Inhaltsverzeichnis
Betrachtungen zum Zölibat
Göttliches heidnisches Zölibat
Griechischer Mythos - Athene, Arthemis und Hestia
Mystische Jungfrauen
Griechische Literatur
Hippolytus verweigert Aprodite die Liebe
Lysistrata's Ultimatum
Klassische Rituale
Die Thesmophorien
Der Isis-Kult
Das Orakel von Delphi
Besondere Jungfrauen
Die vestalischen Jungfrauen
Heidnische und jüdische Askese
Der Einfluß der griechischen Philosophie
Die Essener bereiten sich auf den Weltuntergang vor
Das frühe Christentum
Eine Geschichte zweier Frauen
Das Martyrium des Christentums
Die Wiederkehr des Herrn
Die Jungfräulichkeit der heiligen Mutter Maria
Enkratiten und Gnostiker boykottieren die Gebärmutter
Gib' mir Keuschheit, aber noch nicht jetzt
Kirchenmütter
Weibliche Transvestitenmönche
Bärtige weibliche Heilige
Das Zölibat in der Wüste
Das Alphabet der Herzen der Wüstenväter
Simeon der Säulenheilige
Die Kettenheiligen
Die Käfigheiligen
Die Stehheiligen
Heirate den richtigen Mann
Das spätere Christentum
Keuschheit und das Priestertum
Mittelalterliche östliche Klöster
Westliche Klöster
Martin Luther über die Pollution
Die Wahrheit über Martin Luther
Der Vorgang der sexuellen Sublimation
Scuthin und Brendan
Heiraten oder nicht heiraten?
Judentum und Zölibat
Die Beginen
Frauen außerhalb dieser Welt
Maria Ward
Die Bräute Christi
Katherina von Siena
Hildegard von Bingen
Hildegard von Bingens Ansicht zur Sexualität
Was sagte Hildegard von Bingen zum Zölibat?
Die heilige Irokesin Kateri Tekakwitha
Der Sufismus und das Zölibat
Ich begann meine Forschung und nahm an, ich wüsste, was das Zölibat ist:
normalerweise eine selbstauferlegte Enthaltsamkeit von sexuellem Verkehr.
Außerdem war ich der Meinung, dass ein langfristiges Zölibat unnatürlich
sei. In der Tat lautete mein ursprünglicher Arbeitstitel: "Wir feiern das
Unnatürliche: Die Geschichte des Zölibats" und unter meinen Freunden
hatte es den Spottnamen "Die trockene Saison".
Die kichernd Phase des Projekts war von kurzer Dauer. Schon bald in
meiner Forschung, für die ich letztendlich sechs Jahre benötigte, wurde ich
durch die Enge meiner christlich orientierten Perspektive und meiner stark
vereinfachten Definition eines Besseren belehrt. Überall in der Welt war das
Zölibat in jedem Zeitalter ein zentrales Elelement der menschlichen
Existenz. In all seinen Formen hat es das religiöse Leben ebenso wie das
Leben der Laien (Nicht-Mönche) beeinflusst. Davon waren sehr junge, aber
auch sehr alte Menschen, betroffen. Es betraf Witwen und Gefangene,
trainierende Sportler und Schamanen (Medizinmänner). Es pulsierte,
zwischen den Kanonen und dem Zivilrecht, in der klassischen Poesie und in
der Literatur der Heerlager.
Überall, wohin ich schaute, türmte sich das Zölibat auf. Es hallte in den
lieblichen Sopranen der italienischen Opernkastraten nach, im gequälten
Gekreische der jungen chinesischen Mädchen, die durch ihre gebundenen
Füße (Lotusfüße) ans Haus gefesselt waren und bei den kleinen Jungen, die
durch eine Kastration nützlicher waren. Es wehte aus anrüchigen Harems
und aus von der Sonne geküssten Inka-Tempeln. Es durchdrang die antike
Geschichte von den zölibatären Schichtarbeitern des Orakels von Delphi
und dem jungfräulichen Trio Athena, Artemis und Hestia, die größten
Göttinnen der griechischen Welt, bis hin zu Roms majestätischen
vestalischen Jungfrauen 1. Es hallte aus Hamlet's Ruf "Get thee to a
nunnery!" (Geh' doch in ein Nonnenkloster!) als er Orphelia drängt, das
Schicksal vieler anderer unerwünschter, unwilliger und weltabgeschiedener
Frauen zu akzeptieren.
1
Als Vestalin bezeichnet man eine römische Priesterin der Göttin Vesta. Die
Priesterschaft der Vestalinnen bestand aus sechs (in der Spätantike sieben)
Priesterinnen, die im Alter von sechs bis zehn Jahren für eine mindestens
dreißigjährige Dienstzeit berufen wurden. Ihre Hauptaufgabe war das Hüten
des Herdfeuers im Tempel der Vesta, das niemals erlöschen durfte, sowie
das Holen des Wassers aus der heiligen Quelle der Nymphe Egeria, der
Göttin der Wasserquellen, das zur Reinigung des Tempels verwendet wurde.
Daneben stellten sie die Mola Salsa (eine Mischung aus Salzwasser und
Getreideschrot) sowie das Suffimen (Asche ungeborener Kälber) her, die bei
bestimmten Kulturhandlungen benötigt wurden. Während ihrer Dienstzeit
waren die Vestalinnen zu absoluter Keuschheit verpflichtet.
Das Zölibat prangte in der Geschichte unter einer Legion von Namen. Es
war die französiche Nationalheldin Jeanne d'Arc (1412-1431), die
jungfräuliche Königin Elizabeth I. von England (1533-1603), Florence
Nightingale (Pionierin der modernen Krankenpflege). Es war Mahatma
Gandhi und sein merkwürdiges Brahmacharya-Experimente, der seine
Nächte mit nackten und attraktiven Frauen verbrachte, um seine Keuschheit
zu testen. Es war die lärmende Disharmonie der Kreutzersonate2, einer
Kurzgeschichte (175 Seiten) von Leo Tolstoi, in der er die Botschaft des
Zölibat verbreitete. Es war Leonardo da Vinci, der Angst vor einer zweiten
Anklage3 wegen Sodomie hatte, Sir Isaac Newton, der wegen der Untreue
seiner Geliebten trauerte, der britische Schriftsteller, Mathematiker und
Fotograf Lewis Carroll, der einer Prozession der jungen Alice im
Wunderland zuschaute, aber nicht wagte, sie zu berühren.
2
Ein Ausschnitt aus der Kreutzersonate (4. Kapitel): "Es begann zu einer
Zeit, da ich noch nicht volle sechzehn Jahre zählte. Ich war damals noch auf
dem Gymnasium und mein älterer Bruder stand als Student im ersten
Semester. Ich kannte die Frauen noch nicht, doch war ich, wie all die
unglücklichen Kinder unserer Gesellschaftskreise, kein unschuldiger Knabe
mehr; seit mehr als einem Jahre war ich bereits durch andere Knaben
verdorben. Schon machte mir die Frau zu schaffen, nicht eine bestimmte
Frau, sondern die Frau als ein süßes Etwas, die Frau schlechthin, jede Frau,
die Nacktheit der Frau war es, die mich bereits peinigte. In den Stunden der
Einsamkeit vermochte ich nicht, meine Reinheit zu wahren. Ich litt und
quälte mich, wie neunundneunzig von Hundert unserer Knaben sich quälen.
Entsetzen ergriff mich, ich duldete, ich betete – und kam immer wieder zu
Fall. Ich war bereits verdorben in Gedanken und in Wirklichkeit, den letzten
Schritt jedoch hatte ich noch nicht getan. Ich ging allein dem Untergange
entgegen, hatte aber noch nicht Hand angelegt an ein anderes menschliches
Wesen. Doch ein Kamerad meines Bruders, gleichfalls Student, ein lustiger
Bursche, ein sogenannter guter Kerl, d. h. ein richtiger Taugenichts, der uns
auch das Trinken und Kartenspielen beigebracht hatte, überredete uns, zu
einer Kneipe zu fahren. Und so fuhren wir denn da hin. Mein Bruder, der
gleichfalls noch unschuldig war, kam in jener Nacht zu Falle. Und ich, der
sechzehnjährige, unreife Bursche, besudelte mich selbst und half ein Weib
besudeln, ohne auch nur im geringsten zu begreifen, was ich tat. Hatte mir
doch niemand von den Älteren je gesagt, daß das, was ich tat, etwas Böses
sei. Auch heute wird man eine solche Warnung nie zu hören bekommen. In
den ›zehn Geboten‹ ist davon allerdings die Rede, gewiß, aber die ›zehn
Gebote‹ sind doch schließlich nur dazu da, daß man dem Religionslehrer bei
der Prüfung eine Antwort gibt."
3
Wegen seiner (angeblichen) Homosexualität zog sich Leonardo da Vinci
eine Anklage wegen Sodomie zu, die 1476 mit einem Freispruch endete.
Weshalb Leonardo in diese Affäre verwickelt wurde, ist heute nicht mehr
nachvollziehbar. Auch hat er sich selbst dazu nie wirklich dezidiert
geäußert. Nur eine einzige Notiz von ihm bezog sich viele Jahre später auf
dieses Ereignis. In diesen Zeilen bestätigt Leonardo die Rolle Saltarellis als
Zeichenmodell. Aufgrund dieser Aufzeichnung ist anzunehmen, daß
Leonardo bezüglich dieser Affäre für kurze Zeit in Haft genommen wurde,
denn er schreibt: "Als ich den Herrgott als Knaben malte, habt ihr mich ins
Gefängnis gesperrt; jetzt, da ich ihn als reifen Mann darstelle, werdet ihr mir
Schlimmeres antun."
Quellen:
Das Zölibat kommt in der medizinischen Literatur stark zum Ausdruck und
hat in den Lehrbüchern und Weisheiten der meisten Kulturen ein großes
Monopol. Darin sind detaillierte Anweisungen zur Erhaltung des wertvollen,
eiweißreichen Ejakulats enthalten.
Das Zölibat findet sich auch in Symbolen. Die meisten westlichen Küchen
beherbergen die Schattierungen intensiver, zölibatärer Bewegungen, die
versuchte, das samenbewahrende Zölibat anzuregen und die Glut der
Sinnlichkeit zu löschen. Wer von uns hat nicht schon einmal Cornflakes und
Grahambrot, ein Brot aus fein geschrotetem, ungesiebtem Vollkornweisen
(Besonders in Süddeutschland haben sich Grahambrot und -brötchen als
Brotsorte aus Vollkornschrot erhalten.), genossen, die von den keusch
lebenden John Harvey Kellogg4 und Sylvester Graham5 erfunden wurden,
um die Sinnlichkeit abzukühlen und die Gesundheit zu fördern. Wer benutzt
keine Wäscheklammern, Besen oder Kreissägen, die erfinderischen
Sublimierungen der keuschen Shaker6 ? Wer kennt nicht das
Begrüßungsritual "Peace" (Frieden), ein vertrautes religiöses
Friedenszeichen, welches von Zölibatären ins Leben gerufen wurde.
4
John Harvey Kellog (1852-1943) war ein amerikanischer Arzt und gilt als
Miterfinder (mit seinem Bruder Will Keith Kellog) der (ursprünglich noch
ungezuckerten) Cornflakes und Erfinder der Erdnussbutter. Zu seinen
Lebzeiten wurde er als Vorkämpfer für Gesundheit und sexuelle
Enthaltsamkeit angesehen. Ganz entschieden lehnte er auch die
Masturbation ab.
5
Sylvester Graham (1794-1851) war ein amerikanischer Prediger und früher
Verfechter einer vegetarischen Reformdiät. Graham hielt eine vegetarische
Ernährung für ein wirksames Mittel gegen den Alkoholismus, vor allem
aber gegen sexuelle Gelüste.
6
Die Shaker sind eine christliche Freikirche in Amerika, die aus dem
Quäkertum hervorgingen. Im 18. Jahrhundert wurden sie von Ann Lee, die
1736 als Tochter eines Grobschmieds in Manchester geboren wurde,
gegründet. Sie zeichneten sich als Glaubensgemeinschaft durch eine strenge
Arbeitsethik und ein zölibatäres Leben aus. Ihre weiteste Verbreitung
fanden die Shaker um die Mitte des 19. Jahrhunderts; heute sind sie fast
ausgestorben. Die Shaker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts handelten an
der Börse, galten als versierte Finanzdienstleister und gehörten den
Beraterstäben sechs amerikanischer Präsidenten an, darunter denen von
Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt.
In den heutigen Schulen und Universitäten marschiert das Zölibat unter dem
Banner von Schülern und Studenden, die das Gelöbnis "Wahre Liebe kann
warten." abgelegt haben. Das Zölibat kündigt sich auch unter den
selbsternannten "wiedergeborenen Jungfrauen" 7 an. Es lugt durch die
hagere Knochigkeit der magersüchtigen Frauen, die hingebungsvoll ihren
Körper beherrschen und dem keuschen Handschlag von homosexuellen
Männern, die der tödlichen Gefahr des Aids abgeschworen haben.
7
In den USA hat die Firma Wait Wear eine Klamotten-Kollektion speziell
für junge Menschen, die sich für die Enthaltsamkeit entschieden haben, auf
den Markt geworfen. Und das sind nicht nur rosagekleidete Zahnspangen-
Teenager aus dem ländlichen Iowa, sondern, glaubt man dem Hersteller,
auch junge Erwachsene, Alleinerziehende oder wiedergeborene Jungfrauen
(reborn virgins).
Das Zölibat, so verstand ich, ist ein überwältigendes Phänomen, in das die
Menschheit immer und überall miteinbezogen ist. Als ich die Parameter
meiner Forschung erweiterte, änderte und verfeinerte ich meine
Arbeitsdefinition, änderte den Titel und die zugrundeliegende Hypothese,
die davon ausging, dass das Zölibat unnatürlich sei und begann genau zu
hören, was meine Daten mir erzählten. Mein zweiter ironischer Arbeitstitel
"Das Kamasutra der Zölibat" kam der Realität zwar etwas näher, war aber
zu weit gesteckt. Je mehr ich las, um so mehr realisierte ich, dass mein
Leben zu kurz war, um einen Überblick über das Zölibat vorzulegen, der so
umfassend wie die gesammelten Weisheiten des Kamasutra für die
Sexualität ist. Ein viel realisierbares Ziel ist es, so viele Erfahrungen wie
möglich mit dem Zölibat zu ermitteln, zu deuten und zu beschreiben, wie
ich konnte. Dieser Gedanke formte schliesslich dieses Buch.
Ich entwarf auch eine Definition des Zölibats, die die regide und wenig
hilfreiche Unterscheidung zwischen Zölibat, Keuschheit und
Jungfräulichkeit verwarf, die ich als Schlüsselworte in meiner Forschung
benutzte. Obwohl sie trockene Wörterbuchunterscheidungen sind, werden
sie im Rahmen dieses Buches als gleichbedeutend benutzt. Obwohl ich
Langeweile riskiere, zitiere ich aus Webster's Wörterbuch. Keuschheit, die
sich auf die Sexualität bezieht, ist die "Enthaltsamkeit von ungesetzlicher
sexueller Aktivität: besonders, die von Frauen. Sexuelle Enthaltsamkeit
(Kontinenz); Zölibat oder Jungfräulichkeit". Das Zölibat ist "der Stand der
Unverheirateten, insbesondere der Menschen, die ein Gelübde abgelegt
haben". Die Jungfräulichkeit ist "der Zustand der Jungfernschaft
(Mädchenzeit), der Keuschheit und der Altjungfernschaft".
Die Therapeuten waren eine der Mystik zugewandte Gruppe von jüdischen
Einsiedlern im Ägypten zu Anfang des 1. Jahrhunderts vor Christus. Sie
verschenkten all ihr Habe und zogen sich aus der Familie in die Gärten
außerhalb der Städte zurück. Ihre Siedlungen waren oberhalb des
mareotischen Sees bei Alexandria. Sie lebten asketisch, vegetarisch,
zölibatär und einzeln in Hütten, nur mit dem Nötigsten an Essen und
Kleidern versorgt. In ihrer Gemeinschaft waren Männer wie Frauen
gleichberechtigt zugelassen. Die Therapeuten gelten mit den Essenern als
Vorläufer des christlichen Mönchstums.
Das Zölibat ist das christliche Herzstück, die Geburt eines göttlichen
Kindes, das auf eine wundersame Weise von einer menschlichen,
jungfräulichen Mutter geboren wurde. Die Frage, mit der sich die Religion
bereits früh beschäftigte, war die Natur, der Vorgang und die Bedeutung der
Geburt. Maria wurde zu einer kontroversen und viel diskutierten Figur. Die
christliche Fixierung auf das Zölibat, mit seiner missbilligenden
Voreingenommenheit gegen die lustvolle Eva und seiner ideologischen
Sterilisation der keuschen Maria, sowie seiner Ablehnung der verheirateten
Priester in der katholischen Kirche, die bis ins zwanzigste Jahrhundert
anhält, hat Hunderte von Millionen Menschen begeistert und die westliche
Zivilisation mit seinen Idealen und Ideologien geprägt.
Durch die Brille des christlichen Zölibats, sah ich Frauen, die diese
Glaubenslehre als ein Werkzeug der Emanzipation ergriffen, um sich selber
von der Fron der Ehe und des Kindergebärens befreiten. Zum Zölibat
entschlossen, verwandelten sie sich in unabhängige Menschen, die viel
reisten. Sie studierten in einer Zeit, in der Bildung ein männliches Vorrecht
war, schrieben, predigten und richteten sich häufig, in der Gesellschaft von
ebenfalls begeisterten und keuschen Männern und Frauen, ein eigenes
Leben ein.
Die ersten von ihnen, waren die beherzten und mutigen Wüstenmütter 9, die
Zeitgenossen des Heiligen St. Paul 10. Die keusche Thekla von Ikonium 11
widerstand feindlichen Massen, einem brennenden Scheiterhaufen, Löwen,
Bären, Stieren und einem wütenden Ehemann, anstatt sich auf den
Geschlechtsverkehr einzulassen. Später im Mittelalter widmeten sich die
Beginen12 dem apostolischen (nach Art der Apostel) Leben. Jeden Tag
verließen sie diesem Himmel, um sich unter die Armen zu mischen, wie sie
es versprochen hatten, um ihnen zu dienen. Sie wollten die Menschen durch
ihren zölibatären Eid vor den schädlichen gesellschaftlichen Strömungen
schützen. Andere Unternehmungen, religiös, abgeschieden oder nicht
abgeschieden, umarmten das Zölibat als Teil ihrer Strategie, um Heiligkeit
zu erreichen. St. Katharina von Siena und ihre Namensvetterin Kateri
Takakwitha 13 (1656-1680), die erste irokesische Heilige (die Irokesen sind
nordamerikanische Ureinwohner) gehörten zu den Aufsehenerregenden.
Ehrgeizige und wohlgeborene Äbtissinen (Vorsteherin eines Klosters)
kontrollierten die Klöster und gründeten fast unabhängige Lehnswesen
(Eigentum von Grund und Boden, den man verlieh). Sie wurden zu
Zufluchtsorten der Gelehrsamkeit. Eine verheiratete Laien-Frau, die
verwirrte aber engagierte Margery Kempe, kämpfte mit der Sexualität, bis
sie die Keuschheit in ihrer Ehe erreichte. Dies trug wesentlich zu ihrer
posthumen (nach dem Ableben) Seligsprechung bei.
9
Wüstenmütter: An der Schwelle zum 4. Jahrhundert scharen sich in der
ägyptischen Wüste immer mehr Menschen um die Einsiedler der heiligen
Antonius und Pachomius, unwiderstehlich angezogen von ihrer radikalen
Christusnachfolge in Armut und Enthaltsamkeit. Die ersten klösterlichen
Gemeinschaften entstehen. Das Leben und die Lehre der großen
Wüstenväter sind gut erforscht. Bislang unbekannt ist dagegen das geistliche
Vermächtnis der Frauen, die zur gleichen Zeit, oft nur einen Steinwurf
entfernt, ein Leben in Einsamkeit und Gebet führen. Eine herausragende
Rolle für das weibliche monastische (mönchische) Leben spielte der Heilige
Hieronymus. Um ihn herum bildeten sich asketische Zirkel von
aristokratischen hochgebildeten Frauen wie die Heilige Marcella und die
Heilige Paula, und zwar zuerst in Rom und später in Palästina. Dieses
Phänomen hat den christlichen Osten und Westen nachhaltig beeinflusst und
inspiriert.
10
St.Paul: Paulus von Theben (222-341) war ein christlicher Heiliger und
nach der Legende erster ägyptischer Einsiedler und Wüstenvater. Die
historische Existenz des Paulus von Theben ist allerdings umstritten. Der
Rückzug der "Wüstenväter" in die Wüste begann im 3. und 4. Jahrhundert
nach Chr. durch Menschen, die während der Christenverfolgung und auch
noch später die Dörfer und Städte Ägyptens verließen und sich vor allem in
der Sketischen Wüste, den Wüsten Nitra und Kellia, aber auch in den
Wüsten Palästinas und Syriens niederliessen.
11
Thekla von Ikonium: Es wird allgemein angenommen, daß Thekla von
Ikonium die Tochter eines angesehenen Bürgers aus Iconium (heute: Türkei)
war und durch die Predigten des Heiligen Paulus bekehrt wurde. Aus
derselben Ursache schlug sie die eheliche Verbindung aus, welche sie mit
einem wohlgestalteten, reichen und angesehenen Jünglinge eingehen sollte.
Die Legende berichtet ferner, Thecla habe sich, gerührt von den Worten und
Reden des Apostels Paulus, der neuen Lehre angeschlossen. Sie verließ das
elterliche Haus, um Paulus, der im Geiste der damaligen Zeit gleich nach
seinem ersten Auftreten als. Zauberer verdammt worden war, in seinem
Kerker aufzusuchen. Hier warf sie sich vor ihm nieder, küßte seine Ketten
und horchte mit stillem Entzücken auf die Gott verherrlichenden Reden des
heiligen Mannes. Endlich nach langem vergeblichem Forschen entdeckte
Theoelia, Thecla's Mutter, ihren Aufenthalt und zeigte ihn dem Präfecten an,
welcher nun den Apostel und Thecla vor seinen Richterstuhl rief. Kaum
hatte die Menge Kunde von dieser Begebenheit erhalten, als sie das
einstimmige Geschrei erhob: »er ist ein Zauberer, bringt ihn zum Tode!«
Quelle: Beginen
13
Kateri Tekawitha (1656-1680) war eine Indianerin, die in Kanada lebte
und nach ihrem Übertritt zum christlichen Glauben durch Selbstgeißelungen
in jungem Alter starb. Sie lehnte mehrfach eine Heirat ab und gelobte
Jungfräulichkeit. Kateri wurde im Jahr 1656 in der Mohawk-Siedlung
Ossernenon im heutigen amerikanischen Bundesstaat New York als Tochter
eines irokesischen Häuptlings und einer christlichen Algonkin (Algonkin =
Indianerstamm) geboren. Während die vorherige Generation noch ganz nach
alten Traditionen lebte, wurde während der Jugend Kateris durch Missionare
und Siedler das Leben der Indianer stark verändert. Fast ihre ganze Familie
starb durch Pocken, während Kateri überlebte. Mehrfach lehnte sie eine
Verheiratung ab und entschied sich gegen den Willen ihrer Verwandten für
das Christentum. 1676 wurde sie getaufte. Nach ihrer Taufe wurde
Tekakwitha wegen ihres Glaubens heftig von heidnischen Stammesgenossen
verfolgt: Man beschimpfte, verspottete und verfluchte sie, warf nach ihr mit
Steinen und bedrohte sie mit Tomahawks. Medizinmänner und Zauberer
bezichtigten sie als Hexe. All dies konnte sie jedoch nicht von ihrem
Glauben abbringen.
Am 25. März 1679, dem Fest Mariä Verkündigung, legte die 22-Jährige das
Gelübde der ewigen Jungfräulichkeit ab. Im „Dorf des Gebetes", wie
Caughnawaga auch hieß, führte Katerí ein Leben, das von strenger Buße
und ständigem Gebet erfüllt war. Täglich ging sie bereits morgens um vier
Uhr zur Kirche. Tagsüber unterbrach sie mehrfach die Arbeit, um zu beten.
Abends suchte sie wieder die Kirche auf und verließ sie erst zu vorgerückter
Stunde. Außerdem fastete sie streng und unterzog sich schmerzhaften
Bußübungen. Durch asketische Lebensweise und Selbstgeißelungen
geschwächt, starb sie am 17. April 1680 im Alter von nur 24 Jahren. Nach
ihrem Tod verschwanden innerhalb von zehn Minuten ihre Pockennarben
(sie erkrankte bereits als Kind an den Pocken, bekam dadurch starke
Pockennarben im Gesicht und wurde stark kurzsichtig). Auch andere
Wunder, zahlreiche Gebetserhörungen und Heilungen sind bezeugt. 1880
wurde für Katerí Tekakwitha ein Monument aus Marmor in Form eines
Sarkophags errichtet.
<>Quellen:
Katarina Tekakwitha
Kateri Tekakwitha
Die religiösen Männer dagegen, nahmen das Zölibat als eine kontuierliche
Schlacht gegen die unerbittliche Sinneslust, gegen die Versuchung und
gegen die ungebetenen Erniedrigungen des nächtlichen Samenverlustes
wahr. Das tiefempfundene Gebet des ernsthaften und selbstsüchtigen
römischen Philosophen und Kirchenlehrers Augustin von Hippo "Herr, gib
mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber noch nicht jetzt." verdeutlicht das
Dilemma. Keuschheit brachte den Männern weit weniger Belohnungen als
den Frauen, weil sie bereits gesellschaftliche Macht hatten. Als
schmerzhafte Konsequenz erlebten sie das Zölibat mehr als ein Verhungern,
als eine Geisel, eine Unterwerfung.
Abgesehen von ihrer universellen religiösen Dimensionen, ist die Macht des
Samens ein stets wiederkehrendes Thema. Die Dringlichkeit der Erhaltung
dieser lebenswichtigen Flüssigkeit oder "Lebenskraft" hat die verschiedenen
Denker, wie die griechischen Ärzte, die Hindu-Weisen , die Leichtathletik-
Trainer und die moralischen Reformer dazu geführt, sich zum Ideal des
Zölibats zu bekennen. Sie gaben das Versprechen, dass die Vitalität, die
Energie und die intellektuelle Leistung mit der Bewahrung des kostbaren
Samens erhalten bleiben. Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac
traf es am prägnantesten, als er in postkoitaler (nach dem
Geschlechtsverkehr) Traurigkeit sagt: "Dort geht ein anderer Roman!"
Das Zölibat ist auch ein beherrschendes Thema, wenn man einen Zustand
erreicht, in dem man direkt mit Geistern kommunizieren kann. Schamanen15
und Vodoo-Priester und Priesterinnen müssen kurzfristige Enthaltsamkeit
während ihrer Ausbildung und während ihres Handelns praktizieren. Das
Zölibat erhöht ihr Bewusstsein und ihre Sensibilität und beschwichtigt die
eifersüchtigen Götter.
15
Die Mazateken, ein mexikanischer Stamm auf dem Rio Negro (Nebenfluss
des Amazonas), erlegte ihren Schamanen (Medizinmännern) das Zölibat
auf, weil sie glaubten, dass die Medizin wirkungslos sein würde, wenn sie
durch einen verheirateten Mann verabreicht wird. In ihrer Autobiographie
"Botin der heiligen Pilze", schreibt die im mexikanischen Bundesstaat
Oaxaca bei den Mazateken lebende Schamanin, María Sabina (1894–1985),
dass sie bereits mit vierzehn Jahren heiratete, aber enthaltsam lebte, da eine
Weise enthaltsam leben sollte.
Quelle: Inka
Das Zölibat hatte eine andere Gestalt, wenn sie von nichtreligiösen, aber
nicht zwangsläufig unreligiösen, Frauen praktiziert wurde. Um die
"natürliche" Ordnung herauszufordern, verhielten sie sich subversiv,
unterwürfig und ergeben. Jeanne d'Arc und die Häuptlingsfrau
Biawacheeitchish (1790-1830) der Krähen-Indianer (die berühmte Kriegerin
aus dem Stamme der Absarokee hatte mehrere erfolgreiche Kriegszüge
angeführt), wählten einen weiblichen Weg und führten ein Leben als
Kriegerin. Im 19. Jahrhundert verherrlichten britische Frauen die
Jungfernschaft. Sie lebten in unabhängiger Abgeschiedenheit und vergassen
ihre Karriere. Florence Nightingale, Tochter einer wohlhabenden britischen
Familie, widerstand dem unerbittlichen Druck der Familie, verschmähte die
Bewerber und die Ehe für die Jungfräulichkeit, um die beschämende und
bescheidene Krankenpflege zu einem der weltweit edelsten Berufe zu
machen. In Albanien und Indien schworen ländliche Frauen, die man in der
heutigen westlichen Welt als Transsexuelle bezeichnen würde
(Transsexuelle fühlen sich einem anderen Geschlecht zugehörig), ein
lebenslanges Zölibat. Sie trugen Männerkleidung, führten einen männlichen
Lebensstil und wurden Bauern. Königin Elizabeth I. von England bewahrte
ihre Keuschheit lebenslänglich von Leidenschaften und Liebeleien und
widerstand dem ständigen Drängen der Ratsherren, zum Wohle der Nation
zu heiraten. So wurde sie zu eine der hervorragensten Monarchen.
Das Zölibat hat auch andere freundliche und weniger dramatische Formen.
Es wird benutzt, um die Fruchtbarkeit für nachfolgende Schwangerschaften
bei stillenden Frauen zu fördern. In einigen Gesellschaften nehmen alternde
Frau das Zölibat öffentlich an, um dadurch das Ende ihrer Fähigkeit oder
Bereitschaft, weitere Geburten zu erdulden, zu signalisieren. Allerdings ist
das Zölibat nicht immer so erhebend. Vor allem verleiht der große Wert, den
die meisten Gesellschaften auf die Jüngfräulichkeit der Braut legen, dem
Zölibaz eine ausgesprochen hässliche Seite. Die "goldenen Lotusfüße" der
kleinen chinesischen Mädchen werden nicht mehr gebunden und
Keuschheitsgürtel sind rostige Museumskuriositäten, aber weibliche
Genitalverstümmelungen (Beschneidungen), bei denen die weiblichen
Geschlechtsteile (Klitorisvorhaut, Klitoris, Schamlippen) teilweise oder
ganz entfernt werden und mittelöstliche (Bezeichnung für den indischen
Subkontinent und daran angrenzende Länder) Ehrenmorde sind immer noch
abscheuliche Beispiele, die ein fortwährendes Szenarion blutiger
Verzweiflung beschreiben. Auch heute noch fallen täglich etwa 6.000
Mädchen der Beschneidung zum Opfer und Ehrenmorde beendes das Leben
vieler junger Frauen, alles im Namen der sexuellen Reinheit.
Häufig wird Männern und Frauen das Zölibat auch unfreiwillig auferlegt:
Gefangenen; den russischen und kanadischen Lehrern des 19. Jahrhunderts;
Millionen von Chinesen, die in der repressiven maoistischen Zeit in
Arbeitslagern waren; ungeliebten arabische Frauen, die in eine polygyne
Ehegemeinschaft (ein Mann, mehrere Frauen) einheirateten und in der Liebe
und im Bett nicht zu den Favoritinnen ihres Ehemannes zählten. Millionen
chinesischer Junggesellen sind zum Zölibat verurteilt, weil die Politik der
"Ein-Kind-Familie" dazu führt, dass massenweise weibliche Föten und
Säuglinge getötet werden. Dies führt zu einem massiven Ungleichgewicht
zwischen den Geschlechtern.
In der Geschichte wurde manchen Männern das Zölibat auch brutal durch
die Chirurgie auferlegt und zwar durch Kastration (Entfernung der Hoden)
oder Entfernung der männlichen Genitalien. Eunuchen wurden für
verschiedene Zwecke benötigt. Sie dienten oft in Harems, wo frustrierte
Frauen nicht von genital gesunden Männern überrascht werden sollten. Im
byzantinischen und osmanischen Reich füllten sie administrative und
militärische Posten aus, kontrollierten sehr viel Geld und die Schicksale
ganzer Völker. Die wichtigste Qualifikation für solche Traumjobs war die
Unfähigkeit zur Fortpflanzung. Diese Anforderungen konnten unkastrierte
Männer, die eine Familie hatten, nicht erfüllen. Eunuchen konnte auch
deshalb vertraut werden, weil keine Intrigen ihrer Söhne befürchtet werden
mussten, da sie keine hatten.
Da das Kastrationsritual offiziell verboten ist, jedoch von der lokalen Polizei
meistens geduldet wird, bewegen sich die Beteiligten dabei in einer
Grauzone und für die betroffene Hijra besteht erhebliche Lebensgefahr.
Problematisch sind hierbei insbesondere die mangelhaften hygienischen
Zustände bei der Kastration und bei den "Operationsinstrumenten", es fehlt
an medizinisch-chirurgische Kenntnisse, zudem kann beim Auftreten von
Komplikationen in den seltensten Fällen medizinische Nothilfe in Anspruch
genommen werden. Einerseits reicht das Geld selten für eine
Krankenhausbehandlung und die nötigen Bestechungsgelder können
aufgrund des meldungspflichtigen Vorfalls auch nicht aufgebracht werden.
Quelle:
Hijra
Hijras, das dritte Geschlecht
19
Die Galloi waren kastrierte Priester und Tempeldiener der phrygischen
(anatolischen) Kultur. Sie kastrierten sich selbst nach orgiastisch
gesteigerter Raserei während der feierlichen Zeremonien für die Göttin
"Kybele" mit einem scharfen Stein, mit Messern und Beilen. Diese
öffentlich durchgeführte Verstümmelung hatte den Zweck, die Zuschauer zu
erschrecken und zu Spenden zu bewegen. Dem Theologen Lukian (250-320)
zufolge zogen die Galloi in Hierapolis (eine antike griechische Stadt in
Phrygien, gehört heute zur Türkei) nach der Kastration in der Stadt umher:
Sie erhielten weibliche Kleider und Schmuck aus dem Haus, in das sie die
abgeschnittenen Genitalien hineinwarfen. Nach der Kastration durften die
Galloi sich ausschließlich von dem Fleisch der Opfertiere ernähren. Nach
Augustinus von Hippo war der Glaube verbreitet, dass die Kastration den
Galloi besonderes Glück nach dem Tod bescheren konnte. Das Ritual der
Selbstverstümmelung der Galloi blieb zunächst auf den anatolischen
(vorderasiatischer Teil der Türkei) und kleinasiatischen Kulturkreis (zu 97
Prozent türkisches Staatsgebiet) der Muttergottheit begrenzt.
Quelle: Galloi
Es gibt Beispiele ritueller Penisverlängerungen, die sich auf der ganzen Welt
finden lassen. Zwei bekannte Beispiele stammen aus Indien und Afrika. Die
Sadhus (Die Sadhus sind hinduistische Mönche, die das weltliche Leben
aufgegeben haben und sich einem strengen religiösen und asketischem
Leben verschrieben haben.) der Naga-Sekte, eine umherziehende Gruppe
von heiligen Männern, die zu Fuss kreuz und quer durch Indien wandern,
dehnen ihren Penis durch den Einsatz von schweren Steinen. Sie erreichen
Penislängen von bis zu 18 Zoll (etwa 46 cm). Diese Bemühungen haben
einen rein spirituellen Zweck. Die Sadhus haben kein Interesse am Sex und
schädigen ihren Penis absichtlich unheilbar, um spirituelle Erleuchtung zu
erlangen.
Der afrikanische Stamm der Karamojong, aus dem Nordosten Ugandas, sind
für ähnliche Penisverlängerungen bekannt. Von früher Jugend an, hängen
sie eine stets anwachsende Zahl von kreisförmigen Steinen an das Ende
ihres Penis und im Laufe einer Reihe von Jahren erreichen sie Penislängen,
die mit denen der indischen Sadhus vergleichbar sind. Um ihre imposanten
und unpraktischen Anhängsel besser zu handhaben, binden die Karamojong
ihren Penis zu einem Knoten. Es ist anzumerken, dass sowohl die
Karamojong und die Sadhus unglaubliche Penisgrößen erreichen. Aber sie
fügen ihrem Penis einen dauerhaften Schaden zu, der nicht mehr geheilt
werden kann. Solche extremen Praktiken führen zu Nerven- und
Gewebeschäden, die eine normale Erektionsfähigkeit verhindern. Diese
Beispiele geben einen Einblick in die Penisverlängerung. Durch eine
kontrollierte und angemessene Nutzung können auch maßvolle
Penisverlängerungen ohne die Gefahr einer Verletzung erreicht werden.
Im Laufe der Geschichte haben viele Kulturen den Penis gestreckt, um ihn
zu vergrößern. Die Sadhus, die heiligen Männer Indiens, die peruanischen
Cholomecs und die Indianer Papua-Neuguineas (nord-östlich von
Australien) erreichen durch rituelle Penisverlängerungen eine Penislänge
von 22 Zoll (etwa 51 cm). Es gibt zahlreiche andere kulturelle Beispiele
dieser Penisverlängerungen.
How penis stretching works (Wie die Penisverlängerung funktioniert)
"Einem indischen Mädchen stand die Last der Mutterschaft schon früh
bevor. Neun Monate nach Beginn der Pubertät. Ihre Eheschließung lag weit
zurück (die Kinder wurden schon mit fünf oder sieben Jahren verheiratet)
und der kluge Gatte hatte seine Kindbraut schon lange an regelmäßigen
Geschlechtsverkehr gewöhnt. Von der ersten Blutung an schlief er mit ihr,
um ihre "ersten Früchte" kosten zu können. Aber unter diesen Umständen
gelang es dem Ehemann nicht häufig, auch die Ernte einzufahren. Solche
Kinderehen entlarvten sich allzu oft als raffinierter Massenmord an
Mädchen. Millionen dieser jungen Ehefrauen starben jährlich an
Unterleibsverletzungen oder an der Niederkunft. Noch 1921 hielt eine
offizielle Volkszählung der britischen Regierung statistisch fest, dass in den
vorausgegangen zwölf Monaten 3.200.000 Kindbräute in Indien gestorben
waren.
3. Neun Jahre alt. So stark zerfetzt, dass sie chirurgisch kaum noch zu
heilen war. Ihr Mann hatte noch zwei andere Frauen und sprach
ausgezeichnetes Englisch.
4. Sieben Jahre alt. Lebte beim Ehemann. Starb nach drei Tagen unter
großen Qualen.
5. Etwa zehn Jahre alt. Kroch auf Händen und Knien zum
Krankenhaus. Konnte seit ihrer Hochzeit nicht mehr aufrecht stehen.
Das Zölibat hat aber auch viel sanftere Varianten, z.B. wenn es von den
Menschen praktiziert wird, die sich unsicher fühlen, ihre unkonventionelle
Sexualität auszuleben. Hierzu zählen homosexuelle Männer wie Leonardo
da Vinci (Homosexualität stand unter Strafe), pädophile Männer wie der
britische Schriftsteller, Mathematiker und Fotograf Lewis Caroll (1832-
1898), Exzentriker, wie der englische Schriftsteller, Maler, Kunsthistoriker
und Sozialphilosoph John Ruskin (1819-1900) und der untröstliche
Liebhaber Sir Isaak Newton (dem seine Verlobte davongelaufen war). Das
Zölibat kann außerdem eine heilende Wirkung für die Opfer von sexuellem
Missbrauch und Vergewaltigung haben. Sie gibt ihnen Zeit und Raum, die
Probleme, die die Sexualität bei ihnen hervorruft, zu verarbeiten. Heute, in
Zeiten von Aids, nehmen einige Menschen das Zölibat als Instrument des
physischen Überlebens, so wie manche Menschen im syphilis-durchsetzen
sechzehnten Jahrhundert auf Sex verzichteten. Wenn der Sex sich plötzlich
in Form eines Totenkopfes präsentiert, erscheint das Zölibat wie ein
Schutzengel.
In der Tat beschränkt sich das Interesse für das Zölibat nicht nur auf die
jüngere Generation. Auch die mittlere oder ältere Generation wendet sich
zunehmend dem Zölibat zu. Dies geschieht zur Erreichung persönlicher
Autonomie, aus spirituellen Gründen, wegen der Verbindung zu Gott, zur
Natur und aus vielen anderen Gründen. Einige erklären sich als "Reborn
Virgins" (Wiedergeborene Jungfrauen). Andere loben den Reichtum, den
das Zölibat ihrer Beziehung, einschließlich ihrer Ehe, verliehen hat. Wie die
keuschen Ehemänner und Ehefrauen in den ersten christlichen
Jahrhunderten, wie der italienische Mönch und Ordensgründer Franz von
Assissi und seine geliebte Begleiterin, die Heilige St. Klara (Klara von
Assissi) , finden diese Männer und Frauen im Zölibat Frieden und Erfüllung.
Es befreit sie von Besitzdenken und Eifersucht.
In den Jahren, in denen ich die Geschichte des Zölibats erforschte und
ausarbeitete, unterstützte ich das Zölibat. Dies geschah, obwohl ich
Jahrzehnte zuvor als bekennender nicht-zölibatärer Mensch gelegentlich
über das Zölibat scherzte. Es geschah mehrere Jahre, nachdem ich mich
unter dem Schutt meiner zerbrochenen Ehe wieder zusammenraufte und ein
neues Leben in einer fremden Stadt begann, wo ich in keiner sexuellen
Beziehung verwickelt war. Nachdem ich das Zölibat selber erfahren hatte,
zelebriert hatte, ist das bessere Wort, und das Gefühl der Freiheit spürte, das
viele andere Frauen durch das freiwillige Zölibat erlangt haben, umarmte ich
es als eine bewusste Wahl. Von dann an hatte ich keine Beziehung mehr zu
einem Mann. Nachdem ich mein Leben und seine Prioritäten, einschließlich
der Notwendigkeit tiefer emotionaler Beziehungen neu bewertet habe, habe
ich eine Lebensart gewählt, die mich sehr zufriedenstellt.
Ich war tief beeindruckt und beeinflusst von den Menschen, die in der
Vergangenheit das Experiment des Zölibats eingegangen waren. Dazu
zählten die mutigen Wüstenmütter, die das harte und trostlose Leben in der
Wüste aushielten, die stolzen, entschlossenen und beeindruckenden
vestalischen Jungfrauen, die mutigen weiblichen indianischen
Kriegerhäuptlinge und die rebellische Florence Nightingale, deren
Lebensstile und Probleme so entfernt von meinem eigenen Leben waren.
Noch mehr wurde ich durch die Leistungen einzelner Menschen beeinflusst
- Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler - die das Zölibat wählten, da
Beziehungen Zeit und Energie benötigen, die sie lieber in ihre Arbeit
investieren wollten. Feierte ich einst den sexuellen Genuss, so erkannte ich,
dass mir die Unabhängigkeit und Gelassenheit der keuschen
Abgeschiedenheit, in dieser Phase meines Lebens, mehr bringt. Ich begrüßte
meine Freiheit, die frei von Eifersucht und Besitzdenken war, die meist
meine Beziehungen prägten und ich war sehr und dauerhaft erleichtert, dass
keine häuslichen Erfordernisse eines Anderen meinen Alltag dominierten.
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Griechischer Mythos - Athena, Artemis and Hestia Top
Das Pantheon hat ein Dutzend Akteure, die sich zu gleichen Teilen
zwischen den Göttern und Göttinnen aufteilen. Keiner der Götter war auch
nur im mindesten keusch: Zeus (röm.: Jupiter), der Führer; Apollo, der
Sonnengott, und auch der Gott der Schönheit, Jugend, Poesie, Musik,
Prophetie und des Bogenschießens; Ares (röm.: Mars), der Kriegsgott;
Hermes (röm.: Merkur), der Bote und Gott der Diebe und Kaufleute;
Poseidon (röm.: Neptun), der Gott des Meeres und Hephaistos (röm.:
Vulkan), der Gott des Feuers und des Metallhandwerks. Alle waren
heißblütige Männer, die zwischen Himmel und Erde verführten,
vergewaltigten und befruchteten. Das himmlische Zölibat, wie seine irdische
Entsprechung, wurde den Göttinnen überlassen.
Die drei wichtigsten Göttinnen, Athene (Minerva), die Göttin des Krieges,
der Weisheit und des Handwerks; Artemis (Diana), die Göttin der Jagd und
der Tiere und Hestia (Vesta), die Göttin der Feuerstellen, waren engagierte
Jungfrauen und hatten alleine die Macht, Aphrodite (Venus), der Göttin der
Liebe und der sexuellen Begierde zu widerstehen. Eine vierte Göttin Hera
(Juno), Zeus' Frau und Schutzpatronin der Ehe, war eine halbe Jungfrau,
eine keusche Frau, die jährlich ihre Jungfräulichkeit durch ein reinigendes
Bad in der Quelle Canathus erneuerte.
Zeus' erste Frau war die weise Metis (Zeus hatte insgesamt 36 Frauen.). Als
Metis schwanger wurde, täuschten andere Gottheiten Zeus mit dem Orakel,
dass Metis einen Sohn gebären würde, der seinen Vater verdrängen würde,
um König über Götter und Menschen zu werden. Zeus ließ sich von dieser
Panikmache beeindrucken und beschloss Metis zu beseitigen, indem er sie
verschlang, als sie mit Athene schwanger war. Bald darauf aber wurde er so
stark von Kopfschmerzen geplagt, dass der mitfühlende Hephaistos auf
Zeus' Befehl Zeus mit einer Axt den Kopf spaltete, um die Schmerzen zu
lindern. Aus Zeus' Stirn entsprang die Göttin Athene mit weit hallendem
Schlachtruf, in voller Rüstung und mit einem spitzen Wurfspeer bewaffnet.
Ein zweites Kind, ein Sohn, mit dem Metis gleichzeitig schwanger war,
wurde nicht befreit und blieb ungeboren. Das Orakel hat sich also nicht
erfüllt.
Und was war Athena für eine Göttin! Sie hatte eine unnahbare, reservierte
Schönheit, durchbohrende Augen und ein sachliches Kostüm: einen
goldenen Helm, einen enormen Speer und ein flatteriges Schild. In ihrer
Rolle als jungfräuliche Kriegerin, als Expertin für Strategie und Disziplin,
war sie ständig gezwungen, im Krieg zwischen den Griechen und den
Trojanern 23 einzuschreiten. Sie ritt und schritt mit kriegerischen Geschrei
im Nahkampf über Schlachtfelder, sammelte die griechischen Soldaten und
versteinerte die Trojaner. Athena war eine todbringende Kämpferin und ihr
Tempel, ein reines, kaltes und weiß-marmoriertes Gebäude, das, wie Athena
selbst, als Pantheon der Jungfrauen bekannt ist, beherrscht Athen.
23
Die Trojaner bezeichnet in der griechischen Mythologie und Geschichte
die Bewohner des antiken Troja. Troja ist eine Stadt des Altertums im
Nordwesten der heutigen Türkei. Troja ist identisch mit dem Hügel Hisarlık
in der türkischen Provinz Çanakkale.
Wie alle griechischen Gottheiten, ist Athena weit davon entfernt, perfekt zu
sein. Als sie einst mit ihrer Freundin Pallas in einem Turnier kämpfte,
zerstritten sich die beiden Frauen. Als Pallas den Arm hob, um Athena zu
schlagen, tötete die Göttin unbedacht die Angreiferin, um anschließend ihre
Hastigkeit bitter zu bereuen. In einem anderen Beispiel moralischer
Unvollkommenheit, war sie so rasend eifersüchtig auf Arachne's24
auserlesene Wandteppiche, dass sie ihr Gesicht mit dem Buchsbaum-
Schiffchen des Webstuhls zerschmetterte und sie provozierte, sich selber
aufzuhängen. Athena aber belebte sie wieder, verwandelte sie in eine Spinne
und ließ sie ein endloses Spinnennetz weben.
24
Arachne ist die Schutzgöttin der Spinner, Weber und Handwerker. Als
Arachne behauptete, die Göttin Athene in der Webkunst zu übertreffen,
verwandelte Athene sie in eine Spinne.
Athena hatte eine Reihe von Fähigkeiten, die es so schwer machen, sie zu
beschreiben, anders als bei einer Renaissance-Frau. Sie wurde wegen ihrer
Weisheit in politischen und häuslichen Angelegenheiten geehrt. Athena
konnte gut mit Pferden umgehen und war eine erfahrene Trainerin. Sie
kannte sich gut mit Schiffen und Streitwagen aus und erfand die Flöte. Als
Athena allerdings in einem Gewässer ihr vom Flötenspiel verzerrtes Gesicht
sah, warf sie die Flöte verärgert fort, weil sie ihr hübsches Gesicht entstellte.
Athena ist auch die Schutzgöttin der Kunst und des Kunsthandwerks.
ruft Athena, die Tochter des olympischen Zeus, als sie vollerblüht, in voller
Rüstung, dem Haupte ihres Vaters entsprang. Sie hatte niemals in der
Dunkelheit der Gebärmutter gebrütet. Als ihr Bruder Hephaistos sie sexuell
angriff, während sie in seiner Schmiede stand und neue Waffen bestellte,
wehrte sie ihn wütend ab, so dass er auf ihren Oberschenkel ejakulierte.
Athena schabte den abscheulichen Samen in der Nähe von Athen auf den
Boden und befruchtete damit Mutter Erde. Dadurch wurde Erichthonios, der
schlangenfüßige Sohn des Hephaistos, geboren. Plötzlich aber erweichte die
streitsüchtige Göttin und entschied sich, das Kind selber aufzuziehen. Sie
war ein unerbittliche Kriegerin, die ihre Jungfräulichkeit mit ihrem Leben
verteidigte. Aber bei dem Anblick eines wimmernden Säuglings, wurde sie,
die selber mutterlos war, zum Ingegriff der Mütterlichkeit.
Athene war sich auch sehr bewusst, dass ihre Nacktheit sie sexuell
verletztbar machte. Ihren glänzenden Körper war das letzte Bild, das der
Prophet Teiresias sah, als er sie unachtsam beim Baden in einer Quelle
beobachte. Er war geradezu von ihrer Schönheit geblendet. (Später
entschädigte sie dieses, indem sie ihm das Geschenk der Prophezeiung und
des Hellsehens machte.) 25
25
Die niederen Instinkte verachtete Athena. Unzucht und Unkeuschheit
wurden von ihr schwer geahndet. So wird erzählt, daß Teiresias, der Seher
aus der Ödipus-Sage, in seiner Jugend die Göttin beim Bade belauschte und
etwas sah, was er nicht sehen durfte. Athena strafte ihn darauf mit Blindheit,
verlieh ihm aber auf Bitten seiner Mutter, der Nymphe Chariklo, die
Fähigkeit des Hellsehens.
Diese Vorfälle und andere, hatten damit zu tun, dass sie der Keuschheit
solch einen großen Wert beimaß. Es bedeutete aber nicht, dass sie eine
Abneigung gegen Männer hatte. Aus diesem Grunde wies sie auch alle
diejenigen ab, die sich danach sehnten, sie zu heiraten. Sie bevorzugte sogar
die Männer gegenüber den Frauen und unterstützte mehrere Helden. Sie
hatte immer eine liebevolle und friedvolle Beziehung zu ihrem Vater, Zeus,
aufrechterhalten. Athena führte ein wundersames und aberteuerliches Leben.
Sie war furchtlos, mutig und listig wie ein Krieger; subtil, klug und witzig
wie eine Ratgeberin; ehrgeizig, temperamentvoll und ungestüm mit
Konkurrenten, vor allem mit Frauen. Sie verteidigte ihre Sexualität wie eine
Kriegerin mit körperlicher Gewalt, aber schmolz beim Anblick eines Babys
in Zärtlichkeit dahin. Bei all dem, ging sie ihren eigenen Weg.
Artemis, die Tochter des Zeus und Leto, hatte viel mit ihrer Halbschwester
Athena gemeinsam. Ebenso wie Athena hatte sie bereits als Kleinkind die
Jungfräulichkeit verehrt. Als sie sich auf dem Knie ihres Vaters Zeus
wiegte, durchdrang ihn eine Welle der Zuneigung und spontan fragte er sie,
welche Geschenke er ihr machen sollte. "Schenk' mir meine Jungfräulichkeit
für immer," antwortete sie augenblicklich.
Und gib mir Pfeil und Bogen und eine Tunika26 mit einer bestickten
Zierleiste, die bis zu den Knien reicht, so dass ich damit wilde Tiere
töten kann. Und gib mir sechzig Töchter des Okeanos 27 für meinen
Chor, alle neun Jahre alt, alle jungfräulich, aber ungegürtet; und gib
mir zwanzig Nymphen 28 des Amnisus29 als Dienerinnen, die meine
Stiefel gut pflegen, und, wenn ich nicht mehr auf Luchs und Hirsch
schieße, mich rasch begrenzen. Und lass mich alle Berge zählen...
denn selten geht Artemis hinunter in die Stadt.
26
Die Tunika bestand ursprünglich aus zwei rechteckigen Stoffstücken, von
denen das hintere etwas länger war als das vordere, und wurde nur auf den
Schultern zusammengehalten. Beliebter war die an der Schultern und an den
Seiten zusammengenähte Tunika. Sie war aus weißer Wolle gefertigt und
anfangs ohne Ärmel. Später wurden kurze, nicht bis an die Ellbogen
reichende Ärmel üblich. Sie wurde über den Hüften durch einen Gürtel
zusammengehalten und reichte bei Männern bis unter die Knie herab, bei
Frauen bis zu den Knöcheln.
27
Okeanos ist der griechische Meeresgott. Mit seiner Schwester und Gattin
Tethys zeugte er die Flussgötter, Meeres- und Quellnymphen, die
Okeaniden, von denen die Gewässer abstammen. Später trennten sich die
beiden. Hätten sie dies nicht getan, würden sie noch immer Quellen und
Flüsse zeugen, so dass die Welt aus den Fugen geriete.
28
In der griechischen Mythologie sind Nymphen weibliche Gottheiten
niederen Ranges, welche als Personifikation von Naturkräften überall
auftreten und teils als Begleiterinnen höherer männlicher und weiblicher
Gottheiten, teils als selbständig wirkend gedacht wurden. Auffällig ist
hierbei der Reiz und die überwältigende Schönheit, die von ihnen ausgeht.
Sie sollen sich mit jedem eingelassen haben, der ihren Weg kreuzte.
29
Amnisus (Amnisos) ist der Flussgott der Insel Kreta in der griechischen
Ägäis.
Fast wie ein nachträglicher ironischer Einfall, fügte Artemis hinzu, dass
ausgerechnet Frauen in den Wehen sie ständig anrufen würden, da sie als
Schutzgöttin der Geburt für die Geburtswehen der Frauen verantwortlich
gemacht wird. Artemis Denken und Wünschen entsprang nicht der Laune
eines Kindes. Von Beginn an war sie ebenso unabhängig und selbstbewusst
wie Athene. Das Leben, für das sie sich entschieden hatte, war streng
jungfräulich. Der erste Anhaltspunkt hierfür war ihre Nachfrage nach vielen
unschuldigen Mädchen als Begleiterinnen. Im Gegensatz zu Athene war
Artemis eine wachsame und vorsichtige Jungfrau und sie verlangte von
ihren Anhängerinnen das Zölibat. Atemis inspirierte auch die Amazonen 30,
die sowohl Athena als auch Artemis verehrten und ihnen glichen, da sie
Bogenschützinnen waren und männliche Gesellschaft verachteten.
30
Amazonen im engeren Sinne ist der Name, den die Griechen einem in den
Mythen matriachalisch (frauenzentriert = Frauenherrschaft) organisierten,
angeblich in Anatolien und am Ostufer des Schwarzen Meeres (Kaukasus)
lebenden Volk gaben.
Atemis war unbarmherzig gegenüber den Männern. Sie war nicht imstande,
ihre starren Regeln für die Männer anzupassen. Das beste Beispiel dafür ist
ihre Vernichtung Orion's (Orion ist der griechischen Mytologie ein Jäger)
für eine versuchte Vergewaltigung. (Das Schicksal des tragischen
Hippolytus, dem Sohn der Amazone Hippolyte, die in Euripides' Tragödie
"Hippolytus" verewigt ist, wird weiter unten beschrieben. 31) Als der Riese
Tityus versuchte, seine Mutter zu vergewaltigen, verschworen sich Artemis
und ihr Zwillingsbruder Apollo, um ihn zu ermorden. Artemis kannte auch
gegenüber den Frauen kein Mitgefühl. Als ihre Lieblingsjungfrau Callisto in
der Schwangerschaft einen dicken Bauch bekam, nachdem Zeus sie verführt
hatte, verwandelte Artemis sie in eine Bärin und setzte eine Meute Hunde
auf sie an. Nur durch Zeus' Eingreifen gelangte Callisto in den Himmel.
Dadurch vereitelte Zeus Artemis Pläne des blutigen Tods der einst
jungfräulichen Callisto.
31
Hippolytus ist in der antiken Mythologie ein Sohn des Theseus und der
Amazone Hippolyte. Seine Stiefmutter Phaidra (die Ehefrau des Theseus)
versuchte erfolglos, Hippolytus zu verführen. Als dies nicht gelang,
verleumdete sie ihn bei ihrem Ehemann. Theseus verfluchte daraufhin
seinen Sohn bei Neptun, der dafür sorgte, dass Hippolytus einen tödlichen
Unfall erlitt. Aus Kummer über Hippolytus Tod nahm sich Phaidra das
Leben. Aesculap aber erweckte den um seiner Keuschheit willen
Ermordeten Hippolytus vom Tode.
Die einzige keusche Göttin, die ein Vorbild für die weiblichen griechischen
Werte ist, ist Zeus' Schwester Hestia. Wie die guten griechischen Frauen
blieb Hestia zu Hause. Sie kümmerte sich als Göttin des Herdfeuers um die
Herd- und Opferfeuer auf dem Olymp 33. Ihr Leben war Routine. Es gab
keine Aufregung, keine Kriege, keine Konflikte oder Abenteuer. Aber sie
wurde in ganz Griechenland als Göttin der familiären Feuerstellen verehrt.
33
Der Olymp ist das höchste Gebirge Griechenlands. In der griechischen
Mythologie ist der Olymp der Berg der Götter. Der Olymp galt als
Wohnstätte der Götter, als göttlicher Palast, wo man zu Beratung und
Schmaus zusammenzukommen pflegte und in dem es genau zwölf
Wohnungen für die zwölf olympischen Götter gibt. Sie entsprechen den
zwölf Monaten und den zwölf Tierkreiszeichen. Diese zwölf Götter sind:
Zeus, Hera, Poseidon, Demeter, Hermes, Athena, Ares, Aphrodite, Apollon,
Artemis, Hephaistos und Hestia.
In allen Tempeln der Götter hat sie einen Ehrenplatz und unter den
Menschen nimmt sie den ersten Platz unter den Göttinnen ein.
Ironischerweise wurde Hestia die Göttin des Familienlebens und damit auch
für die Werte, die für die Gründung der Familie stehen: die Zeugung der
Nachkommenschaft.
Athene, Artemis und Hestia sind eine enorm beeindruckendes Trio, deren
Jungfräulichkeit ihnen eine Freiheit erlaubt, der für Unkeusche undenkbar
ist. Athena und Artemis wagten sich in die männlichen Domänen des
Krieges und der Jagd und mit ihrer großen physischen Stärke, die durch
Waffen, Geschick, Entschlossenheit und Mut unterstützt wurden,
beherrschten sie ihre Welten. Athena überwachte die Städte, Artemis die
Landschaften und Hestia das Familienleben.
Die Parallelen und Unterschiede zwischen den Göttinnen und den realen
griechischen Frauen sind offensichtlich. Die Jungfräulichkeit wurde von
grundlegender Bedeutung für die Braut, wenn auch nicht für den Bräutigam.
Aber ein lebenslanges Zölibat wurde selten als eine gute Sache angesehen.
Hestia's Junggesellinnentum war sehr faszinierend. Die Griechen verstanden
es aber wahrscheinlich nicht als eine Herausforderung an die traditionelle
Frauenrolle, sondern als eine Notwendigkeit, um die Stabilität der Welt und
der Götter zu erhalten. Verheiratete Frauen wurden immer mit dem Herd des
Ehemannes in Verbindung gebracht. Darum bestand für Hestia die einzige
Möglichkeit, zu Hause und auf dem Olymp zu bleiben darin, auf eine Ehe zu
verzichten.
Athene und Artemis zahlten den Preis ihrer Sexualität, für das enorme
Privileg, ein männliches Leben führen zu dürfen. Sie verzichtete auf Ehe
und Mutterschaft, das einzig akzeptable Leben menschlicher Frauen. Sie
leisteten außerdem entschlossen Widerstand gegen Vergewaltigungen, ein
häufig anzutreffendes Schicksal der Frauen, die von männlichen Göttern
geliebt wurden.
Reale Frauen bewunderten die Göttinen wegen ihrer Freiheit von sexueller
Leidenschaft und vor allem wegen der Freiheit von den Männern. Es
inspirierte sie, machte die Göttinnen zu vertrauenswürdigen Geschöpfen, die
sie bewunderten und verehrten. Das Zölibat brachte den realen Frauen aber
keine Belohnung, außer der harten Arbeit und der höhnischen Kommentare
der Brüder oder Väter, die sie verpflegen mussten. Hatten die Frauen jedoch
irgendwelche Illusionen, Athena oder Artemis nachzuahmen, dann gab der
"weise" Sokrates den Rat: "Mache sie zu deiner Sklavin." Die
Hoffnungslosigkeit ihrer eigenen Situation muss die überwältigende Freiheit
der Göttinnen jedoch vielen Frauen als sehr begehrenswert erschienen sein.
Für reale Frauen aber blieb die Lektion, dass Jungfräulichkeit der
Unabhängigkeit entspricht, eine Angelegenheit, die nur die Göttinnen betraf.
Atalanta's Ruhm verbreitete sich bis zu ihrem Vater Iasos. Der war jetzt
stolz auf die Leistungen Atalanta's, erkannte sie als seine Tochter an und
beschloss, sie zu verheiraten. Atalante, die immerwährende Jungfräulichkeit
geschworen hat, stellt die Bedingung, der zukünftige Gatte müsse sie im
Wettlauf besiegen. Sie würde den ersten, der sie besiegte heiraten und alle
Verlierer töten. Atalanta war so schön, dass viele junge Männer gegen sie
antraten. Aber natürlich verloren sie alle, obwohl sie allesamt nackt waren,
während Atalanta durch ihre Kleidung und manchmal durch ihre Waffen
behindert war.
Ein gerissener junger Mann, Melanion, aber machte gemeinsame Sache mit
Aphrodite um Atalanta zu überlisten, weil er sie im Wettlauf nicht
überholen konnte. Als sie zusammen liefen, ließ er drei goldene Äpfel als
Geschenk für Atalanta zu Boden fallen. Atalanta bückte sich, um die Äpfel
aufzuheben. So konnte Melanion den Wettlauf für sich entscheiden. Das war
das Ende der Jungfrau Atalanta, die unverzüglich verheiratet und entjungfert
wurde. Der neuvermählte Bräutigam war so verliebt, dass er Atalanta in
einem Tempel liebte und dabei Aphrodite schändete. Aprodite war darüber
sehr wütend und verwandelte das junge Paar in Löwen. (Es gibt auch andere
Versionen, wie es Atalanta nach dem verlorenen Wettlauf erging.)
Die Bergnymphe Daphne, war ebenfalls, wie die Göttin Artemis und Diana,
eine jungfräuliche Jägerin. Sie hielt ihre Jungfräulichkeit für einem hohen
Preis aufrecht. Daphne liebte die Jagd tief im Wald. Dabei trug sie um die
Stirn ein Haarband, um ihr wallendes Haar zu bändigen. Als ihr Vater sie
bat, zu heiraten und ihm Enkelkinder zu schenken, flehte sie ihn an:
"Erlaube mir, lieber Vater, für immer eine Jungfrau zu sein". Dennoch
verliebte sich der Königssohn Leukippos in sie. Er verkleidete sich in
Mädchenkleidung, um sich bei Daphnes Bergfest in ihre Gesellschaft
einzuschleichen. Aber Apollo, der Gott des Lichts, des Frühlings, der
sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und Künste, fühlte
sich ebenfalls zu Daphne hingezogen. Er war eifersüchtig und da ihm die
Gabe der Prophezeihung gegeben war, wusste er, dass sich Leukippos unter
die Bergnymphen geschlichen hatte. Darum riet er den Nymphen, nachts zu
baden, damit sie auch sicher gingen, dass jeder in ihrer Gesellschaft eine
Frau sei. Da Leukippos sich weigerte, seine Kleidung abzulegen,
entkleideten ihn die Nymphen. Als Daphne seine Genitalien sah, tötete sie
ihn.
"Hilf mir", flehte sie ihren Vater, den Flussgott Peneisos, an. "Verändere
mich und zerstöre meine Schönheit, die mich so begehrenswert macht".
Sofort wurde ihr der Wunsch erfüllt. Ihre Glieder verhärteten und
Baumrinde bedeckte ihre Brüste, die Haare verwandelten sich in Blätter und
ihr reizendes Gesicht wurde zur Krone eines Lorbeerbaums. Sie verlor ihre
Menschlichkeit, aber ihre Jungfräulichkeit blieb für immer erhalten.
Nemesis' (Nemesis ist die Rachegöttin.) Flucht vor ihrem Bewunderer Zeus
enthält mehrere Metamorphosen (Verwandlungen). Sie sprang ins Wasser
und wurde zum Fisch. Zeus folgte ihr als Biber. Sie sprang ans Ufer und
verwandelte sich in ein wildes Tier. Aber Apollo verwandelte sich in ein
schnelleres Tier. Dann stieg Nemesis als Wildgans in den Himmel auf.
Apollo aber bestieg sie als Schwan. Dadurch ging ihre Jungfräulichkeit
verloren. Aus dem Ei, welches sie legte, schlüpfte die Vegetationsgöttin
Helena.
Die griechischen Götter waren sehr lüstern und viele der Vergewaltigungen,
die sie begangen, geschah durch listige Verwandlung. Zeus verwandelte sich
in einen Stier, um die Tochter des phönizischen35 Königs, Europa, weit
hinaus auf das Meer zu tragen. Dann verwandelte er sich in einen Adler und
entjungferte sie. Apollo tat dasselbe, um Dryope, die Tochter des Königs
Eurytos, zu verführen. Zuerst verwandelte er sich in eine Schildkröte, mit
der sie spielte, dann in eine Schlange, die sie vergewaltigte. Poseidon, der
Gott des Meeres, setzte noch einen d'rauf. Die Königstochter Alkidike liebte
den Flussgott Enipeus. Poseidon nahm die Gestalt des Enipeus an, täuschte
sie so und zeugte mit ihr die Zwillinge Pelias und Neleus.
35
Die Phönizier waren ein semitisches (jüdisches) Volk der Antike und
lebten hauptsächlich im Bereich des jetzigen Libanons und Syriens an der
Mittelmeerküste.
Hippolytus ist der Sohn des griechischen Helden Theseus und der Amazone
Hypolyte. Der Mythos der standhaften (männlichen) Jungfrau Hippolytus,
welches in Euripides gleichnamiger Tragödie "Hippolytus" verewigt ist,
unterstreicht die griechische Sicht der Liebe. Sie sahen sie nicht, wie später
die Christen, als eine Konsequenz der Begierde, die durch Disziplin
bekämpft werden sollte, sondern vielmehr als eine direkte Folge von
Aphrodites Laune oder Willen. Nur drei Gottheiten waren gegen die Liebe
immun, die Jungfrauen Athena, Artemis und Hestia. Hippolytus Tragödie
war es, das er der Liebesgöttin Aphrodite widerstand. Dies veranlasste Plato
zu dem Kommentar: "Niemand sollte sich der Liebe widersetzen. Wer sich
aber auf die falsche Seite der Götter stellt, der widersetzt sich der Liebe."
Hippolytus war ein junger Jäger, der der keuschen Artemis zugetan war. Als
Aprodite ihn aber begehrte, lehnt er ihr Begehren ab. Er suchte nicht den
Kuss einer Frau. Aber Artemis, die Schwester des großen Apollo, verehrt er
sehr. Ihr galt sein Lob und seine Liebe. Hippolytus' Keuschheit war
unnormal für einen Mann. Die Jungfräulichkeit galt als eine weibliche
Qualität. Hippolytus' verstorbene Mutter war Antiope, die Königin der
Amazonen, eine Kriegerfrau, die eine aufgeschnittene 36 Brust hatte, damit
sie den Bogen besser spannen konnte. Sie hatte den Männern abgeschworen,
als sie in die (ausschließlich weibliche) Armee eintrat. Hippolytus teilte den
Respekt der Amazonen vor der Keuschheit und verabscheute die weibliche
Lust.
36
Wahrscheinlicher ist, dass die Amazonen über der rechten Brust ein
Lederdreieck trugen, welches die Brust flach andrückte. Damit konnte die
Sehne des Bogens ungehindert gespannt werden. Dies erweckte den
Eindruck von „Einbrüstigen“.
Bevor Hyppolytus jedoch starb, verfluchte er die Götter: "Würde die Rache
der Sterblichen doch nur die Götter erreichen!" Artemis unterstützte ihn in
der vielverspechenden Vergeltung und bewilligte ihrem Begleiter einen
Kult38 , bei dem jungfräuliche Mädchen ihre Haare dem Hippolytus opfern.
Hippolytus starbt, triumphierte über Aphrodite, hielt seine Keuschheit
aufrecht und bat Artemis, seinen frühen Tod zu rächen.
38
Hippolytus Kult: Es bestand bei den Troizeniern (Troizen war eine antike
griechische Stadt an der Nordküste der Halbinsel Argolis, Geburtsort des
Theseus) ein Gesetz, nachdem kein Jüngling und keine Jungfrau heiraten
durfte, bevor sie nicht ihre Haare Hippolytus opferten.
