einen Moment still.
„Gar nicht?“ fragte sie.
„Nie,“ flüsterte ich.
Ich schaute in ihre Augen, geweitet unter den geschwungenen Wimpern
und sehnte mich danach schlafen zu können. Nicht um zu vergessen, nicht um
der Langeweile zu entfliehen, sondern weil ich träumen wollte. Wenn ich
bewusstlos wäre, wenn ich träumen könnte, dann könnte ich für ein paar Stunden
in einer Welt leben wo sie und ich zusammen sein konnten. Sie träumte von mir.
Ich wollte von ihr träumen.
Sie schaute mich mit verwundertem Gesichtsausdruck an. Ich musste
wegschauen.
Ich konnte nicht von ihr träumen. Sie sollte nicht von mir träumen.
„Du hast mir die wichtigste aller Fragen noch nicht gestellt,“ sagte ich,
meine stumme Brust war noch kälter und härter als zuvor. Sie musste endlich
verstehen. An irgendeinem Punkt musste sie merken, was sie hier gerade tat. Sie
musste verstehen, dass das alles wichtig war – wichtiger als alle anderen
Überlegungen. Überlegungen wie die Tatsache, dass ich sie liebte.
„Und welche ist das?“ fragte sie überrascht und ahnungslos.
Dadurch wurde meine Stimme nur noch härter. „Machst du dir keine
Sorgen um meine Ernährung?“
„Oh. Das.“ Sie sprach leise und ich wusste es nicht einzuschätzen.
„Ja, das. Willst du nicht wissen, ob ich Blut trinke?“
Sie zuckte zurück bei meiner Frage. Endlich. Sie verstand.
„Naja, Jacob hatte etwas darüber gesagt,“ sagte sie.
„Was hat Jacob gesagt?“
„Er sagte, dass ihr keine… Menschen jagt. Er sagte deine Familie galt nicht
als gefährlich weil ihr nur Tiere jagt.“
„Er sagte, wir wären nicht gefährlich?“ wiederholte ich zynisch.
„Nicht genau,“ korrigierte sie. „Er sagte, dass ihr nicht als gefährlich galtet.
Aber die Quileutes wollen euch trotzdem lieber nicht auf ihrem Land haben, zur
Sicherheit.“
Ich starrte auf die Straße, meine Gedanken waren hoffnungslos verknotet,
meine Kehle schmerzte vor bekanntem brennendem Durst.
„Also, hat er recht?“ fragte sie, so locker als würde sie nach dem
Wetterbericht fragen. „Dass ihr keine Menschen jagt?“
„Die Quileutes haben ein langes Gedächtnis.“
Sie nickte und dachte scharf nach.
„Aber gib dich damit nicht zufrieden,“ sagte ich schnell. „Sie haben recht,
wenn sie sich von uns fernhalten. Wir sind immer noch gefährlich.“
„Das verstehe ich nicht.“
Nein, natürlich nicht. Wie sollte ich es ihr erklären?
„Wir versuchen es,“ erklärte ich ihr. „Normalerweise sind wir sehr gut
darin. Manchmal machen wir Fehler. Ich zum Beispiel in dem ich mir erlaube mit
dir allein zu sein.“
Ihr Duft war immer noch präsent im Auto. Ich gewöhnte mich daran, ich
konnte ihn fast ignorieren, aber ich konnte nicht leugnen, dass mein Körper sich
immer noch aus den falschen Gründen nach ihr sehnte. Mein Mund war gefüllt
mit Gift.
„Das ist ein Fehler?“ fragte sie mit Schmerz und Trauer in der Stimme.
Dieser Klang entwaffnete mich. Sie wollte mit mir zusammen sein – trotz allem
wollte sie mit mir zusammen sein.
Hoffnung keimte erneut auf und ich erstickte sie.
„Ein sehr gefährlicher,“ sagte ich ihr ehrlich und wünschte mir, dass diese
Ehrlichkeit bewirkte, dass es ihr etwas ausmachte.
Sie antwortete zunächst nicht. Ich hörte wie sich ihre Atmung änderte – sie
beschleunigte sich auf seltsame Weise die sich nicht nach Angst anhörte.
„Erzähl mir mehr,“ sagte sie plötzlich mit vor Schmerz bebender Stimme.
Ich beobachtete sie aufmerksam.
Sie hatte Schmerzen. Wie hatte ich das zulassen können?
„Was möchtest du denn noch wissen?“ fragte ich sie und überlegte wie ich
es vermeiden konnte, sie noch mehr zu verletzen.
„Erzähl mir warum ihr Tiere statt Menschen jagt,“ sagte sie, immer noch
gequält.
War das nicht offensichtlich? Oder vielleicht war ihr das auch egal.
„Ich möchte kein Monster sein,“ murmelte ich.
„Aber Tiere reichen nicht?“
Ich dachte über einen weiteren Vergleich nach, einen den sie verstehen
würde. „Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich würde es mit
einer Ernährung auf Tofu und Soja-Basis vergleichen; wir nennen uns selbst
Vegetarier, ein kleiner Insider Witz. Es stillt den Hunger nicht vollkommen – oder
besser den Durst. Aber es macht uns stark genug um zu wiederstehen.
Meistens.“ Ich wurde leiser; ich schämte mich dafür sie in Gefahr gebracht zu
haben. Eine Gefahr die ich immer noch zuließ… „Zu manchen Zeiten ist es
schwerer als zu anderen.“
„Ist es jetzt sehr schwer für dich?“
Ich seufzte. Natürlich würde sie die Frage stellen, die ich nicht beantworten
wollte. „Ja,“ gab ich zu.
Diesmal lag ich richtig was meine Erwartungen an ihre Reaktion betraf: ihr
Atem blieb gleichmäßig, ihr Herz schlug normal weiter. Ich erwartete es, aber ich
verstand es nicht. Wieso hatte sie keine Angst?
„Aber jetzt bist du nicht hungrig,“ stellte sie fest und war sich ihrer
vollkommen sicher.
„Wieso glaubst du das?“
„Deine Augen,“ sagte sie ohne weiteres. „Ich hab dir gesagt, ich hätte eine
Theorie. Ich habe festgestellt, dass Menschen – Männer speziell – schlechter
gelaunt sind, wenn sie Hunger haben.“
Ich lachte innerlich über ihren Ausdruck: schlecht gelaunt. Das war weit
untertrieben. Aber sie lag vollkommen richtig, wie immer. „Du bist sehr
aufmerksam, nicht war?“ ich lachte wieder.
Sie lächelten ein bisschen und die Falte zwischen ihren Augen tauchte
wieder auf als ob sie sich konzentrierte.
„Warst du dieses Wochenende mit Emmett jagen?“ fragte sie nachdem ich
mich beruhigt hatte. Die lässige Art mit der sie darüber sprach war sowohl
faszinierend als auch frustrierend. Konnte es wirklich sein, dass sie so viel so
einfach verkraftete? Ich war näher an einem Schock als sie
„Ja,“ antwortete ich ihr, und dann, als ich es eigentlich schon dabei
belassen wollte, hatte ich wieder das gleiche Bedürfnis wie im Restaurant: Ich
wollte dass sie mich kannte. „Ich wollte nicht gehen,“ fuhr ich langsam fort, „aber
es war nötig. Es ist einfacher in deiner Nähe zu sein, wenn ich nicht durstig bin.“
„Warum wolltest du nicht gehen?“
Ich atmete tief ein und erwiderte dann ihren Blick. Diese Art der Ehrlichkeit
war auf eine andere Art und Weise schwierig.
„Ich fühle mich nicht wohl…“ ich denke, dieser Ausdruck trifft es am
besten, obwohl er nicht stark genug war, „wenn ich nicht in deiner Nähe bin. Es
war kein Scherz als ich letzten Donnerstag zu dir sagte, dass du nicht ins Meer
fallen oder dich von einem Truck überfahren lassen sollst. Ich war das ganze
Wochenende abgelenkt weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Und
nachdem was heute Abend passiert ist, bin ich überrascht, dass du das
Wochenende unbeschadet überstanden hast.“ Dann erinnerte ich mich an die
Kratzer auf ihren Handflächen. „Naja, nicht ganz unbeschadet,“ ermahnte ich.
„Was?“
„Deine Hände,“ erinnerte ich sie.
Sie seufzte und verzog das Gesicht. „Ich bin hingefallen.“
Ich hatte richtig geraten. „Das hab ich mir gedacht,“ sagte ich, nicht in der
Lage mein Lächeln zu verbergen. „So wie ich dich kenne, hätte es schlimmer
kommen können – und diese Möglichkeit hat mich das ganze Wochenende
gequält. Es waren sehr lange drei Tage. Ich bin Emmett ganz schön auf die
Nerven gegangen.“ Ehrlichgesagt, war das immer noch der Fall. Ich verwirrte
Emmett sicher immer noch und den Rest meiner Familie ebenso. Abgesehen von
Alice…
„Drei Tage?“ fragte sie mit plötzlich scharfer Stimme. „Seid ihr nicht erst
heute zurück gekommen?“
Ich verstand ihren Tonfall nicht. „Nein, wir sind am Sonntag
zurückgekommen.“
„Warum war dann keiner von euch in der Schule?“ verlangte sie zu wissen.
Ihre Aggression verwirrte mich. Sie schien nicht zu verstehen, dass diese Frage
wieder etwas mit Mythologie zu tun hatte.
„Naja, du hattest gefragt, ob die Sonne mich verletzt und das tut sie
nicht,“ sagte ich. „Aber ich kann trotzdem nicht raus gehen wenn die Sonne
scheint, zumindest nirgendwohin wo man mich sehen kann.“
Das lenkte sie von ihrer mysteriösen Verstimmung ab. „Warum?“ fragte sie
und lehnte ihren Kopf zur Seite.
Ich bezweifelte, dass ich einen ausreichenden Vergleich finden würde um
das zu erklären. Also sagte ich ihr nur, „Ich werd’s dir irgendwann zeigen.“ Und
dann fragte ich mich ob das ein Versprechen war, dass ich vielleicht würde
brechen müssen. Würde ich sie nach dieser Nacht wiedersehen? Liebte ich sie
schon genug um sie verlassen zu können?
„Du hättest anrufen können,” sagte sie.
Was für eine seltsame Aufforderung. „Aber ich wusste doch dass du sicher
bist.“
„Aber ich wusste nicht, wo du warst. Ich…“ sie brach ab und starrte auf
ihre Hände.
„Was?“
„Ich mochte es nicht,“ sagte sie schüchtern und die Haut über ihren
Wangenknochen wurde wieder warm. „dich nicht zu sehen. Es macht mir auch
angst.“
Bist du jetzt zufrieden? Wollte ich von mir selbst wissen. Naja, hier war die
Belohnung für all meine Hoffnungen.
Ich war verwirrt, begeistert, entsetzt – am meisten entsetzt – davon dass
alle meine wildesten Träume gar nicht so abwegig waren. Deshalb machte es ihr
nichts aus, dass ich ein Monster war. Es war der gleiche Grund weshalb mir die
Regeln egal waren. Warum richtig und falsch keinen Einfluss mehr auf mich
hatten. Warum all meine Prioritäten um eins nach unten gerutscht sind um an
oberster Stelle Platz für dieses Mädchen zu schaffen.
Bella mochte mich auch.
Ich wusste, dass es nichts im Vergleich zu meiner Liebe für sie war. Aber es
war genug für sie um ihr Leben zu riskieren um hier neben mir zu sitzen. Und es
gern zu tun.
Genug um ihr Schmerzen zu bereiten, wenn ich das richtige tat und sie
verließ.
Gab es irgendetwas das ich jetzt noch tun konnte, dass sie nicht verletzen
würde? Überhaupt irgendetwas?
Ich hätte weg bleiben sollen. Ich hätte nie wieder nach Forks
zurückkommen sollen. Ich würde ihr nur Schmerzen bereiten.
Würde mich das davon abhalten jetzt zu bleiben? Es noch schlimmer zu
machen?
So wie ich mich jetzt fühlte, ihre Wärme auf meiner Haut spürte…
Nein. Nichts würde mich davon abhalten.
„Ah,“ brummte ich zu mir selbst. „Das ist falsch.“
„Was hab ich gesagt?“ fragte sie schnell um die Schuld auf sich zu
nehmen.
„Siehst du es nicht, Bella? Es ist eine Sache, wenn ich mich unglücklich
mache, aber eine ganz andere, wenn du so tief drinsteckst. Ich möchte nicht
hören, dass du so fühlst.“ Es war die Wahrheit, es war eine Lüge. Der egoistische
Teil von mir machte Luftsprünge bei dem Wissen, dass sie mich genauso wollte
wie ich sie wollte. „Es ist falsch. Es ist nicht sicher. Ich bin gefährlich, Bella – bitte
versteh das.“
„Nein.“ Sie schob schmollend ihre Lippen vor.
„Ich meine es ernst.“ Ich kämpfte so stark mit mir – zum einen wollte ich
verzweifelt, dass sie es akzeptierte und zum anderen genauso verzweifelt dass
sie sich von meinen Warnungen nicht in die Flucht schlagen ließ – dass die Worte
wie ein Knurren zwischen meinen Zähnen hervorkamen.
„Ich mein es auch ernst,“ gab sie zurück. „Ich hab dir gesagt, es ist mir
egal was du bist. Es ist zu spät.“
Zu spät? Alices Vision schwirrte in meinem Kopf, Bellas blutrote Augen
starrten mich unverwandt an. Ausdruckslos – aber es war ausgeschlossen, dass
sie mich für diese Zukunft nicht hassen würde. Mich dafür hasste, dass ich ihr
alles genommen hatte. Ihr ihr Leben und ihre Seele gestohlen hatte.
Es konnte nicht zu spät sein.
„Sag das niemals,“ zischte ich.
Sie starrte aus ihrem Fenster und biss sich wieder auf die Lippe. Ihre
Hände waren in ihrem Schoss zu Fäusten geballt. Ihr Atem stockte und brach ab.
„Was denkst du?“ Ich musste es wissen.
Sie schüttelte den Kopf ohne mich anzusehen. Ich sah etwas Glitzerndes
auf ihrer Wange, wie ein Kristall.
Qual. „Weinst du?“ Ich hatte sie zum Weinen gebracht. So sehr hatte ich
sie verletzt.
Sie wischte die Träne mit ihrem Handrücken ab.
„Nein,“ log sie mit brüchiger Stimme.
Ein lange begrabener Instinkt bewirkte, dass ich meine Hand nach ihr
ausstreckte – in dieser einen Sekunde fühlte ich mich menschlicher als jemals
zuvor. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich es… nicht war. Und ich ließ
meine Hand sinken.
„Es tut mir leid,“ sagte ich und biss meine Zähne zusammen. Wie konnte
ich ihr jemals sagen wie leid es mir tat? All die dummen Fehler die ich begangen
hatte. Mein unendlicher Egoismus. Dass sie die unglückliche war, die meine erste
tragische Liebe entfachte. Auch die Dinge, die ich nicht kontrollieren konnte –
dass ich das Monster war, dass von Schicksal dazu auserkoren war, ihr Leben zu
beenden. Das alles tat mir so leid.
Ich atmete tief durch – ignorierte meine elende Reaktion auf den Duft im
Auto – und versuchte mich zusammen zu reißen.
Ich wollte das Thema wechseln, an etwas anderes denken.
Glücklicherweise war meine Neugierde bzgl. des Mädchens unerschöpflich. Ich
hatte immer eine Frage.
„Sag mir mal eins,“ sagte ich
„Ja?“ fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Was hast du gedacht, bevor ich um die Ecke kam? Ich hab deinen
Gesichtsausdruck nicht verstanden – du sahst nicht besonders ängstlich aus,
eher als würdest du dich stark konzentrieren.“ Ich erinnerte mich an ihr Gesicht –
zwang mich dazu nicht daran zu denken, durch wessen Augen ich es gesehen
hatte – den Ausdruck wilder Entschlossenheit darin.
„Ich habe versucht mich daran zu erinnern, wie man einen Angreifer
unschädlich macht,“ sagte sie mit gefassterer Stimme. „du weißt schon,
Selbstverteidigung. Ich wollte ihm seine Nase in sein Gehirn rammen.“ Ihre
Fassung hielt nicht an bis zum Ende ihrer Erklärung. Ihr Tonfall änderte sich bis er
hasserfüllt war. Es war keine Übertreibung und ihre Kätzchenhafte Wut hatte
dieses Mal nichts Amüsantes. Ich konnte ihre zerbrechliche Figur sehen – Seide
über Glas – überschattet von den großen kräftigen menschlichen Monstern die sie
verletzt hätten. Die Wut kochte in meinem Hinterkopf auf.
„Du wolltest mit ihnen kämpfen?“ ich wollte stöhnen. Ihre Instinkte waren
lebensgefährlich – für sie selbst. „Hast du nicht daran gedacht wegzurennen?“
„Ich falle oft hin, wenn ich renne,“ sagte sie kleinlaut.
„Was ist mit schreien?“
„Dazu wollte ich gerade kommen.“
Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf. Wie hatte sie es geschafft am Leben
zu bleiben bevor sie nach Forks kam?
„Du hattest recht,“ sagte ich zu ihr mit einem bitteren Unterton. „Ich
fordere wirklich das Schicksal heraus wenn ich versuche dich zu beschützen.“
Sie seufzte und warf einen Blick aus dem Fenster. Dann sah sie mich
wieder an.
„Sehe ich dich morgen?“ fragte sie plötzlich.
So lange ich auf dem Weg in die Hölle war – ich würde die Reise genießen.
„Ja – ich muss auch noch einen Aufsatz abgeben.“ Ich lächelte sie an und
es fühlte sich gut an das zu tun. „Ich halte dir in der Pause einen Platz frei.“
Ihr Herz flatterte; mein totes Herz fühlte sich plötzlich wärmer an.
Ich hielt vor dem Haus ihres Vaters an. Sie machte keine Anstalten mich zu
verlassen.
„Versprichst du mir, dass du morgen da sein wirst?“ beharrte sie.
„Ich verspreche es.“
Wieso machte es mich so glücklich das falsche zu tun? Es musste etwas
Falsches daran sein.
Sie nickte zufrieden und fing an meine Jacke auszuziehen.
„Du kannst sie behalten,“ bot ich ihr schnell an. Ich wollte ihr gerne etwas
von mir dalassen. Ein Andenken, so wie der Flaschendeckel, der jetzt in meiner
Tasche steckte… „Du hast keine Jacke für morgen.“
Sie gab mir die Jacke zurück und lächelte mich reumütig an. „Ich möchte
es Charlie nicht erklären müssen,“ erklärte sie mir.
Das konnte ich mir vorstellen. Ich lächelte sie an. „Oh, stimmt.“
Sie legte ihre Hand an den Türgriff und hielt inne. Sie wollte genauso wenig
gehen, wie ich sie gehen lassen wollte.
Sie ungeschützt zu lassen, auch nur für wenige Augenblicke…
Peter und Charlotte waren schon lange auf dem Weg, weit hinter Seattle,
kein Zweifel. Aber es gab immer noch andere. Diese Welt war kein sicherer Ort
für einen Menschen und für sie wirkte sie noch gefährlicher als für
irgendjemanden sonst.
„Bella?“ fragte ich, überrascht von dem befriedigenden Gefühl dass ich
verspürte wenn ich nur ihren Namen aussprach.
„Ja?“
„Versprichst du mir etwas?“
„Ja,“ stimmte sie bereitwillig zu und dann verengte sie ihre Augen als ob
sie über einen Grund nachdachte meine Bitte abzuschlagen.
„Geh nicht alleine in den Wald.“ Warnte ich sie und fragte mich, ob diese
Bitte etwas wäre, das sie lieber abschlagen würde.
Sie blinzelte verwirrt. „Warum?“
Ich warf einen Blick auf die nicht gerade vertrauenswürdige Dunkelheit.
Die Schwärze der Nacht war kein Problem für meine Augen, aber genauso wenig
war sie ein Problem für jeden anderen Jäger. Nur Menschen machte sie blind.
„Ich bin nicht immer die größte Gefahr da draußen,“ erklärte ich ihr.
„Belassen wir es einfach dabei.“
Sie schüttelte sich, fing sich aber schnell wieder und lächelte sogar als sie
sagte, „Was immer du sagst.“
Ihr Atem berührte mein Gesicht, so süß und wohlriechend.
Ich könnte die ganze Nacht so sitzen bleiben, aber sie brauchte ihren
Schlaf. Das Verlangen sie zu warnen und das sie zu schützen waren absolut
gleichwertig als sie ihren Kampf in mir führten.
