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Ismail Küpeli

Die öffentliche Debatte in Deutschland über den Genozid an den Armeniern während des
1. Weltkrieges ist nach wie vor von der Beteiligung des Deutschen Reiches und der
Leugnungspolitik des türkischen Staates geprägt. Zahlreiche Publikationen untersuchen
etwa die Rolle der deutschen Militärs und Politiker beim Genozid oder argumentieren
gegen die Leugnung. Die Publikation „Völkermord oder Umsiedlung“ von J. Berlin und A.
Klenner ist ein weiterer Beitrag in dieser Debatte.

Die Publikation besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil, „Darstellung“, bietet auf knapp 50
Seiten einen Überblick über die Geschichte der Armenier vor und während des
Osmanischen Reiches. Die Darstellung des jungtürkischen Regimes von 1908 bis 1918
folgt der These, dass die zuerst pluralistische Politik der Jungtürken durch „militärische
Niederlagen“ (S. 29) und „Misstrauen“ der christlichen Minderheiten (S. 28) in eine
diktatorische umgeschlagen sei. Diese These ist keineswegs unumstritten, weil so die
ideologischen Hintergründe der Jungtürken weitgehend ausgeblendet werden und die
Schuldlast für den Genozid von den Tätern genommen werden kann.

Der zweite Teil, „Dokumente“ (293 Seiten), besteht aus Auszügen aus sehr
unterschiedlichen Publikationen, so etwa aus zeitgenössischen (Augenzeugen-)Berichten,
wissenschaftlichen Untersuchungen, literarischen Werken und Veröffentlichungen aus der
offiziellen türkischen Leugnungsdebatte. Die Auszüge wurden ins Deutsche übersetzt.
Kritisch sind hier zwei Punkte. Zum einen fehlt eine genauere Einordnung der Auszüge.
Zum anderen wurden nur die armenischen und türkischen Publikationen einbezogen, die
bereits auf Deutsch, Englisch oder Französisch vorlagen.

Der Gesamteindruck bleibt somit widersprüchlich. Die Grenzen einer Debatte, die davon
geprägt ist, dass immer wieder zuerst gegen die Leugnung des Genozid argumentiert
werden muss, zeigen sich auch in dieser Publikation.

Jörg Berlin / Adrian Klenner: Völkermord oder Umsiedlung? Das Schicksal der Armenier
im Osmanischen Reich - Darstellung und Dokumente, PapyRossa Verlag, Köln, 2006, 421
Seiten, 24,90 Euro.

Eine überarbeitete Fassung dieser Buchrezension erschien in der analyse&kritik (Nr. 522 vom
16.11.2007)

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