Arishanes' Komödie "Lysistrata" nähert sich dem Zölibat aus einer ganz
anderen Sichtweise. Sie beschreibt das Zölibat aus der Sicht ganz normaler
sterblicher und verärgerter Frauen nach zwei Jahrzehnten des
Peloponnesischen Krieges, der zwischen Athen und Sparta wütete. Die
beliebte Komödie stellt die rauhe und gewöhnliche Seite des griechischen
Lebens heraus, in dem die griechischen Frauen, zusammengerufen durch die
Athenerin Lysistrata, uncharakteristisch die Kontrolle über die politische
und militärische Situation übernehmen, indem sie einen sexuellen Streik
gegen ihre Ehemänner organisieren.
Aber einige Frauen sind entsetzt. "Ohne mich, lass' den Krieg ruhig weiter
dauern", sagt Kalonike. "Ich bin eher bereit, zu Fuß durch das Feuer zu
gehen, als auf einen Penis zu verzichten."
"Oh, was für ein niedriges und geiles Geschlecht sind wir," beklagt
Lysistrata. "Kein Wunder, wenn Männer Tragödien über uns schreiben."
Aber das Warten dauerte lange. Allmählich wurden die Frauen nervös.
Schließlich sagten sie: "Wir wollen mit unseren Männern schlafen."
Lysistra's Verbündete schwankten. Sie versuchten, nach Hause zu
schleichen. Lysistra aber setzte sich durch, sperrte sie ein und nötigte sie zur
Solidarität mit ihrem Plan, ihre Körper als Waffen zu benutzen, um eine
Entscheidung in der militärischen und politischen Arena, in der Frauen
normalerweise nichts zu sagen haben, zu erreichen. Das Zölibat verlieh
ihnen eine Macht, die sie sonst nicht hatten.
Die Männer litten ebenfalls. Ich habe schreckliche Krämpfe, stöhnte ein
abgewiesener Ehemann.
Sparta's militärische Delegierte waren nicht besser. Sie trafen mit großen
sichtbaren Erektionen ein und versuchten zu leugnen, dass die Spartaner
keineswegs mit einem eregierten Penis herumliefen. Schließlich aber sagten
sie den Athenern die Wahrheit und gaben zu, dass die spartanischen Männer
gebückt durch die Stadt liefen, als würden sie eine Öllampe im Wind tragen.
Sie hatten Recht. Das Zölibat war etwas für Mädchen und Frauen. Männer
und Götter dagegen verwendeten eine erhebliche Energie darauf, Frauen zu
verführen. Strafen, bis hin zur Todesstrafe, sollten allerdings Straftäter
abschrecken. Mit der Ausnahme bestimmter Philosophen und ihrer
Anhänger (Aristoteles, Pythagoras, Plato und Plotin), wurde das Konzept
des Zölibats in der Ehe als lächerlich betrachtet, wie es der
Komödienschreiber Arishanes wohl wusste. Tatsächlich schliefen die
wohlhabenden verheirateten Männer nicht nur mit ihren Ehefrauen, sondern
ebenso mit Prostituierten, Sklaven und Jungen. Arishanes ignorierte diese
Möglichkeiten in seiner Komödie, da der gewöhnliche Grieche, der
Arbeiter, Handwerker und Fischer, der seine dramatischen Inszenierungen
besuchte, sich nur selten diese Alternativen leisten konnte.
Was das Zölibat etwas seltsam erscheinen ließ, war der Umstand, dass es
Frauen waren, die es praktizierten. Im antiken Griechenland, galten Frauen
angeblich als die eigentlich Lüsternen, die nicht in der Lage waren, ihren
sexuellen Appetit zu stillen, wenn sie nicht stark gezügelt, kontinuierlich
überwacht, in Frauenviertel eingesperrt, und nicht sofort geheiratet werden,
sobald sie in die Pubertät kamen. Die Männer glaubten andererseits, die
Frauen könnten ihre gerühmte Selbstdisziplin dafür einsetzen, alles andere
zu begehren. Zeus und seine Schwester Hera diskutierten darüber und
beschlossen, die Frage dem Seher (Weisen) Theiresias zu stellen, der in der
Vergangenheit sowohl als Frau, als auch als Mann, lebte. Frauen, entschied
Theiresias, erfahren neun Zehntel der Freude des Geschlechtsverkehrs. Ein
Zehntel lassen sie für ihren männlichen Partner übrig. Für dieses Publikum,
war Arishanes Umkehrung der Geschlechterrollen ausgesprochen clever.
Wandelten sich lüsternde Frauen in zölibatäre Frauen? Was für eine
Vorstellungskraft Arishanes hatte!
Vom Anfang bis zum Ende unterstreicht der Dialog das Opfer, welches die
Frauen bringen. Ihre Gespäche sind ausgelassen. Sie beziehen sich stets auf
Sex und auf ihren Körper. Wortspielereien über sexuelle Positionen,
Liebhaber, und dem, was wir heute als Sexspielzeug bezeichnen, sind gang
und gäbe. Das Eindringen von hinten, anal oder vaginal, war eine Position,
die bevorzugt wurde. Darum lautete ein Teil des weiblichen, zölibatären
Gelöbnisses: "Ich werde mich nicht wie eine Löwin auf einer Käsereibe
niederknien." In den griechischen Häusern, hatten viele
Haushaltsgegenstände Griffe in der Form von knieenden Tieren, die täglich
an die weibliche Geschlechtsposition erinnerte. Eine Frau beschwerte sich
sogar: "Ich habe noch nie einen Sechs-Zoll-Dildo (Sexspielzeug) gesehen,
der mir ein Trost gewesen sein könnte, sondern immer nur kleinere." Wir
alle wissen, die griechischen Frauen waren teuflisch wollüstig, sagt
Arishanes, was die Geschichte des Zölibats noch absurder macht. Die
Jungfräulichkeit ist ein Ding, aber das Zölibat ein anderes.
In Athen fanden die Thesmophorien auf dem Pnyx Hügel (westlich der
Akropolis) statt, an dem sich sonst nur die männlichen Bürger zur
demokratischen Volksversammlung trafen. Sie dauerten drei Tage. Die Tage
hatten eigene Namen: Anodos ("der Aufstieg"), Nesteia ("das Fasten") und
Kalligeneia ("schöne Geburt"). Der erste Tag ist, wie es der Name
"Aufstieg" sagt, der Anreise vorbehalten. Die Athenerinnen stiegen in einer
Prozession auf den Hügel Pnyx, um zum Heiligtum der Demeter zu
gelangen. Dabei führten sie alles mit, was sie für die dreitägige Feier
benötigten. Dazu gehörten das Material und Werkzeug für den Bau ihrer
Hütten, Lebensmittel für das Festessen und den Abschluss der Feier, heilige
Gegenstände und sogar lebende Ferkel, welche Bestandteil eines Rituals
waren. Hatte die Prozession den Hügel erklommen, dann bauten die Frauen
sich einfache Unterkünfte. Wenn sie sich setzten oder schliefen, dass ließen
sie sich auf Streu des Weidenbaums nieder. Die Weide galt als keuscher
Baum, der den Ruf hatte, den sexuellen Appetit zu beruhigen. Sie trugen
weder Make-up noch Schmuck und einfache ungeschmückte Kleider.
Am zweiten Tag fasteten die Frauen. Ihr Atem und ihr Schweiß rochen so
muffig vom Fasten, dass die Luft im Thesmophorion ein wenig stank. Dies
galt als weitere Garantie für die sexuelle Enthaltsamkeit. Sie verbrachten
den zweiten Tag überwiegend sitzend auf dem Boden in ihren
improvisierten Hütten oder schliefen auf einem Lager aus Lygos-Blättern.
Das Fasten diente der Reinigung und Vorbereitung.
Der dritte Tage stand vor allem im Zeichen der Fruchtbarkeit, die durch das
temporäre Zölibat noch zusätzlich stimuliert wurde. Es beinhaltete Riten zur
Bitte um eine leichte Geburt und eine schöne Nachkommenschaft. Die
Frauen feierten und opferten. Es fanden geheimnisvolle Rituale statt, über
deren Inhalte und Abläufe allerdings mehr gemutmaßt als gesichert
ausgesagt werden kann. Bestimmte Frauen, sie sogenannten
"Schöpferinnen", holten Überreste von Ferkeln, Gebäckstücke in Schlangen-
und Penisform und Kieferzapfen aus Gruben, in die sie sie zuvor
hineingeworfen hatten. Zuvor mussten aber die Schlangen, die sich in den
Gruben befanden, durch laute Geräusche vertrieben werden. Das
Heraufgeholte wurde auf den Altar gelegt und später dem Saatgut
beigemischt, um eine gute Ernte zu erlangen. Es scheint, zumindest auf den
ersten Blick, klar zu sein, dass es sich dabei um eine Art Agrarmagie
handelte, die, im Hinblick auf das Wachstum der Feldfrüchte und die
menschliche Fortpflanzung, ausgeübt wurde.
Eine weitere Besonderheit des Thesmophoria war, dass alle Priesterinnen als
Melissa's, als Bienen, bezeichnet wurden, da es eine mythische
Zusammenarbeit zwischen einer Göttin und Melisseus, der Bienenkönigin,
gegeben hatte. Die Griechen bewunderten die Keuschheit der Bienen 41,
ihren fleißigen Lebensstil und die Tatsache, dass sie den Ehebruch
verabscheuten. Fliegt der Ehebrecher nicht davon, dann greifen die Bienen
ihn an. Während des Thesmosphoria, wurden die Matronen zu sexuell
abstinenten Bienenjungfrauen.
41
Es gibt drei verschiedene Arten von Bienen. Die Bienen, die wir
normalerweise herumfliegen sehen, sind Arbeiterinnen. Sie sind sterile
Weibchen. Das heißt, sie können sich nicht fortpflanzen. Die zweite
Bienenart ist die Bienenkönigin. Ihr Hinterleib ist viel größer als der einer
Arbeiterin, weil sie für den Nachwuchs zuständig ist und täglich mehr als
1.500 Eier legt. Die männlichen Bienen nennt man Drohnen. Drohnen
besitzen keinen Stachel und sammeln auch keinen Honig. Ihre einzige
Aufgabe ist, sich mit der Königin zu paaren. Bienen ernähren sich rein
vegetarisch. Da man nie eine Biene bei der Paarung beobachtet hatte, galten
Bienen als Symbol der Keuschheit. Bienen gelten als tapfer, keusch, fleißig,
sauber, einträchtig im Staatsverband lebend und mit Kunstsinn begabt. Im
biblischen Kontext finden wir die Biene im Hohen Lied der Liebe, wo sie
wegen ihrer Keuschheit und Enthaltsamkeit mit der Jungfräulichkeit in
Zusammenhang gebracht wird.
Antike römische Matronen, deren Religion so ähnlich wie die der Griechen
war, genossen ein Festival, welches an das griechische Thesmophoria
erinnerte. Es dauerte allerdings etwas länger als das dreitägige
Thesmophoria, denn der Isiskult dauerte zehn Tage. Bei einem Streifzug
durch das griechisch-römische Zölibat, kann der religiöse Isiskult nicht
übergangen werden. Isis war eine sanftmütige ägyptische Göttin, die ins
hellenistische Rom transplantiert wurde. Sie fand enorme Unterstützung bei
denen, die Isis mit den spirituellen und körperlichen Aspekten der Liebe
gleich setzten. Isis erschien den Menschen routinemäßig in Träumen, um sie
zu einem Ritual einzuladen.
Isis war eine relativ keusche Göttin. Frühchristliche Väter wie der Heilige
Clemens (50-97 n.Chr.), der Bischof von Rom, und der christliche
Schriftsteller Tertullian (150-230 n.Chr.), lobten ihre keuschen Anhänger
und Priesterinnen. Ihr Kult tendierte in eine asketische Richtung, ohne
sexuelle Symbole und Anzeichen. Die Haare wurden geschoren und die
Leinenkleider wurden züchtig abgesenkt. Die rituellen Prozessionen und
Gebete und ihre Aussstattung an Wasser, Weihrauch und
Musikinstrumenten waren sehr genügsam.
Die Anhänger lebten zölibatär, Männer ebenso wie Frauen. Eine Rarität in
der klassischen Welt. Aber diese Abstinenz war nur kurzfristig. Zehn Tage
war die übliche Länge. Die weiblichen Anhänger wurden angehalten, dieses
zehntägige Zölibat vor der Initiation (Aufnahmeritus) und danach, in
bestimmten Zeiträumen, einzuhalten. Die Isis der hellenistischen Romanzen,
schützte die Keuschheit der Liebenden. Frauen, die vor sexueller Nötigung
flohen, fanden in ihrem Tempel ein sicheres Zuhause.
Sehr fromme Frauen gaben ihr eheliches Sexualleben auf und wurden, wie
Tertullian es bezeichnet, zu selbsternannten Witwen. Sie verweigerten jeden
weiteren körperlichen Kontakt mit ihren Ehemännern. Manchmal boten sie
ihren Ehemännern sogar neue Frauen an, die sie selbst ersetzen sollten.
Einige Frauen vermieden den Kontakt mit den Männern sogar in dem Maße,
dass sie sich weigerten, ihre Söhne zu küssen.
Die Literatur offenbarte, wie treu die Anhänger des Isis-Kultes das
erforderliche Zölibat beachteten. Im Roman "Der goldene Esel" des antiken
Schriftstellers und Philosophen Apuleius (125-170 n.Chr.) sprach ein
Initiierter darüber, "wie extrem schwer die Regeln der Keuschheit und
Enthaltsamkeit waren." Der römische Dichter Ovid (43 v.Chr. bis 17
n.Chr.), der sich um die Gefälligkeiten seiner Geliebten beraubt sieht,
beklagt sich in seinem Buch "Metamorphosen": "Ist dies eine Göttin, die
sich an den Tränen des einsamen Geliebten erfreut?" Und hönisch sagt er zu
Isis "Während ich hier alleine liege, sehne ich mich nach ihr. O goldene
Göttin, muss ich an den heiligen Tagen leiden?"
Der klagende Ton vieler Dichter, mit der gleichen Wehklage, ist eine
ironisches Zeugnis von der Stärke und dem Einfluss, den Isis auf ihre
Anhänger hatte. Besonders Frauen riskierten den Zorn ihrer Ehemänner oder
Geliebten, wenn sie der heiligen Aufforderung zum Zölibat nachkamen.
Während dieses zehntägigen Zölibats, reinigten sich die Frauen rituell sehr
gewissenhaft und schliefen allein auf sauberer Bettwäsche. Da Isis die
Göttin der spirituellen und körperlichen Liebe war, besaß sie eine große
Anziehungskraft und wenn sie ein periodisches Zölibat zur Auflage machte,
dann akzeptierten ihre Anhänger ihre Weisheit und befolgten es anstandslos.
Sie taten es auf Kosten ihrer aufgeregten Männer. Sie hielten sich in einer
Gesellschaft, die keinen Wert auf das Zölibat legte, länger zurück, als es die
meisten anderen Gottheiten verlangten. Es war ein kleines Zeichen der
Unabhängigkeit. Die Freundlichkeit und Güte ihrer keuschen Göttin war
ihnen das Opfer wert.
Das Zölibat war auch für die Frauen wichtig, die als irdische Stimmen
männlicher Götter wirkten. Apollo, der Gott des Lichts, des Frühlings, der
sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste,
forderte, dass die Frauen, durch die er sein Orakel offenbarte, sexuell rein
sein müssten, damit er alleinigen Zutritt in ihrem Körper hatte. In der
antiken Welt waren Orakel Aussagen hoch geschätzter Gottheiten, die durch
ihre Priester und Priesterinnen sehr vielen Menschen bei entscheidenden
Fragen halfen. So fragte zum Beispiel der Verehrer "Soll ich diese Frau
heiraten?" und der umsichtige Diplomat fragte "Soll mein Stadtstaat einen
Krieg führen?" Am beliebtesten war das Orakel des Apollo-Heiligtums in
Delphi42 . Am siebten Tag43 jeden Monats konnte man das Orakel befragen.
Eine Priesterin, die Pythia genannt wurde, antwortete, nachdem sie in
Trance gefallen war, indem Apollo durch sie sprach. Die Priesterin sprach
allerdings nur ein Kauderwelsch, welches durch priesterliche Deuter in
Versform für den wartenden Bittsteller interpretiert wurde. Während
belebter Zeiten hielten drei Priesterinnen die Orakelbefragung im
Schichtbetrieb aufrecht.
42
Der Kult in Delphi, der bis zum 5. Jahrhundert vor Christus Pytho hieß,
war Apollo geweiht, wobei ursprünglich allerdings die Erdgöttin Gaia
verehrt wurde. Der genaue Zeitpunkt der Übernahme des Heiligtums durch
Apollo ist nicht mehr feststellbar, doch bereits der griechische Dichter
Homer, der vermutlich gegen Ende des 8. Jahrhundert vor Christus lebte,
sprach von einem Apollokult in Delphi. Es gab eine ganze Reihe Orakel in
der antiken Welt, doch ragte das Apolloheiligtum von Delphi in seiner
Stellung heraus. Weitere bedeutende antike Orakelstätten waren Ephyra
(Totenorakel), Olympia (zuerst Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, später
Göttervater Zeus), Dodona (ältestes Orakel Griechenlands, Zeus gewidmet),
Klaros (Apollo), Didyma (Apollo) und Ammonium (heute Siwah, eine Oase
in der libyschen Wüste, hier wurde der agyptische Wind- und
Fruchtbarkeitsgott Amun verehrt).
Auf die kultische Verehrung der Erdgöttin Gaia ist es zurückzuführen, dass
Apollo nicht durch einen Priester, sondern durch eine Pythia, eine Priesterin,
sprach. Diese saß auf einem Dreifuß im Adyton, dem unzugänglichen
Allerheiligsten des Tempels, der über einer Erdspalte stand, aus dem ein
ethylenhaltiges Gas quoll. Das Gas versetzte sie in Trance. Man glaubte,
dass in diesem entrückten Zustand der Gott Apollo aus ihr sprach. Wobei
einer neuen These zufolge der Trancezustand durch Sauerstoffmangel,durch
den hohen Methan- und Kohlendioxid-Anteil der aus dem Gestein
aufsteigenden Gase entstand, hervorgerufen wurde.
Quelle: Orakel
43
Das Orakel von Delphi sprach zunächst nur einmal im Jahr am Geburtstag
Apollos, später am siebten Tag jeden Monats im Sommer. Im Winter legte
es für drei Monate eine Pause ein. Nach griechischer Vorstellung hielt sich
der Gott in dieser Zeit bei den Hyperboreern (Hyperborea ist das nördlichste
Land, das den antiken Griechen bekannt war.) auf, einem sagenumwobenen
Volk im Norden. Das Orakel wurde währenddessen von Dionysos, dem Gott
des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit und der Ekstase,
regiert.
Bevor die Priesterin das Orakel sprach, bedurfte es eines Zeichens Apollos.
Die Priesterin besprengte eine junge Ziege mit eisigem Wasser. Blieb sie
ruhig, dann fiel das Orakel für diesen Tag aus und die Ratsuchenden
mussten einen Monat später wiederkommen. Zitterte die Ziege aber mit
allen Gliedern, so wie die Priesterin es tat, wenn Apollo von ihr Besitz
nahm, dann wurde sie als Opfertier geschlachtet und auf dem Altar
verbrannt. Nun konnten die Weissagungen beginnen. Begleitet von zwei
Priestern begab sich die Pythia zur heiligen Quelle Kastalia, wo sie nackt ein
Bad nahm, um kultisch rein zu sein. Aus einer zweiten Quelle, der Kassiotis,
trank sie einige Schlucke heiligen Wassers. Begleitet von zwei
Oberpriestern und den Mitgliedern des Fünfmännerrates ging die Pythia
anschließend in den Apollontempel. Sie wurde nun vor den Altar der Göttin
des Herdfeuers, Hestia, geführt, wo aus einer Erdspalte die berauschenden
Dämpfe aufstiegen und sie, mehr oder weniger in Trance, ihre
Weissagungen machte.
Einst war jede Pythia eine junge Jungfrau. Aber nachdem ein Kunde eine
Pythia verführte, wurden die Regeln geändert. Fortan vollzogen bäuerliche
Frauen mit einem Mindestalter von fünfzig Jahren den Ritus. Zur
Erinnerung an die Jungfrauen trugen sie allerdings ein mädchenhaftes,
züchtiges Kleid. Die Pythias lebten streng zölibatär und verließen ihre
Ehemänner, wenn sie ihre angesehene Position im Tempel antraten. Die
Keuschheit der Pythia's war dabei von entscheidender Bedeutung. Apollo
konnte keinen Körper betreten, der durch sexuelle Lust eines Sterblichen
verunreinigt war. Darum war die Wahl älterer Frauen eine gute Strategie.
Dies war auch ein Beispiel dafür, wie das Zölibat reiferer Frauen respektiert
und geschätzt wurde, was eigentlich in der antiken Welt unnormal war.
Der Brauch der jungfräulichen Priesterinnen blieb bis in die christliche Ära
erhalten. Im römischen Reich lebten im Tempel Hierodulen44,
Tempelsklavinnen, Jungfrauen, die dazu bestimmt waren, ihrem Gott als
Braut zu dienen. Die Hierodulen im Tempel der römischen Göttin des
Mondes und der Jagd, Diana (griechisch: Artemis), in Ephesos45 waren, wie
die vestalischen Jungfrauen (römische Priesterin der Göttin Vesta),
unbefristete Jungfrauen. Andere Götter forderten von ihren Priesterinnen für
eine festgelegte Zeit, selten für immer, keusch zu leben. Das gleiche galt für
Priester. In Theben46 (Ägypten) wurden Zeus' junge, keusche Bräute wegen
ihrer Schönheit und ihres hohen Ranges ausgewählt. Wenn sie die Pubertät
erreichten, beachteten sie für ihren göttlichen Gatten, Zeus, eine Zeit der
rituellen Trauer. Anschließend wurden sie mit geeigneten Männern
verheiratet.
44
Hierodulen waren Tempeldiener/innen, die das Ackerland bestellten, die
Altäre schmückten, die Tempelböden wuschen und sich um die niederen
Dienste des Tempels kümmerten. Die Priester hatten kein anderes
Einkommen, als die Geschenke, welche die zum Heiligtum wallfahrenden
Pilger ihnen brachten. Um davon so viel wie möglich zu bekommen, füllte
man die Umgebung der Tempel mit Schaaren reizender Priesterinnen,
welche die Geschenke, die sie erhielten, dem Tempel zu übergeben hatten.
Diese Sitte ging nach Griechenland und Sizilien, vornehmlich auf den
Dienst der Venus, der römischen Göttin der Liebe, über, und mancher
prächtige Tempel wurde aus dem so erworbenen Golde erbaut. Die
weiblichen Hierodulen gaben sich auch bei gewissen Tempeln der Venus
oder Astarte den Fremden für Geld hin, das dem Tempel zu Gute kam. In
der modernen Forschung ist die Existenz einer Tempelprostitution, bei der
sich Tempelsklavinnen (Hierodulen) zu Ehren einer Gottheit gegen Geld
prostituierten, umstritten.
45
Ephesos war eine der bedeutendsten und ältesten griechischen Städte
Kleinasiens (heute Türkei). Nach 133 v.Chr. gehörte Ephesos zum
Römischen Reich.
46
Der Heilige Paulus (228 - 348 n.Chr.) soll ebenfalls in Theben gelebt
haben. Er war ein christlicher Heiliger und nach der Legende erster
ägyptischer Einsiedler und Wüstenvater. Paulus wurde als Sohn
wohlhabender christlicher Eltern in Ägypten geboren und ging nach dem
Tod der Eltern und Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder während der
Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Decius (249/50) als
erster christlicher Einsiedler und Asket (Mönch) in die ägyptische Wüste.
Dort lebte er jahrzehntelang alleine. Auch die Heilige Verena (260 - 320
n.Chr.) wurde in Theben, am oberen Nil in Ägypten, geboren und trat zum
christlichen Glauben über.
In allen Fällen war die Jungfräulichkeit eine rituelle Anforderung, die keine
Kenntnisse asketischer Ideale erforderte. Heidnische Religionen forderten
nur selten ein längerfristiges Zölibat, sie missbilligten es sogar.
Normalerweise war ein zeitweiliges Zölibat ausreichend, wenn es auch
seltene Beispiele für ein lebenslanges Zölibat gibt. Wie wir an den
vestalischen Jungfrauen aus Rom sehen, hatten auch Priesterinnen die
Möglichkeit, zu heiraten. Dies war allerdings erst möglich, nachdem sie
dreißig Jahre lang keusch ihr Amt als Priesterin versehen hatten. Die
meisten Frauen blieben allerdings für den Rest ihres Lebens Vestalinnen.
Die Vestalinnen gingen auf die keuschen Göttinnen des Herdfeuers, Hestia
(Griechenland) bzw. Vesta (Rom) zurück, eine der drei jungfräulichen
Göttinnen Athena (römisch: Minerva), Artemis (römisch: Diana) und Hestia
(römisch: Vesta). In Rom wie in Athen waren Vesta bzw. Hestia die
obersten Hüterinnen des Herd- sowie Opferfeuers. Jeder römische Haushalt
legte um das Herdfeuer Opfergaben für Vesta. Das Ritual, einen Salzkuchen
in das Feuer zu werfen, sollte täglich daran erinnern, dass Vesta die Wärme
des spirituellen Lebens und des körperlichen Wohlbefindens in die Familie
bringen sollte.
Sein enormes Ansehen und seine geringe Fluktuation, machten die Aufgabe
der Vestalischen Jungfrauen sehr begehrenswert. Die Novizinnen wurden
durch eine komplizierte Wahl ermittelt, die im Durchschnitt alle fünf Jahre
stattfand. Die Auswahl war sehr streng. Die Bewerberinnen mussten
Patriziermädchen (Patrizier waren Nachfahren der alten Adelsgeschlechter)
zwischen sechs und zehn Jahren sein, körperlich perfekt und geistig gesund.
Ihre Väter und Mütter mussten beide noch lebend sein.
Die neue Vestalin bekam sofort eine neue Identität. Sie wurde aus
Erbschaftsgründen nicht mehr als Mitglied ihrer leiblichen Familie
betrachtet. Sie wurde der patria postestas50, der väterlichen Kontrolle
entzogen, erlangte rechtliche Unabhängigkeit und bekam eine erhebliche
Mitgift (Geschenke). Dann wurde sie zum "Atrium Vestae", dem Wohnsitz
der Vestalinnen, einem geräumigem Haus neben dem Tempel der Vesta,
gebracht. Dies war in der Regel, für den Rest ihres Lebens, ihr einziges
Zuhause.
50
Die patria potestas bedeutete uneingeschränkte Macht über die Familie, zu
der, anders als bei einer Familie heute, auch die verheirateten Söhne mit
ihren Frauen und Kindern, Adoptivsöhnen, Sklaven, das Vieh und das
sonstige Besitztum, gehörten.
Aber der Haarschnitt war nicht alles, was sie erwartete. Die jungen
Vestalinnen mussten auch ihre Kleider wechseln. Sie wurden ganz in weiß
gekleidet. Sie zogen einen langen ärmellosen Umhang an, der bis zu den
Füßen reichte und mit einem Gürtel um die Taille getragen wurde. Darüber
trugen sie eine lose Robe und auf dem Kopf ein verziertes Diadem. In
diesem Gewand, ihr geschnittenes Haar bedeckt, legten sie das Gelübde des
Zölibats ab. Sie schworen, dass sie ihre Jungfräulichkeit mindestens dreißig
Jahre lang bewahren würden. Zweifellos haben sie die Auswirkungen dieses
Vorgangs noch nicht richtig erfasst. Die drei Jahrzehnte die vor ihnen lagen,
unterteilten sich in drei Abschnitte. Nach Plutrach verbrachten sie die ersten
zehn Jahre ihrer Dienstzeit als Schülerin, weitere zehn Jahre verrichteten sie
als Priesterinnen ihren Dienst und die letzten zehn Jahre fungierten sie als
Lehrerinnen der jungen Vestalinnen. Nach diesen drei Jahrzehnten konnten
sie vom Amt der vestalischen Jungfrauen zurücktreten und ins zivile Leben
zurückkehren, aus dem man sie in ihrer Kindheit herausgerupft hatte. Sie
waren dann zwischen 36 und 40 Jahre alt, konnten heiraten und Kinder
bekommen. In der Realität aber, nachdem sie dreißig Jahre lang alle Macht
und Privilegien einer Vestalischen Jungfrau genossen hatten, gaben nur
wenige ihr herrliches Leben für die Ehe auf. Die meisten von denen, die es
taten, so wird gemunkelt, waren sehr unglücklich.
Vor der Wahl hatten die Eltern der Vestalischen Jungfrauen sicherlich auf
die Bedeutung des Gelübdes und die drakonischen Folgen seiner Verletzung
hingewiesen. Aber im Alter von sechs oder zehn Jahren konnten die
Mädchen kaum verstehen, was dieses heilige Zölibat wirklich bedeutete.
Erst Jahre später, als ihr Körper gereift war, als sie ihre wogende Sexualität
bekämpfen oder riskieren mussten, bei lebendigem Leib in einem Verließ,
dem sogenannten "Campus Sceleratus", begraben zu werden, begriffen sie
die wahre Bedeutung des Gelübdes.
Inzwischen sollte das Zölibat widerstandslos akzeptiert sein und das Hüten
des heiligen Feuers im Tempel der Vesta, als die primäre Pflicht betrachtet
werden. Für mindestens acht Stunden am Tag, wurde es von Teams aus
zwei Vestalischen Jungfrauen sorgfältig bewacht. Aber trotzdem erlosch
gelegentlich das Feuer. Die Folgen waren schwerwiegend. Der Oberpriester
musste die Täterin ermitteln und bestrafen. Sie wurde an einen dunklen Ort
gebracht, musste ihr Hinterteil entkleiden und wurden gepeitscht.
Die Schwere der Strafe, war der Untat, die die Vestalin verübt hatte,
angemessen, denn das Vestalische Feuer war kein gewöhnlicher Feuer,
sondern ein Symbol des Lebens und der Religion des Staates. Durch sein
Erlöschen, ausgenommen wenn der Oberpriester am jährlichen "Iden des
März"51 (15. März) das Feuer feierlich neu entzündete, breitete sich
Entsetzen und Schrecken über Rom aus. Die Verantwortung dafür, dass dies
nicht geschah, war die Hauptaufgabe von Roms sechs (sieben) erhabensten
Frauen.
51
Im römischen Kalender fielen die "Iden des März" auf den 15. Tag des
römischen Monats Martius (März). Die Iden waren neben den Kalenden (der
erste Tag im Monat), den Nonen (bestimmte Tage im römischen Kalender)
und den Terminalien (23. Februar im Schaltjahr) einer der vier feststehenden
Feiertage, die jeder Monat des römischen Kalenders hatte. Julius Ceasar
wurde 44 vor Christus an diesem Tag ermordet. Nach Aussage des
griechischen Philosophen Plutarch's warnte der Wahrsager Titus Vestricius
Spurinna offenbar Cäsar einige Tage vor dessen Ermordung „Hüte dich vor
den Iden des März“. Dieser Ausspruch ist heute ein Synonym für
bevorstehendes Unheil.
In der Tat verehrten die meisten Vestalinnen ihr Gelübde und ihre Tugend
verschaffte ihnen allgemein Respekt und viele Privilegien. Sie konnten als
Zeuge vor Gericht aussagen, ohne einen Eid abzulegen und ihnen wurden
heilige Reliquien und kostbare Dokumente anvertraut. Liktoren, die
offiziellen Begleitpersonen des Magistrats, eine Art Leibwächter,
begleiteten sie überallhin. Das Anrempeln einer Vestalin war eine strafbare
Handlung. Eine Vestalin konnte Gefangene, die ihr auf dem Weg zur
Hinrichtung zufällig begegneten, freisprechen, sofern sie eidlich versicherte,
dass sie diese Begegnung nicht absichtlich herbeigeführt hatte. Es war also
kein Wunder, dass viele Eltern betrogen, um ihre Töchter in dem Orden
unterzubringen.
Wie aber sah die Realität des täglichen Lebens im Atrium Vestae, dem
Wohnsitz der Vestalinnen, aus? Bis zur Pubertät und der Versuchung der
stürmischen Hormone, war das Leben der Vestalinnen sicher und zufrieden.
Abgesehen von der Pflege des Feuers, mussten sie Wasser aus der heiligen
Quelle der Nymphe Egeria holen. Sie trugen es auf dem Kopf zum Atrium
oder zum Tempel, um damit die Böden zu wischen. Sie backten Vesta's
Salzbebäck und Opfergebäck für religiöse Feiertage. Dazu verarbeiteten sie
Korn (Getreideschrot)52 zu Mehl. Sie bewachten die Oktoberpferde53 , das
Blut und die Asche von Kälbern, die getötet wurden, bevor sie geboren
wurden. Die Vestalischen Jungfrauen waren also beschäftigt und bis zur
Pubertät war ihr Leben strukturiert und angenehm.
52
Die Vestalinnen ernteten den Speltweizen noch im halbreifen Zustand
Mitte Mai, rösteten ihn und produzierten grobes Schrot auf prähistorischen
Handmühlen. Getreideschrot und Salz wurden dann zur "mola salsa"
vermischt. Das Gemisch konnte nur an bestimmten Tagen in der "aedes
Vestae", dem Tempel der Vesta, für gewisse Kulthandlungen ausgegeben
werden. Bei jedem blutigen Opfer wurde "mola salsa" vorgestreut. Dies
bedeutete natürlich, dass Vesta an jedem Kult teilnahm.
53
Das Oktoberpferd (Equus October) war im antiken Rom ein rituelles Opfer
für den Gott Mars, das an den Iden des Oktober (15. Oktober) stattfand. An
diesem Tag wurden auf dem Marsfeld, einem 250 Hektar großem Platz
außerhalb der Stadtmauern, Wettrennen mit Zweigespannen abgehalten.
(Diese Spiele zu Ehren des Kriegsgottes Mars fanden zweimal im Jahr statt,
außer Oktober noch Anfang März.) Nach den Rennen im Oktober wurde das
rechte Pferd (Handpferd) des siegreichen Zweigespannes dem Gott Mars als
Opfer dargebracht. Dazu wurde es, vermutlich durch den Oberpriester des
Mars, dem Flamen Martialis, außerhalb der rituellen Stadtgrenze, mit einem
Speer getötet. Anschließend wurden Kopf und Schweif abgeschnitten. Der
mit Broten umkränzte Kopf war Gegenstand eines Kampfs zwischen den
Bewohnern zweier Stadtviertel, der Subura und der Via Sacra. Gewannen
die Suburanenses, wurde der Pferdekopf zur "Turris Mamilia" gebracht,
einem nicht näher bekannten Gebäude in der Subura; eroberten ihn die
Sacravienses, wurde er zur Regia, einer Kultstätte, am Forum Romanum ,
dem politischen Zentrum des antiken Roms, gebracht.
Der noch blutende Schweif wurde im Laufschritt vom Marsfeld zur Regia
getragen, um das Blut in die Flammen des dort brennenden Herdes tropfen
zu lassen. Es wurde lange angenommen, dass die Asche dieses Herdes
später von den Vestalinnen zusammengefegt wurde und zur Herstellung des
Suffimen54, eines reinigenden Räucherwerks, diente, das am Fest der Parilia
Verwendung fand.
Quelle: Oktoberpferd
54
Das Suffimen wurde als religiöses Reinigungsmittel betrachtet. Es bestand
aus der Asche ungeborener Kälber und der Asche des Oktoberpferdes. Am
15. April, dem Fest der trächtigen Kuh, wurden dreißig trächtige Kühe der
Göttin Tellus, der "Göttin der nährenden Erde", geopfert. Die ungeborenen
Kälber wurden aus dem Leib des Muttertieres entfernt, und von den
Vestallinnen verbrannt. Am Fest der Parilia am 21. April, dem
Gründungsfest der Stadt Rom, wurde die Asche dieser ungeborenen Kälber
mit der Asche des Oktoberpferdes, das am 15. Oktober des Vorjahres
geschlachtet wurde, vermengt und in leere Bohnenhülsen gefüllt.
Quelle: Suffimen
Diskussion : Bei Ovid heißt es, dass das Suffimen vom Altar der Vesta kam
und dass es aus Pferdeblut, Asche von Kälbern und Bohnenstängeln
bestand. Dort ist also keine Rede von Bohnenhülsen.
Quelle: Vestalin
Nicht alle in Ungnade gefallenen Vestalinnen gingen leise. Die hübsche und
moderne, frech geschminkte und aufwändig friesierte adlige Römerin
Claudia Quinta, die möglicherweise zu Unrecht 55 der Unkeuschheit
angeklagt war und ihren Ruf durch einen Beweis übermenschlicher Kraft
wiederhergestellt haben soll, war stolz und scharfzüngig. Sie war auch
mutig. Als sie wegen des Bruchs ihres Keuschheitsgelübdes angeklagt war,
flehte sie die Göttinnen an "Sie sagen, ich bin nicht keusch. Wenn du mich
verurteilst, werde ich meine Schuld anerkennen und sie mit meinem Leben
bezahlen. Aber ich bin frei von Schuld und werde meine Unschuld
beweisen. Du bist keusch, folge meinen keuschen Händen."
55
Einige Anklagen gegen Vestalinnen waren womöglich politisch motiviert,
da einige Vestalinnen politisch sehr einflussreiche Verwandte, Freunde und
Geschäftspartner hatten. Da der Großteil der Vestalinnen offensichtlich der
senatorischen Oberschicht angehörte, hatten sie selber ebenfalls großen
politischen Einfluss. Häufig gerieten einzelne Vestalinnen lediglich
aufgrund allzu freizügiger Kleidung oder einer besonders anzüglichen Art
zu sprechen in den Verdacht der Unkeuschheit. Da solche Fälle aber meist
mit einem Freispruch endeten, liegt die Annahme nahe, dass auch hier
lediglich nach einem Vorwand gesucht wurde, um die Priesterin in Verruf
zu bringen.
Zum Glück für Claudia Quinta, schien die Vesta-Statue sich zu bewegen.
Dadurch wurde sie entlastet. Die Vestalin Tuccia war nicht nur wegen des
Bruchs des Keuschheitsgelübdes angeklagt, sondern auch wegen Inzest
(Geschlechtsverkehr zwischen nahen Verwandten). Sie konnte ihre
Unschuld angeblich dadurch beweisen, dass sie Wasser mit einem Sieb aus
dem Tiber schöpfte und zur Stadt trug, ohne dabei einen Tropfen zu
verschütten.
Vestalinnen standen aber einer weit größeren Gefahr als der sexuellen
Unachtsamkeit gegenüber. Sie bestand in der Gefahr einer politischen
Veränderung oder in einem verlorenen Krieg. Denn dann wurden sie
beschuldigt, dass sie ihren heiligen Eid auf das Zölibat gebrochen hatten.
Die Vorsitzende der Vestalin, die römische Adlige Cornelia, wurde
sicherlich das Opfer solcher Machenschaften56. 216 v.Chr. schrieben die
römischen Führer die verhängnisvolle militärische Niederlage bei Cannae
nicht Fehlern auf dem Schlachtfeld zu, sondern dem Fehlverhalten der
vestalischen Jungfrauen. In Folge davon beendeten zwei vestalische
Jungfrauen ihr vermutlich jungfräuliches Leben im erstickenden Verließ des
Campus Sceleratus. Von den zehn Fällen, die das lebendige Begräbnis der
vestalischen Jungfrauen dokumentieren, waren die meisten zölibatäre
Sündenböcke für militäriche Missgeschicke.
56
Tatsächlich wurde die Unkeuschheit einer oder mehrerer Vestalinnen
zumeist in Not- und Krisenzeiten festgestellt. So wurden nach der
verheerenden Niederlage bei Cannae (Süditalien) im Jahre 216 v.Chr. die
Vestalinnen Opimia und Floronia wegen Unkeuschheit verurteilt. Die
Vestalinnen Aemilia, Licinia und Marcia wurden 113 v.Chr. im selben Jahr
hingerichtet, in dem die Römer eine Niederlage in Thrakien (heute:
Balkanhalbinsel Bulgarien/Griechenland) erlitten und in Noricum
(Österreich) ein ganzes Heer gegen die germanischen Kimbern (Dänemark)
verloren hatten.
Es ist bekannt, dass einflussreiche Römer Anklagen anzettelten, nur um
einen der begehrten Wohnsitze im Atrium Vestae für die eigene Tochter zu
bekommen. Da nur sechs Räume für die neuen Vestalinnen zur Verfügung
standen, schien dies manchem skrupellosem Bürger ein vorteilhafter Weg zu
sein, das angestrebte Ziel auf diesem Wege zu erreichen. 215 n.Chr. ließ der
römische Kaiser Caracalla (188 - 217 n.Chr.) ein Trio aus drei Vestalinnen
hinrichten57. Zuerst verführte er eine von ihnen. Danach ordnete er für sein
Opfer und für zwei weitere Vestalinnen an, sie lebendig im Campus
Sceleratus zu begraben.
57
Zu einer weiteren Serie von Hinrichtungen kam es unter dem römischen
Kaiser Caracalla, worüber der römische Senator, Konsul, Schriftsteller und
Geschichtsschreiber Cassius Dio berichtet. Cassius Dio nennt auch die
Namen der beschuldigten Vestalinnen: Aurelia Severa, Pomponia Rufina,
Cannutia Crescentia und Clodia Laeta. Ungewöhnlich an diesen Vorfällen
ist, dass von mitangeklagten Verführern keine Rede ist. Statt dessen ist
Cassius Dios davon überzeugt, dass Kaiser Caracalla selbst eine der vier
Vestalinnen schändete. Die Vestalinnen kamen der Vollsteckung des Urteils
durch Selbstmord zuvor. Quelle: "Die Praxis der Herrscherverehrung in
Rom und in seinen Provinzen." von Hubert Cancik und Konrad Hitzl.
Pythagoras (570 - 510 v.Chr.) war ein griechischer Philosoph, der eine
religiöse Bewegung erschuf, die eine orphische59 Doktrin mit der indischen
und persischen Religion verband 60. Die orphische Religion war nicht sehr
verbreitet, aber sie gefiel Intellektuellen, die das dogmatisch Absolute,
einschließlich der Verheißung des ewigen Lebens, für den rituell und
körperlich Reinen, ansprach. Um das Ziel der moralischen Erneuerung der
Gesellschaft zu fördern, gründete Pythagoras eine zölibatäre Bruderschaft,
die von ihrer ökonomischen und politischen Abhängigkeit befreit,
Jahrhunderte als religiöser Kult überdauerte.
59
Die Orphiker waren die Anhänger eines Mysterienkults der altgriechischen
Religion der Orphik, die ihre Lehren auf Schriften des mythischen Sängers
Orpheus zurück führten. Nach den Orphikern trägt der Mensch von
Dionysos, dem griechischen Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der
Fruchtbarkeit und der Ekstase, Göttliches und Gutes in sich, von den
Titanen Böses und Verwerfliches. Die im menschlichen Körper
eingekerkerte Seele könne ihr Gefängnis nur durch die Einhaltung einer
orphischen Lebensweise und nach mehreren Wiedergeburten verlassen.
Diese Seelenwanderung könne durch ein sittlich einwandfreies Leben und
die Einhaltung asketischer Vorschriften abgekürzt werden. Dann werde ein
glückseliges Leben im Jenseits erreicht.
Quelle: Orphiker
60
Man sagt von Pythagoras, daß er wie ein Tramper in den 60er Jahren des
20. Jahrhunderts vier Jahrzehnte lang die Weite des Mittelsmeers von Gaul
(Frankreich) bis Phönizien (Libanon/Türkei) durchreist habe und Wissen
von Mystikern und Priestern erwarb. Er hielt sich im afrikanischen Teil
Ägyptens auf, das für das Geheimwissen seiner Priester bekannt war,
tauchte dann in die schamanistischen Gebiete Asien ein, kam nach Persien
(Iran) und seinen Magieren (Magiern), nach Arabien und schließlich nach
Indien, dem Land, in dem Vardhamana (genannt: Mahavira), der Begründer
des Jainismus, eine neue mönchische Religion bildete, die der Gewalt
gegenüber Tieren abschwor, in dem Goshala Maskariputra die das Selbst
(die Seele) verleugnende Ajivika-Sekte gründete, in dem gerade zwei neue
Upanishaden (vedische Texte, religiöse Schriften des
Brahmaismus/Hinduismus) in den Wäldern "entdeckt" wurden und in dem
Buddha, 20 Jahre jünger als Pythagoras, den Zeitgeist wie der griechische
Tourist in sich einsog. Sowohl Buddha, der Begründer einer Religion, die
später den Osten durchdrang, als auch der Besucher Pythagoras, dessen
Ideen später im Westen heranreiften, nahmen den brahmanischen
Mystizismus, die Wiedergeburt, die vegetarische Einstellung, den
Asketismus und, im Fall von Pythagoras, den Gedanken der politischen
Elite, in sich auf.
Pythagoras lehrte eine Welt, die wie die chinesische Vorstellung von Ying
und Yang, in zwei gegensätzliche Prinzipien unterteilt war: das unterlegene
Unbegrenzte, das die Dunkelheit, gerade Zahlen und die Weiblichkeit
enthält und das überlegene Begrenzte, welches Licht, ungerade Zahlen und
die Männlichkeit enthält. Die überlegene Seele ist in einem unterlegenen
Körper gefangen, der von der niederträchtigen Leidenschaft beherrscht wird.
Um die gefangene Seele zu befreien, müssten die Menschen einige Tabus
beachten. Hierzu zählt in erster Linie die Entwürdigung des
Geschlechtsverkehrs.
Allerdings empfahl Pythagoras das Zölibat nur in den heißen und trockenen
Sommermonaten und wenn möglich im Frühjahr und Herbst. In der
Winterzeit hielt er den Sex für weniger ausdörrend und daher für eher
akzeptabel, obwohl er alle Freuden der Liebe, als schädlich für die
Gesundheit betrachtete. Zu einem Mann, der begierig darauf war, zu wissen,
wann er Sex mit einer Frau haben sollte, sagte Pythagoras: "Dann, wenn du
die Stärke, die du hast, verlieren möchtest."
Pythagoras betonte auch, dass jede sexuelle Aktivität nicht vor dem
zwanzigsten Geburtstag eines Mannes beginnen sollte und er lobte die
strenge griechische Regel, keine Frau in einem Tempel zu lieben, die
entweder die Schwester, die Mutter oder die Tochter von jemanden ist. Mit
anderen Worten, man sollte keine Frau in einem Tempel lieben. Den
einzigen Sex, den er tolerierte, war der Sex für den ausdrücklichen Zweck,
Kinder zu zeugen und dies nur für den Ehemann und seine Frau.
Der griechische Philosoph Plato (427 - 347 v.Chr.), der 83 Jahre nach
Pythagoras geboren wurde, übertrug viele pythagoreische Ideen in seine
eigene unermessliche Philosophie. Plato war ebenfalls ein Dualist. Für ihn
war die Seele höherstehend als der Körper. Der Körper hinderte die Seele an
seiner Entwicklung zu höheren Zielen. Abhängig von seiner Ausprägung
sah er die Liebe als heilig und erhebend oder gottlos und erniedrigend an.
Den Geschlechtsverkehr, wenn er nicht der Zeugung diente, betrachtete er
als die niedrigste Form der Liebe. Er stürzt die Menschen in die Bestialität.
Was ist erforderlich, um diese niedrigen Formen der Liebe zu überwinden?
Nach der Vorstellung Platos ist es ein sexuell enthaltsames Leben, welches
durch die Einschränkungen der Pythagoreer definiert war.
Der Stoizismus62 (die Stoa) vertrat ähnliche Lehren zur Sexualität. Sie
wurde nicht generell als abscheulich angesehen, sondern nur, wenn eine
übertriebene Lust und Leidenschaft die Menschen dazu antrieb. Als
Zeugungsakt in der Ehe wurde sie toleriert. Der römische Philosoph,
Dramatiker (Theaterautor), Naturforscher, Staatsmann und als Stoiker einer
der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit, Seneca (1 - 65 n.Chr.), schrieb:
"Ein weiser Mann liebt seine Frau mit Verstand und nicht mit Leidenschaft.
Er sollte seine Impulse kontrollieren und sich nicht kopfüber in den
Beischlaf stürzen. Nichts ist schmutziger, als eine Frau wie eine
Ehebrecherin zu lieben." Die Stoiker waren bemüht, den Idealen der Natur,
der Tugend, des Anstandes und der Mäßigung zu folgen. Sie praktizierten
einen asketischen Lebensstil 64 und hatten viele Anhänger.
62
Die Stoiker vertraten die Auffassung, dass das gesamte Universum aus
passiver Materie besteht, der jedoch ein aktiver Ursprung, der Logos, die
göttliche Vernunft, zugrunde liegt. Die menschliche Seele begriffen sie
ebenfalls als Ausdruck der göttlichen Vernunft. Ihr Ideal war es, in
Übereinstimmung mit der göttlichen Ordnung des Universums zu leben. Die
vier Kardinaltugenden der Stoa, die von Platon abgeleitet sind, lauten:
Weisheit, Mut, Gerechtigkeit und Mäßigung.
Die Stoa entstand um 300 v.Chr. in Athen. Für den Stoiker entsteht alles
Seiende aus einem Urfeuer, dem Äther. Aller Stoff ist durch göttliche
Vernunft (Logos) beseelt. So ist die stoische Lehre gleichermaßen
materialistisch und pantheistisch63: Das göttliche Prinzip durchwirkt den
Kosmos in allen seinen Bestandteilen und ist nur in ihm anzutreffen. Die
Stoiker sind von der strengen Kausalität allen Geschehens überzeugt. Auch
der Einzelne ist durch das Schicksal bestimmt und tut gut daran, sich nicht
gegen die Vorsehung zu stellen.
63
Anhänger des Pantheismus glauben an keinen persönlichen oder
personifizierten Gott; sie sehen die ganze Welt als „göttlich“ an. Der
Pantheismus vertritt die Ansicht, dass das Universum gleichbedeutend mit
Gott ist.
64
Senaca schlief auf einem harten Bett, lehnte bestimmte Lebensmittel, wie
Austern und Pilze, ab, enthielt sich des Genusses von Wein und nahm keine
heißen Bäder.
Seneca in seiner Schrift "Vom glücklichen Leben": Die Tugend ist etwas
Hohes, Erhabenes, Königliches, Unüberwindliches, Unermüdliches; das
sinnliche Vergnügen etwas Niedriges, Sklavisches, Ohnmächtiges,
Hinfälliges, dessen Aufenthalt und Heimat Hurenhäuser und Garküchen
sind. Die Tugend wirst du im Tempel finden, auf dem Forum, in der Furie,
vor den Mauern stehend, mit Staub bedeckt, von frischer Gesichtsfarbe, mit
schwieligen Händen; das sinnliche Vergnügen öfters versteckt und die
Finsterniss suchend, um Badehäuser und Schwitzstuben und Orte her, die
den Adel fürchten, weichlich, entnervt, von Wein und Salben triefend,
bleich oder geschminkt und durch Schönheitsmittel zugestutzt.
Jesus von Nazareth hatte (laut Neuem Testament) Berührung mit einigen
Essenern, er übernahm vermutlich Ideen und Lehren aus Qumran, verwarf
dafür wieder andere vehement. Er könnte nach der Bar Mitzwa, dem
jüdischen Passageritus, bei der der religionsmündige jüdische Jugendliche in
die Gemeinde aufgenommen wird, und vor seinem 30. Lebensjahr in
Qumran gewesen sein, wofür inhaltliche Parallelen sprechen. Ebenso wie
Jesus predigten die Essener Busse, Armut, Demut, Keuschheit und
Nächstenliebe. Wie später bei Jesus von Nazareth führte dies zu heftigen
Konflikten mit dem jüdisch-pharisäischen Amtspriestertum. Mehrere
Essener sollen den Märtyrertod gestorben sein.
Anders als die Pharisäer und die Chassidim 67, die sich selbst als "Die
Fommen" bezeichneten, nannten die Essener sich das jüdische Volk. Die
Essener gliederten sich wahrscheinlich in zwei Untergruppen. Die eine
Untergruppe lebte im Zölibat und war als Orden organisiert. Ihr spirituelles
Zentrum war möglicherweise das Kloster Qumran. Ableger gab es auch in
Jerusalem und in der Batanäa (Judäa, jenseits des Jordans). Die zweite
Untergruppe der Essener lebte nicht zölibatär.
67
Chassidim sind eine Vereinigung endzeitlich orientierter Gruppen um 300
bis 175 v.Chr., die auf der Suche nach Recht und Gerechtigkeit ihre
Wohnsitze verließen und in die Wüste zogen, um den religionspolitischen
Zwangsmaßnahmen der Seleukiden zu entgehen. Seleukos I. war ein
ehemaliger Feldherr Alexander des Großen, der nach dessen unerwartetem
Tod einen Teil desAlexanderreiches übernahm.
Sie werden nicht mehr von den Wallungen ihres Leibes überschwemmt und
auch nicht von den Leidenschaften bestimmt, sondern sie ernten wahrhaftige
und wirklich alleinige Wahrheit. Zeugnis von der Freiheit gibt ihr Leben.
Keiner wagt es, überhaupt etwas zu besitzen, kein Haus, keinen Sklaven,
kein Land, keine Herden, nichts anderes, was der Beschaffung oder
Austattung von Reichtum gleich käme. Sie legen vielmehr alles geschlossen
in die Mitte ihrer Gemeinschaft und haben den gemeinsamen Ertrag von
allem. Sie wohnen an demselben Ort, sie leben in Freundschaftsbünden und
halten gemeinsame Mahlzeiten und führen ihr Leben, indem sie alles für
Gemeinnütziges einsetzen. Aber alle beschäftigen sich anders; dazu rüsten
sie sich, ohne Zaudern kämpfen sie sich durch, nicht Frost, nicht Hitze, nicht
wechselnde Witterung vorschützend.
Bevor die Sonne aufgegangen ist, wenden sie sich ihren gewohnten
Aufgaben zu; wenn sie ganz untergeht, hören sie damit auf und haben nicht
weniger Freude als die, die mit Übungswettkämpfen Vergleiche
ausgetragen. Denn sie glauben, daß die Übungen, die sie unternehmen, fürs
Leben tauglicher und für Seele und Leib besser und dauerhafter sind als die
Übungen in den Wettkämpfen, da sie nicht der Kraftentwicklung des
Körpers unterworfen sind. Denn es gibt bei ihnen die einen, Ackerbauern,
die sich auf das Säen und die Pflege der Gewächse verstehen, die anderen
aber, Herdenführer, die alle Arten von Tieren führen. Einige haben auch
Schwärme von Bienen. Andere sind Handwerker entsprechend ihrer
Fertigkeit. An nichs, was zu den notwendigen Bedürfnissen gehört, müssen
sie Mangel leiden; nichts schieben sie von dem auf, was zu ehrlicher (wörtl.
"unschuldiger") Erwerbsquelle führt.
Jeder nimmt den Lohn für so verschiedenen Tätigkeiten und übergibt sie
dem einen Schatzmeister, der von ihnen gewählt wurde. Nach dem Empfang
kauft jener sofort das Notwendige und sorgt für reichlich Nahrung und die
anderen Dinge, die für das tägliche Leben notwendig sind. Sie leben
miteinander an einem Ort, sind Tischgenossen und miteinander zufrieden,
lieben die Genügsamkeit, fliehen das aufwendige Leben wie eine Krankheit
an Seele und Leib. Sie haben nicht nur einen gemeinsamen Tisch, sondern
teilen auch die Kleidung. Sie haben dicke Mäntel gegen den Winter, leichte
Umhänge für den Sommer, so daß es jedem, der will, leicht möglich ist,
eines zu nehmen, wenn er will, da das, was von einem ist als Teil von allen
und das, was von allen ist, als Teil von einem erachtet wird. Und wenn einer
von ihnen krank ist, wird er von der Gemeinschaft gepflegt, denn er wird
mit den Aufwendungen und Mitteln von allen behandelt.
Als man nun im Jahre 1947 in Qumran die wohl bedeutendste Sammlung
von Handschriften aus der Zeit um die Zeitenwende entdeckte, glaubte man
diese rätselhafte Gruppe der Essener genauer fassen zu können. Viele der
Texte, die man in den Höhlen am Toten Meer gefunden hatte, erinnerten an
die Berichte bei Philo und Flavius Josephus. Und so glaubte man hier
gleichsam das Schrifttum einer solchen monastischen Gemeinschaft aus
essenischen Kreisen vorliegen zu haben.
Man identifizierte nun die Menschen, die in Qumran gelebt hatten, ganz
einfach mit diesen Essenern oder auch mit den Therapeuten, die Philo
erwähnte. Und man versuchte nun das Selbstverständnis dieser Menschen
aus der Fülle des Schrifttums, das man in den Höhlen gefunden hatte, zu
erschließen.
Von daher spricht man in der heutigen Literatur üblicherweise von den
"Qumran-Essenern" und meint damit, in aller Regel, eine Gemeinschaft von
Menschen, die nach einer festen Ordnung, beinahe ordensähnlich, in dieser
Siedlung am Toten Meer gelebt haben.
Die Diskussion um die Qumran-Texte in den letzten Jahren hat aber gezeigt,
dass dieser Schluss recht voreilig und von einer ganzen Reihe von
Vorurteilen geprägt war.
Wir können aus den Texten von Qumran, wenn diese Voraussetzung
stimmt, demnach mit einiger Sicherheit erheben, was das zeitgenössische
Judentum, oder zumindest Teile des Judentums zur Zeit Jesu gedacht,
geglaubt, erhofft und erwartet haben.
Das Leben der Essener war streng und bescheiden. Zweimal täglich
bereiteten die Priester ein eingängiges Menü. Dazu wurde Brot gereicht. Die
Gemeinschaft aß in vollkommener Stille. Der jüdische Feldherr und
Geschichtsschreiber Flavius Josephus (37 - 100 n.Chr.), der wichtigste
Autor des hellenistischen Judentums, der einige Zeit mit den Essenern
zusammenlebte, beschrieb ihren Tagesablauf. Die erste gemeinsame
Mahlzeit fand vormittags um 11 Uhr statt. Nach Stunden der Arbeit
versammelten sie sich. Sie zogen weiße Lendenschurze an und badeten im
kalten Wasser. Nachdem diese Waschungen durchgeführt waren, setzten sie
sich schweigend an den Tisch und erwarteten ihre Mahlzeit. Der Bäcker
brachte ihnen Brotlaibe und der Koch einen gehäuften Teller, der aus einer
einzelnen Nahrung bestand. Die Regel war, dass niemand etwas aß, bevor
nicht das Tischgebet gesprochen war. Deshalb lobten sie Gott vor und nach
dem Essen für seine Gnade. Nach dem Essen zogen sie ihre weißen
Kleidungsstücke wieder aus und gingen bis zur Abendbrotzeit wieder an die
Arbeit.
Das Übertreten eines Gesetzes konnte den Ausschluß aus der Gemeinschaft
bedeuteten. De facto gab es in Qumran zwei verschiedene Strafverfahren.
Das erste endete mit dem Totalausschluß, das zweite hatte einen "partiellen,
zeitweiligen Ausschluß von der Reinheit" zur Folge. Wurde ein Mitglied mit
dem totalen Ausschluß aus der Gemeinschaft bestraft, durfte es nicht mehr
an den rituellen Waschungen und somit auch nicht an den
Gemeinschaftsmahlen teilnehmen. Dieser nicht-reversible Ausschluß
bedeutete weiterhin, daß der Ausgestoßene keinen Anteil mehr am Heil
hatte. Dies war sicherlich die schlimmste Bestrafung, die sich ein Essener
vorstellen konnte. Der totale Ausstoß betraf Mitglieder, die während der
Gebete oder während des Tora-Studiums fluchten, Vollmitglieder
verleumdeten oder gegen Grundsätze der Gemeinschaft aufbegehrten.
Desweiteren wurde jedes Mitglied, das nach über zehnjähriger
Mitgliedschaft von der Gemeinschaft abfiel, mit völligem Ausschluß
bestraft. Jeder Essener, der mit dem Ausgestoßenen in Kontakt trat, sei es in
finanzieller oder kultischer Hinsicht, wurde ebenfalls mit totalem Ausschluß
bestraft. Für den partiellen Ausschluß bestand ein ausführlicher Vergehens-
und Strafkatalog:
• Selbst auf das Spucken in die Mitte der Vollversammlung wurde ein
dreißigtägiger Ausschluß ausgesprochen.
Quelle: Tauchbäder
Die Essener trugen ihre Kleidung und Schuhe, bis sie zerfielen. Sie hatten
ein robustes Erscheinungsbild und verzichteten darauf, ihren Körper mit Öl
einzureiben, wie andere es taten. Sie badeten vor jeder Mahlzeit und
nachdem sie sich erleichtert hatten. Während der rituellen Waschungen
bedeckten sie ihre Nacktheit züchtig mit einem Lendenschurz. Sie
verrichteten ihre Notdurft nur in einer bestimmten Entfernung von der
Siedlung. Sie gruben ein Loch und bedeckten sich, während sie sich
hinhockten. Anschließend bedeckten sie den Kot mit Erde. Am Sabbat68 war
das Arbeiten natürlich verboten.
68
An dieser Stelle soll eimal etwas zum Sabbat gesagt werden. Der Sabbat
wurde von den Essenern, wie von allen Juden, als Feiertag begangen. Bis
heute wird aufgrund des Talmud bestimmt, welche Tätigkeiten als Arbeit
anzusehen sind. Es ist zum Beispiel am Sabbat verboten, Feuer anzuzünden,
eine Arbeit zu verrichten, für die irgendein Werkzeug gebraucht wird, oder
zu schreiben. Es ist außerdem verboten, am Sabbat etwas zu kaufen oder zu
verkaufen, oder Geld auch nur zu berühren. Als Arbeiten, die am Sabbat
nicht getan werden sollten, gelten im Talmud alle Tätigkeiten, die mit der
Erwerbsarbeit oder mit Geldverdienen zu tun haben. Liberale Juden
schreiben also am Sabbat, wenn es zur Freizeitgestaltung gehört, aber nicht
beruflich. Sie benutzen auch am Sabbat das Auto oder die Bahn nicht, um
zum Beispiel zum Gottesdienst zu fahren. Auch liberale Juden tätigen am
Sabbat, soweit es irgendwie möglich ist, keine Einkäufe.
Zeitzeugen nannten das Zölibat der Essener streng und unzeitgemäß. Aber
die Ausgrabungen in Qumran und der Fund einiger weiblicher Skelette,
belegen, dass auch einige Frauen anwesend waren. Es mag sein, dass einige
Frauen ihre Ehemänner in die Siedlung begleiteten, dort aber in Keuschheit
lebten. Der jüdische Theologe und Erforscher der palästinischen und
rabbinischen Traditionen des Judentums, David Flusser69 (1917 - 2000)
interpretierte verschiedene Schriftrollen vom Toten Meer, die 1947 von
Beduinen in unmittelbarer Nähe von Qumran entdeckt wurden. Sie wurden
in elf Höhlen direkt an der Küste des Toten Meeres gefunden. Diese Essener
Literatur besagt, dass ein Essener nach dem zwanzigsten Lebensjahr
heiraten kann, wenn er weiß, "was er zu tun hat". Solche Ehen dienten
auschliesslich dazu, Nachwuchs zu zeugen. Vielleicht gab es solche Ehen zu
Beginn der Ansiedlung. Andere Wissenschaftler sagen, dass alle Essener
strikt enthaltsam lebten.
69
Eine kleine Anekdote zu Prof. David Flusser: Flusser war eine
sagenumwogene Gestalt. Er beherrschte Deutsch, Englisch, Tschechisch,
Hebräisch und sprach zahlreiche antike Sprachen. (Flusser wuchs in Prag
auf und emigrierte 1939 nach der Besetzung Tschechiens durch die
Nationalsozialisten nach Palästina.) Mochte er jemanden, so neckte er ihn in
Griechisch, zürnte er, dann in Latein. Er liebte es, den Klerus mit Latein zu
ärgern, um ihm zu zeigen, dass er seine eigene Sprache nicht beherrscht. Sie
schlugen zurück. Marcel Dubois, Dominikaner und der erste katholische
Philosophieprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, erzählte
auf der Gedächtnisfeier zu seinem dreißigsten Todestag, dass Flusser eines
Nachts einen Anruf bekam, in Französisch. "Ich bin Jesus Christ, ich möchte
mit Professor Flusser sprechen", tönte es aus dem Telefonhörer. Flusser
legte geschockt auf und konnte sich mehrere Stunden nicht beruhigen, bis er
sich sagte, Er könne es nicht gewesen sein, Er hätte sicher mit ihm in
Hebräisch gesprochen. (Jesus Muttersprache war allerdings aramäisch. Das
Aramäische ist mit dem Hebräischen allerdings eng verwandt und zugleich
die Schwestersprache des Arabischen.)
Die Essener Askese entwickelte sich aus einer reifenden Theologie, die von
der Vorstellung der "Söhne des Lichts 70" und den "Söhnen der Dunkelheit"
bestimmt war. Die Ersteren empfingen den Lohn Gottes, die Letzteren
waren dem Untergang geweiht. Zunehmend betrachteten die Essener die
Menschen als schlecht (Es ist zu vermuten, dass die Essener von den
Hasmonäern aus Jerusalem vertrieben und verfolgt wurden. Wie bereits
erwähnt, sind einige Essener dabei offensichtlich des Märtyrertods
gestorben.71 ) Daher ihre Ablehnung der Sexualität, als normale körperliche
Funktion. (Diese Begründung der Ablehnung der Sexualität erscheint mir
etwas fadenscheinig. Ich würde eher vermuten, dass die Ablehnung der
Sexualität entweder auf einen griechisch-römischen oder womöglich sogar
hinduistischen Einfluss zurückzuführen ist. Weiter oben wurde ja bereits
darauf hingewiesen, dass es offensichtlich auch im griechisch-römischen
Raum Berührungspunkte mit hinduistischen Mönchen aus
Pakistan/Afghanistan gab.) Aber anders als Plato verstanden die Essener den
Menschen nicht als eine Dualität aus einen Widerstreit zwischen dem Geist
und der Materie (bzw. der Seele und dem Körper). Sie sahen stattdessen
zwei Arten von Menschen: die körperlich (sexuell) orientierten Menschen,
die nicht erlöst sind und die Auserwählten, nämlich sie selber.
70
In der sogenannten "Gemeinderegel", die das Leben der Essener
untereinander genau regulierte, findet sich die Aufforderung zum
Feindeshass gleich mehrmals. Die Mitglieder der Gemeinschaft werden
darin aufgefordert: "alle Söhne des Lichtes zu lieben, aber alle Söhne der
Finsternis zu hassen." Als Söhne des Lichtes verstanden sich die Essener
selber. Alle, die nicht zu ihnen gehörten, wurden zu den Söhnen der
Finsternis gerechnet. Diese Forderung der Essener nach dem Feindeshass
war allgemein in Israel bekannt, stellten sie doch mit 4.000 Mitgliedern die
zweitgrösste Religionspartei dar, neben den Pharisäern mit 6.000
Mitgliedern. Gegen dieses Gebot des Feindeshasses wendet sich Jesus in der
Bergpredigt ganz vehement! Durch die Qumrantexte sind uns die
Zeitgenossen Jesu entgegengetreten, die er in der Bergpredigt direkt
angesprochen hat. So gesehen sind die Schriftfunde vom Toten Meer ein
wahrer Glücksfall. Sie zeigen nämlich, dass die Berichte in den Evangelien
und in der Apostelgeschichte einem jüdischen Hintergrund entstammen und
historisch korrekt überliefert sind.
Wenn uns die Beschreibung der Rituale und der Lehre der Essener so
vertraut erscheint, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass sie uns an das
Christentum erinnert. Die Flucht ins Mönchstum in der Wildniss; der
mühselige Ritus des Badens, bei dem der Badende nicht einmal seinen
eigenen Körper betrachten konnte; die Dürftigkeit der mageren Speisen und
sein schweigender Verzehr; die stille Gewissheit des Ziels; sogar die
Abtretung des eigenen Vermögens in das Gemeinschaftseigentum; und über
allem das Zölibat, findet man im Christentum und seinen Klöstern wieder.
Rückblick Top
Viele Männer, wahrscheinlich sogar die meisten, hätten wütend auf diese
Demütigung reagiert. Verlobungen wurden als verbindlich für die Ehe
angesehen, so dass Joseph, trotz Maria's Zwangslage, sie nicht einfach
verlassen konnte. Er hätte sich nur durch eine Scheidung von ihr trennen
können.
Immer noch gepeinigt von seiner Situation, schlief Joseph schließlich ein. In
einem Traum trat ein Engel des Herrn zu ihm und sagte: "Joseph, Sohn
Davids, hab' keine Angst, Maria zu deiner Frau zu nehmen. Das Kind,
welches sie empfangen hat, ist vom Heiligen Geist." Der Engel offenbarte
auch das Geschlecht und den Namen des Kindes: "Es wird ein Junge sein,
den du Jesus nennen sollst." Jesus ist eine Form von Joshua, was bedeutet
"Gott ist mit uns." "Jesus", fügt der Engel hinzu, bevor er sich aus Joseph's
Traum zurückzog, "wird das Volk von seinen Sünden befreien."
Als Joseph schlief, wurde Marias Protest also vollends bestätigt. Als er
erwachte, waren keine Zweifel mehr vorhanden. Ermutigt und aufgewühlt
muss er der erleichterten und erstaunten Maria die nächtlichen Enthüllungen
anvertraut haben. Es war nicht mehr die Rede davon, sie fortzuschicken.
Stattdessen nahm Joseph sie zu seiner Frau, obwohl sie sich mit den
sexuellen Beziehungen zurückhielten, bis das Kind geboren war.
Alles verlief, bis zu den letzten Stunden von Marias Schwangerschaft, nach
Plan, denn ein kaiserlicher Erlass verfügte eine Volkszählung aller Bürger.