Ich seufzte über das Unmögliche. „Wir sehen uns dann morgen,“ sagte ich
in dem Bewusstsein, dass ich sie viel früher wiedersehen würde. Aber sie würde
mich nicht vor morgen sehen.
„Morgen also,“ stimmte sie zu als sie die Tür öffnete.
Wieder eine Qual sie gehen zu sehen.
Ich lehnte mich zu ihr und wollte sie aufhalten. „Bella?“
Sie drehte sich um und erstarrte vor Überraschung als sie sah wie nahe
unsere Gesichter sich waren.
Auch ich war überwältigt von dieser Nähe. Die Hitze strömte in Wellen aus
ihrem Körper und streichelte mein Gesicht. Ich konnte fast ihre seidige Haut
spüren…
Ihr Herzschlag stotterte und ihr Mund klappte auf.
„Schlaf gut,“ flüsterte ich und lehnte mich zurück bevor das Verlangen
meines Körpers – weder der bekannte Durst noch der neue und seltsame Hunger
den ich plötzlich fühlte – mich dazu verleitete irgendetwas zu tun, dass sie
verletzen könnte.
Sie saß noch einen Moment lang da, bewegungslos und mit geweiteten
Augen. Geblendet vermutete ich.
Genau wie ich.
Sie fasste sich wieder – obwohl ihr Gesicht immer noch etwas verwirrt
aussah – und fiel fast aus dem Auto während sie über ihre Füße stolperte und
musste sich am Auto festhalten.
Ich kicherte – hoffentlich zu leise für sie um es zu hören.
Ich beobachtete wie sie den Weg entlang stolperte bis sie den Lichtkegel
erreichte der die Eingangstür umgab. Sicher für diesen Moment. Und ich würde
bald zurück sein um mich davon zu überzeugen.
Ich konnte spüren wie ihre Augen mir folgten, als ich die dunkle Straße
hinunterfuhr. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Normalerweise konnte
ich mich selbst durch die folgenden Augen beobachten. Aber das hier war
seltsam aufregend – dieses unfassbare Gefühle von Augen in meinem Rücken.
Ich wusste dass es nur daran lag, dass es ihre Augen waren.
Eine Millionen Gedanken rasten durch meinen Kopf während ich ziellos
durch die Nacht fuhr.
Ich kurvte lange durch die Straßen und dachte an Bella und die
unglaubliche Erleichterung die ich verspürte, jetzt da die Wahrheit heraus war.
Ich musste mir nicht länger Sorgen machen, dass sie herausfinden könnte, was
ich war. Sie wusste es. Es war ihr egal. Obwohl es für sie offensichtlich etwas
Schlechtes war, war es für mich unglaublich befreiend.
Aber noch viel mehr dachte ich über Bellas erwiderte Liebe nach. Sie
konnte mich nicht genauso lieben, wie ich sie liebte – eine solche übermächtige,
alles verzehrende, erdrückende Liebe würde vermutlich ihren zerbrechlichen
Körper zerstören. Aber ihre Gefühle waren stark genug. Genug um die instinktive
Angst zu besiegen. Genug um mit mir zusammen sein zu wollen. Und mit ihr
zusammen zu sein, war die größte Freude, die ich je verspürt hatte.
Für eine Weile – während ich allein war und ausnahmsweise niemand
anderen verletzte – erlaubte ich mir diese Freude zu empfinden ohne an die
damit verbundene Tragödie zu denken. Ich war einfach nur glücklich, dass sie
mich mochte. Ich jubelte über den Triumph, ihre Liebe gewonnen zu haben. Ich
stellte mir vor wie wir Tag für Tag nebeneinander sitzen würden, wie ich ihre
Stimme hören und sie zum lächeln bringen würde.
Ich wiederholte das Lächeln in meinen Gedanken, sah wie sich ihre vollen
Lippen an den Mundwinkeln nach oben bogen, das angedeutete Grübchen, auf
ihrem spitzen Kinn, wie ihre Augen warm wurden und schmolzen… Ihre Finger
hatten sich heute so warm und sanft auf meiner Haut angefühlt. Ich stellte mir
vor, wie sich die zarte Haut über ihren Wangenknochen anfühlen musste – seidig,
warm… so zerbrechlich. Seid über Glas… beängstigend zerbrechlich.
Ich sah nicht wo meine Gedanken hinführten bis es zu spät war. Während
ich auf dieser verheerenden Verwundbarkeit verweilte, störten andere Bilder
ihres Gesichtes meine Fantasien.
Verloren in den Schatten, bleich vor Angst – und dennoch waren ihre
Lippen zusammengepresst, ihre Augen fest entschlossen, voller Konzentration,
ihr schmaler Körper gestrafft um die massigen Figuren zurückzuschlagen die um
sie herum standen, Albträume in der Dunkelheit…
„Ah,“ stöhnte ich als der siedende Hass den ich vor lauter Freude über ihre
Liebe vollkommen vergessen hatte, erneut in einem Inferno aus Wut über mich
einstürzte.
Ich war allein. Bella war sicher zu Hause; für einen Moment war ich
wahnsinnig erleichtert darüber dass Charlie Swan – der Kopf der örtlichen
Gesetzeshüter, ausgebildet und bewaffnet – ihr Vater war. Das hatte etwas zu
bedeuten, verschaffte ihr einen Unterschlupf.
Sie war in Sicherheit. Es würde nicht lange dauern, diese Beleidung zu
rächen…
Nein. Sie verdiente etwas Besseres. Ich konnte es nicht zulassen, dass sie
etwas für einen Mörder empfand.
Aber… was war mit den anderen?
Bella war in Sicherheit, ja. Angela und Jessica waren bestimmt auch sicher
in ihren Betten.
Dennoch lief ein Monster frei herum in den Straßen von Port Angeles. Ein
menschliches Monster – machte ihn das zu einem menschlichen Problem? Den
Mord zu begehen nachdem es mich verlangte war falsch. Das wusste ich. Aber
ihm die Möglichkeit zu lassen, wieder jemanden anzugreifen war auch nicht
richtig.
Die blonde Hostess vom Restaurant. Die Kellnerin die ich nie wirklich
angesehen hatte. Beide hatten mich auf lächerliche Weise genervt, aber deshalb
verdienten sie noch lange keine Gefahr.
Jede von ihnen war vielleicht für irgendjemanden seine Bella.
Diese Erkenntnis ließ mich eine Entscheidung treffen.
Ich wendete den Wagen Richtung Norden und beschleunigte, nun da ich
ein Ziel hatte. Wann immer ich ein Problem hatte, dass zu groß für mich war –
etwas handfestes wie dieses hier – wusste ich wo ich Hilfe finden konnte.
Alice saß auf der Veranda und wartete auf mich. Ich hielt direkt vor dem
Haus, statt zur Garage durch zu fahren.
„Carlisle ist in seinem Arbeitszimmer,“ sagte Alice bevor ich fragen konnte.
„Danke,“ sagte ich und wuschelte durch ihr Haar, als ich an ihr vorbeiging.
Danke dass du mich zurückgerufen hast, dachte sie sarkastisch.
„Oh,“ ich hielt vor der Tür inne und holte mein Handy aus der Tasche. „Tut
mir leid. Ich hab nicht mal nachgesehen, wer es war. Ich war… beschäftigt.“
„Ja, ich weiß. Es tut mir auch leid. Als ich sah was passieren würde, warst
du schon unterwegs.“
„Es war knapp,“ murmelte ich.
Tut mir leid, wiederholte sie beschämt.
Es war leicht gnädig zu sein, in dem Wissen, das es Bella gut ging. „Mach
dir keine Sorgen. Ich weiß, dass du nicht auf alles achten kannst. Niemand
erwartet von dir, dass du allwissend bist, Alice.“
„Danke.“
„Ich hätte dich heute Abend fast zum Essen eingeladen – hast du das
gesehen bevor ich meine Meinung geändert habe?“
Sie grinste. „Nein, das habe ich auch verpasst. Ich wünschte ich hätte es
gewusst. Ich wäre gekommen.“
„Worauf hast du dich denn konzentriert, dass du so viel verpasst hast?“
Jasper denkt über unseren Jahrestag nach. Sie lachte. Er versucht sich
nicht für ein Geschenk zu entscheiden, aber ich glaube ich kann es mir ungefähr
vorstellen…
„Du bist echt skrupellos.“
„Jap.“
Sie schürzte ihre Lippen und schaute zu mir auf mit einem leicht
vorwurfsvollen Ausdruck. Später habe ich besser aufgepasst. Wirst du ihnen
sagen, dass sie es weiß?
Ich seufzte. „Ja. Später.“
Ich werde nichts sagen. Tu mir einen Gefallen, und sag es Rosalie wenn ich
nicht in der Nähe bin, okay?
Ich zuckte mit den Schultern. „Klar.“
Bella hat es ziemlich gut aufgenommen.
„Zu gut.“
Alice grinste mich an. Unterschätz Bella nicht.
Ich versuchte das Bild auszublenden, dass ich nicht sehen wollte – Bella
und Alice, beste Freunde.
Ich seufzte schwer vor Ungeduld. Ich wollte den nächsten Teil des Abends
schnell hinter mich bringen; Ich wollte, dass es vorbei war. Aber ich machte mir
ein wenig Sorgen Forks zu verlassen…
„Alice…“ fing ich an. Sie sah was ich vor hatte zu fragen.
Heute Nacht wird ihr nichts passieren. Ich werde jetzt besser aufpassen.
Sie braucht eine vierundzwanzig stündige Überwachung, nicht war?
„Mindestens.“
„Aber abgesehen davon wirst du bald wieder bei ihr sein.“
Ich atmete tief durch. Ihre Worte taten gut.
„Na los – bring es hinter dich, damit du da sein kannst wo du sein willst,“
sagte sie.
Ich nickte und eilte hinauf zu Carlisles Zimmer.
Er wartete bereits auf mich mit dem Blick auf die Tür geheftet, statt auf
das dicke Buch das vor ihm lag.
„Ich hab gehört, dass Alice dir gesagt hat, wo du mich finden kannst,“
sagte er und lächelte.
Es war eine Erleichterung bei ihm zu sein, sein Einfühlungsvermögen und
seine Intelligenz in seinen Augen zu sehen. Carlisle würde wissen, was zu tun ist.
„Ich brauche Hilfe.“
„Was immer du willst, Edward,“ versprach er.
„Hat Alice dir erzählt, was Bella heute Abend passiert ist?“
Was fast passiert ist, korrigierte er mich.
„Ja, fast. Ich hab ein Problem Carlisle. Weißt du, ich möchte ihn… wirklich
sehr gern… töten.“ Die Worte kamen schnell und leidenschaftlich aus mir heraus.
„So sehr. Aber ich weiß, das wäre falsch, denn es wäre Rache und keine
Gerechtigkeit. Es wäre nur aus Zorn und nicht objektiv. Aber dennoch kann es
nicht richtig sein, einen Triebtäter und Serienmörder frei in Port Angeles
herumlaufen zu lassen! Ich kenne die Menschen dort nicht, aber ich kann auch
nicht zulassen, dass jemand anderes Bellas Platz einnimmt. Diese andere Frau –
jemand empfindet vielleicht genauso für sie, wie ich für Bella. Er würde genauso
leiden wie ich gelitten hätte, wenn Bella verletzt worden wäre. Es ist nicht
richtig…“
Sein breites unerwartetes Lächeln unterbrach den Fluss meiner Worte.
Sie tut dir sehr gut, nicht war? So viel Mitgefühl, so viel Selbstkontrolle. Ich
bin beeindruckt.
„Ich bin nicht wegen Komplimenten hier, Carlisle.“
„Natürlich nicht. Aber ich kann nichts für meine Gedanken, nicht war?“ Er
lächelte wieder. „Ich kümmere mich darum. Du kannst beruhigt sein. Niemand
wird an Bellas Stelle verletzt werden.“
Ich sah den Plan in seinem Kopf. Es war nicht wirklich das was ich wollte,
es stellte mein Verlangen nach Brutalität nicht zufrieden, aber ich wusste, dass
es das Richtige war.
„Ich zeige dir wo du sie finden kannst,“ sagte ich.
„Dann lass uns gehen.“
Er hob seine schwarze Tasche im Vorbeigehen auf. Ich hätte einen
Aggressiveren Weg bevorzugt – wie einen gespaltenen Schädel – aber ich würde
es Carlisle auf seine Weise regeln lassen.
Wir nahmen meinen Wagen. Alice stand immer noch auf den
Treppenstufen an der Veranda. Sie grinste und winkte als wir davonfuhren. Ich
sah, was sie für uns vorhergesehen hatte, wir würden keine Schwierigkeiten
haben.
Die Fahrt auf der dunklen leeren Straße war sehr kurz. Ich schaltete die
Scheinwerfer nicht an um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich musste lächeln
bei dem Gedanken wie Bella auf diese Handlung reagiert hätte. Ich war bereits
langsamer gefahren als sonst – um meine Zeit mit ihr zu verlängern – als sie sich
beschwert hatte.
Carlisle dachte auch an Bella.
Ich hätte nicht gedacht, dass sie gut für ihn ist. So unerwartet. Vielleicht
war es irgendwie Vorherbestimmt. Vielleicht dient es einem höheren Zweck.
Außer…
Er stellte sich Bella mit schneeweißer Haut und blutroten Augen vor und
verwarf die Vorstellung dann wieder.
Ja. Außer. Genau. Denn wie konnte irgendetwas gut daran sein etwas so
Reines und Schönes zu zerstören?
Ich starrte finster in die Nacht, all die Freude der vergangen Stunde
zerstört von seinen Gedanken.
Edward verdient es glücklich zu sein. Das Schicksal schuldet es ihm. Die
Schärfe in Carlisles Gedanken überraschte mich. Es muss einen Weg geben.
Ich wünschte ich könnte es glauben – beides. Aber da war kein höherer
Zweck in dem was Bella passierte. Nur eine bösartige Harpyie, ein hässliches,
bitteres Verhängnis das es nicht ertragen konnte, Bella das Leben zu lassen, das
sie verdiente.
Ich blieb nicht in Port Angeles. Ich brachte Carlisle zu der Spelunke wo die
Kreatur namens Lonnie sein Enttäuschung mit seinen Kumpels mit Alkohol
hinunterspülte – zwei von ihnen waren bereits gegangen. Carlisle konnte sehen
wie schwer es für mich war, ihnen so nah zu sein – seine Gedanken zu sehen,
seine Erinnerungen an Bella die vermischt waren mit anderen Mädchen die
weniger Glück gehabt hatten und denen niemand mehr helfen konnte.
Mein Atem beschleunigte. Ich umklammerte das Lenkrad.
Geh, Edward, sagte er sanft. Ich sorge dafür dass keine von ihnen mehr in
Gefahr sein wird. Geh zurück zu Bella.
Das war genau das richtige was er sagen konnte. Ihr Name war die einzige
Ablenkung die etwas bei mir bewirkte.
Ich ließ ihn allein im Wagen und rannte geradewegs durch den schlafenden
Wald zurück nach Forks. Es ging schneller als der Hinweg in dem rasenden Auto.
Nur wenige Minuten später kletterte ich die Hauswand hinauf und schob ihr
Fenster beiseite.
Ich seufzte leise vor Erleichterung. Alles war so wie es sein sollte. Bella lag
sicher in ihrem Bett und träumte, ihre nassen Haare wie Seegras auf ihrem
Kissen ausgebreitet.
Aber anders als in den anderen Nächten, lag sie zusammengerollt wie ein
Ball da und hatte die Decke eng um ihre Schultern geschlungen. Vor Kälte,
vermutete ich. Bevor ich mich auf meinen üblichen Platz setzen konnte,
schüttelte sie sich im Schlaf und ihre Lippen bebten.
Ich dachte kurz nach und schlüpfte dann durch die Tür in den Flur hinaus
um einen anderen Teil ihres Hauses zum ersten Mal zu erkunden.
Charlies Schnarchen war laut und gleichmäßig. Ich schnappte einen
Bruchteil seines Traumes auf. Irgendetwas mit strömendem Wasser und
geduldiger Erwartung… vielleicht angeln?
Da, am oberen Ende der Treppe war ein viel versprechend aussehender
Schrank. Ich öffnete ihn hoffnungsvoll und fand wonach ich gesucht hatte. Ich
nahm die am dicksten aussehende Decke von dem Stoffberg und brachte sie in
ihr Zimmer. Ich würde sie zurückbringen bevor Bella aufwachte und niemand
würde etwas merken.
Während ich meinen Atem anhielt breitete ich die Decke vorsichtig über ihr
aus; sie reagierte nicht auf das zusätzliche Gewicht. Ich setzte mich wieder in
den Schaukelstuhl.
Während ich gebannt darauf wartete, dass es ihr wärmer wurde, dachte ich
an Carlisle und fragte mich, wo er wohl gerade war. Ich wusste, dass sein Plan
aufgehen würde – Alice hatte es gesehen.
An meinen Vater zu denken brachte mich zum seufzen – Carlisle hatte zu
viel Vertrauen in mich. Ich wünschte ich wäre die Person die er in mir sah. Die
Person die Glück verdiente, die hoffen konnte, dieses schlafenden Mädchen wert
zu sein. Wie viel anders die Dinge wären, wenn ich dieser Edward sein könnte.
Als ich darüber nachdachte, erfüllte ein seltsames Bild meine Gedanken.
Für einen Augenblick verwandelte sich das hexenhafte, verhängnisvolle
Gesicht, dass sich nach Bellas Zerstörung sehnte, in das eines törichten und
sorglosen Engels. Ein Schutzengel – irgendetwas das Carlisles Version von mir
teilte. Mit einem achtlosen Lächeln auf den Lippen, seine himmelblauen Augen
voller Übermut, gestaltete der Engel Bella auf eine Art und Weise in der ich sie
nicht übersehen konnte. Ein lächerlich starker Duft, der meine Aufmerksamkeit
forderte, ein stummer Geist der meine Neugierde entfachte, ein stille Schönheit
die meine Augen auf sich zog, eine selbstlose Seele die meine Ehrfurcht
verdiente. Ohne den natürlichen Selbsterhaltungstrieb – damit Bella es aushielt in
meiner Nähe zu sein – und, letztlich, noch eine Priese erschreckend großes Pech.
Mit einem unerschrockenen Lachen, trieb der verantwortungslose Engel
Bella in meine Arme und vertraute munter darauf, dass ich Bella trotz meiner
fehlerhaften Moral am Leben ließ.
In dieser Vision war ich nicht Bellas Richterspruch; sie war meine
Belohnung.
Ich schüttelte meinen Kopf über diesen verantwortungslosen Engel. Er war
nicht besser als die Harpyie. Ich konnte eine höhere Macht die so gefährlich und
dumm handelte nicht gut heißen. Dann lieber das hässliche Schicksal das ich
bekämpfen konnte.
Und ich hatte keinen Engel. Sie waren für die Guten reserviert – für
Menschen wie Bella. Also wo war ihr Engel die ganze Zeit? Wer wachte über sie?
Ich lachte leise, aufgeschreckt von der Erkenntnis, dass in diesem Moment
ich diese Rolle einnahm.
Ein Vampir-Engel.
Nach ungefähr einer halben Stunde rollte Bella sich entspannt
auseinander. Sie atmete tiefer und begann zu murmeln. Ich lächelte zufrieden. Es
war nur eine kleine Sache, aber immerhin schlief sie in dieser Nacht besser, weil
ich hier war.
„Edward,“ seufzte sie und lächelte auch.
Für diesen Moment schob ich alles Unheil beiseite und war einfach nur
glücklich.
11.Befragungen

CNN brachte die Story direkt als aller erstes.


Ich war froh, dass es in den Nachrichten kam bevor ich zur Schule
aufbrechen musste, ich konnte es nicht abwarten zu hören, wie die Menschen
den Bericht formulieren würden, wie viel Aufmerksamkeit sie ihm schenkten.
Glücklicherweise war der Tag voller Neuigkeiten. Es gab ein Erdbeben in
Südamerika und eine politische Entführung im mittleren Osten. Die Nachricht
bestand nur aus wenige Sekunden, ein paar Sätzen und einem körnigen Bild.
„Alonzo Calderas Wallace, wurde wegen mehrfacher Vergewaltigung und
Mord in Texas und Oklahoma gesucht. Er wurde in den frühen Morgenstunden
bewusstlos in der Nähe eines Polizeireviers gefunden. Im Moment ist noch nicht
klar, ob man ihn nach Houston oder Oklahoma City überführen wird, damit er
dort vor Gericht gestellt wird.“
Das Bild war unscharf, ein Fahndungsfoto, und zu der Zeit als das Foto
aufgenommen wurde hatte er einen dichten Vollbart. Selbst wenn Bella den
Bericht sah, würde sie ihn vermutlich nicht erkennen. Das hoffte ich jedenfalls; es
würde sie nur unnötig aufregen.
