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vordenkerin

Eine Frage der Spielregel


Die Anthropologin Mizuko Ito erforscht die Potenziale von Digital Natives für deren
mögliche zukünftige Arbeitgeber. Was die jungen Kandidaten für die Mitarbeiterakquise
hochinteressant, aber auch zu anspruchsvollen Bewerbern macht?
Sie alle sind märchenhaft erfolgsgewohnt und erwarten kleine Veränderungen ihrer
Job-Description, wenn sie für Unternehmen arbeiten sollen.

M
izuko Ito räumt gern auf, vor allem mit vermeintlich wissen- teraktion und Selbstdarstellung mithilfe von Webangeboten groß wer-
schaftlich fundierten Vorurteilen. „Beinahe 100 Jahre lang den.“ Der Unterschied liege in den Werkzeugen, die Jugendliche heu-
­haben Psychologen und Pädagogen unterstellt, Kinder könn- te für ihre tagtäglichen Bauarbeiten an der eigenen Identität und Rolle
ten Komplexität nicht beherrschen.“ Dabei brauche man Sechs- bis benutzen. So lernten Kinder und Jugendliche heute via Internet „mit-
Zwölfjährigen nur beim realen oder Online-Spielen etwa mit den welt- hilfe selbstbestimmter Mentoren mindestens ebenso schnell und
weit milliardenfach verkauften Pokémon- oder viel wie durch Tutoren in ihrer realen
Yu-Gi-Oh-Sammelkarten* Umgebung – etwa an Schulen“. Statt in
zuzuschauen, um zu er- Brieffreundschaften oder persönlichen
kennen, wie sie nach Verabredungen finden junge Leute
kürzester Zeit bis zu 500
individuelle Charaktere Mizuko Ito heute online zu gleichgesinnten und
‑gestellten Partnern (Peer-to-Peer), mit
und deren unterschied- denen sie Interessen teilen, Talente
lichste Fähigkeiten strate- messen und sich gegenseitig weiter-
gisch einsetzen. Komple­ bilden. Das „Peer-based Knowledge
xe Leistung. Sharing“, in dem sie bereitwillig große
Die Sozialanthropolo- Teile ihres bis dato vorhandenen
gin und Erziehungswissen- ­Wissens zur Verfügung stellen, ist
schaftlerin ist international laut Mizuko Ito „für Kinder Mittel zum
anerkannte Expertin für Zweck, in ihren sozialen Netzwerken
den Umgang mit mobiler ständig neu dazuzulernen“, und prä-
Technologie im Alltag und destiniere die jungen Menschen zu
erforscht unter anderem an idealen Teilnehmern von Collabora-
der Privatuniversität Keio in tion-Networks, wie sie für Unterneh-
Tokio und der University of men immer wichtiger werden.
Southern California die Aus-
wirkungen digitaler, interak- Neue Mitarbeitergeneration
tiver Kommunikationstech- Die Medienkompetenz, mit der
nik auf Kinder und junge Er- sich Kinder und Jugendliche
wachsene. Um im interdiszip- schnell in Social Networks zu-
linären Forschernetzwerk der rechtfinden, aber auch die Selbst-
renommierten MacArthur-Stif- olg e. verständlichkeit, mit der bei­
-Gi-Oh sind Welterf
tung methodische Konzepte * Kartenspiele wie Yu dlich e. spielsweise schon Sechsjährige
ihre Effekte auf Jugen
zum mobilen, selbstbestimm- Mizuko Ito erforscht technische Features in Spielen
ten Lernen („Handheld Lear- ausschöpfen, sind für die promo-
ning“) von Kindern und Ju- vierte Pädagogin „durchaus In­
gendlichen zu entwickeln, stu- dikatoren dafür, auf welche Art
dierte sie in Tausenden von zukünftiger Mitarbeiter sich Un-
Chats, Blogs und Tweets, aber ternehmen einstellen sollten“.
auch ebenso vielen Spielen mit So sei der simpelste Unter-
jungen Gesprächspartnern, wie schied zwischen jungen Leuten und
das Sozialverhalten der Digital Natives von dem den Digital Immigrants, auf die sie an ih-
der Erwachsenen variiert. Ihre eigenen Beiträge ren Arbeitsplätzen treffen, „dass sie ei-
signiert sie dabei kurz mit „Mimi“. ne andere Beziehung zu Informati-
onen haben und erwarten werden,
Nur die Werkzeuge sind neu dass diese Informationen auch
„Große Unterschiede zur Generation der ständig und überall verfügbar
vor dem Internet Geborenen“ kann die 41- sind“.
Jährige „nicht feststellen, wenn Kinder heu- Geht es um Wikis oder Blogs, neue
Foto: XXX xxx