Dazu mussten Joseph und Maria nach Bethlehem, Joseph's Vaterstadt,
reisen. So wurde das Kind also nicht zu Hause in Nazareth geboren.
Erschwerend kam hinzu, dass ein Anstrom auswärtiger Städter die lokalen
Gasthäuser belegt hatte. Darum fand Joseph keine bessere Herberge als
einen Stall. Inmitten von neugierigen Eseln und Ochsen entband Maria ihr
Kind. Es war der Prophet Jesaja72 (740 – 701 v.Chr.), der den Israeliten
einen zukünftigen Messias vorhergesagte: "Seht, eine Jungfrau wird einen
Sohn empfangen und gebären und sie wird ihn Emmanuel nennen,." Das
heißt: "Gott ist mit uns."
72
Alle, mit Ausnahme der konservativen Gelehrten, übernehmen heute
allerdings die Hypothese, dass die Prophezeiungen nicht Worte des
Propheten Jesaja aus dem 8. Jahrhundert v.Chr. sind, sondern aus späterer
Zeit stammen.
Quelle: Jesaja
Ich denke, man sollte den Text aus einer mythologischen Sicht betrachten,
denn niemand wird heute mehr an eine "unbefleckte" Empfängnis und an
irgendeinen Engel glauben, der Joseph im Schlaf erschien. Auch die Worte
des sogenannten Propheten Jesaja sind ja mittlerweile umstritten.
Bemerkenswert finde ich allerdings, dass offenbar solch ein großer Wert
darauf gelegt wird, dass Maria, die Mutter Jesus, eine Jungfrau war. Auch
Buddha soll von einer jungfräulichen Mutter geboren worden sein. Man
kann also davon ausgehen, dass die frühen Christen ebenso wie die frühen
Buddhisten die Enthaltsamkeit als etwas Reineres betrachten als den
Zeugungsakt.
Die Jahre vergingen. Jesus wuchs auf und begann zu predigen. Mit
dreiunddreißig Jahren war er ein radikaler Redner, der vom Establishment
als König der Juden verspottet wurde. Die Hohenpriester, Schriftgelehrten
und Ältesten versammelten sich im Tempel der Hohenpriester und
beschlossen, ihn zu töten. Der Mord sollte direkt nach dem Pessachfest 73
stattfinden.
73
Das Pessachfest gehört zu den höchsten Festen des Judentums. Es erinnert
an den Auszug der Juden aus Ägypten, also an die Befreiung der Israeliten
aus der Sklaverei, mit der sie als eigenes Volk in die Geschichte eintraten.
Die Verschwörer hatten Macht und Geld auf ihrer Seite. Sie bestachen Jesus'
Jünger, Judas Ischariot, Jesus zu verraten und boten ihm die enorme Summe
von dreißig Silberlingen an. Sie überraschten Jesus aber keinesfalls. "Ihr
wisst, dass in zwei Tagen das Pessachfest ist. Dann wird der Menschensohn
übergeben und gekreuzigt," kündigte er seinen erschrockenen Jüngern an.
Und tatsächlich wurde er gekreuzigt. Seine Qualen verschlimmerten sich
durch die Demütigungen einer Dornenkrone und durch die Nacktheit, als
römische Soldaten ihm seine Kleider zerrisen 74 und fortnahmen, wie es der
Tradition der Kreuzigung entsprach.
74
Matthäus 26,63-65 : Und der Hohepriester antwortete und sprach zu ihm:
Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seist
Christus, der Sohn Gottes. Jesus sprach zu ihm: Du sagst es. Doch ich sage
euch: Von nun an wird's geschehen, daß ihr werdet sehen des Menschen
Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des
Himmels. Da zerriß der Hohepriester seine äußeren Kleider und sprach: "Er
hat gelästert! Wozu brauchen wir weiter Zeugen? Seht! Jetzt habt ihr die
Lästerung gehört.
Das Zerreißen der Kleider und zwar nur der inneren Kleider galt als
Besiegelung des Urteilsspruchs. Stelle und Länge des Risses waren genau
vorgeschrieben, ein kleiner Riß in den Unterkleidern. Laut Altem
Testament (3. Mose 21,10) hatte der Hohepriester aber nicht das Recht, die
äußeren Kleider zu zerreißen.
Schließlich starb Jesus am Kreuz. Aber er blieb nicht Tod. Nach drei Tagen
ist sein ausgemergelter Körper wieder auferstanden 75 und für eine kurze
Zeit schritt er wieder über die Erde. Er verbrachte seine letzten Stunden mit
seinen elf überlebenden Jüngern. Judas Ischariot, der Jesus den Römern
ausgeliefert hatte, hatte sich in fiebriger Reue selbst erhängt. "Darum gehet
hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des
Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch
befohlen habe" (Mt 28,19-20), forderte Jesus seine Jünger auf. Dann sagte
er: "Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt." Als seine
Jünger dies vernahmen, stieg Jesus in den Himmel auf.
75
Laut Neuem Testament hat Jesus am dritten Tag sein Grab verlassen und
ist auferstanden. Er ist Frauen und Jüngern erschienen, zuletzt bei Damaskus
dem Christenverfolger Saulus, der daraufhin zum Christen und zum Apostel
Paulus wurde. Der Auferstandene ist mit zwei Jüngern von Jerusalem nach
Emmaus gewandert. Er hat mit weiteren Jüngern gesprochen und gegessen,
ist durch eine geschlossene Tür gegangen, hat dem ungläubigen Jünger
Thomas die Wunden der Kreuzigung gezeigt und ist nach 40 Tagen
aufgefahren gen Himmel.
Der göttliche Sohn einer jungfräulichen Mutter lebte und starb, verzehrt von
einer Mission, die schließlich zum Christentum wurde. Sein Tod und die
Wunder, die ihn umgaben, führten die ersten Christen zu der Annahme, dass
ein Weltuntergang nahe sei. Warum sollte man, wenn das Ende der Welt
nahte, Kinder zeugen? Besser, man blieb zölibatär und konzentrierte sich
auf die spirituelle Reinigung.
Wie wir gesehen haben, war die griechisch-römische Welt, die Jesus erbte,
nicht ohne Jungfrauen und Befürworter des Zölibats. Da gab es die
jungfräuliche Göttin Athena, die vestalischen Jungfrauen, die asketischen
Philosophen, die nach sexueller Enthaltsamkeit strebten und die selbst-
isolierten Essener, die sich aber vom christlichen Eifer nach einem
weitverbreiteten Zölibat und einer begleitenden leidenschaftlichen Mission
unterschieden. Von Anfang an hatte das Christentum eine negative
Einstellung zur Sexualität. Als Jesus zum Beispiel über die Scheidung
sprach, fragte er seine Jünger, ob es nicht besser ist, unverheiratet zu
bleiben. Jesus Antwort hallte durch die Zeitalter:
Der Theologe Karl Herbst sagt in seinem Buch „Der wirkliche Jesus“: Die
Geschlechterliebe ist in ihrer Wurzel eine begehrende. Die Liebe Gottes
dagegen ist eine schenkende Liebe. Wenn jemand die Gottesherrschaft so
annimmt wie Jesus, „verschenkt“ er sich selbst an alle, anstatt irgendeinen
begierig zu lieben und erotisch zu beherrschen (zu besitzen).
Die Jünger und Legionen von Gläubigen, die Jesus folgten, akzeptierten es.
Damit wurde das Zölibat zu einer der größten und wichtigsten Eigenschaft
der Religion. Einige Christen, einschließlich des ägyptischen Gelehrten und
Theologen Origenes (185 - 254 n.Chr.), sollen die Worte Jesus so wörtlich
genommen haben, dass sie sich selbst kastrierten. (Von der heutigen
Forschung wird dies im Falle Origenes allerdings bezweifelt.)
Eine Reihe von Themen entstanden im Laufe der Jahre: der Vorteil der
Jungfräulichkeit; oder die wiedergeborene Jungfräulichkeit des Zölibats; der
Vorrang der Glaubensgemeinschaft vor der menschlichen Familie in der
Gesellschaft; und zunehmend die körperliche, sinnliche und verlockende
Natur der Frau. Wie die frühen griechischen Philosophen, waren die meisten
Kirchenväter Junggesellen und betrachteten alle sexuellen Aktivitäten sehr
skeptisch, egal ob innerhalb oder außerhalb der Ehe. Selbst der Kirchenvater
Tertullian (150 - 230 n.Chr.), der die Theologie aus dem Griechischen ins
Lateinische übertragen hatte und der verheiratet war, verurteilte die
Sexualität als "illegal" und bezeichnete die weibliche Vagina als "Tor zur
Hölle".
Unmengen von Papier und viele Fässer Tinte später, hatten die Kirchenväter
die Übeltäterin isoliert, die für die verstärkte Sexualität verantwortlich ist
und mit kollektiver Gehässigkeit gaben sie Eva die Schuld. Besonders der
Heilige Paulus malte sie mit einem frauenfeindlichen Pinsel. Langsam
entwickelte die Theolgie den Sündenfall, der durch Adam und Eva im
Garten Eden geschah, als sie der süßen Fleischeslust nachgaben, die in Form
eines göttlichen verbotenen Apfels symbolisiert wird. Als Maria, die Mutter
Jesus, vergöttert wurde, wurde Eva zum Sinnbild der Sünde dieser Welt. In
den christlichen Erzählungen begann sich eine Verschwörung gegen die
zwei unterschiedlichen Frauen zu entwickeln.
In der Schöpfungsgeschichte ist Adam Gottes erster Mensch und Eva seine
Gefährtin. Eva wird aus der Rippe Adams erschaffen, nachdem Gott ihn
betäubte76, damit er keine Schmerzen durch diese Operation hatte. Im
Garten Eden konnte der nackte Adam und die nackte Eva, die Knochen von
seinem Knochen und Fleisch von seinem Fleische war, sich frei bewegen,
sie konnten alles essen und sich an allem erfreuen. Es war ihnen allerdings
verboten vom "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse"77 zu essen. Gott
warnte sie: "Ihr sollt nicht von den Früchten des Baumes in der Mitte des
Gartens essen, noch sollt ihr sie berühren oder ihr werdet sterben."
76
Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen (Mann),
und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloß die Stätte zu
mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er vom
Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. (1. Moses 2,21-22)
77
Als "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" wird in der
Schöpfungsgeschichte ein Baum bezeichnet, der sich, zusammen mit dem
"Baum des Lebens", in der Mitte des Paradiesgartens (Garten Eden) befindet
und von dessen Früchten zu essen Gott dem Menschen verbietet. Das
göttliche Verbot, von den Früchten des Baums der Erkenntnis zu essen,
symbolisiert die Grenzen, die dem Menschen als Geschöpf Gottes gesetzt
sind. Die Missachtung dieser Grenzen (Sündenfall) führt zum Verlust der
Lebensfülle, die Gott dem Menschen eigentlich zugedacht hat: zur
Vertreibung aus dem Paradies und zur Bewachung des Zugangs zum "Baum
des Lebens". Den Namen "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" erhält
der Baum im Vorgriff auf das Versprechen, das die Schlange Adam und Eva
macht: „Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie
Gott und erkennt Gut und Böse.
Nach Genesis 2,9 ließ Gott den "Baum des Lebens" und den "Baum der
Erkenntnis von Gut und Böse" in der Mitte des Paradiesgartens wachsen. Er
verbot den Menschen aber, von den Früchten des "Baums der Erkenntnis"
zu essen, da dies den Verlust des Lebens bzw. des ewigen Lebens zur Folge
hätte.
In Genesis 3,3 ist allerdings nur von einen Baum „in der Mitte des Gartens“
die Rede, aber als einem ambivalenten: Er kann zum „Baum des Lebens“
oder zum „Baum des Todes“ werden. Als Adam und Eva, von der Schange
verführt, das göttliche Gebot übertreten und von den verbotenen Früchten
gegessen hatten (Sündenfall), vertrieb Gott sie „aus dem Garten Eden“ und
stellte die Kerubin (geflügelte Fabelwesen, zumeist mit Tierleib und
Menschengesicht) auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den
Weg zum „Baum des Lebens“ bewachten. Die Bewachung des Zugangs
zum „Baum des Lebens“ macht deutlich, dass der Mensch sich diesen
einerseits nicht aus eigener Kraft erzwingen kann, dass er ihm aber
andererseits auch nicht ein für alle Mal verschlossen bleiben muss.
Die Schlange aber überzeugte Eva vom Gegenteil. Wie könnte sie sterben,
wenn sie vom Baum der Erkenntnis kosten würde? Wenn sie es täte, dann
würde sie die Natur von Gut und Böse erkennen. Würde sie dann nicht
selber göttlich werden? Eva war überzeugt und ebenso leicht ließ sich Adam
überreden, gemeinsam einen Leckerbissen zu probieren. Sie aßen von dem
Baum und provozierten den Sündenfall.
Gottes Strafe erfolgte schnell. Ebenso schnell wurde Spott aus den
Zusicherungen der Schlange. Selbst die Schlange wurde zu einem
verfluchten Leben auf ihrem Bauch verurteilt. Eva's Los, und damit das Los
aller Frauen, waren große Schmerzen und Leid bei der Geburt und
Untertänigkeit unter ihren Ehemann: "Unter Schmerzen sollst du deine
Kinder gebären. Aber dennoch wird dein Begehren auf deinen Ehemann
gerichtet sein. Er soll über dich entscheiden."
Adam's Verurteilung galt für alle Männer: keine leichte Arbeit mehr im
Garten Eden, aus dem er und Eva fortan verbannt wurden, sondern harte,
verschwitzte, undankbare mühevolle Arbeit inmitten von Dornen und
Disteln. Viel schwerer aber war das Ende des ewigen Lebens und die
Rückkehr der Körper Adam'a und Eva's auf die Erde: "Ihr seid Staub und zu
Staub sollt ihr zurückkehren."78 Weil Adam Eva's Worte beachtete und
Gottes Gebot missachtete, sollte er und mit ihm alle zukünftigen Männer
sterben. Die Schlange hatte gelogen und nicht Gott. Der Lohn für diese
Sünde war der Tod.
78
Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der
Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben:
Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten? Da sprach das
Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;
aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt
nicht davon, rührt's auch nicht an, daß ihr nicht sterbt. Da sprach die
Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern
Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon eßt, so werden eure Augen
aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und
das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er
lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie
nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
(Gen 3,1-6)
Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du
schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein
Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein. Und zu
Adam sprach er: Dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und
hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst
nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer
sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir
tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest,
davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
(Gen 3,16-19)
2. Edikt: Inhaftierung aller Kleriker und bald darauf wurde von ihnen das
Götteropfer gefordert. Zu dieser Zeit war die Zahl der Märtyrer groß. Es
sollen insgesamt etwa 40.000 gewesen sein.
Quelle: Diokletian I
Schauerlich sind die Leiden der Märtyrer in Pontus. Wie wenn es sich um
Siegespreise handelte, bemühten sich die Feinde wetteifernd, einander in
Erfindung immer neuer Qualen zu überbieten. Allein zuletzt wurden sie
müde am Morden und des Blutvergießens satt. Da sagten sie, es gezieme
sich nicht, die Städte mit dem Blut der Bürger zu beflecken und die
Regierung der Kaiser in den Ruf der Grausamkeit zu bringen. Fernerhin
sollte niemand mehr mit dem Tod bestraft werden. Hierauf erging der
Befehl, den Christen die Augen auszustechen und das eine Bein zu lähmen.
Das war denn also bei ihnen Menschenliebe, das die gelindeste Strafe gegen
uns. Infolge dieser Menschenfreundlichkeit der Gottlosen wurde nun einer
solchen Menge Menschen teils zuerst das rechte Auge mit einem Schwert
ausgestochen und sodann mit einem glühenden Eisen ausgebrannt, teils der
linke Fuß an der Kniekehle mit glühendem Eisen gelähmt, daß es auf keine
Weise möglich ist, ihre Zahl zu bestimmen." Am furchtbarsten wütete der
Verfolgungssturm im Orient, in Kleinasien, Syrien, Palästina und Ägypten.
311 n.Chr. wurde das Christentum dann allerdings staatlich anerkannt
Quelle: Diokletian II
Der Ausgang des Konzils von Nicäa zeigte, dass das Christentum nach ca.
300 Jahren Verfolgung durch das Römische Reich nunmehr unter der
Kontrolle eben dieses Reiches stand. Das ursprünglich bei diesem Konzil in
Nicäa82 verabschiedete Glaubensbekenntnis, betont die "Gleichheit" von
Gott und Jesus mit einer nur kleinen Erwähnung des Heiligen Geistes. Die
ausformulierte Trinitätslehre (Gott Vater, Gottes Sohn und der Heilige
Geist) wurde erst beim Konzil von Chalcedon 451 n.Chr. etabliert, danach
gab es noch einige Änderungen durch spätere Konzilien.
82
Es gab auf dem Konzil von Nicäa aber auch andere Stimmen. Die Arianer
(unter Leitung des Presbyters (Ältesten) Arius) und die Eusebianer (etwa
zwanzig Bischöfe unter der Leitung des einflussreichen Bischofs Eusebius
von Nikomedia (Türkei)) vertraten die Ansicht, dass Jesus Christus und Gott
Vater nicht wesensgleich sind. Sie argumentierten aus der Position einer
absolut monotheistischen Theologie, mit Hinblick auf das Judentum, und
dem alten Testament, welches keinerlei Verletzung der Einheit und
Einzigkeit Gottes zuließ. Folgerichtig sprachen sie der Person Jesu Christi
die Gottheit ab, und wiesen ihr nur die Rolle des vornehmsten aller
Geschöpfe zu. Wegen dieser Ansicht wurde Arius von Bischof Alexander
von Alexandria (Ägypten) verurteilt und verbannt. Arius hatte jedoch
zahlreiche Anhänger, und der Streit verbreitete sich von Alexandria über
den gesamten Osten, während Arius Zuflucht bei Bischof Eusebius von
Nikomedia fand.
Mit diesen Fragen setzten sich auch die Kirchenväter auseinander. Weit
entfernt von den eigentlichen kirchlichen Herausforderungen, führten sie oft
ein illegales, herausforderndes, zänkisches, missionierendes, theologisch
arrogantes und vornehmes Leben, eines religiösen Emporkömmlings,
worunter die Intensität des Glaubens aber nicht litt.
Jeder Kirchenvater grübelte über die Heiligen Schriften, betete ernsthaft für
die Erleuchtung, diskutierte und korrepondierte mit anderen religiösen
Denkern. Jeder zeichnete seine persönlichen Erfahrungen auf. Häufig
enthielten sie bittere Kämpfe gegen die sexuelle Versuchung, die diese
Männer, die fast alle Jungggesellen waren, in Frauenfeinde verwandelte, die
Frauen ebenso misstrauten, wie sie sie fürchteten. Der Heilige
Hieronymus83, der auch einige Zeit als Einsiedler in der syrischen Wüste
lebte, z.B. erinnerte sich: "In der Wüste, wo ich keine Gefährten, sondern
Skorpione und wilde Tiere als Begleiter hatte, hatte ich oft das Gefühl,
Schwärme von Mädchen um mich zu haben. Mein Gesicht war fahl und
mein Gerippe war abgekühlt vom Fasten, aber mein Verstand wurde von
einem brennenden Wunsch beherrscht. Es war das Feuer der Lust, das
brodelnd aus mir hervorsprang, selbst wenn mein Fleisch so gut wie tot
war."
83
Über die Studienzeit des Heiligen Hieronymus wird folgendes berichtet:
Nachdem er zu Hause unter einem sehr strengen Hofmeister die
Anfangsgründe der Grammatik erlernt hatte, ging er nach Rom, um daselbst
seine Studien (Grammatik, Rhetorik und Philosophie) fortzusetzen. Er
brachte einen guten Fond christlicher Grundsätze mit sich; denn "von der
Wiege weg", schreibt er selbst, "sind wir mit katholischer Milch genährt
worden." Nach dem Gebrauche oder Mißbrauche jener Zeit war er
allerdings noch nicht getauft; aber gleichwohl machte es ihm viel Freude, an
den Gräbern der Apostel und Märtyrer in den Katakomben zu verweilen und
beten zu dürfen, was er alle Sonntage, wie er selbst sagt, zu tun pflegte.
Allein unter dem Einfluss der heidnischen Lehrer und Lehrbücher wich
seine Frömmigkeit allmählich der großtuerischen, sinnliche Genüsse
bietenden Philosophie damaliger Zeit, und so geriet er auf den "schlüpfrigen
Pfad" 84, auf welchem er fiel. Unter bitteren Reuetränen schrieb er später:
"Ich erhebe die Jungfräulichkeit bis in den Himmel, nicht weil ich sie
besitze, sondern weil ich mich vielmehr wundere, sie nicht zu besitzen. In
Andern loben, was man selbst entbehrt, ist ein freimütiges und schamhaftes
Geständniß. Aber soll ich den Flug der Vögel nicht bewundern, weil ich
selbst einen schweren Körper habe und auf der Erde hängen bleibe?" Und:
"Ich bin jener verschwenderische Sohn, welcher sein ganzes Erbteil
vergeudet hat. Und noch hab' ich mich nicht hingekniet zu den Füßen des
Vaters, noch hab' ich nicht angefangen, die schmeichlerischen Lockungen
früherer Lust von mir abzutreiben."
84
Er studierte in Mailand und Rom, stürzte sich seinem Temperament
entsprechend ins Leben der Weltstadt und fühlte sich mehr zu Cicero und
Platon hingezogen als zur Bibel.
Quelle: Hieronymus
Für die Kirchenväter war die Welt in gut und böse, in Geist und Fleisch, in
Ehegelübde und Unzucht eingeteilt, wobei Sex als Sünde betrachtet wurde.
"Der Leib ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr
für den Leib," (1 Kor 6, 13) predigte der Apostel Paulus, der zuvor als
gesetzestreuer Pharisäer die Christen verfolgte. Und im 1. Kor 6,18-20 sagt
er: "Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut,
bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen
den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des
Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört
nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden.
Verherrlicht also Gott in eurem Leib!"
Weiter predigte Paulus: "Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib
berühre. Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib, und
eine jegliche habe ihren eigenen Mann. Entziehe sich nicht eins dem andern,
es sei denn aus beider Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum Fasten und
Beten Muße habt; und kommt wiederum zusammen, auf daß euch der Satan
nicht versuche um eurer Unkeuschheit willen. Solches sage ich aber aus
Vergunst und nicht aus Gebot. Ich wollte aber lieber, alle Menschen wären,
wie ich bin; aber ein jeglicher hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so,
der andere so." (1. Kor 7,1-7)
Adam und Eva erschufen den sinnlichen Bund für's Leben, der vor dem
Sündenfall spirituell und rein war. In der Tat waren Engel asexuell und
rechtschaffende Christen, die den Eintritt ins Paradies verdienten "sollten
keine Sexualität praktizieren," sagte der Heilige Hyronymus. Der Weg zu
einer himmlischen Existenz war klar: Jungfräulichkeit, oder wenn diese
Botschaft zu spät kam, das Zölibat. "Wenn du keusch und jungfräulich
bleibst, dann bist du Gottes Engeln gleich," begeisterte sich der Heilige
Cyprian (200 - 258), der erste afrikanische Bischof aus Karthago (nahe dem
heutigen Tunis in Tunesien), der 258 n.Chr. den Märtyrertod starb. Der
Kirchenvater und Bischof Ambrosius aus Mailand (339 - 397) pflichtete ihm
bei: "Die Keuschheit hat uns Engel bescherrt. Der, der sie bewahrt, ist ein
Engel; der, der sie verloren hat, ein Teufel." Bis zur Wiederkunft des Herrn
sollte die Menschheit in Engel, die keinen Sex hatten, umgewandelt werden.
Die perfekte Keuschheit war darum die einzig richtige Lebensweise für
Christen.
Der Anblick und der Duft einer Frau waren gleichermaßen aufregend. Aber
Jungfräulichkeit hatte einen anderen Duft: "Der Geruch eurer rechten Hand
wird euch modrig (irdisch) erscheinen und eure Glieder werden den Duft der
Wiederauferstehung annehmen; eure Finger werden Myrrhe (Weihrauch)
verströmen," informierte Bischof Ambrosius von Mailand die Jungfrauen.
Die Identifikation des Mannes mit Spiritualität und Tugend und die der
Frauen mit Sinnlichkeit und Verführung, war der größte gemeinsame
Nenner im Denken der Kirchenväter. Der Heilige Hieronymus fasste es so
zusammen: "Es ist nicht die Hure oder Ehebrecherin über die gesprochen
wird, sondern die Liebe der Frau im allgemeinen wird beschuldigt,
unersättlich zu sein. Lösche sie (die Liebe) und sie zerbricht in Flammen.
Schenke ihr Aufmerksamkeit, dann weckt sie das Verlangen. Sie schwächt
den Verstand des Mannes und entrückt alles Denken bis auf die
Leidenschaft, die es nährt."
Paulus, der von der Notwendigkeit besessen war, dass christliche Frauen
sich (mit einem Kopftuch) verhüllen 86, erinnert an die unheilvolle
Geschichte von Engeln, die ihre Kontrolle verloren und sich Hals über Kopf
in sterbliche Frauen verliebten. 87 Die gefallenen Engel schwängerten diese
Versucherinnen, nach Paulus Auslegung, mit Nachkommen, die so böse
waren, dass Gott als Vergeltungsmaßnahme, die Welt mit einer Sintflut
überschwemmte.
86
1. Kor 11,4-6: Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und hat etwas
auf dem Haupt, der schändet sein Haupt. Ein Weib aber, das betet oder
weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist
ebensoviel, als wäre es geschoren. Will sie sich nicht bedecken, so schneide
man ihr das Haar ab.
87
Nach 1. Kor 11,10 sollen Christinnen beim gottesdienstlichen Ritual
wegen der Engel ihre Köpfe bedeckt halten. Zweierlei steht hinter dieser
Bemerkung. Einerseits wahrscheinlich die Vorstellung, dass Engel sich in
menschliche Frauen verlieben könnten, was durch die Kopfbedeckung
verhindert werden soll. Andererseits, und das ist für uns das Wichtige, setzt
Paulus hier voraus, dass Engel beim christlichen Gottesdienst besonders
nahe sind. Die Qumrangemeinde (Essener) war in gleicher Weise davon
überzeugt, dass in kultischen Situationen die Nähe der Engel besonders zu
spüren sei. Nicht alle von ihnen waren harmlos. Einige Engel umschwirren
im Gottesdienst verführerisch die Betenden.
Frauen verführten sogar, ohne es zu versuchen. Einfach nur dadurch, was sie
sind: sinnliche Wesen, Töchter der verführerischen Eva. Die wundersame
Ausnahme war natürlich die reine und jungfräuliche Maria. Aber selbst dies
hielt den Heiligen Hieronymus nicht davon ab, zu erläutern, wie
unangenehm die Schwangerschaft Jesus' gewesen sein muss: "Neun
Monaten in der Gebärmutter, neun Monate, die von Übelkeit und Blut
gekennzeichnet waren, folgte die Niederkunft und Windeln. Male dir selbst
ein Bild von dem Säugling im Mutterleib." Nicht nur für Hieronymus war
das kein schönes Bild.
Die größte Schubkraft des frühen Christentums war die Beschäftigung mit
der Sexualität, mit der Jungfräulichkeit und dem Zölibat im Besonderen. Die
Ehrfurcht vor der Keuschheit war nicht neu, erinnerte sie doch an das
asketische Vermächtnis der gemeinnützigen Essener bis hin zu den
bedeutendsten griechischen Philosophen. Mit den Worten des Gelehrten
Morton S. Eslin (Martin Esslin?): "Das Christentum macht die Welt nicht
asketischer, vielmehr strebte es (in der Welt, in der es sich selbst fand) nach
christlicher Askese."
Das christliche Zölibat, tat viel mehr, als nur die griechischen Philosophen
oder die abtrünnigen jüdischen Asketen (Essener) zu imitieren. Stattdessen
bot es den Gläubigen nichts weniger, als die Freiheit von den Ketten des
tyrannischen Zeitalters der Christenverfolgung. Der griechische
Kirchenvater Johannes Chrysostom (347 - 407), der wegen seiner
rhetorischen Begabung den Beinamen Goldmund (Chrysotomos) erhielt,
schrieb, die Jungfräulichkeit offenbart "dass die Auferstehung vor der Tür
steht." Durch Christi Geburt, Kreuzigung und Auferstehung endete das
derzeitige Zeitalter. Die treu ergebenen Christen hatten wenig Gespür für
diesen großen Wandel. Sie lebten, kämpften, und litten in ihrem täglichen
Leben, wie sie es immer taten. "Wie kannst du es für möglich halten, dass
du in diesem Zeitalter von den Herrschern befreit bist, wenn sogar seine
Fliegen auf dir herumkrabbeln?" fragte Tertullian. Wie sollten die
kämpfenden Christen der Welt verkünden, dass dieses fürchterliche Zeitalter
in der Tat vorüber war?
Etwas Erfahrbares wurde benötigt. Christliche Denker, die nach einer
Lösung suchten, fanden sie in der asketischen Praxis und Philosophie um sie
herum und formulierten ihre eigene Vorstellung der sexuellen Entsagung. In
einer Welt, in der das Individuum scheinbar nur eine geringe Kontrolle
darüber hat, sein Leben zu entfalten, scheint der menschliche Körper der
einzige Gegenstand zu sein, über den man frei verfügen kann. Gleichzeitig
wird der sexuelle Trieb, wie der Instinkt zu essen oder zu schlafen, als
unabänderlich, unaufhaltsam und unentbehrlich betrachtet. Die Griechen
nannten den Penis sogar "Die Notwendigkeit." Wenn die Christen also ihren
sexuellen Trieb zügeln und das Lebensgebäude, welches auf der Keuschheit
und einer neuen Art des Lebens beruht, aufrecht erhalten wollten, dann
wären sie der lebende Beweis, für das Ende eines Zeitalters. Der irische
Historiker Peter Brown meinte, die Sexualität war ein idealer Bezugspunkt
für radikale Veränderungen. Dies bedeutet, dass Verzicht und Überwindung
ein perfektes Symbol für das erwartete und gesegnete neue Zeitalter waren.
Weil jeder einzelne die freie Wahl hatte, seinen Körper für das christliche
Zölibat zu bewahren oder sich dem gesellschaftlichen Mainstream
anzupassen, entstanden alternative Gemeinschaften, die das erstere wählten:
Klöster, Frauenklöster und der zölibatär lebende Klerus (Priesterstand). Das
Christentum entwickelte auch eindrucksvolle und überzeugende Rituale für
die Teilnahme, Gestaltung und Unterstützung. Die Taufe, zum Beispiel,
schenkte dem Gläubigen einen Engel (Mögen Engel dich begleiten auf dem
Weg der vor dir liegt.) und die Eucharistie, die an das letzte feierliche Mahl
Jesus mit seinen zwölf Jüngern erinnern sollte, bei der Brot (Hostien) und
Wein gereicht wurden (Bis ins 19. Jahrhundert wurde beim Abendmahl auch
Wein gereicht.), stellte eine intime Verbindung zu Gott her.
Die christliche Idealisierung der Keuschheit, ist immer wieder, seit Christi
Geburt, durch seine jungfräuliche Mutter, als Leuchtkraft aufgeflammt. Sie
richtete sich an alle Christen, obgleich sie besonders die Frauen und die
Frommen ansprach. Sie bezog aber auch die verheirateten Gläubigen mit
ein. Die tödliche Logik bestand darin, dass zölibatäre Christen keinen
Nachwuchs zeugten. Darauf haben jüdische und moslemische Kritiker
immer wieder hingewiesen. Aber die meistens verzerrte und humorlose
Diskussion über Jesus Mutter Maria, gipfelte in einer Reihe von Dogmen,
die Maria über die Jahrhunderte, schonungslos von allem Irdischen und
Menschlichen reinigte, so dass sie in der Bibel erstrahlte. Sie wandelte sich
von einer Jungfrau, die vom Heiligen Geist geschwängert wurde, zu einer
Frau, die nach der Niederkunft immer noch jungfräulich war, zu einer
ewigen Jungfrau. Sie wurde zu einer überirdischen Jungfrau, die jedoch auf
natürliche Weise, von ihrer Mutter empfangen und geboren wurde (Maria
selbst hatte einen leiblichen Vater, Joachim (bzw. Jojakim), der mit Anna
bzw. Hannah, verheiratet war.). Das theologische Festhalten an Maria's
Jungfräulichkeit, hat natürlich dafür gesorgt, dass die Jungfräulichkeit
niemals ihre Faszination als Thema für die christlichen Denker verlor.
Obwohl die Quellen dünn und unvollständig sind, wurde Maria's Geschichte
endlos neu geschrieben, bearbeitet, überprüft, erweitert und kommentiert.
Die Mariologie, die kirchliche Lehre über Maria, erweiterte sich schon früh
zu einer ernsthaften Disziplin in der katholischen Kirche, die das
wissenschaftlichen Leben der zölibatären Theologen verschlang. Während
sie ihre Geschichte neu strukturierten, füllten sie Bibliotheken. Dabei waren
ihre Erklärungen oft verwirrend. Mitunter verschleierten sie mehr als etwas
vernünfttig zu erklären. 1854 lieferte Papst Pius IX die letzte Ausgabe und
verkündete sie in einer feierlichen kirchlichen Zeremonie als eine unfehlbar
verkündete Lehrentscheidung.
Während des zweiten Jahrhunderts richtete sich das Denken der christlichen
Denker auf Maria und als Erweiterung, auf Joseph. Die Aussage, dass Jesus
von einer jungfräulichen Mutter geboren wurde, die vom Heiligen Geist
geschwängert wurde, war nicht so außergewöhnlich, da Zeus und andere
Götter dieses routinemäßig getan hatten. Aber mit dem asketischen Impuls,
der das frühe Christentum zuerst durchdrang und dann beherrschte, fand die
Idee, dass Gott nach Maria's jugendlicher Schönheit hungerte und sie
verführte, keine ungeteilte Zustimmung. Gott war kein sexbesessener
Verführer. Sexuelle Lust war die Domäne des Teufels.
Wie sollte dann eine Empfängnis geschehen sein? Der in strenger Askese
lebende Origenes und andere Kirchenväter schlugen mehrere Methoden vor:
durch die Worte eines Engels; durch Maria's Ohr oder durch den mystischen
Atem des Heiligen Geistes. Der Heilige Ambrosius, Bischof von Mailand,
favorisierte die letzte Vorstellung. Die sakrale Kunst entwickelte etwas
mehr Phantasie: der Samen sickert aus Gottes Mund durch eine Röhre, die
in Höhe von Maria's Rock endet; Maria wird von einer Taube geschwängert;
der Engel Gabriel legt den Samen in Marias Ohr.
Quelle: Marcion
Quelle: Apokryphen
95
Jakobus wird als „Bruder des Herrn“ bezeichnet. Die katholische Kirche
ist allerdings der Ansicht, er sei ein naher Verwandter Jesu, vermutlich sei
Jakobus ein Cousin Jesu gewesen, denn Maria blieb, nach katholischer
Auffassung, auch nach der Geburt Jesu Jungfrau. 2001 wurde eine
aramäische Inschrift entdeckt, die nach einer ersten Analyse aus dem 1. Jh.
n. Chr. zu stammen schien. Dort steht geschrieben: „Jakob, Sohn des Josef,
Bruder des Jesus“. Über die Echtheit des Dokuments wird allerdings
gestritten.
Quelle: Jakobus
Salome ging zu Maria, um sie auf die Prüfung vorzubereiten. Aber als sie
ihren Finger in Marias Vagina steckte, schrie Salome vor Schmerzen lauf
auf und zog sofort den Finger zurück. "Ich habe mich an Gott versündigt,"
schrie sie. "Sieh' meine Hand ist vom Feuer verzeht und abgefallen." Sie
betete und bereute ihr Zweifeln und sofort vergab Gott ihr. Salome hatte den
Beweis geliefert, dass Maria Christus geboren hatte, ohne ihr Hymen
(Jungfernhäutchen) zu verletzen.
„Ich bin immer der Meinung, man soll die Bibel ernst nehmen, aber
eben auch genau hinsehen. Wenn man genau hinschaut, fällt auf,
dass die ganze hebräische Bibel von keiner "Jungfrau" redet. Es
heißt eben nicht "die Jungfrau soll gebären", sondern "eine junge
Frau soll gebären", "alma" auf Hebräisch. Ich habe nichts gegen
dieses Ursymbol, das bedeutet natürlich etwas. Aber man sollte es
nicht als biologisches Faktum nehmen.“
Nach langwierigen Konflikten, auch um seinen Bestseller "Christ sein",
stellte der Vatikan im Dezember 1979 fest, Küng könne nicht mehr als
römisch-katholischer Theologe gelten. Anfang 1980 wurde ihm die
kirchliche Lehrerlaubnis entzogen.
Quelle: Jungfräuliche Geburt
Selbst dies war nicht genug. Nun forderten unbeirrbare Asketen, dass ihre
Jungfräulichkeit ewigen Bestand haben sollte. Papst Siricius erklärte, warum
dies so sein müsse: "Jesus würde nicht die Geburt durch eine Jungfrau
gewählt haben, weil ihr Mutterleib, der Tempel des Herrn, sonst durch
männlichen Samen befleckt sein würde." Es gab jedoch mehrere ernsthafte
Einwände gegen diese These. Der Apostel Matthäus bezog sich offenbar auf
eine Zeit, bevor Joseph und Maria miteinander intim waren, weil er
erwähnte, dass Jesus, Marias erstgeborener Sohn 96 war, was darauf
hindeutet, dass andere folgten. Andere Evangelien berichteten darüber, dass
Jakobus, Joses, Judas und Simon, Jesus vier Brüder waren. (Mt12,46-50; Mt
13,55-56; Lk 8,19; Mk 3,31; Mk 6,3; Joh 19,25; u.a.) Wie sollte Maria dann
aber eine immerwährende Jungfrau geblieben sein? Kirchenvater Tertullian
und andere behaupteten, Maria sei keine ewige Jungfrau und Jesus
Geschwister seien in der Tat seine Geschwister.
96
Auch die Bibelstelle Lk 2,7, weißt darauf hin, dass Marias erstgeborener
Sohn Jesus heißt, was für den uninformierten Leser nahe legt, dass Jesus
noch Geschwister hatte. In der Antike waren jedoch mit der männlichen
Erstgeburt bestimmte Rituale, Verantwortlichkeiten und erbrechtliche
Sonderstellungen verbunden, egal ob das Kind danach Einzelkind blieb oder
nicht, wobei Einzelkinder jedoch im damaligen Israel sehr selten waren.
Dies war für Kirchenvater Hieronymus nicht akzeptabel. Was war mit dem
armen Joseph? "Er, der es verdient, der Vater des Herrn genannt zu werden,
blieb eine Jungfrau (ein Jügling)." Wie konnten es seine Kollegen wagen,
Joseph aus der Liste der anerkannten Jungfrauen zu löschen? Es wäre
"gottlos und eine häretische Tagträumerei" zu behaupten, dass der keusche
Joseph, gut genug für die jungfräuliche Maria gewesen sei. Diese lästigen
Brüder, erklärte Hieronymus, waren "Brüder im Sinne der
Seelenverwandschaft" aber nicht "im Sinne der Blutsverwandtschaft". Was
bedeutete dies? Dies bedeutete, Jesus Brüder waren natürlich Cousins
(Vettern). Jakobus, Joses, Judas und Simon waren also Christi Vettern.
Quelle: Hymen
Quelle: Katechismus
100
Der erste Augustinerorden wurde 1340 in Böhmen (Tschecheslowakei)
gegründet. Die Mönche lebten nach den Ordensregeln des Augustinus von
Hippo (354 - 430 n.Chr.). 391 ging Augustinus nach Hippo (Algerien), um
für die „Gottesdiener“ ein Kloster zu gründen. Bischof Velerius von Hippo
stellte Augustinus ein Grundstück zur Verfügung, auf dem dieser das erste
Kloster auf afrikanischem Boden gründete. Nach dem Tode des Valerius
wurde Augustinus 396 Bischof von Hippo. Mit dem kontemplativen Leben
war es dann allerdings vorbei. Er führte aber weiterhin ein Leben in Armut
und Keuschheit. (Ordensregel des Augustinerordens: Es ist schuldhaft eine
Frau sexuell zu begehren oder von ihr begehrt werden zu wollen.)
Augustinus starb 430 während der Belagerung Hippos durch die Vandalen.
Nach dem Einfall der Vandalen in Nordafrika im Jahr 428 errichteten einige
der geflohenen Eremiten Mönchsgemeinschaften in Mittel- und Norditalien.
Diese blieben unabhängig voneinander, bis sie im Jahr 1244 von Papst
Innozenz IV. zu einem Orden vereinigt wurden. (Der Reformator Martin
Luther gehörte 13 Jahre lang, von 1505 bis 1518 in Erfurt und Wittenberg,
dem Bettelorden der Augustiner-Eremiten an.)
Schließlich sah sie an der Wand der Kirche ein Bild der Maria und betete zu
ihr, dass sie Gnade bei ihrem Sohn finden würde und er ihr die Sünden
vergäbe. Diese Hingabe an die Gottesmutter öffnete ihr den Weg. Sie konnte
über die Schwelle treten, nichts hinderte sie mehr. Sie bekehrte sich und
vertraute sich der Jungfrau Maria an. Eine Stimme sagte ihr, sie würde auf
der anderen Seite des Jordans Ruhe finden. Ein Unbekannter schenkte ihr
drei Münzen. Sie kaufte davon drei Brote,überquerte daraufhin den Jordan,
ging in die Wüste, lebte dort 50 Jahre als Einsiedlerin und ernährte sich von
Kräutern und Beeren.
Quelle:
Maria von Ägypten I
Maria von Ägypten II
103
Brigitta von Schweden (1303 - 1373) entstammte einer einflussreichen
Familie. Es war schon früh ihr Wunsch, einem Kloster beizutreten. Schon
als Kind soll sie einige Offenbarungen erlebt haben. Als Siebenjährige
erschien ihr der Sage nach die Jungfrau Maria, die ihr eine goldene Krone
auf den Kopf gesetzt habe. Im Alter von acht Jahren soll ihr zum ersten Mal
der gekreuzigte Jesus erschienen sein. Aber anstatt ins Kloster zu gehen
wurde sie als 13-jährige mit dem 18 Jahre alten Ulf Gudmarsson, Sohn des
Ritters, Reichsrats und Vorsitzenden Richters, verheiratet und gebar acht
Kinder. Zwei ihrer Töchter wurden später Nonnen. Während dieser Zeit war
sie auch als Hofmeisterin und Ratgeberin am Hofe des jungen Königs
Magnus Eriksson tätig.
Im Alter von 36 Jahren unternahm sie mit ihrem Mann Pilgerfahrten nach
Norwegen und Spanien. Die Pilgerfahrt, ein Zeichen der Religiosität des
Paares, brachte auch Einblicke in die politischen und kirchlichen
Verhältnisse in Europa und die Schrecken, die der Hundertjährige Krieg
zwischen England in Frankreich anrichtete. Bald nach der Heimkehr zog
sich Ulf in das schwedische Zisterzienserkloster Alvastra bei Ödeshög
zurück, wo er 1344 starb. Auch Birgitta zog sich nun in die Nähe der
Zisterzienzerabtei von Alvastra bei Ödeshög zurück, wo sie ein Leben in
Armut und Keuschheit führte, das ganz dem Gebet geweiht war. Einen
besonderen Stellenwert im Zisterzienserleben nimmt die Marienverehrung
ein.
Die Offenbarungen, die sie erstmals wohl 1342 als "Braut und Sprachrohr
Christi empfangen" hatte und die ausdrücklich nicht nur für sie persönlich,
sondern für die ganze Christenheit bestimmt waren, wurden nun
ausführlicher und wiederholten sich immer häufiger. Die ihrem Sekretär,
einem Priester, diktierten Visionen wurden schriftlich festgehalten. Bei
einem Aufenthalt im Schloss Vadstena am Vätternsee erhielt sie in ihren
Visionen auch den Auftrag und die Regeln für eine Klostergründung, die zur
Reform des Mönchswesens beitragen sollte. So gründete sie dort 1349 den
Erlöserorden, heute meist „Birgitten“ genannt. Im gleichen Jahr verließ sie
Schweden und übersiedelte nach Rom. Brigitta begann ein neues Leben als
Prophetin und Politikerin.
Quelle:
Brigitta von Schweden I
Brigitta von Schweden II
104
Katharina von Sienna (1347 - 1380) war eine italienische Mystikerin und
Kirchenlehrerin. Sie wurde als 24. Kind eines verarmten Adeligen, der sich
als Pelzfärber den Lebensunterhalt verdienen musste, geboren. Ihre
Zwillingsschwester starb kurz nach der Geburt. Die meisten ihrer anderen
Geschwister starben früh an der Pest. In dieser schwierigen Zeit wuchs
Katharina ohne Ausbildung heran, etwas Lesen und Schreiben lernte sie erst
viel später. Mit sechs Jahren hatte sie ihre erste Vision mitten auf der Straße:
Sie sah über dem Dach der Dominikanerkirche Jesus Christus sowie die
Apostel Petrus, Paulus und Johannes.
Mit sieben Jahren legte sie das Gelübde der Jungfräulichkeit ab. Schon als
Kind lebte sie asketisch. Mit 10 Jahren hatte sie Kontakte zum
Domonikanerorden, dem ihr Vetter beigetreten war. Mit 12 sollte sie
verheiratet werden, weigerte sich jedoch. Als ihr Gesicht durch
Pockennnarben entstellt wurde, lebte sie nur noch zurückgezogen zu Hause.
Sie ernährte sich von Kräutern und Wasser, fastete wochenlang, betete und
übte sich im Schweigen, geißelte sich blutig und schlief wenig. Mit 16 trat
sie gegen den Willen ihrer Eltern in den Dritten Orden der Dominikaner ein.
Sie widmete sich intensiv der Pflege von Kranken und der Armenfürsorge
sowie dem Gebet bzw. der Meditation. Mit 22 Jahren lernte sie das Lesen,
um die Bibel studieren zu können.
Quelle:
Katharina von Sienna I
Katharina von Sienna II
Dennoch hat die Mariologie eine große Bedeutung für das christliche
Zölibat, denn sie wirft seinen Schatten auf die Diskussion über die
menschliche Jungfräulichkeit und das Zölibat und auf die grundlegende
Natur der Frauen. Im frühen Christentum, zum Beispiel, grübelten die
Kirchenväter über die Frage: "Sind Jungfrauen überhaupt noch Frauen?" Die
Antwort war meist ein qualifiziertes "Nein", zumindest im Fall der toten,
vergötterten Jungfrauen, die nicht mehr auf dem Weg der Jungfäulichkeit
straucheln konnten. Junge, lebende Frauen, sollten sich selber prüfen,
möglichst indem sie allein lebten, ob sie einer dauerhaften Jungfräulichkeit
und insbesondere den strengen Fastenanforderungen gewachsen waren.
Trotz der immensen Macht der Mariologen, waren sie nicht in der Lage, die
anhaltende Tendenz der freidenkenden christlichen Frauen aufzuhalten, das
orthodoxe Denken abzulehnen und ein bejahendes und liberales Zölibat zu
favorisieren. Diese Kirchenmütter, Beginen 105, ehrgeizigen Abtissinen
(Klostervorsteherinnen), Nonnen und keuschen Frauen lebten zölibatär und
sie hatten ihre eigene Mission: eine andächtige, heilige, tiefreligiöse
Selbstreinigung. Daraus ergaben sich entsprechende Vorteile: die Befreiung
von den Ehemännern, von den Männern allgemein; der Zutritt zu bisher
verbotenen Berufen, Wissenschaften und Kenntnissen; die Anerkennung als
heilige Frauen; die Selbstverwirklichung und weibliche Leitung ihrer
Einrichtungen. Die persönlichen Kreuzzüge der Frauen waren zu
unaufhaltsam für die Mariologen, um sie im Namen der ewigen Jungfrau
Maria, der Königin der Welt, zu besiegen.
105
Die Beginen waren alleinstehende Frauen, Jungfrauen, Witwen und
Mystikerinnen, die sich im 15. Jahrhundert, zuerst in Belgien, dann in ganz
Europa, in sogenannten Beginenhäusern zu religiösen Gemeinschaften
zusammenschlossen. Im Gegensatz zu den Ordensschwestern in den
Klöstern war es den Beginen aber gestattet, wieder aus der Gemeinschaft
auszuscheiden, ihr Vermögen mitzunehmen, zu heiraten und ein
bürgerliches Leben zu führen.
Quelle: Tatian
Die Enkratiten, die besonders stark in Syrien waren, leiteten ihren Namen
vom griechischen "enkrateia", Keuschheit oder Enthaltsamkeit, ab, ihrem
obersten Prinzip. Sie bezeichneten die Ehe als eine "beschmutzte und
unreine Lebensart" und ersuchten zukünftige Ehegatten auf den "obszönen
Geschlechtsverkehr" zu verzichten, den ihr führender Theologe, der Syrer
Tatian, als eine Erfindung des Teufels ansah. Auf der anderen Seite wurde
die Jungfräulichkeit als perfekte Lebensweise betrachtet.
Die Beschäftigung der Enkratiten mit dem Zölibat, resultierte aus Tatian's
Interpretation der Ereignisse im Garten Eden, wobei sich der Sündenfall als
eine sexuelle Tragödie darstellte. Denn Adam und Eva waren keusche
Wesen, die mit dem Heiligen Geist verheiratet waren. Sie kannten Gott so,
wie es die Engel taten und sie waren für ein ewiges Leben bestimmt. Aber
verführt durch die Schlange, die Eva ihre sinnlichen Möglichkeiten
aufzeigte, gaben sie das reine Leben für ihre sexuellen Beziehungen auf, die
sie fortan miteinander hatten.
Durch die sexuelle Vereinigung haben Adam und Eva die Vereinigung der
Menschen mit Gott verloren. Um sie zurückzugewinnen, sollte jeder
Einzelne auf den Geschlechtsverkehr verzichten. Das Ergebnis war, dass der
Mutterleib boykottiert wurde. "Jeder Einzelne ist bestimmt, seinen eigenen
Sündenfall zu verhindern," war das Versprechen auf Hoffnung, in einem
andernfalls düsteren moralischen Szenario. Jungfrauen (männliche und
weibliche) wurden mit dem ursprünglichen Zölibat gesegnet. Verheiratete
Menschen aber, konnten das Zölibat nur nach einer Taufe annehmen. Dann
aber sind auch sie in den Status der Heiligkeit eingetreten.
Die Taufe wurde von den Enkratiten als ein zölibatäres Ritual betrachtet.
Frauen und Männer legten ihre Kleider ab und gingen nackt ins Taufbecken.
Dieses kalte Eintauchen löschte die Hitze ihrer feurigen Geburt. Der Heilige
Geist trat in das Wasser und verhüllte das nackte Fleisch mit einem Gewand
der Glorie (Herrlichkeit). So gekleidet, standen die getauften Erwachsenen
wie sexuell unschuldige Kinder um das Taufbecken herum.
Quelle: Thomasakten
Einmal verpflichtet zum Zölibat, konnten Männer und Frauen sich friedlich
versammeln. Sie lebten als Paare und versammelten sich in den Gemeinden.
Es schien eine Oase der Zuflucht zu sein, wie bei der amerikanischen
Shakerbewegung 111, einer christlichen Freikirche, die im 18. Jahrhundert
aus dem Quäkertum hervorging, zu sein. Diese Gemeinschaften blühten in
den Bergen von Syrien und Kleinasien. Sie fanden durch den Zulauf von
Konvertierten (Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft) und verwaisten
Kindern, die in die Gemeinde aufgenommen wurden, regen Zuspruch. Jesus,
dem zweiten Adam, war es erfolgreich gelungen, die Menschheit von der
Sünde der Sexualität zu befreien, während der erste Adam Gott missachtete,
als Eva ihm schmeichelte.
111
Der Name die Shaker (deutsch: die Zitterer) leitet sich von dem rituellen
Schütteltanz her, der bei ihnen als eine Form der Verehrung Gottes gilt. Der
Schütteltanz als Gebetsform bot Zeitgenossen wie dem englischen
Schriftsteller Charles Dickens (Oliver Twist) und dem amerikanischen
Schriftsteller Herman Melville (Moby Dick) Anlass zum Spott über die
kurios anmutende Gemeinschaft. Doch die Shaker waren weit mehr dar als
nur eine tanzende Kommune, sie brachten ihren Glauben auch in der
Einhaltung calvinistischer Wirtschaftsprinzipien zum Ausdruck: „Hände an
die Arbeit, Herzen bei Gott“. Dank dieses Grundsatzes gehörten die
Shakergemeinden im Osten der USA Mitte des 19. Jahrhunderts zu den
wohlhabendsten und wirtschaftlich florierendsten des Landes. Die Shaker
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts handelten an der Börse, galten als
versierte Finanzdienstleister und gehörten den Beraterstäben von sechs
amerikanischen Präsidenten an.
Die Shaker lebten nicht als klassische Familien zusammen, sondern als eine
zölibatäre Gemeinschaft, das heißt Frauen als Nonnen und Männer als
Mönche. Allerdings lebte man unter einem Dach. Kindern, die mit in die
Gemeinschaft aufgenommen wurden, wurde nach Vollendung des 21.
Lebensjahres angeboten, in die Gemeinde aufgenommen zu werden oder sie
zu verlassen. Da alle Shaker zölibatär lebten, konnte es keinen Nachwuchs
aus den eigenen Reihen geben. Die Mitglieder rekrutierten sich weniger aus
konvertierenden Erwachsenen als durch in die Gemeinschaft aufgenommene
Waisenkinder. Mit der zunehmenden Verbreitung staatlicher Fürsorge für
Waisenkinder verloren die Shaker somit einen Großteil ihres potentiellen
Nachwuchses. Heute sind sie fast ausgestorben.
Die Gnostiker (Gnosis bedeutet auf griechisch "wahres Wissen") waren eine
weitere immens einflussreiche christliche Sekte. Einer ihrer Führer, war der
frühkirchliche Reformator Marcion (100 - 160 n.Chr.), der von der römisch
katholischen Kirche als Erzketzer angesehen, als häretisch angegriffen, und
später exkommuniziert wurde. Marcion verabscheute die Sexualität so sehr,
dass er die Geburt Jesus durch eine Frau bestritt, und portraitierte Jesus
stattdessen als einen erwachsenen Mann, der vom Himmel herabschwebte.
Er lebte zölibatär und verbot seinen Anhängern zu heiraten. Er übernahm
die christlichen Riten, wie die Taufe und die Eucharistie (das Abendmahl
mit Brot und Wein), allerdings nur für Jungfrauen und Witwen. Ehemänner
und Ehefrauen empfingen diese Sakramente nur, wenn sie "die Frucht ihrer
Ehe ablehnten".
Dies bedeutete, die Gnostiker dachten, dass die unbeständige Eva wieder in
Adam's harter, reiner Rippe verschwinden würde. "Gehe zurück in die
Rippe, aus der du gekommen bist und verstecke dich vor den wilden Tieren
(der animalischen Sexualität)," drägten sie Eva. Schütze dich vor allem
Wissen über die Sexualität, vor sexueller Begierde und unterstütze die
Sehnsucht der Seele, sich wieder mit Gott zu vereinen. Sex war "das unreine
Entflammen des sündigen Feuers, welches die fleischliche Lust
verursachte." Aber das Aufhören, sich ihm hinzugeben, war nicht genug.
Die Überwindung der sexuellen Lust war notwendig, um die Auferstehung
des Selbst' zu erreichen.
Ein junger Christ lernte diese Lektion auf die harte Weise. Um sich von dem
unbändigen Sexualorgan zu befreien, nahm er eine Sichel und schnitt den
Penis ab, indem er sagte: "Dies ist die Ursache allen Leids!" Aber der
enkratite Apostel Johannes gratulierte ihn nicht für diese Selbstkastration 113,
denn er sah die Gefahr anderswo, und zwar in "den unsichtbaren Quellen,
durch die alle beschämenden Gefühle aufgewühlt und ans Licht kommen."
113
Der griechische Theologe Origenes (* um 185; † 253/54), der große
christliche Theologe des 3. Jahrhunderts, stellte in seinen Werken den
geistlichen Kampf um das Ideal der Jungfräulichkeit heraus. Nur der wahre
Asket werde sich Gott nähern. Ob er sich in strenger, missverstandener
Auslegung von Matthäus 19,12 (Manche sind von Geburt an zur Ehe
unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben
sich selbst dazu gemacht, um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen
kann, der erfasse es.) selbst entmannt hat, ist umstritten. Tatsache ist jedoch,
dass die Selbstentmannung gängige Praxis unter asketischen Christen war
und 325 auf dem Konzil von Nicäa scharf verurteilt wurde.
Quelle: Mönchtum
Das Leben der Gnostiker, die es geschafft hatten, ihren Wunsch zu bändigen
und ihre Seelen mit Gott zu vereinen, war eine Oase der körperlichen und
spirituellen Ruhe, in einer harten und ungerechten Welt. Dies war in
zweifacher Hinsicht auch für Frauen zutreffend, die zu Füssen ihrer
gnotischen Lehrer saßen, gleichgültig gegenüber der Sinneslust, durstend
nach wahrer Erkenntnis, erhaben durch den Glauben, an den einzigartigen
Status der Ebenbürtigkeit mit den gnotischen Männern. (In diesem Sinne
könnten wohl Jesus Worte verstanden werden: „Seht, ich werde sie führen,
damit sie männlich werde und sie ein lebendiger Geist werden mag,
vergleichbar mit euch Männern. Denn jede Frau, die sich männlich macht,
wird in das Himmelreich gelangen.“)
Quelle: Tora
Mani verstand sich selbst als Nachfolger der großen Religionsstifter: Jesus,
Zarathustra und Siddhartha Gautama (Buddha). Entsprechend stellt der
Manichäismus eine synkretistische Lehre dar, die sowohl zoroastrische,
christliche als auch buddhistische Elemente enthält. Auch die geistige
Strömung des Gnostizismus hatte Einfluss auf Manis Religion. In der
manichäistischen Weltsicht stehen sich das göttliche Lichtreich und das
Reich der Finsternis als Gegner gegenüber. Durch den Kampf zwischen
diesen Mächten sind Teile des Lichts von der Finsternis gefangen und in der
Welt eingeschlossen. Lebewesen zu töten, ja allein schon Obst zu pflücken,
verletzt diese göttliche Substanz und verlängert ihre Gefangenschaft in der
Welt.
• Siegel des Mundes, mit der Enthaltung von Fleisch, Blut, Wein und
Früchten.
• Siegel der Hände, mit der Enthaltung von jeglicher Arbeit. Nur zur
Begrüßung durfte die rechte Hand gereicht werden, des weiteren
waren auch rituelle Handauflegungen sowie jede Form geistiger
Arbeit ausgenommen.
• Siegel der Enthaltsamkeit, mit dem Verbot jeglichen
Geschlechtsverkehrs.
Er lehrt ferner, daß das Licht sich nur durch die völlige Trennung von der
Materie, endzeitlich in einem Weltenbrand, manifestieren kann. Der
einzelne Mensch aber, sollte er ein „Wissender“ werden wollen, kann nur
durch völlige Weltentsagung emporstreben: durch Enthaltsamkeit von
Fortpflanzung, Fleisch und Wein, aber auch von Arbeit und Besitz. Wer sich
zu dieser Entsagung nicht berufen fühlt, kann sich darauf beschränken,
einem „Wissenden“ zu dienen, in der Hoffnung, in einem späteren Leben in
den Körper eines „Erwählten“ inkarniert zu werden. Diese ebenso extreme
wie letztlich bequeme Lehre hat sich in der Spätantike rasch verbreitet, bis
hin nach Indien, zumal Mani behauptete, Jesus, Zoroaster und Buddha seien
seine Brüder. Er verfolgte damit einen religiös-kulturellen
Internationalismus und sicherte sich selbst den höchsten Platz mit dem
Hinweis, er sei der in den Abschiedsreden Christi verheißene „Tröster“
(Paraklet).
Augustinus von Hippo war zehn Jahre "Hörer" der Manichäer. Nach seiner
Abwendung vom Manichäismus (und der Hinwendung zum Skeptizismus
116
, gefolgt vom Neuplatonismus (Platon) und anschließend zum
Christentum) bestimmten seine polemischen Schriften gegen die Manichäer
bis in das 20. Jahrhundert die europäischen Vorstellungen vom
Manichäismus.
116
Der Skeptizismus ist eine philosophische Richtung, die den Zweifel zum
Prinzip des Denkens erhebt und die darüber hinaus jede Möglichkeit einer
Erkenntnis von Wirklichkeit und Wahrheit in Frage stellt.
Quelle:
Augustinus
Manichäismus
Mindestens ein Jahrzehnt lang legte Augustinus wenig Wert auf das Zölibat
(nämlich als er "Hörer" bei den Manichäern war). Er war intensiv religiös
und gehörte der manichäischen christlichen Sekte an, die später vom
Christentum als häretisch betrachtet wurde. Mani (216 - 277), der Gründer
des Manichäismus, wurde schließlich gefangengenommen und starb nach 26
Tagen im Gefängnis, wo er auch gefoltert wurde. Sein Tod wurden von
seinen Anhängern als eine Art Kreuzigung stilisiert, in bewusster
Anlehnung an den Tod Jesu Christi, auch wenn Mani nicht gekreuzigt
wurde, sondern im Gefängnis wohl infolge der Einkerkerung verstarb. Sein
Tod leitet die Verfolgung der manichäischen Kirche ein. Seine Religion
bezog gnostische, christliche, buddhistische und zoroastrische Elemente
ebenso mit ein, wie die griechische Philosophie. Sie hatte eine Hierarchie
und Apostel und war durch die Doktrinen der "Sieben Bücher Manis"
inspiriert, die er in aramäischer Sprache verfasst hatte.
Der Manichäimus war eine dualistische Religion, dem ein Prinz der
Finsternis, einem Gott des Lichts gegenüberstand. In dieser
Auseinandersetzung zwischen Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, war der
Körper der Manichäer nicht mehr als ein Gefängnis, der von Dämonen
erschaffen wurde und in dem das Licht gefangen war. Das Ziel der
Manichäer war es, das gefangene Licht zu befreien. Der einzige Weg, dieses
Ziel zu erreichen, war durch das Zölibat. Allein das Zölibat und andere
asketische Praktiken verhinderten die Erschaffung weiterer
Gefangenschaften und befreiten das gefangene Licht.
Elf Jahre lang folgte Augustinus den Manichäern als "Hörer" (Auditor) der
Wahrheit. Währenddessen stieg in ihm immer stärker das Verlangen, ein
"Auserwählter" zu werden. Die Mitglieder der Auserwählten, der
Elitegruppe der manichäischen Religion, mussten enthaltsam leben, da der
Geschlechtsverkehr das innere Licht weiterhin in Gefangenschaft hielt und
somit als Sünde angesehen wurde. Die Auserwählten mussten auch auf
privaten Besitz und auf einen Beruf verzichten und eine strikt vegetarische
Ernährung einhalten. Durch das Essen von Brot, Gemüse und entsamten
Früchten konnten sie das gefangene Licht befreien.
Seine Mutter Monika war eine weitere Quelle akuten Drucks. Obwohl sie
die Geliebte ihres Sohnes und ihren Enkel, Adeodatus, akzeptierte, drängte
sie Augustinus, zum Christentum zu konvertieren und zu heiraten.
Allmählich und widerwillig beschloss Augustinus, dass die Heirat in der Tat
der beste Ausweg sei, um die sinnlichen Begierden zu befriedigen. Er würde
lieber heiraten, als sich vor Sehnsucht zu verzehren. Unglücklicherweise,
war seine Geliebte keine geeignete Kandidatin, denn sie hatte
wahrscheinlich nur einen untergeordneten sozialen Rang. Obwohl
Augustinus von ihren Tränen durchnässt und von ihren Vorwürfen betroffen
war, können wir annehmen, dass er sie fortschickte, wobei er seinen Sohn
Adeodatus bei sich behielt, den der Tod ihm auch bald entriss 117. Als die
Geliebte Augustinus verlassen hatte, verlobte er sich mit einem 10-jährigen
Mädchen, welches allerdings noch zu jung war, so dass er noch mit der
Heirat warten musste. Das Mädchen war noch unter dem heiratsfähigen
Mindestalter von 12 Jahren und war damit näher am Alter von Augustinus
Sohn Adeodatus als dem Alter von Augustinus. (Die Ehe mit dem jungen
Mädchen kam jedoch nicht zustande, weil Augustinus sich bald darauf für
die Keuschheit entschied.)
117
Augustinus trennte sich in Italien aus Anlass seiner Konversion zum
Christentum nach 15-jähriger Beziehung von seiner Lebensgefährtin und
veranlasste sie zur Heimreise nach Afrika (Algerien). Adeodatus verblieb
beim Vater in Mailand und wurde gemeinsam mit diesem Ostern 387 von
Bischof Ambrosius von Mailand getauft. Adeodatus starb vermutlich (als
16-Jähriger) bald nach der Ende 388 erfolgten Rückkehr seines Vaters aus
Mailand (Mailand war damals die Hauptstadt des Römischen Reiches) in
dessen Heimatstadt Thagate in Algerien, also vermutlich um das Jahr 389.
Eine andere Version: Auf Drängen seiner Mutter, die für ihn eine
standesgemäße Verlobung mit einem christlichen Mädchen aus
wohlhabender Familie arrangiert hatte, trennte er sich im selben Jahr von
seiner Lebensgefährtin, die nach Nordafrika zurückkehrte. Der gemeinsame
Sohn blieb bei Augustinus. Bis zur Heiratsfähigkeit der Verlobten lebte
Augustinus zwei Jahre lang mit einer anderen Frau zusammen. (Augustinus
konnte nicht warten und verzichten und nahm darum alsbald eine neue
Geliebte zu sich.)
Quelle: Adeodatus
In der Zeit bis zur Heirat hatte Augustinus bei der Durchfahrt durch das
Römische Reich eine Offenbarung: "Lasset uns ehrbar wandeln wie am Tag.
Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Wollust und Unzucht, nicht in Hader
und Neid, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pflegt das Fleisch
nicht zur Erregung eurer Lüste."
Wachgerüttelt, nahm er diese Worte als einen Aufruf zum Verzicht auf die
Sexualität. Endlich folgte Augustinus dem Weg der Mutter, die in einer
christlichen Berber-Familie aufgewachsen war, wenn auch nur teilweise. Ihr
Sohn konvertierte zum christlichen Glauben, aber lehnte die Ehe ab. "Du
hast mich zu dir bekehrt," sprach Augustinus später zu Christus, "dass ich
mir keine Frau mehr wünsche oder irgendeine Hoffnung in dieser Welt
hege." Der ehemalige Wüstling hatte sich für ein lebenslanges Zölibat
entschieden. Adeodatus war das einzige Enkelkind, das Augustinus seiner
Mutter schenkte.
Aber eine unerwiederte, ungebetene Lust plagte ihn immer noch. In der
Nacht erlebte er sexuelle Träume und sein gepeinigter Körper antwortete, so
dass er erwachte. Dann stellte er fest, dass er unbewusst ejakuliert hatte
(Pollution). Diese Lust folterte Augustinus und in Verbindung mit seinem
manichäischen Hintergrund, prägte seine strenge Lustverurteilung seine
Theologie.
Ehelicher Sex hatte allerdings einen moralischen Vorteil. Es ließ die Lust
des Partners abfliessen, so dass sie nicht in die Untreue abirrte. Im
Gegensatz zu seinen theologischen Vorgängern, bewertet Augustinus die
weibliche Sexualität, ihre eigentliche Natur, als viel schwächer, als die
männliche Sexualität. Dies macht das Zölibat für die Frauen viel einfacher,
aber sie erforderte als logische Konsequenz ihre Unterordnung unter den
Mann120 .
120
Allgemeine Fragen: Ist die weibliche Sexualität wirklich schwächer als
die männliche Sexualität? Im Allgemeinen scheint dies der Fall zu sein.
Wenn das wirklich so ist, dann stellt sich die Frage, warum ist die weibliche
Sexualität schwächer ausgeprägt? Und wenn die weibliche Sexualität
schwächer ausgeprägt ist, wie Augustinus meint, warum fordert er dann als
logische Konsequenz die Unterordnung der Frau unter den Mann? Beruft
Augustinus sich dabei auf die Rolle Eva's beim Sündenfall?
Frauen konnten, nach Augustinus Meinung, das Zölibat nicht frei wählen, es
sei denn, Gott forderte sie dazu auf, ihre weibliche Verantwortung zu
übernehmen. Dadurch würden sie sich der Ehe, der Schwangerschaft und
der Kindererziehung entziehen. Aber Jungfrauen, die sich berufen fühlten,
konnten leicht verschleiert in keuschen Gemeinschaften leben, in der jeder
mit dem anderen in Freundschaft und reiner Liebe zusammen lebte.
Gehorsam war das Schlüsselwort. Im Gegensatz zu anderen Kirchenvätern
lehrte Augustinus, dass der Erfolg in der Enthaltsamkeit um so größer sei,
um so größer der Gehorsam ist.
Bis zum Ende seines Lebens forderte Augustinus seine Mitchristen, die
nicht die Vorteile der Enthaltsamkeit kennengelernt hatten, zur Keuschheit
auf. Vermutlich wegen seiner eigenen, starken erotischen Begierden, die er
in seinem Leben erfahren hatte, reduzierte er die Frauen als Verführerinnen.
Ausgenommen davon waren nur die wenigen Jungfrauen, die von Gott zur
Keuschheit berufen wurden. Zumindest einige dieser Jungfrauen erwiesen
sich als Dornen an der Seite der Kirchenväter, die misstrauisch
beobachteten, wie die Frauen die sexuelle Abstinenz als Werkzeug ihrer
persönlichen Befreiung ergriffen und es ebenso als Ausdruck des
Gehorsams des göttlichen Willens verstanden.