„Die Untersuchungen hier in der Stadt werden nur sehr knapp ausfallen. Es
ist zu weit entfernt um von lokalem Interesse zu sein,“ erkläre mir Alice. „Es war
gut, dass Carlisle ihn aus dem Staat geschafft hat.“
Ich nickte. Bella schaute nicht viel Fern und ich hatte ihren Vater noch nie
etwas anderes als Sportsendungen anschauen sehen.
Ich hatte getan, was ich konnte. Dieses Monster jagte nicht länger und ich
war kein Mörder. Jedenfalls nicht kürzlich. Es war richtig gewesen Carlisle zu
vertrauen, dennoch wünschte ich mir, das Monster wäre nicht so einfach davon
gekommen. Ich erwischte mich bei der Hoffnung, dass er nach Texas ausgeliefert
werden würde, wo die Todesstrafe immer noch in Kraft war…
Nein. Das war egal. Ich würde damit abschließen und mich auf wichtigere
Dinge konzentrieren.
Ich hatte Bellas Zimmer vor nicht ganz einer Stunde verlassen und ich
konnte es schon wieder kaum erwarten sie endlich wieder zu sehen.
„Alice, würde es dir etwas ausmachen...“
Sie unterbrach mich. „Rosalie wird uns fahren. Sie wird verärgert sein, aber
du kannst dir sicher vorstellen, dass sie die Ausrede gern nutzen wird um ihren
Wagen vorzuführen.“ Alice lachte glockenhell.
Ich grinste sie an. „Wir sehen uns dann in der Schule.“
Alice seufzte und mein Grinsen wurde zu einer Grimasse.
Ich weiß, ich weiß, dachte sie. Noch nicht. Ich warte bis du bereit dafür
bist, dass Bella mich kennenlernt. Aber du solltest wissen, dass das nicht nur
egoistisch von mir ist. Bella wird mich auch mögen.
Ich antwortete ihr nicht und eilte zur Tür hinaus. Das war ein ganz anderer
Blickwinkel. Würde Bella Alice kennenlernen wollen? Einen Vampir zur Freundin
haben wollen?
So wie ich Bella kannte… würde ihr diese Vorstellung vermutlich gar nichts
ausmachen.
Ich runzelte die Stirn. Was Bella wollte und was das Beste für sie war,
waren zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Als ich meinen Wagen in Bellas Einfahrt parkte, begann ich mich unwohl zu
fühlen. Ein menschliches Sprichwort besagt, dass die Dinge am nächsten Morgen
ganz anders aussehen – dass die Dinge sich ändern, wenn man eine Nacht
darüber geschlafen hat. Würde ich für Bella anders aussehen in dem blassen
Licht eines nebeligen Morgens? Unheimlicher oder weniger unheimlich als in der
Schwärze der Nacht? War die Wahrheit zu ihr durchgedrungen während sie
geschlafen hatte? Würde sie letztlich doch Angst haben?
Ihre Träume waren friedlich gewesen letzte Nacht. Als sie immer und
immer wieder meinen Namen genannt hatte, hatte sie gelächelt. Mehr als einmal
hatte sie mich im Schlaf gebeten zu bleiben. Würde das heute nichts mehr
bedeuten?
Ich wartete nervös und lauschte auf die Geräusche, die sie im Haus
verursachte – die schnellen Schritte auf der Treppe, das Reißen einer Schutzfolie,
die Inhalte des Kühlschranks die aneinander schlugen beim Schließen der Tür. Es
hörte sich an, als hätte sie es eilig. Konnte sie es nicht erwarten zur Schule zu
kommen? Der Gedanke brachte mich wieder hoffnungsvoll zum lächeln.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es hatte den Anschein – wenn man
bedachte dass ihr altersschwacher Truck in seiner Geschwindigkeit stark
beeinträchtigt war – dass sie wirklich spät dran war.
Bella stürmte aus dem Haus und ihre Schultasche rutschte ihr von der
Schulter, ihr Haar war nur lose zusammengebunden und der Zopf rutschte in
ihrem Nacken bereits wieder heraus. Der dicke grüne Pullover verhinderte nicht,
dass sie ihre schmalen Schultern in der Kälte des Nebels anzog.
Der lange Pulli war zu groß für sie, unförmig. Er verbarg ihre schlanke Figur
und verwandelte all ihre zarten Kurven in eine unförmige Masse. Ich begrüßte
diese Tatsache genauso wie ich mir gewünscht hätte, sie hätte etwas in der Art
an, wie die blaue Bluse, die sie letzte Nacht getragen hatte… der Stoff hatte sich
so sanft an ihre Haut angeschmiegt und war tief genug ausgeschnitten gewesen
um ihre Schlüsselbeine, die sich von der kleinen Mulde unter ihrer Kehle
abhoben, auf hypnotisierende Weise zu entblößen. Das Blau war wie Wasser um
ihre zarte Figur geflossen…
Es war besser – unverzichtbar – dass sich meine Gedanken sehr weit von
diesem Anblick entfernten, daher war ich dankbar dafür, dass sie diesen
unförmigen Pullover trug. Ich konnte es mir nicht leisten Fehler zu machen und
es wäre ein fataler Fehler diesem seltsamen Verlangen nachzugeben, das ihre
Lippen… ihre Haut… ihr Körper… in mir entfachte. Ein Verlangen, dass seit Jahren
aus mir gewichen war. Aber ich konnte mir nicht erlauben daran zu denken, sie
zu berühren, das war unmöglich.
Ich würde sie zerbrechen.
Bella drehte der Haustür in einer solchen Eile den Rücken zu, dass sie
beinahe an meinem Wagen vorbeigestürmt wäre ohne ihn überhaupt
wahrzunehmen.
Ich stieg aus und gab mir keine Mühe darauf zu achten mich mit
menschlicher Geschwindigkeit zu bewegen, als ich den Wagen umrundete und
die Beifahrertür für sie öffnete. Ich würde nicht mehr versuchen sie zu täuschen –
zumindest wenn wir allein waren würde ich Ichselbst sein.
Sie sah verwirrt zu mir auf, als ich aus dem Nichts aufzutauchen schien.
Und dann verwandelte sich die Überraschung in ihrem Blick in etwas anderes und
ich hatte keine Angst mehr – oder Hoffnung – dass ihre Gefühle für mich sich über
Nacht geändert haben könnten. Wärme, Verwunderung, Faszination, all das
schwamm in der geschmolzenen Schokolade ihrer Augen.
„Möchtest du heute mit mir fahren?“ fragte ich. Anders als bei dem Essen
gestern Abend würde ich ihr die Wahl lassen. Von jetzt an würde sie immer eine
Wahl haben.
„Ja, danke,“ murmelte sie und stieg ohne zu zögern ein.
Würde der Nervenkitzel jemals aufhören den ich empfand weil ich
derjenige war, zu dem sie Ja sagte? Ich bezweifelte es.
Ich konnte es kaum erwarten wieder neben ihr zu sitzen, also raste ich um
das Auto herum. Sie wirkte kein bisschen überrascht von meinem plötzlichen
Auftauchen auf dem Fahrersitz neben ihr.
Das Glück dass ich empfand, jetzt da sie so neben mir saß, war
vollkommen. So sehr ich die Liebe und Kameradschaft meiner Familie genoss,
trotz der vielfältigen Unterhaltung und Ablenkung die die Welt zu bieten hatte,
war ich noch nie so glücklich gewesen. Auch wenn ich wusste, dass es falsch war,
dass es sehr wahrscheinlich kein gutes Ende nehmen würde, konnte ich das
Lächeln nicht lange zurückhalten.
Meine Jacke hing über der Kopfstütze ihres Sitzes. Ich sah wie sie sie
beäugte.
„Ich hab dir die Jacke mitgebracht,“ erklärte ich ihr. Das war meine
Entschuldigung gewesen, für den Fall dass ich eine gebraucht hätte, um heute
Morgen vor ihrer Tür zu stehen. Es war kalt. Sie hatte keine Jacke. Das war sicher
eine akzeptable Kavaliersgeste. „ich wollte nicht, dass du dich erkältest oder so
etwas.“
„So empfindlich bin ich nicht,“ sagte sie und starrte mehr auf meine Brust
als auf mein Gesicht, als ob sie zögerte mir in die Augen zu sehen. Aber sie zog
die Jacke an, bevor ich es ihr befehlen oder aufschwatzen musste.
„Bist du nicht?“ murmelte ich zu mir selbst.
Sie starrte auf die Straße während ich beschleunigte und Richtung Schule
fuhr. Ich hielt die Stille nur wenige Sekunden aus. Ich musste wissen, was sie
heute Morgen dachte. Es hatte sich so viel zwischen uns geändert seit die Sonne
das letzte Mal aufgegangen war.
„Was denn, keine zwanzig Fragen heute?“ fragte ich und versuchte es
wieder langsam anzugehen.
Sie lächelte und wirkte erleichtert darüber, dass ich das Thema
angesprochen hatte. „Stören dich meine Fragen?“
„Nicht so sehr wie deine Reaktionen,“ gab ich ehrlich zu und erwiderte ihr
Lächeln.
Sie verzog ihren Mund. „Sind meine Reaktionen schlecht?“
„Nein, das ist ja das Problem. Du nimmst alles so locker auf – es ist
unnatürlich.“ Nicht ein Schrei bis jetzt. Wie konnte das sein? „Ich frag mich was
du wirklich denkst.“ Diese Frage stellte ich mir natürlich bei allem was sie tat
oder nicht tat.
„Ich sage dir immer, was ich wirklich denke.“
„Du behältst Dinge für dich.“
Sie biss sich wieder auf die Lippe. Sie schien es nicht zu bemerken, wenn
sie das tat – es war wohl eine unbewusste Reaktion auf Anspannung. „Nicht
viele.“
Diese wenigen Worte reichten aus um meine Neugierde zu steigern. Was
enthielt sie mir bewusst vor?
„Genug um mich wahnsinnig zu machen,“ sagte ich.
Sie zögerte und flüsterte dann, „Du willst es gar nicht hören.“
Ich musste einen Augenblick nachdenken, ging unsere Unterhaltung der
letzten Nacht Wort für Wort durch, bevor ich den Zusammenhang verstand.
Vielleicht musste ich mich so sehr konzentrieren, weil ich mir nichts vorstellen
konnte, dass ich sie nicht sagen hören wollte. Und dann – weil der Tonfall in ihrer
Stimme der gleiche war wie letzt Nacht; plötzlich voller Schmerz – erinnerte ich
mich. Ich hatte sie einmal gebeten ihre Gedanken nicht auszusprechen. Sag das
niemals, hatte ich sie angeknurrt. Ich hatte sie zum Weinen gebracht…
War es das was sie vor mir verheimlichte? Die Tiefe ihrer Gefühle für mich?
Dass es ihr nichts ausmachte, dass ich ein Monster war und dass es zu spät für
sie war um ihre Meinung zu ändern?
Ich konnte nicht sprechen, denn die Freude und der Schmerz waren zu
groß um sie in Worte zu fassen, der Kampf zwischen ihnen zu hart um eine
angebrachte Antwort zuzulassen. Abgesehen von dem gleichmäßigen Rhythmus
ihres Herzens und ihres Atems war es still im Auto.
„Wo ist der Rest deiner Familie?“ fragte sie plötzlich.
Ich atmete tief durch – registrierte den Duft im Wagen das erste mal mit
heftigem Schmerz; ich bemerkte zufrieden, dass ich mich daran gewöhnte – und
zwang mich dazu wieder lässig zu sein.
„Sie haben Rosalies Auto genommen.“ Ich parkte auf dem freien Platz
neben dem in Frage kommenden Auto. Ich unterdrückte ein Lächeln als ich sah,
wie sich ihre Augen weiteten. „Prahlerisch, nicht war?“
„Ähm, wow. Wenn sie so einen Wagen hat, warum fährt sie dann immer
mit dir?“
Rosalie hätte Bellas Reaktion genossen… wenn sie Bella gegenüber
objektiv gewesen wäre, was definitiv nicht der Fall war.
„Wie ich schon sagte, es ist prahlerisch. Wir versuchen nicht aufzufallen.“
„Das gelingt euch nicht,“ sagte sie mir und lachte erleichtert.
Ihr munteres vollkommen sorgloses Lachen erwärmte meine hohle Brust
genauso wie es meinen Kopf vor Zweifel schwirren ließ.
„Also, warum ist Rosalie heute mit ihrem Wagen gefahren, wenn er so
auffällig ist?“ fragte sie.
„Hast du es noch nicht bemerkt? Ich breche jetzt alle Regeln“
Meine Antwort sollte ein kleines bisschen beängstigend klingen –
selbstverständlich lächelte Bella darüber.
Sie wartete nicht, bis ich ihr die Tür öffnete, genau wie letzte Nacht. Ich
musste mich hier in der Schule normal verhalten – also konnte ich mich nicht
schnell genug bewegen um das zu verhindern – aber sie würde sich daran
gewöhnen müssen, mit mehr Zuvorkommenheit behandelt zu werden, und sie
würde sich schnell daran gewöhnen müssen.
Ich ging so dicht neben ihr her, wie ich es mir erlaubte und achtete darauf,
ob diese Nähe sie störte. Zweimal zuckte ihre Hand in meine Richtung doch dann
zog sie sich schnell zurück. Es sah so aus, als wollte sie mich berühren… mein
Atmen wurde schneller.
„Warum habt ihr überhaupt solche Autos? Wenn ihr nicht auffallen wollt?“
fragte sie während wir gingen.
„Eine Schwäche,“ gab ich zu. „Wir fahren alle gerne schnell.“
„Das passt,“ murmelte sie.
Sie sah nicht mehr auf und daher entging ihr mein antwortendes Grinsen.
Oh nein! Das glaub ich nicht! Wie zum Teufel hat Bella das angestellt? Ich
kapiers nicht! Warum?
Jessicas mentaler Schock unterbrach meine Gedanken. Sie wartete unter
dem Vordach der Cafeteria um sich vor dem Regen zu schützen, mit Bellas
Winterjacke über dem Arm. Ihre Augen waren ungläubig aufgerissen.
Bella bemerkte sie einen Augenblick später. Ein helles Rot schoss in ihre
Wangen, als sie den Ausdruck auf Jessicas Gesicht sah. Die Gedanken in Jessicas
Kopf waren ziemlich deutlich in ihrem Gesicht zu lesen.
„Hey, Jessica. Danke, dass du daran gedacht hast,“ grüßte Bella sie. Sie
streckte die Hand nach ihrer Jacke aus und Jessica reichte sie ihr wortlos.
Ich sollte höflich zu Bellas Freunden sein, egal ob sie gute Freunde waren
oder nicht. „Guten Morgen, Jessica.“
Wow…
Jessicas Augen wurden noch größer. Es war seltsam und amüsant… und,
ehrlichgesagt, ein bisschen peinlich… zu bemerken wie sehr die Nähe zu Bella
mich verweichlicht hatte. Es sah so aus, als hätte niemand mehr Angst vor mir.
Wenn Emmett das herausfände würde er mich das nächste Jahrhundert lang
auslachen.
„Äh… hi,“ nuschelte Jessica und ihre Augen wanderten
Bedeutungsschwanger zu Bella. „Ich denke, wir sehen uns dann in Mathe.“
Du wirst mir alles erzählen. Ich werde kein Nein akzeptieren. Details. Ich
brauche Details! Edward scheiß CULLEN!! Das Leben ist so unfair.
Bellas Mundwinkel zuckten. „Ja, wir sehen uns dann.“
Jessicas Gedanken spielten verrückt während sie zu ihrem ersten Kurs
rannte und uns hin und wieder verstohlene Blicke zuwarf.
Die ganze Geschichte. Ich akzeptiere nichts anderes. Hatten sie geplant
sich gestern zu treffen? Treffen sie sich öfter? Wie lange schon? Wie konnte sie
das geheim halten? Warum sollte sie das wollen? Es kann nichts lockeres sein –
sie muss total verknallt in ihn sein. Gibt es eine andere Möglichkeit? Ich werde es
heraus finden. Ich halt es nicht aus, es nicht zu wissen. Ich frage mich, ob sie
zusammen sind? Oh, verdammt… Jessicas Gedanken drifteten plötzlich ab und
wortlose Fantasien jagten durch ihren Kopf. Bei diesen Spekulationen zuckte ich
zusammen und nicht nur weil sie in ihren Gedanken Bella durch sich selbst
ersetze.
So konnte es niemals sein. Und dennoch… ich wollte es…
Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen. Auf wie viele falsche Arten
wollte ich Bella? Auf welche würde ich sie letztlich töten?
Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte mich abzulenken.
„Was wirst du ihr erzählen?“ fragte ich Bella.
„Hey!“ flüsterte sie vorwurfsvoll. „Ich dachte du könntest meine Gedanken
nicht lesen!“
„Kann ich auch nicht.“ Ich schaute sie verwundert an und versuchte den
Sinn hinter ihren Worten zu verstehen. Ah – wir mussten zur selben Zeit dasselbe
gedacht haben. Hmm… das gefiel mir. „Na jedenfalls,“ sagte ich ihr, „kann ich
ihre lesen – sie wird dir in der Klasse auflauern.“
Bella stöhnte und ließ dann die Jacke von ihren Schultern gleiten. Ich
bemerkte erst nicht, dass sie sie zurückgab – ich hätte nicht danach gefragt; mir
wäre es lieber gewesen, sie würde sie behalten… ein Andenken – deshalb war ich
zu langsam um ihr meine Hilfe anzubieten. Sie reichte mir meine Jacke und
steckte ihre Arme durch ihre eigene ohne mich anzusehen, also bemerkte sie
nicht, dass meine Hände ausgestreckt waren um ihre zu helfen. Ich runzelte die
Stirn darüber und kontrollierte meinen Ausdruck schnell wieder bevor sie es
bemerkte.
„Also, was wirst du ihr erzählen?“ fragte ich.
„Wie wäre es mit ein bisschen Hilfe? Was will sie denn wissen?“
Ich lächelte und schüttelte meinen Kopf. Ich wollte hören, was sie dachte
ohne einen Hinweis. „Das ist nicht fair.“
Ihre Augen verengten sich. „Nein, dass du dein Wissen nicht teilst – das ist
unfair.“
Richtig – sie mochte keine Doppelmoral.
Wir erreichten ihre Klassentür – wo ich sie verlassen musste; ich fragte
mich ob Ms. Cope entgegenkommender war, was eine Änderung bzgl. meines
Englischkurses anging… ich konzentrierte mich wieder. Ich konnte fair sein.
„Sie möchte wissen ob wir heimlich zusammen sind,“ sagte ich langsam.
„Und sie möchte wissen, was du für mich empfindest.“
Sie riss die Augen auf – nicht verwundert sondern eher naiv. Ihre Augen
waren offen für mich, lesbar. Sie spielte unschuldig.
„Hmm,“ murmelte sie. „Was soll ich ihr bloß sagen?“
„Hmmm.“ Sie versuchte immer mich dazu zu bringen, mehr preiszugeben,
als sie es tat. Ich überlegte, wie ich ihr antworten könnte.
Eine lose Haarsträhne, leicht klamm vom Nebel, fiel ihr über die Schulter
und kräuselte sich dort wo der alberne Pullover ihr Schlüsselbein versteckte. Sie
fesselte meinen Blick… lenkte ihn auf die anderen versteckten Kurven…
Ich streckte vorsichtig meine Hand nach der Strähne aus, darauf bedacht,
ihre Haut nicht zu berühren – der Morgen war kühl genug auch ohne meine
Berührung – und wickelte sie zurück in den losen Haarknoten, damit sie mich
nicht wieder ablenken konnte. Ich erinnerte mich daran, wie Mike Newton ihr
Haar berührt hatte, und ich biss meine Zähne zusammen bei dem Gedanken. Sie
war vor ihm zurückgezuckt. Ihre Reaktion jetzt war keineswegs die gleiche;
stattdessen weiteten sich ihre Augen ein wenig, Blut schoss ihr ins Gesicht und
ihr Herzschlag wurde unregelmäßig.
Ich versuchte mein Lächeln zu verbergen als ich ihre Frage beantwortete.
