Auszug aus der Stuttgarter Zeitung Nr. 254 - Mittwoch, 08.

November 1993

Feuilleton

Gemeinsamkeiten

„Legende und Traum“ im Hegelsaal

Die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei haben eine lange Geschichte, die
Zweiteilung Zyperns ist da nur deren offensichtlichste Ausprägung. Es gibt aber auch
Gemeinsamkeiten in der Geschichte der beiden Völker, Verbindungspunkte, die, wie der Dichter
Garefis Delingas sagt, „ihre Herzen im gleichen Rhythmus schlagen lassen“. Diese zum Großteil
verlorengegangene griechisch-türkische Freundschaft wieder zu beleben ist das große Ziel, das der
griechische Komponist Thomas Mellios mit seinem Liederzyklus „Legende und Traum“ zu
verwirklichen sucht, der nun, unterstützt vom Stuttgarter Kulturamt, im Hegelsaal uraufgeführt
worden ist.

Künstlerischen Ausdruck fand dieses Bestreben auch in den bilder- beziehungsreichen Texten, die
Garefis Delingas eigens für dieses Projekt geschrieben hat. Es sind Texte, die tief eintauchen in die
Geschichte beider Völker, deren Mythen und Götter aufbeschwören und von Hoffnung, Trauer und
Widerstand handeln. Texte auch über die Gastarbeiter in Deutschland, wo Griechen und Türken ein
ganz aktuelles gemeinsames Schicksal teilen. Die Musik von Thomas Mellios, der auch die
Gesamtleitung des Abends hatte, beschränkt sich auf bekannte Grundmuster griechischer Folklore,
die er manchmal wie in dem Lied „Türke oder Grieche, wer weiß?“, mit türkischen Einsprengseln
mischt. Mellios ist en geschmackvoller, einfallsreicher Melodienschreiber, und guter Arrangeur.
Man könnte allerdings darüber streiten, ob das Mitwirken den Bodensee Sinfonie Orchesters
unbedingt nötig war – mehr als klanglichen Füllstoff zu liefern, war von den Musikern kaum
gefordert. Erfreulich waren die sängerischen Leistungen: sowohl Marussa Xyni-Kolaitis mit ihrem
ansprechenden, ausdrucksvollen Sopran, wie auch der Folkloresänger Vassilis Karakoussis waren
überzeugende Vertreter dieses unterstützenswerten Unternehmens.

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