Kirchenmütter Top
Für viele Frauen war das Christentum eine überzeugende Religion, die zu
gleichen Teilen viel abverlangte und viel gab. Sie umarmten es mit
Begeisterung und richteten ihr Leben nach seinen Grundsätzen aus. Für
einige war die extreme Askese, die Selbstgeisselung und das Fasten bis zum
Verhungern, der Weg zur Erlösung. Für andere war es der selbsternannte,
einsiedlerische Dienst an Gott, frei von den Zwängen der Ehe und den
Haushaltspflichten, von der Schwangerschaft und Kindererziehung.
Die Geschichte der römischen Adligen Constantina (320 - 354), die Tochter
des christlichen Kaisers Konstantin dem Großen, und die spätere Frau des
Kaisers Constantinus Gallus, ist in der Tat eine Fabel, die Legionen von
Christen inspirierte. Merkwürdigerweise wird Constantina nicht als
selbstsüchtige Herrscherin portraitiert, die sie gewesen zu sein scheint 121,
wenn sie sich auch am Ende ihres Lebens der Askese zuwendete und eine
Basilika (Kirchengebäude von herausregender Bedeutung) und ein Kloster
gründete. Aber es ist die gute Seite der Constantina und nicht die brutale,
hinterhältige Frau, die den Historikern in Erinnerung blieb. Hier ist ihre
Legende.
121
Der römische Historiker Ammianus Marcellinus, der mehr als andere
antike Geschichtsschreiber um Objektivität bemüht war, schildert
Constantina als „Megäre“ (eifersüchtige Rächerin), die „gierig nach
Menschenblut“ gewesen sei.
Obwohl Constantina's Vater Kaiser Konstantin der Große war, konnte ihre
edle Abstammung sie nicht vor der Geißel der kindlichen Lepra schützen.
Ängstlich und kränklich und aus Furcht vor dem Befall eines Organs durch
die Krankheit, wurde sie wahrscheinlich durch ihre christliche Großmutter
Helen zum Schrein der Heiligen Agnes, die 304 nach Christus als Jungfrau
unter dem Terror des römischen Kaisers Diocletian, der die Christen brutal
verfolgte, als Märtyrerin starb, mit nach Rom genommen. Während Agnes
Gerichtsverhandlung verspottete der Ankläger (Staatsanwalt) das
Christentum und warnte sie davor, dass sie vor ihrer Hinrichtung in ein
Bordell gebracht werden würde, so dass sie nicht als Jungfrau sterben
würde.
Da das römische Recht die Hinrichtung von Jungfrauen verbot, befahl man,
sie vollständig zu entkleiden und anschließend zu vergewaltigen. Doch ihre
Haare bedeckten, laut Legende, auf wundersame Weise ihren gesamten
Körper und der ganze Platz erstrahlte in weißem Licht. Bei dem Versuch sie
zu vergewaltigen, wurde der Sohn des Präfekten (Senators) von einem
Dämon heimgesucht und starb. Agnes hat ihn aber durch ihr Gebet ins
Leben zurückgerufen, worauf sie als Zauberin oder Hexe bezeichnet wurde.
Als man Agnes daraufhin auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollte, wich
selbst das Feuer vor ihr zurück. Schließlich köpfte sie ein römischer Soldat.
Wie durch ein Wunder erschien die Heilige Agnes Constantina im Traum
und sagte ihr, sie solle fest in ihrem Glauben an Jesus sein, der der Sohn
Gottes und ein Heiler sei. Dann wurde Constantina am Grab der Heiligen
Agnes geheilt. Zutiefst betroffen, gelobte sie einen festen Glauben und
vertraute Jesus ihre Jungfräulichkeit an. Außerdem überzeugte sie ihren
Vater, die Heilige Agnes mit einer Kirche (Basilika) zu ehren.
Eine römischer Brauch des Christentums kam ins Spiel, als der verwitwete
Politiker und General Gallicanus Kaiser Konstantin um die Erlaubnis fragte,
seine Tochter Constantina heiraten zu dürfen. Für den Kaiser war das eine
günstige Heirat, denn es verbündete ihn mit einer starken militärischen
Macht, die ihn unterstützen konnte, falls jemand versuchte, ihn
herauszufordern oder zu stürzen. Gallicanus war außerdem ein guter und
beliebter Mann und deshalb unterstützte er die Heirat mit seiner Tochter
Constantina.
Aber trotz ihres Protestes war sie dem römischen Offizier Gallicanus
versprochen. Als dieser jedoch in den Krieg ziehen musste, schickte
Constantina ihre beiden treu ergebenen Diener, die Heiligen Paulus und
Johannes, zu Gallicanus. Sie selbst nahm die beiden kleinen Töchter
Gallicanus, Attica und Artemia, mit auf das Schloß, wo sie in einer
Gemeinschaft von 120 Jungfrauen lebten. Ihr Plan war es, diese beiden
Kinder zum christlichen Glauben zu bekehren. Sie sollten ihren Vater, wenn
er zurückkäme, um die christliche Jungfräulichkeit bitten.
Die Legende von Constantina hat mehrere Aussagen. Die Wichtigste ist
trotzige Missachtung. Christliche Frauen sollten, in der Tat, die
Jungfräulichkeit wählen, denn sie erhöhte ihren sozialen Status automatisch
über die engen Grenzen der väterlichen Autorität. Und obwohl Constantina
die Tochter des Kaisers war, konnten christliche Frauen jeden Ranges, sogar
die Demütigensten, ihrem Beispiel folgen und sogar den Rang der höchsten
irdischen Führer überspringen. Denn als keusche Vorbilder konnten sie sich
fast aller weiblichen Verantwortlichkeiten entziehen.
Die Langlebigkeit der Legende Constantinas ist der Beweis für ihre
Anziehungskraft. Natürlich haben die winzigen Zufälle dem Mythos und der
Geschichte geholfen. Beide Constantinas (sowohl die reale als auch die
Constantina des Constantina-Mythos) wurden in der St. Agnes-Basilika, die
ihr Vater erbaut hat, begraben124. Constantinas Charakterstärke und ihre
ausgeprägte Missachtung der sozialen Konventionen und Amtsbefugnisse,
waren letztendlich außerordentlich attraktiv für christliche Frauen, die
hofften, sich durch eine aufrichtige Jungfräulichkeit selbst befreien zu
können.
124
Die Basilika ist heute nur noch als Ruine erhalten. Im 7. Jahrhundert
wurde als Nachfolgebau die heute noch bestehende Kirche "Sant' Agnese
fuori le mura" (Sankt Agnes vor den Mauern) gebaut. Sant' Agnese gehört
zu einem Komplex, der eine Katakombe, die Ruinen der frühchristlichen
Basilika und Santa Constanza, das frühere Mausoleum (das Grabmal) von
Constantinas, der Tochter Konstantins des Großen, umfasst. Auch heute
noch befindet sich das Grab Constantinas in dem Mausoleum Santa
Constanza. (Constantina wird auch unter dem italienischen Namen
Constanza verehrt.).
Die zweite Kirchenmutter, Maria von Ägypten (344 - 421), war eine
"wiedergeborene" Jungfrau und eine der meistgeliebten Heldinnen der
moralischen Literatur. Sie war eine Prostituierte, die durch das Christentum
erlöst, die höchste Stufe der Heiligkeit erlangt hatte. In Rom, wo Frauen
einige politische Rechte hatten, waren Prostituierte entweder Sklaven oder
freigelassene Frauen 125 (ehemalige Sklaven) ohne eine soziale Stellung. Sie
waren nur selten im römischen Reich geboren und arbeiteten in Bordellen
oder bei Hoteliers, Bäckern oder Restaurantbesitzern, um die Kundschaft zu
unterhalten. Einige Frauen arbeiteten auf Friedhöfen als professionelle
Trauernde. Die Niedrigsten der Niedrigen arbeiteten in den Bädern, an den
Straßenecken und Gassen, den üblich schmutzigen Örtlichkeiten.
125
Der/die Freigelassene stand weiter in einem Abhängigkeitsverhältnis zu
seinem früheren Herrn. Er/sie war sein Klient (Höriger) und musste gewisse
Dienste leisten, z. B. seinem Herrn jeden Tag die Aufwartung machen und
ihn bei Wahlen unterstützen. Erst die Kinder des Freigelassenen waren
Vollbürger.
Arbeitete eine Frau einmal als Prostituierte, so konnte sie niemals wieder
den Status einer anständigen Frau zurückgewinnen. Das Gesetz verbot
römischen Männern, reumütige oder aus Altersgründen ausgeschiedene
Prostituierte zu heiraten. Sie wurden auf ewig als entehrt betrachtet. Für ihre
geamte Lebensdauer waren alle Prostituierten gezwungen, sich von ihren
keuschen Schwestern zu unterscheiden, indem sie eine Toga 126, streng
genommen eine Männerkleidung, anstatt einer Stola, ein langes, unten mit
Besatz oder mit breitem Saum versehenes, besonders von Frauen getragenes
Überkleid, tragen mussten.
126
Die Toga ist ein etwa 4 m langes und 2 1/2 m breites Stück Stoff, das um
den Körper gewickelt wird. Meisten trugen nur Männer aus der Oberschicht
die Toga.
Maria's Geschichte begann, als sie zwölf Jahre alt war. Sie verliess ihre
Eltern und ging nach Alexandria, um dort zu leben. Später erklärte sie dem
asketischen Mönchen Zosimas: "Siebzehn Jahre lang habe ich meinen
Körper verkauft, nicht um mich zu bereichern, sondern um ein luxuriöses
Leben zu leben127. Mein Leben bestand aus Trinken und Schlaflosigkeit und
ich lebte ein entehrtes Leben aus Lachen, Begeisterung und Freunden."
127
Siebzehn Jahre und mehr bin ich eine Volksbuhlerin gewesen, nicht um
Geschenke oder Lohn, den ich von den mir Spendenden nicht annehmen
wollte. Dieses erdachte ich, damit ich erwerben möchte mehrere umsonst zu
mir Kommende und befriedigen möchte meine fleischliche Begierde. Denke
nicht von mir, daß ich reich war und nicht nackt: ich lebte in Armut und
habe oftmals hungrig groben Flachs gesponnen und unersättliche Brunst
gehabt, immer im Schilf der Buhlerei mich zu wälzen. Denn ich dachte, daß
das Leben darin bestehe, immer zu machen die Schändlichkeiten der Natur.
Wie andere ägyptische Frauen badete sie oft und rasierte oder zupfte ihre
gesamte Körperbehaarung. Sie ölte und parfümierte ihren Körper und legte
etwas Rouge (Schminke) auf, um ihre natürliche Schönheit zu unterstützen
oder um die verheerenden Auswirkungen ihres ausschweifenden Lebensstils
zu verschleiern, die sich in ihrem sorglosen Gesicht niedergeschlagen
hatten.
Nach einem Jahrzehnt des verschwendeten Lebens, wurde Maria auf eine
Prozession von christlichen Pilgern aus Lybien aufmerksam, die nach
Jerusalem segelten. Sie fragte sich, ob sie sich ihnen anschließen sollte.
Sicherlich, antwortete sie schließlich, aber sie hätte ihre Überfahrt selber
bezahlen müssen. Aber Maria hatte kein Geld. Sie hatte es für alle
möglichen Extravaganzen verplempert. Das aber betrachtete sie nicht als
Problem. Ich bezahle mit meinen Körper anstatt des Geldes, dachte sie sich.
Sollte sie einfach den lüsternen Kapitän oder die geilen Seeleute fragen? Die
frommen Pilger hätten ihr Angebot sicherlich nicht akzeptiert. Aber
schließlich durfte sie auf das Schiff und landete mit der gläubigen Schar in
Jerusalem.
Nachdem sie zur Gottesmutter gebetet hatte, hörte Maria eine geisterhafte
Stimme, die zu ihr sagte: "Wenn du den Jordan überschreitest, wirst du
deine Ruhe finden." Mit Gott als ihren Führer begab Maria sich auf die
Reise. Ein frommer Mann gab ihr drei Münzen und davon kaufte sie sich
drei Brote. Dann vergoß sie reichlich Tränen der Reue, überquerte den
Jordan und begab sich allein in die (Negev-)Wüste.
Unter den mönchischen Einsiedlern herrschte die Sitte, die Zeit vom ersten
Fastensonntag bis zum Palmsonntag, etwa 40 Tage lang, das Kloster zu
verlassen und in der Jordanwüste in völliger Einsamkeit zu leben. So traf es
sich durch göttliche Fügung, daß der Heilige Zosimas in die Einöde kam,
wo die Heilige Büßerin Maria lebte. Anfänglich durch die Erscheinung eines
Mannes überrascht und beschämt, denn sie hatte kein Kleid mehr, um ihre
Blöße zu bedecken, floh sie vor ihm, ließ sich aber, nachdem er ihr seinen
Mantel zugeworfen hatte, bewegen, ihm ihr ganzes Leben zu offenbaren.
Durch göttliche Eingebung kannte sie seinen Namen.
Am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit, nachdem der Priester die heilige
Liturgie gehalten und alle die heilige Kommunion empfangen hatten und
darauf ein wenig von der Fasten-Trapeza (Fasten-Speise) gekostet hatten,
versammelten sie sich wieder in der Kirche, beteten inbrünstig, die Knie
beugend, und es küssten die Mönche einander und den Igumenos (Abt,
Klostervorsteher), ihn um Segen und Gebete bittend für die bevorstehenden
Tugendübungen der Großen Fasten. Nachdem dies geschehen, wurde die
Klostertür geöffnet und unter dem Gesange der Worte des Psalmes 26, „Der
Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der ist
meines Lebens Wehr, vor wem sollte mir grauen?“ - usf. - zogen sie hinaus
in die Wüste, indem nur ein oder zwei Brüder zur Bewachung des Klosters
zurückgelassen wurden, nicht, um die im Innern befindlichen Güter zu
bewachen (weil dort nichts war, was von Dieben gestohlen werden könnte),
sondern nur, damit die Kirche nicht ohne Gottesdienst bleiben möchte; sie
gingen über den Fluß Jordan, indem jeder bei sich Nahrungsmittel nach
seinem Bedarf und Wunsch trug, der eine ein wenig Brot, der andere
Datteln, der dritte Feigen, der vierte in Wasser gequollene Hülsenfrüchte.
Einige aber nichts, als etwas alte Bekleidung, um ihren Körper zu bedecken.
Diese nährten sich nach Bedarf mit Kraut, welches in der Wüste wuchs.
Nach Überschreiten des Jordans auf diese Weise trennten sie sich
voneinander und keiner wußte, wie der andere kämpfte oder fastete. Wenn
es einmal geschah, daß jemand seinem Freunde begegnete, so lenkte er ab
auf die andere Seite und blieb allein vor Gott. Und so, wenig Nahrung zu
sich nehmend, vollendeten sie die Fastenzeit und kehrten am Palmsonntag
alle in das Kloster zurück, um mit Palmzweigen die Vorfeier des nahenden
großen Pascha-Festes (Auszug der Juden aus Ägypten) zu begehen. Alle
kamen zurück, indem sie ihr Gewissen als Zeugen ihrer gottgefälligen
Kämpfe hatten und niemand durfte den anderen fragen, wie und in welchen
guten Werken er sich geübt habe. Dies war die Ordnung des Klosters.
Wer und was war diese Gespenst? Und warum kannte sie seinen Namen?
Zosimas zog seinen Mantel aus und überreichte ihn ihr. Als sie so in der
blendenden Wüstensonne standen, diskutierten sie darüber, wer zuerst den
anderen segnen sollte. Jeder wollte dem anderen die Ehre der überlegenen
Heiligkeit erweisen. Darum sagte Zosimas zu ihr: "Ich sehe, O Mutter, dass
du voll des Heiligen Geistes bist. Du kennst meinen Namen und mein
priesterliches Amt, obwohl du mich niemals vorher gesehen hast. Damit
hast du deine Heiligkeit unter Beweis gestellt. Ich verbinde mich mit dir
durch Gott, wenn ich zuerst deinen Segen annehmen darf."
Dadurch wurde Maria, die einst in der Schwelgerei lebende Hure, die sich
zu einer asketischen Einsiedlerin bekehrt hatte, als heiliger beurteilt als der
friedliebende alte Mönch. Ihr Gespräch mit Zosimas drehte sich um die
Kämpfe mit der Sinneslust. In den ersten siebzehn Jahren in der Wüste,
wurde sie von den Erinnerungen ihrer angenehmen aber verdorbenen
Vergangenheit geplagt. Tränen und Gebete haben schliesslich gesiegt.
Einige Jahre zehrte sie von dem Brot, welches sie über den Jordan
mitbrachte und ihren Leib wickelte sie in das Wort Gottes. Sie las nicht in
den Heiligen Schriften, sondern erhielt das Wissen der Heiligen Schriften
aus Gottes Wort. Zosimas war von den "Wundern ohne Zahl" überwältigt
und warf sich vor ihr nieder.
Maria sprach zu ihm: Schenke mir Glauben, Vater Zosimas. Siebzehn Jahre
habe ich in dieser Wüste mit meinen Leidenschaften wie mit wilden Tieren
gekämpft. Wenn ich anfing zu essen, so wünschte ich mir immer Fleisch
und Fisch, so wie es in Ägypten gewesen ist. Ich wollte auch Wein trinken,
wie ich es liebte. Denn ich hatte viel Wein getrunken solange ich in der Welt
lebte. Hier aber hatte ich manchmal kein Wasser, brannte vor Durst und litt
sehr. Ich hatte auch Lust, unzüchtige Lieder zu singen. Es beunruhigte und
drängte mich sehr, die dämonischen Lieder zu singen, die ich gewohnt war.
Sofort weinend und mich an die Brust schlagend, erinnerte ich mich der
Gelübde, welche ich getan hatte beim Einzug in die Wüste. Ich war in
meinen Gedanken vor dem Bilde der allerreinsten Gottesgebärerin, meiner
Bürgin, und vor ihr weinte ich und bat sie, die Gedanken zu verscheuchen,
die meine unglückliche Seele versuchten.
Als ich aber genug geweint und eifrig an meine Brust geschlagen hatte, da
sah ich ein Licht, welches mich von allen Seiten umfaßte und es trat eine
Ruhe ein, welche mich von diesen Beängstigungen befreite. Die mich
wieder erfassenden lüsternen Gedanken, wie kann ich sie dir bekennen?
Denn Feuer loderte auf von allen Seiten und versuchte mich zur Sünde.
Wenn aber eine solche Versuchung an mich kam, dann warf ich mich auf
die Erde und weinte, dachte an meine mir beistehende Bürgin, die meine
Übertretung richtete und drohend auf die dafür bestimmte Qual hinwies.
Und ich stand Tag und Nacht nicht von der Erde auf, bis jenes süße Licht
mir erstrahlte und die mich beunruhigenden Gedanken verjagte. Meine
Augen erhob ich zu meiner Bürgin, unaufhörlich bittend, mir, der in der
Wüste leidenden, zu helfen, und ich hatte sie wirklich als Helferin und
Mitwirkerin zur Buße. Und diese unzählbaren Leiden habe ich siebzehn
Jahre hindurch ertragen. Von dieser Zeit bis jetzt hat meine Helferin, die
Gottesgebärerin, mich in allem zu allem geführt.
Jetzt bitte ich dich, bete für mich Sünderin, ziehe hin in Frieden und komme
im nächstes Jahr wieder, in dem Gottes Gnade uns behütet. Tue es um des
Herrn willen, was ich dir jetzt sage mit der Bitte: In der Fastenzeit des
nächsten Jahres überschreite nicht den Jordan, wie es in den Klöstern üblich
ist. Bleibe im Kloster; denn wenn du auch wolltest hinausgehen, es würde
dir unmöglich sein (Zosimas wurde krank.). Am Heiligen und Großen
Donnerstag (Gründonnerstag), welcher an das geheimnisvolle Abendmahl
Christi erinnert, nimm etwas von dem lebendigmachenden Leib und Blut
Christi in ein heiliges Gefäß, würdig eines solchen Geheimnisses, bringe es
mit und erwarte mich auf jener Seite des Jordans, welche nahe dem Dorfe
ist, damit ich komme und die heiligen Gaben empfangen kann. Denn von
der Zeit, da ich vor meinem Übergang über den Jordan in der Kirche des
Vorläufers das heilige Abendmahl empfangen, habe ich mich inbrünstig
danach gesehnt, aber bis jetzt habe ich dieses Heiligtum nicht bekommen.
Jetzt aber bitte ich dich, verachte nicht mein Flehen und bringe mir das
lebendigmachende göttliche Sakrament zu der Zeit, da der Herr seine Jünger
zu Teilnehmern seines göttlichen Abendmahles gemacht hat.
Ein Jahr später kehrte Zosimas, den Anweisungen Maria's folgend, mit dem
Heiligen Abendmahl, der Eucharistie, zurück. Maria wartete auf der anderen
Seite des Jordans und als sie ihn ankommen sah, ging sie über das Wasser
dorthin, wo Zosimas auf sie wartete. Er staunte über dieses neue Wunder,
dann bereitete er sich auf die Heilige Kommunion 128 vor. Nachdem die
Gebete vollendet waren, empfing Maria die heiligen und göttlichen
Geheimnisse Christi und küßte, wie üblich, den Mönch. Dann, die Hände
erhebend, seufzend und weinend rief sie aus: "Jesus, nun entlässt du deine
Magd nach deinem Worte in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil
gesehen." Und sie sprach zu Zosimas: "Verzeih, Vater Zosimas, erfülle mir
noch einen Wunsch. Komme nächstes Jahr wieder zu dem Bache in der
Wüste, an dem wir uns zum ersten Male sprachen. Komm um Gottes willen
und du wirst mich wieder sehen, weil Gott es so will." Spirituell gereinigt
verabschiedete Maria sich von Zosimas und ging über den Jordan zurück in
die Wüste.
128
Unter der Heiligen Kommunion versteht man das Überreichen der
geheiligten Speisen (Brot und Wein) des Abendmahls (Eucharistie), welches
Jesus mit seinen zwölf Jügern am Vorabend seines Todes (Gründonnerstag)
gefeiert hat. Jesus ist dabei in den verteilten Gaben Brot und Wein
gegenwärtig. Dabei symbolisiert das Brot, welches in Form einer kleinen
Hostie auf die Zunge des geöffneten Mundes des Gläubigen gelegt wird, das
Fleisch Jesus Christus und der Wein symbolisiert das Blut Jesus Christus.
Wer die Heilige Kommunion empfängt, empfängt damit die Vergebung der
Sünden.
Bereits bei Zosimas ersten Treffen mit Maria hatte sie ihn gebeten: "All
dies, o Vater, was ich dir erzähle, sage es niemand, bis Gott mich von der
Erde nimmt." Nun also war Maria gestorben und Zosimas erzählte den
Mönchen seine unglaubliche Geschichte. Die Mönche freuten sich, die
Geschichte zu hören und begannen eine jährliche Feier zu Ehren der
Heiligen Maria zu organisieren. Zosimas, der hundert Jahre alt wurde,
wurde niemals müde, seine wundersame Geschichte zu wiederholen. Im
Laufe der Jahrhunderte wurde sie erzählt und wiedererzählt und unzählige
Christen haben ihre Geheimnisse direkt in ihr Herz geschlossen.
Und Gott sah es. Durch sein Eigreifen rettete er die verlorene Maria und
führte sie sanft und freundlich auf den Pfad der Tugend zurück. Aus einem
Leben aus Seide und Parfüm, aus Granatäpfeln und Wein, die sie mit ihren
vielen Freunden genoss, tauchte die gesellige, lebenslustige Maria, allein,
mit nur drei Brotlaibern, in die lebensfeindliche Wüste ein.
Die Entbehrungen, die dort lauerten, waren fast, aber nicht ganz
unvorstellbar: glühende Tage, gefrierende Nächte, kaum vorhandenes
Wasser, fliegendes Ungeziefer und beißende Insekten, wilde Tiere und
bösartige Nomaden. Ihre Kleidung nutzte sich immer mehr ab, bis sie eines
Tages keine Kleidung mehr trug und ihren keuschen Körper entblößte. Sie
mampfte auf den Krümeln ihres trockenen, harten Brotes und löschte ihre
ausgetrocknete Zunge mit dem Saft der Wüstenkräuter. Aber obwohl sie es
schon bald gelernt hatte, ihre körperlichen Bedürfnisse zu stillen, blieb der
sinnliche Appetit ungestillt. Jedes Jahr der übersättigten sinnlichen Lust,
erforderte ein Jahr der asketischen Buße, um es zu tilgen. Und so wurde
Maria in den ersten siebzehn Jahren nicht nur von den sexuellen
Versuchungen gequält, sondern auch von den Visionen der Speisen und
Getränke, die sie in den siebzehn Jahren ihrer Hurerei genossen hatte. Ein
Jahr der Buße für ein Jahr der Sünde, dann war Maria gereinigt.
Am Ende aber stand ein edles Ziel, die Gewissheit der Heiligkeit. Für Maria,
die keusche Einsiedlerin, die in der dauerhaften Natur der Einsamkeit ohne
den Komfort der Heiligen Schriften lebte, war das Leben ebenso
unabhängig, wie für Maria, die ausgelassene Hure. Sie brauchte nichts, so
überreich waren ihre inneren Reichtümer und ihre Hingabe an Gott. Maria,
die Ärmste der Armen, besaß die reichste Seele von allen.
Die letzte unserer Geschichten der christlichen Jungfrauen, ist die von Helia.
Sie ist eine Frau, die auschließlich in der Fantasie ihrer literarischen
Schöpferin, Theodora, der Frau Lucinius, der mit Kirchenvater Hieronymus
korrespondierte, entstand. Theodora und Lucinius waren reiche Spanier, die
vom asketischen Leben begeistert waren. Sie waren sich so sicher, dass
Hieronymus den Schlüssel zur Askese besaß, dass Lucinius dem
Kirchenvater sechs Abschreiber sandte, damit diese alles für ihn
aufschrieben, was immer auch Hieronymus bisher veröffentlichte hatte.
Allerdings hatte Lucinius nicht viel Zeit, sich an den Werken Hieronymus
zu erfreuen, denn er verstarb schon bald, so dass die Durchsicht von
Hieronymus Werken seiner Frau Theodora zufiel. Theodora was eine
literarische Frau, die ebenfalls sehr am asketischen Leben interessiert war.
Sie setzte die Korrespondenz mit Hieronymus fort und hatte sich
entschlossen, als keusche Witwe weiterzuleben. Sie entlieh dann
wahrscheilich einiges aus den Werken Hieronymus, um eine eigene
Hagiographie (eine Beschreibung des Lebens von Heiligen) zu schreiben,
die sich mit der sexuellen Entsagung beschäftigte und zum Bestseller wurde.
Wie Theodora, war Helia, die schöne Tochter des christlichen Bischofs von
Epiro, ein Mitglied des spanischen Adels. (Wir erinnern uns daran, dass
auch der Heilige Augustinus und spätere Bischof von Hippo einen Sohn
hatte.) Als junges Mädchen, mit tiefen religiösen Tendenzen, hatte Helia
gelobt, nicht dem Fluch zu unterliegen, dem Eva im Paradies unterlag (sich
durch die sinnliche Lust verführen zu lassen), sondern an den Segnungen
der keuschen Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, teilzuhaben. Sie entschied
sich, niemals zu heiraten. Stattdessen wollte sie die Braut Christi sein.
Helia breitete sich durch strenges Fasten und langes Beten auf ihren
spirituellen Weg vor. Allerdings verbarg sie ihre Absichten vor ihrer
Familie. Ein Priester allerdings erkannte Helia's Berufung und unterstützte
sie mit heiligen Büchern, die sie insgeheim studieren konnte. Schliesslich
hatte ihre Mutter bemerkt, dass Helia zu dünn, zu verschlossen und zu
reserviert gegenüber weltlichen Belangen war. Sie begann zu schnüffeln und
vielleicht erwischte sie Helia mit den unerlaubten Büchern oder bei einem
leidenschaftlichen Gebet für die ewige Jungfräulichkeit. Was immer es auch
gewesen sein mag, sie konfrontierte Helia, die ihre Pläne für die Zukunft
offenbarte.
Helia's Mutter war außer sich. Aber sie war eine würdevolle Frau, die ihre
Probleme mit Stil behandelte. Sie und Helia hatten, wie Theodore berichtete,
einen klassischen kleinen Plausch, der zwei Bücher und vierzehn Folioseiten
(älteres Buchformat) füllte. Das Problem: Sollte Helia verpflichtet werden
zu heiraten oder sollte ihre Familie Helias Wunsch nach einem keuschen
Leben tolerieren?
Die Auseinandersetzung wütete. Die weibliche Rolle sollte durch die
männlichen Leisungen definiert werden, sagte ihre Mutter. Nicht meine,
wiedersprach Helia. Ich bin nicht daran interessiert, dem Mann zu
spiritueller Vollkommenheit zu verhelfen. Ich möchte sie selber erreichen.
Schließlich räumte die bestürzte Mutter ihre Niederlage ein und brachte
ihren Fall vor Gericht. Sie schleppte ihre eigenwillige Tochter vor einen
polternden, tyrannischen Richter und forderte, er solle die Erlaubnis erteilen,
Helia wie eine Frau zu behandeln. Wie könnte sie, fragte sich die grimmige
Mutter, diese Runde gegen ihre widerspenstige Tochter verlieren?
Dann berichtete sie von der weiblichen Jungfräulichkeit. "Stimmt die Frau
einer Ehe zu, dann entfernt sie sich von Gottes. Die Jungfrau dagegen bleibt
mit Christus verbunden. Die Ehe ist weltlich, die Jungfräulichkeit göttlich.
Die Ehe ist Schmerz, die Jungfräulichkeit Segnung. Die Ehe ist Tod, die
Jungfräulichkeit Erlösung." Dann zitierte sie Hieronymus: "Die Ehe füllt die
Erde, aber die Jungfräulichkeit füllt den Himmel."
129
Bereits in der religiösen Überzeugung und dem Glaubensleben des
Judentums nahm Elija einen außerordentlichen Platz ein, so dass das
Auftreten Johannes des Täufers und Jesu selbst die Erinnerung an Elija, der
wiederkommen sollte, lebendig werden ließen. Denn Elija wurde selbst als
Vorläufer oder Begleiter des Messias oder selbst als messianische Gestalt
erwartet.
Dies ist zunächst und vor allem das zölibatäre Leben. Ob griechische,
lateinische, syrische, armenische, koptische oder arabisch schreibende
Autoren: Alle heben einmütig die Hagneia-castitas (oder virginitas =
Keuschheit oder Jungfräulichkeit) dieses Propheten hervor. Nicht selten
werden alle anderen Eigenschaften: die Armut, das Fasten und die
Schweigsamkeit, die kontemplative Gottesnähe und die Wundertaten, ja
ganz besonders seine Erhebung zum Himmel, in Verbindung mit dieser
jungfräulichen Einsamkeit des Herzens gesehen. Die Ordensregeln des
römisch-katholischen und weiblichen Karmeliterordens, der 1150 in Israel
gegründet wurde und der Tradition des Eremitentums entspringt, orientieren
sich an den Vorstellungen Elijas.
Auf der Suche nach den Stellen im Alten Testament, in dem das zölibatäre
Leben Josua's bestätigt wird (diese Stelle habe ich leider nicht gefunden),
stieß ich auf eine interessnte Aussage, die besagt, dass das Zölibat,
zumindest für Frauen, schon sehr früh im Judentum zu finden ist. Dies fand
ich deswegen so beachtlich, da ich bisher immer nur hörte, dass es im
Judentum angeblich kein Zölibat gibt. Jedenfalls schreibt Pierre Duffour in
seinem Buch "Geschichte der Prostitution" auf Seite 280:
"Die Geschichte der Bibel ist auch eine Geschichte der Prostitution, die
gerade unter Moses scharf verfolgt wurde. In den Büchern Moses wird
berichtet, wie die Mädchen der Moabiter die Israeliten zu heiterem Verkehr
zu verführen versuchten. Moses war besorgt um sein Volk und stellte
strenge Gesetze auf, um das sexuelle Treiben der Israeliten zu beschränken.
Besonders den Frauen Israels schrieb er strenge Keuschheit vor. So musste
eine Frau damit rechnen, dass man ihr die Hand abschlägt, wenn man sie
dabei erwischte, wenn sie einen Mann an die Genitalien griff. Allerdings
galten derartige strenge Gesetze nicht für fremde Frauen. Moses selbst
wusste den Wert fremder Frauen zu schätzen. So soll er neben seiner Frau
noch eine Konkubine aus Äthiopien gehabt haben. Moses selbst, ansonsten
ein hochgeachteter Mann, dürfte etwas von einem Pharisäer (Heuchler) auf
sexuellem Gebiet an sich gehabt haben. Christus hat Leute dieser Art später
angeprangert." (König Salomon dagegen hatte siebenhundert Frauen und
dreihundert Konkubinen.)
Trotz der Kraft von Helia's Auftreten, endete die Debatte ergebnislos.
"Keine Frau kann gerettet werden, es sei denn sie gebärt Kinder. Entweder
man tut, was die heiligen Schriften sagen oder man wird als
Gesetzesübertreter verurteilt," sagte der Richter in einem donnernden Finale.
Niemals, erwiderte Helia, die immer noch vollkommen in ihrer ewigen
Keuschheit in der Ehe mit Christus engagiert war.
Constantina, Maria von Ägypten und Helia waren Frauen, die bis heute noch
niemals in Fleisch und Blut existiert haben (Wer will das so genau wissen?
Ich erinnere nur an die vielen Wüstenmütter und an die vielen heiligen
christlichen, griechischen, hinduistischen, buddhistischen, u.a. Frauen.).
Paradoxerweise, verdienen sie aber den Titel der Kirchenmütter, ein Titel,
der ihren tiefgehenden Einfluss auf Millionen von Frauen (und auch auf
einige Männer) hatte, die sie verehrten. Als Heldinnen der frühchristlichen
Heiligenverehrung, fesselten ihre Heldentaten und Triumphe die Leser, die
vom Leben dieser Frauen eine Lektion über den Glauben, über die
individuelle Unabhängigkeit, die Hingabe, den Verzicht, die Opfer, und über
die glorreiche göttliche Belohnung, lernten.
Die kaiserliche Constantina und die edle Helia repräsentieren Familien und
Gesellschaften, die wir kennen: konventionell, geordnet und wohlhabend.
Marias Unterwelt war dagegen obszön, chaotisch, schwelgerisch und
unstabil, eine vergoldete Tretmühle von einer Nacht zur nächsten. Trotz der
Unterschiede, wurden die Frauen im Glauben als stark, eigenwillig und
unabhängig dargestellt. Sie wählten die Jungfräulichkeit und verteidigten
ihre Entscheidung gegen die geliebten Eltern und ebenso gegenüber der
argwöhnischen Gesellschaft. Marias wiedergeborene Jungfräulichkeit war
ebenso konsequent. Es kostete ihr nur den einzigen Berufsstand, den sie
kannte, ihren einzigen Lebensunterhalt, seitdem sie zwölf Jahre alt war.
Die christlichen Frauen aus dem wirklichen Leben konnten sich mit dem
Problemen der Jungfrauen identifizieren. Konvertierten sie aus heidnischen
Familien, dann war ihr Abweichen vom orthodoxen Heidentum umstritten
genug. (Das Heidentum war ja nicht unreligiös, sondern kannte ebenso
Götter, Priester, Gebete und religiöse Rituale. Aber es ging auf keinen
Religionsgründer zurück. Das Heidentum war eine aus der menschlichen
Gemeinschaft entstandene religiöse Sammlung von Lehrsprüchen, Liedern
und Mythen.) Wenn Perpetuan's130 heidnischer Vater sie anflehte, auf's
Christentum zu verzichten, dann weinte er nicht nur fürchterlich, sondern er
warf sich auf sie, "um ihr die Augen auszureißen." Die Zerstörung der
familiären Beziehungen, müssen eine der unerträglichsten Folgen, des
Übertritts vom Heidentum zum Christentum, gewesen sein.
130
Perpetua († 7. März 203 in Karthago (Tunesien)) gehört zu den ersten
Märtyrinnen, deren Schicksal zuverlässig überliefert ist. Nach noch
erhaltenen frühchristlichen Augenzeugenberichten wurden sie zusammen
mit ihrer Sklavin Felicitas im römischen Karthago verhaftet und zum Tode
verurteilt, weil sie sich auf die christliche Taufe vorbereiteten und ihrem
Glauben nicht abschwören wollten. Perpetua stammte aus vornehmem Haus.
Sie war etwa 22 Jahre alt, klassisch gebildet, verheiratet und hatte einen
Sohn im Säuglingsalter. Sie wurde ebenso wie ihre Sklavin Felicitas sowie
die Christen Revocatus, Saturninus und Secundulus als Katechumene, d. h.
als Taufbewerber verhaftet und erst während der Haft getauft. Saturus, der
Lehrer der Katechumenen (Taufbewerber), hatte sich freiwillig gestellt und
wurde mit den anderen den Tieren vorgeworfen. Secundulus blieb die Arena
erspart; er starb während der Haft. Anlässlich des 14. Geburtstages von
Geta, dem Sohn des Kaisers Septimus Severus, sollten die anderen im
karthagischen Amphitheater von wilden Rindern getötet werden. Da
Perpetua diese Veranstaltung überlebte, wurde sie anschließend erdolcht.
Quelle: Perpetua
Mehr als nur eine zum Christentum konvertierte Jungfrau provozierte das
Heidentum durch ihr Gelöbnis zur ewigen Keuschheit. Sofern eine Jungfrau
keine persönlichen finanziellen Mittel hatte, wie sollte sie dann überleben?
Entlohnte Arbeit stand für Frauen außerhalb der Möglichkeiten. Die
heidnische Gesellschaft hatte keine Verwendung für weibliche Junggesellen,
außer als Pristerinnen. Sie verweigerte alle Geschäftsabschlüsse mit
reisenden Frauen oder mit den Frauen, die versuchten, ohne Gewinn oder
ohne familiäre Verbindungen, zu arbeiten. Christliche Jungfrauen hatten es
etwas leichter, wenn ihre Familien ihre Entscheidung akzeptierte und sie
unterstützte.
Auf der anderen Seite hatte die Kirche, abseits der Theologie, selber ein
Motiv, Jungfrauen zu motivieren, für immer zölibatär zu bleiben und sich
der Religion zu widmen, denn im dritten Jahrhundert war die
Kirchengemeinde stark weiblich. Das hatte finanzielle Auswirkungen.
Tatsächlich blieben arme Jungfrauen unerbittlich arm oder wurden zu einer
Belastung für die zunehmend wohlhabender werdende Kirche. Aber reiche
Jungfrauen und zölibatäre Witwen, die Vermögen erbten, waren nicht
anrüchig, da sie oftmals ihren weltlichen Besitz der Kirche vermachten.
"Durch die Idealisierung der Jungfräulichkeit und das Stirnrunzeln über eine
zweite Heirat 131," folgert der englische Historiker Robin Lane Fox (geboren
1946), "wurde die Kirche, durch die Bereicherung von Erbschaften, zu einer
Kraft ohnesgleichen."
131
Laut Matthäus ist die Scheidung nach der Bibel nicht erlaubt. "Was nun
Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden." (Mt 19,6)
Jesus nennt lediglich eine Ausnahme, in der Scheidung und Wiederheirat
der um Scheidung bittenden Person nicht als Ehebruch angerechnet werden
müssen: Wenn die Scheidung aufgrund von Hurerei, griechisch Porneia,
verlangt wird. "Ich sage aber euch: Wer sich von seinem Weibe scheidet, es
sei denn um der Hurerei willen, und freit eine andere, der bricht die Ehe;
und wer die Abgeschiedene freit, der bricht auch die Ehe." (Mt 19,9) Das
griechische Wort für Hurerei bezeichnet jede Art illegitimen
Geschlechtsverkehrs. Das Neue Testament ist gekennzeichnet durch die
unbedingte Ablehnung jedes außerehelichen oder widernatürlichen
Geschlechtsverkehrs. Nach dem Tod des Ehepartners allerdings ist eine
Wiederheirat möglich: "Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt;
wenn aber der Mann entschlafen ist, so ist sie frei, sich zu verheiraten, an
wen sie will, nur im Herrn muß es geschehen." (1 Kor 7,39)
Wer kann sagen, wie viele Jungfrauen und Witwen von Constantina, Maria
oder Helia so beeindruckt waren, dass sie sich zum ewigen Zölibat
verpflichteten? Sicher ist, dass diese drei Frauen, mit ihrer
leidenschaftlichen Verteidigung der Jungfräulichkeit, christliche Frauen für
Jahrhunderte in ihren Bann zogen. Diese Frauen wandelten die
frauenfeindliche Junggesellenwelt der Kirchenväter in eine prächtige
Herausforderung, in der Jungfrauen ehrenhaft und mächtig sein konnten und
in der Gottes Liebe den demütigen Frauen Macht und Zuversicht verlieh.
Maria war auch das lebende Gegenbeispiel von Hieronymus väterlicher
Behauptung, dass selbst Gott keine gefallene Jungfrau retten konnte. Aber er
konnte es tatsächlich, wie man an Maria erkennen konnte.
Das Trio war ausserdem mehr als nur rechtfertigende Jungfräulichkeit. Sie
nutzten ihre Jungfräulichkeit als Werkzeug, um ihr unorthodoxen Leben in
Unabhängigkeit zu gestalten. Constantina war eine Meisterin der
byzantinischen prozölibatären Intrige. Helia war haarspalterischer als jeder
Jesuit. Und Maria, die nackt in der Wüste lebte, war ungeheuerlich in ihrer
Unantastbarkeit (Heiligkeit). Alle waren selbstbestimmt und zuversichtlich,
hochgeachtet und erfolgreich in ihren Bemühungen. Das Zölibat machte es
möglich.
Castissima war die geliebte Tochter eines reichen und frommen christlichen
Paares. Als sie zum Teenager wurde, schwärmte ganz Alexandria von ihrer
bemerkenswerten Weisheit, Wissbegierigkeit und Schönheit. Ihre Zukunft
war als Braut einer hochrangigen Familie gesichert. Bestimmt würden die
Eltern wohlhabender Familien darum konkurrieren, sie als Ehefrau für ihre
Söhne zu gewinnen. Am Ende erlangte die mächtigste Familie aus
Alexandrien eine Regelung mit ihrem Vater, Paphnutius. Geschenke wurden
ausgetauscht und die schöne Castissima wurde offiziell verlobt.
Vor ihrer Hochzeit, als Castissima 18 Jahre alt war, brachte ihr Vater
Paphnutius sie für drei Tage in ein Kloster. Entzückt hörte die schöne junge
Frau zu, als der Abt über die Jungfräulichkeit, die Reinheit und die
Ehrfurcht vor Gott sprach. Sie war selig ohne Ende. Und nach dem Tod sind
sie des ewigen Lebens würdig.
Der Abt akzeptierte sowohl ihre Geschichte, ihr Geld und ihre Aufnahme in
das Kloster als Emerald (Smaragd), ihrem Pseudonym. So einfach schritt
Castissima durch das Klostertor und wurde zum Mann, wenn auch ein
verstümmelter. Aber nur ein Eunuche konnte so ein strahlend schönes
Gesicht haben. In der Tat, tat der Satan viel, um über ihre Schönheit zu
stolpern und schon bald musste der Abt sie absondern. Castissima, alias
Emerald, war furchtlos. Sie zog sich in ihre isolierte Zelle zurück und
stürzte sich, mit dem unerschütterlichen Vertrauen einer wahren
Glaubenseiferin, in ihr neues Leben. Für die Mönche blieb sie ohne
Interesse. Sie widmete sich ihrer Jungfräulichkeit und der Herrlichkeit
Gottes.
Ihr Vater, Paphnutius, jedoch, war sehr verzweifelt. Als er sah, dass seine
Tochter fort war, ließ er sie suchen, wie Castissima es vorhergesagt hatte. In
der Tat suchte ganz Alexandria nach ihr. Schliesslich suchte Paphnutius bei
seinem Freund dem Abt göttlichen Beistand. Alle Mönche beteten
inbrünstig für eine Offenbarung von oben, aber Castissima's Gebete waren
erfolgreicher. Trotz der Nachtwachen und Gebete ihrer "Brüder", konnte sie
sich erfolgreich an ihrem Aufenthaltsort versteckt halten.
Emerald, die mit dem Tode rang, hatte keinen Grund mehr, etwas zu
verschweigen. "Mein Vater," flüsterte sie, beende deine Trauer um deine
Tochter Castissima. Ich bin Castissima, deine Tochter." Als Paphnutius
schokiert auf ihren abgemagerten Körper starrte, starb Castissima.
Trostlos über den Verlust seiner Tochter, holte sich Paphnutius von Zeit zu
Zeit Trost bei dem Abte des Klosters, in welchem, von beiden unerkannt,
Castissima in einer eigenen Zelle Gott diente. Paphnutius wurde von dem
Abte mitunter auch an den jungen und eifrigen Mönch Smaragdus
(Castissima) gewiesen, um von ihm gleichfalls Trost in seiner traurigen
Lage zu empfangen. Der Mönch Smaragdus erkannte den gebeugten Vater
alsbald, gab sich selbst aber nicht zu erkennen, und suchte nur in ihm die
Hoffnung zu nähren, daß er seine Tochter bestimmt wieder finden werde.
Nach einem 38jährigen Klosterleben endlich offenbarte sie sich ihrem Vater
und zwar an ihrem Todestage, der in das Jahr 470 n.Chr. fallen mag. Nach
ihrem Tode bot Paphnutius alle seine Güter dem Kloster an und bewohnte
bis zu seinem Heimgang 10 Jahre lang Castissima's Zelle. Castissima's
Reliquien kamen nach Boulogne (Frankreich) und in das Kloster des
Heiligen Johannes de Beaulieu in der Picardie (Nordfrankreich). Dargestellt
wird die Heilige in Mönchskleidung, die sie statt der weiblichen getragen
hatte.
Pelagia von Antiochia (Antiochia war eine Stadt im antiken Syrien. Heute
heisst sie Antakya und ist in der Türkei.) war eine ebenso bemerkenswerte
zölibatäre Transvestitin und Kurtisane (eine Schauspielerin, Tänzerin und
Geliebte) von beeindruckender Schönheit, die von ihren begeisterten
Kunden mit Geschenken überhäuft wurde. Eines Tages, als der heilige
Bischof Nonnos von Edessa (heute Sanliurfa in der Türkei) im Innenhof der
Basilika des Heiligen Julian dem Märtyrer predigte, ritt Pelagia, im
Gedränge hochmütiger Diener, die mit falschen goldenen Gürteln und
Juwelen geschmückt waren, vorbei. Selbst ihr Esel war mit kleinen
Glöckchen geschmückt, die bei jedem Schritt klingelten. Pelagia selbst
glänzte mit luxuriöser Kleidung und juwelenen Armbändern, Ringen,
Fußringen und goldenen Halsketten, die mit Intarsien (Einlegearbeiten aus
Funierholz), Perlen und Edelsteinen verziert waren. Ihr Haar war unbedeckt
und um die Schulter trug sie einen Schal. Der Duft ihres Parfüms und ihrer
Kosmetika war so mächtig, dass er die Sinne der Gläubigen ergriff.
Aber es war Pelagia's Schönheit, die Bischof Nonnos faszinierte und ihn
veranlasste, so bitterlich zu weinen, dass sogar sein Hemd aus Haaren,
welches er immer auf seiner Haut trug, von seinen Tränen durchweicht
wurde. (Zur Buße trug man ein härenes Hemd, ein Hemd aus kratzenden
Haaren, oft aus Ross-, Kamel- oder Ziegenhaaren) Als er wieder sprechen
konnte, schwärmte Nonnos von Pelagia's erstaunlicher Schönheit und von
den Stunden, die sie für ihr aufwändiges Makeup und ihre Kostüme in ihrem
Ankleidezimmer verbracht haben musste. "Sie wird ihr Gesicht im Spiegel
mit größter Aufmerksamkeit betrachtet haben, um sicherzustellen, dass dort
nicht der geringste Schmutzfleck zu sehen ist. All das geschieht, um die
Männer in die Irre zu führen und Liebhaber, die heute kommen und morgen
wieder gehen, anzulocken. Pelagia, ein Geschöpf aus Staub und Asche,
beschäftigt sich mit allergrößtem Eifer, um den Teufel zu versuchen." Die
versammelten Priester waren tief bewegt, als Nonnos über Pelagia
moralisierte und Gott anflehte, sie zu retten.
Nach dem Gottesdienst sandte Pelagia zwei Diener mit einem Brief an
Bischof Nonnos und bat um eine Audienz. Er stimmte zu, aber unter der
Bedingung, sie nicht allein zu treffen. Er sei, so warnte er, auch nur ein
Mann und anfällig für Versuchungen. Bei der Kirche, am Ort ihrer
Verabredung und in Sichtweise des Geistlichen Nonnos hatte er Aufpasser
zitiert. Pelagia warf sich zu seinen Füßen und bat ihn, sie als Christin zu
taufen.
"Ich bin eine Prostituierte, ein ekelerregender Stein, über den viele
Menschen gestolpert und ins Verderben gegangen sind. Ich bin Satans böse
Falle. Durch mich fing er viele Menschen für's Verderben. Ich bin ein
gefräßiger Geier, eine durchtriebene Wölfin, ein tiefer Sumpf," stöhnte sie
und warf sich nieder auf den schlammigen Boden. Alle Zuschauer, außer
Nonnos, waren über dieses dramatische Spektakel zu Tränen gerührt.
Nonnos bestand darauf, dass Pelagia sich entsprechend dem Kirchenrecht
verhielt, welches von Prostituierten, die getauft werden wollten, verlangte,
dass sie, bevor sie getauft werden konnten, Taufpaten finden mussten.
Nonnos war überzeugt und bald kam der Bischof von Antiocha zur
Zeremonie. Die Hure, im Volksmund bekannt als Marganito, das syrische
Wort für die Perlen, die sie in einem solchen Überfluss trug, wurde mit
ihrem Geburtsnamen, Pelagia, getauft. Gerade als alle sich für ein festliches
Mahl an einem Tisch niedergesetzt hatten, erschien der Teufel in der Tür
und schrie Schuldzuweisungen an Nonnos, der ihm seinen Preis gestohlen
hatte.
Nonnos wendete sich vom Satan ab, unterwies Pelagia und salbte sie mit Öl.
Pelagia tat, was Nonnos ihr sagte und der Teufel verschwand. Während der
acht Tage ihres Taufrituals, trat er immer wieder auf, bot ihr Juwelen und
Reichtum an, damit sie wieder in seinen Dienst zurückkehre und jammerte,
weil sie ihm den Laufpass gegeben hatte. Als Antwort spendete sie Nonnos,
ihrem Berater und spirituellen Führer, alle ihre Habseligkeiten. Weltliche
Besitztümer interessierten sie nicht mehr. Sie beabsichtigte, Jesus als (neue)
keusche Braut zu heiraten und nichts konnte sie davon abhalten.
Am achten Tag aber zog sie das weiße Taufkleid einer christlichen Frau
nicht wieder aus, sondern zog ein härenes Hemd, ein kratziges Hemd aus
Haaren, über ihr zartes Fleisch, bedeckte es mit Bischof Nonnos Tunika 132
und Mantel und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Ihre
Metamorphose (Verwandlung) war komplett. In weniger als zwei Wochen
hatte sie sich vom Teufel und von ihrem sündhaften Beruf losgesagt. Sie
hatte ihren Geburtsnamen und ihre Keuschheit zurückgewonnen, die Hurerei
gegen die Spiritualität eingetauscht und seidene Roben gegen ein härenes
Hemd. Allein zog sie nun als Mann in die Welt hinaus.
132
Die Tunika der römischen Bischöfe ist ein weißes Gewand aus Leinen,
das bis auf die Füße reicht und durch ein breites Band aus edlen Stoffen,
welches um die Hüften gebunden wird, festgehalten wird.
Quelle: Pelagia
Die andere große Gruppe von Transvestiten, die der Weg in die Klöster und
anderswo hinlockte, waren die nichtzölibatären Liebhaberinnen, die ihren
Geliebten in die Klöster folgten. Sie waren schwankende Zölibatäre oder
unzölibatäre Mönche. Die bekannteste von ihnen ist Päpstin Johanna133, die
die katholische Kirche für Jahrhunderte verhexte, bis im 16. Jahrhundert
kirchliche Wissenschaftler sie in den Bereich der Legenden verwiesen.
Johanna diente angeblich im neunten Jahrhundert als Papst Johannes
Anglicus (englisch: anglicus = zu England gehörig). Nach ihrer Aufnahme
als Mönch, verdiente sie sich den Ruf der Gelehrsamkeit. Sie hatte sich als
Mönch verkleidet. So konnte sie sich heimlich mit einem männlichen
Mönch treffen, in den sie verliebt war. In der Zeit nach der Amtseinführung
zum Papst, so lautet die Geschichte, wurde Johanna, alias Johannes
Anglicus, von einem anderen Liebhaber schwanger. Während einer
päpstlichen Prozession, hockte sie sich plötzlich nieder, um ein Kind zu
entbinden. Die Geschichte hat allerdings zwei Enden. Entweder verstarb
Johanna (Johannes) und ihr Sohn schon bald nach der Geburt oder ihr Sohn
wuchs auf und wurde später als Papst Hadrian III. ebenfalls zum Papst
gewählt.
133
Bei Päpstin Johanna handelt es sich um einen Legendenstoff. Von
seriösen Historikern wird die Päpstin Johanna als fiktive Gestalt eingestuft.
Die Legende um die Päpstin Johanna ist seit dem 13. Jahrhundert
überliefert. Die ursprünglichen Formen der Sage berichteten von einer
namenlosen Päpstin, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts amtiert haben soll.
Der Dominikanermönch und Chronist Martin von Troppau verlegt diese
Legende in seiner 1277 veröffentlichten Chronik in das 9. Jahrhundert und
ergänzte die Schwangerschaft und Niederkunft der Päpstin während einer
Prozession. Zwei Versionen Martins beschreiben entweder den Tod der
Päpstin und ihres Kindes bei der Geburt oder die ihrer Verbannung in ein
Kloster. Spätere Überlieferungen der Legende schmücken meist die erste
Version weiter aus und der Päpstin wurden andere Namen gegeben.
Erste ernsthafte Zweifel an der Historizität der Legende, die lange Zeit
selbst von den Päpsten für echt gehalten wurde, finden sich schon bei dem
reformierten Kirchengeschichtler David Blondel (1590-1655). Die
Wissenschaft ist sich heute weitgehend einig, dass die Legende kaum einen
historischen Kern enthält. Die Legende der Päpstin Johanna sieht, laut der
Schedelschen Weltchronik und einem Auszug aus der Chronik Martinus
Polonus, gestorben 1274, in etwa wie folgt aus:
Das 9. Jahrhundert war eine in jeder Hinsicht sehr bewegte Epoche. Der
Verfall des römischen Kaiserreiches führte zum Zusammenbruch staatlicher
und gesetzlicher Ordnungen. Die Menschen lebten zum Großteil unter sehr
barbarischen Bedingungen. Bürgerkriege, Invasionen, Hungersnöte
wechselten sich ab. Die Römerstraßen verfielen und mit ihnen die
Handelswege. 75 Prozent der Bevölkerung starb, bevor sie 50 Jahre alt
wurde. Obwohl einzelne Frauen sehr wohl zu Einfluss und Macht gelangen
konnten, scheint diese Zeit von besonderer Frauenfeindlichkeit geprägt
gewesen zu sein. Frauen hatten weder Recht auf Eigentum noch Zugang zu
Bildung. Kirchliche und weltliche Schmähschriften untermauerten ihren
schweren Stand. Kein Wunder, dass sich viele Frauen hinter schützende
Klostermauern zurückzogen. Oder aber, wie es auch die Geschichte der
Päpstin Johanna erzählt, ihre wahre Identität verbargen. Die Herkunft
Johanna's ist umstritten. Verschiedene Quellen bezeichnen Ingelheim am
Rhein als ihren Geburtsort. Möglicherweise kam sie dort um 818 als Tochter
eines englischen Priesters zur Welt, der in der Sachsenmission tätig war.
Johanna aus England erlangte mit bösen Künsten das Pabsttum, denn sie
war eine weibliche Person, die sich in der Gestalt eines Mannes gebärdete.
Sie zog, noch als sie jung war, mit ihrem Liebhaber, einem gelehrten Mann,
nach Athen. (Nachdem sie ihre Eltern früh verloren hatte, wurde sie in
einem Frauenkloster aufgenommen. Johanna, die von ihrem Vater in
Bibelkunde und theologischen Fragen ausgebildet wurde und schon als
Mädchen über eine außergewöhnliche Begabung verfügt haben soll, folgte
schließlich einem Mönch (ihrem Geliebten) in dessen Kloster, bei Fulda.
Nachdem das Paar entdeckt wurde, floh es nach Athen.)
Bald war sie in der heiligen Schrift so gelehrt, dass es in Rom, wohin sie
bald darauf ging, nur wenige gab, die ihr glichen. Sie erweckte, unter der
Verborgenheit ihrer Weiblichkeit, mit Lesen und scharfem Diskutieren den
Anschein eines Mannes. (Jahre später ging Johanna nach Rom, in das
Zentrum klerikaler (kirchlicher) Macht. Dort bekleidete sie aufgrund ihrer
Bildung, die sie in Griechenland vertiefen konnte, im Vatikan ein wichtiges
Amt. Bis sie schließlich zum Papst gewählt wurde. Aus Pater Johannes
wurde Papst Johannes.)
Diese Gutwilligkeit und Glaubwürdigkeit führte dazu, dass sie nach dem
Tod Papst Leo's IV (855 n.Chr.) an seiner statt zum Papst erkoren wurde.
Aber sie wurde nachfolgend von einem ihrer Diener geschwängert. Als sie
das Kind lange genug getragen hatte und eines Tages während einer
Prozessionauf der römischen Via Sacra zur Sankt Johannes-Kirche gehen
wollte, da setzen unterwegs die Wehen ein und sie bekam ein Kind. Das
Kind wurde bereits tot geboren, und auch Johanna war dem Tod geweiht.
Ihrer Tarnung beraubt war Päpstin Johanna schutzlos der zuschauenden
Menge ausgeliefert. Nicht sicher ist, ob sie bei der Geburt verstarb, von der
entsetzten Menge gesteinigt, oder, an den Schwanz eines Pferdes gebunden,
zu Tode geschleift wurde. Die Päpstin Johanna war übrigens zwei Jahre,
fünf Monate und vier Tage im Amt.
Quelle:
Päpstin Johanna 1
Päpstin Johanna 2
Man(n) kann ja nie wissen. Oder, wie eine mittelalterliche Inschrift auf
einem Holzschnitt andeutet: "Papa peperit puerum penes portam Petri." "Der
Papst gebar einen Knaben beim Petridom."
Als transvestite Mönche verzichteten die Frauen nicht nur auf ihr
Geschlecht, sondern auch auf ihre Sexualität. Ihr Verlangen nach dem
Zölibat war so stark, dass sie bereit waren, auf ihre Weiblichkeit zu
verzichten. In allen Fällen entsprach das Zölibat ihrer religiösen
Überzeugung. Diese Frauen hatten Tagesordnungen, die sie vor den
Männern und der Ehe schützten. Sie verpflichteten sich selbst, ihren Körper
und ihre Seele mit der größtmöglichsten Intensität in den Dienst Gottes zu
stellen. Sie akzeptierten strenge Beschränkungen und dauerhafte
Entbehrungen, die ihre Gesundheit und ihr Aussehen beeinträchtigen
konnten. Oft unterwarfen sie sich diesen Selbstkasteiungen von selbst.
Wilgefortis flehte erfolglos ihren entschlossenen Vater an. Dann wandte sie
sich an Gott und flehte um Erlösung. Gott erfüllte ihre Bitte und entstellte
sie mit einem lang herabhängenden Schnurrbart und einem krausen,
seidenen Bart. Nach diesem Vorfall versteckte Wilgefortis wütender Vater
seine Tochter unter einem Schleier. Zur Vergeltung zerrte Wilgefortis den
Schleier herunter, so dass ihr sizilianischer Verlobter sie sehen konnte. Er
starrte entsetzt und brach sofort die Verlobung ab. Ihr Vater war sehr
wütend über das Misslingen seiner Pläne und ließ Wilgefortis kreuzigen. Sie
starb als Märtyrerin am Kreuz, der Gott geholfen hatte, ihre Jungfräulichkeit
durch ihre krausen Barthaare zu bewahren.
In Johann Stadlers ökumenischem Heiligenlexikon von 1858 wird
Wilgeforts Leben wir folgt beschrieben: "Die heilige Commeria"
(Kümmernis) oder Wilgefortis (gestorben um 130 in Portugal) war die
Tochter eines heidnischen Königs von der Provence (Südosten Frankreich)
oder von Sizilien. Durch einen frommen Mann wurde sie zum christlichen
Glauben bekehrt und gelobte nun auch jungfräulich zu bleiben, wie die
Mutter des Herrn. Als bald darauf ihr Vater sie zur Gemahlin des
heidnischen Königs Amasius von Portugal bestimmte, erklärte sie standhaft,
sie sei eine Christin und werde nie einen irdischen Mann zum Gemahl
nehmen. Darüber erzürnt, ließ ihr Vater sie mit glühenden Zangen peinigen
und in das Gefängniß werfen, bis sie seinen Willen thun und den Götzen
opfern würde.
Die Heilige aber bat im Kerker den Herrn, sie so zu entstellen, daß kein
Mann ihrer mehr begehre. Darauf erhielt sie das Aussehen eines Mannes,
und reicher Bart umgab ihr Antlitz. Als nun der Vater sie wieder erblickte,
ward er von Entsetzen ergriffen. Er fragte die Jungfrau, wer sie in diesen
Zustand versetzt. Darauf gestand sie ihm, sie habe ihren Bräutigam, der am
Kreuze gestorben, darum gebeten, daß Er alle Schönheit von ihr nehme und
sie Ihm ähnlich machen möchte. Da kam ihr Vater fast von Sinnen und ließ
sie an das Kreuz schlagen, damit sie auch darin ihrem Bräutigam ähnlich
wäre. Sie aber lobte Gott und predigte vom Kreuze herab die drei Tage, die
ihr noch zu leben gegönnt waren, so eindringlich, daß viele Tausende und
selbst ihr Vater zum christlichen Glauben bekehrt wurden. Zur Sühnung
seines Verbrechens erbaute ihr Vater eine Kirche zu Ehren der heiligen
Scholastica (die Schwester des heiligen Benedikt, dem Ordensgründer des
Benediktinerordens) und stellte darin von Gold das Bild seiner Tochter auf.
Zwei weitere bärtige weibliche Heilige sind Galla 135, eine Witwe, die sich
entschlossen der Wiederverheiratung widersetzte und Paula von Avila, eine
Jungfrau, die so sehr ihren Verehrer verabscheute, dass sie vor ihm
davonlief und Jesus bat, sie zu verstümmeln. Er erfüllte ihren Wunsch und
ließ augenblicklich einen dicken, hässlich machenden Bart sprießen, der sie
so veränderte, dass ihr Bewerber sie nicht erkannte.
135
Die wegen ihrer Nächstenliebe berühmte Galla von Rom (500 - 560
n.Chr.) lebte als Benediktinerin im Kloster San Stefano nahe des
Petersdoms. Die Tochter eines römischen Senators war schon früh Witwe
geworden. Als Mann verkleidet und mit einem Bart habe sich die schöne
junge Frau vor Nachstellungen der Männer geschützt.
Im alten Ägypten war die Wüste ein Ausdruck für die Unvernunft des
Lebens des hungernden und sich plagenden Nahen Ostens. Sie drückte mit
ihrer ungezähmten Wildheit gegen den Rand der Dörfer und Städte. Auch
Alexandria, die lieblichste und kultivierteste Stadt Ägyptens, war nur
fünfzig Kilometer von der gesetzlosen und ungezähmten Verwüstung
entfernt. Die Wüste war ein schrecklicher Ort. Sie besaß zugleich aber auch
eine große Attraktivität. Auch heute noch erschreckt ihre unendliche
Einsamkeit viele Dorfbewohner, die sich vor den Schreien der Hyänen und
Dämonen fürchten. Sie können nur selten überredet werden, die Nacht in der
Wüste zu verbringen.
Man kann die Wüste als eine bedrohliche Welt betrachten, die in Schach
gehalten werden muss. Man kann sie aber auch, wie die ersten Christen es
taten, als ein Reich der Freiheit betrachten, deren äußeren Grenzen durch die
heimtückische Welt der Zivilisation begrenzt ist. Ein Mann oder eine Frau,
wie die Heilige Maria von Ägypten, gingen in die Wüste und setzten sich
den Nomaden (die nicht immer friedlich waren), dem Hunger und der Kälte
aus, der einzigen Begleitung einer suchenden Seele, wenn sie Gottes
Gegenwart erreichen wollte.
Die Wüste hatte auch den zwanzigjährigen Antonius 136 angelockt. Der
Bauernhof seines wohlhabenden Vaters lag am Rande des Dorfes Kome (80
km südwestlich von Kairo). Als er etwa 20 Jahre alt war, starben seine
Eltern. In der Kirche hörte er das Bibelwort: „Willst du vollkommen sein, so
gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen
Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!“ (Matthäus
19,21). Mit der Radikalität der Jugend stürzte er sich in die neue Askese des
Christentums. Dass er kein Fleisch mehr aß, fiel zunächst nicht auf. Alle
ernsthaften Christen waren schließlich Vegetarier. Aber auch an den
Trinkgelagen seiner Freunde nahm er nicht mehr teil. Nachts schlief er auf
einer Binsenmatte oder auf dem nackten Boden. Wie heute noch die
Muslime im Ramadan gewöhnte er sich an, erst nach Sonnenuntergang zu
essen. In Dorf fiel auf, dass er im Unterschied zu den anderen jungen
Männern, seinen Körper nicht mehr einölte. Beharrlich sonderte er sich ab.
Er wollte alleine sein.
Der ägyptische Philosoph Amun lebte 18 Jahre jungfräulich mit seiner Frau,
die ihn für diese asketische Leistung bewunderte. Sozomenos berichtet auch
von dem berühmten Gelehrten und Asketen Didymus, der schon als Kind
erblindete und den doch alle wegen seiner intellektuellen Fähigkeiten den
"Sehenden" nannten. Didymus erfand schon damals eine Art Blindenschrift.
Faszinierend, oft erschreckend beschreibt Sozomenos, wie der nur kurze
Zeit regierende Kaiser Julian (361 - 363 n.Chr.), genannt "der Abtrünnige"
(Apostata), sein Restaurationsprogramm des antiken Heidentums
durchzusetzen suchte. Heidnische Tempel wurden wieder aufgebaut,
christliche Kirchen geschlossen, die Kirchenschätze dem Fiskus zugeführt.
Das heidnisch gesinnte Volk nutzte die Gunst der Stunde durch Übergriffe
und Pogrome. In Helenopolis (heute Hersek in der Türkei) mussten heilige
Jungfrauen in aller Öffentlichkeit nackt herumlaufen, man schor ihnen den
Kopf, zerschnitt sie in Stücke und warf ihre Eingeweide den Schweinen vor.
Zwar will keiner mit ihm hinaus in die Wüste, in das Reich des Bösen, denn
vor den Geistern der Toten fürchtete man sich, aber immerhin verspricht
ihm einer seiner Freunde, ihn regelmäßig mit Brot zu versorgen. Gemeint
sind damit die kleinen ägyptischen Fladenbrote, heute noch die
hauptsächliche, damals oft die ausschliessliche Nahrung der Menschen.
Diese runden, festen, überaus nahrhaften Kornfladen lässt man trocknen. Sie
sind dann so haltbar wie Knäckebrot, werden aber zum Essen aufgeweicht.
Wenn also, wie man vermutet, in der Nähe der Gräber Wasser war, so
brauchte der Freund gar nicht so oft zu kommen.
Quelle: Hans Conrad Zander - Als die Religion noch nicht langweilig war
Wer Gelegenheit gehabt hätte, im Jahr 313, die Einsiedelei des Heiligen
Antonius zu bestaunen, der hätte sich gewundert. Schließlich kommt das
Wort "Eremit" von "eremia". Das heisst auf griechisch "Wüste" und
"Einsamkeit", beides zugleich. Zweifellos war um die Einsiedelei des
Heiligen Antonius Wüste. Doch Einsamkeit war dort so wenig wie heute
um die Antoniushöhle in Sichtweite des Roten Meeres. In allen Berghängen
ringsum lagerten in unabsehbaren Scharen die Antonius-Fans. Von jungen
Frauen wird berichtet, dass sei keine Strapazen scheuten, um Antonius zu
sehen, und sei es nur von fern. Man wollte jenen Mann sehen, den unzählige
Menschen im ganzen Römischen Reich als "Star der Wüste" bewunderten.
Mitten in dem begeisterten Getümmel, von ihren Familien durch die Wadis
(Trockentäler) hochgetragen, kamen die Kranken und Krüppel, die
Schwermütigen und Geisteskranken. Alle wurden sie von der irren
Hoffnung hergetrieben, Antonius, der die Dämonen besiegt hatte, berühren
zu dürfen.
In Höhlen und Hütten, in Felsspalten und Erdlöchern hausten außerdem im
weiten Umkreis von Antonius Einsiedelei, zuerst Hunderte, später Tausende
von Männern. Die Jünger des Antonius. Es war eine richtige Wüstenstadt.
Nach Antonius Vorbild wollten sie Eremiten werden. Und dann die
Katastrophe. An einem Morgen des Jahres 313, in aller Frühe, verbreitete
sich die Hiobsbotschaft. Antonius war aus der Mitte all der Menschen, die
ihn so bewunderten, spurlos verschwunden. Über die Gründe hat er sich
später freimütig geäußert. "Die Menge hat Dinge verlangt, die meine Kraft
überstieg." Den einen oder anderen hatte er heilen können. Doch dem
Wunderglauben der Menge war Antonius auf Dauer nicht gewachsen. Vor
allem habe er sich von den vielen Leuten belästigt gefühlt, da er in der
Abgeschiedenheit nicht mehr sein eigenes Leben leben konnte. Am
aufschlussreichsten aber ist der dritte Grund: "Er habe die Gefahr gespürt,
sich selber zu wichtig nehmen zu können."