„Ich denke, die erste Frage könntest du mit Ja beantworten… wenn es dir
nichts ausmacht…“ ihre Wahl, immer ihre Wahl, „… es wäre einfacher als jede
anderen Erklärung.“
„Es macht mir nichts aus,“ flüsterte sie. Ihr Herz hatte seinen normalen
Rhythmus noch nicht wiedergefunden.
„Und ihre andere Frage…“ Jetzt konnte ich mein Lächeln nicht mehr
verbergen. „Also die Antwort auf diese Frage würde ich selbst gern hören.“
Darüber soll Bella erst mal nachdenken. Ich unterdrückte ein Lachen als ich
den schockierten Ausdruck in ihrem Gesicht sah.
Ich drehte mich schnell um, bevor sie noch weitere Fragen stellen konnte.
Es war schwer für mich ihr nicht alles zu geben was sie wollte. Und ich wollte ihre
Gedanken hören, nicht meine.
„Wir sehen uns beim Mittagessen,“ rief ich ihr über die Schulter zu, eine
Ausrede um zu sehen, ob sie mir immer noch hinterher starrte mit geweiteten
Augen. Ihr Mund stand weit offen. Ich drehte mich wieder um und lachte.
Als ich davon schlenderte war ich mir der geschockten und spekulierenden
Gedanken um mich herum kaum bewusst – die Blicke wechselten zwischen Bellas
Gesicht und meiner sich entfernenden Figur. Ich schenkte ihnen keine
Aufmerksamkeit. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Es war schon schwer
genug meine Füße in einer akzeptablen Geschwindigkeit zu bewegen, als ich den
feuchten Rasen zu meinem nächsten Kurs überquerte. Ich wollte rennen – richtig
rennen, so schnell, dass ich verschwinden würde, so schnell, dass es sich
anfühlte als würde ich fliegen. Ein Teil von mir flog bereits.
Ich zog die Jacke an auf meinem Weg zum Unterricht und ließ mich von
ihrem Duft einhüllen. Ich würde jetzt brennen – mich von dem Geruch
desensibilisieren lassen – dann würde es später leichter zu ignorieren sein, wenn
ich beim Mittagessen wieder mit ihr zusammen war…
Es war gut, dass die Lehrer keine Lust mehr hatten mich aufzurufen. Heute
würden sie mich wohl unvorbereitet und ohne Antwort erwischen. Meine
Gedanken waren heute Morgen ganz woanders; nur mein Körper saß im
Klassenraum.
Natürlich beobachtete ich Bella. Das wurde langsam alltäglich – so
automatisch wie Atmen. Ich hörte ihre Unterhaltung mit dem enttäuschten Mike
Newton. Sie lenkte das Gespräch schnell auf Jessica und ich grinste so breit, dass
Rob Sawyer, der rechts von mir saß, zusammenzuckte, tiefer in seinen Stuhl sank
und sich von mir weglehnte.
Ugh. Unheimlich.
Also hatte ich es doch nicht ganz verloren.
Außerdem beobachtete ich Jessica, wie sie ihre Fragen an Bella
formulierte. Ich konnte die vierte Stunde genauso wenig erwarten wie das
neugierige menschliche Mädchen, das den neuesten Tratsch hören wollte.
Und ich belauschte auch Angela Weber.
Ich hatte die Dankbarkeit die ich ihr gegenüber empfand nicht vergessen –
erstens weil sie nur Gutes über Bella dachte und zweitens für ihre Hilfe letzte
Nacht. Also wartete ich den ganzen Morgen darauf, dass mir irgendetwas auffiel,
das sie haben wollte. Ich dachte, es würde einfach werden; wie bei jedem
normalen Menschen musste es irgendeinen Quatsch geben, den sie unbedingt
haben wollte. Mehrere vermutlich. Ich würde irgendetwas anonym schicken und
uns für quitt erklären.
Aber Angela erwies sich als genauso wenige entgegenkommend wie Bella
mit ihren Gedanken. Sie war seltsam zufrieden für einen Teenager. Glücklich.
Vielleicht war das der Grund für ihre unübliche Freundlichkeit – sie war eine der
wenigen Menschen die hatten was sie wollten und wollten was sie hatten. Wenn
sie mal nicht den Lehrern zuhörte und sich auf ihre Notizen konzentrierte, dann
dachte sie an ihre kleinen Zwillingsbrüder, mit denen sie dieses Wochenende an
den Strand fahren würde – malte sich aus wie viel Spaß sie haben würde mit
einer fast elterlichen Zufriedenheit. Sie passte öfter mal auf sie auf, war aber
nicht genervt davon… es war irgendwie süß.
Aber es half mir nicht wirklich weiter.
Es musste doch etwas geben, das sie sich wünschte. Ich würde nur weiter
Ausschau halten müssen. Aber später. Jetzt war es Zeit für Bellas Mathestunde
mit Jessica.
Ich achtete nicht darauf wo ich lang ging als ich mich auf den Weg zu
meinem Englischkurs machte. Jessica saß bereits auf ihrem Platz und klapperte
mit beiden Füßen unruhig auf dem Boden herum während sie darauf wartete,
dass Bella endlich kam.
Sobald ich mich auf meinen Platz setzte wurde ich absolut ruhig. Ich
musste mich daran erinnern mich hin und wieder zu bewegen. Um die Maskerade
aufrecht zu erhalten. Es war schwer, da meine Gedanken so sehr auf die von
Jessica konzentriert waren. Ich hoffte, dass sie sich wirklich Mühe geben würde,
Bellas Gesicht für mich zu lesen.
Jessicas Fußklappern wurde schneller als Bella den Raum betrat.
Sie sieht… bedrückt aus. Warum? Vielleicht hat sie doch nichts mit Edward
Cullen. Das wäre sicher eine Enttäuschung. Allerdings… wenn er immer noch zu
haben ist… wenn er plötzlich Interesse an Verabredungen hat, würde ich ihm
gern aushelfen…
Bellas Gesicht sah nicht bedrückt aus, eher wiederwillig. Sie war besorgt –
sie wusste, dass ich alles hören würde, was sie jetzt sagte. Ich lächelte in mich
hinein.
„Erzähl mir alles!“ verlangte Jessica als Bella noch damit beschäftigt war,
ihre Jacke auszuziehen und über ihre Stuhllehne zu hängen. Sie bewegte sich
bedächtig, unwillig.
Ugh, sie ist so langsam. Lass uns endlich zu den interessanten Themen
kommen!
„Was möchtest du wissen?“ fragte Bella, als sie sich setzte.
„Was ist letzte Nacht passiert?“
„Er hat mich zum Essen eingeladen und dann nach Hause gefahren.“
Und dann? Komm schon, da muss doch noch mehr passiert sein! Sie lügt
sowieso, das weiß ich. Ich werde sie darauf ansprechen.
„Wie bist du so schnell nach Hause gekommen?“
Ich sah wie Bella ihre Augen verdrehte.
„Er fährt wie ein Verrückter. Es war schrecklich.“
Sie lächelte leicht und ich lachte laut auf womit ich Mr. Masons
Ausführungen unterbrach. Ich versuchte aus dem Lachen ein Husten werden zu
lassen, aber ich konnte niemanden mehr täuschen. Mr. Mason warf mir einen
irritierten Blick zu, aber ich kümmerte mich nicht um die Gedanken die dahinter
steckten. Ich lauschte immer noch auf Jessica.
Hmm. Hört sich so an als ob sie die Wahrheit sagt. Warum lässt sie sich
jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen? An ihrer Stelle würde ich alles so laut ich
könnte heraus posaunen.
„Ward ihr verabredet – hast du ihm gesagt, dass ihr euch dort treffen
sollt?“
Jessica sah die Überraschung in Bellas Gesicht und war enttäuscht darüber
dass sie echt war.
„Nein – ich war eher überrascht ihn dort zu sehen,“ erzählte Bella ihr.
Was geht ihr vor?? „Aber er hat dich heute zur Schule abgeholt?“ Da muss
doch noch mehr dahinter stecken.
„Ja – das war auch eine Überraschung. Er hat mitbekommen, dass ich
gestern keine Jacke hatte.“
Das ist ja nicht gerade spannend, dachte Jessica wieder enttäuscht.
Ihre Fragestellung ermüdete mich – ich wollte etwas hören, dass ich noch
nicht wusste. Ich hoffte, dass sie nicht zu unzufrieden war und das Verhör
beendete bevor sie die Fragen gestellt hatte, die mich wirklich interessierten.
„Also, seid ihr wieder verabredet?“ fragte Jessica.
„Er hat mir angeboten mich am Samstag nach Seattle zu fahren, weil er
denkt, dass mein Truck die Strecke nicht schafft – zählt das?“
Hmm. Er scheint sich große Mühe zu geben um… naja, auf sie
aufzupassen, irgendwie. Also muss da etwas von seiner Seite aus sein, wenn
schon nicht von ihrer. Wie kann das sein? Bella ist verrückt.
„Ja,“ beantwortete Jessica Bellas Frage.
„Also dann,“ schloss Bella. „Ja.“
„Wow… Edward Cullen.“ Egal ob sie auf ihn steht oder nicht, dass ist schon
was.
„Ich weiß,“ seufzte Bella.
Der Ton in ihrer Stimme ermutigte Jessica. Na endlich – hört sich so an, als
hätte sie es begriffen! Sie muss doch merken…
„Warte!“ sagte Jessica und erinnerte sich plötzlich an die wichtigste aller
Fragen. „Hat er dich geküsst?“ Bitte sag ja. Und dann beschreib jede Sekunde!
„Nein,“ murmelte Bella und dann sah sie auf ihre Hände und ihr Gesicht
verfinsterte sich. „So ist es irgendwie nicht.“
Verdammt. Ich wünschte… Ha. Sieht so aus, als ob sie es sich auch
wünschte.
Ich runzelte die Stirn. Bella sah wegen irgendetwas besorgt aus, aber es
konnte nicht Enttäuschung sein, wie Jessica vermutete. Das konnte sie nicht
wollen. Nicht bei dem was sie wusste. Sie konnte meinen Zähnen nicht so nahe
kommen wollen. Demnach zu urteilen was sie wusste, hatte ich Reißzähne.
Ich schauderte.
„Glaubst du am Samstag…?“ stachelte Jessica.
Bella sah noch frustrierter aus, als sie sagte, „Das bezweifle ich.“
Ja, sie wünscht es sich. Es ärgert sie.
Lag es daran, dass ich all das durch Jessicas Perspektive beobachtete, dass
es so aussah, als hätte Jessica recht?
Für eine halbe Sekunde war ich von der Idee, der Unmöglichkeit,
abgelenkt, wie es sein könnte sie zu küssen. Meine Lippen auf ihren Lippen,
kalter Stein auf warmer, weicher Seide…
Und dann stirbt sie.
Ich zuckte zusammen, schüttelte meinen Kopf und versuchte wieder
aufzupassen.
„Worüber habt ihr euch unterhalten?“ Hast du überhaupt mit ihm geredet
oder hast du dir von ihm auch alles aus der Nase ziehen lassen?
Ich lächelte wehmütig. Jessica lag nicht ganz falsch.
„Ich weiß nicht, Jess, alles mögliche. Wir haben uns ein bisschen über den
Englisch-Aufsatz unterhalten.“
Ein ganz kleines bisschen. Mein Lächeln wurde breiter.
Oh, KOMM SCHON. „Bitte, Bella! Gib mir ein paar Einzelheiten.“
Bella überlegte einen Moment.
„Naja… ok, ich hab was. Du hättest sehen sollen wie die Kellnerin mit ihm
geflirtet hat – das war der Hammer. Aber er hat sie nicht mal beachtet.“
Was für eine seltsame Einzelheit. Ich war überrascht, dass Bella das
überhaupt bemerkt hatte. Es war so unbedeutend.
Interessant… „Das ist ein gutes Zeichen. War sie hübsch?“
Hmm. Jessica schien das wichtiger zu finden, als ich. Muss wohl irgendein
Frauending sein.
„Sehr,“ sagte Bella. „Und vielleicht neunzehn oder zwanzig.“
Jessica war einen Moment von einer Erinnerung an ihr Date mit Mike am
Montag abgelenkt – Mike war ein wenig zu freundlich zu einer Kellnerin gewesen,
die Jessica nicht mal hübsch fand. Sie schob die Erinnerung beiseite und kam
ohne sich etwas von ihrem Ärgern anmerken zu lassen zu ihrer Frage nach
Einzelheiten zurück.
„Noch besser. Er muss dich wirklich mögen.“
„Das glaube ich auch,“ sagte Bella langsam. Ich konnte mich kaum noch
auf meinem Stuhl halten, blieb aber immer noch absolut ruhig. „Aber das ist
schwer zu sagen. Er ist immer so kryptisch.“
Ich war wohl doch nicht so leicht zu durchschauen und außer Kontrolle wie
ich gedacht hatte. Dennoch… aufmerksam wie sie war… Wie konnte sie nicht
bemerken, dass ich sie liebte? Ich ging in Gedanken unsere Unterhaltung durch
und war überrascht, dass ich die Worte nicht laut ausgesprochen hatte. Es hatte
sich angefühlt als wäre dieses Wissen in jedem Wort zwischen uns
mitgeschwungen.
Wow. Wie kannst du einem männlichen Model gegenübersitzen und dich
unterhalten? „Ich verstehe nicht wie du den Mut aufbringst mit ihm allein zu
sein,“ sagte Jessica.
Bella war für einen kurzen Moment geschockt. „Warum?“
Seltsame Reaktion. Was denkt sie denn was ich meine? „Er ist so…“ Wie
ist das richtige Wort? „Einschüchternd. Ich wüsste nicht was ich zu ihm sagen
sollte.“ Ich konnte heute Morgen ja nicht mal richtig englisch (in unserem Fall
wohl eher deutsch) mit ihm reden. Ich muss mich wie ein kompletter Vollidiot
angehört haben.
Bella lächelte. „Ich hab auch ein wenig Probleme mich in seiner Gegenwart
normal zu verhalten.“
Sie schien zu versuchen Jessica ein besseres Gefühl zu geben. Sie war so
unnatürlich selbstbeherrscht gewesen als wir zusammen waren.
„Oh naja,“ seufzte Jessica. „Er sieht ja auch einfach fantastisch aus.“
Bellas Gesichtsausdruck wurde plötzlich kühl. Ihre Augen blitzen auf, wie
sie es taten, wenn Bella sich über Ungerechtigkeiten ärgerte. Jessica bemerkte
die Veränderung nicht.
„Da ist noch viel mehr an ihm als das,“ schnappte Bella.
Oooh. Jetzt kommen wir der Sache langsam näher. „Ehrlich? Was denn?“
Bella nagte einen Moment an ihrer Lippe. „Ich kann es nicht wirklich
erklären,“ sagte sie schließlich. „Aber er ist noch viel unglaublicher hinter der
Oberfläche.“ Sie sah an Jessica vorbei, ein bisschen desorientiert, als ob sie etwas
in sehr weiter Ferne anstarrte.
Das was ich jetzt fühlte war ein bisschen so wie das Gefühl das ich hatte,
wenn Carlisle oder Esme mich mehr lobten als ich es verdiente. Ähnlich aber
intensiver, verzehrender.
Verkauf mich nicht für dumm – es gibt nichts Besseres als sein Gesicht!
Außer sein Körper vielleicht. Schmelz. „Das geht?“ kicherte Jessica.
Bella wandte sich nicht um. Ihr Blick war immer noch in die Ferne
gerichtet.
Ein normaler Mensch würde sich hämisch freuen. Vielleicht sollte ich die
Fragen einfacher formulieren. Ha ha. Als wenn ich mit einem Kindergartenkind
reden würde. „Also magst du ihn?“
Ich war wieder starr.
Bella sah Jessica nicht an. „Ja.“
„Ich meine, magst du ihn so richtig?“
„Ja.“
Sieh sich einer an, wie rot sie wird!
Ich sah es mir an.
„Wie sehr magst du ihn?“ verlangte Jessica zu wissen.
Der Klassenraum hätte um mich herum in Flammen aufgehen können und
ich hätte es nicht bemerkt.
Bellas Gesicht war jetzt knallrot – ich konnte die Hitze fast spüren.
„Zu sehr,“ flüsterte sie. „Mehr als er mich mag. Aber ich wüsste nicht, wie
ich das ändern könnte.“
Treffer! Was hat Mr. Varner gerade gefragt? „Ähm – welche Nummer Mr.
Varner?“
Es war gut, dass Jessica Bella nicht mehr ausfragen konnte. Ich brauchte
ein Minute Pause.
Was zur Hölle dachte dieses Mädchen denn jetzt? Mehr als er mich mag?
Wie kam sie denn darauf? Aber ich wüsste nicht wie ich das ändern könnte? Was
sollte das denn heißen? Ich konnte keine logische Erklärung für diese Worte
finden. Sie waren absolut unsinnig.
Anscheinend konnte ich nichts für Selbstverständlich annehmen.
Offensichtliche Dinge, Dinge die einen Sinn ergaben, wurden auf seltsame Weise
verdreht und ins Gegenteil umgewandelt in ihrem bizarren Gehirn. Mehr als er
mich mag? Vielleicht sollte ich die Karten sofort offen auf den Tisch legen.
Ich warf einen Blick auf die Uhr und biss die Zähne zusammen. Wie
konnten sich schlichte Minuten für einen Unsterblich so lang anfühlen?
Mein Kiefer war während der gesamten Mathestunde von Mr. Varner
zusammengepresst. Ich hörte mehr von seinem Unterricht als von dem in dem
ich saß. Bella und Jessica sprachen nicht wieder, aber Jessica warf Bella hin und
wieder einen verstohlenen Blick zu und ihr Gesicht war wieder puterrot ohne
ersichtlichen Grund.
Die Mittagspause konnte gar nicht schnell genug kommen.
Ich war mir nicht sicher, ob Jessica ein paar der Antworten die ich hören
wollte aus Bella herausbekäme, wenn die Stunde zu Ende war, aber Bella war
schneller.
Sobald die Klingel ertönte, drehte Bella sich zu Jessica.
„In Englisch hat Mike mich gefragt ob du irgendetwas wegen Montag
gesagt hättest,“ sagte Bella mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Ich verstand
es genauso wie es gemeint war – Angriff ist die beste Verteidigung.
Mike hat nach mir gefragt? Die Freude ließ Jessicas Gedanken plötzlich
weicher werden, ohne ihren typischen Biss. „Ist nicht war! Was hast du gesagt?“
„Ich sagte ihm, dass du erzählt hast, dass ihr sehr viel Spaß hattet – und er
sah zufrieden aus.“
„Sag mir genau was er gesagt hat und dann haargenau was du
geantwortet hast!“
Das war alles was ich heute von Jessica bekommen würde. Bella lächelte
als würde sie dasselbe denken. Als wenn sie die Runde gewonnen hätte.
Naja, das Mittagessen war eine andere Geschichte. Ich würde die
Antworten erfolgreicher aus ihr rausbekommen als Jessica, dafür würde ich
sorgen.
Ich hielt es kaum aus, obligatorisch in Jessicas Gedanken reinzuschauen
während der vierten Stunde. Ich hatte kein verlangen nach ihren obsessiven
Gedanken über Mike Newton. Ich hatte mehr als genug von ihm in den letzten
zwei Wochen. Er hatte Glück, dass er überhaupt noch am Leben war.
Ich bewegte mich teilnahmslos mit Alice durch den Sportunterricht, so wie
wir uns immer bewegten wenn es zu körperlichen Aktivitäten mit Menschen kam.
Natürlich war sie meine Partnerin. Es war der erste Tag Badminton. Ich seufzte
vor Langeweile als ich den Schläger in Zeitlupe bewegte um den Federball zurück
zur anderen Seite zu schlagen. Lauren Mallory war in dem andern Team; Sie
verfehlte. Alice wirbelte ihren Schläger herum wie einen Taktstock und starrte an
die Decke.
Wir alle hassten Sport, besonders Emmett. Ein Spiel zu schmeißen war eine
Beleidigung für seine persönliche Philosophie. Sport schien noch schlimmer zu
sein, als sonst – ich war genauso verärgert wie Emmett immer war.
Bevor mein Kopf vor Ungeduld platzen konnte beendete Coach Clapp das
Spiel und entließ uns ein paar Minuten früher. Ich war lächerlicherweise dankbar
dafür, dass er das Frühstück ausgelassen hatte – seine neue Diät – und der
konsequente Hunger veranlasste ihn dazu, so schnell wie möglich das
Schulgelände zu verlassen um irgendwo ein fettiges Mittagessen zu sich zu
nehmen. Er versprach sich selbst, morgen wieder von vorn anzufangen.