te im Konglomerat aus Kommunikation, In- Links oder URLs, um aktuelle Rechte

Best Practice 01 l 2010


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oder zukünftige Rollen – wer seit den Spielregeln seiner Kindheit das
Vokabular und den Fakt gewohnt ist, sich ständig neuen Gegeben-
heiten, Hinweisen und Herausforderungen zu stellen, habe es leicht,
seine Fähigkeiten in digitalen Prozessen und virtuellen Collaborations
auf dem neuesten Stand zu halten. Dass sich ältere Mitarbeiter oft erst
durch klassische Weiterbildungsseminare up to date bringen lassen nur intime, vertrauliche Beziehungen zu Monstern und Geistern mit
müssen, macht für Mizuko Ito ein klares Handicap der Digital Immi­ ­besonderen Fähigkeiten aufgebaut und waren darin jahrelang mär-
grants aus. chenhaft erfolgreich. Kollegen wie der Technologieforscher Moshe
Initiative, Entschlossenheit und Entscheidungsfreude seien fan­ Rappoport (von IBM) bestätigen die Studien Itos und bescheinigen der
tastische Potenziale für Unternehmen und Arbeitgeber, „wenn junge Netzgeneration „eine besonders schnelle Reaktionszeit, überdurch-
Leute auf dem Präsentierteller mitbringen, was sie in ihrer Kindheit und schnittliche Informationsverarbeitung, Risikobereitschaft und Durch-
Jugend gelernt haben“. haltevermögen“.
Dass Onlinespiele Kinder und Jugendliche „im Vorbeigehen in
Young Potentials versus Old Staff ­Sachen strategisches Denken, Kommunikationskompetenz und Füh-
So offenbaren die Spielewelten der Kinder für die Wissen- rungsbereitschaft schulen“, lässt die Community der Onlinerollen-
schaftlerin einen ganz generellen Unterschied zwischen spieler verstärkt in den Fokus der Rekrutierungsbemü-
Jüngeren und Älteren. „Lassen Sie mal einen Erwach- hungen von Unternehmen rücken. „Doch die junge Netz-
senen eine Geschichte mit 500 – namentlich benann- generation wird auch besondere Ansprüche stellen“,
ten – handelnden Personen lesen, wie es für Kinder warnt Mizuko Ito davor, „den Digital Natives vorhan-
in ihren Karten- und Rollenspielen selbstverständ- dene Unternehmenskulturen als sakrosankt über-
lich ist“, fordert sie auf und nimmt das Ergebnis zustülpen“. Arbeitsplatzbeschreibun­gen der Sorte
gleich vorweg: „Der Erwachsene gibt schon nach „Nine to five“ seien für mit dem Internet Aufgewach-
wenigen Kapiteln auf.“ Kapitulationen sene ein Relikt der Digital Immigrants.
dieser Art seien der neuen Genera­ „Mit ihren Kontakten und Compa­
tion von Mitarbeitern fremd, weil sie – nions, ihren Ansprechpartnern, Ge-
anders als viele der älteren Genera­ „Die jungen Neugierigen sind fährten und Ratgebern bewegen sich
tion – bereit seien zu erkennen: „Bis
zu diesem Punkt habe ich’s geschafft
unbefangener bereit, junge Netzwerker oft in verschiede­
nen Zeitzonen, ko­ope­rieren in flachen
– aber dahinter geht es bestimmt Allianzen zu schmieden.“ Hierarchien und verlangen Mitbestim-
noch viel, viel weiter.“ Das habe nichts mung, Transparenz und den Frei-
mit Attention Spans zu tun, innerhalb raum, selbstständig Entscheidungen
derer junge und ältere Menschen unterschiedlich aufmerksam kom- treffen zu können.“ Wie Yu-Gi-Oh den jungen Leuten früher den Spiel-
plexen Zusammenhängen auf den Grund gehen. Vielmehr, so Mizuko raum ließ, eigene Handlungsstränge zu entwickeln, müssten ihnen die
Ito, „ist die intrinsische Motivation bei Digital Natives höher, eigene ­Arbeitgeber der Zukunft auch einräumen, eigene Vorgehensweisen
Leistungsgrenzen zu übertreten – und sei es mithilfe anderer“. zu kreieren.
In der Konsequenz, so die Wissenschaftlerin, „sind die jungen Im Gegenzug, so Ito, bieten die jungen Arbeitsplatzkandidaten
Neugierigen viel unbefangener bereit, Allianzen zu schmieden und und deren geübte Praxis in Peer-to-Peer-Communitys „flexible Prozess-
sich zu vernetzen, um neue Wissensschätze zu heben“. strukturen und hocheffizientes Arbeiten“.
So riet das deutsche „manager magazin“ Unternehmen im Mai ver-
Das Medium macht den Unterschied aus gangenen Jahres, Itos Feldforschungsgebiet der „Web-Ureinwohner
Ob mit Spielkarten, Gameboy oder Playstation – seit ihren spiele- ernst zu nehmen. Denn sie können nicht weniger als unsere Gesell-
rischen Auseinandersetzungen mit den Protagonisten von Pokémon schaft verändern.“
& Co. sind junge Leute geübt, ständig nach Lösungen zu suchen, Der Prognose schiebt Mizuko Ito mutmachend nach: „Dabei muss
Tricks zu verraten und Erfahrungen auszutauschen – auch mit dem das Phänomen der Digital Natives von Unternehmen aber vor allem als
Foto: Joi Ito, Illustrationen: PR

Gegner. Den Wettbewerber schlau zu machen, ist nicht ein Problem, Kultur-Evolution verstanden werden – nicht als Kulturrevolution, die
sondern eher das Ziel. ­alles Bestehende wegwischt. Das gehört zu den Spielregeln.“
Denn nur mit ihm gemeinsam bringt man das Spiel zu einer hö- Thomas van Zütphen
heren Qualität und schafft es, die Erlebniswelten des Spiels aus­
zuschöpfen. In ihrer spielerischen Erfahrung haben junge Leute nicht Links: www.itofisher.com/mito
www.twitter.com/mizuko

Best Practice 01 l 2010

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