Die letzte Einsiedelei des Heiligen Antonius ist eine Höhle über dem
heutigen Antoniuskloster, am Berg Kolzim. Hier lies er sich nieder. Er
genießt die göttliche Ruhe, die äußere Ruhe und, zum ersten Mal seit Jahren,
jene innere Ruhe, die das Ziel der Askese ist. Bei Tage lässt er den Blick
über die Hochebene von Galala bis hin zum Roten Meer schweifen. Nachts
schaut er auf den Sternenhimmel über Ägypten. Da! Im Nordwesten sind am
Horizont ein paar Punkte aufgetaucht. Es ist die Karawane aus Pispir. Der
Heilige Antonius ist entdeckt. Fängt jetzt der gleiche Rummel wie in Pispir
von vorne an? Not macht erfinderisch. In seiner Not erfindet Antonius das
System der dualen Einsamkeit. Die eine Hälfte des Jahres lebt er weiterhin
in seiner Höhle über dem Roten Meer. Und die andere Hälfte des Jahres
vebringt er in seiner Einsiedelei in Pispir.
Während man Antonius das biblische Alter durchaus angesehen hat, ist das
Gesicht des Eremiten bis zum Schluss von fast jugendlicher Frische
geblieben. Am auffallensten waren seine Zähne. Nicht ein einziger Zahn
war ihm ausgefallen. Nur das Zahnfleisch war, des hohen Alters wegen, bis
hinter die Zahnhälse verschwunden. Das war der Segen der vegetarischen
Ernährung. Allerdings war die asketische Diät des Antonius im Alter nicht
mehr so streng. Die beiden Jünger, die sich in Kolzim um ihn kümmerten,
brachten ihm zum Fladenbrot auch Oliven und Öl, Bohnen, und aus einem
an der Quelle angelegten Garten, frisches Gemüse. Eines gefiel einigen
Freunden von Antonius nicht, nämlich seine Füße. Man sah ihnen an, dass
er sie ein Jahrhundert lang nicht ein einziges Mal gewaschen hatte. Im Jahre
356 n.Chr. starb Antonius, der erste ägyptische Mönch, Asket und
Einsiedler in seiner einsamen Wüstenhöhle im Alter von 105 Jahren.
Antonius ist als Wüstenvater bekannt, der das Mönchstum gegründet hat.
Aber in seiner Zeit als "dem weltlichen Leben Entsagender" war er Teil
eines Trends. Die Entsagenden schlenderten durch Ägyptens Städte und
Dörfer und beanspruchten die Wüste als ihre Domäne. Ein anderer
Wüstenvater, Amun138 aus Nitria (Ammon), war ein zölibatärer Eremit, der
schon früh in der Ehe seine Frau überredet hatte, auf sexuelle Beziehungen
zu verzichten. Nach achtzehn Jahren keuscher Ehe überzeugte ihn seine
Ehefrau in die Wüste zu gehen. "Es ist unangemessen, wenn du weiterhin
die Tugend der Enthaltsamkeit verbirgst", argumentierte sie. Dies empfand
Amun als ein schmeichelhaftes Argument und begab sich in die Wüste, wo
seine Spiritualität eine Schar weiterer Entsagender anzog. Später zogen sie
weiter in die Wüste. In Kellia139 "schnitzten" sie Zellen (Höhlen) aus den
Becken zwischen den Dünen. Jeder Mönch hatte seinen eigenen Brunnen
gegraben aus dem er (leicht salzhaltiges) Wüsten-Brackwasser schöpfte und
seine eigene kleine Oase erschuf.
138
Ammon (288 - 356) war ein christlicher Mönch aus Ägypten. Er
entstammt wohl einer begüterten ägyptischen Familie. Als er gegen seinen
Willen eine Frau nehmen sollte, heiratete er, ohne mit seiner Gattin je die
Ehe zu vollziehen. Nach 18 Jahren asketischen Lebens miteinander trennten
sich beide einvernehmlich und Ammon lebte weitere 22 Jahre auf dem
sogenannten Berg Nitria (Natronberg) im Süden des Mareotis-Sees. Hier
wurde er zum Begründer einer der ersten christlichen Mönchskolonien. Zum
Ende des Lebens Ammon sollen bis zu fünfhundert Mönche auf dem Berg
autark gelebt haben.
Quelle: Ammon
139
Kellia, auch bekannt als "die Zellen", verwies auf "die innerste Wüste".
Kellia liegt etwa 12 Meilen südlich der nitrischen Wüste 140. In Kellia lebte
im 4. Jahrhundert eine ägyptische, christliche, klösterliche Gemeinschaft.
Gegründet wurde diese klösterliche Gemeinschaft im Jahre 338 nach
Christus durch den Heiligen Amun (Ammon) und stand unter der
spirituellen Leitung des Heiligen Antonius. Die klösterliche Gemeinschaft
war für diejenigen bestimmt, die ein klösterliches Leben in einem halb-
anachoretischem (anachoretisch = einsiedlerisch) Kloster leben wollten.
140
Viele Einsiedler lebten in der sketischen Wüste. Diese ist eine 50
Kilometer lange und 15 Kilometer breite Bodensenke in der libyschen
Wüste (Sahara), westlich vom Niltal mit salzhaltigen Seen. Heute sagt man
auch Wadi Natrun (Natrontal). Man unterschiedet die Nitrische Wüste
(Gebirge) im Norden und die Sketis im Süden. Im 4. und 5. Jahrhundert war
diese Wüste (wie die Thebais in Oberägypten) das Stammland des
christlichen Mönchtums. Tausende lebten hier in der Eisamkeit, den Eifer
der ersten Christen in dieser Nachverfolgungszeit bewahrend.
Die Zellen der Mönche lagen so weit auseinander, dass sie sich einander
nicht sehen und hören konnten. Die Mönche trafen sich Samstags und
Sonntags um gemeinsam eine Mahlzeit einzunehmen. Einige gingen 3 oder
4 Meilen von ihren Zellen entfernt zur Kirche. Fehlte ein Mönch bei diesen
Treffen, dann nahm man an, er sei krank oder gestorben. Dann brachte ihm
jemand etwas zu Essen oder kümmerte sich (nach der Beerdigung) um die
verbleibenden Überreste. Man glaubt, dass zeitweise bis zu 600 Mönche in
Kellia lebten.
Kellia heißt al-Muna in Arabisch und war bis in das 9. Jahrhundert bewohnt.
Es wurde 1964 von dem französischen Archäologen Professor Antoine
Guillaumont entdeckt und wurde vor 25 Jahren (1983 ?) von französischen
und schweizerischen Teams ausgegraben. Es wurden viele Kirchen und
Wohnbereiche gefunden, deren Wände mit Inschriften, (Heiligen-)Bildern
und Verzierungen bedeckt waren. Viele Wohnbereiche beherbergten
mehrere Mönche. Aber es wurden auch frühere Beispiele von Zellen für
einzelne Mönche gefunden.
Quelle: Kellia
Aber die Zellen waren noch zu nah an der Zivilisation, mit all ihren
Schmerzen und Versuchungen. Wanderte man einen Tag und eine Nacht, so
erreichte man Sketis141, das jetzt Wadi Natrum heisst. Es liegt
weltabgeschieden, wird aber durch Quellen besser bewässert und ist von
einem nitratreichen Marschland (Feuchtgebiet) umgeben. Um 400 n.Chr.
war es die Heimat von Tausenden von Wüstenvätern. Antonius, Amun und
ihre Schüler haben die Wüste in eine kleine Stadt verwandelt.
141
Die Sketische Wüste (vom griechischen "Askese" abgeleitet), auch als
Skete oder Wüste Sketis bezeichnet, ist ein Wüstental das als Ausläufer der
Sahara etwa 80 km südlich der ägyptischen Hafenstadt Alexandria auf der
westlichen Nil-Seite liegt und das heute als Wadi an-Natrun bezeichnet
wird. Das Wadi an-Natrun bekam seinen Namen als bereits in der Antike
genutzter Abbauort von natürlich vorkommendem Natron, das an Glashütten
im östlichen Mittelmeerraum geliefert wurde.
Die "Sketische Wüste" war eines der Gebiete (neben der Wüste Nitria und
der Zellenwüste), in dem sich eine der Grundformen des christlichen
Mönchtums entwickelte, nämlich das Eremitentum. Hier zogen sich im 4.
Jahrhundert Menschen insbesondere aus der in der Nähe befindlichen
Metropole Alexandria zurück, um der Welt in Askese zu entsagen. Unter
ihnen befanden sich die Heiligen Arsenius und Makarios der Ägypter (der
das geistige Zentrum dieser Einsiedlerkolonnie darstellte) und Makarios von
Alexandria , der der Gemeinschaft als Abt vorstand. In dieser Wüste
befinden sich heute noch vier Klöster.
Befreit von den Verwicklungen und Wechselfällen des Lebens und der
Gesellschaft standen die Wüstenväter zwei schwierigen Gegnern gegenüber:
der teuflischen Versuchung und der abschreckenden Natur. Ihre Aufgabe
bestand darin, Gottes Geschenk der freien Wahl zu nutzen, um ihre
Sündhaftigkeit zu tilgen und ein perfektes Leben zu führen. Hieronymus
(347 - 419), der in seiner Jugend selber fünf (drei?) Jahre als Wüstenvater in
der syrischen Wüste gelebt hatte, liebte es, an seine Erfahrungen zu
erinnern. Er saß allein, "die Glidmaßen steckten in einen häßlichen
Bußgewand, die Haut war schwarz, wie die eines Äthiopiers" und kämpfe
gegen den Schlaf. Überwältigte ihn der Schlaf, dann sanken seine nackten
Knochen auf die Erde. Seine Ernährung war bemitleidenswert: kaltes
Wasser und ein karges Mahl aus roher Nahrung. Hieronymus wusste sehr
wohl: Jesus hatte kein Fleisch gegessen. Jesus hatte gelehrt, die Tiere zu
lieben und sie nicht zu töten.
Ich schiebe diese Texte jetzt einfach einmal hier ein. Ich habe sie eben
entdeckt und möchte euch gerne darauf hinweisen. Wer Lust hat, kann
sie ja einmal durchblättern. Hier zunächst die Texte über die
Keuschheit:
Vater Gerontius von Petra sagte, daß viele durch die Freuden des
Körpers versucht seien Unzucht nicht körperlich sondern in ihrem
Geiste zu treiben. Und währen sie ihren Körper jungfräulich halten,
betreiben sie Prostitution mit ihrer Seele. Darum ist es gut, meine
Vielgeliebten, dem zu folgen was geschrieben steht, denn jeder von
euch soll sein Herz mit aller möglichen Sorgfalt beschützen. (Spr. 4.23)
Vater Pastor sagte, „Richte nicht denjenigen, der Unzucht getrieben hat
während du keusch bist, oder du wirst das Gesetz genauso brechen wie
er. Denn Er, der sagte ‚Du sollst keine Unzucht treiben‘ sagte genauso
‚Du sollst nicht richten‘.“
Vater Cyrus aus Alexandria wurde über die Versuchung der Unzucht
befragt und er antwortete, „Wenn du nicht über sie nachdenkst, gibt es
keine Hoffnung. Denn wenn du nicht über sie nachdenkst, tust du es.
Ich denke, derjenige, der nicht gegen die Sünde ankämpft und ihr im
Geiste widersteht, wird die Sünde körperlich begehen. Es ist nämlich
allzu wahr, dass derjenige, der tatsächlich Unzucht treibt, nicht besorgt
ist, über sie nachzudenken.“
Vater Josef fragte den Vater Sisoes: "In welcher Zeit muß der Mensch
seine Leidenschaften ausrotten;" Der Greis antwortete: "Die Zeiten
willst du erfahren?" Abbas Joseph sagte: "Ja." Darauf sagte der Greis:
"Zur Stunde, in der die Leidenschaft kommt, rotte sie aus."
Die heilige Syncletia sagte, „Ich denke, für jene die in Gemeinschaft
leben, ist Gehorsam eine größere Tugend als Keuschheit, und sie ist
dennoch makellos. Keuschheit birgt in sich die Gefahr des Stolzes,
Gehorsam hingegen trägt in sich das Versprechen der Bescheidenheit.
Das Leben in der Wüste hat seinen eigenen Rhytmus, mit Krisen, Lösungen
und Leitlinien. Schliesslich entwickelte der christliche Priester, Mönch, Abt
und Schriftsteller Johannes Cassianus (360 - 435) 142, der selber zehn Jahre
lang in der ägyptischen Wüste als Mönch lebte, die komplexen Regeln, wie
man erfolgreich das Leben eines Koinobiten (Mönches) in der Wüste führt.
Das wichtigste Problem in der Wüste war es Wasser und Nahrung zu
beschaffen. Aber ebenso schwer war es, diese so zu rationieren, dass der
Verbrauch mehr ein Fasten als eine Sättigung war. Das Finden von Nahrung
war dauerhaft in die Psyche der Männer eingebrannt. Für Ägypter war die
ausgetrocknete Wüste immer vom Geist des Hungers bedroht. Der Nil war
ein reich gefüllter Lebensmittelkorb, die Wüste dagegen ein leerer Korb.
Aus diesem Grund applaudierte die volkstümliche Vorstellungskraft weit
kräftiger über den Sieg der Wüstenväter über den Hunger und den Bauch,
als über die Überwindung der sexuellen Lust. Das Fasten verursachte dem
biblischen Adam unwiderstehliche Versuchungen. Aber anders als Adam,
dem ersten Früchte essenden Menschen, besiegten die Wüstenväter den
Hunger.
142
Um 420 schrieb Johannes Cassianus "De institutis coenibiorum et de octo
principalibus vitiis" („Über die Grundsätze der Koinobiten (Klostermönche)
und die acht Hauptlaster“), in dem er vom ägyptischen Klosterleben
berichtete. Er postulierte acht Hauptlaster: Unmäßigkeit, Unkeuschheit,
Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Überdruss, Ruhmsucht, Hochmut, die sich
später als Kapitalsünden (Todsünden) wiederfinden. Um 426 bis 428
verfasste Johannes Cassianus die "Collationes (Conlationes) patrum", die „
Unterredungen mit den Vätern “143, in denen er seine Erfahrungen mit den
Mönchen in der ägyptischen Wüste in Form von Gesprächen wiedergab. Mit
den "Collationes" machte er die Lebens- und Glaubensweisheiten der
ägyptischen Mönche (wie auch Antonius der Große und Pachomios) im
Westen des Römischen Reiches bekannt.
Was einmal durch den Überfluß der Speisen im Marke sich gebildet
hat, das muß Drang haben und von dem Gesetze der Natur selbst
fortgetrieben werden, da sie nicht duldet, daß Überfluß an irgend einem
unnöthigen Saft, der ihr ja schädlich und entgegen ist, in ihr bleibe.
Deßhalb müssen wir immer mit einer vernünftigen und gleichmäßigen
Kargheit unsern Leib in Zucht halten, damit, wenn wir auch von dieser
natürlichen Nothwendigkeit, solange wir im Fleische weilen, nicht
ganz frei sein können, uns der ganze Jahreslauf doch seltener und nicht
öfter als dreimal von diesem Ausflusse benetzt finde. Das soll aber
ohne allen Reiz der ruhige Schlaf ausstoßen und nicht ein Trugbild als
Zeichen heimlicher Lust hervorlocken. Deßhalb ist es diese besagte
Mäßigung und Enthaltsamkeit, diese Beschaffenheit und Menge, wie
sie auch durch das Urtheil der Väter gebilligt wird, daß nemlich die
tägliche Labung des Brotes auch der tägliche Hunger begleite, sie ist
es, welche in einem und demselben Zustande Leib und Seele bewahrt
und den Geist weder durch die Erschöpfung des Fastens hinfällig noch
durch Sättigung beschwert werden läßt. Denn man hört nach so
einfachem Mahle auf, daß der Geist bisweilen nach der Abendzeit
kaum merkt oder sich erinnert, daß er gegessen habe.
Der erste Grad der Schamhaftigkeit ist nun, daß der wachende Mönch
nicht durch fleischliche Anfechtung gestürzt werde. Der zweite, daß
sein Geist nicht bei lüsternen Gedanken verweile. Der dritte, daß er
durch den Anblick eines Weibes auch nicht leichthin zu einer Begierde
gereizt werde. Der vierte, daß er im Wachen nicht einmal eine einfache
Regung des Fleisches erdulde. Der fünfte, daß seinen Geist auch nicht
die leiseste Beistimmung zu der Lust treffe, wenn der Inhalt einer
Abhandlung oder eine nothwendige Lesung ihm die Erinnerung an die
menschliche Zeugung beibringt, sondern daß er Dies; als eine ganz
einfache Sache und als eine dem menschlichen Geschlechte
nothwendig zugewiesene Leistung mit ruhigem und reinem
Herzensauge betrachte und nicht mehr daran denke, als wenn es sich
um die Bereitung von Ziegelsteinen oder irgend ein anderes Geschäft
handeln würde. Der sechste Grad ist, daß er selbst im Schlafe nicht
durch verführerische Vorstellungen von Weibern betrogen werde.
Denn obwohl wir nicht glauben, daß diese Bethörung mit
Sündenschuld behaftet sei, so ist sie doch ein Zeichen der noch im
Innersten verborgenen Begierlichkeit.
Dann ruft er uns noch zu Höherem, will auch den Ort selbst zeigen, an
welchem der Herr seine Freude hat, und sagt: „Und im Frieden ist seine
Stätte,“ dies ist nicht im Zusammenstoße des Kampfes und im Ringen
mit den Lastern, sondern im Frieden der Keuschheit und in der
beständigen Ruhe des Herzens. Wenn es also Jemandem gelungen ist,
diesen Ort des Friedens durch Auslöschung der fleischlichen
Leidenschaften zu erreichen, so wird er auch von da noch weiter
aufsteigen, und zum geistigen Sion, d. i. zur Warte Gottes geworden
wird er auch dessen Wohnung sein. Denn nicht im Kampfe der
Enthaltsamkeit, sondern auf der feststehenden Warte der Tugenden
wohnt der Herr, wo er nicht mehr bloß zurückstößt oder unterdrückt,
sondern auf ewig zerbricht die mächtigen Bogen, von denen einst
gegen uns die feurigen Geschoße der Luft gerichtet wurden. Ihr seht
also, daß nicht im Ringen der Enthaltsamkeit, sondern im Frieden der
Keuschheit des Herrn Ort ist und ebenso seine Wohnung auf der Höhe
und Beschaulichkeit der Tugenden.
Die täglichen Mahlzeiten bestanden aus zwei Laib Brot, Salz, Wurzeln und
vielfältigen Wildkräutern, kaum genug, um einen erwachsenen Mann zu
ernähren. Trotz ihrer sesshaften Lebensweise, die sie mit dem Flechten von
Körben oder mit anderen monotonen Aufgaben 145 (Binsenmatten, Besen,
Leinen, Häute gerben), mit der Meditation, dem Sammeln von
Lebensmitteln (Wurzeln, Kräuter, Beeren), dem Wasserholen und natürlich
vor allem mit dem Beten, verbrachten.
145
Der Eremit Pachomius (287 - 346 n.Chr.) gründete, nach dem sein
Kloster in Tabenessi mit 1.300 Mönchen zu klein geworden war, in Pbow
ein zweites Kloster. Dann gründete er immer am Nil entlang weitere acht
Männerklöster und zwei Frauenklöster. Jedes Kloster beherbergte etwa
1.000 bis 1.400 Mönche. Jeder Mönch ging einer Arbeit nach. Es gab in den
Klöstern Schneider, Bäcker, Köche, Holzsammler, Töpfer, Hausmeister,
Buchhalter, Kameltreiber, Schmiede, Weber, Gerber, Sandalenmacher und
sogar eine klostereigene Polizei (Wachmannschaften). Sie hatten sogar
klostereigene Schiffe, mit denen sie ihre klösterlichen Produkte gegen
unstreitbar niedrigePreise, sehr zum Missfallen vieler ägyptischer
Handwerker, auf dem Markt in Alexandria verkauften.
Noch besser ausgerüstet als die zentrale Großküche war das Krankenhaus.
Das beste was die zentrale Großküche hergab war dem heiligen Pachomius
für seine Kranken gerade gut genug: Oliven, Feigen, Datteln und Salate,
Käse, Müsli, Brei und Brot. Das allerbeste aber wurde in der
krankenhauseigenen Diätküche zubereitet: die exellent hauseigene
Bouillabaisse (Fischsuppe mit verschiedenen Fischsorten) für die einen, für
die anderen Fleischgerichte in jeglicher Fülle.
Cassianus empfahl die tägliche Ration von zwei Laib Broten über einen
Zeitraum von sechs Monaten, als Weg zur Keuschheit. Die
HistorikerinAline Rousselle 146 stimmte ihm zu, als sie in einem
Kriegsexperiment die Auswirkung einer Mangelernährung auf die
männliche Sexualität untersuchte. 32 Männer reduzierten über einen
Zeitraum von sechs Monaten wissentlich ihren täglichen Kalorienbedarf von
1.700 auf 1.400 Kalorien. Nach sechs Monaten stellte man fest, dass die
sexuelle Begierde ebenso wie der Bauch geschrumpft war. Es gab keine
sexuelle Lust, keine Träume, keine Aggressionen und keine nächtlichen
Ejakulationen mehr. Folglich war Cassianus also im Recht. Hunger im
Bauch, ernährt die Keuschheit.
146
Anmerkung zum Experiment der Historikerin Aline Rousselle. Ich habe
bisher nicht sehr viel über Aline Rousselle im Internet gefunden. Bei dem,
was ich allerdings gefunden habe, hatte ich den Eindruck, dass sie dem
Zölibat nicht besonders aufgeschlossen zu sein scheint. Es kommt mir ein
klein wenig so vor, als möchte sie den Eindruck erwecken, dass das
Abklingen der sexuellen Begierden allein auf eine Mangelernährung
zurückzuführen sein. Dem kann ich allerdings aus eigener Erfahrung
erwidern, dass die sexuellen Begierden ebenso abklingen, wenn man sich
ganz normal ernährt oder sich vielleicht sogar überernährt (wenn auch
vielleicht nicht ganz so schnell?).
Sicherlich hat die sehr reduzierte Ernährung der Mönche dazu beigetragen,
dass das sexuelle Begehren immer weiter abnahm, bis es eines Tages
vollkommen verschwand. Aber diese Entwicklung ist meiner Meinung nach
nicht nur auf die reduzierte Ernährung zurückzuführen, sondern auch darauf,
dass man sich innerlich bewusst von der Sexualität abwendete. Geschieht
diese innere Abkehr nicht, dann spukt die Sexualität weiterhin irgendwo im
Hinterkopf und bedrängt den Menschen weiterhin. Ich kann mir allerdings
vorstellen, dass eine mäßige Ernährung Einfluss auf die (Häufigkeit der)
Pollutionen hat.
Ich persönlich kann allerdings nicht genau sagen, wie es sich verhält, wenn
man sich so bescheiden ernährt, wie die Wüstenväter es taten, da ich
niemals solch eine asketische Ernährung praktizierte. Es fällt mir mitunter
aber schwererer, auf all die Gaumenfreuden zu verzichten, als auf die
Sexualität (obwohl dies kein leichter Weg war).
Aber ich denke, ein Brahmachari (ein bewusst enthaltsam lebender Mensch)
sollte den Umstand nutzen, dass eine reduzierte Ernährung (und damit wohl
auch eine gesündere Ernährung, denn die meisten westlichen Menschen
essen in der Regel zu viel) die Keuschheit beflügelt. Ich jedenfalls bin
eigentlich immer ganz stolz auf mich, wenn es mir gelingt auf Kuchen,
Schokolade und andere Naschereien zu verzichten und wenn es mir gelingt,
mir nach dem Abendessen, zwei oder drei Stunden später, nicht mehr den
Bauch vollzuschlagen. Es gab sogar eine Zeit, in der ich Abends gar nichts
gegessen habe. Das schaffe ich im Moment leider nicht. Ich wäre stolz,
wenn ich es wieder schaffen würde oder wenn ich es wenigstens schaffen
würde, das Abendessen etwas bescheidener ausfallen zu lassen. Man
bedenke, dass die Mönche in den hinduistischen und buddhistischen
Klöstern nur einmal an Tag etwas essen. Ich wünschte mir, ich besäße auch
solch eine Disziplin. Gerade durch diesen Abschnitt ist mir so richtig klar
geworden, wie sehr die Ernährung und das sexuelle Begehren zusammen
hängen und dass man beides sehr bewusst behandeln sollte.
Unter den Wüstenvätern, war die teuflische Lust der größte Feind, und die
Askese147, insbesondere der Nahrungsentzug, kombiniert mit dem
Schlafentzug, die mächtigste Waffe gegen die Lust. Die Verführung durch
weibliche erotische Visionen war nicht die einzige Versuchung durch die
sexuelle Sünde. Die Masturbation (Selbstbefriedigung) und die feuchten
Träume (Pollutionen) waren offensichtlich ebenso verführerisch. Darum
warnte ein Wüstenvater, dass die Mönche die Gesetze der Natur
transzendentieren sollten, indem sie das Fleisch (die Fleischeslust) abtöten,
um dadurch nicht zu viel Sperma anzusammeln. Der Trick was
ausgedehntes Fasten. Andernfalls meldeten sich die erotischen Impulse.
Aber nicht jeder betrachtete die feuchten Träume als Sünde. Einige Denker
sagten, dass sie sich auch unbewusst einstellten, selbst dass man keinen
erotischen Träumen nachhing. Sie betrachteten sie daher als natürlich.
147
Es hört sich fast grausam an, wenn man von der Askese, vom Zölibat,
vom Nahrungsentzug und vom Schlafentzug liest. Man sollte allerdings
bedenken, dass das Resultat dieser Askese eine Seligkeit ist, die einfach
wunderbar ist. Jeder, der diese Seligkeit, die nicht endet, wenn man nicht
gegen die (monastischen) Prinzipien verstösst, einmal kennengelernt hat, ist
bestimmt bereit, einiges dafür zu tun. Die Frage ist allerdings, ob man in der
heutigen Zeit unbedingt den Wüstenvätern in dieser extremen Form
nacheifern sollte. Schliesslich haben wir in der westlichen Welt kein
Problem, uns ausreichend und gesund zu ernähren. (Allerdings gibt es zur
Zeit, im Jahre 2008, in einigen Teilen der Welt Hungerrevolten, so z.B. in
Ägypten, Haiti, Peru, Honduras, Argentinien, Indien, Indonesien und in
einigen Staaten Afrikas.)
Sowohl die Asketen, wie auch die Mediziner glauben, Spermien sind die
Folge einer Fülle an Nahrungsmitteln. Das Gegenmittel ist das Fasten oder
das Austrocknen des Körpers. Je trockener der Körper, desto besser ist es
für die Seele. Trockene Lebensmittel sind Linsen, gesalzene Oliven, Feigen,
Weintrauben und Pflaumen, Gesalzenes und Gegrilltes (Man legt Fisch oder
Fleisch für einen Tag in Salz ein, um es anschliessend zu grillen.),
gesalzener Fisch, Salzwasser und Essig, Porree und geröstete Kichererbsen.
Mahlzeiten sollten roh und kalt sein, um der körperlichen Hitze
entgegenzuwirken, da die körperliche Wärme zur Sinnlichkeit führt. Ein
Zuviel an Flüssigkeit ist auch ein Problem, denn es führt zum Anschwellen
der Blase und stimuliert die anderen Organe. Darum ist weniger Flüssigkeit
besser.
Es geschah manchmal, indem man das Fleisch und die sinnlichen Instinkte
bändigte, indem man fastete, betete, aß, indem man sich des Schlafes
enthielt, dass die Wüstenväter Zusammenbrüche erfuhren, die als Adiaphora
bekannt sind. Dann entflohen sie ihren winzigen Zellen und vagabundierten
durch die Wüste, buddelten nach Kräutern, kauten, saugten und
verschlangen sie, um den ewigen Qualen des Hungers, der unerbittlichen
Plackerei und der Monotonie ihres einsamen Lebens, zu entfliehen. Dieser
Zustand der Adiaphora beunruhigte die Väter in der Tat mehr als die Erotik,
selbst wenn sie die sexuellen Verfehlungen, die sie manchmal heimsuchten,
nicht verhindern konnten.
Als dann das Wüstenabenteuer des Antonius gelang, gab es kein Halten
mehr. Viele begüterte Männer zogen in die Wüste, um dort "die Lasten des
Lebens abzulegen." Die steuerzahlende Klasse der ägyptischen Kurialen
ging also in großer Zahl in die Wüste. Dort wurde keiner vom
Steuereintreiber geplagt. Als Folge davon drohte in der ägyptischen Kolonie
das römische Steuersystem zusammenzubrechen. Die besten Steuereinzahler
wurden Einsiedler und konnten fiskalisch (steuerrechtlich) nicht mehr
erfasst werden. Als das ägyptische Steuersystem und die ägyptischen
Legionen zu kollabieren drohten, entschloss sich der römische Kaiser
Flavius Valens (328 - 378 n.Chr.) einzugreifen.
Quelle: Hans Conrad Zander - Als die Religion noch nicht langweilig war
Einige Wüstenväter taten mehr als nur fantasieren. Eine junge Frau wurde
von mehreren Wüstenvätern am Flussufer im Schilf verführt, als sie einer
gemeinsamen psychotischen Störung erlagen und sich entschieden, Sex zu
haben. Ein anderer alter und kränkelnder Wüstenvater verließ seine
Kollegen und ersparte ihnen die Last seiner Pflege. Sie warnten ihn vor der
Versuchung, aber er versicherte ihnen, dass er keine sexuellen Begierden
mehr habe. Im Dorf, in dem er dann war, belebte sich die Begierde
allerdings wieder und er schwängerte die Tocher seiner freundlichen
Gastgeber. Später gab sie ihm ihr Baby, damit er sich in der Wüste darum
kümmern konnte.
In der Tat verfielen viele Väter verfügbaren Frauen, so dass sie leicht zu
Sündenböcken unerwünschter Schwangerschaften wurden. Solche
Anschuldigungen, die manchmal falsch, manchmal richtig waren, waren so
verbreitet, dass die Wüstenväter den Handel mit den bäuerlichen Arbeitern
stoppten, deren Frauen sowohl Verführerinnen als auch Opfer von
Verführungen waren.
Die Lust war ein miserabler Begleiter und ein schlimmer Feind. Pachon, ein
alter Mönch, vertraute einem Neuankömmling an, dass vierzig Jahre in der
Wüste ihn nicht geheilt haben und dass es im Alter zwischen fünfzig und
siebzig Jahren nicht eine einzige Nacht gab, in der er nicht ohne lüsterne
Gedanken gewesen sei149. Ein anderer alter Mann gab zu, dass er dieselbe
innere Revolte und denselben Drang auch am Tage empfinde.
149
Ich denke, solch ein Empfinden kann eigentlich nur eintreten, wenn man
sich innerlich niemals richtig von der Sexualität abgewandt hat und sich
immer wieder von ihr überrumpeln lässt. Jeder, der versucht, enthaltsam zu
leben, kennt diese Momente sicherlich aus eigener Erfahrung. In solchen
Fällen hilft nur, dass man sich sofort, in dem Moment, wo man von der
Versuchung bedrängt wird, sich von ihr abwendet und ihr aus dem Weg
geht.
Die meisten Väter aber ertrugen die Qualen der sinnlichen Gedanken und
Sehnsüchte und widerstanden ihnen, selbst wenn es dabei zu
Selbstverstümmelungen und Selbstkasteiungen kam. Einige unternahmen
dabei außerordentliche Bemühungen um die Keuschheit zu bewahren.
Ammonius 150 versengte sein Fleisch mit einem flammenroten Eisen um
seine sinnlichen Begierden zu vertreiben. Der alte Pachon 151 hielt es in einer
Hyänen-Höhle aus und erwartete den Tod und hielt eine giftige Natter
(Schlange) an seine Genitalien. Euagrius 152, der sich in eine adlige Frau
verliebt hatte, fror seine sinnlichen Wünsche ein, indem er in einen eisigen
Brunnen tauchte. Ein Vater, der von der Erinnerung an eine wunderschöne
Frau besessen war, entwickelte eine grauenhafte Vorsichtsmaßnahme um
der Lust vorzubeugen. Nachdem ihm jemand mitteilte, dass die Frau
gestorben war, suchte er ihre Leiche auf und tauchte seinen Umhang in ihr
faulendes Fleisch. Diesen Umhang bewahrte er sorgfältig auf, so dass sein
Gestank seine Fixierung auf ihre Schönheit zunichte machte. Er starb im
Alter von vierundfünfzig und war drei Jahre lustfrei.
150
Auch folgendes Wunderbare wird von Ammonius erzählt: Regte sich die
Fleischeslust, so gab er seinem Leibe keine Schonung und legte glühendes
Eisen auf seine Glieder, so daß er mit Brandwunden ganz bedeckt wurde.
Von Jugend auf bis an sein Ende genoß er Ungekochtes; außer Brot aß er
nämlich nichts, das am Feuer zubereitet war. Altes und Neues Testament
wußte dieser Mann auswendig und beschäftigte sich mit so großem Eifer mit
den Schriften der gelehrten Männer Origenes, Didymus, Piërius und
Stephanus, daß er nach dem Zeugnisse der Wüstenväter sechs Millionen
Zeilen las. Auch verstand er wie kein zweiter, den Brüdern in der Wüste
Trost zu spenden. Der selige Euagnus, ein Mann des Geistes, der die Gabe
der Unterscheidung besaß, rühmte von ihm: "Ich habe niemals einen
Menschen gesehen, in dem jede Leidenschaft so gänzlich erstorben war."
Quelle: Ammonius
151
"Zwölf Jahre, von meinem fünfzigsten ab, quälte mich der Teufel jede
Nacht. So kam ich zu dem Schlusse, Gott habe mich verlassen; darum habe
Satan solche Macht über mich; und ich wollte lieber elendiglich zugrunde
gehen als ein schändliches Dasein führen in Sinnlichkeit. Ich ging hinaus
und wanderte durch die Wüste, bis ich eine Hyänenhöhle fand. Ich legte
mich bei Tage nackt hinein, damit die Tiere mich fressen, sobald sie
herausgingen. Nun kam der Abend, wie geschrieben steht: "Du führest
Finsternis herauf; da wird es Nacht; da schleichen umher alle Tiere des
Waldes". Jetzt traten die beiden Bestien hervor und berochen und beleckten
mich vom Kopfe bis zu den Füßen. Aber als ich schon erwartete, sie würden
mich zerreißen, gingen sie weg. Die ganze Nacht hindurch lag ich dort, doch
sie fraßen mich nicht. Ich erkannte daraus, daß Gott mich verschonen wollte
und kehrte deshalb in meine Zelle zurück. Nun blieb mir der Teufel einige
daran war, Gott zu lästern. Er nahm die Gestalt eines äthiopischen
Mädchens an, das ich in jungen Jahren zur Sommerszeit Ähren sammeln
sah, setzte sich mir auf den Schoß und erregte mich so, daß ich Unzucht mit
ihr zu treiben glaubte. Da kam ich zur Besinnung und gab ihr eine Ohrfeige,
vorauf sie verschwand. Die Folge war, daß ich zwei Jahre lang den üblen
Geruch meiner Hand nicht ertragen konnte. Ich irrte nun kleinmütig und
verzagt durch die Wüste. Nun fand ich eine kleine Schlange. Diese nahm ich
und hielt sie mir an die Zeugeglieder, um an dem Bisse zu sterben. So sehr
ich aber den Kopf des Tieres an die Scham drückte, biß es mich keineswegs.
Da vernahm ich eine Stimme, die zu mir in meinem Innern sprach: "Geh'
deines Weges, Pachon, und kämpfe! Nur deshalb ließ ich so heftige
Drangsal über dich kommen, damit du nicht hochmütig würdest, als
vermöchtest du etwas aus eigener Kraft; du sollst vielmehr, deiner
Schwäche bewußt, nicht deinem eigenen Wandel vertrauen, sondern Gottes
Beistand suchen." Ich kehrte zurück voll Zuversicht, setzte mutig meine
Lebensweise fort, kümmerte mich um keine Versuchung und lebte die
Folgezeit friedlich dahin. Der Teufel wußte ja, wie wenig Achtung ich vor
ihm besaß und ließ mich unbehelligt."
Quelle: Pachon
152
Euagrius lebte vierzehn Jahre lang in den sogenannten Zellen, aß täglich
ein Pfund Brot und begnügte sich drei Monate mit einem Sester (1 Sester =
542 Milliliter = etwa 1/2 Liter) Öl, obgleich er an Überfluß und weiche
Bequemlichkeit gewöhnt war. Jeden Tag sprach er hundert Gebete und
verdiente jedes Jahr genau soviel mit Schreiben, daß er seine Nahrung
bestreiten konnte. Denn seine Handschrift war schön und gewandt.
Nachdem er fünfzehn Jahre das Herz von allem Irdischen gänzlich gereinigt
hatte, ward ihm verliehen die Gabe der Weisheit, Erkenntnis und
Unterscheidung der Geister. Nun schrieb er drei Bücher: "Vom Priester",
"Vom Mönch" und "Antworten" genannt, worin er darlegt, wie man die
Teufel bekämpfen soll. Er wurde vom Teufel der Unzucht entsetzlich
geplagt; so hat er uns selbst erzählt. Im Winter stand er ganze Nächte lang
im Brunnen, so daß sein Leib erstarrte. Zu anderen Zeiten ward er vom
Lästergeiste gequält; da blieb er vierzig Tage lang unter freiem Himmel,
weshalb er mit eitrigem Ausschlag bedeckt wurde wie ein unvernünftiges
Tier.
Euagrius sagte: "Seit ich die Wüste betrat, genoß ich weder Lattich noch
andere grüne Kräuter, weder Obst noch Weintrauben noch Fleisch und
niemals nahm ich ein Bad." Während der beiden letzten Lebensjahre zwang
ihn ein Magenleiden, gekochte Speisen zu genießen, nachdem er sich deren
über fünfzehn Jahre lang enthalten hatte; doch aß er kein Brot, sondern nur
Kräuter oder Gerste oder Bohnen. Nachdem er an Epiphanie (an einer
Erscheinung einer Gottheit) in der Kirche an den Geheimnissen
teilgenommen hatte, starb er. Kurz vor seinem Tode hat er uns mitgeteilt:
"Nun ist es das dritte Jahr, daß mich keine fleischliche Begierde mehr quält"
- nach einem so langen Leben voll Mühsal, Leiden und unablässigem Gebet.
Quelle: Euagrios
Allgemeine Regeln sind bestimmt etwas hilfreicher: tue nichts, was das Bild
einer Frau in dir hervorruft, vermeide auch Schriften, die sie erwähnen; halte
vollkommene Stille und sprich nicht über und mit Frauen. Schaue den
Menschen nicht in die Augen (schaue auf den Boden), so dass du nicht
bemerkst, wenn eine Frau an dir vorbeigegangen ist 153. Ein Mönch der die
Strassenseite wechselte, als Nonnen an ihm vorüber gingen, wurde von der
Äbtin belehrt: "Wenn du ein perfekter Mönch wärst, dann hättest du nicht
nach uns geschaut. Dann hättest du nicht gesehen, dass wir Frauen sind."
153
Wir sollten daran denken, dass dies Regeln sind, die für Mönche
bestimmt sind. Helfen sie aber wirklich? Es sollte ja eigentlich nicht darum
gehen, die Frauen aus dem Bewusstsein zu löschen. Schliesslich sind Frauen
genau so herrliche und liebenswürdige Menschen wie Männer. Man sollte
zu Frauen genauso respektvoll, freundlich und zuvorkommend sein, wie
man sich gegenüber Männern verhält. Außerdem wird es nicht gelingen, sie
aus dem Gedächtnis zu löschen. Sollte es nicht vielmehr darum gehen,
Frauen als ganz normale Menschen zu betrachten und nicht als sexuelle
Wesen, die man begehrt, wie es in der Gesellschaft allgemein üblich ist.
Man sollte natürlich alles vermeiden, was die sinnlichen Begierden wecken
könnte. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich keine erotischen
Bilder oder Filme anzuschauen. Aber es kann auch einmal sinnvoll sein, den
Blick lieber auf den Boden zu richten, als sich von der erotischen
Ausstrahlung einer Frau verführen zu lassen. Es spricht aber nichts dagegen,
sich am Anblick einer hübschen Frau zu erfreuen, wenn kein erotischer
Gedanke dabei im Hinterkopf ist. Jeder der sich zur Enthaltsamkeit
erschlossen hat, muss selber herausfinden, wie er damit umgeht.
Aber es gibt natürlich, wie wir bereits gesehen haben, auch Menschen, die
große Schwierigkeiten haben, sich von ihren erotischen Wünschen,
Träumen und Fantasien zu lösen. Bei diesen Menschen sind vielleicht sogar
etwas drastischere Methoden erfolgreicher, um sich von seinen sinnlichen
Begierden zu lösen. Buddha gab seinen Mönchen im Palikanon, in der
Digha Nikaya (Die längere Sammlung), folgenden Rat: "Ferner betrachtet
der Mönch diesen Körper von der Sohle bis zum Scheitel, den
hautüberzogenen und mit vielerlei Unrat angefüllten. Dieser Körper hat
Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen,
Knochenmark, Eingeweide, Weichteile, Nieren, Herz, Leber, Zwerchfell,
Innenhaut, Milz, Lunge, Darm, Gekröse, Magen, Kot, Galle, Schleim, Eiter,
Blut, Schweiß, Lymphe, Fett, Tränen, Hautschmiere, Speichel, Rotz,
Gelenkschmiere und Urin".
Für die Mönche, denen es sehr schwer fiel, sich von ihren libidinösen
Impulsen zu lösen, stellte Buddha folgende Leichenbetrachtungen an:
"Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf der Leichenstätte liegen, ein,
zwei oder drei Tage tot, aufgedunsen, verfärbt, mit Eiter bedeckt, schließt er
auf seinen eigenen Körper: Auch dieser Körper ist so beschaffen, wird so
werden, kann dem nicht entgehen.
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf dem Leichenfelde liegen, wie sie
von Krähen, Habichten und Geiern zerfleischt, von Hunden und Schakalen
zerfressen und von vielerlei Gewürm zernagt wird, schließt er auf seinen
eigenen Körper: Auch dieser Körper ist so beschaffen, wird so werden, kann
dem nicht entgehen.
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf dem Leichenfelde liegen, ein
Knochengerippe, noch mit Fleisch und Blut bedeckt, und von den Sehnen
zusammengehalten, ein Knochengerippe, fleischentblößt, mit Blut
beschmiert, von den Sehnen zusammengehalten, ein Knochengerippe ohne
Fleisch und Blut, von den Sehnen zusammengehalten, unverbundene
Knochen, da und dort verstreut, da ein Handknochen, da ein Fussknochen,
da ein Schienbein, da ein Schenkelknochen, da die Wirbelknochen, da der
Schädel, gleichsam als sähe er dies, schließt er auf seinen eigenen Körper:
Auch dieser Körper ist so beschaffen, wird so werden, kann dem nicht
entgehen. So betrachtet er den eigenen Körper, betrachtet er den fremden
Körper, betrachtet er beiderlei Körper.
Frauen waren allerdings ein seltenes Gut in der Wüste. Jungen dagegen gab
es viel häufiger und viele der Väter erlagen ihrem Charm, so dass viele der
Sprüche, die väterlichen gesammelten Weisheiten, sich gegen ein
Zusammenleben mit Kindern aussprachen. Aber einige Söhne kamen mit
ihren Vätern, während andere ihnen als Jugendliche anvertraut wurden.
"Wenn du kleine Kinder siehst, dann nimm dein Schafsfell und geh davon,"
riet ein weiser Vater. Ein anderer sagte: "Bringe keine Jungen hier her. Vier
Kirchen sind deshalb wegen der Jungen menschenleer."
Die naheliegenste Quelle der Versuchung war jeder andere Wüstenvater. Sie
versuchten dem so gut wie es geht durch ihren abgeschiedenen Lebensstil zu
widerstehen. Einige gaben ihre Neigungen auf und sahen sie als eine
Verfehlung an, egal ob sie homosexuell oder andersweitig (z.B. pädophil)
orientiert waren. Sie bereuten, suchten Rat bei anderen, älteren Anachoreten
(Eremiten), und erneuerten ihre Bemühungen um ein perfektes Leben.
Die logische Entwicklung in den sechs Phasen des Zölibats, ist ein Maß
dafür, wie die Wüstenväter sich ihrer Berufung näherten. Es stand deutlich
im Gegensatz zu Constantina, Maria von Ägypten, Helia und Legionen
realer Frauen, die ihnen nacheiferten, für die das Zölibat aber leichter zu
ertragen und aufrechtzuerhalten war. Im Gegensatz zu den Männern richtete
sich ihr Kampf nicht so sehr gegen den Körper. Körperlich fühlten sie sich
eigentlich recht behaglich. Der Kampf um den Sex beschäftigte die Frauen
nicht so sehr, wie die meisten männlichen Zölibatäre. Ihr Kampf richtete
sich stattdessen gegen den enormen sozialen und familiären Druck und
gegen den Hunger. Der Körper der Wüstenväter, insbesondere ihre Lenden,
waren ihre schlimmsten Feinde, größer und heimtückischer als die hungrige
Wüste. Sexuelle Wünsche waren eine direkte, unmittelbare Sache. Mit den
sechs Phasen des Zölibats, die von Cassianus aufgestellt wurden, hatte man
einen Maßstab, mit dem man den seelischen Zustand der Wüstenväter
ermitteln konnte.
Die spirituelle Suche mit der Betonung des Körpers, wandelte die
urgewaltige Wüste in einen Generator den der irische Historiker Peter
Brown als eine neue Kultur bezeichnet, eine Ablehnung der städtischen
Intellektualität, die sich auf die Schriften konzentrierte, die die genaue
Bedeutung und den Sinn eines jeden Wortes, jede Wendung einer Phrase,
abwog. Die Wüstenväter veränderten die Perspektive, so dass die Bewegung
der Herzen und des Teufels unendlich subtile Taktiken und Gaunerein sie zu
manipulieren, in den Vordergrund rückte. Es wurde nach den Worten
Brown's zurecht als die eigenartigste Leistung der alten Männer aus
Ägypten gefeiert. Es belief sich auf nichts geringeres, als die Entdeckung
eines neuen Alphabets der Herzen.
Simeon war der Sohn eines syrischen Schäfers, der ohne irgendeine
Schulbildung zu erhalten, die Schafe seiner Eltern hütete. Bereits als Kind
ging er in die Kirche, wo er zum christlichen Glauben konvertierte. Er hatte
eine Vision, die ihn zum religiösen Leben aufrief. Um 403 n.Chr. trat er in
das Kloster Eusebona bei Teleda ein. Aber die strengen Regeln des Klosters
befriedigten ihn nicht. Simeon war ein gutmütiger, ausdauernder Mann,
dessen Bescheidenheit in dem Ehrgeiz bestand, der asketischte von allen zu
sein. Seine drastische Askese tötete ihn fast. Aber genau dieses Ergebnis
hatte er beabsichtigt. Er wickelte ein Seil um seinen ganzen Körper. Dies
gab ihm das Gefühl, einer eingewickelten Leiche. Irgendwie schaffte er es,
das Seil so straff zu ziehen, dass sein Fleisch verfaulte und Würmer wie bei
einem riesigem Festessen an ihm hochkrochen. Während die Würmer ihn
lebend fraßen, frohlockte Simeon innerlich, denn er beabsichtigte an diesem
Martyrium zu sterben. Aber vermutlich schritten die anderen Mönche ein.
Sie befreiten ihn und reinigten seine Wunden. Nach diesem Vorfall forderte
der Abt und die Mönchsgemeinschaft ihn im Februar 412 wegen seiner
exessiven Askese auf, das Kloster zu verlassen. Bei bautz.de ist weiter zu
lesen, dass Simeon sich in den neun Jahren, die er sich in dem Kloster
aufhielt, zwei Jahre hindurch eingraben ließ und sich durch andauerndes
Stehen dem Schlaf entzog.
Simeon verließ das Kloster, aber er ging nicht weit. Er baute eine kleine,
kuppelförmige Hütte auf einem nahen Hügel, wo er fast drei Jahre blieb. Er
hauste zwar in einer Zelle, ließ sich aber während der 40 Tage der Fastenzeit
einmauern.
In Hans Conrad Zander's Buch "Als die Religion noch nicht langweilig war"
liest sich der Klosteraufenthalt des syrischen Rebellen Simeon wie folgt:
Im Kloster von Teleda, hoch in den Bergen Syriens, herrschte im Jahr 412
n.Chr. christliche Harmonie. Das war der Verdienst des Abtes Heliodoros.
"Heliodoros den Wundervollen" nannten sie ihn. Wundervoll vor allem
deshalb, weil er, ganz im Sinne des heiligen Pachomius, einem ägyptischen
Abt, der um 320 n.Chr. in Tabennisi beim heutigen Dandara, einem
oberägyptischer Ort unterhalb von Qina, am rechten Nilufer, ein
"Monasterium" aus neun Männer- und zwei Frauenklöstern gegründet hatte.
Schon im frühen formbaren Alter von drei Jahren ist Heliodoros Mönch
geworden. So heilig ist der wundervolle Heliodorus im Kloster von Teleda
geworden, dass er einmal einen Gast fragte, was eigentlich ein Schwein sei.
Er hörte gelegentlich von einem Wesen reden, das so hieße. Aber er könne
sich dieses Wesen nicht vorstellen, denn im Kloster von Teleda gebe es so
etwas nicht, und über die Klostermauern hinaus habe er seit dem Alter von
drei Jahren niemals mehr hinausgeschaut.
Waren aber wirklich alle gleich heilig im Kloster von Teleda? Lange bevor
einer es ausspricht, spüren in heiligen, oder wie wir es heute sagen würden,
in politisch korrekten Gemeinschaften, alle ein gleiches Missbehagen. So
auch im Kloster von Teleda. Noch sprach keiner es aus, doch alle spürten es:
"Mit Bruder Simeon stimmt etwas nicht."
Nicht zufällig hatte der lateinische Westen das Wort "Asket" inzwischen mit
"athleta Domini": "Spitzensportler Gottes" übersetzt. Was ist ein
Spitzensportler ohne Wettbewerb?
Der Eklat kam zur 40 Tage andauernden Fastenzeit vor Ostern. Dann aß der
wundervolle Abt Heliodorus nur alle zwei Tage etwas. Die anderen achtzig
Mönche genauso. Doch am Ende der ersten Fastenwoche kamen sie alle
aufgeregt zu Abt Heliodorus gelaufen: "Seit sieben Tagen schon ißt Bruder
Simeon überhaupt nicht mehr".
Abt Heliodorus hielt Bruder Simeon eine Strafpredigt, die nach Bischof
Theodorets Ermittlungen, um den Begriff "hyper dynamin" kreiste. Wer das
mit "hyperdynamisch" übersetzt, geht nicht ganz fehl. Eine Gemeinschaft,
so Abt Heliodorus, sei nur dann heilig, wenn alle gleich heilig seien. Das
aber setze voraus, dass alle gleich denken und handeln. Dass vor allem
keiner etwas tue, was "hyper dynamin", über die Kraft der anderen gehe.
Simeons hyperdynamisches Fasten sei, so Abt Heliodorus,
gemeinschaftsschädigend und somit eine "ataxia", eine schwere sündhafte
Unordnung.
Im Aufstellen von Regeln war der Syrer Heliodorus so streng wie der
Ägypter Pachomius. Im Strafen dagegen war er langmütig. Immer wieder
hat er Simeon väterlich ermahnt. Seine Geduld schien noch gar nicht
erschöpft, als etwas Grausiges geschah. Ein Bruder hatte es erspäht: An
Simeons Rock rann Blut herunter. Ein schmaler aber stetiger Rinnsal Blut.
Unverzüglich alarmierte er den Abt. Der ließ Bruder Simeon packen. Vor
aller Augen befahl er ihm, den Rock auszuziehen. Simeon weigerte sich. Da
befahl der Abt den umstehenden Brüdern, den Widerspenstigen mit Gewalt
auszuziehen.
Über achtzig Lippen ging ein Murmeln des Entsetzens: Rings um die
Lenden hatte Simeon sich selber heimlich einen Gürtel geflochten. Einen
Asketengürtel aus messerscharf schneidenden Palmblättern. Die geringste
Bewegung musste höllische Schmerzen bereiten. Aus den Schwären (den
Wunden) tropfte das Blut. Auf der Stelle befahl Abt Heliodorus Bruder
Simeon, das unerlaubte, unvernünftige Marterwerkzeug abzulegen. Wieder
schüttelte Simeon den Kopf: "Ich empfinde keinerlei Schmerz."
Seufzend gab der Abt die Anweisung, Bruder Simeon Hemd und Rock
wieder überzustülpen. Dann geleitete er den Unbelehrbaren zur
Klosterpforte. Mit einem stummen Lächeln, das mehr besagte als Worte:
"Auf Wiedersehen, Bruder Simeon, und alles Gute draußen im Leben!" Der
Rest war Routine. Alle wussten es im Kloster von Teleda: Keine zwei, drei
Tage würden vergehen, auf der Schwelle zur Klosterpforte würde, in sich
zusammengekrümmt, in Tränen aufgelöst, ein reumütiges Häuflein Elend
liegen.
Und er ward Abend und Morgen, der erste Tag. Und es ward Abend und
Morgen der zweite Tag. Und es ward Abend und Morgen, der dritte Tag.
Und es ward Abend und Morgen, der vierte Tag. Als es aber Abend und
Morgen, des fünften Tages wurde, da ließ Abt Heliodorus sich eine Leiter
bringen. Zum ersten Mal seit dem Alter von drei Jahren warf er einen Blick
über die Klostermauer. Doch soweit er seine wundervollen Augen
schweifen ließ, Heliodorus sah kein Schwein.
In diesem Moment verlor der Abt die Nerven. Über alle Weiden von Teleda
schickte er, Matthäus 18,12154 , seine achtzig Mönche auf die Suche nach
dem einen verlorenen Schaf. Schafhirte war Simeon selber gewesen, bevor
er, mit dreizehn Jahren ins Kloster eintrat. Schafhirten waren es jetzt, die
den verstörten Mönchen von Teleda die Spur zu ihrem verstoßenen Bruder
wiesen. Noch bevor sie etwas sehen konnten, hörten ihn die Brüder singen.
154
Matthäus 18,12: Das Gleichnis vom verloren Schaf: "Was meint ihr?
Wenn jemand hundert Schafe hat und eines von ihnen verirrt sich, lässt er
dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurück und sucht das
verirrte?
Wie Barlach sie gemalt hätte, so beschreibt Bischof Theodoret die Szene:
Singend saß Simeon, der verstoßene Klosterbruder, unten in einem
ausgetrockneten Brunnen. Singend und jauchend: "Kommet herzu, laßt uns
den Herrn frohlocken!" (Psalm 95,1) Und wie meistens wenn einer singt,
war, rings um den Brunnenrand, das Hirtenvolk in spendenhafter Laune.
Nichts fehlte dem Verstoßenen. Bruder Simeon jauchzte.
Als Simeon, der Unverbesserliche, wenige Tage später, das Kloster von
Teleda zum zweiten Mal verließ, war alles anders. Im Morgengrauen,
unbemerkt, wir würden heute sagen, "im gegenseitigen Einverständnis", tat
der Syrer mit 23 Jahren den endgültigen Schritt hinaus. Hinaus in ein Leben
als deregulierter Mönch, als "monachus" wieder im echten, ursprünglichen
Sinn. Als religiöser Einzelgänger wie Antonius.
Aus dem Kloster von Teleda zog er die Hügel hinauf bis zu einem Berg, an
dessen Fuß das Dorf Telneschin liegt. Dem Dorfe nahe, doch etwas
außerhalb, wie Antonius in seinen Anfängen, baute sich Simeon, so schreibt
Bischof Theodoret, ein winziges Häuslein. Aus Lehm war diese
selbstgebastelte Mikrozelle. Hinten mit einem verriegeltem Türchen, vorne
mit einer kleinen schneckenförmig gewundenen Durchreiche.
Schneckenförmig deshalb, damit Verehrer ihn versorgen, Gaffer ihn aber
nicht sehen konnten. Eine kleine Traufe in der Mauer diente menschlicher
Entsorgung. Um den Asketen Simeon wurde es drei Jahre lang sehr still.
Aus dem Dunkel des Gehäuses kam, nach kurzen Schweigen, eine
verblüffend demütige Antwort: "Aber Vater, legt mir doch, bevor ihr mich
zumauert, zehn Brote in die Zelle und stellt einen Krug Wasser dazu. Wenn
ich dann merke, dass der Körper es nötig hat, werde ich davon nehmen."
Die Säule war zunächst nur 3 Meter hoch, wurde aber mit Hilfe kaiserlicher
Bauleute bis auf etwa 20 Meter erhöht. So konnte ihm niemand mehr
wundertätige Fäden aus seiner Kutte ziehen. Die Plattform maß 2 x 2 Meter
und hatte eine Umzäunung. Simeon lebte in beständigem Gebet, das von
rhythmischem Niederfallen auf Knie und Stirn begleitet war. Theodoret von
Kyros hat sage und schreibe 1.244 solche Proskynesen (Proskynese =
Anbetung, Ehrerbietung, Unterwerfung, sich jemandem zu Füssen werfen)
gezählt, dann aber das Zählen aufgegeben.
Theodoret von Kyros, von dem bereits berichtet wurde, der ganz in der
Nähe Bischof war, berichtet vom Fasten des lebenden Heiligen: "Von dieser
Zeit an bis heute, 28 Jahre sind seitdem verstrichen, verbringt er das
vierzigtägige Fasten ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Zeit und Übung
haben ihm bei seiner Anstrengung sehr geholfen. Die ersten Tage pflegte er
nämlich zu stehen und laut Gottes Lob zu singen. Danach, wenn sein Leib
durch Mangel an Nahrung nicht mehr die Kraft zum Stehen hatte, setzte er
sich nieder und verbrachte so seinen heiligen Dienst. Die letzten Tage lehnte
er sich auch an. Und wenn dann allmählich seine Kraft sich erschöpfte und
erlosch, war er gezwungen, halbtot am Boden zu liegen. Aber als er seinen
Platz auf der Säule eingenommen hatte, wollte er von dort nicht mehr
herabsteigen und dachte sich darum etwas aus, um auf andere Weise
stehenzubleiben. Er brachte einen Balken an der Säule an und band sich
selbst mit Tauen an den Balken fest. So hielt er die vierzig Tage durch.
Später aber, als er mehr Gnadenkräfte von oben empfangen hatte, war er auf
dieses Hilfsmittel nicht mehr angewiesen, und jetzt steht er vierzig Tage
lang. Er braucht keine Nahrungsmittel, sondern schöpft seine Kraft aus
seinem eigenen Willen und aus der Gnade Gottes."
Bereits in den Morgenstunden strömte das Volk aus den Herbergen zum
Gipfel, um staunend zuzusehen. wie sich Simeon auf der Säule vor dem
Allerhöchsten tief verbeugte. Erst zur neunten Stunde aber, das heißt
nachmittags gegen drei, war die Menge vollzählig. Dann hielt Simeon seine
Predigt. Sein Lieblingsthema war das Geld. Syrien, so predigte Simeon der
Säulenheilige, werde aus der Wirtschaftskrise nie herauskommen, wenn sich
nicht in der Geldpolitik etwas Grundsätzliches ändere. Zu diesem Zweck
forderte er, von seiner Säule herab, strenge Strafen für jene, die Geld
besitzen, es aber nicht verleihen. Dabei seien die Zinssätze ohnehin viel zu
hoch, denn sie lagen damals in Syrien bei etwa 12 Prozent. Für beide Seiten
gerecht, so Simeon, wäre dagegen ein Zinssatz von 6 Prozent. Mit
steigender Spannung hörte das Volk zu. Alle wußten: Unmittelbar nach der
Predigt finden die Wunder statt.
Simeon hat unglaubliche Wunder gewirkt. Die gleichen Wunder wie Jesus.
Mit eigenen Augen, bezeugt Bischof Theodoret, habe er diese Wunder
erlebt. Doch scheue er sich, davon zu berichten, "aus Angst, es möchte sonst
mein gesamter Bericht den Späteren als ein Mythos erscheinen, jeglicher
Wahrheit bar."
Hoch auf seiner Säule, für alle sichtbar, war er gewissermaßen der Fernseh-
Heilige der antiken Welt. Doch zugleich war er ein "monachus", ein Mönch
im ursprünglichen Sinn des großen Antonius. Wie Antonius in seiner Höhle
am Roten Meer war Simeon auf der zwanzig Meter hohen Säule einsam und
allein mit Gott.
Simeon's Anhänger mussten männlich sein, denn er lehnte Frauen, trotz des
zwanzig-Meter-Puffers, in der Versammlung rund um seine Säule ab. Er
weigerte sich sogar, seine eigene Mutter zu sehen und kommunizierte nur
durch männliche Boten mit Frauen. Dies stand mit der zeitgenössischen
männlichen Herrschaft und mit der asketischen Vorstellung über die Macht
der Lüsternheit, die Eva's Töchter ausüben konnten, im Einklang.Indem er
die Frauen fernhielt, schützte er sich gegen alle Versuchungen. Durch
nächtliche Gebete in luftiger Höhe war Simeons Zölibat garantiert.
Nach den Wundern und der Beratung, am späten Nachmittag, kamen die
Prophezeiungen. Wird es regnen oder nicht? In einem Land wie Syrien ist
das für die Bauern eine Existenzfrage. Simeon, hoch auf seiner Säule,
brauchte nur den Finger in die Luft zu halten, um präzise festzustellen,
woher der Wind wehte. Dürren, Hungersnöte, Heuschreckenschwärme, alles
kündigte er präzis an. "Mir selber", fügte Bischof Theodoret hinzu, "sagte er
voraus, dass ein persönlicher Feind von mir in fünfzehn Tagen tot sein
werde; in der Tat kam er um's Leben. Und so bestätigte sich die Wahrheit
der Prophezeiung."
Die Gespräche mit Simeon mussten geplant werden, denn er hatte einen
festen Zeitplan. Er betete von Sonnenuntergang bis 3 Uhr Nachmittags, um
danach eine geistliche Rede zu halten. Erst dann war er frei, um zuhören, zu
beraten und zu heilen. Er schlichtete in Steuerstreitigkeiten, unterstützte
Zunftarbeiter, Landwirte und Chorknaben, heilte die Kranken, bekehrte die
Heiden zum Christentum und verhütete Heimsuchungen (Hochwasser,
Kriege, Brände, Seuchen, Hungersnöte) und andere Katastrophen. Mit den
Worten seines Hagiographers155 : "Er suchte nach einem gerechten Urteil,
um es den Fragenden mit angemessenen Sätzen hinabzureichen." Als sein
Ansehen sich verbreitete, wurde er ein wichtiger Diplomat. Er trat für die
Armen ein, verhandelte zwischen dem Kaiser und den aufsässigen
Beduinenstämmen und besänftigte kirchliche Streitigkeiten. Während der
Debatten über das Ausmaß und die Art der Jungfräulichkeit Marias, suchten
selbst die Kirchenväter Simeon's keusche Meinung.
155
Die Hagiographie beschreibt das Leben bedeutender Märtyrer, Asketen
und Mönche.
Simeon's extreme und auf den ersten Blick, bizarre Askese, machte auf
Generationen verzweifelter Pilger und religiöse Menschen Eindruck. Es
symbolisierte apostolische Einfachheit, die für alle Zeiten Gültigkeit besaß.
Die wilde und zerzauste, strahlende Seele, die mit ausgestreckten Armen,
wie ein menschliches Kruzifix aufrecht stand (davon soll später etwas
ausführlicher berichtet werden), war die endgültige Lösung in der Sehnsucht
der Herzen, die Gott nahe sein wollten. Der nur wenig gebildete
Schäfersohn Simeon, der mit Kaisern und strafenden Steuereintreibern
korrespondierte, der Dürren verhinderte und zerstrittene Familien versöhnte,
hatte ein hartes Leben für dieses Privileg ertragen. Bildlich, wie auch im
wörtlichen Sinne, schwebte er nahe den keuschen und geheiligten Engeln,
mit denen er sich zu vereinigen sehnte.
Zur Zeit Kaiser Konstantinos II. (641 - 688 n.Chr.), heißt es in der Chronik
des Georgius Hamartolos, zog ein Sturm so wüst über das byzantinische
Reich hinweg, daß Bäume und Einsiedlersäulen in großer Zahl umstürzten.
Einsiedlersäulen wie Bäume? Das Bild legt die Vernunft nahe, dass es im 7.
Jahrhundert wahre Wälder von Säulenheiligen gab.
Wieviele es wirklich waren, ist umstritten. Fest steht, dass Simeon den
Großen eine derartige Aura heroischer Einmaligkeit umgab, daß kein
einziger es wagte, ihn zu seinen Lebzeiten zu kopieren. Nach seinem Tod
allerdings, vermutete der belgische Historiker Hippolyte Deleheye, sei die
Zahl der Nachahmer zur Legion angeschwollen, so daß, etwa vom 5. bis
zum 11. Jahrhundert, der ganze christliche Osten von Säulen übersät war,
auf denen Mönche hausten.
Für diese These spricht die Tatsache, daß in vielen Chroniken nicht nur zu
Zwecken der religiösen Erbauung von Säuleneremiten die Rede ist, sondern
auch im ganz alltäglichem Zusammenhang. Zum Beispiel in den
Wetterberichten. So hören wir im 6. Jahrhundert von einem Säulenheiligen
namens Simeon, einer der vielen, die Simeon heißen wollten, den vier
Meilensteine vor Egea der Blitz erschlagen hat. Vom Hagel erschlagen
wurde dagegen im 9. Jahrhundert ein Säulenheiliger bei Bert-Kardagh in
Mesopotamien. Auch er nicht ohne Grund. Kurz bevor die Wolken des
Himmels sich zusammenballten, heißt es, habe dieser Säulenheilige es
gewagt, den Bischof von Adibene zu verulken.
Erdbeben, Hagel, Blitz und Sturm, alles ist vorgekommen. Nur eines nicht:
Niemals ist, den zeitgenössischen Berichten zufolge, ein Säulenheiliger
einfach so, durch einen Fehltritt, von der Säule gestürzt. Dabei liegt doch die
Vermutung nahe, dass Simeon dem Großen bei seinem vierzigtägigen
absoluten Fasten von Zeit zu Zeit schwindlig wurde. Aber offensichtlich ist
er trotzdem nie von seiner Säule gestürzt.
Doch dann war Markian, wie er auch genannt wurde, von göttlicher Liebe
entbrannt, in die Wüste von Chalkis gezogen. Eine Kette nach der anderen
hatte er sich dort aufgebürdet. Zur Sühne für die allzu vielen Sünden seiner
schönen Jugend immer mehr Ketten. Vierzig Kilogramm Ketten waren es,
in moderne Maße umgerechnet. In Scharen kam das Volk in Markians
Einsiedelei gepilgert, um mit eigenen Augen zu erleben, wie er, der einst so
Edle und Reiche, in Lumpen gehüllt daher kam. Und wie er sich
dahinschleppte, unter seinen vierzig Kilogramm Eisen, niedergedrückt bis
zur Erde. Siehe, da bewunderten ihn alle noch mehr, viel mehr sogar als
damals, als er noch hochgewachsen und schön war.
So groß war die Bewunderung für Markian und seine vierzig Kiligramm
Eisen, daß ihm die Jünger buchstäblich in Ketten nachliefen. Zuerst lief der
heilige Agapitus hinter ihm her, freilich nur, aller asketischer Anfang ist
schwer, mit 25 Kilogramm Ketten. Dann, hinter dem heiligen Agapitus, der
ehrgeizige, vielleicht ganz einfach der stärkste Hüne unter den
Kettenheiligen. Das war der heilige Eusebius. 60 Kilogramm Eisen hatte er
auf dem Buckel.
Es kam der Tag, an dem der hochberühmte Markian seine zeitlichen Ketten
segnete. Schnell waren sich Agapitus und Eusebius einig, die vierzig
Kilogramm Ketten des heiligen Markian lieber unter sich zu teilen, als sie
irgendeinem hergelaufenen Möchtegern-Kettenheiligen zu überlassen.
Somit trug jetzt Agapitus 45 und Eusebius sogar 80 Kilogramm.
In seiner unglaublichen Stärke hat Eusebius den Agapitus überlebt und sich,
selbstverständlich, bevor ein anderer Heiliger zugreifen konnte, auch noch
die Ketten seines Freundes Agapitus über die eigenen geschlungen. Kann
ein Mensch mit 125 Kilogramm Eisen noch aufrecht stehen? Nein. Lebendig
begraben unter einem Berg von Ketten hockte Eusebius, vom erfürchtig
staunenden Volk umringt, tief unten in einer stillgelegten Grube. Es kann
eine Jauchegrube gewesen sein oder eine Zisterne
(Regenwassersammelbecken).