Dadurch hatte ich genug Zeit zum Mathe-Gebäude zu kommen bevor
Bellas Unterricht zu Ende war.
Viel Spaß, dachte Alice, als sie davon schlenderte um sich mit Jasper zu
treffen. Ich muss nur noch ein paar Tage lange geduldig abwarten. Ich vermute
mal du wirst Bella nicht von mir grüßen, oder?
Ich schüttelte verärgert meinen Kopf. Waren alle Medien so selbstgefällig?
Ach ja, nur zu deiner Information, dieses Wochenende wird sehr sonnig
werden. Vielleicht möchtest du deine Pläne ändern.
Ich seufzte während ich weiter in die andere Richtung ging. Selbstgefällig,
aber auch nützlich.
Ich lehnte mich an die Wand neben der Tür und wartete. Ich war nahe
genug um Jessicas Worte genauso deutlich durch die Wand hören zu können wie
ihre Gedanken.
„Du wirst heute nicht bei uns sitzen, oder?“ Sie sieht so… strahlend aus.
Ich wette sie hat mir tonnenweise Informationen vorenthalten.
„Ich denke nicht,“ antwortete Bella seltsam unsicher.
Hatte ich nicht versprochen das Mittagessen mit ihr zu verbringen? Was
dachte sie bloß?
Sie kamen zusammen aus der Klasse heraus und beide Mädchen rissen die
Augen auf, als sie mich sahen. Aber ich konnte nur Jessica hören.
Nett. Wow. Oh ja, da geht noch viel mehr als sie mir erzählt hat. Vielleicht
sollte ich sie heute Abend mal anrufen… Oder vielleicht sollte ich sie nicht
ermutigen. Hm. Ich hoffe, er hat bald genug von ihr. Mike ist süß aber… wow.
„Wir sehen uns dann später, Bella.“
Bella kam auf mich zu und hielt einen Schritt von mir entfernt an, immer
noch unsicher. Die Haut über ihren Wangenknochen war leicht gerötet.
Ich kannte sie mittlerweile gut genug um zu wissen, dass hinter ihrem
Zögern keine Angst steckte. Anscheinend lag es an dieser Kluft die sie sich
zwischen unseren Gefühlen einbildete. Mehr als er mich mag. Absurd!
„Hallo,“ sagte ich, ein bisschen sehr knapp.
Ihr Gesicht erhellte sich. „Hi.“
Es sah nicht so aus, als wollte sie noch mehr sagen, also führte ich sie zur
Cafeteria und sie ging schweigend neben mir her.
Die Jacke hatte gewirkt – ihr Duft war nicht so überwältigend wie sonst. Es
war nur eine leichte Verstärkung der Schmerzen die ich bereits spürte. Ich konnte
es leichter ignorieren als ich einst für möglich gehalten hatte.
Bella war unruhig als wir in der Schlange warteten, spielte abwesend mit
dem Reißverschluss ihrer Jacke und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie warf
mir viele verstohlene Blicke zu, und wenn ich zurück sah, senkte sie ihren Blick,
als ob sie sich schämte. Lag es daran, dass uns so viele Leute anstarrten?
Vielleicht konnte sie das Getuschel um uns herum hören – das Getratsche war
heute verbal und mental das gleiche.
Oder vielleicht sah sie an meinem Gesichtsausdruck, dass sie in
Schwierigkeiten war.
Sie sagte nichts, bis ich anfing das Mittagessen für sie aufs Tablett zu
laden. Ich wusste nicht, was sie mochte – noch nicht – also nahm ich von allem
etwas.
„Was machst du da?“ zischte sie leise. „Soll das alles für mich sein?“
Ich schüttelte meinen Kopf und trug das Tablett zur Kasse. „Die Hälfte ist
natürlich für mich.“
Sie hob skeptisch eine Augenbraue, sagte aber nichts weiter während ich
bezahlte und sie zu dem Tisch geleitete an dem wir letzte Woche vor dem
tragischen Experiment bzgl. Blutgruppenbestimmung gesessen hatten. Es wirkte
so, als währen viel mehr als nur ein paar Tage vergangen. Alles war anders.
Sie setzte sich wieder mir gegenüber. Ich schob das Tablett zu ihr herüber.
„Nimm dir was du magst,“ bot ich ihr an.
Sie nahm einen Apfel und drehte ihn in ihren Händen mit einem
Abschätzenden Ausdruck in ihren Augen.
„Ich bin neugierig.“
Was für eine Überraschung.
„Was würdest du tun, wenn dich jemand zwingen würde, etwas zu essen?“
fuhr sie mit leiser Stimme fort, so dass kein menschliches Ohr sie hören konnte.
Unsterbliche Ohren waren etwas anderes, wenn diese Ohren aufpassen würden.
Ich hätte es ihnen wohl doch besser früher sagen sollen…
„Du bist immer neugierig,“ beschwerte ich mich. Aber naja. Es war ja nicht
so, als hätte ich noch nie vorher was essen müssen. Es war ein Teil des
Versteckspiels. Ein unangenehmer Teil.
Ich griff nach dem nächstbesten Etwas und hielt ihrem Blick stand während
ich einen kleinen Bissen von was auch immer nahm. Ohne nachzusehen konnte
ich es nicht sagen. Es war genauso schleimig und grob und widerwärtig wie alles
menschliche Essen. Ich kaute schnell und versuchte nicht das Gesicht zu
verziehen während ich schluckte. Der Klumpen Essen rutschte langsam und
unangenehm meinen Hals hinunter. Ich seufzte bei der Vorstellung wie ich ihn
später wieder herauswürgen müsste. Widerlich.
Bella war geschockt. Beeindruckt.
Ich wollte meine Augen verdrehen. Natürlich hatten wir diese Täuschung
perfektioniert.
“Wenn dich jemand zwingen würde, Erde zu essen, könntest du es doch
auch, oder?”
Sie kräuselte ihre Nase und lächelte. „Hab ich mal… wegen einer Wette. So
schlimm war es gar nicht.“
Ich lachte. „Das überrascht mich nicht.“
Sie sehen gut zusammen aus, nicht war? Gute Körpersprache. Ich werde
Bella meine Beobachtungen später erzählen. Er lehnt sich zu ihr hin, genau wie
er es tun würde, wenn er interessiert wäre. Er sieht interessiert aus. Er sieht…
perfekt aus. Jessica seufzte. Lecker.
Jessicas und mein Blick trafen sich, sie schaute nervös weg und kicherte
mit dem Mädchen das neben ihr saß.
Hmmm. Vielleicht sollte ich mich doch besser an Mike halten. Realität,
nicht Fantasie…
„Jessica analysiert alles was ich tue,“ informierte ich Bella. „Sie wird es
später alles vor dir ausbreiten.“
Ich schob das Tablett wieder zu ihr herüber – Pizza, stellte ich fest – und
überlegte wie ich am besten anfangen sollte. Meine vorherige Frustration kehrte
zurück als ich die Worte in meinem Kopf wiederholte: Mehr als er mich mag. Aber
ich wüsste nicht, wie ich das ändern könnte.
Sie nahm einen Bissen von demselben Stück Pizza. Es amüsierte mich, wie
vertrauensvoll sie war. Natürlich wusste sie nicht, dass ich giftig war – nicht das
Essen teilen sie verletzen würde. Dennoch erwartete ich irgendwie, dass sie mich
anders behandelte. Wie etwas anderes. Das tat sie nie – jedenfalls nicht auf eine
negative Art und Weise…
Ich würde langsam anfangen.
„Die Kellnerin war also hübsch?“
Sie hob wieder die Augenbraue. „Das hast du wirklich nicht bemerkt?“
Als ob irgendeine Frau hoffen konnte mich von Bella abzulenken. Schon
wieder absurd.
„Nein, ich hab nicht drauf geachtet. Mir ging viel im Kopf herum.“ Nicht
zuletzt die weiche Berührung ihrer dünnen Bluse…
Gut, dass sie heute diesen hässlichen Pullover trug.
„Die Ärmste,“ sagte Bella lächelnd.
Es gefiel ihr dass ich die Kellnerin nicht im Geringsten interessant
gefunden hatte. Das konnte ich verstehen. Wie oft hatte ich mir vorgestellt Mike
im Biologieraum auszuschalten?
Sie konnte nicht wirklich glauben, dass ihre menschlichen Gefühle, die
Erfüllung ihrer siebzehn sterblichen Jahre, stärker sein konnten, als die
Unsterbliche Leidenschaft die sich in mir in einem Jahrhundert aufgebaut hatte.
„Etwas dass du zu Jessica gesagt hast…“ ich schaffte es nicht locker zu
klingen. „Naja, es stört mich.“
Sie nahm sofort eine Verteidigungshaltung an. „Es überrascht mich nicht,
dass du etwas gehört hast, dass dir nicht gefällt. Du weißt was man über den
Lauscher an der Wand sagt?“
Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand, das sagt man.
„Ich hab dir gesagt, dass ich zuhören würde,“ erinnerte ich sie.
„Und ich hab dir gesagt, dass du nicht alles wissen willst, was ich denke.“
Ah, sie dachte wieder an die Situation in der ich sie zum Weinen gebracht
hatte. Ich hatte einen Kloß im Hals vor Reue. „Das stimmt. Dennoch hast du nicht
ganz recht. Ich möchte wissen was du denkst – alles. Ich wünschte nur… dass du
manchen Dinge nicht denken würdest.“
Mehr Halbwahrheiten. Ich wusste, ich sollte nicht wollen, dass sie mich
mochte. Aber ich wollte es. Natürlich wollte ich es.
„Das ist aber nun mal eine Tatsache,“ grummelte sie und warf mir einen
finsteren Blick zu.
„Aber darum geht es jetzt nicht.“
„Worum geht es dann?“
Sie lehnte sich zu mir herüber mit ihrer Hand um ihren Hals gelegt. Das
erregte meine Aufmerksamkeit – lenkte mich ab. Wie weich sich diese Haut
anfühlen musste…
Konzentrier dich, ermahnte ich mich.
„Glaubst du wirklich, dass du mehr für mich empfindest als ich für dich?“
fragte ich. Die Frage hörte sich lächerlich an, als ob die Worte zusammenhanglos
wären.
Sie riss die Augen auf und hielt den Atem an. Dann sah sie schnell weg und
atmete mit einem Keuchen weiter.
„Du tust es schon wieder,“ murmelte sie.
„Was?“
„Mich blenden,“ gab sie zu und erwiderte vorsichtig meinen Blick.
„Oh.“ Hmm. Ich war mir nicht sicher, was ich dagegen tun könnte. Noch
war ich mir sicher, dass ich sie nicht blenden wollte. Ich war immer noch
aufgeregt, weil ich es konnte. Aber das half der Unterhaltung nicht weiter.
„Es ist nicht deine Schuld.“ Seufzte sie. „Du kannst nichts dafür.“
„Wirst du mir meine Frage beantworten?“ verlangte ich.
Sie starrte auf den Tisch. „Ja.“
Das war alles was sie sagte.
„Ja, du wirst die Frage beantworten, oder ja, du glaubst es wirklich?“ fragte
ich ungeduldig.
„Ja, ich glaube es wirklich,“ sagte sie ohne aufzuschauen. Da war ein leicht
trauriger Unterton in ihrer Stimme. Sie errötete wieder und ihre Zähne begannen
wieder ihre Lippe zu bearbeiten.
Plötzlich bemerkte ich, dass es sehr schwer für sie sein musste, das
zuzugeben, da sie es wirklich glaubte. Und ich war nicht besser als dieser Feigling
Mike, das ich von ihr verlangte ihre Gefühle preiszugeben bevor ich meine
offenlegte. Es war nicht zu ihr durchgedrungen also musste ich mich
entschuldigen.
„Da liegst du falsch,“ versprach ich. Sie musste die Sanftmut in meiner
Stimme hören.
Bella sah zu mir auf, ihre Augen waren unklar und gaben nichts preis. „Das
kannst du nicht wissen,“ flüsterte sie.
Sie dachte, dass ich ihre Gefühle unterschätze, da ich ihre Gedanken nicht
hören konnte. Aber die Wahrheit war, dass sie meine unterschätze.
„Warum denkst du das?“ wunderte ich mich.
Sie starrte mich an mit der Falte zwischen ihren Augenbrauen und kaute
auf ihrer Lippe. Zum millionsten Mal wünschte ich mir verzweifelt, sie einfach nur
hören zu können.
Ich wollte sie gerade anbetteln mir zu sagen mit welchen Gedanken sie
gerad zu kämpfen hatte, aber sie hielt einen Finger hoch um mich davon
abzuhalten.
„Lass mich nachdenken,“ bat sie.
So lange sie nur ihre Gedanken sortierte konnte ich geduldig sein.
Oder zumindest so tun als ob.
Sie presste ihre Hände zusammen, verschlang ihre zarten Finger
ineinander und löste sie wieder. Sie sah auf ihre Hände, als gehörten sie zu
jemand anderem, während sie sprach.
„Naja, abgesehen von den offensichtlichen Dingen,“ murmelte sie.
„Manchmal… ich kann es nicht mit Sicherheit sagen – ich weiß nicht, wie man
Gedanken liest – aber manchmal ist es so als würdest du dich verabschieden
obwohl du etwas ganz anderes sagst.“ Sie schaute nicht auf.
Das hatte sie also bemerkt. Hatte sie auch bemerkt dass es nur Schwäche
und Egoismus waren die mich hier hielten? Dachte sie deswegen schlecht von
mir?
„Gut erkannt,“ hauchte ich und dann sah ich mit Entsetzen ihren
schmerzerfüllten Gesichtsausdruck. Ich beeilte mich ihre Annahme zu
wiederlegen. „Aber genau deshalb liegst du falsch. Allerdings…“ Fing ich an und
hielt dann inne, während ich mich an die ersten Worte ihrer Erklärung erinnerte.
Sie störten mich, obwohl ich mir nicht sicher war, dass ich sie richtig verstanden
hatte. „Was meinst du mit den ‚offensichtlichen Dingen‘?“
„Naja, sie mich doch mal an,“ sagte sie.
Ich sah sie an. Alles was ich die ganze Zeit tat, war sie anzusehen. Was
meinte sie?
„Ich bin vollkommen durchschnittlich,“ erklärte sie. „Naja, abgesehen von
den schlechten Dingen wie die ganzen Nahtoderfahrungen und die
Ungeschicklichkeit. Und dann sieh dich an.“ Sie fächerte durch die Luft in meine
Richtung, als ob sie über etwas redete, dass so offensichtlich war, dass man es
nicht aussprechen müsste.
Sie dachte sie wäre durchschnittlich? Sie dachte dass ich irgendwie besser
wäre als sie? In wessen Vorstellung? Dumme, kleingeistige, blinde menschliche
wie die von Jessica oder Ms. Cope? Wie konnte sie nicht merken, dass sie die
schönste… die herrlichste… Diese Worte waren nicht annähernd gut genug.
Sie hatte keine Ahnung.
„Du siehst dich selbst nicht gerade klar, weißt du,“ erkläre ich ihr. „Ich
gebe zu, dass du recht hast, was die schlechten Eigenschaften angeht…“ ich
lachte humorlos. Ich fand das böse Schicksal das sie verfolgte nicht amüsant. Die
Ungeschicklichkeit jedoch war irgendwie witzig. Liebenswert. Würde sie mir
glauben, wenn ich ihr sagte, dass sie sowohl äußerlich als auch innerlich schön
war? Vielleicht fand sie Untermauerungen überzeugender. „Aber du hast nicht
gehört was jedes männliche Wesen hier an deinem ersten Tag gedacht hat.“
Ah, die Hoffnung, die Aufregung, die Begierde dieser Gedanken. Wie
schnell sie zu unmöglichen Fantasien geworden waren. Unmöglich weil sie keinen
von ihnen wollte.
Ich war derjenige zu dem sie Ja gesagt hatte.
Mein Lächeln muss selbstgefällig gewesen sein.
Ihr Gesicht war Ausdruckslos vor Überraschung. „Das glaube ich nicht,“
murmelte sie.
„Vertrau mir nur dieses eine Mal – du bist das Gegenteil von
durchschnittlich.“
Ihre Existenz war Grund genug die Schöpfung der Welt zu rechtfertigen.
Sie war Komplimente nicht gewöhnt, das konnte ich sehen. Wieder etwas
an das sie sich würde gewöhnen müssen. Sie errötete und wechselte das Thema.
„Aber ich verabschiede mich nicht.“
„Verstehst du denn nicht? Das beweist doch dass ich recht habe. Ich
empfinde viel mehr für dich, denn wenn ich das tun kann…“ Würde ich je
selbstlos genug sein um das Richtige zu tun? Ich schüttelte verzweifelt meinen
Kopf. Ich würde die Kraft aufbringen müssen. Sie verdiente ein Leben. Nicht das
was Alice für sie kommen sah. „Wenn es das richtige ist, zu gehen…“ Und es
musste das Richtige sein, oder nicht? Es gab keinen unbekümmerten Engel. Bella
gehörte nicht zu mir. „Dann würde ich mir selbst Schmerzen zufügen um dir
keine zu bereiten, damit du sicher bist.“
Als ich die Worte aussprach wünschte ich mir dass sie wahr wären.
Sie warf mir einen wütenden Blick zu. Irgendwie hatten meine Worte sie
verärgert. „Und du glaubst nicht, dass ich das selbe tun würde?“ fragte sie
zornig.
So wütend – so zart und so zerbrechlich. Wie könnte sie jemanden
verletzen? „Du würdest diese Wahl nie treffen müssen,“ erklärte ich ihr, erneut
deprimiert von dem großen Unterschied zwischen uns.
Sie starrte mich wieder an und Überzeugung ersetzte den Ärger in ihren
Augen und betonte die Falte zwischen ihnen.
Da musste wirklich etwas absolut falsch sein im Universum wenn jemand
so Gutes und so Zerbrechliches keinen Schutzengel verdiente, der sie vor Unheil
bewahrte.
Naja, dachte ich mit schwarzem Humor, immerhin hat sie einen Schutz-
Vampir.
Ich lächelte. Wie sehr ich meine Ausrede zu bleiben liebte. „Natürlich ist
dich zu schützen ein Full-Time-Job, der meine ständige Anwesenheit erfordert.“
Sie lächelte auch. „Heute hat noch keiner versucht mich umzubringen,“
sagte sie leichthin und dann sah ihr Gesicht für eine halbe Sekunde wieder
nachdenklich aus bevor ihre Augen wieder unklar wurden.
„Noch,“ fügte ich trocken hinzu.
„Noch,“ stimmte sie zu meiner Überraschung zu. Ich hätte gedacht, dass
sie es ablehnen würde, Schutz zu benötigen.
Wie konnte er nur? Dieser Egoistische Esel! Wie konnte er uns das antun?
Rosalies stechender mentaler Aufschrei brach durch meine Konzentration.
„Beruhig dich, Rose,“ hörte ich Emmett am anderen Ende der Cafeteria
flüstern. Sein Arm lag auf ihren Schultern und presste sie fest an seiner Seite –
hielt sie zurück.
Tut mir leid Edward, dachte Alice schuldbewusst. Sie konnte sich denken,
dass Bella zu viel wusste wegen eurer Unterhaltung… und, naja, es wäre
schlimmer gewesen, wenn ich ihr nicht sofort die Wahrheit gesagt hätte. Das
kannst du mir glauben.
Ich zuckte zusammen bei der Vision die folgte, was passiert wäre, wenn ich
Rosalie zu Hause erzählt hätte, dass Bella wusste, dass ich ein Vampir war, wo
Rosalie die Fassade nicht aufrecht erhalten musste. Ich würde meinen Aston
Martin außerhalb der Staatsgrenze verstecken müssen, wenn Rosalie sich nicht
beruhigt hatte, bis die Schule vorbei war. Die Vorstellung von meinem
Lieblingsauto, zerquetscht und brennend, war niederschmetternd – trotzdem
wusste ich, dass ich die Strafe verdiente.
Jasper war nicht viel glücklicher.
Ich würde mich später um die anderen kümmern. Ich hatte nur begrenzte
Zeit um mit Bella allein zu sein und die wollte ich nicht verschwenden. Und Alice
zu hören hatte mich daran erinnert, dass ich noch etwas zu klären hatte.
„Ich hab noch eine Frage an dich,“ sagte ich und blendete Rosalies
mentalen Hysterie Anfall aus.
„Schieß los,“ sagte Bella lächelnd.
„Musst du dieses Wochenende wirklich nach Seattle oder war das nur eine
Ausrede um deinen ganzen Verehrern zu entkommen?“
Sie schnitt mir eine Grimasse. „Du weißt, dass ich dir die Sache mit Tyler
noch nicht verziehen habe. Es ist deine Schuld, dass er denkt ich würde mit ihm
zum Abschlussball gehen.“
„Oh, er hätte auch ohne mich eine Möglichkeit gefunden dich zu fragen –
ich wollte einfach nur dein Gesicht sehen.“
Ich lachte bei der Erinnerung an ihren entgeisterten Ausdruck. Keine von
den dunklen Wahrheiten die ich ihr über mich preisgegeben habe, hat sie je so
entsetzt gucken lassen. Die Wahrheit machte ihr keine Angst. Sie wollte mit mir
zusammen sein. Verblüffend.
„Wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mich auch zurückgewiesen?“
„Vermutlich nicht,“ sagte sie. „Aber ich hätte dir später abgesagt – hätte
eine Krankheit oder einen gebrochenen Knöchel vorgetäuscht.“
Wie seltsam. „Warum solltest du so etwas tun?“
Sie schüttelte ihren Kopf als wenn sie enttäuscht wäre, dass ich es nicht
sofort verstand. „Du hast mich noch nie in Sport gesehen, vermute ich, aber ich
hätte gedacht, dass du es trotzdem verstehen würdest.“
Ah. „Beziehst du dich auf die Tatsache, dass du nicht über eine glatte,
ebene Fläche laufen kannst ohne etwas zu finden worüber du stolpern kannst?“
„Offensichtlich.“
„Das wäre kein Problem. Es kommt nur auf die Führung an.“
Für den Bruchteil einer Sekunde war ich überwältigt von der Vorstellung sie
beim Tanzen in meinen Armen zu halten – wo sie mit Sicherheit etwas Schöneres
und Ansprechenderes tragen würde, als diesen hässlichen Pullover.
Mit absoluter Klarheit erinnerte ich mich daran wie sich ihr Körper unter
mir angefühlt hatte, als ich sie vor dem heran rutschenden Van gerettet hatte.
Noch stärker als an die Panik, oder die Verzweiflung oder den Ärger, erinnerte ich
mich an dieses Gefühl. Sie war so warm und weich gewesen und hatte sich so
leicht an meinen steinernen Körper angepasst…
Ich riss mich von dieser Erinnerung los.
„Aber du hast mir noch nicht gesagt…“ sagte ich schnell um sie davon
abzuhalten mit mir über ihre Ungeschicklichkeit zu diskutieren, was sie scheinbar
vor hatte. „Musst du unbedingt nach Seattle oder können wir auch was anderes
machen?“
Unaufrichtig – ihr die Wahl überlassen ohne ihr die Möglichkeit
einzuräumen den Tag ohne mich zu verbringen. Das war nicht wirklich fair von
mir. Aber ich hatte ihr letzte Nacht etwas versprochen… und mir gefiel die Idee
diesen Versprechen zu halten – fast so sehr wie diese Idee mich ängstigte.
Die Sonne würde am Samstag scheinen. Ich könnte ihr mein wahres Ich
zeigen, wenn ich stark genug wäre ihr Entsetzen und ihren Ekel zu ertragen. Ich
kannte den perfekten Ort um ein solches Risiko einzugehen.
„Ich bin offen für Vorschläge,“ sagte Bella. „Aber ich muss dich um einen
Gefallen bitten.“
Ein eingeschränktes Ja. Was könnte sie von mir wollen?
„Was?“
„Kann ich fahren?“
War das ihre Vorstellung von Humor? „Warum?“
„Naja, hauptsächlich weil, als ich Charlie erzählt habe, dass ich nach
Seattle fahre, hat er mich explizit gefragt ob ich alleine fahre und zu dem
Zeitpunkt war das noch so. Wenn er noch mal fragt, würde ich vermutlich nicht
lügen, aber ich denke nicht, dass er noch mal fragen wird und wenn ich den
Truck zu Hause lasse würde es das Thema unnötigerweise zur Sprache bringen.
Und außerdem macht mir dein Fahrstil angst.“
Ich verdrehte meine Augen. „Bei all den Dingen die dir an mir Angst
einjagen könnten, machst du dir Sorgen um meinen Fahrstil.“ Ihr Gehirn
funktionierte auf jeden Fall verkehrtherum. Ich schüttelte empört meinen Kopf.
Edward, rief Alice drängend.
Plötzlich starrte ich auf einen hellen Kreis aus Sonnenlicht, der in einer von
Alices Visionen erschienen war.
Es war ein Ort den ich sehr gut kannte, der Ort an den ich Bella mit hin
nehmen wollte – eine kleine Lichtung wo niemand außer mir je hinging. Ein
ruhiger, schöner Ort an dem ich mich darauf verlassen konnte, allein zu sein –
weit genug weg von jedem Pfad oder menschlichen Lebens, dass sogar mein
Geist Ruhe und Frieden hatte.
Alice erinnerte sich auch an diesen Ort, denn sie hatte mich dort vor nicht
allzu langer zeit in einer anderen Vision gesehen – eine dieser flackernden
unsteten Visionen die Alice mir an dem Morgen gezeigt hatte, als ich Bella vor
dem Van gerettet hatte.
In dieser flackernden Vision war ich nicht allein gewesen. Und jetzt war sie
klar – Bella war mit mir dort. Also war ich mutig genug. Sie starrte mich an,
Regenbogen tanzten auf ihrem Gesicht, ihre Augen waren unergründlich.
Es ist derselbe Ort, dachte Alice voller Entsetzen, das nicht zu der Vision
passte. Anspannung vielleicht aber Entsetzen? Was meinte sie mit derselbe Ort?
Und dann sah ich es.
Edward! Alice protestierte schrill. Ich liebe sie, Edward!
Ich blendete sie verärgert aus.
Sie liebte Bella nicht so wie ich sie liebte. Ihre Vision war unmöglich.
Falsch. Sie war irgendwie geblendet, sah unmögliche Dinge.
Nicht mal eine halbe Sekunde war vergangen. Bella sah mich neugierig an
und wartete darauf, dass ich ihrer Bitte nachgab. Hatte sie den kurzen Anflug von
Widerwillen gesehen oder ging es zu schnell für sie?
Ich konzentrierte mich auf sie und unsere Unterhaltung und verbannte
Alice und ihre fehlerhaften, lügenden Visionen aus meinen Gedanken. Sie
verdienten meine Aufmerksamkeit nicht.
Trotzdem war ich nicht in der Lage den spielerischen Ton unserer
Unterhaltung aufrechtzuerhalten.
„Willst du deinem Vater nicht erzählen, dass du den Tag mit mir
verbringst?“ fragte ich mit einem düsteren Unterton in der Stimme.
Ich kämpfte gegen die Vision und versuchte sie noch weiter weg zu
schieben um sie davon abzuhalten durch meinen Kopf zu flackern.
„Mit Charlie ist weniger meistens mehr,“ sagte Bella voller Überzeugung.
„Wo gehen wir denn überhaupt hin?“
Alice hatte unrecht. Vollkommen unrecht. Es war einfach nicht möglich
dass das passieren würde. Außerdem war es eine alte Vision, gebrechlich. Die
Dinge hatten sich geändert.
„Das Wetter wird schön sein,“ erkläre ich ihr langsam und bekämpfte die
Angst und die Unsicherheit. Alice hatte unrecht. Ich würde so tun als ob ich nichts
gehört und gesehen hätte. „Also werde ich mich aus der Öffentlichkeit fern
halten… und du kannst bei mir bleiben wenn du möchtest.“
Bella verstand sofort was ich meinte; ihre Augen strahlten erwartungsvoll.
„Und dann zeigst du mir was du meintest wegen der Sonne?“
Vielleicht, wie schon so viele Male zuvor, würde ihre Reaktion das genaue
Gegenteil sein von dem was ich vermutete. Ich lächelte bei dieser Vorstellung
und bemühte mich zu den schöneren Gedanken zurück zu kommen. „Ja. Aber…“
Sie hatte noch nicht Ja gesagt. „Wenn du nicht… mit mir allein sein möchtest,
wäre es mir dennoch lieber, wenn du nicht allein nach Seattle gehen würdest. Ich
fühle mich nicht wohl bei der Vorstellung, was dir in einer Stadt dieser Größe
alles passieren könnte.“
Sie presste ihre Lippen aufeinander; sie war beleidigt.
„Phoenix ist dreimal so groß wie Seattle – allein schon von der Bevölkerung
her. Die eigentliche Größe…“
„Aber scheinbar waren deine Tage noch nicht gezählt in Phoenix,“ sagte
ich und unterbrach ihre Rechtfertigungen. „Also wäre es mir lieber, wenn du bei
mir wärst.“
Sie könnte für immer bleiben und es wäre nicht lange genug.
So sollte ich nicht denken. Wir hatten kein Für Immer. Die vergehenden
Sekunden zählten mehr als je zuvor; jede Sekunde veränderte sie während ich
unberührt blieb.
„Wenn das so ist, habe ich nichts dagegen mit dir allein zu sein,“ sagte sie.
Nein – weil ihre Instinkte verkehrtherum waren.
„Ich weiß,“ seufzte ich. „dennoch könntest du es Charlie erzählen.“
„Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“ fragte sie und klang
entsetzt.
Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, die Visionen die ich nicht gerade
erfolgreich zu unterdrücken versuchte schwirrten durch meinen Kopf.
„Um mir einen Grund zu geben, dich zurück zu bringen,“ zischte ich. So
viel musste sie mir zugestehen – einen Zeugen der mich dazu zwang, vorsichtig
zu sein.
Warum hatte Alice mir dieses Wissen aufgezwungen?
Bella schluckte laut und starrte mich lange an. Was sah sie?
„Ich denke ich lasse es darauf ankommen,“ sagte sie.
Ugh! War es ein besonderer Kick für sie ihr Leben zu riskieren? Ein
Adrenalinstoß den sie herbeisehnte?
Ich schielte zu Alice die meinen Blick warnend erwiderte. Neben ihr starrte
Rosalie finster vor sich hin, aber das hätte mich nicht weniger kümmern können.
Sollte sie doch den Wagen zerstören. Es war bloß ein Spielzeug.
„Lass uns über etwas anderes reden,“ schlug Bella vor.
Ich sah sie wieder an und wunderte mich wie sie so Blind sein konnte
gegenüber den Dingen auf die es wirklich ankam. Warum konnte sie nicht das
Monster sehen, das ich war?
„Worüber möchtest du denn reden?“
Sie blickte erst nach links und dann nach rechts als ob sie sich davon
überzeugen wollte, dass uns niemand zuhörte. Sie wollte anscheinend ein
weiteres Mythenbehaftetes Thema ansprechen. Ihre Augen erstarrten kurz und
ihr Körper versteifte sich, dann wandte sie ihren Blick wieder mir zu.
„Warum seid ihr letztes Wochenende zu den Goat Rocks gefahren… um zu
jagen? Charlie sagte es wäre kein guter Platz zum campen, wegen den Bären.“
So blind. Ich erwiderte ihren Blick und hob eine Augenbraue.
„Bären?“ japste sie.
Ich lächelte ironisch während ich beobachtete wie sie diese Information
sacken ließ. Würde sie das dazu veranlassen mich endlich ernst zu neben? Würde
irgendetwas sie dazu veranlassen?
Sie riss sich wieder zusammen. „Du weißt, dass keine Bärensaison ist,“
sagte sie streng und verengte ihre Augen.
„Wenn du richtig lesen würdest, wüsstest du, dass das nur die Jagd mit
Waffen betrifft.“
Sie verlor für einen kurzen Moment die Kontrolle über ihr Gesicht. Ihr Mund
klappte auf.
„Bären?“ sagte sie wieder, eine zaghafte Frage diesmal, kein
erschrockenes Japsen.
„Grizzlybären mag Emmett am liebsten.“
Wieder beobachtete ich wie sie diese Information schluckte.
„Hmm,“ murmelte sie. Sie nahm einen weitern Bissen Pizza und senkte
den Blick. Sie kaute bedächtig und nahm einen Schluck Limonade.
„Also,“ sagte sie und schaute wieder auf. „Was magst du am liebsten?“
Ich vermute ich hätte mit sowas in der Art rechnen müssen, aber das hatte
ich nicht. Bella war letztendlich doch immer überraschend.
„Puma,“ antwortete ich schroff.
„Ah,“ sagte sie in neutralem Tonfall. Ihr Herzschlag war normal und
gleichmäßig, als ob wir uns über ein Lieblingsrestaurant unterhalten würden.
Na gut. Wenn sie so tun wollte, als wäre das nichts Ungewöhnliches…
„Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir die Umwelt nicht schädigen
indem wir unüberlegt jagen.“ Erklärte ich ihr, meine Stimme abgeklärt und
nüchtern. „Wir konzentrieren uns auf Gebiete mit einer Überpopulation von
Raubtieren – so weiträumig wie möglich. Hier gibt es immer genug Rehe und
Hirsche, aber wo bleibt da der Spaß?“
Sie hörte mir mit höflichem, interessiertem Gesichtsausdruck zu, als wenn
ich ein Lehrer wär, der einen Vortrag hielt. Ich musste lächeln.
„Oh natürlich,“ murmelte sie lässig und nahm wieder ein bisschen Pizza.
„Anfang Frühling ist Emmetts Lieblings Bärensaison,“ sagte ich und fuhr
mit meinem Vortrag fort. „Sie wachen dann gerade erst aus ihrem Winterschlaf
auf und sind dann sehr leicht reizbar.“
Siebzig Jahre später und er war immer noch nicht darüber hinweg
gekommen diesen ersten Kampf verloren zu haben.
„Es gibt doch nichts schöneres als einen wütenden Grizzlybären,“ stimmte
Bella zu und nickte feierlich.
Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken als ich den Kopf schüttelte über
ihre unlogische Ruhe. Es musste zur Sprache gebracht werden. „Sag mir bitte,
was du wirklich denkst.“
„Ich versuche es mir vorzustellen – aber ich kann es nicht,” sagte sie und
die Falte zwischen ihren Augen tauchte wieder auf. „Wie jagt man denn einen
Bären ohne Waffen?“
„Oh, wir haben Waffen,“ erklärte ich ihr und schenkte ihr ein sehr breites
Lächeln. Ich rechnete damit, dass sie zurückschrecken würde, aber sie war sehr
ruhig und beobachtete mich. „Nur nicht solche, wie sie sie in den Jagdgesetzen
beschreiben. Wenn du jemals im Fernsehen gesehen hast, wie ein Bär angreift,
solltest du dir Emmett beim jagen vorstellen können.“
Sie warf einen Blick zu dem Tisch hinüber an dem die anderen saßen und
schauderte.
Endlich. Und dann lachte ich über mich selbst, denn ein Teil von mir
wünschte sich sie würde so blind bleiben.
Ihre dunklen Augen waren nun groß und tief als sie mich ansah. „Bist du
auch wie ein Bär?“ fragte sie fast flüsternd.
„Mehr wie ein Puma, das sagen jedenfalls die anderen,“ erklärte ich ihr
und versuchte wieder abgeklärt zu klingen. „Vielleicht sind unsere Vorlieben
bezeichnend.“
Ihre Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Vielleicht,“ wiederholte sie. Und
dann legte sie den Kopf zur Seite und die Neugierde stand ihr ins Gesicht
geschrieben. „Werde ich das irgendwann mal sehen können?“
Ich brauchte keine Bilder von Alice um mir ausmalen zu können wie
schrecklich das wäre – meine Vorstellungskraft war gut genug.
„Auf keinen Fall,“ schnaubte ich.
Sie zuckte vor mir zurück, ihre Augen verwirrt und verängstigt.
Ich lehnte mich ebenfalls zurück, wollte etwas Raum zwischen uns bringen.
Das würde sie niemals sehen, oder? Sie würde nichts tun, was mir helfen könnte
sie am Leben zu lassen.
„Zu beängstigend für mich?“ fragte sie mit gleichmäßiger Stimme. Ihr Herz
schlug immer noch doppelt so schnell.
„Wenn es das wäre, würde ich dich sofort mitnehmen,“ gab ich durch
meine zusammengepressten Zähen zurück. „Du könntest eine gesunde Portion
Angst gut vertragen. Nichts könnte heilsamer für dich sein.“
„Warum dann?“ verlangte sie ungehindert.
Ich starrte sie düster an und wartete darauf, dass sie angst bekommen
würde. Ich hatte Angst. Ich konnte es mir nur zu gut vorstellen wie es wäre Bella
bei der Jagd bei mir zu haben…
Ihre Augen blieben neugierig, ungeduldig, nichts weiter. Sie gab nicht auf
und wartete auf ihre Antwort.
Aber unsere Stunde war um.
„Später,“ schnappte ich und erhob mich. „Wir kommen sonst zu spät.“
Sie sah sich verwirrt um, als wenn sie vergessen hätte, dass wir beim
Mittagessen saßen. Als ob sie sogar vergessen hätte, dass wir in der Schule
waren – überrascht, dass wir nicht irgendwo allein waren. Ich verstand dieses
Gefühl nur zu gut. Es war schwer den Rest der Welt wahrzunehmen, wenn ich mit
ihr zusammen war.
Sie stand schnell auf und warf ihre Tasche über die Schulter.
„Dann also später,“ sagte sie und ich konnte die Entschlossenheit in ihrem
Gesicht sehen. Sie würde mich darauf festnageln.
12.Komplikationen

Bella und ich gingen schweigend zu Biologie. Ich versuchte mich auf den Moment
zu konzentrieren, auf das Mädchen neben mir, auf alles was real und solide war,
auf alles, was Alices hinterlistige, unbedeutende Visionen aus meinen Kopf
vertreiben konnte.
Wir gingen an Angela Weber vorbei die auf dem Gehweg mit einem Jungen
aus ihrem Mathekurs sprach. Ich überflog flüchtig ihre Gedanken und erwartete
eine weitere Enttäuschung nur um von ihrem sehnsüchtigen Ton überrascht zu
werden.
Ah, also gab es doch etwas, das Angela wollte. Unglücklicherweise war es
nichts dass einfach so in Geschenkpapier eingepackt werden konnte.
Ich fühlte mich auf einmal seltsam wohl, als ich Angelas hoffnungsloses
Verlangen hörte. Ein Anflug von Seelenverwandtschaft, von dem Angela nie
etwas erfahren würde, durchfuhr mich und ich war für diese Sekunde eins mit
dem freundlichen Menschenmädchen.
Es war seltsam tröstend zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der eine
tragische Liebesgeschichte durchlebte. Herzschmerz war überall.
In der nächsten Sekunde war ich plötzlich verärgert. Denn Angelas
Geschichte musste nicht tragisch sein. Sie war ein Mensch und er war ein Mensch
und der Unterschied, der in ihrem Kopf so unüberbrückbar schien, war lächerlich
im Vergleich zu meiner Situation. Es gab keinen Grund für ihr gebrochenes Herz.
Was für eine verschwendete Trauer, wenn es keinen einleuchtenden Grund dafür
gab, dass sie nicht mit dem zusammen war, den sie wollte. Warum sollte sie nicht
haben können was sie wollte? Warum sollte diese eine Geschichte kein Happy
End haben?
Ich wollte ihr ein Geschenk machen… Also würde ich ihr geben, was sie
wollte. Da ich wusste, wie ich auf Menschen wirkte, sollte das nicht allzu schwer
werden. Ich streifte das Bewusstsein des Jungen neben ihr, dem Objekt ihrer
Begierde, und er schien nicht uninteressiert zu sein, er stand nur vor dem
gleichen Hindernis wie sie. Hoffnungslos ergeben, so wie sie war.
Alles was ich tun musste, war eine Andeutung machen…
Der Plan schmiedete sich leicht, das Drehbuch schrieb sich von selbst ohne
dass ich groß etwas dazu beitragen musste. Ich würde Emmetts Hilfe benötigen –
ihn dazu zu bringen war die einzige Schwierigkeit. Die Menschliche Natur war so
einfach zu manipulieren im Gegensatz zu der eines Vampirs.
Ich war zufrieden mit meiner Lösung, mit meinem Geschenk für Angela. Es
war eine nette Ablenkung von meinen eigenen Problemen. Würden meine doch
auch so leicht zu regeln sein.
Meine Laune hatte sich leicht verbessert als Bella und ich uns auf unsere
Plätze setzten. Vielleicht sollte ich etwas positiver denken. Vielleicht gab es
irgendwo da draußen auch eine Lösung für uns die sich meinem Blick entzog so
wie Angelas offensichtliche Lösung für sie nicht zu sehen war. Wahrscheinlich
nicht... Aber warum Zeit mit Hoffnungslosigkeit verschwenden? Ich hatte keine
Zeit zum Verschwenden wenn es um Bella ging. Jede Sekunde zählte.