Allgemeines Lob erntete der heilige Thaleläus. Zwanzig Stadien 156 (3 bis 4
Kilometer) von dem lieblichen syrischen Städtchen Gabala (heute:
Dschabala) entfernt, bezog Thaleläus, so berichtete Bischof Theodoret,
einen Hügel, auf dem zuvor ein Dämonenheiligtum (ein heidnischer
Tempel) gestanden hatte, der von den Gottlosen in alten Zeiten durch Opfer
sehr verehrt wurde. Auf diesem Hügel rammte Thaleläus drei hohe
Holzstangen in den Boden. Nach Art eines Zeltgestänges verband er die drei
Stangen am oberen Ende durch feste Querbalken. Frei aufgehängt, und an
einem festen Seil am oberen Ende des Gestänges befestigt, sah der
staunende Theodoret, als er den Hügel erklomm, von ferne eine Art
Vogelbauer hängen. Dieser Freiluftkäfig war aus zwei parallelen Rädern
gezimmert. Rund um die Räder wurden diese durch kurze Bretter
zusammengehalten. Der Käfig war also eine Art waagerecht hängende
Trommel, jedoch mit der Besonderheit, dass zwischen den einzelnen
senkrechten Brettern Zwischenräume waren, durch die Theodoret wie durch
einen Lattenrost in den Käfig hineinlugen konnte.
156
Stadion ist ein antikes griechisches Längenmaß. 1 Stadion sind 600 Fuß.
Es ist regional unterschiedlich zwischen 158,5 und 211 Meter.
Die nächste Stufe der Entwicklung gelang dem heiligen Baradatus. Zuerst
hatte er sich auf einem Felsen hinter seiner Einsiedelei, wie der heilige
Thaleläus, in einer Kiste eingeschlossen. Diese Kiste war aber kein
geschlossenes Gefüge aus Brettern, die Wände waren vielmehr nach Art
eines Lattenzauns gezimmert, mit recht breiten, fensterähnlichen
Zwischenräumen. So bot diese Kiste weder Schutz vor strömenden Regen,
noch Deckung gegen die sengende Hitze. Nachdem er zehn Jahre lang,
ähnlich wie Thaleläus in seinem selbstkonstruierten Vogelkäfig gekauert
hatte, kam Baradatus plötzlich vor den entgeisterten Augen der Bevölkerung
aus seiner Kiste gekrochen. Wollte er weglaufen? Nein. Frei stellte er sich
auf die Felsenspitze. Aufrecht, mit zum Himmel gereckten Armen, blieb
Baradatus reglos stehen.
Die Stasis, der Stillstand, war erfunden, das reglose Gipfelstehen als
vorläufig höchste Form der Askese. Ihrem Erfinder Baradatus scheint sie so
wenig Mühe bereitet zu haben, daß er fähig war, in dieser Position auch
noch als Talkshow-Star zu glänzen. Sein Geist zeichnete sich durch großen
Scharfsinn aus. Treffend sind seine Fragen und Antworten und seine
Schlüsse nicht selten bündiger und zwingender als bei Leuten, welche die
logischen Labyrinthe des Aristoteles studiert haben.
Etwas von der enormen Begeisterung für das Experiment des heiligen
Baradatus klingt in dem Wort "Koryphäe" (Gipfel) nach. Unbewegt auf
seiner "koryphe" (auf seinem Gipfel) stehend, war Baradatus Syriens erste
spirituelle Koryphäe. Auf der Stelle wurde er kopiert. Und zwar von allen.
Nicht nur Inklusen 157 brachen aus ihren Hütten aus, um wie Baradatus, in
freier Luft, hoch über dem Dorf, als "Stationäre" reglos in den Himmel zu
ragen. Auch die Wandermönche, die bisher wild und frei von Gipfel zu
Gipfel geschweift waren, blieben plötzlich, einer nach dem anderen, auf
einem dieser Gipfel reglos stehen.
157
Inklusen sind Menschen, die sich aus religiösen Gründen zu Askese und
Gebet in einer Zelle, einer Höhle oder einem kleinen Haus, einer Klause,
einschließen oder einmauern lassen, beziehungsweise ließen.
Es muß ein eindrucksvolles Bild gewesen sein. Etwa so reglos wie heute
Jesus auf dem Zuckerhut über Rio de Janeiro steht, so standen jetzt auf allen
Gipfeln Syriens lebendige "Stehheilige". Um die Versorgung brauchte sich
kein Stehheiliger Sorgen zu machen. In hellen Scharen kam das Volk
hochgelaufen zu den Gipfeln.
Die ägyptische Wüste war groß genug, um Schutz für ein paar verzweifelte
oder entschlossene Frauen zu schenken, die ebenfalls in der beruhigenden
Stille ihres felsigen Geländes mit Gott kommunizieren wollten. Ebenso wie
die legendäre Maria von Ägypten, die über vierzig Jahre in der Wüste
verbrachte, verbrachten auch einige andere weibliche Eremiten in der
Wüste. (Wenn wir uns auch daran erinnern, dass Hans Conrad Zander
meinte, dass diese Frauen wahrscheinlich nicht in der Wüste selber lebten,
weil es für Frauen in der Wüste einfach zu gefährlich war.) Andere stellten
Beziehungen mit asketischen Klöstern her und lebten in der Nähe in
Lehmhütten, die sie selber im Stile ihrer väterlichen Mitbrüder herstellten.
Die frühen Christen verehrten diese heiligen Frauen, die auf ihre
Weiblichkeit, auf die Liebe und die Kindererziehung verzichteten, die
Männer reizte, die Sünde Adams zu wiederholen. Was zählte, war nicht die
große Aufgeschlossenheit, der Ehrgeiz, die Unabhängigkeit und die
Entschlossenheit dieser Frauen, obwohl sie ohne diese Eigenschaften nicht
in der Wüste überlebt hätten. Der Mangel ihrer Weiblichkeit, die
Schäbigkeit ihrer schmucklosen Gewänder, ihre asketische Magerheit, ihre
Begierdelosigkeit, die das Zölibat ermöglichte, dies, und natürlich ihre
Hingabe an Gott, verehrten die christlichen Väter und Chronisten.
Da ich mehr über das Leben der heiligen Febronia erfahren wollte, suchte
ich im Internet nach Texten über die Märtyrerin. Dabei fand ich folgenden
Text bei oca.org :
Neuigkeiten über ihr frommes Leben breiteten sich in der ganzen Stadt aus.
Die illustre junge Witwe Hieria, eine Heidin, begann sie zu besuchen. Unter
dem Einfluß von Febronias Leitung und dem Gebet akzeptierte Hieria die
heilige Taufe und brachte ihre Eltern und Verwandten zum christlichen
Glauben.
Kaiser Diokletian leitete im Jahr 303 n.Chr. die letzte und brutalste Welle
der römischen Christenverfolgung ein. Er sandte eine Abordnung von
Soldaten unter dem Kommando von Lysimachos, Selinus und Primus nach
Syrien um die Christen zu vernichten. Selinos, der Onkel von Lysimachos,
war bekannt für seine harte Haltung gegen die Christen. Aber Lysimachos
hatte eine etwas andere Auffassung vom Christentum, denn seine Mutter,
die als Christin gestorben war, hatte versucht, ihn für das Christentum zu
begeistern. Lysimachos hatte mit seinem Verwandten Primus diskutiert, wie
es möglich ist, die Christen vor den Händen der Folterer zu bewahren. Als
sich die Abordnung der Soldaten dem Kloster näherte, versteckten sich
deren Insassen. Nur die Äbtissin Bryaena, ihre Helferin Thomais und die
heilige Febronia, die zu der Zeit schwer krank war, blieben im Kloster.
Die Äbtissin war sehr besorgt, dass ihre Nichte in die Hände der
Folterknechte fallen könnte, die sie entehren könnten. Sie betete inbrünstig,
dass der Herr Febronia vor den Folterknechten bewahren und sie in dem
Bekenntnis Christi, des Erlösers, bestärken möge. Selinus gab den Auftrag,
ihm alle Nonnen des Klosters zu bringen. Primus kam mit einer Abordnung
Soldaten in das Kloster. Dort fand er aber, bis auf zwei alte Frauen und die
heilige Febronia, niemanden. Er bedauerte, dass sie sich nicht versteckt
hatten und schlug den Nonnen vor, dass sie fliehen sollten. Aber die Nonnen
entschieden sich, das Kloster nicht zu verlassen und sie vertrauten sich dem
Willen des Herrn an.
Sie schlugen die Märtyrerin eine lange Zeit und das Blut floß aus ihren
Wunden. Um die Leiden der Heiligen Febronia zu intensivieren, banden sie
sie an einen Baum und zündeten darunter ein Feuer an. Die Folterungen
waren so unmenschlich, dass die Menschen begannen, ein Ende der Folter
zu fordern, da es kein Schuldbekenntnis von Febronia gab. Selinus aber
verhöhnte und verspottete Febronia und setzte das Martyrium weiter fort.
Febronia aber schwieg. Aufgrund ihrer Schwäche war sie nicht in der Lage,
ein Wort zu sagen. In seiner Wut gab Selinus den Befehl, ihr die Zunge
herauszureißen, ihre Zähne zu zertrümmern und ließ ihr schließlich beide
Hände und Füße abschlagen. Die Menschen waren nicht in der Lage, solch
ein schreckliches Spektakel zu ertragen. Sie verließen die Szene der Folter
und verfluchten Kaiser Diokletian und seine Götter.
Unter der Menschenmenge war auch die Nonne Thomais, die später von
dem Martyrium der heiligen Febronia im Detail berichtete und Febronias
Schülerin Hieria. Sie traten aus der Menschenmenge hervor und verurteilten
die grenzenlosen Grausamkeiten des Selinus. Selinus gab den Befehl, die
Frauen zu verhaften. Aber er musste erkennen, dass Hiera ein erhabenes
Ansehen besaß, so dass er sie nicht ohne weiteres foltern konnte. Darum
sagte er zu ihr: "Mit ihrer Rede habe sie der Febronis noch größere Qualen
bereitet." Schließlich ließ er die heilige Märtyrerin Febronia enthaupten.
Wie bei sungaya.de zu lesen ist, beruht die gräßliche Folter auf alten
heidnischen Fruchtbarkeitsriten zu Ehren der römischen Liebesgöttin Juno
Februata.
Lysimachos zog sich weinend vom Ort der Hinrichtung in sein Quartier
zurück. Selinus machte sich zum Essen bereit, aber er war nicht in der Lage,
etwas zu essen. Darum zog er sich in seine ruhige Kammer zurück. Plötzlich
fühlte er sich verwirrt. Er blickte hinauf zum Himmel, er raste und brüllte
wie ein Stier, dann stürzte er, schlug mit dem Kopf gegen eine Marmorsäule
und starb. Als Lysimachus davon hörte, sagte er: "Groß ist der Gott der
Christen, der Febronias Blut gerächt hat, welches so sündig vergossen
wurde." Er ließ einen Sarg bringen, legte den Körper der toten Märtyrerin
hinein und brachte ihn zum Kloster.
Jedes Jahr, am Jahrestag des Märtyrertodes der heiligen Febronia (am 25.
Juni), wurde ein feierliches Fest im Kloster zelebriert. Während der Zeit der
Nachtwache sahen die Nonnen die heilige Febronia immer an ihrem
gewohnten Platz in der Kirche sitzen. Von den Reliquien 158 der heiligen
Febronia gingen zahlreiche Wunder und Heilungen aus. Das Leben der
heiligen Febronia wurde von der Nonne Thomais berichtet, die
Augenzeugin der Folterungen war. Im Jahre 363 n.Chr. wurden die
Reliquien der heiligen Febronia nach Konstantinopel (heute: Istanbul)
überführt. Schon bald nach dem Tod der heiligen Febronia baute der
Bischof von Nisibis (Nisibis liegt an der syrisch-türkischen Grenze und
gehört heute zur Türkei.), der heilige James, eine Kirche für die heilige
Febronia und überführte einen Teil der Reliquien der Märtyrerin in diese
Kirche.
158
Ich kann mich mit den Reliquien nicht so recht anfreunden. Für mich ist
das so etwas wie Leichenfledderei, zumal in vielen Fällen Teile des Körpers
als Reliquie verehrt wurden. Darum kann ich sehr gut verstehen, dass der
heilige Antonius großen Wert darauf legte, an einem unbekannten Ort
begraben zu werden.
Alexandra von Ägypten dagegen personifiziert die Phrase "lebendig tot", die
sie sich selbst auferlegte. Ihre Geschichte begann mit einem jungen Mann,
der sich in sie verliebte, obwohl sie nicht dasselbe für ihn empfand. Man
könnte sagen, dies ist sein Problem. Aber nicht für Alexandra. Um nicht
anzuecken, begrub sie sich selber, so dass der lüsterne junge Mann weder
litt, noch das Gefühl hatte, von ihr abgelehnt worden zu sein.
Und dort blieb sie, versiegelt vom menschlichen Auge, versorgt durch ein
winziges Fenster und beschäftige sich mit Haushaltsaufgaben und
spiritueller Reflexion. Von der ersten Morgenröte bis in die frühen
Morgenstunden betete sie während sie Flachs (Leinen) spann. Für den Rest
der Zeit rezitierte sie heilige Männer, Patriarchen (Kirchenführer),
Propheten, die Jünger Jesus und Märtyrer. Dann mampfte sie ihre
Brotkrusten und wartete offensichtlich und hoffnungsvoll auf die Stunde
ihres Todes.
"Wie tugendhaft!", riefen alle, auch Melania, die gebildete, unabhängige,
wohlhabende, keusche christliche Predigerin, die Alexandra über ihre Eltern
oder Brüder kennenlernte. Der Diener oder Freund Alexandras, wagte sich
in die Begräbnisstätte, mit ihrer bescheidenen Versorgung. Versuchte er sie
zu überzeugen, heimzukommen? Wahrscheinlich nicht, denn ähnliche
Geschichten illustrierten, dass ihre Zeitgenossen Männer als Opfer
weiblicher List betrachteten. Und deshalb applaudierte Alexandra
vermutlich zurückhaltend.
Das Letztere ist von entscheidender Bedeutung. Als das frühe Christentum
die Christinnen drängte, ewige Jungfräulichkeit zu versprechen, hatte dies
ein verlockenderes Motiv als spirituelle Rechtschaffenheit. Was auch auf
dem Spiel stand, war die schwankende spirituelle Redlichkeit der
christlichen Männer, die andernfalls der Versuchung der weiblichen Erotik
erliegen würden. Die Lösung war offensichtlich die weibliche Keuschheit,
obwohl sie enorme persönliche Opfer von allen Frauen forderte,
einschließlich der Kinderlosigkeit. Die Belohnung war entsprechend hoch:
Großer Respekt von der Kirche und der Gesellschaft und möglicherweise
eine Heiligsprechung.
Es gibt verschiedene Versionen über das Leben der heiligen Thekla. Eine
Version sieht wie folgt aus: Thekla war eine Schülerin des Apostels Paulus.
Sie wurde in Ikonium, der Hauptstadt Lykaoniens in Kleinasien, (heute:
Konya in der Türkei) von heidnischen Eltern geboren, die reich und
vornehm waren. Zur Erziehung wurde sie von ihren Eltern gelehrten
Männern übergeben, welche sie in alle Geheimnisse der damaligen Weisheit
einweihten. Schön von Angesicht und dazu wortgewandt und weise, war sie
der Liebling ihrer Eltern, die sie aufs Beste zu versorgen gedachten.
Da traf es sich, daß um das Jahr 45 nach Christi Geburt der heilige Apostel
Paulus nach Ikonium kam und den Juden und Heiden das Evangelium
verkündete. Thekla, begierig, diesen weisen, fremden Mann zu hören, fand
sich bei seinen Predigten ein, und bald fand sie bei den begeisterten Worten
dieses begnadeten Evangelisten (Predigers) ihr Herz wie umgewandelt.
Solche Reden voller Geist und Wahrheit, voller Leben und Salbung, hatte
sie noch nie aus dem Munde der Gelehrten ihrer Vaterstadt vernommen.
Besonders machten seine Worte von dem erhabenen, himmlischen Stande
der jungfräulichen Keuschheit, der dem Heidentum unbekannt waren, den
tiefsten Eindruck auf sie. Jesus stand ihr in jungfräulicher göttlicher
Schönheit lebhaft vor Augen, die jungfräuliche Würde der gnadenvollen
Gottesmutter Maria winkte ihr, und sie beschloß daher, nachdem sie die
heilige Taufe empfangen, Christin zu werden und als Jungfrau zu leben und
zu sterben.
Aber Thekla war bereits mit dem reichen und vornehmen Thamyrus, der in
leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannt war, verlobt, als sie Paulus zum
ersten Mal predigen hörte. Sie fand Paulus' Kommentare über das Zölibat so
fesselnd, dass sie drei Tage regungslos und ohne zu essen an einem Fenster
saß, um ihm zuzuhören. Thekla erklärte, nachdem sie Paulus gehört hatte,
feierlich, daß sie nie eine Ehe eingehen werde, sondern als Jungfrau leben
und sterben wolle. Ihre Mutter war so besorgt über ihre Tochter, dass sie
Thamyris, ihren Verlobten, holen ließ. Aber anstatt ihn anzuhören, löste
Thecla ihre Verlobung mit ihm, ein Akt mit enormen sozialen
Auswirkungen, da die Auflösung der Verlobung einer Scheidung gleichkam.
Thamyris war so wütend und eifersüchtig auf Paulus, dass er die
Abgeordneten und den römischen Statthalter überredete, ihn einsperren zu
lassen.
Thekla durfte den heiligen Apostel nicht begleiten und mußte zurück
bleiben. Groß war ihr Kummer, denn sie hatte vernommen, wie ihre Eltern
und Thamyrus unausgesetzt nach ihren Aufenthalt forschten, um sie in ihre
Gewalt zu bekommen. Da faßte sie den Plan, mit einer ihrer vertrauten
Mägde, die bei ihr geblieben war, zu fliehen und dem heiligen Apostel
nachzueilen. Allein ihre Flucht ward entdeckt, sie wurde eingeholt und in
Verwahrung gebracht. Thamyrus versuchte noch einmal durch Schmeichelei
und glänzende Versprechungen die gottselige Jungfrau für seine Wünsche
zu gewinnen, auch ihre Mutter half ihm dabei. Da auch diesmal ihre
Bemühungen scheiterten, eilte Thamyrus in wildem Zorn zum heidnischen
Richter und gab Thekla als Christin an, damit sie zum Tode durch die
Löwengrube verurteilt wurde.
Noch an demselben Tage wurde sie vor dem Richterstuhl geschleppt und zur
Abkehr von Christentum aufgefordert. Da sie sich dessen standhaft
weigerte, wurde sie alsbald ihrer Kleider beraubt und im Amphitheater den
wilden Tieren vorgeworfen. Dort blieb sie aber von den Löwen unberührt.
Ambrosius von Mailand (339 - 397), der Bischof von Mailand, schrieb an
Simplicianus, seinem Nachfolger als Bischof von Mailand: "Die Jungfrau
frohlockte unter den Löwen, ohne Schrecken erwartete sie die
herankommenden Bestien." "Sie floh," schrieb der heilige Ambrosius, "die
eheliche Gemeinschaft, zähmte, durch des Verlobten Wut zu den wilden
Tieren verurteilt, in Verehrung ihrer Jungfräulichkeit sogar die Wildheit
dieser. Als sie zu diesem Zwecke entkleidet wurde, schlug sie die Augen
wie immer schamhaft zu Boden, um dem Blicke keines Mannes zu
begegnen, und bewirkte, daß die Zuschauer, welche mit schamlosen Augen
herbeigekommen waren mit schamhaften zurückkehrten. Man sah die
Bestien auf dem Boden liegen und ihre Füße lecken, und durch ihr
Stillschweigen laut bezeugen, daß sie den jungfräulichen Leib nicht
verletzen konnten. Sie beteten ihre Beute an, und legten die ihnen eigene
Natur ab, um die Natur anzunehmen, welche die Menschen verloren hatten."
Der Richter geriet bei diesem wunderbaren Ereignis in große Wut, und
sandte die heilige Thekla gefesselt nach Rom, damit der Kaiser sie richte.
Angekommen in dieser Stadt der Götzen wurde sie zum Feuertode
verurteilt. Aber ein starken Regen löschte die Flammen des Scheiterhaufens
und ein Erdbeben ließ alle Umstehenden fliehen. Nachdem Thekla knapp
dem Tode entronnen war, nahm sie wieder mit Paulus Verbindung auf, der
mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen war und wieder seine
missionarische Arbeit aufgenommen hatte.
Nun reiste Thekla mit Paulus über das Land. Sie schnitt sich die Haare und
flehte ihn an, sich in Männerkleidung tarnen zu dürfen. Dies stieß bei Paulus
zunächst auf Unbehagen, aber widerwillig stimmte er dann zu. In
Männerkleidung folgte sie Paulus nach Antiochia. Schließlich wurde Thekla
selbst zur Predigerin. Aber trotz ihrer guten Taten und ihres entschlossenen
Zölibats, war sie nicht in der Lage, Paulus davon zu überzeugen, sie zu
taufen. Mittlerweile hatte sich Alexander, ein angesehner Bürger, in sie
verliebt. Er versuchte, sich Thekla zu nähern, die ihn aber heftig in aller
Öffentlichkeit zurückwies. Gedemütigt schleppte er sie vor den Governeur.
Durch Theklas Unnachgibigkeit landete sie erneut im Gefängnis und erhielt
ein weiteres Todesurteil.
Nun wurde sie in einen greulichen Kerker voll giftiger Schlangen geworfen,
aber ein Blitzstrahl tötete die giftige Brut. Sie entkam dem Gefängnis und
floh nach Isaurien, wo sie in einer menschenleeren Gegend eine niedrige
Hütte aus Reisig baute und dort ein strenges Büßerleben führte. Aber ihr
Aufenthalt blieb nicht lange verborgen. Hunderte von Menschen wanderten
zu ihrer ärmlichen Hütte, um aus dem Munde der heiligen Jungfrau Worte
des Trostes und der Weisheit zu hören und sich an ihren erhabenen
Tugenden zu spiegeln. In Armut trat sie mit 91 Jahren die himmlische Reise
an. Sie soll in einer Felsenhöhle gestorben sein.
Im vierten Jahrhundert entwickelte das Konzil von Elvira 160 (300 - 306
n.Chr.) einen öffentlichen "Pakt der Jungfräulichkeit", bei dem der Bischof
feierlich die Frau verschleiern und dazu anstimmen würde: "Hiemit ernenne
ich dich zur keuschen Jungfrau Christi." Die verschleierte Jungfrau
antwortete: "Der König brachte mich in seine Gemächer", und ihre Begleiter
fügten hinzu "Die Königstochter ist herrlich darin."
160
Das spanische Konzil von Elvira verabschiedete eine strenge
Bußordnung. Es verbot Abgefallenen, geistliche Ämter zu bekleiden und
führte die verpflichtende Enthaltsamkeit für Priester, Diakone und Bischöfe
ein. Die Ehelosigkeit wurde aber nicht gefordert (erst das 2. Lateralkonzil
1139 führte den Zölibat ein). Außerdem wurden Kontakte mit Juden
weitgehend untersagt. Christen wurde verboten, mit Juden zusammen zu
essen, eine Ehe einzugehen oder den Sabbat zu halten. Das Konzil wurde
von den orthodoxen Patriarchaten nicht anerkannt.
Die Frau war nun zur Jungfrau ernannt und die Kirche bestimmte ihren
Lebensstil. Sie lebte abgesondert und eingeschlossen in ihrem Zimmer,
betete und diente Christus. Und warum nicht? War sie nicht mit ihm
verheiratet? "Suche den Bräutigam nicht in den Straßen", warnte
Hieronymus, "sondern im eigenen Heim".
Der nächste logische Gedanke war, dass die Bräute Christi's nicht allein
leben sollten. Die Kirchenväter verwiesen auf die Ausschweifungen der
männlichen Einsiedler und folgerten: "Wenn all dies für die Männer gilt, um
wieviel mehr gilt es dann für Frauen, deren launischer und wankelmütiger
Geist, wenn sie sich selbst überlassen sind, schon bald verkommen würde."
Demzufolge gründeten sie unter der Leitung älterer Frauen eine spirituelle
Gemeinschaft von Jungfrauen, die alle mit Jesus, dem "wahren Mann",
verheiratet waren.
Eigentum und Reichtum wurden ebenso verboten. Die Kirche würde sie für
die christliche Arbeit verwenden. Nachdem die Jungfrauen sich von den
weltlichen Besitztümern befreit hatten, studierten sie, verarmt, verschleiert,
mit fettigem Haar, nach Schweiß riechend, die heiligen Schriften und die
Kirchenväter und beteten mindestens sechs Mal täglich. Während ihrer
Freizeit konnten sie spinnen, weben oder Garn aufspulen. Vor allem aber
sollten sie die Verunreinigungen aus ihrem Geist entfernen, denn "die
Jungfräulichkeit kann durch unreine Gedanken verloren gehen", schrieb der
heilige Ambrosius. Es war auch möglich, dass man zwar physisch die
Keuschheit bewahrte, aber geistig Unzucht trieb. "O Jungfrauen, resümierte
Ambrosius, "laßt nicht die Liebe des Körpers, sondern die Worte zu euch
kommen. Schmückt euch nicht mit Kosmetika oder anderen Torheiten der
künstlichen Schönheit... eure Ohren... wurden nicht geschaffen, um schwere
Lasten zu tragen oder um Wunden zu erleiden, sondern um die Worte Gottes
zu hören."
Dieses Bild ist natürlich eindimensional, stellt es doch die Leitlinien der
Kirchenväter und die Grundprinzipien für christliche Frauen dar, um
Jungfräulichkeit zu erreichen. Eine andere Perspektive ist es die Folgen des
Ungehorsams oder der Meinungsverschiedenheit zu betrachten. Hatte sich
eine Jungfrau unkeusch verhalten, dann wurde sie zum Bischof befohlen.
Dort wurde sie gezwungen, sich von einer Hebamme einer aufdringlichen
Prüfung ihrer Genitalien zu unterziehen.
Viele Frauen und Männer schworen ein ewiges Zölibat und lebten in einem
familienähnlichen Haushalt zusammen. Sie beachteten strikt das Zölibat,
lebten entsprechend den Vorschriften der christlichen Askese und
beachteten die traditionelle Arbeitsteilung. Wie ein männlicher Zölibatär
erklärte, genoss er diese Regelung. Seine Partnerin kümmerte sich um den
Haushalt. Sie bereitete das Essen zu, deckte den Tisch, machte die Betten,
kümmerte sich um das Feuer und wusch ihm sogar die Füße. Die Bischöfe
runzelten über diesen modus vivendi (über diese Art zu leben) die Stirn und
forderten die Teilnehmer zur Buße für ihr sündhaftes Leben auf. Aber dieses
Leben war während der ersten vier Jahrhunderte des Christentums häufig
anzutreffen, selbst bei einigen Bischöfen.
Melania's Hang zur Askese war relativ gering. Anders als die Kirchenväter
forderte sie kein strenges Fasten, das sie nur als eine untergeordnete Tugend
betrachtete. Sie befreite sich von ihrem privaten Vermögen, verschenkte ihre
verschwenderischen Kleider, ihren Schmuck und trennte sich von ihrer
aufwendigen Frisur, die einer hochrangigen verheirateten Frau angemessen
erschien. Ihre neue Kleidung war Ausdruck ihrer Berufung, ihres
veränderten martialen (kämpferischen) Status und ihrer persönlichen
Einstellung zur Welt.
Melania ist ein hervorragendes Beispiel der Jungfrauen die in
Hagiographien (Lebensbeschreibung der Heiligen) verehrt werden, ein
leuchtendes Vorbild für Jahrhunderte für christliche Frauen. Legionen von
Frauen waren fasziniert, als sie ihre Hagiographie lasen. Es fehlte nicht der
Hinweis, dass für Melania und ihre Jungfrauen, das Zölibat ein befreiender
Lebensstil war. Es befreite sie von der Langeweile und mühevoller Arbeit
und gewährte ihnen Aufregung, die Freiheit zu reisen wohin sie wollten, den
Luxus der Wissenschaft, interessante Diskussionen und ein sicheres und
einfaches Leben unter Frauen, die miteinander befreundet waren. Melania's
Wunder bewiesen, dass Gott sie bevorzugte. Daher ihre postmortale
(postmortal = nach dem Tode) Verherrlichung in der christlichen Literatur.
Melania ging jeden Schritt auf dem Weg zur Heiligkeit sehr bewusst. Aber
sie verwarf sogar allgemein anerkannte Weisheiten, wenn sie mit ihrer
eigenen Analyse nicht übereinstimmten.
Melania die Jüngere (* um 383 in Rom; † am 31. Dezember 439 n.Chr. auf
dem Ölberg bei Jerusalem in Israel) war eine katholische und orthodoxe
Heilige. Sie war die Enkelin der älteren Melania. Ihre Familie war begütert;
der Vater war Senator und besaß mitten in Rom einen Palast. Sie war tief
beeindruckt von Hieronymus, der während seiner Zeit als Berater und
Sekretär des Papstes Dramus I. starken geistigen Einfluss auf viele junge
Leute hatte, vor allem auch Frauen in seinen Bann zog. Auf Druck der
Familie musste sie aber im Alter von 13 Jahren heiraten; ihr Mann Pinianus
war 17 Jahre alt.
Ihre beiden Kinder starben bei und kurz nach der Geburt. Als sie bei der
Geburt ihres zweiten Kindes nur knapp überlebte, entschied sich das
Ehepaar zur Enthaltsamkeit. Ihr Mann versprach, in Zukunft Melanias
Wunsch nach Enthaltsamkeit zu achten. Mehr und mehr zog Melania ihren
Mann in ihre Glaubenswelt hinein. Allen irdischen Wohlstand ließ sie hinter
sich und widmete sich den Ungerechtigkeiten der Welt. Sie verkaufte mit
der Zeit ihr Hab und Gut und verschenkte den Erlös an Arme, Kirchen und
Klöster. Sie unternahm Pilgerfahrten zum Bischof Paulinus von Nola (Nola
bei Neapel), zum Mönchen, Historiker und Theologen Rufius von Aquileia,
zum Bischof Augustinus von Hippo und zu Cyrillus, dem Patriarchen von
Alexandria in Nordafrika, sowie zu den Klöstern in Ägypten. 417 zog sie
zusammen mit ihrem Mann ins Heilige Land. Nach dem Tod ihres Mannes
im Jahr 431 n.Chr. lebte sie als Einsiedlerin in einem Zelt am Ölberg, aus
dem schließlich ein Kloster wurde. Bei ihrem Tod besaß die ehemals
reichste Frau des römischen Imperiums noch 50 Goldstücke, die sie dem
Ortsbischof Jerusalems für soziale Projekte übergab. Ihre Attribute sind
Kohlkopf (Verzicht auf üppiges Essen) und Totenschädel.
Die Vita (der Lebenslauf) der heiligen Melania (der Jüngeren) wurde von
Gerontius niedergeschrieben:
Einige Väter lebten allein. Sie behaupteten, dass nur die Einsamkeit sie vor
der Versuchung bewahren könnte. Die große Mehrheit dagegen
versammelte sich in kleineren Gruppen unter der spirituellen Leitung
heiliger Männer wie Antonius dem Einsiedler und Pachomius dem
Klostermönch, dem Erfinder des christlichen Mönchstums.
Origenes, der große christliche Denker, der dafür bekannt ist, dass er sich
selbst kastrierte 161, um sich selbst zum "Eunuchen für das Himmelreich 162"
zu machen und der ebenso berühmt für seine fesselnden Lehren und seine
tiefründigen Schriften über die Heilige Schrift, über die Philosophie und die
Ethik war, artikulierte zuerst diese Idee. Es kann so verstanden werden, dass
das Herz dort ist, wo sich Körper und Seele zusammenfinden, der Punkt, an
dem das Unterbewusstsein mit dem Bewusstsein und dem Überbewussten
(der Seele), das Menschliche mit dem Göttlichen, zusammentreffen.
161
Von der heutigen Forschung wird allerdings bezweifelt, dass Origenes
sich selbst entmannte. Vermutlich stammt die Behauptung von den Gegnern
Origenes, wie z. B. Bischof Demetrius von Alexandria.
162
"Es gibt Eunuchen, die vom Mutterleib an so geworden sind
(Geburtsfehler). Und es gibt Eunuchen, die von Menschen dazu gemacht
wurden (Kastration). Und es gibt Eunuchen, die sich selbst dazu gemacht
haben, wegen des Himmelreichs (Zölibat)." (Matth. 19,12)
"Das Retten der Seelen bringt sie zusammen", sagte Pachomius. Er hatte ein
große Gnade: Mit seinem durchdringenden Blick konnte er in das Innere
eines christlichen Herzens sehen. War das Herz rein, so konnte er den
unsichtbaren Gott wie in einem Spiegel sehen. Um die Reinheit in ihrer
Gesamtheit zu erreichen, gründete er das erste christliche Kloster in
Tabennisi.
Diese Regeln haben nichts mit der asketischen Ordnung zu tun, die dem
Mönchstum zugrunde liegen. Sie befassen sich speziell mit den Ursachen
erotischer Versuchungen und sexueller Verfehlungen. Pachomius war
entschlossen, dass in seinen Klöstern das Zölibat um jeden Preis befolgt
wurde.
Die asketische Ordnung in den Klöstern war sehr streng, wenn auch nicht so
streng wie bei den Wüstenvätern. Fasten war die tägliche Gewohnheit, mit
einer einzigen, einfachen, empfohlenen Mahlzeit. Brot mit Salz war das
wichtigste Grundnahrungsmittel. Mönche, die nicht bis zum
Sonnenuntergang warten konnten, wurde es erlaubt, zweimal am Tag zu
essen. Sie bekamen die erste Mahlzeit bereits am frühen Nachmittag. Sie
erhielten aber nicht mehr als die anderen Mönche. Die normale Mahlzeit
wurde lediglich in zwei Portionen aufgeteilt.
Der Zeitpunkt der Abendmahlzeit war so gewählt, dass die Mönche ohne
Magenkrämpfe schlafen konnten, die sonst ihre geschrumpften und
rumpelnden Mägen hatte angreifen können. In der Winterzeit aß Pachomius
nur jeden dritten Tag. Diese Hungerdiät war ein wichtiges Instrument im
Kampf um die Aufrechterhaltung der Keuschheit.
Das Abendessen nach der Vesper fiel viel bescheidener aus: Salat, Obst und
was vom Brot übriggeblieben war. Mittags wurde dazu ein Becher Wein, bis
zu drei Becher eines warmen Getränkes und bei Bedarf gesüßtes
Essigwasser gereicht.
Abends musste man ohne Wein auskommen. Am Wochenende verteilte der
Abt symbolisch als Stellvertreter des himmlischen Vaters an seine
Mitbrüder einen Pfannkuchen, der aus den gesammelten Brotkrumen
angefertigt wurde. Nach der Non war ein kurzer Mittagsschlaf vorgesehen.
Bis zum Ende des fünften Jahrhunderts hatte der Westen die östliche
wüstenbasierte Askese übernommen und modifiziert, so dass im sechsten
Jahrhundert die ersten westlichen Klöster gegründet wurden. Wie die
östlichen Klöster hatten auch die westlichen Klöster Regeln. Die Regeln des
italienischen Gründers des westlichen Mönchstums, Benedikt von Nursia
(480 - 547), waren insgesamt 73 Kapitel lang. Benedikt's ideales Kloster
war ein einzelnes Gebäude mit einem gewählten Abt, dessen Brüder auf
privates Eigentum verzichteten und ewige Armut, Keuschheit und
Gehorsam gegenüber den Regeln der Gemeinschaft schworen. Aber im
Gegensatz zu den östlichen Klöstern, war Benedikt's Kloster das Übungsfeld
für christliche "Soldaten". "Wir müssen eine Schule gründen (eine Einheit
der Miliz) um dem Herrn zu dienen", schrieb er.
Benedikt hatte das Ziel, eine Schule göttlicher Diener zu gründen, in der
nichts, was zu schwer oder zu streng war, eingeführt werden sollte. Darum
wurde auf alles verzichtet, was der Westen als exessive östliche Praxis
betrachtete. Jahrhunderte lang behielten die Benediktiner diese anti-
asketische Ausrichtung bei und sie widersprachen der Kritik, dass ihre
behaglichen Klöster der apostolischen Armut der Mönche widersprachen,
die sie gelobt hatten. Sicherlich nicht, argumentierten sie. Wie könnte ein
Mönch in der heutigen Welt des sicheren Christentums, die Entbehrungen
der heidnischen Verfolgungen tolerieren?
In einer Zeit bekannten sich die Mönche der Farfa-Abtei in Italien (Farfa ist
eine Stadt in er Nähe von Rom) öffentlich zu ihren Konkubinen (weibliche
Geliebte). In Frankreich waren die Mönche von Trosly (80 km nördlich von
Paris) fast alle verheiratet und fast alle Mönche der St. Gildas au Ruits-Abtei
hatten sowohl Konkubinen als auch Söhne und Töchter, berichtete der Abt
Peter Abaelard (Geburtsname: Pierre Abaillard, 1079 - 1142). Abaerlard
selbst wurde von Agenten des Kanoniers (Erzbischofs) Fulbert von Notre
Dame kastriert 164. Fulbert war ein mächtiger Kirchenmann, dessen Nichte
Heloise Abaelard unterrichtete, verführte, schwängerte und später heiratete.
164
Abaelard unterrichtete 1114 in Paris Logik und Theologie. Dort wurde er
Hauslehrer von Heloise, mit der Abaelard bald eine Liebesbeziehung
einging. Ihr Onkel und Beschützer, der Kanoniker Fulbert, bemerkte die
Beziehung erst, als Heloise bereits schwanger war. Sie flüchtete auf Geheiß
Abaelards zu dessen Familie nach Le Pallet, wo sie einen Sohn zur Welt
brachte. Abaelard bemühte sich inzwischen um einen Ausgleich mit Fulbert:
Obwohl Heloise mit Blick auf Abaelards Reputation als Gelehrter
entschieden dagegen war, wollte Abaelard sich mit ihr vermählen,
vorausgesetzt, die Ehe würde geheim bleiben. Fulbert willigte ein, ließ die
Hochzeit aber trotzdem bekanntwerden. Heloise wurde darauf auf
Anordnung Abaelards Nonne im Kloster Argenteuil. Fulbert betrachtete dies
als Versuch Abaelards, sich von seinen ehelichen Pflichten zu befreien.
Zutiefst gekränkt, ließ Fulbert Abaelard überfallen und entmannen.
Unter den Mönchen war Bernard of Clairvaux 165 die Ausnahme von der
Regel. Er lebte zölibatär und war immun gegen die Anziehungskraft seines
Geschlechts, wie seine Geschichte aufdeckt. Ein Burgunder Marquis
(deutsch: Graf) flehte Bernard an, seinen kränkelnden Sohn zu heilen. Der
Mönch forderte alle auf, ihn mit dem Jungen allein zu lassen. Dann legte er
sich an das Kopfende des Jungen. Der Punkt dieser oft wiederholten
Geschichte, ist nicht die wundersame Heilung des Jungen, sondern dass er
diese Heilung ohne eine Erektion durchführte. "Er war in der Tat der
unglücklichste Mönch", kicherte der satirische Schriftsteller Walter Mapes,
"denn ich habe noch nie von einem Mönch gehört, der sich an das Kopfende
eines Jungen legte, der nicht unmittelbar über ihn gestiegen sei."
165
Bernard of Clairvaux war einer der bedeutendsten Äbte des
Zisterzienserordens, für dessen Ausbreitung über ganz Europa er
verantwortlich zeichnet. Der Zisterzienserorden war damals als strengere
Alternative zum Benediktinerorden gedacht. Unter Ausnutzung seines
diplomatischen Geschicks und seiner Redekunst arbeitete er im Auftrag von
Papst Eugen III. erfolgreich am Zustandekommen des zweiten Kreuzzuges
(1147-1149). Zu Weihnachten 1146 erreichte Bernhard in Speyer, dass sich
der deutsche König Konrad III. sowie dessen welfischer 166 Gegenspieler
Welf VI. zur Teilnahme am Kreuzzug bereiterklärten. In seiner „Lobrede
auf die Tempelritter verdammte er das weltliche Rittertum als verderblich
und plädiert für Mönche als Krieger und die Verbindung von Mönchtum mit
dem Rittertum (Tempelritter). Nur Krieger im Namen des Christentums
seien ehrenwerte Krieger, so Bernhard.
Ein großer Teil des Problems bestand darin, dass zu viele Klöster den
Vorrang ihres religiösen Fokus vergaßen. Reichtum, manchmal großer
Reichtum, oftmals gestohlen, beschäftigte und verführte sie167. Sie wurden
zu Besitzern großer landwirtschaftlicher Flächen und verpflichteten
unbezahlte Arbeitskräfte. Mönche und ihre Verwandten aus
wohlhabenderen Familien, zusammen mit anderen, frommen Christen,
vermachten den Klöstern ein finanzielles Vermögen und Grundbesitz. Der
Besitz wurde durch Aufteilung unter zwei oder mehreren
Vermächtnisnehmers wie weltlicher Besitz geschützt. Die Äbte dieser
Reiche sollten eigentlich Heilige sein. Aber einige unterlagen der Macht und
der Faszination des Luxus, der ihnen ihre Position bot. Und so mancher
Mönch opferte seine Spiritualität und Weisheit für gute Umgangsformen
und Zynismus. Seine mönchische Seele diente ungeschützt dem Teufel.
167
Im 13. Jahrhundert kam es zu einem Wandel im Ordenswesen. Es
entstanden die Bettelorden, die sich bewußt gegen die reichen Klöster
abgrenzten. Zu den wichtigsten Bettelorden gehören die Franziskaner und
Dominikaner. Sie lehnten Grundbesitz und eigene Betriebe ab. Die
Bettelmönche zogen in die Städte, wo sie ihren Lebens- und Wirkungskreis
fanden, wobei Ihre materielle Basis lediglich in den Spenden der Bürger
bestand. Auch konnte jeder in diesen Orden eintreten. (In den bisherigen
Klöstern war es üblich, daß die Klöster die Kinder nur aufnahmen, wenn die
Eltern eine Schenkung machten. Dies hatte zur Folge, daß die Klöster zu
reinen Adelsklöstern wurden, da die weniger Reichen sich solche
Schenkungen nicht leisten konnten.) Eine traurige Berühmtheit erlangten die
Dominikaner und Franziskaner allerdings durch ihre Beteiligung an der
Inquisition, an der Hexenverfolgung und durch ihre vehemente
Ketzerbekämpfung.
813 wurde das Konzil in der französischen Stadt Tours einberufen und die
Entartung der meisten Klöster bedauert. In der gesamten Christenheit
versuchten Reformer, diesen Verfall aufzuhalten. König Ludwig der
Fromme (778 - 840), der König des Fränkischen Reiches, übertrug die
benediktinischen Regeln auf die fränkischen Klöster. Aber nach seinem Tod
säkularisierte die vernichtende Kriegsführung seiner Söhne die Klöster
wieder. Das war typisch; die Klöster wurden zu riesigen, wohlhabenden
Gesellschaften ohne weltlichen Schutz, so dass Feudaladlige und Könige sie
angriffen, ausbeuteten, terrorisierten, ausraubten und zerstörten.
Vom achten Jahrhundert an, wurden die Klöster in feudale bürgerliche und
militärische Beziehungen mit Königen und herrschenden Adligen
gezwungen. Äbte wurden ihre Vasallen und übernahmen politische,
justizielle und militärische Verbindlichkeiten. Ein normannischer
(skandinavischer) Herzog konnte immer auf seine neun verbündeten Klöster
zählen, die vierzig Ritter für seine ständige Kriegshetze bereitstellten.
Deutsche Äbte waren besonders begeistert von ihren militärischen
Verpflichtungen. 981 zum Beispiel lieferten sie Hunderte mehr von Rittern
für die Armee Otto I., als seine Laienvasallen (Vasalle = Knecht) stellen
konnten.
Auf politischer und diplomatischer Ebene waren die Äbte und Mönche die
vertrautesten Gesprächspartner der Könige und damit ihre wichtigsten
Berater. Der englische Abt Alkuin (735 - 804), der als der größte Gelehrte
seiner Zeit galt, war der wichtigste Berater Karl's des Großen. Der
französische Abt Benedikt von Aniane (750 - 821) war der Berater von
Ludwig dem Frommen, dem Sohn Karl's des Großen. Mit Ludwig dem
Frommen gründete Benedikt von Aniane 815/816 die Abtei Inda (später
Kornelimünster). Kornelimünster ist heute ein Stadtteil von Aachen. Der
französische Abt des Benediktinerklosters von Cluny, Hugo von Cluny
(1024 - 1109), war einer der großen Äbte des Mittelalters. Er erlebte neun
Päpste, war Vertrauter von Papst Gregor und der deutschen Kaiser Heinrich
III. und Heinrich IV.. Erzbischof Lanfranc von Canterbury (1010 - 1089)
und sein Nachfolger, der Benediktinerabt Anselm von Canterbury (1033 -
1109) berieten den englischen König Wilhelm I. (Wilhelm den Eroberer)
und seinen Sohn Wilhelm II., ebenfalls König von Egland.
Die Wahrheit war, dass Bündnisse mit der weltlichen Macht für die Klöster
notwendig wurden, um zu überleben. Bei dem Versuch, durch Kompromisse
zu überleben, anstatt durch die beneidenswerte Askese, verwandelten sich
die Klöster in Travestien. Sie fingen sogar an, Kirchen zu besitzen. Dies ist
ein Hinweis darauf, wie sehr sie sich der Kirche angepasst hatten, deren
Konformitäten und Gezänke sie einst entkamen, indem sie in die Wüste
flohen. Der Eiertanz der historischen Entwicklung der Klöster und der
Kirchen, führte die christlichen Mönche fort vom zölibatären Möchstum und
Lebensstil. Die Reform der kläglichen und chaotischen Unordnung des
mittelalterlichen Mönchstums, führte wieder zu ihr zurück. 1073 wurde der
italienische Benediktinermönch Hildebrand (1020 -1085) zum Papst Gregor
VII. 168 ernannt und erließ seine eigene Tagesordnung: Vollkommenes
Zölibat für alle Christen.
168
Papst Gregor VII. setzte sich für die klösterliche Reformbewegung ein.
Vor allem aber bestimmte der Kampf gegen die Simonie und Priesterehe
seine Bestrebungen. Unter der Simonie versteht man die Bereicherung an
Macht und Geld durch den Kauf oder Verkauf eines kirchlichen Amtes. Auf
dem Konzil von Chalkedon 451 wurden Priesterweihen gegen Bezahlung
ausdrücklich und offiziell verboten. Auch wenn dieses Verbot auf weiteren
Konzilen bestätigt wurde, war der Kauf von Ämtern aber weiterhin
verbreitet. So soll sich Rodrigo Borgia seine Wahl zum Papst (Alexander
VI.) 1492 erkauft haben.
Durch seine Prachtentfaltung übte Cluny auch eine hohe Anziehung auf
Adlige aus, sodass das Kloster reiche Schenkungen von Vermögenden
bekam. Die Abtei besaß zu dieser Zeit ein enormes Geldvermögen. Trotz
der äußeren Pracht wurde immer Wert auf strenge Askese gelegt.
Das Kloster selbst wurde unter den direkten Schutz des Papstes gestellt. Für
die Verhältnisse des 10. Jahrhunderts war dies eine Neuerung. Wilhelm
ernannte lediglich den ersten Abt Berno von Baume und erlaubte dem
Konvent (den stimmberechtigten Mönchen) danach eine freie Abtswahl.
Diese beiden Kriterien sowie eine strenge Auslegung der Benediktusregel
machten Cluny zum Ausgangs- und Mittelpunkt der clunizianischen
Reform, in deren Blütezeit etwa 1.200 Klöster mit rund 20.000 Mönchen zu
Cluny gehörten. In der Folge der französischen Revolution wurde die Abtei
aufgehoben. Die Kirche wurde gesprengt und unter Napoleon als Steinbruch
für den Bau des "Haras National" (Pferdezucht) in Cluny genutzt. Die
eigentlichen Klostergebäude dienen heute als Berufsschule.
Die gregorianischen Reformen von 1046 bis 1122 n.Chr. werden auf der
Seite von evangelium.de recht gut beschrieben:
Anfang des 11. Jahrhunderts war die Kirche im Westen an einem ihrer
Tiefpunkte angelangt. Das Papsttum war durch Korruption blockiert, und in
dem Führungsvakuum blühte Mißbrauch und lokaler Streit um die
Vormachtstellung überall in Westeuropa. Die Klöster und Kirchen hatten
traditionell das Recht, die Führung ihrer Institutionen selbst einzusetzen. Oft
behandelten diese die Kirchen und das kirchliche Land allerdings wie ihr
eigenes Eigentum, kauften und verkauften nach Taktik und Angebot.
Könige und Herrscher verliehen die entsprechenden Titel und verlangten
von den Kirchenführern Loyalität. So war die Kirche hin und hergerissen
zwischen geistlichen Prinzipien und weltlicher Macht.
Die Mönche von Cluny, die nur dem Papst unterstanden, waren in der Lage,
dem lokalen Einfluß zu widerstehen. Doch sie waren nicht in der Lage, den
Rest der Kirche wieder zu einem Christus-gemäßen Leben zu rufen. Doch
ab 1046 gab es eine immer stärker werdende reformerische Bewegung von
Christen, welche sich gegen den weltlich und machtpolitischen Einfluß auf
die Kirche und die Mißstände richtete. Es begann mit dem römisch-
deutschem Kaiser Heinrich III (1017 - 1056), der sich mit drei
rivalisierenden Päpsten in Rom konfrontiert sah. Heinrich III. entließ alle
drei und installierte stattdessen einen untadeligen deutschen Bischof (den
Clunizianer Suitger von Bamberg) als Papst Leo IX (1049-54) ein. Er reiste
durch Italien, Frankreich und Deutschland und versuchte, die Kirche zu
einem geistlichen Verhalten zurückzuführen. Seine Nachfolger folgten ihm
in einem ehrgeizigen Reformprogramm.
An erster Stelle war das Ziel der Reformen, den Ankauf und Verkauf von
Kirchengebäuden zu stoppen. Ferner sollten Bischöfe und Äbte von den
Kirchenmitgliedern und Mönchen gewählt werden, nicht von den lokalen
Fürsten ernannt sein. Auch wollte man den Klerus aus der weltlichen
Gerichtsbarkeit herausnehmen, um hier Nötigung zu unterbinden. Alles in
allem ging es um die Unabhängigkeit des Glaubens und der Strukturen der
christlichen Gemeinde. Darüber hinaus versuchte man, das Zölibat wieder
durchzusetzen. Es war weithin üblich, daß der Klerus heiratete, und
manchmal wurden Kirchenbesitztümer wie Erbbesitz behandelt.
Die Reformen erreichten einen Höhepunkt unter Papst Gregor VII. (dem
deutschen Kardinal Hildebrand), der im Jahr 1073 sein Amt antrat. Er
brachte den Anspruch des Papsttums auf ein neues Niveau, indem er
forderte, daß niemand auf Erden das Gerichtsrecht über das Papsttum habe,
während die Päpste sogar Könige und Kaiser entlassen konnten. Kaiser
Heinrich IV. (der Sohn Kaiser Heinrich III.) kümmerte sich nicht um diesen
Anspruch und entließ 1076 den Erzbischof von Mailand, um seinen eigenen
Kandidaten einzusetzen. Er wurde daraufhin von Gregor exkommuniziert.
Als eine Reihe von Baronen Heinrich IV. die Rebellion ankündigten, wurde
Kaiser Heinrich IV. bei eisigen Temperaturen im Januar 1077 gezwungen,
Papst Gregor VII. in Canossa (Gang nach Canossa) in den Apenninen
aufzusuchen, im Schnee vor ihm niederzuknien und um Vergebung zu
bitten.
Der Investiturstreit (der Streit um die geistliche und weltliche Macht) war
damit allerdings noch nicht beendet. Heinrich IV. eroberte Rom und zwang
Gregor VII. ins Exil, wo er 1085 starb. Überliefert ist seine Aussage auf
dem Todesbett: ''Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit
gehaßt, darum sterbe ich im Exil.'' Der Streit wurde im Jahr 1122 auf dem
Konkordat von Worms mit einem Kompromiß beigelegt. Die Bischöfe
sollten ordentlich vom Klerus gewählt werden, doch in Anwesenheit des
Kaisers. Er durfte sie nicht einsetzen, doch sie sollten ihm huldigen. Die
Gregorianischen Reformen ließen die Kirche in einer wesentlich stärkeren
Position als zuvor.
Während die Päpste und Kaiser sich um die Strukturen und Herrschaft
stritten, vollzog sich in der Kirche eine bemerkenswerte spirituelle
Erneuerung Bisher waren die benediktinischen Mönche im Westen Europas
führend gewesen. Doch Cluny hatte einiges von seinem Glanz und seiner
Anziehungskraft der ursprünglichen Einfachheit verloren. So entstanden bis
zum Jahr 1200 acht weitere klösterliche Orden. Der erste war der Karthäuser
Orden (Carthusians), das Kloster wurde 1084 in Grenoble, Frankreich,
gegründet. Die Ordnungen waren allerdings so einschränkend und strikt, daß
die Wirkung beschränkt war. Die Karthäuser lebten fast wie Einsiedler und
trafen sich nur für Gottesdienste und die Mahlzeiten. Das populärste neue
Kloster jener Zeit war das Zisterzienserkoster (Cistercians), welches 1098
gegründet wurde. Eine kleine Gruppe von Mönchen gründeten das Kloster
in Citeaux in Burgund, Ost-Frankreich. Die Neugründung hatte einige
Anfangsschwierigkeiten, bis der junge Bernhard von Clairvaux (der sich so
massiv für den Zweiten Kreuzzug einsetze) in den Orden eintrat. Seitdem
verbreitete es sich in Windeseile über Europa. Die Zisterzienser gründeten
abgeschiedene Klöster und gaben sich der Entbehrung und harter Arbeit hin.
Die Mönche waren oft auch Priester und entstammten den höheren Klassen.
Es wurden Laien-Brüder zugelassen, die an der Arbeit und dem Gebet
teilnahmen.
Ich habe noch etwas Interessantes über Papst Gregor VII. entdeckt, dass ich
nicht unerwähnt lassen möchte: "Im darauffolgenden Jahr (1074)
schmiedete Papst Gregor Pläne mit einem Heer in Byzanz (heute: Istanbul)
zu intervenieren, das von Seldschuken (türkischen Fürstendynastien)
überrannt zu werden drohte. Dies wird von einigen Historikern als der erste
Kreuzzugsaufruf überhaupt interpretiert." War Papst Gregor VII. der sich so
sehr um den Investiturstreit und um eine spirituelle Erneuerung des
Christentums verdient gemacht hatte, damit der geistige Vater der
Kreuzzüge?
"Was sich die Weltkinder auf Erden wünschen, dem entfliehen wir, und dem
sie entfliehen, das wünschen wir uns. Wir sind wie die Narren, die, mit dem
Kopf nach unten und mit den Füßen in der Luft, alle Blicke auf sich ziehen.
Unser Tun ist ein fröhliches Spiel, sittsam, feierlich und bewundernswert,
das den Blick desjenigen entzückt, der uns vom Himmel aus zuschaut."
Fröhlich oder nicht, die Gregorianer verloren das Spiel. Das Christentum
starb, aber nicht der Grundsatz des Zölibats, der nicht nur in den
Zisterzienser-Klöstern 170 überlebte, sondern auch bei denen, die anderer
Überzeugung waren. Viele Laien übernahmen und zelebrierten das Zölibat.
Andere fühlten sie nicht durch die kirchlichen Lehre getröstet, dass Sex in
der Ehe zulässig sei, wenn es auschließlich der Fortpflanzung diente.
Jahrhunderte des Mönchstums wurden durch den Reichtum und die
weltliche Orientierung korrumpiert. Die Klöster kehrten nun zur Askese
zurück, die ursprünglich das Leben der Mönche bestimmten, die sowohl das
fleischliche, wie auch das spirituelle Zölibat anstrebten.
170
Mutterkloster und Namensgeber der Zisterzienser ist das 1098 n.Chr. von
dem Benediktiner Robert von Molesme (1028 - 1111) und zwanzig weiteren
Mönchen der Abtei Molesme gegründete Kloster Citeaux. Ein wesentlicher
Anlass zur Ordensgründung war im wenige Kilometer entfernten Kloster
Cluny zu suchen. Diese große und in der ganzen Christenheit berühmte
Benediktinerabtei in der französischen Region Burgund hatte durch Spenden
und Erbschaften ein großes Vermögen und weite Ländereien erworben.
Wenige Jahre zuvor (1088) hatte man mit dem Bau der damals größten
Kirche der Christenheit begonnen, die sogar den Petersdom in Rom an
Größe übertraf. Auch die Innenausstattung mit Fresken (Wand- und
Deckenmalereien) war aufwendig. In dieser mächtigen und einflussreichen
Abtei (mehrere Päpste gingen aus den Reihen ihrer Mönche hervor) spielte
die Liturgie eine herausragende Rolle: stundenlange Gottesdienste und
feierliche Prozessionenwaren an der Tagesordnung.
Von ihrer Grundintention wollten Robert von Molesme und seine Mönche
nichts anderes sein als Benediktiner und getreu nach der benediktinischen
Regel leben. Jedoch unterschied sich die Lebensweise der Mönche von
Cîteaux entscheidend von der anderer Benediktinerklöster, insbesondere der
von Cluny. So entstand aus der als Reform innerhalb des Benediktinertums
gedachten Neugründung ein neuer Orden, der gleichzeitig der erste
zentralistisch organisierte Mönchsorden des christlichen Abendlandes war.
Von Cîteaux aus kam es zu Neugründungen von Tochterklöstern. Dem
neuen Orden gab Stephan Harding mit seiner "Charta Caritatis" eine
Verfassung; am 23. Dezember 1119 wurde diese durch Papst Calixt II. in
einer Bulle (Urkunde) bestätigt. Somit ist Stephan Harding der eigentliche
Gründer des Zisterzienserordens.
Unter Abt Bernard von Clairvaux (der sich später so massiv für den Zweiten
Kreuzzug aussprach) begann der eigentliche Aufstieg des
Zisterzienserordens. Durch Predigt, persönliches Beispiel und theoretische
Vorgaben zum Klosterbau wurde er zum eigentlichen Ordensvater, so dass
die Zisterzienser manchmal auch als „Bernhardiner“ bezeichnet werden. Ein
weiblicher Zweig nennt sich heute „Bernhardinerinnen“. Unter Bernhard
wurden in ganz Europa Hunderte neue Klöster errichtet; auch viele
ehemalige Benediktinerabteien schlossen sich der neuen Reformbewegung
an.
Quelle: Zisterzienser
171
Das Stundengebet ist die Antwort der Kirche auf das Apostelwort „Betet
ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17) und das Psalmwort „Siebenmal am Tag
singe ich dein Lob und nachts stehe ich auf, um dich zu preisen.“ (vgl. Ps
119,62.164).
Ich habe einen sehr interessanten Text über Sexualität und Spiritualität
gefunden. Auch wenn ich nicht in allen Punkten mit der Autorin
übereinstimme, möchte ich euch einmal auf diesen Text hinweisen:
Interessant erscheint mir auch das Leben des Anagarika Govinda , einem
deutschen Buddhisten, der offensichtlich großen Einfluss auf die Autorin
des Textes hatte.
Jeden Morgen, an dem sie erwachten, suchten sie den feuchten Nachweis
der vergangenen Nacht, die sündhafte Klebrigkeit ihrer Oberschenkel zu
finden. Hatten sie den Nachweis eines nächtlichen Samenergusses entdeckt,
dann weigerten sie sich pflichtgemaß an der Messe teilzunehmen.Sie taten
dies aus tiefster Gewissenhaftigkeit, um die Ordensvorschriften zu erfüllen.
Die Angelegenheit erreichte kritische Ausmaße, als festgestellt wurde, dass
eine ungewöhnlich große Anzahl von Mönchen nicht zur Messe erschien.
Hierauf wurde die Öffentlichkeit über die Situation benachrichtigt und noch
schlimmer, darüber gesprochen, was sie verursacht hatte. Der Prior war
zutiefst verlegen und änderte hastig die Vorschriften. Er räumte ein, dass
jeder an der Messe teilnehmen konnte, auch wenn er nächtliche Pollutionen
hatte.
Die Affäre um die "feuchten Träume" machte einen tiefen Eindruck auf
Martin Luther. Er dachte über die sexuelle Natur nach und kam schließlich
zu dem Ergebnis, dass unabsichtliche Samenergüsse natürlich sind und
deshalb akzeptiert werden, dass aber die Samenergüsse, die durch bewusste
Anstengungen angeregt wurden, als sündig betrachtet wurden, außer in der
Ehe. Dies führte dazu, über andere Aspekte der Sexualität nachzudenken.
Aus den nächtlichen Samenergüssen leitete er die Sexualität allgemein ab
und schloß daraus, dass der nächtliche Samenerguß eine gottesbestimmte
Funktion und gefährlich war. Langsam und radikal wurden seine Ansichten
über das Zölibat genau entgegengesetzt zur katholischen Ansicht.
Ein Urdhvareto Yogi ist ein Mensch, dessen Geschlechtsenergie nach oben
zum Gehirn fließt, als Ojas Shakti gespeichert wird und für die Zwecke der
Kontemplation in der Praxis von Dhyana Verwendung findet. Er verwandelt
die Geschlechtsenergie in Ojas. Das ist ein großes Geheimnis.
Der Körper eines Menschen, der wirklich ein Urdhvaretas ist, riecht nach
Rosen. Ein Mensch, der kein Brahmachari ist, und in dem sich der
grobstoffliche Samen bildet, kann andererseits den Geruch eines
Ziegenbocks haben.
Der Vorgang der sexuellen Sublimierung ist sehr schwierig, und doch ist sie
überaus notwendig für den Aspiranten am spirituellen Weg. Sie ist die
wichtigste Voraussetzung für den Sadhaka sowohl am Weg des Karma
Yoga, Upasana, Raja Yoga oder Vedanta. Sie muß um jeden Preis erreicht
werden. Der Mensch, in dem der Sexualgedanke tief verwurzelt ist, kann nie
davon träumen, Vedanta zu verstehen und Brahman zu verwirklichen, nicht
einmal in hunderttausend Geburten. Die Wahrheit kann nicht sein, wo
Leidenschaft ist.
Quelle: Brahmacharya
Swami Sivananda sagt in seinem Buch Die Praxis des Brahmacharya über
die nächtlichen Pollutionen:
Es gibt zwei Arten von Pollutionen, nämlich normale und krankhafte. Bei
der normalen Pollution findet eine Auffrischung statt. Du solltest über
diesen Vorgang nicht weiter besorgt sein, wenn die Samenentleerung nur
gelegentlich geschieht. Dies ist ein geringfügiger periodischer Abfluss des
Samens, um die Vorratsspeicher, in der das Ejakulat aufbewahrt wird, zu
reinigen und vor dem Überlauf zu schützen. Wegen dieses Vorganges
braucht man kein schlechtes Gewissen zu haben. Möglicherweise bemerkt
man den nächtlichen Orgasmus, der ja im Schlaf geschieht, nicht einmal.
Bei krankhaften Pollutionen allerdings, wird der Samenerguss von sexuellen
Gedanken begleitet. Depressionen sind die Folge. Es stellen sich
Reizbarkeit, Trägheit, Faulheit, und die Unfähigkeit zu arbeiten und sich zu
konzentrieren, ein. Gelegentliche Pollutionen dieser Art sind ohne
Konsequenz. Aber häufige Pollutionen dieser Art verursachen
Depressionen, Erschöpfung, Verdauungsstörungen, Niedergeschlagenheit,
Vergesslichkeit, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Augenbrennen,
Schläfrigkeit und ein brennenden Empfinden beim Harnlassen und beim
Samenfluss. Der Samen wird außerdem dünnflüssig.
So kam Brendan zu Scuthin und Scuthin sagte: "Lasst den Priester heute
nacht in meinem Bett schlafen." Zur Schlafenszeit erschienen zwei hübsche,
junge Frauen in Brendan's Unterkunft. Nachdem sie den Raum betreten
hatten, in dem Brendan im Bett lag, krochen die beiden Frauen zu ihm ins
Bett und kuschelten sich an ihn. "Was ist das", fragte Brendan. Sie
beteuerten ihm, dass sie dies jede Nacht mit Scuthin taten.
Brendan lag schlaflos in seinem Bett. Er drehte und wälzte sich unruhig hin
und her und wurde von der Lust gequält. Nach einer Weile beschwerten sich
die Frauen über Brendan's offensichtliches Problem. Ihr üblicher
Bettgenosse, Scuthin, hatte überhaupt nicht reagiert, sagten sie, wenn er
auch manchmal zu einem Sprung ins kalte Wasser Zuflucht nehmen musste.
Brendan war erstaunt und erkannte, dass man Scuthin zu Unrecht der
sexuelle Ungehörigkeit beschuldigt hatte.
Wir wissen nichts über die Jugend von Barsanuphius, bis er als Einsidler in
der Nähe von Gaza in das Kloster des Abtes Seridon eintrat. Als er ins
Kloster des ehrwürdigen Seridon eintrat, schloss er sich in seine Zelle ein
und lebte dort 18 Jahre. Besucht wurde der Heilige nur vom Abt, der ihm
die Heilige Kommunion brachte. Da aber viele Barsanuphius Rat suchten,
überbrachte ihm der ehrwürdige Seridon die Briefe von Ratsuchenden.
Weitere 50 Jahre lebte Barsanuphios in einer anderen Zelle, ohne jeglichen
Kontakt zu anderen Menschen.
Der "Große alte Mann", wie Barsanuphius genannt wurde, verließ niemals
seine Zelle und sah niemanden außer dem Abt Seridon, der als sein Sekretär
agierte. Barsanuphius war nicht nur der spirituelle Leiter der Mönche und
ihr Vorgesetzter, sondern wurde auch von vielen Mönchen, Priestern, Laien
und Bischöfen der Region um Rat gefragt. Dieser Austausch geschah in
Form eines Briefwechsels, wobei der Abt Seridon als Mittelsmann auftrat.
Seridon übermittelte die Fragen und Antworten. Die Briefe wurden nach
dem Diktat desBarsanuphius oder eines anderen großen alten Mannes,
Johannes dem Propheten, der in einer Nachbarzelle Barsanuphius' lebte, von
Seridon in griechischer Sprache niedergeschrieben. Aus seinem
Briefwechsel mit dem ehrwürdigen Barsanuphius entstand ein Buch mit
dem Titel:
Aber was sollte bis zur Ankunft des himmlischen Königreichs mit den
Seelen der übrigen Menschen geschehen? Wer würde die sündigen
Menschen lehren, führen, schelten, bestrafen und sie verurteilen? Für die
überwiegende Mehrheit der Menschheit waren Priester erforderlich.
Das lebenslange Zölibat war, wie wir gesehen haben, ein primäres
christliches Anliegen. Die meisten Heiden und Juden 174 betrachteten das
Zölibat als sonderbar und unnatürlich, schädlich für die Gesellschaft und
tödlich für die menschliche Rasse. Das Gesetz verlangte von heidnischen
Priestern zu heiraten und die meisten religiösen jüdischen Führer taten dies
freiwillig, obwohl sie sich vor und während bestimmter Feste und ritueller
Veranstaltungen der Sexualität enthielten, wie z.B. bei Festen, bei denen am
Altar Tiere geopfert wurden. (Das Tieropfer bestand aus der vollständigen
Verbrennung eines Rindes, eines Schafes, einer Ziege oder eines Widders,
gelegentlich auch einer Taube, wenn jemand arm war. Nach der Zerstörung
des Tempels von Jerusalem im Jahre 70 n.Chr. wurden die Tieropfer
eingestellt.) Mit dem Anwachsen des Christentums, setzten sich ihre Führer
immer stärker für ein dauerhaftes Zölibat der Priester ein.
Für die verheirateten Priester und ihre Frauen war das Zölibat natürlich
keine populäre Vorstellung. Bis heute ist das kirchliche Zölibat der
strittigste, schwierigste und zehrenste Aspekt der römisch-katholischen
Kirche, der einzigen christlichen Religionsgemeinschaft, die das Zölibat von
ihren Priestern verlangt. In den späteren Kapiteln werden wir sehen, wie
sich katholische Priester und Nonnen von der schwindenden religiösen
Gemeinschaften ablösen, die sich einst auf einem scheinbar nicht enden
wollenden Strom junger Menschen berufen konnte, unabhängig davon, ob
sie von Gott gerufen oder von ihren Familien zum Zölibat gezwungen
wurden.
"Die Geschichte der Bibel ist auch eine Geschichte der Prostitution, die
gerade unter Moses scharf verfolgt wurde. In den Büchern Moses wird
berichtet, wie die Mädchen der Moabiter die Israeliten zu heiterem Verkehr
zu verführen versuchten. Moses war besorgt um sein Volk und stellte
strenge Gesetze auf, um das sexuelle Treiben der Israeliten zu beschränken.
Besonders den Frauen Israels schrieb er strenge Keuschheit vor. So musste
eine Frau damit rechnen, dass man ihr die Hand abschlägt, wenn man sie
dabei erwischte, wenn sie einen Mann an die Genitalien griff.
In späteren Judentum gab es dann die Essener und die Therapeuten, zwei
jüdische Mönchsorden, die sich in der israelischen Wüste (Quumran) und in
Ägypten (Alexandria) niederließen.
Lange Zeit dachte ich, dass das Judentum nach seiner Flucht aus Ägypten,
wenn es diese Flucht wirklich gegeben haben sollte, die Historiker sind sich
da ja keineswegs einig, vielleicht in den ersten Jahrzehnten oder gar
Jahrhunderten nach dieser Flucht, an einem Wachstum der jüdischen
Bevölkerung interessiert war, so dass zunächst an das Zölibat nicht zu
denken war.
Hinzu kommt, die ganz spezielle Situation der Juden, die von vielen
Völkern verfolgt und gedemütigt wurden, was dazu führte, dass die Juden
aus Palästina vertrieben wurden und sich überall in der Welt in sogenannten
Diasporas, also in kleineren Gruppen, ansiedelten. Das Verbindende dieser,
überall in der Welt zerstreuten Juden, war natürlich der jüdische Glaube, der
aus der ganzen bedrängten Situation heraus, bestimmt oftmals sehr
dogmatisch ausgelegt wurde. Somit durfte an den Worten des Tanach (der
jüdischen Bibel) natürlich nicht gerüttelt wurden. Sie wurden streng
dogmatisch ausgelegt. Damit war eine Veränderung oder Erneuerung der
jüdischen Religion so gut wie ausgeschlossen. Man weiß ja auch, wie
schwer sich z.B. das Christentum mit Erneuerungen tut.