Mr. Banner betrat den Raum und schob einen alten Fernseher und einen
Videorekorder vor sich her. Er behandelte ein Thema, dass ihn nicht besonders
interessierte – genetische Fehlfunktionen – indem er die nächsten drei
Unterrichtsstunden eine Film zeigte. Lorenzos Öl war kein besonders heiterer
Film, aber das störte die Freude im Klassenzimmer nicht im Geringsten. Keine
Notizen, kein Klausurrelevantes Thema. Drei freie Tage. Die Menschen jubelten.
So oder so war es mir egal. Ich hatte sowieso nicht vorgehabt meine
Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes als Bella zu richten.
Heute schob ich meinen Stuhl nicht von ihr weg um mir Platz zum atmen
zu lassen. Stattdessen setzte ich mich so nah neben sie wie jeder normale
Mensch es tun würde. Näher als wir im Auto nebeneinander gesessen hatten, nah
genug, dass die linke Seite meines Körpers in die Hitze ihrer Haut getaucht
wurde.
Es war eine seltsame Erfahrung, sowohl angenehm als auch
nervenaufreibend, aber es war mir lieber als ihr gegenüber zu sitzen. Es war
mehr als ich gewöhnt war aber ich merkte schnell, dass es noch nicht genug war.
Ich war nicht zufrieden. Ihr so nah zu sein, bewirkte lediglich dass ich ihr noch
näher sein wollte. Die Anziehungskraft wurde stärker je näher ich kam.
Ich hatte sie beschuldigt ein Magnet für Gefahren zu sein. In diesem
Moment fühlte es sich so an wäre das die buchstäbliche Wahrheit. Ich war eine
Gefahr und mit jedem Millimeter den ich mir erlaubte ihr näher zu kommen
wurde ihre Anziehungskraft stärker.
Und dann lösche Mr. Banner das Licht.
Es war seltsam was für einen großen Unterschied das machte, wenn man
bedachte, dass meinen Augen die Dunkelheit nichts ausmachte. Ich konnte
genau so gut sehen wie vorher. Jedes Detail des Raumes war klar zu sehen.
Also warum diese plötzliche Elektrizität in der Luft, in der Dunkelheit die für
mich nicht dunkel war? Lag es daran, dass ich wusste dass ich der einzige war
der klar sehen konnte? Dass wir beide, Bella und ich, unsichtbar für die anderen
waren? Als wären wir allein in diesem Raum, nur wir beide, versteckt in diesem
dunklen Raum, so nah beieinander…
Meine Hand bewegte sich ohne mein Zutun auf sie zu. Nur um ihre Hand zu
berühren, sie in der Dunkelheit zu halten. Wäre das ein so schrecklicher Fehler?
Wenn meine Haut sie störte, musste sie ihre Hand nur zurückziehen…
Ich riss meine Hand zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und ballte
die Hände zu Fäusten zusammen. Keine Fehler. Ich hatte mir versprochen keine
Fehler zu machen, egal wie klein sie auch sein mögen. Wenn ich ihre Hand halten
würde – würde ich nur noch mehr wollen – eine weitere unbedeutende
Berührung, ein weiteres Stück näher zu ihr rücken. Ich konnte es fühlen. Eine
neue Art von Verlangen wuchs in mir und versuchte meine Selbstkontrolle
auszuschalten.
Keine Fehler.
Bella kreuzte ebenfalls ihre Arme vor der Brust und ballte ihre Hände zu
Fäusten wie meine.
Was denkst du? Ich sehnte mich danach ihr diese Frage zu stellen, aber
der Raum war zu ruhig um mit einer geflüsterten Unterhaltung davon zu
kommen.
Der Film begann und erhellte die Dunkelheit ein kleinwenig. Bella schielte
zu mir herüber und bemerkte meine steife Körperhaltung – genau wie die Ihre –
und lächelte. Sie öffnete leicht ihre Lippen und ihre Augen strahlten warm und
einladend.
Oder vielleicht sah ich auch nur, was ich sehen wollte.
Ich lächelte zurück; sie schnappte kurz nach Luft und sah dann schnell
weg.
Das machte es noch schlimmer. Ich kannte ihre Gedanken nicht aber ich
war mir plötzlich sicher, dass ich heute Morgen recht gehabt hatte und sie wollte
dass ich sie berühre. Sie spürte dieses gefährliche Verlangen genauso sehr wie
ich.
Die elektrische Spannung summte zwischen unseren Körpern.
Sie bewegte sich die ganze Stunde keinen Millimeter und behielt ihre
steife, kontrollierte Position bei wie ich mein. Gelegentlich blinzelte sie zu mir
herüber und jedesmal durchfuhr mich schlagartig der summende Strom.
Die Stunde verging – langsam aber immer noch nicht langsam genug. Das
war so neu, ich hätte tagelang so mit ihr dasitzen können, nur um dieses Gefühl
zu erforschen.
Ich hatte tausende kleiner Auseinandersetzungen mit mir selbst während
die Minuten vergingen, Vernunft kämpfte gegen Verlangen, während ich
versuchte eine Berührung zu rechtfertigen.
Schließlich schaltete Mr. Banner das Licht wieder ein.
In dem grellen Licht wurde die Atmosphäre in dem Raum wieder normal.
Bella seufzte, streckte sich und bog ihre Finger durch. Es musste unangenehm für
sie gewesen sein, diese Position so lange beizubehalten. Für mich war es leichter
– Reglosigkeit war ganz natürlich.
Ich schmunzelte über ihren Erleichterten Gesichtsausdruck. „Das war
interessant.“
„Mmm,“ murmelte sie und verstand genau was ich meinte, sagte aber
nichts weiter. Was würde ich dafür geben, zu wissen, was sie jetzt dachte.
Ich seufzte. Wie oft ich es mir auch wünschte, es half nichts.
„Sollen wir?“ fragte ich.
Sie verzog das Gesicht und erhob sich ungeschickt, ihre Hände
ausgestreckt als hätte sie Angst jeden Moment zu fallen.
Ich könnte ihr meine Hand anbieten. Oder ich könnte meine Hand unter
ihren Ellenbogen legen – ganz leicht nur – um sie zu stützen. Das wäre sicher
nicht allzu schlimm…
Keine Fehler.
Sie war sehr still während wir zur Sporthalle gingen. Die Falte zwischen
ihren Augen war ein Beweis, ein Zeichen dafür, dass sie tief in Gedanken war.
Auch ich war nachdenklich.
Eine leichte Berührung ihrer Haut würde sie nicht verletzen, argumentierte
meine Egoistische Seite.
Ich konnte den Druck meiner Berührung kontrollieren. Es war nicht
besonders schwer wenn ich mich zusammen riss. Mein Taktgefühl war besser
entwickelt als das eines Menschen; ich konnte mit einem dutzend Kristallgläser
jonglieren ohne eins zu zerbrechen; Ich konnte eine Seifenblase berühren ohne
dass sie zerplatze. So lange ich mich unter Kontrolle hatte…
Bella war wie eine Seifenblase – zerbrechlich und kurzlebig. Befristet.
Wie lang könnte ich meine Anwesenheit in ihrem Leben rechtfertigen? Wie
viel Zeit hatte ich? Hätte ich eine weitere Chance wie diese, wie diesen Moment,
wie diese Sekunde? Sie würde nicht für immer in meiner Reichweite sein…
Bella drehte sich vor der Eingangstür zur Sporthallte zu mir um und ihrer
Augen weiteten sich als sie den Ausdruck in meinem Gesicht sah. Sie sprach
nicht. Ich sah mich selbst in dem Spiegel ihrer Augen, sah den Kampf in meinen
eigenen wüten. Ich sah wie sich mein Gesicht änderte als meine bessere Hälfte
den Kampf verlor.
Meine Hand hob sich ohne mein Zutun. So sanft als wäre sie aus
hauchdünnem Glas, als wäre sie eine Seifenblase, strichen meine Finger über die
warme Haut die ihre Wangenknochen bedeckte. Sie wurde noch wärmer unter
meiner Berührung und ich konnte das Pulsieren ihres Blutes unter ihrer
transparenten Haut spüren.
Genug, befahl ich mir, obwohl meine Hand danach verlangte ihr Gesicht zu
streicheln. Genug.
Es war schwer meine Hand zurück zu ziehen, mich davon abzuhalten ihr
noch nähre zu kommen als ich bereits war. Tausende von Möglichkeiten rasten
auf einmal durch meinen Kopf – tausend unterschiedliche Möglichkeiten sie zu
berühren. Meine Fingerspitzen über die Konturen ihrer Lippen führen. Meine
Handfläche unter ihr Kinn legen. Die Spange aus ihrem Haar ziehen und spüren
wie es sich über meiner Hand ausbreitete. Meine Arme um ihre Taille legen, sie
an meinen Körper heranziehen.
Genug.
Ich zwang mich, mich von ihr abzuwenden und mich von ihr zu entfernen.
Mein Körper bewegte sich steif – widerwillig.
Ich ließ meinen Geist verweilen um zu beobachten wie sie sich hastig
umdrehte, nahezu vor der Versuchung davonrannte. Ich fing Mike Newtons
Gedanken auf – sie waren am lautesten – während er beobachtete, wie Bella
unaufmerksam an ihm vorbeieilte, ihre Augen ausdruckslos und ihre Wangen
gerötet. Er blickte finster drein und plötzlich raste mein Name in Verbindung mit
unzähligen Flüchen durch seinen Kopf; ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
Meine Hand kribbelte. Ich streckte sie und ballte sie dann zu einer Faust
zusammen, aber ich spürte immer noch ein schmerzlos Stechen.
Nein, ich hatte sie nicht verletzt – aber sie zu berühren war dennoch ein
Fehler gewesen.
Es fühlte sich an als würde ich brennen – als hätte sich das Brennen
meines Durstes auf meinen gesamten Körper ausgebreitet.
Wenn ich ihr das nächste Mal nahe war, würde ich mich davon abhalten
können, sie wieder zu berühren? Und wenn ich sie einmal berührte, würde ich
danach aufhören können?
Keine Fehler mehr. Das war‘s. Genieße den Moment, Edward, sagte ich mir
grimmig, und behalte deine Hände bei dir. Das oder ich würde mich dazu
zwingen müssen zu gehen… irgendwie. Denn ich konnte es mir nicht erlauben in
ihrer Nähe zu sein, wenn ich weiterhin Fehler machen würde.
Ich atmete tief durch und versuchte meine Gedanken zu bändigen.
Emmett holte mich vor dem Englisch-Gebäude ein.
„Hey, Edward.“ Er sieht besser aus. Seltsam, aber besser. Glücklich.
„Hey, Em.“ Sah ich glücklich aus? Ich denke, abgesehen von dem Chaos in
meinem Kopf, fühlte ich mich glücklich.
Du solltest in Zukunft besser deine Klappe halten, Junge. Rosalie will dir die
Zunge herausreißen.
Ich seufzte. „Tut mir leid, dass du es ausbaden musstest. Bist du sauer auf
mich?“
„Ach was. Rose wird darüber hinweg kommen. Es musste doch so
kommen.“ Bei dem was Alice kommen sieht…
Im Moment wollte ich nicht an Alices Visionen denken. Ich starrte
geradeaus und presste meine Zähne aufeinander.
Als ich mich nach einer Ablenkung umsah, sah ich wie Ben Cheney den
Spanischraum vor uns betrat. Ah – hier war meine Gelegenheit Angela Weber ihr
Geschenk zu geben.
Ich hielt an und packte Emmett am Arm. „Warte eine Sekunde.“
Was ist los?
„Ich weiß, dass ich es nicht verdiene, aber würdest du mir trotzdem einen
Gefallen tun?“
„Was denn für einen?“ fragte er neugierig.
Leise – und in einer Geschwindigkeit die es einem Menschen unmöglich
machte die Worte zu verstehen, selbst wenn ich sie lauter ausgesprochen hätte –
erklärte ich ihm was ich vorhatte.
Er starrte mich ausdruckslos an, seine Gedanken waren genauso leer wie
sein Gesicht.
„Also?“ drängte ich. „Wirst du mir helfen?“
Er brauchte eine Minute um zu antworten. „Aber, warum?“
„Komm schon, Emmett. Warum nicht?“
Wer bist du und was hast du mit meinem Bruder gemacht?
„Bist du nicht derjenige der sich dauernd beschwert, dass in der Schule
immer dasselbe passiert? Das hier ist doch mal was anderes, oder nicht? Nenn es
ein Experiment – ein Experiment der menschlichen Natur.“
Er schaute mich eine weitere Minute an bevor er nachgab. „Naja, es ist
etwas anderes, das geb ich zu… na gut, okay.“ Emmett schnaubte und zuckte
dann mit den Schultern. „Ich werde dir helfen.“
Ich grinste ihn an und war noch begeisterter von meinem Plan, jetzt da er
dabei war. Rosalie war eine Nervensäge aber ich schuldete ihr etwas dafür, dass
sie Emmett ausgewählt hatte; niemand hatte einen besseren Bruder, als ich.
Emmett brauchte nicht zu üben. Ich flüsterte ihm zu was er sagen sollte,
während wir den Klassenraum betraten.
Ben saß bereits auf seinem Platz hinter mir und suchte seine
Hausaufgaben zusammen um sie einzureichen. Emmett und ich setzen uns und
taten dasselbe. Im Klassenraum war es noch nicht still; das murmeln der
gedämpften Unterhaltungen würde anhalten bis Mrs. Goff um Aufmerksamkeit
bat. Sie hatte keine Eile während sie die Tests der letzten Klasse begutachtete.
„Also,“ sagte Emmett etwas lauter als nötig – wenn er nur mit mir
sprechen würde. „Hast du Angela Weber schon gefragt ob sie mit dir ausgeht?“
Das Geräusch von raschelndem Papier hinter mir hörte abrupt auf als Ben
erstarrte und seine Aufmerksamkeit auf unsere Unterhaltung lenkte.
Angela? Sie reden über Angela?
Gut. Ich hatte sein Interesse geweckt.
„Nein,“ sagte ich und schüttelte langsam meinen Kopf um enttäuscht zu
wirken.
„Warum nicht?“ improvisierte Emmett. „Bist du zu feige?“
Ich schnitt ihm eine Grimasse. „Nein, ich hab gehört, dass sie an jemand
anderem interessiert ist.“
Edward Cullen wollte Angela um ein Date bitten? Aber… Nein, das gefällt
mir nicht. Ich will nicht, dass er in ihrer Nähe ist. Er ist… nicht richtig für sie.
Nicht… sicher.
Ich hätte nicht mit seiner Ritterlichkeit gerechnet, seinem
Beschützerinstinkt. Ich hatte auf Eifersucht spekuliert. Aber so sollte es auch
gehen.
„Davon lasst du dich abhalten?“ fragte Emmett verächtlich und
improvisierte wieder. „Keine Lust auf einen kleinen Konkurrenzkampf?“
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, aber versuchte das Beste aus dem zu
machen, was er mir gab. „Weißt du, ich glaube sie mag diesen Ben wirklich. Ich
werde nicht versuchen sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es gibt auch noch
andere Mädchen.“
Die Reaktion in dem Stuhl hinter mir war elektrisch.
„Wer?“ fragte Emmett und hielt sich wieder an das Drehbuch.
„Mein Laborpartner sagte es wäre irgendein Typ namens Cheney. Ich bin
mir nicht sicher ob ich ihn kenne.“
Ich unterdrückte mein Lächeln. Nur die hochmütigen Cullens konnte es
sich erlauben vorzugeben nicht jeden Schüler an dieser kleinen Schule zu
kennen.
Bens Kopf war wirr vor Schock. Mich? Lieber als Edward Cullen? Aber
warum sollte sie mich mögen?
„Edward,“ murmelte Emmett etwas leiser und deutete mit den Augen auf
den Jungen. „Er sitzt direkt hinter dir,“ formte er so deutlich mit den Lippen, dass
der Mensch die Worte leicht ablesen konnte.
„Oh,“ murmelte ich zurück.
Ich drehte mich um und warf einen kurzen Blick auf den Jungen hinter mir.
Für eine Sekunde waren die schwarzen Augen hinter der Brille verängstigt, aber
dann versteifte er sich und hob seine schmalen Schultern, angegriffen von
meiner eindeutig herablassenden Bewertung. Er reckte sein Kinn und ein Anflug
von Wut verdunkelte seine goldbraune Haut.
„Hah,“ sagte ich arrogant als ich mich wieder zu Emmett umdrehte.
Er denkt, er wäre etwas Besseres als ich. Aber Angela nicht. Ich werd‘s ihm
schon zeigen…
Perfekt.
„Hattest du nicht gesagt, dass sie mit Yorkie zum Ball geht?“ fragte
Emmett und schnaubte als er den Namen des Jungen aussprach den viele wegen
seiner Ungeschicklichkeit verachteten.
„Das war anscheinend sowas wie eine Gruppenentscheidung.“ Ich wollte
dass Ben darüber Bescheid wusste. „Angela ist schüchtern. Wenn B – naja, wenn
ein Junge nicht den Mut aufbringt sie zu fragen ob sie mit ihm ausgehen möchte,
würde sie es auch nie tun.“
„Du magst wohl schüchterne Mädchen,“ sagte Emmett wieder
improvisierend. Stille Mädchen. Mädchen wie… hmm, ich weiß nicht. Vielleicht
Bella Swan?
Ich grinste ihn an. „Genau.“ Dann kam ich wieder zu unserem Auftritt
zurück. „Vielleicht wird Angela irgendwann müde zu warten. Vielleicht frag ich sie
ob sie mit mir zum Abschlussball geht.“
Nein, das wirst du nicht, dachte Ben und setzte sich in seinem Stuhl auf.
Was macht es schon, dass sie so viel größer ist als ich? Wenn es ihr nichts
ausmacht, dann stört es mich auch nicht. Sie ist das netteste, intelligenteste und
schönste Mädchen an der ganzen Schule… und sie mag mich.
Ich mochte diesen Ben. Er schien klug zu sein und es ehrlich zu meinen.
Vielleicht verdiente er sogar ein Mädchen wie Angela.
Ich zeigte Emmett ein Daumen-Hoch-Zeichen unter dem Tisch als Mrs. Goff
die Klasse begrüßte.
Okay, ich geb es zu – es hat irgendwie Spaß gemacht, dachte Emmett.
Ich lächelte zufrieden darüber, dass ich es geschafft hatte einer
Liebesgeschichte zum Happy End zu verhelfen. Ich war zuversichtlich, dass Ben
sein Vorhaben in die Tat umsetzte und Angela ihr Geschenk von mir bekam.
Meine Schulden waren beglichen.
Wie dumm die Menschen doch waren, sich von sechs Inch Unterschied ihr
Glück zerstören zu lassen.
Mein Erfolg versetzte mich in gute Stimmung. Ich lächelte wieder als ich
mich in meinem Stuhl zurücklehnte und mich darauf vorbereitet unterhalten zu
werden. Immerhin, wie Bella beim Mittagessen gesagt hatte, hatte ich sie noch
nie beim Sport gesehen.
Mikes Gedanken waren am leichtesten zu finden in dem Stimmengewirr in
der Sporthalle. Sein Geist war mir nur zu vertraut geworden in den letzten
Wochen. Mit einem Seufzen ließ ich mich dazu herab durch ihn zu hören.
Immerhin konnte ich mir sicher sein, dass er seine Aufmerksamkeit auf Bella
richten würde.
Ich kam gerade rechtzeitig um zu hören, wie er ihr anbot ihr Badminton-
Partner zu sein; als er den Vorschlag machte, ging er in Gedanken noch andere
Partnerschaftliche Aktivitäten mit ihr durch. Mein Lächeln erstarb, meine Zähne
schlugen aufeinander und ich musste mich daran erinnert, dass Mike Newton zu
ermorden keine Option war.
„Danke, Mike – du weißt, dass du das nicht tun musst.“
„Keine Sorge, ich werde Abstand halten.“
Sie grinsten sich an und unzählige kleine Unfälle – alle irgendwie in
Verbindung mit Bella – rasten durch Mikes Kopf.
Mike spielte zuerst alleine, während Bella sich auf dem hinteren Teil des
Spielfeldes herumdrückte und ihren Schläger so behutsam hielt, als wäre er eine
Art Waffe. Dann kam Coach Clapp vorbei und wies Mike an, Bella mitspielen zu
lassen.
Oh oh, dachte Mike als Bella seufzend näher kam und ihren Schläger in
einem seltsamen Winkel hielt.
Jennifer Ford schlug den Federball direkt zu Bella mit einem
selbstgefälligen Ton in ihren Gedanken. Mike sah wie Bella nach ihm schlug und
ihren Schläger meterweit an ihrem Ziel vorbeischwang. Er griff ein und versuchte
den Ball zu retten.
Ich beobachtete die Flugbahn von Bellas Schläger alarmiert. Er traf das
gespannte Netz und sprang zu ihr zurück, traf ihre Stirn und schleuderte herum
um Mikes Arm mit einem schallenden Klatschen zu treffen.
Au. Au. Autsch. Das gibt einen fette blauen Fleck.
Bella knetete ihre Stirn. Es war schwer auf meinem Platz sitzen zu bleiben
wo ich hingehörte, wenn ich sah, dass sie verletzt war. Aber was könnte ich tun
wenn ich da wäre? Außerdem schien es keine schwere Verletzung zu sein… Ich
zögerte weiter zu zusehen. Wenn sie vorhatte weiterhin zu versuchen zu spielen,
würde ich eine Ausrede erfinden müssen um sie aus dem Unterricht zu holen.
Der Coach lachte. „Tut mir leid, Newton.“ Diese Mädchen ist der
schlimmste Fluch den ich je gesehen habe. Man sollte sie den anderen nicht
aufdrängen…
Er drehte sich vorsätzlich um und ging weiter um eine anderes Spiel zu
beobachte, so dass Bella wieder in ihre vorherige Beobachterposition
zurückfallen konnte.
Au, dachte Mike wieder und massierte seinen Arm. Er drehte sich zu Bella
um. „Bist du okay?“
„Ja, und du?“ fragte sie scheu und wurde rot.
„Ich glaub ich werd’s überleben.“ Ich möchte ja nicht wie eine Heulsuse
klingen. Aber, verdammt, das tut weh!
Mike schwang seinen Arm im Kreis und stöhnte.
„Ich werde einfach hier hinten stehen bleiben,“ sagte Bella, eher mit
Scham und Verdruss im Gesicht als Schmerzen. Vielleicht hatte Mike das meiste
abbekommen. Ich hoffte ehrlichgesagt, dass es so war. Immerhin spielte sie nicht
weiter. Sie hielt ihren Schläger vorsichtig hinter ihrem Rücken und ihre Augen
waren geweitete vor Reue… Ich musste mein Lachen als Husten tarnen.
Was ist so lustig? Wollte Emmett wissen.
„Erzähl ich dir später,“ murmelte ich.
Bella griff nicht mehr in das Spiel mit ein. Der Coach ignorierte sie und ließ
Mike alleine spielen.
Ich raste durch den Test am Ende der Stunde und Mrs. Goff ließ mich
früher gehen. Ich achtete genau auf Mike während ich über das Schulgelände lief.
Er hatte sich entschieden, Bella auf mich anzusprechen.
Jessica schwört, dass sie zusammen sind. Warum? Warum musste er
ausgerechnet sie auswählen?
Er schien das wahre Phänomen nicht zu bemerkten – das sie mich
ausgewählt hatte.
„Also.“
„Also, was?“ wunderte sie sich.
„Du und Cullen, huh?“ Du und der Freak. Wenn dir ein reicher Typ so viel
bedeutet…
Ich knirschte mit den Zähnen bei dieser herabsetzenden Annahme.
„Das geht dich nichts an, Mike.“
Verteidigung. Also ist es wahr. Mist. „Das gefällt mir nicht.“
„Das muss es auch nicht,“ schnappte sie.
Warum sieht sie nicht was für eine Zirkusattraktion er ist? Wie sie alle. So
wie er sie anstarrt. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich das
sehe. „Er sieht dich an, als ob… als ob du etwas zu Essen wärst.“
Ich zuckte zusammen und wartete auf ihre Antwort.
Ihr Gesicht wurde knallrot und sie presste ihre Lippen zusammen als würde
sie den Atem anhalten. Dann, plötzlich, prustete sie los.
Jetzt lacht sie mich aus. Großartig.
Mikes Gedanken wurden trotzig und er verschwand in der Umkleidekabine.
Ich lehnte mich an die Mauer der Turnhalle und versuchte mich zu fassen.
Wie konnte sie über Mikes Beobachtung lachen – er hatte so genau ins
Schwarze getroffen, dass ich mir Sorgen zu machen begann, ob Forks zu viel
wusste… Weshalb sollte sie über die Vermutung lachen, dass ich sie töten
könnte, wenn sie wusste, dass es die absolute Wahrheit war? Was war daran
lustig?
Was stimmte nicht mit ihr?
Hatte sie einen mörderischen Sinn für Humor? Das würde nicht zu meiner
Vorstellung ihres Charakters passen, aber wie konnte ich mir sicher sein? Oder
vielleicht war mein Tagtraum über den albernen Engel in so fern wahr, dass sie
gar keine Angst empfinden konnte. Mutig – das war ein Wort dafür. Andere Leute
würden sagen dumm, aber ich wusste wie schlau sie war. Egal was der Grund
dafür war, keine Angst zu empfinden und auch dieser verdrehte Sinn für Humor
waren nicht gut für sie. War es diese seltsame Eigenheit die sie in ständige
Gefahr brachte? Vielleicht würde sie mich für immer hier brauchen…
Bei dem Gedanken hob sich meine Stimmung.
Wenn ich mich zusammenreißen konnte, mich sicher machen konnte, dann
wäre es vielleicht richtig bei ihr zu bleiben.
Als sie durch die Tür der Turnhalle trat, hatte sie ihre Schultern angezogen
und biss sich wieder auf die Unterlippe – an Anzeichen für Besorgnis. Aber sobald
ihr Blick meinen traf, entspannte sie ihre Schultern und ein Lächeln breitete sich
über ihr Gesicht. Es war ein seltsam friedlicher Ausdruck. Sie kam ohne zu zögern
auf mich zu und hielt erst an, als sie so nah war, dass die Hitze ihres Körpers wie
eine Welle auf mich zu schwappte.
„Hi,“ flüsterte sie.
Das Glück, dass ich in dem Moment empfand war wieder mit nichts zu
vergleichen.
„Hallo,“ sagte ich und dann – weil meine Laune plötzlich wieder so gut war,
konnte ich es nicht lassen sie aufzuziehen – fügte ich hinzu. „Wie war Sport?“
Ihr Lächeln schwand. „Gut.“
Sie war eine schlechte Lügnerin.
„Wirklich?“ fragte ich – ich machte mir immer noch sorgen um ihren Kopf;
hatte sie Schmerzen? – aber Mike Newtons Gedanken waren so laut, dass sie
meine Konzentration störten.
Ich hasse ihn. Ich wünschte er würde sterben. Ich hoffe er fährt mit seinem
glänzenden Auto direkt über eine Klippe. Warum konnte er sie nicht einfach in
Ruhe lassen? Er sollte sich an seinesgleichen halten – an die Freaks.
„Was?“ verlangte Bella?
Ich richtete meine Augen wieder auf ihr Gesicht. Sie sah Mike hinterher
und dann wieder zu mir.
„Newton geht mir langsam auf die Nerven,“ gab ich zu.
Ihr Mund klappte auf und ihr Lächeln verschwand. Sie musste vergessen
haben, dass ich die Macht hatte, sie ihre letzte verhängnisvolle Stunde über zu
beobachten, oder gehofft, dass ich davon keinen Gebrauch gemacht hatte. „Hast
du schon wieder zugehört?“
„Wie geht es deinem Kopf?“
„Du bist unglaublich!“ presste sie durch ihre Zähne, dreht sich um und
stapfte wütend Richtung Parkplatz. Ihre Haut wurde dunkelrot – es war ihr
peinlich.
Ich holte zu ihr auf und hoffte, dass ihr Ärger bald verschwand.
Normalerweise verzieh sie mir recht schnell.
„Du hast doch erwähnt, dass ich dich noch nie bei Sport gesehen habe,“
erklärte ich. „Das hat mich neugierig gemacht.“
Sie antwortete nicht; ihre Augenbrauen eng zusammengezogen.
Sie hielt plötzlich an, als sie sah, dass der Weg zu meinem Wagen von
einer Traube männlicher Schüler versperrt war.
Ich frag mich, wie schnell das Ding fährt…
Sie dir die SMG shift paddel (irgend so ein Autofachkram… keine Ahnung
was das ist) an. Sowas hab ich noch nie außerhalb eines Magazins gesehen…
Nette Seitengitter …
Ich wünschte ich hätte sechzigtausend Dollar herumliegen…
Genau deshalb war es besser, wenn Rosalie ihren Wagen nur außerhalb
der Stadt nutzte.
Ich wand mich durch das Gedränge wollüstiger Jungs zu meinem Auto;
Bella zögerte eine Sekunde und tat es mir dann gleich.
„Protzig,“ murmelte ich, als sie einstieg.
„Was ist das für ein Wagen?“ wunderte sie sich.
„Ein M3.“
Sie runzelte die Stirn. „Diese Sprache spreche ich nicht.“
„Es ist ein BMW.“ Ich verdrehte meine Augen und konzentrierte mich dann
darauf, auszuparken ohne irgendjemanden zu überfahren. Ich musste in paar
Jungs tief in die Augen sehen, die scheinbar nicht aus dem Weg gehen wollten.
Meinem Blick eine halbe Sekunde lang zu begegnen reichte aus um sie vom
Gegenteil zu überzeugen.
„Bist du immer noch sauer?“ fragte ich sie.
„Definitiv,“ antwortete sie knapp.
Ich seufzte. Vielleicht hätte ich es nicht ansprechen sollen. Aber naja. Ich
konnte versuchen ihr entgegenzukommen, denke ich. „Würdest du mir
verzeihen, wenn ich mich entschuldige?“
Sie dachte einen Moment darüber nach. „Vielleicht… wenn du es ernst
meinst,“ entschied sie. „Und wenn du mir versprichst, es nicht noch einmal zu
tun.“
Ich wollte sie nicht anlügen und deshalb konnte ich dem auf keinen Fall
zustimmen. Vielleicht konnte ich ihr etwas anderes anbieten.
„Wie wäre es, wenn ich es ernst meine und dir erlaube am Samstag zu
fahren?“ Ich zuckte innerlich zusammen bei dem Gedanken.
Die Falte zwischen ihren Augen kam zum Vorschein, als sie darüber
nachdachte. „In Ordnung,“ sagte sie einen Augenblick später.
Nun zu meiner Entschuldigung… Ich hatte noch nie zuvor versucht Bella
absichtlich zu blenden, aber jetzt schien ein guter Zeitpunkt dafür zu sein. Ich
schaute ihr tief in die Augen als ich vom Schulgelände herunter fuhr, und fragte
mich ob ich es wohl richtig machte. Ich nutzte meinen Überzeugendsten Tonfall.
„Dann tut es mir sehr leid, dass ich dich verärgert habe.“
Ihr Herz schlug lauter als zuvor, und der Rhythmus war abgehackt. Ihre
Augen waren weit aufgerissen und sahen etwas verblüfft aus.
Ich lächelte halb. Es sah so aus als hätte ich es richtig gemacht. Natürlich
hatte ich auch einige Schwierigkeiten meinen Blick von ihren Augen zu lösen.
Genauso geblendet. Gut, dass ich diese Straße in und auswendig kannte.
„Und ich werde Samstag früh pünktlich vor deiner Tür stehen,“ fügte ich
hinzu um die Verabredung zu besiedeln.
Sie blinzelte kurz und schüttelte ihren Kopf, scheinbar um wieder klar
denken zu können. „Ähm,“ sagte sie, „es hilft nicht wirklich bei der Sache mit
Charlie, wenn plötzlich ein Volvo ohne Erklärung in der Einfahrt steht.“
Ah, wie wenig sie mich immer noch kannte. „Ich hatte nicht vorgehabt
mein Auto mitzubringen.“
„Wie - …“ wollte sie fragen.
Ich unterbrach sie. Die Antwort würde schwer zu erklären sein ohne es zu
demonstrieren und dafür war wir jetzt kaum die richtige Zeit. „Mach dir
deswegen keine Sorgen. Ich werde da sein, ohne Auto.“
Sie lehnte ihren Kopf zur Seite und sah einen Moment so aus, als würde sie
weiter nachfragen wollen, änderte aber dann doch ihre Meinung.
„Ist es schon später?“ fragte sie und erinnerte mich an unsere noch nicht
beendete Unterhaltung in der Cafeteria; sie ließ die eine schwierige Frage fallen
um dann direkt zu einer anderen noch unangenehmeren zu kommen.
„Ich vermute es ist später,“ stimmte ich widerwillig zu.
Ich parkte vor ihrem Haus und war angespannt als ich überlegte wie ich es
ihr erklären könnte… ohne meine monströse Natur zu sehr zu offenbaren, ohne
sie wieder zu ängstigen. Oder war das falsch? Meine Dunkelheit zu minimieren?
Sie wartete mit demselben höflich interessierten Gesichtsausdruck den sie
beim Mittagessen aufgesetzt hatte. Wenn ich nicht so ängstlich gewesen wäre,
hätte ich wohl darüber gelacht.
„Und du willst wirklich immer noch wissen, warum du mich nicht jagen
sehen darfst?“ fragte ich.
„Naja, ich hab mich eigentlich mehr über deine Reaktion gewundert,“
sagte sie.
„Hab ich dir Angst gemacht?“ fragte ich und war mir sicher, dass sie es
verneinen würde.
„Nein.“
Ich versuchte nicht zu lächeln, aber es gelang mir nicht. „Tut mir leid, dass
ich dich erschreckt habe.“ Und dann verschwand mein Lächeln gleichzeitig mit
jedem Anflug von Humor. „Es lag nur an dem Gedanken daran, wie es wäre wenn
du dabei wärst… wenn wir jagen.“
„Das wäre schlecht?“
Das Bild in meinem Kopf war zu viel – Bella, so verletzlich in der leeren
Dunkelheit: ich selbst, außer Kontrolle… ich versuchte es aus meinem Kopf zu
verbannen. „Sehr.“
„Weil…?“
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich für einen Moment auf den
brennenden Durst. Fühlte ihn, managte ihn, bewies meine Gewalt über ihn. Ich
würde mich nicht mehr kontrollieren müssen – ich wollte so sehr, dass es wahr
wäre. Ich würde sicher für sie sein. Ich starrte auf die willkommenen Wolken ohne
sie zu sehen, wünschte mir ich könnte glauben, dass meine Entschlossenheit
irgendeinen Unterschied machen würde, wenn ich beim Jagen auf ihren Geruch
stieß.
„Wenn wir jagen… geben wir uns ganz unseren Sinnen hin,“ erklärte ich ihr
und überdacht jedes Wort bevor ich es aussprach. „Wir lassen uns weniger von
unseren Köpfen leiten. Besonders von unserem Geruchssinn. Wenn du irgendwo
in der Nähe wärst, wenn ich so die Kontrolle über mich verliere…“
Ich schüttelte gequält meinen Kopf bei der Vorstellung was dann mit
Sicherheit passieren würde – nicht könnte, sondern würde.
Ich lauschte auf ihren Herzschlag und drehte mich dann ruhelos zu ihr um,
um in ihren Augen lesen zu können.
Bellas Gesicht war gefasst, ihre Augen blickten ernst. Ihr Mund war leicht
geschürzt vor Besorgnis vermutete ich. Aber besorgt um was? Ihre eigene
Sicherheit? Oder meine Qual? Ich starrte sie weiter an und versuchte ihren
vieldeutigen Ausdruck zu interpretieren.
Sie erwiderte meinen Blick. Nach einer Weile wurden ihre Augen größer
und ihre Pupillen weiteten sich obwohl sich das Licht nicht geändert hatte.
Mein Atem wurde schneller und plötzlich schien die Stille im Auto zu
summen, genau wie in dem dunklen Biologieraum diesen Nachmittag. Der
pulsierende Strom zwischen uns erhob sich wieder und das Verlangen sie zu
berühren war, kurzzeitig, stärker als das Begehren meines Durstes.
Die pochende Elektrizität fühlte sich an, als hätte ich wieder einen Puls.
Mein Körper sang mit. Als wäre ich wieder ein Mensch. Mehr als alles andere auf
der Welt wollte ich die Hitze ihrer Lippen auf meinen spüren. Für eine Sekunde
kämpfte ich verzweifelt um die Kraft, die Kontrolle, meinen Mund auf ihre Haut
legen zu können…
Sie atmete hastig ein und erst da merkte ich, dass, als ich begonnen hatte
schneller zu atmen, sie ganz aufgehört hatte.
Ich schloss meine Augen bei dem Versuch die Verbindung zwischen uns zu
unterbrechen.
Keine Fehler mehr.
Bellas Existenz war an tausend anfällige, ausgewogene chemische
Prozesse gebunden die alle so einfach zum erliegen gebracht werden konnte. Das
rhythmische Ausdehnen ihrer Lungenflügel, der Strom von Sauerstoff bedeutete
Leben oder Tod für sie. Der flatternde Rhythmus ihres zerbrechlichen Herzens
konnte von so vielen dummen Unfällen oder Krankheiten unterbrochen werden
oder… von mir.
Ich glaube nicht, dass irgendeiner aus meiner Familie zögern würde, wenn
er oder sie eine Chance geboten bekäme zurückzukehren – wenn er oder sie die
Untersterblichkeit gegen Sterblichkeit würde eintauschen können. Jeder von uns
würde dafür durchs Feuer gehen. Für so viele Tage oder Jahrhunderte brennen
wie nötig.
Die meisten unserer Art preisten die Unsterblichkeit über alles andere. Es
gab sogar Menschen die danach strebten, die an dunklen Orten nach denen
suchten, die ihnen das dunkelste aller Geschenke machen konnten…
Wir nicht. Nicht meine Familie. Wir würden alles dafür geben, Menschen zu
sein.
Aber keiner von uns hatte sich je so verzweifelt danach gesehnt wie ich in
diesem Moment.
Ich starte auf die mikroskopisch kleinen Gruben und Risse in der
Windschutzscheibe, als wäre eine Lösung in dem Glas versteckt. Die Elektrizität
war noch nicht verschwunden und ich musste mich konzentrieren um meine
Hände am Lenkrad zu halten.
Meine rechte Hand begann wieder zu stechen, aber ohne Schmerzen, von
da wo ich sie vorher berührt hatte.
„Bella, ich denke du solltest jetzt reingehen.“
Sie gehorchte sofort ohne Kommentar, stieg aus dem Wagen aus und
schlug die Tür hinter sich zu. Fühlte sie das Katastrophenpotential genauso
deutlich wie ich?
Schmerzte es sie genauso mich zu verlassen wie es mich schmerzte sie
gehen zu lassen? Der einzige Trost war, dass ich sie bald wiedersehen würde.
Eher als sie mich wiedersehen würde. Ich lächelte bei dem Gedanken, ließ dann
das Fenster herunter und lehnte mich herüber um noch einmal mit ihr zu
sprechen – es war sicherer, jetzt wo die Hitze ihres Körpers außerhalb des
Wagens war.
Sie drehte sich um, neugierig was ich wollte.
Immer noch neugierig, obwohl sie mir heute so viele Fragen gestellt hatte.
Meine eigene Neugierde war vollkommen unbefriedigt; ihre Fragen zu
beantworten hatte nur meine Geheimnisse aufgedeckt – ich hatte wenig von ihr
bekommen außer meinen eigenen Vermutungen. Das war nicht fair.
„Oh, Bella?“
„Ja?“
„Morgen bin ich an der Reihe.“
Sie runzelte die Stirn. „An der Reihe womit?“
„Fragen zu stellen.“ Morgen, wenn wir an einem sichereren Ort waren,
umringt von Zeugen, würde ich meine Antworten bekommen. Ich grinste bei dem
Gedanken und dann wendete ich den Wagen, da sie keine Anstalten machte, zu
gehen. Sogar wenn sie nicht im Auto war, hallte der elektrische Schwung in der
Luft wieder. Ich wollte ebenfalls aussteigen um sie zur Tür zu begleiten, als
Ausrede um an ihrer Seite zu sein…
Keine Fehler mehr. Ich trat aufs Gas und seufzte als sie hinter mir
verschwand. Es schien als würde ich ständig zu Bella hinrennen und dann wieder
vor ihr wegrennen, aber nie bleiben. Ich würde einen Weg finden müssen, mich
zu behaupten wenn wir jemals im Begriff sein würden irgendeinen Frieden zu
finden.

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