Andererseits gehe ich davon aus, dass das Zölibat der großen Mehrheit des
Judentums weitgehend unbekannt war. Und dort, wo es unbekannt war, oder
nicht bedacht wurde, konnte es natürlich auch nicht praktiziert werden.
Mit Jesus und dem Christentum kam das Zölibat. Aber ich nehmen nicht an,
dass das Zölibat eine Erfindung des Christentums war, sondern dass das
Zölibat zusammen mit der hinduistischen, buddhistischen und griechischen
Kultur nach Palästina kam, denn es gab einen regen Kulturaustausch
zwischen Indien, Griechenland und Palästina. Im Christentum fiel das
Zölibat dann auf fruchtbaren Boden, im Judentum dagegen nicht. Und ich
habe das Gefühl, dass es im Judentum nicht auf fruchtbaren Boden fiel, weil
das Judentum durch seine ganz besondere Situation, unter der es so sehr zu
leiden hatte und heute noch leidet, noch weniger als das Christentum für
Veränderungen aufgeschlossen ist. Die hebräische Bibel hat den Juden eben
über Jahrtausende Halt geboten und weil dies so war, fällt es um so
schwerer, sich neuen Ideen zu öffnen.
Außerdem hat das Christentum das Zölibat gewissermaßen mit in die Wiege
gelegt bekommen, während es für das Judentum, würden es das Zölibat
akzeptieren wollen, ein ganz großer (neuer) Schritt wäre, eine völlige
Veränderung der bisherigen Denkgewohnheiten, wollte man die Idee des
Zölibats in das Judentum aufnehmen. Weil es den meisten Menschen
ohnehin schwerfällt, Veränderungen zu akzeptieren und weil speziell die
Juden wohl das Gefühl hatten, dass sie mit der hebräischen Bibel in all den
Jahrhunderten eigentlich ganz gut zurecht gekommen sind, sahen sie
natürlich auch nicht die Notwendigkeit, daran etwas zu ändern.
Ich selber denke in diesem Punkt allerdings etwas anders. Zunächst einmal
denke ich, dass das Judentum, wie auch andere Religionen, wie z.B. der
Islam, die wirkliche Bedeutung des Zölibat nicht erkannt haben. Dies trifft
aber wohl auch auf die große Mehrheit aller Menschen zu. Meiner Meinung
nach gab es innerhalb des Judentum niemals ernsthafte Überlegungen, das
Zölibat zu integrieren. Dies hängt meiner Meinung nach in erster Linie mit
einer mangelden Offenheit, neue Ideen zu übernehmen, zusammen,
außerdem mit dem fehlenden Bewusstsein, was das Zölibat eigentlich
bedeutet, und mit der menschlichen Schwäche, die sich lieber auf weltliche
Dinge, als auf spirituelle Dinge konzentriert. Ich glaube, durch die
mangelnde Entscheidungsfreudigkeit, Einsicht und eben durch die
menschlichen Schwächen hat das Judentum sich selber einer sehr wertvollen
Bereicherung beraubt, die dem Judentum einen sehr wertvollen Beitrag hätte
leisten können.
Die zölibatäre Nachkommenschaft half sogar, die Miete der Kirche aufrecht
zu erhalten, mit dem triumphalen Zölibat der westlichen Geistlichen,
zumindest in der Theorie und dem ungenierten unzölibatären Verhalten der
östlichen Geistlichen, sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis. Aber bis
zum dreizehnten Jahrhundert war das Zölibat, selbst unter den uneinigen
westlichen Klerikern (Priestern) und Politikern, in erster Linie eine Sache
der Mönche.
Was wirklich wichtig war in dieser Angelegenheit, sind nicht so sehr die
Details der Entwicklung, ihre zwischenzeitlichen religiösen Erlasse, ihre
eklatante Missachtung, ihre Kompromisse, ihr Zurückweichen, ihre erneuten
Attacken, die missmutige Akzeptanz, die verstohlene Nichteinhaltung,
sondern die dogmatische Basis, mit der es schliesslich auferlegt wurde. Wir
alle kennen den Höhepunkt in der Geschichte der Kirche, bei dem es zu
einem großen Riss kam: Die protestantische Reformation, bei dem der zuvor
katholische Mönch Martin Luther, der sogar dem besonders streng asketisch
orientierten Bettelorden der Augustiner-Eremiten angehörte, die nach den
Augustinusregeln (Augustinus von Hippo 354 - 430 n.Chr.) lebten,
hasserfüllt und offensive gegen das klerikale Zölibat vorging. "Nichts",
donnerte Martin Luther, "klingt schlimmer in meinen Ohren, als die Worte
Nonne, Mönch und Priester."
Ein Wendepunkt war erreicht, als der christliche Kaiser Konstantin 313
n.Chr. sein Edikt zur Legalisierung des Christentums ausstellte. Bis dahin
hatte die populäre Fantasie die Kirchenväter gefangen genommen und ihre
Askese und Fixierung auf das reine Zölibat faszinierte und beeinflusste
viele.
Das Werk beginnt mit der persönlichen Entwicklung des Augustinus hin
zum christlichen Glauben (Zuvor fühlte sich Augustinus von griechischen
Philosophen z.B. Cicero und dem Manichäismus angezogen. Die Bibel
hingegen fand er zunächst enttäuschend; insbesondere das Alte Testament
stieß ihn ab, aber auch das widersprüchliche Geschlechterregister
(Ahnentafel) Christi befremdete ihn.) und enthält gegen Schluss immer
mehr philosophische Betrachtungen, besonders auch zum Thema Zeit.
Anhand der "Confessiones" lässt sich die Auseinandersetzung zwischen
Manichäismus, Neuplatonismus und dem Christentum nachvollziehen, die
sich auch in der Biografie von Augustinus widerspiegelt.
Quelle: Confessiones
Dies war der lose Wandteppich, auf dem die christliche Bürokratie das
schwankende Leben ihrer Politik des klerikalen Zölibats mit ekligen und
einseitigen Stichen bestickt hatte. In den ersten Jahrhunderten der neuen
Religion, bestand das Hauptvertrauen der politischen Entscheidungsträger in
zeitweiligen Entscheidungen, die den Geistlichen einen erhabenen religiösen
Status verlieh. Im Jahre 305 n.Chr. wurde auf der Synode von Elvira 177
(Spanien) ein Verbot des ehelichen Verkehrs für Bischöfe, Priester und
Diakone beschlossen. Die Ehelosigkeit wurde dagegen noch nicht gefordert.
Die Strafe für die Missachtung dieses Kanons war der Ausschluß aus dem
Priesteramt. Die Synode wurde von den orthodoxen (griechischen)
Patriarchaten nicht anerkannt.178
177
Die erste amtliche Stellungnahme zum Zölibat findet sich um 305 in
Spanien, auf der Synode von Elvira. Kanon 33: "Man stimmt in dem
vollkommenen Verbot überein, das für Bischöfe, Priester, Diakone, d.h. für
alle Kleriker, die im Altardienst stehen, gilt, dass sie sich ihrer Ehefrauen
enthalten und keine Kinder zeugen, wer aber solches getan hat, soll aus dem
Klerikerstande ausgeschlossen werden."
Es lässt sich klar zeigen, dass dieses Gesetz keine Neuerung darstellt,
sondern nur eine Betonung einer bisherigen Praxis darstellt. Es gibt also
bereits um 305 eine schon längere Tradition des Pflichtzölibats.
178
Die orthodoxe Kirche erheben den Anspruch, sich im Unterschied zu den
westlichen Kirchen dogmatisch ausschließlich an den Beschlüssen der
sieben ökumenischen Konzile zwischen 325 und 787 n.Chr. zu orientieren.
Deshalb leben nur die Bischöfe der orthodoxen Kirche im Zölibat.
Aus dem vollständigen Text geht hervor, dass ein großer Teil (nicht die
Mehrheit!) der afrikanischen Kleriker vor der Weihe verheiratet waren.
Nach der Weihe mussten sie aber enthaltsam leben. Das Afrikanische
Konzil beruft sich ausdrücklich auf die Apostellehre, die Beobachtung der
Tradition der Vergangenheit und auf die einstimmige Bestätigung durch die
gesamte afrikanische Kirche. Auf dem II. Lateranum von 1139 in Rom
wurde feierlich ausgesprochen, dass die von den höheren Klerikern
geschlossenen Ehen nicht nur unerlaubt, sondern auch ungültig seien.
Von den 81 Kanons, die in Elvira verabschiedet wurden, betrafen fast die
Hälfte, einschließlich des oben zitierten, die Sexualität. Sie forderten
strengere Strafen für sexuelle Verfehlungen als für die Ketzerei und andere
schwerwiegende Sünden. So viele Geistliche waren verheiratet, dass die
zölibatären Kreuzritter den ehelichen Sex ächteten, es aber nicht wagten, die
Ehe selbst zu verbieten. Dennoch entsprach ihr Urteil einer
niederschmeternden Äußerung. Für den kleinsten Verstoß riskierten die
Geistlichen und Laien den ewigen Ausschluß von der heiligen Eucharistie.
Elvira war ein drakonischer Erlass und angesichts der Realitäten seiner Zeit,
unüberlegt, vorschnell und nicht durchsetzbar. Kein Wunder also, dass zwei
Jahrzehnte später, 325 n.Chr. auf dem ersten Konzil von Nicäa (heute: Iznik
in der Türkei) aufgehoben wurde. (Kanon 3 besagte allerdings: Das Konzil
verbietet absolut, dass Bischöfe, Priester und Diakone mit einer Frau
zusammenleben, ausgenommen natürlich ihre Mutter, Schwester oder Tante
oder eine über jeden Verdacht erhabene Frau. Die tolerante Haltung des
Konzils von Nicäa dürfte also in erster Linie den Laien gegolten haben.)
Paphnutius180 , der ägyptischen Märtyrer und Bischof von Theben, der es
vorzog seine Augen blenden zu lassen, als sich vom christlichen Glauben
loszusagen, argumentierte eindringlich gegen das klerikale Zölibat, mit der
Begründung, es sei zu schwierig für die meisten Männer. Auf jeden Fall,
sagte er, sei die Ehe eine respektabler Form des Lebens. Paphnutius
beeinflusste viele durch die Kraft seiner Argumente und auch durch seinen
Charakter. Er lebte selber zölibatär und so sprach er lediglich über das
Prinzip. Andere Synoden und Konzile bestätigten diese Ehe-tolerante
Haltung. 345 tadelte die Synode von Gangra (heute Cankiri, in der Türkei,
Anatolien) Kirchgänger, die ein Sakrament ablehnten, welches von einem
verheirateten Priester gereicht wurde.
180
Paphnutius wurden 308 n.Chr. als Christen in der Christenverfolgung
(308-312) unter dem römischen Kaiser Maximus Daia († 313) die Augen
ausgestochen und die Kniekehlen durchtrennt. Danach wurde er als
Zwangsarbeiter in ein Bergwerk gesteckt. 311 wurde er befreit, lebte als
Mönch bei Antonius dem Großen und wurde einige Jahre später zum
Bischof der oberen Thebais gewählt.
Die großen Ideale des Zölibats und des zölibatären Mönchstums haben eine
unumkehrbare Grundströmung für das kirchliche Zölibat in Bewegung
gesetzt. Schließlich fragten sich die prozölibatären Kirchenmänner, wie
unterscheiden sich die Geistlichen von den normal Sterblichen, wenn die
Geistlichen sich mit den niedrigsten Aktivitäten identifizieren? Schliesslich
gewann die Meinung an Zulauf, dass die Fürsoge für eine Frau und für
Kinder die Prister von ihrem geistlichen Amt und ihrer vorbildlichen
Spiritualität ablenken würden.
Der wachsende Wohlstand der Klöster und der Kirche im allgemeinen war
ein weiterer wichtiger Grund, das kirchliche Zölibat zu fordern.
Junggesellen hinterließen keine Erben. So kamen sie nicht in die
Versuchung, den Besitz aufzuteilen, den sie verwalteten. So konnte dieser
Besitz komplett der nächsten Generation der Mönche und Kirchenmänner
übergeben werden. Wie wir sehen werden, produzierte eine ähnliche
Argumentationslinie in Persien und in China die Hüter der Harems, die
bizarre soziale Kategorie der unabänderlich verstümmelten Eunuchen. (Ich
würde allerdings bestreiten, dass die Argumentationslinie der enthaltsam
lebenden Mönche und der kastrierten Eunuchen dieselbe war. Schließlich
ging es im Falle der Mönche, um das spirituelle Einssein mit Gott und im
Falle der Eunuchen um das Verhindern sexueller Begehrlichkeiten des
Eunuchen aus egoistischen Gründen des Haremsbesitzers. Es ging den
Eunuchen also nicht um das Einssein mit Gott, sondern um ihre
persönlichen materiellen Vorteile.)
Von 370 n.Chr. an, verbot das päpstliche Diktat den Priestern sexuelle
Beziehungen. Dieses päpstliche Diktat wurde weitgehend als nicht
vollstreckbar angesehen und die meisten verheirateten Priester schliefen
weiter mit ihren Frauen. Allerdings interpretierten die Kleriker das
päpstliche Dekret als ein Banner gegen das Recht des Geistlichen, nach der
Ordination (Priesterweihe) zu heiraten. Sie vermuteten, dass unverheiratete
Bewerber in der Kirche bevorzugt würden und dass das Zölibat eine gute
Möglichkeit war, die eigene Karriere zu fördern.
Im Laufe der Jahre setzte sich das Zölibat immer weiter durch. 401 n.Chr.
wurde von den Priestern aus Karthago (in Nordafrika, nahe dem heutigen
Tunis in Tunesien) gefordert, einen Eid auf das Zölibat zu schwören. Dies
war das erste Beispiel einer strikteren Anbindung an das Zölibat.
Kirchenweit konnte das Privatleben eines Priesters nun theoretisch
überwacht werden. Seine Frau musste nun nach der Hochzeit jungfräulich
leben und für immer Jungfrau bleiben. Sie sollte nicht mit ihm das
Schlafzimmer teilen und noch weniger das Bett. Anstatt, dass sie die Nacht
mit einer Anstandsdame verbrachte, ging sie zu anderen Klerikern. Sollte ihr
Ehemann sterben, dann war es der Witwe nicht erlaubt, eine erneute Heirat
einzugehen. Ein späterer Erlass ging noch weiter. Die verheirateten
Geistlichen mussten ihre Ehefrauen nach der Ordination verlassen.
Und so ergingen Erlasse, Urteile, päpstliche Dekrete und eine Vielzahl von
zum Teil widersprüchlichen und gelegentlich kleinkarierten
Entscheidungen, die dann vor allen Dingen in der westlichen Kirche, aber
weniger in der östlichen Kirche, zu einer unerbittlichen Politik führte, die
das kirchliche Zölibat von den oberen kirchlichen Würdenträgern bis
hinunter zum einfachen Diakon durchsetze. Die Politik variierte von Zeit zu
Zeit und von Ort zu Ort und oft waren die Auswirkungen vernachlässigbar.
Um 400 n.Chr. wurde das Zölibat allen wichtigen Klerikern der westlichen
Kirche auferlegt. Um 450 n.Chr. hatte sich das Netz bis auf alle Diakone 181
ausgedehnt. Trotz der offiziellen Erlasse, stieß die Kampagne zur
Durchsetzung des Zölibats auf anhaltenden Widerstand. 483 und ebenfalls
535 n.Chr. wurden diese Erlasse, durch zwei peinliche Papstwahlen
untergraben, denn die Päpste Felix II. und Agapitus I. waren Söhne von
Priestern. (Es soll außerdem insgesamt 39 verheiratete Päpste gegeben
haben.)
181
In der katholischen Kirche entspricht der Diakon der untersten
Weihestufe.
In der Tat war es ein Routineereignis, dass die Realität des Zölibats mit der
täglichen (Kirchen-)Politik zusammenprallte. Betrachten wir nicht die
hochgeborenen Kleriker mit dem Zugriff auf ein Vermögen, sondern die
einfachen Priester, die den größten Teil des klerikalen Körpers ausmachen.
Das materielle Leben im nachklassischen Westen war so brutal, dass es
einige unreligiöse Männer aus Hunger in zölibatäre Klöster trieb und einige
Aufrichtige zum Heiraten zwang, um wirtschaftlich zu überleben. Neben
den Kindern, die sie zeugten, konnten die Frauen der Priester die kirchlichen
Ländereien pflegen und in anderer Weise ihren priesterlichen Ehemann
ernähren und bekleiden. Ehrgeizigere Priester dagegen heirateten Frauen mit
einer guten Aussteuer, mit einem guten Vermögen oder mit einem kleinen
Unternehmen, selbst wenn das Letztere so viel Zeit in Anspruch nahm, dass
die religiöse Tätigkeit neben der kommerziellen Tätigkeit zweitrangig
wurde.
Mit anderen Worten, eine Durchsicht der Dekrete und Verordnungen der
westlichen Kirche vermittelt den falschen Eindruck, dass das Zölibat eine
gut etablierte Eigenschaft der Geistlichen war. Dies könnte den Verdacht
aufkommen lassen, dass alles nicht so gut war. Nehmen wir zum Bespiel
folgende Liste von Bußen182: Geistliche, die den sinnlichen Begierden
nachgingen, kamen ins Gefängnis. Ihnen wurde nur Wasser und Brot
erlaubt. Ein ordinierter Geistlicher wurde gepeitscht, bis er blutete und erlitt
andere Strafen, die im Ermessen des Bischofs standen. Er verbrachte zwei
Jahre im Gefängnis. Nach dreimaligem Auspeitschen, folgten verschiede
Bußübungen, die während des einjährigen Gefängnisaufenthaltes
durchgeführt wurden. Schlimmer noch war die Lage für die Ehefrau und die
Kinder, denn sie wurden in die Sklaverei verkauft. Im Allgemeinen aber
wurden Mönche und Nonnen mit Nachsicht behandelt.
182
Bonifatius († 754) drohte den immer noch zahlreich verheirateten
Klerikern an, sie fortan hart zu bestrafen: "Ein schuldiger Priester soll zwei
Jahre im Kerker bleiben, vorher jedoch öffentlich gestäupt (am Pranger
geschlagen, meist mit einem Reisigbündel, dünnen Zweigen aus
Birkenreisig) und gepeitscht werden, nachher mag der Bischof diese Strafe
wiederholen lassen. Mönche und Nonnen sollen nach der dritten Prügelung
in den Kerker gebracht werden und daselbst bis zum Ablauf eines Jahres
Buße tun". (in: Uta Ranke-Heinemann, ebenda, S. 112)
Trotz dieser Gewaltandrohungen waren um das Jahr 1000 herum noch die
meisten Geistlichen verheiratet. Die Päpste und Kirchenväter gaben jedoch
ihren Kampf gegen die Ehe nicht auf. Auf der Synode zu Pavia im Jahre
1022 ordneten Papst Benedikt VIII. und Kaiser Heinrich II. gemeinsam an,
daß alle Geistlichen, einschließlich der Subdiakone, sich nicht mehr
ehelichen dürften. Zuwiderhandelnde mußten mit schweren Strafen rechnen.
In der Praxis sah es aber ganz anders aus! So hielt man um das Jahr 1200 im
Bistum Salzburg denjenigen Geistlichen für einen Heiligen, der nur eine
Konkubine besaß. Und Bischof Heinrich von Basel († 1238) hinterließ bei
seinem Tod 20 vaterlose Kinder. Sein Kollege, der Bischof Heinrich von
Lüttich, der nach seiner Amtsenthebung im Jahre 1281 seinen Nachfolger
ermordete, besaß sogar 61 Kinder!
Die Strafen waren streng und furchteinflößend. Aber sie wurden nur bei
einem Verstoss gegen das Zölibat ausgesprochen. Wie konnte es in der
Kirche des achten Jahrhunderts anders sein, in der ein hoher Würdenträger,
in diesem Fall, der in England geborene und später von der Kirche heilig
gesprochene St. Bonifatius (672/73 - 754), mit der Unterstützung des
Papstes gegen die sündigen Diakone vorging, die seit ihrer Kindheit in
wollüstige und andere obszöne Verhalten verwickelt waren. Bonifatius fand
sehr harte Worte gegen den in seinen Augen stark verweltlichten und
heruntergekommenen Klerus. So wetterte er gegen Kleriker, "die seit ihrer
Jugend immer in Unzucht, immer in Ehebruch und immer in allerlei
Schmutzereien gelebt haben. ... Sie haben vier oder fünf oder nochmehr
Konkubinen (Beischläferinnen) im Bett und empfinden weder Scham noch
Furcht beim Verlesen des Evangeliums".
Die Antwort des griechischen Papstes Zacharias (679 - 752) war ein
Kompromissvorschlag: Sollte sich ein Geistlicher des Ehebruchs schuldig
machen oder mehr als eine Frau haben, dann sollten er von der Ausübung
des priesterlichen Amtes entbunden werden. Das Zölibat war eben schwer
zu handhaben. Daran konnten selbst strenge Richtlinien über das Zölibat
nicht viel ändern.
Mancher Klatsch war natürlich gerechtfertigt, vor allem, wenn Priester und
Bischöfe Kinder hatten. Die große Furcht bestand darin, dass die Geistlichen
das Kircheneigentum als persönliches Erbe benutzen würden, um ihre Söhne
und Töchter zu versorgen. Von den Priestern wurde erwartet, dass sie mit
ihren Frauen lebten, als seien sie keine Frauen (1. Korinther 7,30 : Die da
Weiber haben, daß sie seien, als hätten sie keine.). Außerdem wurde von
den Priestern erwartet, dass sie den kirchlichen Besitz so verwalten, als
hätten sie keinen Besitz (Armutsgelübde), was auch buchstäblich der Fall
war. Die Information an die Priester und Bischöfe, die durch ein Kind der
Kirchenpolitik spotteten, geschah nicht aus persönlicher Bosheit, sondern
durch die ernste Sorge um die Zukunft der christlichen Gemeinde.
Bis zum zehnten Jahrhundert, zum Beispiel, lebten ländliche Priester, als
auch einige städtische Priester und sogar einige Bischöfe in Ehen, die durch
die wiederholte Zeugung von Kindern, nachweislich sexuell waren. Des
Priesters Geliebte, war eine Standardrolle in der mittelalterlichen Dichtung.
Das Zölibat war auch ein zentrales Thema in der nächsten großen
Reformation Martin Luther's, als er mit einem gezackten Messer durch den
kränkelnden Katholizismus schnitt, die kirchlichen Wunden ausbrannte und
die Gliedmaßen trennte, die da reiften. Dieser Vorgang führte zu einer
reformierten katholischen Kirche und zur Entstehung des Protestantismus.
Es gab prägnante Antworten, zu den Fragen des klerikalen Zölibats, so dass
die protestantische (evengelische) Perspektive die spirituelle Einstellung der
Geistlichen bestätigte, die sich wünschten, verheiratet zu sein, während die
katholische Kirche den heiligen Charakter des kirchlichen Zölibats erneut
bekräftigte.
Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen am Hauptportal der
Schlosskirche in Wittenberg anschlug (Ob der Thesenanschlag tatsächlich
so stattgefunden hat, ist in der Forschung umstritten.), regte er zum
Nachdenken über das Zölibat an. Das Zölibat sei, so sagte er, theologisch
ohne Sinn und Verstand, weil es als selbstauferlegte Pflicht verstanden
werde, in der Hoffnung auf göttliches Wohlgefallen. Aber dem christlichen
Gott kann nicht durch solche dürftigen Manöver geschmeichelt werden.
Gott gewährte Heil für den Glauben allein. Und damit ist das obligatorische
Zölibat, moralisch für Gott und die genötigten Junggesellen irrelevant.
Den Zölibat verwarf Martin Luther, denn er hielt die Enthaltsamkeit für
unnatürlich ("In der Woche zwier, schadet weder ihm noch ihr"). Am 13.
Juni 1525 heiratete er die sechsundzwanzigjährige, 1523 aus dem Kloster
Nimptschen bei Grimma geflohene ehemalige Zisterzienser-Nonne
Katharina von Bora (1499 - 1552). Mit ihr zeugte er sechs Kinder. Darüber
hinaus nahm er elf Kinder von verstorbenen Verwandten in seine Familie
mit auf. Luther glaubte, dass Gott einigen Menschen das Geschenk des
Zölibat machte. "Dies ist ein christlicher Weg", schrieb er in einer Erklärung
über das Zölibat. Wenn die Apostel der Überzeugung waren, dass das
Zölibat so tugendhaft war, dass der Mann nicht heiraten sollte, so erinnerte
Christus daran, dass nicht jeder in der Lage war, dieses Gebot zu befolgen.
(Ich wollte aber lieber, alle Menschen wären, wie ich bin; aber ein jeglicher
hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so. Ich sage zwar
den Ledigen und Witwen: Es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich.
So sie aber sich nicht mögen enthalten, so laß sie freien; es ist besser freien
denn Brunst leiden. 1. Korinther 7,7-9) Christus Wille war es, so erklärte
Luther, dass nur einige wenige das Gelöbnis des Zölibats ablegen. Alle
anderen hatten den göttlichen Auftrag, weiter ihren bisherigen Weg zu
beschreiten.
Martin Luther steht nach wie vor als Religionsstifter in hohem Ansehen.
Manche Leute fordern sogar, das der 31.10, der Tag der Reformation, ein
Feiertag werden soll.
Luthers Untaten werden von der evangelischen Kirche mit allen Mitttel
verschwiegen und geleugnet. Er forderte gezielt den Tod von Bauern, Juden,
Andersgläubigen, Ehebrecherinnen und behinderten Kindern. Wie kann man
so einen Menschen weiterhin positiv in den Geschichtsbüchern stehen lassen
und ihn für sein Handeln nicht ächten?
Hier einige Zitate von Luther:
Luther über Juden: "Diese Taugenichtse und Ausplünderer sind keine Gnade
und keines Mitleids wert."
"...dass man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke, ... dass man
auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre..."
Erstlich, das man ihre Synagoge oder Schule mit Feur anstecke und,
was nicht verbrennen will, mit Erden überhäufe und beschütte, das
kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und
solches soll man thun, unserm Herrn und der Christenheit zu ehren
damit Gott sehe, das wir Christen sind. – Zum anderen, das man auch
ihre Häuser des gleichen zerbreche und zerstöre, denn sie treiben eben
dasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man
sie etwa unter ein Dach oder Stall thun, wie die Zigeuner, auf das sie
wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande. – Zum dritten, das
man ihnen nehme all ihre Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche
Abgötterei, Lügen, Fluch und Lästerung gelehret wird. – Zum vierten,
das man ihren Rabinern bei Leib und Leben verbiete, hinfurt
(weiterhin) zu lehren. – Zum fünften, das man die Juden das Geleid
und Straße ganz und gar auffhebe (Hausarrest). – Zum sechsten, das
man ihnen den Wucher verbiete und nehme ihnen alle Barschafft
(Bargeld) und Kleinot an Silber und Gold, und lege es beiseit zu
verwahren. – Zum siebenden, das man den jungen, starken Juden und
Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken,
Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweisse der Nasen.
Luther schrieb er 1543 unter anderem in "Von den Jüden und ihren Lügen":
Wenn ich könnte, wo würde ich ihn (den Juden) niederstrecken und
in meinem Zorn mit dem Schwert durchbohren.
"Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie
gebroren werden."
"Darum hat das Maidlein ihr Punzlein, dass es dem Manne ein Heilmittel
bringe."
"Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen, das schadet nichts, laß'
sie nut todt tragen, sie sind darum da."
Luther ist für die Todesstrafe. Er beruft sich oft auf Moses:
Luther ruft zum Krieg und zum Morden der türkischen Kriegsgegner
auf:
"... und mit Freuden die Faust regen und getrost dreinschlage, morden,
rauben und Schaden tun so viel sie immer mögen..."
"Wenn ich Richter wäre, so wollte ich eine solche französische giftige Hure
rädern und ädern lassen."
Luther: Frauen mit magischen Fähigkeiten foltern und töten:
"Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen ... Es ist ein gerechtes Gesetz,
dass sie getötet werden."
"Wenn man aber von den teufelsähnlichen Kindern erzählt ... so halte ich
dafür ... dass es wahre Teufel sind."
"Steche, schlage, würge hier wer da kann. Bleibst darüber Tod, wohl dir,
einen seligeren Tod kannst du nimmer erlangen. Denn du stirbst im
Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl." (Wider die
stürmenden Bauern, Weimarer Ausgabe der Lutherschriften)
"In solch einem Krieg ist es christlich... zu würgen, rauben, brennen und
alles zu tun, was schädlich ist... es ist in Wahrheit auch ein Werk der Liebe...
Sprich ein Credo und das Vaterunser... und zeuch dann vom Leder und
schlage drein in Gottes Namen."
Vielen Menschen gilt Martin Luther als großer Held, als religiöse
Symbolfigur,die nach wie vor wegen ihrer Bibelübersetzung gerühmt wird.
Dabei sind seine Ideologien derart menschenverachtend, dass er ohne
Skrupel als Vordenker der Nationalsozialisten, die sich immer wieder auf
den Reformator beriefen, betrachtet werden. In widerwärtigen
Formulierungen phantasierte er über die Austottung der Juden, über das
Niederbrennen und Zerstören ihrer Häuser und Schulen, über das Ersäufen
behinderter Menschen in der Gosse und er rechtfertigte das Ermorden der
aufständischen Bauern, die sich aus bitterer Not gegen die
Aufrechterhaltung der Feudalgesellschaft aus Fürsten, Adel, Beamten,
Patriziern und der Kirche zur Wehr setzten. Auch viele Geistliche führten
ein ausschweifendes Leben auf Kosten der Armen. Und das alles wurde mit
dem "Willen Gottes" gerechtfertigt.
Und Martin Luther setzte sich nicht für die gerechten Forderungen der
Bauern ein, sondern unterstützte das grausame Vorgehen gegen die
unterdrückten und ausgebeuteten Bauern. Fast alle dieser Aufstände wurden
gewaltsam niedergeworfen. Meist kam es zu dann noch zu zusätzlichen
Repressalien gegen die Bauern. Luthers Kommentar dazu: "Drum soll hier
erschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und
daran denken, daß nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann
als ein aufrührerischer Mensch; so wie man einen tollen Hund totschlagen
muß." Er vertrat also nichts anderes als die Interessen der Obrigkeit. Und
das alles im Namen des Christentums. Er erwartete von den Christen nichts
anderes als Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Der weltliche Besitz sollte
der Obrigkeit ausgeliefert werden und die Christen sollten treu und brav im
Krieg gegen die aufständischen Bauern ziehen, wenn die Obrigkeit das von
ihnen verlangte.
Martin Luther steht ebenso für Sexismus. Er verachtete die Frauen zutiefst.
Er sah in ihnen nichts anderes als Gebärmaschinen und weibliche
Untertanen, die dem Mann zu dienen hatten. Martin Luther steht ebenfalls
für Sozialrassismus. Sein Hass richtete sich gegen alle, die von der Norm
abwichen und die zu den unteren Schichten der Gesellschaft gehörten. Er
idealisierte die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und stellte sich gegen
die Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Diesen
Gedanken trieb er bis zur tödlichen Konsequenz. Luthers Wortschatz ist das
Vokabular des puren Judenhasses. Luther bezeichnete die Juden als
Sklavennaturen, Wahnsinnige, Teufelsdiener und Mörder, ihre Führer
nannte er Verbrecher, und ihre Richter waren für ihn Schurken. Dies war
eine Ausdrucksweise, die der Hetzpropaganda der Nazis in nichts nachstand.
Der Reformator könnte also ohne Skrupel als Vordenker der Nazis
bezeichnet werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit Luther ist jedoch
nicht gewollt. Die evangelische Kirche und die patriotischen Teile
Deutschlands feiern Luther nach wie vor als wichtigen
Gesellschaftsgestalter und beziehen sich ungebrochen positiv auf den
geistigen Brandstifter und Sozialrassisten.
Quellen:
Martin Luther
Martin Luther - ein Vorbild?
Martin Luther - Antisemit, Sozialrassist und Reaktionär
Luthers Ansichten über das Zölibat hatte wie St. Augustinus (Augustinus
von Hippo 354 - 430 n.Chr.) und die frühen Kirchenväter eine tiefgreifende
Wirkung auf die doktrinäre Haltung des christlichen Lebens. Aufgrund der
Frauenfeindlichkeit Martin Luthers und des Franzosen Johannes Calvin
(1509 - 1564), einem weiteren protestantischen Theologen und Reformator,
betrachteten beide das Zölibat höher als die Ehe. (Ob dafür wirklich die
Frauenfeindlichkeit entscheidend war?) Sie hielten dies aber nur bei denen
gerechtfertigt, denen Gott es gewährte. Das bedeutete, dass sie darin
übereinstimmten, dass das Zölibat nicht auferlegt und kein unbedachtes
Gelöbnis von den Menschen abgelegt werden sollte, egal ob sie Laien oder
Priester sind, wenn sie nicht in der Lage sind, diese Verpflichtung zu
erfüllen. "Du glücklicher Mann", schwärmte Luther von einem Priester, der
soeben geheiratet hatte, "weil du durch eine ehrenvolle Ehe das unsichere
Zölibat besiegt hast, welches rügenswert ist, weil es entweder permanente
183
Begierde erzeugt oder unreine Pollutionen" .
183
In diesem Punkt irrte Luther allerdings. Die permanenten Begierden sind
nur ein vorübergehender Zustand beim zölibatär lebenden Mann. Sie
klingen irgendwann vollkommen ab und es stellt sich eine sexuelle
Begierdelosigkeit ein. Die permante Begierde bleibt aber bei dem bestehen,
der weiterhin sexuell aktiv ist. Dafür sorgen schon die Sexualhormone.
Luther selber sagte hierzu: „Als Mönch habe ich nicht viel Begierde gespürt.
Die Weiber schaute ich nicht einmal an, wenn sie beichteten. Ich wollte
nicht einmal die Gesichter derer, die ich hörte, kennenlernen.“ Und auch im
Punkte der Pollution hat Luther sich wahrscheinlich geirrt, denn die Yogis
gehen davon aus, dass bei einem vollendeten Yogi keinerlei Pollution mehr
auftritt. Swami Sivananda sagt hierzu: Allopathen (Schulmediziner) meinen,
daß selbst in einem Urdhvareto Yogi184 die Samenbildung ununterbrochen
weitergeht, und daß die Flüssigkeit wieder ins Blut aufgenommen wird. Das
ist ein Irrtum. Sie verstehen nicht die inneren yogischen Geheimnisse und
Mysterien. Sie sind in der Dunkelheit. Ihre Sicht bezieht sich nur auf die
grobstofflichen Dinge des Universums. Der Yogi dringt in die subtile
verborgene Natur der Dinge durch yogische Sicht und die innere Sicht der
Weisheit ein. Der Yogi erlangt Kontrolle über die Astralnatur der
Geschlechtsenergie und verhindert dadurch die Bildung der
Samenflüssigkeit an sich.
Quelle: Brahmacharya
184
Ein Urdhvareto Yogi ist ein Mensch, in dem die Geschlechtsenergie nach
oben zum Gehirn fließt, als Ojas Shakti (spirituelle Energie) gespeichert
wird und für die Zwecke der Kontemplation in der Praxis von Dhyana
(Meditation) Verwendung findet. Er verwandelt die Geschlechtsenergie in
Ojas. Das ist ein großes Geheimnis. (Ich persönlich gehe aber davon aus,
dass die Samenproduktion, entgegen Swami Sivanandas Ansicht permanent
weitergeht, und dass der Samen (das Ejakulat) oder Teile davon, die
normalerweise bei einem Orgasmus über den Penis ausgeschieden werden,
bei Enthaltsamkeit über den Blutkreislauf den Nerven und dem Gehirn zur
Verfügung gestellt werden, um sie zu stärken. Egal, welche Überlegung
richtig ist, Swami Sivanandas von der sexuellen Energie oder die
Vorstellung, dass die Samenflüssigkeit vom Blut aufgenommen wird, in
beiden Fällen kommt es zu keiner nächtlichen Pollution mehr oder nur noch
zu einer eingeschränkten Pollution.)
Die Reformation war eine große Säuberung, die Tausende von religiösen
Menschen vom ungewollten Zölibat befreite und die Ehe der zuvor
unzölibatär lebenden Priester legitimierte. Die Gegenreformation 185, die
Reaktion der katholischen Kirche, auf die von Martin Luther ausgehende
Reformation, war eine katholische Selbstheilung. Sie bestätigte erneut das
kirchliche Zölibat mit einer Kraft und Zuversicht, die bisher undenkbar
erschien. Die erneuerte katholische Kirche war kleiner und stärker und
wurde nicht mehr vom schwelenden Streit unter den Geistlichen und der
daraus folgenden Geringschätzung der Gläubigen geplagt. Die Fäulnis war
herausgeschnitten. Der erkaufte Ablass 186 konnte nicht mehr länger als
Ersatz für eine Buße gehandelt werden. Die Kirchenpolitik der katholischen
Kirche konnte nicht mehr missachtet oder in Frage gestellt werden. Das
strenge klerikale Zölibat war nun ein wichtiger Unterschied zwischen den
römisch-katholischen und den prostestantischen Riten und unter keinen
Umständen konnte es ignoriert werden. Jahrhunderte vergingen, nahezu fünf
Jahrhunderte, um genau zu sein, bis die Kirchenmänner eine erneute
konzertierte Aktion für das lebenslange Zölibat unternahmen, welches sie
als Verpflichtung für ein Leben im Dienste Gottes auf sich genommen
hatten. Das Konzil von Trient verteidigte im 16. Jahrhundert den Zölibat
gegen die Reformatoren.
185
Der Begriff Gegenreformation bezeichnet außerdem die Versuche der
römisch-katholischen Kirche seit ca. 1540, den sich sowohl politisch als
auch institutionell etablierenden Protestantismus, auch gewaltsam,
zurückzudrängen, nachdem die theologisch-geistlichen Argumente sich
erschöpft hatten. Vorreiter der Gegenreformation ist der im Jahre 1534
durch Ignatius von Loyla gegründete Jesuitenorden. Überhaupt hatten die
Jesuiten, die von Papst Gregor XIII. entschieden gefördert wurden,
bedeutsamen Anteil an der Gegenreformation in Europa. Die
Gegenreformation betonte die dogmatischen und lithurgischen Differenzen
zum Protestantismus und stellte gleichzeitig die wichtigsten Missstände in
der damaligen katholischen Kirche ab (z. B. Bestimmungen über die
Priesterausbildung und Beseitigung von Pfründen- und Ablassmissbrauch).
Damit wurde gleichzeitig versucht, dem Protestantismus durch die
Abstellung der wichtigsten Mängel die Angriffsmöglichkeiten einzugrenzen.
Quelle: Gegenreformation
186
Im 15. und 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der Renaissance, pflegten viele
Päpste einen Lebensstil wie die reichsten Fürsten ihrer Zeit: prunkvoll und
verschwenderisch. Um diese Ausgaben bewältigen zu können, mussten
immer neue Geldquellen erschlossen werden. Besondere Kreativität bewies
Papst Sixtus IV.. Als erster Papst vergab er Lizenzen an die Bordelle Roms.
Auch erhob er Steuern von Priestern, die sich Mätressen hielten. Und als er
noch zusätzliche Einnahmen für den Bau der Sixtinischen Kapelle in Rom
benötigte, hatte er eine weitere „geniale“ Idee: Sixtus verkündete, dass jeder
Christ durch Spenden an die Kirche nicht nur, wie bisher üblich, seine
eigene Seele retten, sondern auch verstorbene Angehörige aus dem
Fegefeuer freikaufen könne. Damit war er auf eine wahre Goldgrube
gestoßen, die Gelder flossen in bisher ungekanntem Ausmaß.
Quelle: Ablasshandel
Der genaue Ursprung der Beginen kann nicht präzise datiert und
dokumentiert werden, wie bei anderen Institutionen. Aber die Historiker
stimmen darin überein, dass sie im zwölften Jahrhundert entstanden. Die
Beginen, deren Name wahrscheinlich auf die Albigenser 189 (Katharer)
zurückgeht (andere sehen den Lütticher Priester Lambert le Bégues190 oder
auch Lambert de Beghe als Gründer der Beginenhäuser), die von der
römisch-katholischen Kirche als Häretiker (Ketzer) betrachtet wurden. Viele
orthodoxe Kirchenmänner der römisch-katholischen Kirche vermuteten,
dass die Albigenser diese Frauen unterstützten. Die Beginen waren Frauen,
die sich der Armut und Keuschheit verschrieben hatten. Sie schlossen sich
zu einer Interessengemeinschaft zusammen und gründeten spirituelle
Siedlungen oder Gemeinschaften. Manche lebten in diesen Gemeinschaften,
aber andere lebten weiterhin zu Hause bei ihren Familien. Sie hatten keine
formalen Regeln und errichteten kein Netzwerk von
Schwesterorganisationen. Die Beginen arbeiteten und beteten zusammen
und opferten sich für den apostolischen Dienst am Nächsten. Manchmal
akzeptierten sie sogar Männer in ihrer Gemeinschaft.
189
Der Begriff Katharer bezeichnet eine christliche Glaubensbewegung, die
vom 12. Jahrhundert bis zum 14. Jahrhundert, vornehmlich im Süden
Frnkreichs, aber auch in Italien, Spanien und Deutschland existierte.
Verbreitet ist auch die Bezeichnung Albigenser (gelegentlich auch:
Albingenser) nach der südfranzösischen Stadt Albi, eine ehemalige
Katharerhochburg. Die Katharer wurden im Zuge des Albigenserkreuzzugs
und weiterer Feldzüge sowie durch die Inquisition (durch Gerichtsverfahren
der römisch-katholischen Kirche) als Häretiker verfolgt und vernichtet. Aus
dem Wort Katharer wurde später auch die abwertende Bezeichnung Ketzer
für alle Abweichler des römisch-katholischen Glaubens abgeleitet. Armut,
Bescheidenheit und Enthaltsamkeit (auch sexueller Art) galten bei den
Katharern als erstrebenswert und trugen zur Popularität der Bewegung bei,
während die römisch-katholische Kirche aufgrund der Lebensweise vieler
ihrer Funktionsträger (Unkeuschheit, Völlerei, Reichtum, Macht) abgelehnt
wurde.
In den Augen der Päpste galt die katharische Bewegung als Häresie. Der
anderem der Dualismus und die Ablehnung des Alten Testamentes der
Katharer, die die Abwehrreaktion der römisch-katholischen Kirche zur
Folge hatten. Der Dualismus bildet das wichtigste Element der katharischen
Theologie: Die materielle Welt wird als böse angesehen, das Gute ist
lediglich bei Gott im Himmel zu finden. Das Leben des Katharers ist
deshalb darauf ausgelegt, das Gute im Menschen (die Seele) aus der bösen
Welt in den Himmel zu bringen.
Die Katharer sahen sich selbst als die wahre christliche Kirche. Kern ihrer
Lehre war, gemäß ihrer dualistischen Weltsicht, die Unvereinbarkeit von
Materie (Fleisch) und Seele. Ziel war die Befreiung der Seele über die
Erlangung des Consolamentums, einer feierlich begangenen Geisttaufe. Die
Katharer unterschieden sich von der damaligen christlichen Kirche auch
durch die Ablehnung des Alten Testaments der Bibel, in dem sie den
Schöpfergott einer bösen Welt beschrieben sahen. Im Neuen Testament
hatte das Evangelium des Johannes eine herausragende Rolle.
Nach dem Empfang des Consolamentums (der Taufe) hatten die Perfecti/ae,
die eigentlichen Mitglieder der katharischen Kirche, ein entbehrungsreiches
Leben zu führen. Neben dem Verbot der Ehe und der geschlechtlichen
Beziehungen zu Männern bzw. Frauen mussten auch strenge
Speisevorschriften befolgt werden, z. B. war die Kost stets fleischlos.
Außerdem war das Trinken gegorener Getränke, wie etwa Wein, verboten.
Sie durften weder lügen noch einen Eid leisten. Die Katharer lehnten
generell die Zeugung von Kindern ab, da Adam und Eva ursprünglich ohne
Sexualität gelebt hätten und vom Teufel zur Sünde der Reproduktion (des
Geschlechtsverkehrs) verführt worden seien.
Quelle: Katharer
190
Die Herkunft des Namens Beginen, Beguinen oder Begarden ist bis heute
nicht eindeutig geklärt. Erzählungen in Verbindung mit dem Namen der
Heiligen Begga (620 - 692), die in der Nähe von Lüttich ein Kloster
gegründet hatte und die in einer späteren Epoche zur Schutzpatronin der
Beginenhäuser gemacht wurde, scheinen auf einer Legende zu beruhen.
Wahrscheinlicher ist die Ableitung vom Namen eines Lütticher Priesters:
Lambert le Bégues oder auch Lambert de Beghe (=Stammler) stiftete 1180
in Lüttich das erste Beginenhaus. In einem ihm gehörenden großen Garten
in der Nähe der Stadt ließ er eine nicht kleine Anzahl einzelner Häuschen
erbauen, die er Jungfrauen und Witwen ohne Unterschied des Standes und
Vermögens unter der Bedingung zu Wohnungen gab, dass sie keusch und
züchtig, arbeitsam und verträglich zusammen lebten. In der Mitte des
Gartens ließ er eine kleine Kirche für seine Pfleglinge bauen. Sämtliche
Bauten waren in zwei Jahren vollendet, und am 2. März 1184 wurde die
Kirche dem heiligen Christophorus geweiht. Lambert starb im März 1187 in
Lüttich. Seine Beginenhäuser aber vermehrten sich nach dem Lütticher
Vorbild ungemein schnell, nicht allein in Lüttich, sondern auch in den
ganzen Niederlanden, in Frankreich und Deutschland.
Quelle: Beginen
Wir können Bewegungen, wie die von Pachomius mit seinen Klöstern in der
ägyptischen Nilebene, auf die gleiche Ebene stellen, wie die Beginen, nur
dass Pachomius Bewegung mit dem Mönchstum verbunden ist. Für die
Beginenhofbewegung191 sind die am häufigsten genannten Namen Lambert
le Begue und Marie d'Oignies 192, beide aus Belgien, wo der erste
Beginenhof entstand. Lambert wird es gewöhnlich gutgeschrieben, dass er
den ersten Beginenhof in Lüttich für vornehme Damen gründete, die keusch
und genügsam lebten und ein karitatives Leben führen wollten.
191
Ein Beginenhof liegt in einer Stadt und besteht meistens aus einem um
einen Innenhof gruppierten architektonischen Ensemble, bestehend aus
kleinen Wohnhäusern der Beginen, einer Kapelle, Nebengebäuden und oft
einem größeren Haus für die Beginenmeisterin mit einem
Versammlungsraum. Häufig ist der Innenhof als idyllischer Nutz- und
Ziergarten oder Grünanlage gestaltet. Die Anlage ist durch Mauern oder
Wassergräben klar von dem Rest der Stadt abgegrenzt.
192
Maria von Oignies, Heilige, Mitglied der religiösen Frauenbewegung der
Beginen, Mystikerin; geboren um 1177 in Nivelles, Brabant; gestorben am
23. Juni 1213 in Oignies/Belgien, nahe der luxemburgischen Grenze. Maria
stammt aus wohlhabendem Haus und wurde bereits im Alter von vierzehn
Jahren von ihren Eltern verheiratet. Maria fühlte sich aber für ein religiöses
Leben berufen. Sie schaffte es, ihren Ehemann zu einem zölibatären Leben
(sogenannte Josefsehe) zu überreden. Zusammen mit ihm wandelte sie ihr
Haus in Willambrouk in ein Hospital für Leprakranke um. Die beiden
kümmerten sich rührend um die Leprosen und gaben den größten Teil ihres
Vermögens für sie und andere Notleidenden aus. Später schloß sich Maria
einem Kreis gleichgesinnter Frauen in Oignies an. Dieser strahlte auf das
gesamte Bistum Lüttich aus. In den letzten Lebensjahren zog Maria in eine
Eremitenzelle nahe des Augustinerklosters in Oignies, wo sie bis zu ihrem
Tod verblieb.
Maria war mystisch veranlagt. Sie betete jeden Tag stundenlang, fiel häufig
in lange Ekstasen, hatte unkontrollierte Weinkrämpfe, Schauungen und
Visionen. Maria war geistliche Seelenführerin vieler Menschen. Sie kleidete
sich nur in weiße Gewänder, aß kein Fleisch und fastete oft. Ihr asketischer
Lebensstil und ihr aufopferungsvoller Einsatz für die Leprosen setzten ihrer
Gesundheit zu und so starb sie im Alter von gerade 36 Jahren in ihrer Zelle
in Oignies. Die Beginen, wie dieser Teil der religiösen Frauenbewegung
genannt wurde, zu der Maria gehörte, wurden von der römisch-katholischen
Kirche als gefährlich und ketzerisch angesehen. Nur hundert Jahre nach
Marias und sechzig Jahre nach Vitry´s Tod, (Maria's Biograph, dem
späteren Kardinal und Erzbischof von Accon in Palästina, Jacques de Vitry)
beschlossen die Kritiker und Feinde der Beginen innerhalb der
Kirchenleitung auf dem Konzil von Vienne 1311, "bestimmte Frauen, die
Beginen genannt werden", zu verfolgen. Manche von ihnen landete auf den
Scheiterhaufen der Inquisition. Die Zeit war einfach noch nicht reif für eine
Frömmigkeit, die sichtbar neue Wege unabhängig von der kirchlichen
(männlichen) Hierarchie ging.
In der Tiefe ihrer Frömmigkeit, stand Maria an der Spitze der heiligen
Frauen. Weil sie nicht mit einem Kloster verbunden war, gab es weniger
Beschränkungen für das Verhalten. Maria war berühmt für ihre verzückten
Begegnungen mit Gott, ihre Verehrung der Eucharistie (Die Hostie verehrte
sie als Christuskind.), und einer Askese, die so intensiv war, dass es sogar zu
Selbstverletzungen (Stigmata) kam. Ihr Bekenntnis zur Keuschheit, gepaart
mit der Ablehnung der Ehe, obwohl sie eigentlich verheiratet war, hatte auf
andere großen Einfluss. Zusätzlich hat ihr Streben nach apostolischer
Armut, die persönliche Bescheidenheit und die eifrige ehrenamtliche Arbeit
unter den Leprakranken, den Ausgestoßenen der Gesellschaft, sie zu
höheren Ebenen der Heiligkeit erhoben. Viele Frauen fühlten sich von
diesen Qualitäten angezogen. Glücklicherweise hatte Maria einen
ausgezeichneten Biographen, deren mitreißender Bericht ihres
außergewöhnlichen Lebens, ihren Ruhm weit über Belgien hinaustrug.
Belgien war eine Wiege dieser apostolischen Frauen, die sich in ganz
Nordeuropa ausdehnten und besonders in Köln sehr stark wurden. Damals
gab es Konvente (Gemeinschaften) in fast ganz Westeuropa, besonders in
Oberitalien, Südfrankreich, Deutschland, den Niederlanden, Österreich und
der Schweiz. In Köln gab es im Jahre 1240 etwa 2.000 Beginen. Neben den
sesshaften Beginen entstanden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
auch wandernde Beginengemeinschaften, die vom Betteln lebten. Sie
vertraten häufig die religiösen Vorstellungen des deutschen Mystikers
Meister Eckhart und wurden nicht nur von der Kirche, sondern auch von den
Städtern ungern gesehen, da sie in dem Ruf standen, den Häretikern (den
Katharern) nahe zu stehen. Im Gegensatz zu Nonnen, die meist aus guten
Familien kamen, waren die Beginen ein sozialer Mix, in dem Frauen aus der
Oberschicht dominierten, indem aber zunehmend Frauen aus der
Arbeiterklasse Zulauf fanden, so dass die Beginenhöfe am Ende des
dreizehnten Jahrhunderts den Ruf einer Zuflucht für die Armen hatten.
Die Beginenhöfe unterschieden sich von den Klöstern, deren Insassen ein
Gelübte auf die Keuschheit, die Armut und den Gehorsam ablegten. Die
Beginen pfegten auch diese Regeln, aber sie beachteten sie, ohne ein
Gelöbnis abzulegen. Wie ein Bischof beobachtete, praktizierten die Beginen
das ewige Zölibat anstatt ein Gelübte darauf abzulegen. Sie gehorchten,
anstatt den Gehorsam zu schwören und sie hielten es für vernünftiger,
genügsam und menschenfreundlich zu leben und ihr persönliches Vermögen
zu verschenken, anstatt alle ihre Eigenschaften und Besitztümer abzuladen.
In der Tat stand die Beginenhof-Bewegung auf vier Säulen. Anstatt einen
Eid abzulegen, wurde das Zölibatt, die Armut, die Demut und die
Nächstenliebe in den unermüdlichen Dienst an den Armen gestellt.
In der Tat bedurften viele Frauen keinen Anstoss, um zu erwägen, sich der
Ehe zu enthalten. Sie wohnten, wie die meisten, in einem engen Viertel,
ohne Privatsphäre von ihren Familien. Sie beobachteten die Ehe ihrer Eltern
aus erster Hand und verstanden sehr gut, was sie in einer Ehe erwartete.
Jahrhunderte zuvor hatte der heilige Ambrosius (339 - 397 n.Chr.), der
Bischof von Mailand, die Frauen davor gewarnt, ihre Jungfräulichkeit
preiszugeben, indem er sie daran erinnerte, was die Ehe ihnen bringen
würde: "Die Schwangerschaft, das Geschrei der Säuglinge, die Qualen, die
sie durch ihren Ehemann und durch die Sorgen der Haushaltsführung,
erleiden würden." Verheiratete Frauen waren oft melancholisch und
bedauerten, dass sie auf ihre Jungfräulichkeit verzichtet hatten. Sie waren
oft die glühensten Verteidiger des Zölibats, das wieder ein Minimum an
Gelassenheit und Heiterkeit in ihr unzufriedenes Leben brachte.
Die Kirchenpolitik läutete den Todesstoß für die Beginenhöfe ein, als sie
versuchten, sie zu regulieren. Kirchliche Autoritäten fühlten sich von dem
Phänomen der ungeregelten Gemeinschaften der Frauen verärgert, die in
den städtischen Zentren in ganz Europa entstanden. Diese Frauen arbeiteten,
lehrten, lasen die heiligen Schriften und wählten ihre eigenen spirituellen
Führer, ohne die männlichen Kirchenoffiziellen um Rat zu fragen. Waren
sie nichts anderes als unklösterliche Nonnen?
Die Beginen wurden gegen 1312, nach dem Konzil von Vienne/Frankreich,
indem die Beginenbewegung per Dekret verboten wurde, aus den
Konventen vertrieben. Ihr Eigentum wurde entzogen und die Beginen
wurden besonders im Rheinland und in den Niederlanden verfolgt,
verbrannt und eingekerkert. Es kam aber zu keiner vollständigen
Auslöschung des Beginentums. Die Kirche vereinnahmte das freiwillige
Zölibat der Beginen für sich und ordnete es 1312 den Klöstern zu. Die
privaten Gelübte der sexuellen Reinheit, die die Beginen zuvor geschworen
hatten, wurden jetzt verboten. Sie wurden verpflichtet, das formale Gelöbnis
zu schwören. Das nun formal anerkannte Zölibat fand in klösterliche
Abgeschiedenheit statt, damit die Frauen nicht in die Versuchung kamen, ihr
Gelübde zu verleugnen. Erst ab 1325 erwarben sie schrittweise ihre alten
Rechte zurück. 1369 wurde allerdings die Vernichtung ihrer Schriften durch
Kaiser Karl IV. unternommen.
Allerdings bewegten sie dabei nicht nur religiöse, sondern auch soziale und
wirtschaftliche Motive: In den Städten herrschte ein chronischer Überschuss
an ledigen Mädchen und jungen Witwen; zudem waren nur wenige
Frauenberufe als ehrenhaft anerkannt. Das Beginentum erscheint so als eine
Antwort auf die „Frauenfrage“ des Mittelalters.
Alleinstehenden Frauen bot der Beginenhof ein ehrbares Lebensziel und die
Gelegenheit zur Ausübung eines Berufes. Die meisten Beginen verdienten
ihren Unterhalt mit der Tuchherstellung, mit Waschen, Klöppeln und
Spinnen; sie pflegten Kranke und kümmerten sich um das Totengedächtnis.
Manche Gemeinschaft entfaltete eine erstaunliche wirtschaftliche Dynamik,
was angesichts der engen Absatzmärkte des Mittelalters mitunter für Unruhe
unter den Zünften sorgte.
Bis zum 14. Jahrhundert hat die katholische Kirche die Kontrolle verschärft
und die Beginenhöfe radikal verändert. Alle Gewohnheiten von den
Eintrittsanforderungen bis zu den Eintrittsriten und den täglichen Ritualen
waren vorgeschrieben. Dies geschah gegen den Geist der Beginenhöfe, wo
ein freiwilliges Ehrenamt, Ungezwungenheit, familiäre Bindungen und ein
Leben unter den Armen, zu den Eckpfeilern zählten. Krankenschwestern,
Lehrer und Sozialarbeiter wurden von den Straßen geholt, weg von den
Menschen, die sie betreuten, und in Klöster gesperrt. Ihnen wurde
gewissermaßen die Existenzberechtigung entzogen. Sie durften keine
Erwachsenen mehr unterrichten, nur noch Kinder und nur noch hinter
Klostermauern. Ihnen war es auch nicht mehr erlaubt, verkäufliche Waren
herzustellen. Nach und nach wurden die Aufträge eingestellt. Das Streben
nach dem apostolischen Leben wurde durch die starre, ehrgeizige und
tyrannische kirchliche Hierarchie zerschlagen. In der Tradition der frühen
Kirchenväter, die schrieben: "Die Sünde kam von der Frau, aber die
Erlösung durch eine Jungfrau.", verehrten diese Männer die Jungfrauen,
aber sie verachteten die Frauen.
Ein Anschwellen der Sehnsucht nach der Reinheit des apostolischen Lebens
fegte in der frühen Renaissance (1420 - 1500) über Europa hinweg. Die
Beginen waren die auffälligsten Vertreter, aber auch andere Frauen
verursachten dasselbe Drama. Sie lebten zu Hause bei ihren Eltern,
selbstbeschränkt, auf einer Zelle oder einem Raum und sie lebten außerhalb
der Gesellschaft, alleine oder mit Gleichgesinnten. Sie engagierten sich
normalerweise in sozialer Arbeit. In Mailand hießen solche Frauen
"umiliati" 193 (die Demütigen), in Spanien "beatas" (die Heiligen). Die
Beatas übernahmen ein formloses Gelübte der Keuschheit, forderten die
Unempfänglichkeit für sexuelle Leidenschaften, engagierten sich in
Wohlfahrtseinrichtungen und in der Religiosität. Eine Reihe von ihnen, fand
einen Weg in die Klöster, wie die italienische Mystikerin und
Kirchenlehrerin Katharina von Sienna (1347 -1380), die bereits als Kind
asketisch lebte, mit sieben Jahren das Gelübte der Jungfräulichkeit
abgelegte, und mit 16 Jahren gegen den Willen ihrer Eltern in den Dritten
Orden der Dominikaner eintrat. (Mit Dritter Orden werden christliche
Gemeinschaften bezeichnet, die gemeinsam mit Männerorden (Erster
Orden) und Frauenorden (Zweiter Orden) eine Ordensfamilie bilden.)
193
Die Humiliaten (latanisch: humilis: niedrig, demütig) waren Anhänger
einer mittelalterlichen christlichen Armuts- und Bußbewegung in
Norditalien. Ursprünglich als Gemeinschaft von Laien gegründet, stieg diese
ab 1201 in den Rang eines Ordens auf. Gebildet wurde die Gemeinschaft der
Humiliaten im 12. Jahrhundert durch lombardische (norditalienische) Adlige
nach ihrer Rückkehr aus ihrer Gefangenschaft in Deutschland. Als Stifter
gilt der mailändische Edelmann Johann von Meda. Die Humiliaten lebten
von gemeinschaftlicher Arbeit in Handwerksgenossenschaften. Zweck ihrer
Vereinigung war das Führen eines ihrem Verständnis nach gottgerechten
einfachen und demütigen Lebens in der Nachfolge Christi. Die Richtschnur
dafür bildeten die Evangelien der Bibel. Sie hielten als Laien Predigten und
widmeten sich der Bekämpfung von Häretikern. Ihre Mitglieder durften
heiraten 194, lehnten es jedoch ab, Eide zu schwören.
Zum Konflikt mit der katholischen Kirche kam es insbesondere wegen der
Ausübung der Predigt, die in der Amtskirche nur Priestern gestattet war. Die
Humiliaten wurden deshalb durch Papst Lucius III. in seiner 1184 verfassten
Dekretale (veröffentlichte Urkunde) "Ad Abolendam" gemeinsam mit
anderen christlichen Laienbewegungen (u.a. Waldenser, Katharer) verurteilt
und mit dem Kirchenbann (Kirchenbann = Exkommunikation = der
permanente oder zeitlich begrenzte Ausschluß aus der religiösen
Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche) belegt. Fortan galten die
Humiliaten als Ketzer. Nach Verhandlungen mit der Kirche unter Papst
Innozenz III. erfolgte 1201 ihre kirchliche Wiedereingliederung. Als
Gegenleistung für die Anerkennung ihrer Vereinigung, die somit den Rang
eines Ordens erhielt, hatten die Humiliaten die ihnen von der Kirche
vorgeschriebenen Statuten zu akzeptieren, welche das Recht auf Predigt
durch Laien massiv einschränkten. Viele Humiliaten wendeten sich danach
von ihrer Gemeinschaft ab und traten zu den Waldensern195 (protestantisch
reformierte Kirche, in Südfrankreich gegründet) über. Dennoch erlebten die
Humiliaten in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts eine beachtliche
Blüte, insbesondere im Raum Mailand.
Im 14. Jahrhundert wurde der männliche vom weiblichen Zweig des Ordens
getrennt, beide Zweige nahmen die Benediktiner-Regel an. Als der Orden
im 16. Jahrhundert reformiert werden sollte und auf den zuständigen
Kardinal Borromeo durch den Priester La Farina ein Mordanschlag ausgeübt
wurde, hob Papst Papst Pius V. 1571 den männlichen Orden auf. Die
weiblichen Humiliaten, die nach ihrer Stifterin, der Mailänderin Clara
Blassoni auch "Blassonische Nonnen" genannt werden, existieren in Italien
bis heute.
Quelle: Humiliaten 1
194
Die Humiliaten lebten in religiöser Gemeinschaft, verpflichteten sich
jedoch zu freiwilliger Armut, Keuschheit und strengem Fasten. Außer ihrer
Kleidung durften sie keine Art von Eigentum besitzen. (Meine Vermutung:
Offensichtlich durften die Humiliaten heiraten, lebten aber innerhalb der
Ehe in Keuschheit. Mit der Ernennen zum Orden und der Annahme der
Benediktinerregeln dürfte es mit der Ehe vorbeigewesen sein.)
Quelle: Humiliaten 2
195
Das Hauptanliegen der Waldenser war die Verbreitung der biblischen
Botschaft in der Sprache des Volkes. Lehrmäßig standen sie zwischen dem
Katholizismus und der späteren Reformation. Sie hielten anfänglich an den
Lehren der römisch-katholischen Kirche fest, sie distanzierten sich
allerdings im Laufe der Zeit zunehmend von herkömmlichen
Anschauungen, die nach ihrer Meinung nicht im Evangelium begründet
waren : So verwarfen sie den Ablaß, die Seelenmessen, das Fegefeuer, die
Heiligenverehrung sowie den Eid und den Kriegsdienst. An der katholischen
Abendmahlslehre (Transsubstantiation), am Zölibat und an der
Werkgerechtigkeit hielten sie aber weiter fest.
Im 16. Jh. zeigten die Waldenser Interesse an der Reformation und diverse
Gespräche mit Reformatoren fanden statt. 1532 fand ein Treffen in
Angrogna in Anwesenheit von Farel statt (Synode von Chanforan). Bei
diesen Treffen wurden 23 Artikel beschlossen, die aus der bisher kaum
organisierten Bewegung eine Kirche schufen und viele bisherige Grundsätze
der Waldenser aufgaben (Wanderpredigt, Armut, Zölibat, Eidabsage,
Verneinung der Teilnahme an der weltlichen Herrschaft).
Quelle: Waldenser
Die jungen Frauen von Sankt Ursula lebten weiterhin als "geweihte
Jungfrauen" zu Hause, widmeten sich dem Gebet und dem sozialen Dienst,
das sie antrieb, ihr Leben den Armen zu widmen. Nicht alle Frauen lebten in
geeigneten familiären Situationen. Diese Frauen brachte Angela in geeignete
Familien unter, wo sie ihren Lebensunterhalt als Haushälterin oder
Erzieherin verdienten. Zweimal im Monat versammelten sich die "Töchter".
Einmal in einem Krankenhaus für unheilbar Erkrankte und einmal in ihrem
eigenen Gebäude, wo sie von den älteren und weisen spirituellen "Müttern"
unterrichtet wurden.
Dank Angelas Öffentlichkeitsarbeit und nach ihrem Tod im Jahre 1540, der
massiven Anstrengungen ihres Sekretärs und Vertrauten, dem Priester
Gabriele Cozzano, wurde St. Ursula von der erzwungenen
Zurückgezogenheit des Klosterleben, wie es den Beginen und anderen
religiösen Gemeinschaften auferlegt wurde, ausgenommen.
Überraschenderweise hatte sich Angelas heiliger Ruf und Cozanno's
Argumente durchgesetzt. Die ursprünliche (frühchristliche) Kirche kannte
weder Klöster noch Konvente, so dass die Gemeinschaft von Sankt Ursula
eigentlich nur die Vergangenheit kopierte. (Das erste europäische Kloster,
das Kloster Mamoutier, wurde wahrscheinlich 372/375 vom ungarischen
Bischof "Martin von Tours" in Tours in Frankreich gegründet.)
Heute gibt es Ursulinen in fast allen Teilen der Welt. Sie leben sowohl in
Klöstern als auch in der ursprünglichen (nichtklösterlichen) Form des
Säkularinstituts. Insgesamt gehören mehr als 10.000 Schwestern dazu. In
Deutschland sind 34 Konvente, Filialen und kleine Gemeinschaften in der
"Förderation deutschsprachiger Ursulinen" zusammengeschlossen, zu der
auch Häuser in Österreich, Norditalien und Südamerika gehören. Daneben
gibt es die "Kongregation von Calvarienberg Ahrweiler" mit vier
Niederlassungen.
Die Schwestern wie auch die Gemeinschaften finden ihre Identität in einem
Leben in den Fußspuren Angelas und der ersten Ursulinen. Neben den
traditionellen Tätigkeiten in der Schule sind inzwischen viele überwiegend
pastorale Arbeitsfelder getreten. Was immer Schwestern tun und wo sie
auch leben, sie möchten durch ihre Präsenz Zeugnis für das Evangelium
ablegen. Dabei wollen sie auch offen sein für die Erprobung neuer Formen
mericianischen Lebens.
Quelle: Ursulinen
Maria Ward (1585 - 1645), geboren in York war eine englische Nonne und
katholische Ordensstifterin. Sie gründete 1609 das "Institut der Englichen
Fräulein" in Flandern (Flandern ist die niederländisch sprechende Region in
Belgien. Als Wallonen bezeichnen sich die französischsprachigen Bewohner
der belgischen Region Wallonie.) und wurde zur Wegbereiterin einer
besseren Bildung für Mädchen. Zahlreiche Schulen tragen noch heute ihren
Namen.
Mittlerweile war 1603, nach dem Tod Königin Elisabeths, der schottische
König Jakob auf den englischen Thron gelangt. Der Sohn Maria Stuarts war
protestantisch erzogen worden und enttäuschte die Hoffnungen englischer
Katholiken auf eine Lockerung der gegen ihre Konfession gerichteten
Gesetzgebung. So kam es 1605 zur sogenannten Pulververschwörung in der
eine Gruppe fanatischer Katholiken unter der Führung von Guy Fawkes den
König, seine Familie und das gesamte Parlament in die Luft sprengen
wollten. Nach der Aufdeckung ihrer Pläne wurden alle Katholiken zu einem
antipäpstlichen Treueeid gezwungen und von allen Staatsämtern
ausgeschlossen.
1606, trat Maria Ward, mit 21 Jahren, in Flandern in das Klarissenkloster St.
Omer ein. Sie wurde als Laienschwester zum Almosensammeln ausgesandt,
hatte sich aber anderes vorgestellt. Nach Wochen ermöglichte ihr ein
Geistlicher den Austritt. Von ihrem Vermögen stiftete sie in Flandern ein
eigenes Frauenkloster nur für Engländerinnen, in dem die Ordensregel in
ganzer Strenge angewandt wurde. Nach einiger Zeit kam sie zu der
Erkenntnis, dass dies nicht ihr Weg sei. Sie verließ das Kloster, ging nach
England zurück und vermittelte unter Lebensgefahr illegale Kontakte
zwischen Katholiken und Priestern ihres Glaubens. Dafür wurde sie einmal
zum Tode verurteilt, kam aber wieder frei.
Eine Gruppe von Mädchen schloss sich Maria Ward an. Gemeinsam gingen
sie wieder nach Flandern und nahmen katholische englische Mädchen als
ihre Schülerinnen mit. Dort gründete sie 1609 den Orden "Institutum Beatae
Mariae Virginis" (IBMV = Institut der Seligen Jungfrau Maria). Gemeinhin
wurde der Orden jedoch als "Englische Fräulein" bezeichnet. Mary Ward,
die in prophetischer Begabung erkannt hatte, dass gesellschaftliche
Entwicklungen in erster Linie durch die damals noch wenig übliche Bildung
von Frauen möglich wurden, wollte für ihre Gemeinschaften weder ein
klösterliches Leben noch eine Ordenstracht, sondern apostolischen Dienst
und öffentliches Wirken. Ihre Spiritualität war durch Ignatius von Loyola
und sein Exerzitienbuch zutiefst geprägt. Es gelang ihr zu Lebzeiten nur in
wenigen Schritten, ihre Pläne umzusetzen. Die neue Form des Ordens,
Frauen ohne Klausur (Die Klausur, von spätlateinisch clausura =
Verschluss, ist ein Bereich, den das Ordensmitglied nur mit vorheriger
Erlaubnis seines Oberen verlassen darf.) im apostolischen Dienst, erregte
auch unter Katholiken Ärgernis, da seine Mitglieder sich in ihrem Institut
wie Ordensschwestern verhielten, sich aber gleichzeitig frei in der Stadt
bewegten.
Die Anerkennung des Ordens der Englischen Fräulein durch den Papst
erfolgte erst 1703, mehr als 50 Jahre nach dem Tod seiner Gründerin. 1877
erhielt das Institutum Beatae Mariae Virginis (IBMV) die päpstliche
Anerkennung, 1909 erteilte Papst Pius X. die Erlaubnis, Maria Ward als
Stifterin des Institutes zu bezeichnen. Erst 1978 übernahm es die
Konstitutionen des Ignatius von Loyola, angepasst an die Bedürfnisse eines
Frauenordens. Dafür hatte Maria Ward zeitlebens gekämpft. Heute wirken
Maria-Ward-Schwestern weltweit in drei verschiedenen, einem römischen,
einem irischen und einem nordamerikanischer Zweig. Der irische und der
nordamerikanische Zweig haben sich unter dem Namen Loreto-Schwestern
wieder vereinigt. In Mitteleuropa ist hauptsächlich der römische Zweig
verbreitet.
Seit dem 30. Januar 2004 nennt sich der römische Zweig des Ordens
offiziell Congregatio Jesu (CJ). Maria Ward hatte immer gewollt, dass die
von ihr gegründete Gemeinschaft den Namen Jesu tragen sollte. Der Name
verdeutlicht, dass es sich bei der Congregatio Jesu um den weiblichen
Zweig der Societas Jesu, des Jesuitenordens handelt, so wie es Mary Ward
immer intendiert hatte. Das Leben der Mitglieder der Congregatio Jesu
basiert auf den Exerzitien des Ignatius von Loyola. Die Teilhabe an der
Sendung Jesu mitten in die Welt und zu den Menschen, die Hingabe des
Lebens für jene, die Hilfe brauchen, der "Dienst für die Seelen", wie es
Ignatius nennt und die Verherrlichung Gottes sind die Anliegen der
Gemeinschaft. Es geht um die Verfügbarkeit für die Nöte der Zeit und die
Anliegen der Weltkirche. Das internationale Institut erwartet deshalb von
seinen Mitgliedern die Bereitschaft, überall dort hin zu gehen, wo sich
konkrete Aufgaben stellen.
Die Kirche war nicht so nachsichtig mit Maria Ward (1585 - 1645), einer
adligen englischen Klarissennonne 197 und einer gebildeten und visionären
Erzieherin. 1609 gründete Maria, nach dem Vorbild des englischen Jesuiten
Kolleg St. Omer, ein europäisches Netzwerk von Schulen. Alle Lehrer
dieser Schule waren Laienfrauen, Mitglieder des Instituts der "Seligen
Jungfrau Maria", gemeinhin wurde der Orden jedoch als "Englische
Fräulein" bezeichnet. Das Institut etablierte sich in mehreren europäischen
Städten. 1631 waren es bereits 300 Institute. Einige dieser Schulen hatten
Hunderte von Schülern und mehrere dieser Schulen erlaubten armen
Kindern den kostenlosen Schulbesuch.
197
Der Klarissenorden wurde um 1212 von der heiligen Klara von Assisi
(1193 - 1253), zusammen mit Franz von Assisi, vor den Toren Assisis in
Italien gegründet.
"Es scheint, dass die Frauen mehr unternehmen können und sollten als
üblich", schrieb Maria. "Wir wünschen uns, entsprechend unseren
Möglichkeiten, die Aufgaben der christlichen Nächstenliebe zu übernehmen,
die von den Klöstern nicht übernommen werden können."
Maria dachte, dass Frauen ebenso außerhalb eines Klosters keusch und
religiös leben, ihre eigene Äbtissin wählen, ihre Tätigkeiten in anständiger
und bescheidener Kleidung ausführen könnten, anstatt in einer strengen
Ordenstracht und dass es sinnvoll ist, nicht hinter Klostermauern, sondern
mitten unter den hilfsbedürftigen Menschen zu arbeiten.
Dies war aus der Sicht der Kirche ein gefährlicher Standpunkt. Deshalb griff
sie sowohl die herausfordernde Maria als auch das "Institut der seligen
Jungfrau Maria" an. Papst Urban VIII. verbot 1631 durch eine Bulle die
"Englischen Fräulein" und ihre Gründerin Maria Ward wurde unter dem
Verdacht der Häresie neun Wochen inhaftiert. Papst Urban VIII. verfügte
am 13. Januar 1631 in der Bulle „Pastoralis Romani Pontificis“ die
Schließung sämtlicher Niederlassungen der „Englischen Fräulein“. Die etwa
300 lehrenden Schwestern wurden nach England zurückgeschickt.
Im Spätherbst 1631 unternahm Maria Ward auf Befehl der Inquisition ihre
dritte Reise nach Rom, wo sie erst im Frühjahr 1632 eintraf, weil die Pest in
Bologna sie wochenlang aufgehalten hatte. Papst Urban VIII. empfing sie
bald danach bei einer Audienz als „seine verlorene Tochter". Wenige
Monate später bescheinigte die Inquisitionsbehörde Maria und ihren
Gefährtinnen die Rechtgläubigkeit. Nach einiger Zeit konnten Maria Wards
Schwestern in Rom sogar Mädchen unterrichten und englische Exilanten
betreuen.
Damals litt Maria immer öfter unter Nierenkoliken, gegen die es wenig
Abhilfe gab. Im September 1637 verließ sie mit drei Begleiterinnen wieder
Rom und hielt sich zunächst in London auf. Wegen des Bürgerkrieges wich
sie 1643 in das Dorf Heworth in der Grafschaft York aus. Obwohl Maria
Ward zu Lebzeiten die päpstliche Anerkennung ihres Stiftungswerkes
versagt blieb, war sie keineswegs verbittert. Sie starb am 30. Januar 1645 im
Alter von 60 Jahren in tiefen innerem Frieden in Heworth und wurde auf
dem Friedhof von Osbaldwick bei Heworth zur letzten Ruhe gebettet. Ihre
Gefährtinnen machten in England, München und Rom weiter.
1703, mehr als 50 Jahre nach dem Tod Maria Ward's, bestätigte Papst
Klemens XI. die Regeln des Instituts. 1749 legte Papst Benedikt XIV. die
rechtliche Existenz und Autorität der Generaloberin fest: „Lasset die Frauen
durch Frauen regieren“. Er verbot jedoch, Maria Ward als die Stifterin des
Instituts zu bezeichnen. Erst Papst Pius X. rehabilitierte Maria Ward 1909,
ohne die Bulle von 1631 zu widerrufen und. erlaubte, die Gründerin bei
ihrem Namen zu nennen. Papst Pius XI. leitete 1931 ihren Prozess zur
Seligsprechung ein.
Die Behandlung Maria Wards durch die Kirche war eine Lektion für alle
zölibatären und frommen Frauen. Waren sie unabhängig, stark, weltoffen,
ehrgeizig und visionär, dann waren sie verdächtig. Dies wurde durch das
Schicksal der keuschen Beginen bestätigt. Ihre Motive wurden in Frage
gestellt, ihre sozialen Leistungen missachtet, ihre Erfolge verachtet, ihre
Gemeinschaften zerschlagen oder ins Kloster gesperrt. Ironischerweise
produzierten gerade die Klöster die Konsequenzen, die die Kirche so
fürchtete und die die unklösterlichen Schwestern so konsequent vermieden.
Dies werden wir sehen, wenn wir das Schicksl der unwillig ins Kloster
eingesperrten Frauen betrachten.
Nicht alle frommen Frauen, die ihr Leben der Keuschheit, der Spiritualität
und dem Dienst an Gott und den Mitmenschen widmeten, waren für ein
apostolisches Leben bei den Beginen und anderen Schwestern geeignet. Für
einige hatte die Askese eine magische Anziehungskraft, weil sie zu
Extremen führte und kombiniert mit dem Beweis der göttlichen
Bevorzugung, konnte es zur Heiligkeit führen. Für manch eine religiöse und
zölibatär lebende Frau, die besonders ehrgeizig war, hatte dieser spirituelle
Weg unendlich mehr Anreiz, als der einer gefügigen Mutterschaft in einer
folgsamen Ehe.
Das Erreichen der Heiligkeit war ein ernsthaftes Anliegen. Nur 3.276
Menschen, die von Beginn der Christenheit bis zum 15. Jahrhundert gelebt
hatten, wurden heilig gesprochen. Zwischen 1350 und 1500 gab es nur 87
Heiligsprechungen. Zugunsten der Frauen verbesserte sich im gleichen
Zeitraum das Mann-zu-Frau-Verhältnis bei der Heiligsprechung von fünf zu
eins auf etwa zweieinhalb zu eins. von 1350 bis 1500, und diese Statistik ist
am sachdienlichsten hier, überholten die Laienfrauen die Männer, obwohl
eine größere Zahl kirchlicher Männer den männlichen Heiligen einen
deutlichen Vorsprung vor den Ordensfrauen gab. Für angehende weibliche
Heilige war diese Ära die vielversprechenste überhaupt.
Katharina von Siena wurde am 25. März 1347 als Katharina Benincasa in
der italienischen Toskana in der Stadt Siena geboren. Sie war das 24. Kind
von insgesamt 25 Kindern des verarmten aber unternehmungslustigen
Adeligen Giacomo di Benincasa und seiner Frau Lapa di Puccio di Piagente,
die ihren Lebensunterhalt als Wollfärber verdienten. Sie war außerdem die
Zwillingsschwester der kränkelnden Giovanna, die ihre Mutter Lapa einer
Amme198 übergab, während sie die gesündere Katharina selber zu Hause
stillte. Ihre Schwester Giovanna starb schon bald, während Katharina mit
der Muttermilch gemästet wurde. Ein ganzes Jahr stillte ihre Mutter sie,
länger als alle anderen Kinder, bis sich die Milchabsonderung einstellte.
198
Im eigentlichen Sinn des Wortes wird jede Frau zur Amme, sobald sie
stillt. Erst im übertragenen Sinn des Wortes gilt das Wort Amme für Frauen,
die ein fremdes Kind gegen Bezahlung an die Brust legen.
1348, das Jahr in dem Katherina entwöhnt wurde, schlug die Beulenpest in
vollem Umfang in Italien zu. Katherinas Familie wurde verschont, aber der
Terror und die Panik die herrschten, beeinträchtigte jeden. Litt Katharina
sehr darunter? Wahrscheinlich nicht, aber sie war immer sehr sensibel, weil
ihre Mutter sie immer wieder daran erinnerte, dass sie ein besonderes Kind
war, auserwählt zu leben, während ihre Schwester Giovanna gestorben sei.
Bereits als Kind fastete sie wie ein frommes kleines Mädchen. Sie genoss
ihre Kindheit, lachte und spielte oft draußen. Im Alter von fünf Jahren
kniete sie sich auf der Treppe nieder und sagte ein Ave Maria auf jeder
Treppenstufe, bis hinauf zu ihrem Schlafzimmer. Sie verehrte
Euphrosyne199, eine legendäre Jungfrau, die der Ehe entkam, indem sie als
Mann verkleidet in ein Kloster eintrat.
199
Euphrosyne, Heilige und Jungfrau aus Alexandrien, † etwa 470 n.Chr..
Um der Vermählung zu entgehen, so berichtet die Legende, verließ
Euphrosyne, die Tochter reicher und vornehmer Eltern aus Alexandrien, als
Mann verkleidet, das Elternhaus, um, da es kein Nonnenkloster in der
Gegend gab, in ein Mönchskloster in Alexandrien einzutreten. Dort stellte
sie sich als der Eunuche Ismaragdos vor und lebte dort 38 Jahre als
Mönch.Erst kurz vor ihrem Tod offenbarte die Heilige das Geheimnis ihrem
Vater. Überzeugt von seiner Tochter, verbrachte der Vater die letzten 10
Jahre seines Lebens im selben Kloster, in der Zelle seiner Tochter.
Mit sechs oder sieben Jahren hatte Katherina Visionen von Jesus und
anderen Heiligen. Jahrelang meditierte sie darüber, was das wohl zu
bedeuten hatte. Sie und ihre Freunde gründeten eine Art Club, indem sie
sich selbst mit verknoteten Seilen geißelten. Es war Katherinas
Frömmigkeit, die sie zu diesem Treiben anstiftete. Aber in diesem zarten
Alter nahmen ihre Eltern davon noch keine rechte Notiz.
Als Katharina ins jugendliche Alter kam, begann ihre Mutter sie auf die
bevorstehende Weiblichkeit vorzubereiten. Sie schminkte ihr Gesicht, trug
Makeup auf, lockte ihr die Haare und färbte sie blond. All dies geschah
natürlich in Vorbereitung auf die unvermeidbar bevorstehende Heirat. Als
Katharina 14 Jahre alt war, vergegenwärtigte sie eine visionäre Hochzeit mit
Christus, eine glorreiche Zeremonie an der auch die Jungfrau Maria,
Johannes der Evangelist, der Apostel Paulus, der heilige Dominikus (1170 -
1221), der Gründer des Dominikanerordens, und sogar König David (er
lebte etwa 1000 v.Chr.), der zweite König Israels und Juda's (Juda war ein
historisch verbürgtes antikes Königreich im Süden Israels.), teilnahmen. Sie
alle sangen Psalmen zu dieser Hochzeit. Jesus trug seinen eigenen Ring und
streifte ihr zärtlich einen mit Perlen und Diamanten besetzten Goldring über
den Finger. "Von nun an sind wir unabänderlich miteinander verlobt, bis wir
uns in einer glorreichen himmlischen Hochzeit ewig verbinden", sagte Jesus
zu ihr. "Wenn du persönlichen Kontakt mit mir wünscht, dann ist es dir
erlaubt, mich zu sehen und dich meiner zu erfreuen." Überwältigt von
diesem Ereignis, schwor die vierzehnjährige Braut Christis ewige
Jungfräulichkeit.
Mit fünfzehn Jahren war Katharinas Welt erschüttert. Ihre vergötterte ältere
Schwester Bonaventura starb bei der Entbindung. Bald darauf starb auch
ihre Schwester Giovanna, die nach ihrer toten Zwillingsschwester benannt
wurde. Sie fühlte sich schuldig, denn wieder einmal durfte sie leben,
während andere starben. Ihre religiöse Überzeugung wurde immer stärker.
Dann begann sie mit der Askese, die mit 33 Jahren zu ihrem Tod führen
sollte. Dies war auch das Alter, in dem Jesus starb. Sie fastete und aß nichts
mehr außer Brot, rohem Gemüse und trank Wasser. Inzwischen
konzentrierten sich ihre Eltern vollkommen auf sie, denn alle anderen
Kinder waren gestorben. Weil Katharina die schwierige Situation der
Familie erkannte, dachte sie darüber nach, zu heiraten, um der Familie in
dieser schwierigen Zeit zu helfen. Gab es eine bessere Wahl als
Bonaventura's Witwer ? (der Ehemann ihrer verstorbenen älteren Schwester
Bonaventura)
Katharinas Familie wurde wütend. "Du gemeines Mädchen, du hast dir die
Haare abgeschnitten. Warum möchtest du nicht das tun, was wir uns
wünschen", fragte ihre Mutter. "Deine Haare werden wieder wachsen und
selbst wenn dein Herz brechen sollte, wirst du einen Mann heiraten
müssen." Die Familie nahm Katherina ihre Privilegien. Der gravierenste
Verlust war ihr Schlafzimmer, welches ihr Stunden der Selbstgeißelung,
nächtliche Mahnwachen, intensive Gebete und Meditationen erlaubten. Jetzt
sollte sie sich das Schlafzimmer mit ihrem Bruder teilen, bis sie wieder zu
Sinnen kam und sich an den Hausarbeiten beteiligte.
"Gott behütet dich, süße Tochter", äußerte sich schließlich ihr Vater
Giacomo. "Tu, was du willst und wie der Heilige Geist dich leitet."
Katherina zog wieder in ihr eigenes Schlafzimmer ein, wo sie sich einer
noch strengeren Askese unterzog als jemals zuvor. Sie geißelte sich dreimal
täglich. Jede Sitzung dauerte eineinhalb Stunden. Sie quälte sich mit einer
eisernen Kette, die sie fest um ihre Hüfte gebunden hatte. Sie sprach nur, um
zu beichten und schlief nur eine halbe Stunde jede zweite Nacht und das auf
einem kurzen Holzbrett. Sie aß kein Brot mehr und hatte schon bald die
Hälfte ihres Körpergewichts verloren.
"Tochter, ich sehe dich schon sterben", jammerte ihre Mutter Lapa. Ihre
Angst um Katharinas Verschlechterung des Gesundheitszustandes führte sie
nahezu in den Wahnsinn. "Ohne Zweifel wirst du dich selber töten. Wehe
mir! Wer hat mich meiner Tochter beraubt?"
Aber Katharina hatte noch Jahre vor sich, bevor sie sich zu Tode hungerte
und sie entschloss sich, diese Zeit als Schwester in dem dritten Orden der
Dominikaner (einem dominikanischen Laienorden) zu verbringen. Die
Mitglieder dieses Ordens gaben das Versprechen, die Gelübte vollwertiger
Ordens-Brüder und -Schwestern abzulegen, aber sie lebten nicht in einem
Kloster und nicht unter der strengen Leitung einer Klostergemeinschaft.
Aber sie waren religiös und nicht weltlich und sie verzichteten bei ihrer
Berufung auf jede Möglichkeit der Heirat.
Zurück in Siena, nörgelte Katharina mit ihrer Mutter, bis ihre Mutter
schließlich zustimmte, dass Katharina endlich zu den Ordensschwestern
gehen konnte. Zur Freude ihrer Mutter aber weigerten sich die Schwestern
Katharina aufzunehmen. Eine zu junge Jungfrau auf dem Pfad der keuschen
Rechtschaffenheit war eine ungelegene Novizin, denn die Schwestern
bevorzugten reifere Witwen. Katharina war am Boden zerstört. Sie bekam
hohes Fieber und entstellende Geschwüre. Ihre Mutter war erschrocken.
Katharina, manipulativ wie eh und je, nutzte die Gelegenheit, um ihre
Forderung für die Zulassung zu den "Schwestern der Buße" 200
durchzusetzen. Andernfalls, so drohte sie, würden Gott und der heilige
Dominikus (der Gründer der Dominikaner), die sie für ihre heilige Arbeit
benötigten, sie dafür hart bestrafen. Mit 12 Jahren sollte Katharina
verheiratet werden, weigerte sich jedoch und trat mit 16 gegen den Willen
ihrer Eltern in den Dritten Orden der Dominikaner ein. Sie widmete sich
intensiv der Pflege von Kranken und der Armenfürsorge sowie dem Gebet.
200
Menschen, die Bindung suchen, brauchen gewisse Strukturen. Dies
erkannte der Ordensmeister der Predigerbrüder, der spanische Bischof
Munio von Zamora. Er gilt als Gründervater der Dominikanischen Laien. Er
verfasste und erließ im Jahr 1285 die "Regel für die Brüder und Schwestern
von der Buße des heiligen Dominikus". Unter der Leitung der Patres ließen
sich die Mitglieder des "III. Ordens", so der damalige Name der
Laiengemeinschaften, in Vorträgen und Exerzitien unterweisen, nahmen am
Gebetsleben der Predigerbrüder teil und übten Werke der Barmherzigkeit.
In gleichem Maß, wie die Predigerbrüder in den 6oer Jahren des 20.
Jahrhunderts begannen, die Beziehungen der einzelnen Ordenszweige
untereinander neu zu ordnen, entließen sie die Schwestern und Brüder des
III. Ordens in größere Freiheit und Eigenverantwortlichkeit. Fortan sprechen
die Dominikaner nicht mehr vom ersten, zweiten und dritten Orden, sondern
von Brüdern (Patres), Schwestern und Laien. Zusammengefasst nennt man
alle drei Zweige des Ordens seit dem Symposiurn von Bologna im Jahre
1983 die "Dominikanische Familie".
Katharinas Mutter, Lapa, ging diesmal ehrlichen Herzens zum Kloster und
erbat für ihre Tochter die Aufnahme als Novizin. Die Schwestern hörten ihr
zu. Dann aber warnten sie, wenn Katharina zu hübsch sei, dann könnte dies
einen sexuellen Skandal heraufbeschwören. Aber Katharina war nicht so
hübsch, wofür Lapa ausnahmsweise dankbar war. Kommen sie und
überzeugen sie sich selbst, flehte sie die Nonnen an. Eine Jury aus weisen
und verwitweten Nonnen begleitete die verzweifelte Mutter bis an das Bett
ihrer Tochter, wo sie Katharina als geeignet, ehrlich und fromm beurteilten.
Sie gaben nach und akzeptierten sie. In Tagen erholte sich Katharina und
trug das schwarz-weiße Ordenskleid.
Der Zwist mit der Mutter endete nach drei Jahren, als der Vater über
Caterinas Kopf eine weiße Taube schweben sah und daraufhin bestimmte,
man solle sie in Ruhe lassen. Als ihr Gesicht durch Pockennnarben entstellt
wurde, lebte sie nur noch zurückgezogen zu Hause. Sie ernährte sich von
Kräutern und Wasser, fastete wochenlang, betete und übte sich im
Schweigen, geißelte sich blutig und schlief wenig. 1363 trat Caterina in ihrer
Heimat gegen den Willen ihrer Eltern in den Dritten Orden der Dominikaner
in Siena ein und lebte dort zunächst weiter in asketischer Strenge gegen sich
selbst. Nach einer Vision (1367 erlebte sie die Vermählung mit Christus als
Vision) gab sie ihr zurückgezogenes Leben auf und widmete sich mit
äußerster Hingabe der Pflege von Kranken und Armen im Pilgerhospiz
(Sterbebegleitung) "Ospedale della Scala" und im Leprosenheim
(Lepraheim) S. Lazzaro.
Nun bändigte Katharina radikal das bischen Fleisch, welches noch von
ihrem mageren Körper übriggeblieben war. Sie vertraute dabei
hauptsächlich auf das heilige Abendmahl (die Hostie) als Nahrung. Dabei
trank sie gewöhnlich nur kaltes Wasser und kaute bittere Kräuter. Sie
erkrankte buchstäblich am Essen. Sie erlitt Magenkrämpfe, die so
schmerzhaft waren, dass ihr Beichtvater schrieb: "Alles was sie zu sich
nahm, kam auf dem gleichen Weg wieder heraus." Katharina's Kau-und-
Spuck-Technik schlug manchmal fehl und ein Bissen, zum Beispiel eine
einzelne Bohne, gelangte in den Magen. Dann erbrach sie alles wieder, was
sie zuvor gegessen hatte. Sie tat dies nicht absichtlich, aber sie entwickelte
die quälende Gewohnheit Stengel vom Fenchel und anderen Pflanzen
hinunterzuschlucken, so dass sich die Magenkrämpfe einstellten und sie
alles wieder ausspie. (Die große Heilige Teresa of Avila benutzte einen
Olivenzweig aus demselben Grund.)
In dieser Nacht erschien ihr Christus. Als er ihr seine klaffende Wunde
zeigte, in der ein Soldat seinen Speer stieß, um Jesus zu töten, wurde
Katharina von der Sehnsucht ergriffen, die heilige Wunde zu küssen. Aber
Gott ließ Katharina nicht ungeschoren davonkommen. Ihren tröstenden
Beistand bezahlte sie mit chronischen Brustschmerzen. Von diesem Moment
an nahm sie keine Nahrung mehr zu sich, weil sie sie nicht verdauen konnte.
Kein Hauch von sexuellen Skandalen befleckte ihr Leben, trotz oder wegen
der ständigen Anwesenheit ihres Beichtvaters, dem italienischen
Dominikanermöch Pater Raimund von Capua 201, der persönlich vom Papst
auserwählt wurde, um sie zu leiten und zu überwachen. Katharina hatte nie
den Wunsch zu heiraten. Eine junge Frau ihrer sozialen Stellung, würde
außerdem kaum an Sex in einem anderen Zusammenhang denken. Die
ewigen Schwangerschaften ihrer Mutter, der Tod ihrer Schwester
Bonaventura bei der Entbindung und der Tod vieler ihrer Geschwister,
musste ebenfalls Katharinas Auffassung von der Ehe beeinflusst haben. Der
Sex konnte viel schneller töten als der Hunger und dabei gab es keine
Unterstützung, welcher Art auch immer, für die Opfer. Katherinas
Magersucht merzte alle streunenden Emotionen der Sexualität aus und
machte sie zu einer "Eunuchin des Himmelreichs" (Matthäus 19,12). Sie
war gewissermaßen eine zielbewusste Zölibatärin, die freudig ihren Sex für
eine glorreiche Belohnung in einer unendlich besseren nächsten Welt
opferte.
201
1369 lernte Caterina das Lesen, um die Bibel studieren zu können. Ab
1370 schrieb sie Briefe an hochgestellte Persönlichkeiten, die sie mitunter
drei verschiedenen Sekretären gleichzeitig diktierte. 1374 musste sie ihre
Visionen und ihr ungewöhnliches Verhalten vor dem Ordenskapitel der
Dominikaner in Florenz rechtfertigen, konnte jedoch alle Bedenken
ausräumen und durfte fortan in offiziellem Auftrag der Kirche reisen und
predigen. Als geistlicher Führer wies ihr das Generalkapitel des Ordens
Raimund von Capua zu, der später auch ihre Biographie verfasste.
Katharinas extravagante Askese tötete nicht nur jede sexuelle Lust in ihrem
ausgehungerten Körper, sondern sie tötete sie fast selbst. Mehrere Male
hörte ihr geschwächtes Herz vorübergehend auf zu schlagen. Als dies
einmal geschah, glaubte sie Christus gesehen zu haben, der ihr Leben
dadurch rettete, indem er sein eigenes heiliges Herz gegen ihr Herz
eintauschte202 . Später frohlockte sie, dass Jesus oft ihren Körper von der
Erde holte und dass sich ihre Seele in perfekter Vereinigung mit Gott
befände. (Das Gefühl, in perfekter Harmonie mit Gott zu sein, halte ich,
abgesehen von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, aufgrund der
extremen Askese, sogar für sehr wahrscheinlich.) Jede Erotik, die noch in
ihrem kranken Körper verblieb, wurde in spirituelle Energie für Jesus
Christus umgewandelt.
202
Der Tausch der Herzen zwischen Jesus und Katharina geschah allerdings
während der Vermählung Katharinas mit Jesus, die sie als Vision erlebte.
Das Ökumenische Heiligenlexikon sagt dazu:In einer mystischen Vision
erlebte sie 1367 ihre Vermählung mit Christus und tauschte ihr Herz mit
ihm; den Ehering (der für andere unsichtbar war) sah sie ihr Leben lang an
ihrem Finger.
Katharina's brennender Ehrgeiz war es, zu predigen. Sie spürt immer mehr,
dass ihre Berufung über die Pflege der Armen und Kranken hinausging. Sie
musste predigen, sich politisch engagieren. Sie führte Gespräche, unternahm
Reisen zu Konfliktparteien, schrieb aufrüttelnde Briefe und scheute sich
nicht, ihre Botschaft von der barmherzigen Liebe Gottes und die damit
verbundenen Aufgaben und Pflichten auch an den höchsten Stellen (Papst
Gregor IX.) vorzutragen. In allem, was sie tut und sagt, ist sie erfüllt von
dem, was sie erfahren hat: Christus ist in ihr und drängt durch sie in die
Welt. Ihre politischen Briefe beginnen alle mit einer Predigt.
Mit einer unglaublichen Energie, die man der unterernährten Katharina gar
nicht zugetraut hätte, stürzte sie sich in die Lobbyarbeit. Ihre Themen waren
Frieden und Reformen in der Kirche. Sie setzte sich dafür ein, dass der Papst
nach Rom zurückkehrte. (Von 1309 bis 1377 regierten sieben Päpste in
Avignon in Frankreich.) Und sie setzte sich für einen Kreuzzug gegen die
Moslems ein. Katharina betrachtete, wie viele vor ihr, den Tod unter dem
Kreuzbanner als heilige Sache, als Martyrium. Doch verraten ihre damit
verbundenen Ziele kein macht-politisches Kalkül. Ihr ging es um die
Bekehrung der Ungläubigen. Ein Kreuzzug sollte dem heiligen Land und
den dort ansässigen Moslems den „wahren“ Glauben bringen. Der Papst
müsse „das Banner des heiligen Kreuzes gegen die Ungläubigen
aufrichten.“ Dann könne er „das Blut des Lammes den armen Heiden
reichen.“
Diese Sichtweise, die uns Menschen so schwer verständlich ist, hat ihr Gott
selbst einmal in einer Vision kundgetan (sie schrieb das ihrem Beichtvater in
einem Brief). Gott zeigte ihr dabei das Schicksal eines Sünders, indem er zu
Caterina sprach: „Du sollst wissen, um ihn vor der Verdammnis zu retten, in
die er, wie du gesehen hast, gefallen war, habe ich für ihn diesen
Unglücksfall zugelassen, damit er mit seinem Blut in meinem Blut das
Leben habe. Denn er hatte die Ehrerbietung meiner süßen Mutter gegenüber
nicht vergessen. So habe ich also bei ihm das, was die Unwissenden für
Grausamkeit halten, nur aus Barmherzigkeit zugelassen.“
Die heilige Birgitta von Schweden dachte über den Kreuzzug übrigens ganz
anders. In einem Brief an Papst Gregor XI. schrieb sie, daß „Christus nicht
will, daß der Papst Banden gottloser Krieger zu seinem Grab (in Jerusalem)
schickt.“
Katharina war eine dynamische und furchtlose Rednerin und Lobbyistin, sie
hielt Vorträge und schalt Führer auf allen Ebenen. Den Verfall der Integrität
des Klerus kritisierte Caterina nachhaltig: "Was Christus am Kreuz erwarb,
wird mit Huren vergeudet!" Sie schalt selbst den Papst. Sie rief ihn auf, die
kirchlichen Ungerechtigkeiten zu beenden oder zurückzutreten und jemand
anders die Arbeit machen zu lassen. Katharinas Ruf wuchs allmählich. Sie
wurde international als eine politische und kirchliche Autorität bekannt und
sie diskutierte mit den führenden italienischen Staatmännern des vierzehten
Jahrhunderts.
Katharina war nicht nur eine sehr bekannte Person der Öffentlichkeit. Sie
verrichtete ihre private Arbeit ebenso gut: als "Mama" 203 gegenüber ihren
Schülern, die sie als "Söhne" bezeichnete, als Krankenschwester gegenüber
den sterbenden Patienten in öffentlichen Krankenhäusern und als spirituelle
Beraterin der Gefangenen, die auf ihre Hinrichtung warteten. Als ein
Gefangener im Sterben "Jesus, Katharina" stammelte, stand sie so nah bei
ihm, dass sein Blut auf ihre Robe spritzte. Später freute sie sich, dass seine
Seele ihre Ruhe gefunden hatte und konnte es nicht übers Herz bringen, sein
Blut abzuwaschen.
203
Immer mehr Mystiker, Fromme, Geistliche und Laien, Männer und
Frauen, scharten sich um sie, sie fühlten sich als "famiglia", "Familie",
Caterina wurde von ihnen "mamma", "Mutter" genannt.
1494 wurde Perugia vom Städtekrieg heimgesucht. Colomba bot sich als
Geisel an, um die Stadt von der Plage zu befreien, und schlug vor, die Stadt
der Katharina zu weihen. In der Haft wurde Colomba gefoltert. Den
schließlich erreichten Frieden schrieb man der Frömmigkeit der Stadt und
ihrer Fürbitte zu. Colomba wurde, möglicherweise durch die italienische
Fürstin Lucrezia Borgia, in Rom verleumdet, sie habe ihre Unschuld
hingegeben. Deshalb verlor sie ihr Amt als Priorin. Nach einigen Monaten
stellte sich ihre Unschuld heraus und sie wurde rehabilitiert. Auch wurde ihr
vorgeworfen, sie habe öffentlich gepredigt, was den Frauen und Nicht-
Priestern nicht erlaubt war. Papst Alexander VI. besuchte die inzwischen im
Ruf der Heiligkeit stehende Colomba 1499. Zu seinen Füßen erlebte
Colomba wunderbare Visionen. Colomba erhielt ob ihrer Glaubenstreue den
Beinamen "die zweite Katharina". Ihr Kloster wurde 1870 aufgelöst.
Die Ausnahme von der Regel der übertriebenen Askese war Hildegard von
Bingen (1098 - 1179), die auch als Sybille vom Rhein 205 bekannt ist, die
geliebte Äbtissin des 12. Jahrhunderts. Als aristokratische, fromme,
brillante, gelehrte, wissbegierige und mitfühlende Äbtissin eines
Benediktiner-Frauenklosters überwachte Hildegard ihre Schwestern und
schrieb ungeheuer viel. Sie hielt eine umfangreiche Korrespondenz und
veröffentlichte bedeutende Arbeiten über ihre Visionen 206, über
medizinische Themen, Naturgeschichte und über das Leben verschiedener
Heiligen. Hildegard erwies sich auch als Dramaturgin, Dichterin und
Komponistin und verfasste Texte und Melodien zu 77 Liedern und das
Singspiel "Ordo Virtutum", (Spiel der Kräfte), in dem sie den ewigen
Kampf zwischen Gut und Böse in 35 dramatischen Dialogen zur Darstellung
bringt.
205
Hildegards Eltern waren die Edelfreien Hildebert und Mechtildis. (Aus
den Edelfreien entwickelte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts der hohe
Adel.) Als zehntes Kind der Eltern sollte sie ihr Leben der Kirche widmen
(ein Zehnter an Gott). Darum schickten die Eltern ihre achtjähriges Tochter
zu ihrer Verwandten, der Äbtissin Jutta von Sponheim, in das
Benediktinerkloster Disibodenberg in Gegend von Kreuznach, wo sie
erzogen wurde. Hildegard war immer wieder krank, kaum fähig zu gehen,
oft auch durch Sehbehinderungen eingeschränkt. Nach dem Tod der
Äbtissin wurde Hildegard 1136, mit 38 Jahren, zur neuen Äbtissin gewählt.
Vom Jahre 1141 an (mit 43 Jahren) trat sie, die bereits als fünfjähriges Kind
die Farbe eines Kalbes im Leibe der Mutter geschaut hatte, auch
schriftstellerisch als Seherin, als „Sibylle vom Rhein“ auf.
206
Hildegard war überzeugt, dass ihr die visionäre Begabung von Anfang an
gegeben worden sei: "Bei meiner ersten Gestaltung, als Gott mich im
dieses Schauen meiner Seele ein." Anfänglich war sie von ihren Schauungen
befremdet. Sie merkte, dass andere nicht das sahen, was sie sah. "In meinem
dritten Lebensjahr sah ich ein so grosses Licht, dass meine Seele erbebte,
doch wegen meiner Kindheit konnte ich mich nicht darüber äussern Und bis
zu meinem 15. Lebensjahr sah ich vieles, und manches erzählte ich einfach,
so dass die, die es hörten, sich sehr wunderten, woher es käme und von wem
es sei. Da wunderte ich mich auch selbst. Darauf verbarg ich die Schau, die
ich in meiner Seele sah, so gut ich konnte. Ich schämte mich sehr, weinte oft
und hätte häufig lieber geschwiegen, wenn es mir möglich gewesen wäre.
Denn aus Furcht vor den Menschen wagte ich niemandem zu sagen, was ich
schaute."
Nicht nur die theologischen Werke habe sie in der Schau empfangen,
sondern auch vieles von ihrem natur- und heilkundlichen Wissen sei ihr in
Visionen geschenkt worden, auch in ihren Briefen offenbare sie Gottes
Wort, bekundete Hildegard. Hildegard legte Wert darauf, dass sie ihre
Visionen in wachem Zustand und nicht "in der Bewusstlosigkeit der
Ekstase" empfangen habe. In ihren Gesichten sah sie manchmal auch ein
Licht, das sie lebendiges Licht nannte. "Solange ich es schaue, wird alle
Traurigkeit und alle Angst von mir genommen, so dass ich mich wie ein
einfaches junges Mädchen fühle und nicht wie eine alte Frau."
"Die heilige Gottheit kann keiner je begreifen, nicht einmal berühren mit
seinem Verstand, so hoch er ihn auch emporrecken mag. Gott ist höher als
alles", schrieb sie knapp hundert Jahre, bevor der Philosoph und
Dominikanermönch Thomas von Aquin207 (1225 - 1274) genau dies in
unübertroffener Meisterschaft versuchte, bis auch er nach einer mystischen
Erfahrung ein Jahr vor seinem Tod dieses Bemühen einstellte.
Die Frau wurde dieser Vorstellung nach für die Liebe des Mannes
geschaffen, um dann durch diese Liebe Söhne (Töchter) zu zeugen. Doch
darf dies nicht so verstanden werden, als ob Hildegard jede Form der
Geschlechtlichkeit in der Ehe bzw. generell gut hieße. Hildegard hat eine
klare Forderung an einen legitimen Geschlechtsakt. So „wie die
menschliche Natur lehrt, soll der Mann in der Kraft seiner Glut und mit dem
Lebenssaft seines Samens seiner Gattin gegenüber den rechten Weg suchen,
in Selbstbeherrschung und aus dem Verlangen nach Nachkommenschaft.“
Auch wenn es sich um ein Zitat aus Hildegards Buch "Scivias" (Wisse die
Wege des Herrn.) handelt, beruft sich Hildegard auf die „menschliche
Natur“. Für Hildegard gibt es zusammengefasst vier Kriterien, die den
Geschlechtsakt als Gott gefällig legitimieren.
Nun stellt sich immer noch die Frage, wie genau sich hier die Lust einfügen
soll. Ist die Frage nach der Sünde in diesem Kontext eine Frage nach der
Lust? Noch einmal im Rückblick auf die vier Kriterien für den legitimierten
Geschlechtsakt, kann die Frage um die Lust lediglich innerhalb dieser vier
Kriterien diskutiert werden, denn Geschlechtlichkeit außerhalb dieser vier
Kriterien ist als nicht gottgewollt und sündhaft abzulehnen, und muss daher
in die Betrachtungen nicht einbezogen werden.
Doch weiter soll das Augenmerk nun auf die Frage des Stellenwertes der
Enthaltsamkeit liegen. Hildegard beruft sich in der "Scivias" auf den
Menschensohn, der in einer Vision selbst spricht. Dieser vergleicht sich
selbst mit einer Blume des Feldes. Denn er sei ohne eine Vereinigung mit
einem Mann aus einer Jungfrau geboren. Der Mensch aber wurde in den
Sünden der Verderbnis geboren. Weiterhin sagt der Menschensohn: „Ich
verleihe dir, angesichts meines Vaters in Jungfräulichkeit mit mir
Gemeinschaft zu haben.“
Da Hildegard, wie schon erwähnt, die Ehe in den Ständen der Kirche nicht
an oberster Stelle stehen hat, bleibt nun die Frage nach dem Anspruch an die
Priester. Das beinhaltet auch die Frage einer möglichen Jesusnachfolge.
Hildegards Ansprüche an einen Priester überträgt sie aus alttestamentlichen
Reinheits- und Kultvorstellungen auf die Priester ihrer Zeit. Sie postulierte
ein reines Priestertum. Da „er (Christus) in unversehrter jungfräulicher
Keuschheit Fleisch annahm, deshalb müssen auch die keusch sein, welche
ihm dienen möchten. Den fleischlichen Begierden in den Werken der
Zeugung von Kindern ist er (der Priester) nämlich entzogen und kann
deshalb so nüchtern und unbefleckt jenes Brot darbringen, das zum Heil der
Menschen auf den Altar gelegt wird.“ Hildegard geht es hier also um die
kultische Reinheit, das Werk des Priesters soll unbefleckt bleiben. An
anderer Stelle wird dies noch deutlicher. Da ist von den „reinen Herzen und
Händen“ die Rede. Diese bringen das heilige Opfer auf den geweihten Altar.
Der Begriff der reinen Hände steht für die geschlechtliche Enthaltsamkeit.
Hildegard fordert also, und zwar durch die Autorität Gottes, welche sie ja in
den Visionen in Anspruch nimmt, dass die Priester rein sein müssen.
Quelle: Hildegard von Bingen
Papst Alexander III. amtierte vom 7. September 1159 bis zum 30. August
1181 als Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche. Fast zwanzig Jahre
rang er mit dem deutschen Kaiser Friedrich I. Barbarossa und dem
englischen König Heinrich II. um die weltliche Vormachtstellung des
Papsttums.
"Der Teufel, dieser pechrabenschwarze Vogel, fügte sie hinzu, ist auf Beute
nach Sündern und Menschen, die von erotischen Wünschen geplagt werden.
Er plagt sie, indem er sie drängt, auf dem Körper herumzutrampeln. Dies hat
Sorgen, Leid und Tränen ohne Maß zur Folge." Seine teuflischen
Suggestionen sagen, dass dieses Verhalten die Sünde sühnen würde. In der
Tat warnte Hildegard, dass die übermäßige Askese nur den Körper
schwächt, die Gesundheit ruiniert und die Lust auf's Leben, sowie die Lust
an der Spiritualität, nimmt, denn das ist genau das, was der Teufel
beabsichtigt. Dies war natürlich ein Kritikpunkt, den Hildegard ansprach
und man fragt sich, ob Hildegards schonungslose Warnung die sterbende
Elisabeth berührte.
Was für ein provokativer Blick auf die zügellose Askese! Und Hildegard,
die von Herzen nur eine Entbehrung, nämlich das Zölibat, befürwortete,
hatte noch mehr schlechte Nachrichten. Sie sagte, die Opfer dieser
galloppierenden Askese machten sich der Sünde des Stolzes schuldig, da sie
dachten, sie wären besser, als andere gute Menschen. Aber die großen
Asketen, wie Catherina von Siena, haben die Schriften Hildegards entweder
nicht gelesen oder ihren Rat nicht berücksichtigt, da der Wunsch dieser
previligierten und hochgebildeten Intellektuellen, übermächtig war, die
Heiligkeit zu erreichen. Aber auch für viele weniger previligierte Frauen
schien die exhibitionistische Praxis der selbst auferlegten körperlichen
Misshandlung, die bestmögliche Vorgehensweise.
Die spektakulärste aller Bräute Christi aus der Neuen Welt, ist die Irokesin
Kateri Tekakwitha, die auch als Katharina oder Katerina Tebakwitha
bekannt ist. Sie wurde Jahrhunderte nach ihrem Tod als römisch-katholische
Heilige gefeiert und als hypnotisierende tragische Heldin in einem Buch des
kanadischen Sängers und Schriftstellers Leonard Cohen beschrieben, der
ihre Biographie in seinem Buch "Beautiful Loosers" veröffentlichte. Katerí
Tekakwitha kam im April 1656 als erstes Kind des Mohawks-Häuptlings
Tsonitowa (Großer Biber) und dessen Frau Kahonta (Wiese) in der Siedlung
Ossernenon, heute Auriesville im US-Bundesstaat New York (USA), zur
Welt. Weil sie geboren wurde, als die Sonne aufging, erhielt sie den
Kosenamen „Joragode“ (Sonnenschein).
Quelle: Algonkin
210
Bei den Irokesen war die Behandlung von Gefangenen sehr grausam und
zeigt deutlich südlichen (mexikanischen) Einfluß. Bevorzugt wurden junge
Männer, aber auch Frauen und Kinder gefangen genommen. Man war
bemüht, so viele Gefangene zu machen, wie nur irgend möglich. Die
Gefangenen wurden gewaltsam ins Dorf getrieben und wer nicht mehr
mithalten konnte, wurde getötet. Im Dorf bildeten die Bewohner zwei
Reihen, ähnlich wie der Spießrutenlauf der Preußen, und ließ die
Gefangenen hindurchlaufen. Man schlug mit aller Kraft mit Stöcken auf sie
ein. Im Anschluß wurden die Gefangenen an die Frauen verteilt, die zuvor
einen Angehörigen zu beklagen hatten. Die gefangenen Kinder wurden in
den Stamm aufgenommen, hingegen wurden Frauen und alte Männer wie
Sklaven gehalten. Ob ein Mann sterben sollte oder am Leben blieb,
entschieden die Matronen (die älteren Clanmütter). Ein Mann der am Leben
blieb, wurde in den Stamm integriert und der ehemalige Stamm nahm es
ihm nicht einmal übel. Wer sterben sollte, wurde auf grausamste Weise zu
Tode gefoltert, nicht um sich an dieser Folterung zu erfreuen, sondern aus
religiösen Gründen. Der zum Tode Verurteilte, wurde Areskoi geopfert,
dem Geist des Krieges und der Jagd (dem Kriegsgott), vielleicht auch der
Sonne. Gab es keinen männlichen Gefangenen, so opferte man eine Frau.
Man brachte dem Opfer Achtung entgegen. Der Brauch einen Menschen zu
opfern und ihn vor der Opferung zu bewirten, stammt aus dem Süden,
genauer aus Mexiko. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, warum die
Irokesen eine solche Folterung vornahmen.
Die Folterung der Irokesen war ihr Brauch und geopfert wurden Algonkin
und Weiße. Von den Algonkin wurde diese Folterung aus Rache ausgeübt,
wenn sie einen Irokesen fangen konnten. Die Irokesen waren sehr gefürchtet
und man haßte sie. Ihr schlechter Ruf wurde später auf alle Indianer
übertragen. Die Irokesen-Stämme lagen noch vor 500 Jahren in ständigen
Streitigkeiten, was sie daran hinderte Ligen oder Allianzen zu bilden. Es
kam jedoch vor, dass zwei oder mehrere Stämme sich verbündeten, aber
eine solche Verbindung war immer nur von kurzer Dauer. Das dies so war,
liegt bestimmt an der Blutrache. Wurde ein Mann getötet, so mußte ein
Mann vom Stamm sterben, der ihn tötete, selbst wenn es unbeabsichtigt
geschah. Wenn die Irokesen unterwegs waren ein Nachbardorf anzugreifen,
wurde ihr Dorf in ihrer Abwesenheit von Algonkin-Stämmen überfallen und
dem Erdboden gleich gemacht.
Als Kateri vier Jahre alt war, dezimierte eine Pockenepedemie 211 ihr Dorf
und infizierte ihre ganze Familie. Dabei starben ihre Eltern und ihr jüngerer
Bruder. Kateri erholte sich, aber die Krankheit entstellte ihr Gesicht und
schädigte ihre Sehkraft. Einige Monate nach dem Ende der Pockenepidemie
verließen die Mohawks im Sommer 1660 Ossernenon und errichteten auf
der Anhöhe Ganawage („An den Wasserwirbeln“) nahe des Mohawk-
Flusses eine Siedlung. Im neuen Wigwam streckte die halb blinde Jarágode
oft die Arme vor, um nicht anzustoßen, und tastete sich voran. Deswegen
nannte ihr Stiefvater sie scherzhaft „Te ka kwithwa“ („Sie schiebt vor sich
hin“), was nach ihrem siebten Geburtstag ihr endgültiger Name wurde.
Das verwaiste Kind lebte nun bei ihrer Tante und ihrem Onkel,
Traditionalisten, die der aktuellen Welle der christlichen Bekehrung
widerstanden. Sie lehrten Kateri irokesische Werte und Kultur, nahmen sie
mit auf die alljährliche Jagd und bereiteten sie auf ein Leben als
Irokesenfrau vor. Sie sammelten Brennholz, kultivierten die Kornfelder und
schmückten sich mit dem Schmuck der Eingeborenen. Als Kateri zehn Jahre
alt war, besiegten die Franzosen die Irokesen, die durch den anschließenden
Friedensvertrag gezwungen waren, ihr Land für die jesuitischen Missionare
zu öffnen. Ein Jahr später erreichten drei Jesuiten Kateri's Dorf. Obwohl
Kateri's Onkel diese feindlichen Abgesandten hasste, verlangte es seine
Position als neuer Häuptling, sie zu begrüßen. Später kehrte einer dieser
Jesuiten zurück und konzentrierte sich auf die irokesischen Stämme der
Huron und Algonquin, die, wie Kateri's Mutter, bereits zum Christentum
übergetreten waren.
211
Die europäischen Eroberer brachten die Pocken nach Amerika mit, wo sie
unter den Ureinwohnern Amerikas, den Indianern, verheerende Epidemien
auslösten, die Millionen von Toten forderten. Die Europäer dagegen waren
durch zahlreiche frühere Pockenepidemien relativ wenig gefährdet.
Schlimmer jedoch schlugen die epidemisch (zeitliche und örtliche Häufung
einer Krankheit), ja pandemisch (kontinentübergreifende Verbreitung einer
Krankheit) auftretenden Seuchen zu, die von den Spaniern und den von
ihnen nach Amerika versklavten Schwarzafrikanern übertragen wurden. Die
Ratten, die ihre Schiffe verließen, um die Neue Welt zu erobern, waren ihre
ungeliebten Verbündeten. Die Ureinwohner Nord- und Südamerikas
besaßen aufgrund ihrer jahrtausendelangen Isolierung vom Rest der Welt
keine natürliche Immunität gegen die auf sie eindringenden
Krankheitserreger. Sie hatten auch keine Erfahrungen, mit den neuartigen
Krankheiten umzugehen. Durch verschiedene Seuchen und Epidemien
(Pocken, Masern, Grippe, Syphilis), die von den Europäern, den Afrikanern
und den Ratten eingeschleppt wurden, starben etwa 90 Prozent der
amerikanischen Ureinwohner.
Erinnerte sich Kateri an den Glauben ihrer Mutter? Machte ihre traditionelle
Familie ihr deswegen Vorwürfe? Oder wurde sie durch die Jesuiten
interessiert und inspiriert? War ihre Faszination für das Christentums also
ein langbestehendes Phänomen, welches nur wieder auftauchte, als die
Pubertät sie antrieb, in die Welt der Erwachsenen einzutreten? Was immer
auch der Ursprung ihrer Sympathie mit dem Christentum gewesen sein mag,
sie kam ans Licht, als Kateri in die Pubertät kam und ihre Familie sich über
ihre Verheiratung Gedanken machte. Es war bei den Irokesen üblich, dass
der Ehemann jagen ging, seine Frau mit Fleisch versorgte und einen Beitrag
zum Erhalt des Langhauses 212 seiner Frau beitrug. Aber Kateri weigerte
sich, einer Ehe zuzustimmen und lenkte selbst dann nicht ein, wie einer
jesuitischen Beschreibung zu entnehmen ist, als ihre wütenden Verwandten
sie bestraften 213. Die Familienkrise spitzte sich zu. Auf der einen Seite war
die fleißige, tugendhafte und durch Pockennarben entstellte Kateri, auf der
anderen Seite die Verwandten, die sie nach dem Tod ihrer Eltern beherbergt
und beschützt hatten. Doch Kateri trotzte ihnen weiterhin und forderte
dadurch sogar ihren Onkel, den Häuptling, heraus. Was tat er anders, als
ihre Zukunft zu sichern, indem er versuchte, sich nach einem jungen und
tapferen Irokesen umzuschauen, der seine unattraktive und schielende
Nichte heiraten sollte?
212
Die Irokesen lebten in einer matriarchalischen Gesellschaft. Jeder Stamm
bestand aus verschiedenen Clans. Jeder Clan wohnte in einem Langhaus,
das den Frauen gemeinschaftlich gehörte und matrilinear (von Mutter zu
Tochter) vererbt wurde. Im Durchschnitt beherbergte ein Langhaus 5 bis 20
Familien. In einem Irokesendorf waren die Häuser eng zusammengebaut
und von Holzspitzen bewehrten Palisaden umgeben, die gegen Angreifer
ohne Feuerwaffen einen perfekten Schutz boten. Als Chefin des Clans
fungierte die Clanmutter (Matriarchin), die den besten Krieger des Clans als
Gehilfen nutzte. Die Clanmutter wurde in der Clanversammlung gewählt.
Die Söhne und Töchter blieben zeitlebens im mütterlichen Clanhaus
wohnen. Bei einer Heirat besuchte der Mann die Frau zeitweise in deren
Clanhaus. Ehen konnten leicht gelöst werden. Frauen unterlagen keinem
Sittlichkeits- und Jungfräulichkeitsgebot, da alle Kinder als Kinder der
Mutter und des Mutterclans betrachtet wurden. Die biologische Vaterschaft
der Kinder war weniger wichtig als die soziale Vaterschaft, die meist ein
Bruder oder ein anderer Verwandter der Mutter den Kindern gegenüber
ausübte.
Quelle: Irokesen
213
Obwohl sie sonst immer ihrem Onkel und ihren Tanten gehorchte, wehrte
sich Tekakwitha im heiratsfähigen Alter gegen den Wunsch ihrer
Verwandten, zu heiraten. Als ihre Tanten ohne ihr Wissen den Eltern des
jungen Kriegers Ojonkwire (Der Pfeil) sagten, Tekakwitha biete ihm die
Ehe an, fiel sie nicht auf diese List herein: Sie rannte davon, als sie
überraschend mit dem Bewerber verkuppelt werden sollte. Damals war sie
noch keine Christin und hatte noch mit keinem Missionar gesprochen. In der
Folgezeit behandelten die verärgerten Tanten Tekakwitha wie eine Sklavin.
Sie luden ihr die schwersten Arbeiten auf, kritisierten sie oft als dumm, faul
oder ungehorsam und bezichtigten sie, sie sei boshaft und gemein. Nach
einigen Monaten gaben sie die Quälereien auf und hegten keine
Heiratspläne mehr.
Doch die Teenagerin Kateri hatte ganz andere Absichten als zu heiraten. Sie
fühlte sich unvermeidlich zur Religion ihrer Mutter hingezogen und hatte
den intensiven Wunsch, sich dem christlichen Glauben anzuschließen. Sie
hatte von den gefangenen indianischen Frauen in den Dörfern einiges über
das Christentum erfahren. Auf Einladung des Jesuiten, Pater Lamberville,
besuchte sie seine Katechismusklasse und wurde seine Musterschülerin. Als
er sich unter den Leuten nach ihrem moralischen Charakter erkundigte, fand
er heraus, dass sie nicht die Laster der Mädchen ihres Alters hatte. In der Tat
führte sie ein Leben, das so rein war, dass es einem stillschweigenden
Vorwurf der Irokesen gleichkam.
Nach ihrer Taufe wurde Kateri in Ganawage wegen ihres Glaubens heftig
von heidnischen Stammesgenossen verfolgt. Man beschimpfte, verspottete
und verfluchte sie, warf nach ihr mit Steinen und bedrohte sie mit
Tomahawks. Medizinmänner und Zauberer bezichtigten sie als Hexe. Die
Schamanen verhöhnten sie. Und ihre eigene Tante denunzierte sie als
schamlose Verführerin. "Katherina (Kateri), bei der sie die Tugend so hoch
einschätzen, ist eine Heuchlerin, die sie täuscht", äußerte sich ihre Tante
gegenüber Pater Lamberville. "Sie hat in meiner Gegenwart versucht,
meinen Mann zur Sünde zu verführen". All dies konnte Kateri jedoch nicht
von ihrem Glauben abbringen.
Pater Lamberville hatte richtig geurteilt. Kateri trat nicht von ihrem Glauben
zurück. Aber die Schlachtlinien waren gezeichnet und in der Mitte stand
Kateri als Symbol des Sieges der Jesuiten über den Häuptling und über die
Lebensart der Dorfbewohner. Schließlich riet Pater Lamberville seinen
Schützlingen zur Flucht. Knapp ein Jahr nach der Taufe flüchtete Kateri mit
Hilfe zweier christlicher Indianer im Morgengrauen mit einem Kanu auf
dem Mohawk-Fluss aus Ganawage. Nach dreiwöchiger Reise kam sie in der
mehr als 200 Meilen (etwa 330 Kilometer) entfernten Missionsstation St.
Franz Xaver215 der Jesuiten bei Montreal am St. Lorenz-Strom in Kanada
an. Die Eingeborenen bezeichneten das dortige christliche Indianerdorf als
Caughnawaga (heute: Kahnawake).
215
Der Spanier Franz Xaver (Francisco de Xavier: 1506 - 1552) war neben
Ignatius von Loyola einer der Mitbegründer des Jesuitenordens und einer
der Pioniere christlicher Mission in Asien.
In der Mission in Montreal schloß sie sich mit zwei anderen Frauen, den
Witwen Marie-Theresa Tegaiguenta und Marie Skarichions, die ebenfalls
zum Christentum übergewechselt waren, zusammen. Das Trio träumte
davon, ein eigenes Nonnenkloster zu gründen. Aber nachdem der leitende
Missionspriester ihnen diese Hoffnung nahm, arbeiteten sie als Nonnen im
Krankenhaus. Armut, Keuschheit und Gehorsam hatten sie als Lehre der
Kirche akzeptiert. Sie wurden zu ihren offensichtlichen Idealen. Aber unter
dem Einfluss einer älteren Konvertierten war Kateri von der christlichen
Buße besessen.
Christus oder einen Mohawk als Ehemann: Selbst Pater Cholenec, an den
sich Kateri's Beraterin gewandt hatte, fand nicht, dass dies eine leichte Wahl
war. Das Missionsleben war hart. Ein ständiger Kampf, genug Nahrung zu
finden, der brutale Winter, Krankheiten und militärische
Auseinandersetzungen bestimmten das Leben. Für eine indianische Frau, die
weit weg vom Schutz ihrer Familie lebte, konnte ein menschlicher Ehemann
von großem Vorteil sein. Pater Cholenec riet Kateri, sehr sorgfältig über ihre
Entscheidung nachzudenken.
"Ich habe lange genug darüber nachgedacht. Ich habe mein Leben
vollkommen Jesus, dem Sohn Marias, geweiht. Ich habe ihn zu meinem
Ehemann erwählt und er allein wird mich zu seiner Frau nehmen",
antwortete Kateri ihm.
Die Keuschheit war außerdem eine geachtete Tradition bei der Vorbereitung
auf erfolgreiche Jagden und Schlachten. Aber dies galt für Männer und nicht
für Frauen und sie waren rein strategisch und kurzfristig. Als permanenter
Zustand wurde das Zölibat, wie zum Beispiel die Lebensart der Jesuiten, als
seltsam betrachtet. Als die Jesuiten versuchten, den Irokesen das Zölibat
nahe zu bringen, reichten die Reaktionen von verwirrter Ungläubigkeit über
Gespött bis zur Wut.
Die Jesuiten hatte einen wichtigen Anteil an Kateri's Erfolg. Es war für die
Jesuiten nicht schwer, in Kateri eine außergewöhnliche Persönlichkeit zu
erkennen, ungemein stark und engagiert, aber auch beeinflussbar und
formbar. Nun konnten sie dokumentieren, wie gut sie Kateri unterrichtet
hatten und sie konnten auf ihren gebrechlichen, misshandelten, aber
jungfräulichen Körper als Beweis für eine erfolgreiche Bekehrung
hinweisen.
Kateri verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens, wie sie sie seit ihrer
Ankunft in der Mission verbracht hatte. Sie befolgte die Rituale des
Katholizismus, wobei sie besonderen Wert auf die heilige Eucharistie legte.
Um für die schrecklichen Sünden der Indianer, bei Jesus, ihren Ehemann,
der am Märtyrertod gestorben war, Sühne zu leisten, setzte sie ihre
Selbstkasteiungen fort.
Es ist erstaunlich, wie sehr die Jesuiten um Kateri's Ableben besorgt waren.
Im Tod war Kateri wenigstens vor den Verleumdern und den wütenden
Verwandten sicher, die sie im Leben so geplagt hatten. Der Tod war für
Kateri's indianische Gefolgschaft die beste Waffe in ihrem heiligen Krieg.
Lebend konnten Kateri die falschen Anschuldigungen vielleicht verletzt
haben, wenn sie sich in der frierenden Wintersonnenwende in den Wald
hinaus schlich, all ihre Kleider auszog, um reuig vor dem Kreuz auf einem
Friedhof zu stehen.
Schlimmer noch, unter Umständen könnten sie sogar die Jesuiten in Frage
stellen, wie auch ihre Familie sie in Frage stellte. Aufgrund ihrer Askese,
durch ihr Zölibat und den Ruhm ihrer glorreichen Vermählung mit Christus,
konnte sie als gleichbedeutend mit ihrer Namensvetterin Katharina von
Siena angesehen werden, ja, sogar mit dem Papst. Es wurde sehr
leidenschaftlich über die umstrittenen Ansichten Kateris diskutiert.
Glücklicherweise für die Jesuiten, starb Kateri zu früh, um für ihre
Ansichten einzutreten.
Nach ihrem Tod gewann Kateri die Popularität, die sie zu Lebzeiten niemals
besaß. In Erinnerung an Kateri eiferten die Irokesen ihre Keuschheit nach.
So berichtete jedenfalls Pater Cholenec. Eheleute trennten sich in
gegenseitiger Zustimmung. Viele junge Witwen gelobten ewige Keuschheit.
Andere Frauen gaben dasselbe Versprechen für den Fall, dass ihre
Ehemänner vor ihnen starben und sie hielten dieses Versprechen.
Die Heiligkeit Kateri's erfolgte schnell, zumal sie einigen Bittstellern als
Vision erschien und da nach ihrem Tod einige Wunder, Gebetserhörungen
und Heilungen durch die Kraft ihrer Reliquien geschehen sein sollen. Am 3.
Januar 1943 erklärte Papst Pius XII, die Prüfung der Ritenkongregation in
Rom habe die heroische Tugend von Katerí Tekakwitha festgestellt und ihr
gebühre der Titel „Ehrwürdige Dienerin Gottes“. Papst Johannes Paul II.
sprach sie am 22. Juni 1980 heilig. Durch ihre bemerkenswerte Bindung an
das Zölibat, verstärkt durch die selbstauferlegte Askese, die so extrem war,
dass sie wahrscheinlich daran starb, erreichte die 24jährige Braut Christi den
höchsten Rang in der römisch-katholischen Kirche. Betrachtet man Kateri's
Leben, so kann man sich leicht vorstellen, dass sie sich durch ihrem
unerokesischen Weg zur ewigen Jungfräulichkeit bestätigt fühlte.
Es gibt keinen Grund zu der Vermutung, dass Katerie, wie Katharina von
Siena, Margary Kempe218 oder andere heilige Frauen, die Heiligkeit
anstrebte. Stattdessen erfasste sie das Christentum und legte den
Schwerpunkt auf die Keuschheit, was unmittelbar Probleme mit der Familie
und den traditionellen Stammeswerten der Irokesen mit sich brachte. Sie
erwarteten, dass sie heiraten würde. Kateri aber weigerte sich aufgrund ihres
brennenden Glaubens und trotzte dem ganzen Dorf. Leider verweigerten die
Priester, die ihre Rebellion unterstützten und sie als einen menschlichen
Rammbock im Kampf um die Rettung der indianischen Seelen benutzten,
ihren größten Wunsch, in ein Kloster einzutreten. Stattdessen nahm sie
Zuflucht zu einem Scheinkloster, welches in ihrer unkontrollierten
Selbstaskese, wegen der Wildniss des umgebenden Waldes und ihres
eigenen fieberhaften und ungezügelten Geistes, sehr gefährlich war
218
Margery Kempe (1374 - 1440) war eine bedeutende englische Mystikerin,
die in der Grafschaft Norfolk geboren wurde. Sie war zunächst mit einem
wohlhabenden und stimmberechtigten Bürger verheiratet und Mutter von 14
Kindern. Nach einem Anfall geistiger Verwirrung und dem Scheitern von
geschäftlichen Unternehmungen wandte sie sich einem Leben in Gebet und
Buße zu. Sie trennte sich von ihrem Gemahl und führte ein religiöses Leben
in der Welt. Sie suchte Rat bei Juliana von Norwich219, die sie besuchte, und
unternahm Pilgerreisen ins Heilige Land, nach Italien und Spanien. Da sie
selbst des Schreibens unkundig war, diktierte sie ihre Autobiographie, die
sich durch Freimut und Ehrlichkeit auszeichnet. Darin schildert sie ihre
Versuchungen, ihre Visionen, spricht über ihre Liebe zu Gott und ihr
Mitleid mit den Sündern. Das Buch ist die älteste Autobiographie in
englischer Sprache. Es hat seinen Wert als eine Dokumentation einer
menschlichen Geschichte und spiegelt auch das mittelalterliche Leben in
England wieder. Heute wird Margery Kempe häufig mehr als Opfer ihrer
psychischen Veranlagung denn als echte Mystikerin angesehen.
Quelle: Rekluse
221
Das Inklusorium ist eine Zelle oder ein kleines Haus (Klause), in dem
sich die Inklusen aus religiösen Gründen einschließen oder auch einmauern
lassen. Das Inklusorium soll an eine Kirche angebaut sein, damit der
Klausner durch ein Fenster auf den Altar schauen und der Messe folgen,
sowie beichten und kommunizieren kann. Das Fenster soll mit einem
Vorhang verhängt sein, sodass man den Klausner von draußen nicht sehen
kann. Auf der entgegengesetzten Seite soll ein zweites Fenster sein, durch
das der Inkluse Licht und Luft empfängt. Durch dieses Fenster kann er aber
auch mit seinen Schülern Kontakt halten. Durch das Fenster empfängt er
von ihnen seine Nahrung, belehrt sie und reicht ihnen die Werkstücke, die er
hergestellt hat, zum Verkauf. In der Frühzeit waren die Inklusorien
ungeheizt. Ab dem 13. und 14. Jahrhundert wurden die Vorschriften
allmählich abgemildert: Inklusorien durften geheizt werden.
In der Frühzeit erbaute meist ein Kloster das Inklusorium. Später waren es
auch wohlhabende Familien, aber auch Kleriker, die eine Klause stifteten
oder zumindest mitfinanzierten, unter Umständen auch für eigene
Familienmitglieder. Viele Klausen wurden nach dem Tod eines Klausners
neu belegt. Die Klause war dann aber in der Regel Eigentum des Klosters
oder der entsprechenden Pfarrkirche. Die Ausstattung eines Inklusoriums
war entsprechend dem Ideal der Askese karg und primitiv.
Quelle: Inklusorium
Kateri starb als gequälte und ausgehungerte Jungfrau. Sie galt als Märtyrerin
der jesuitischen Indianerpolitik. Ihre Hingabe an die christlichen Ideale,
insbesondere an das Zölibat, aber erzürnte die Irokesen. Anders als die
heilige Jungfrau Maria, war Kateri Tekakwitha eine reale Frau, die durch
Jahrhunderte der Theologie, durch ihre eigene Interpretation der christlichen
Lehre, durch ihre Identifikation mit Katharina von Siena und durch die
Beeinflussung ihrer spirituellen Berater, geprägt war. Diese Priester hatten
es zwar gut gemeint, aber sie waren letztendlich damit einverstanden, Kateri
als ein gelegenes Symbol der Keuschheit zu sehen, dessen Fehlen sie bei
den anderen Irokesen so bedauerten.
1880 wurde für Katerí Tekakwitha ein Monument aus Marmor in Form
eines Sarkophags errichtet. Sein Sockel trägt in der Sprache der Mohawks
die Inschrift: „Katerí Tekakwitha. April 17, 1680. Onkwe Onwe-ke
Katsitsiio Teiotsitsianekaron“ („Kateri Tekakwitha, die schönste Blume, die
unter den Indianern geblüht hat“.) Die Gebeine von Katerí Tekakwitha
werden heute in der Kirche der Mohawk-Reservation in Caughnawaga in
einer kostbaren Truhe mit einem Glasdeckel aufbewahrt. Sie sind das Ziel
zahlreicher Gläubiger. Der aus Österreich stammende Jesuit Franz Xaver
Weiser (gest. 1986), der seit 1938 in den USA lebte, schilderte das Leben
und Werk von Kateri Tekakwitha in dem Buch „Das Mädchen der
Mohawks“, das in englischer und 1987 auch in deutscher Sprache erschien.
Der Sufismus und das Zölibat Top
Da ich mich gerade mit dem Verhältnis des Sufismus mit dem Zölibat
beschäftigt habe, möchte ich dieses Kapitel an dieser Stelle einfügen. Im
Islam gibt es die Bewegung der Sufis, den Sufismus, wobei betont wird,
dass die Sufis eigentlich unabhängig von einer Religionszugehörigkeit sind
und diese Bewegung schon weitaus älter ist als der geschichtliche Islam. Die
Sufis selber betonen jedoch, dass sich der Sufismus zu seiner vollen Blüte
erst ab dem Auftreten des Propheten Mohammed entwickelt hat (Die
früheren Sufis hätten dies bestimmt anders gesehen.). Die ersten Sufis sollen
aus dem Jemen kommen, wo sie in der Wüste gelebt haben sollen. Die
meisten Sufis bewegen sich aber innerhalb des orthodoxen Islams von
Sunna und Schia und sind somit entweder Sunniten oder Schiiten.
Die Anhänger des Sufismus sehen ihre Lehre nicht als ein spirituelles
Produkt der islamischen Religion, sondern er offenbart lediglich die
mystische Wahrheit des Islam. Die sufische Lehre als solche zieht sich
durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Aus der Sicht vieler Sufis, ist der
Sufismus zu jeder Zeit und in jeder Kultur in verschiedenen Aspekten
allgegenwärtig. Anhand dessen, was über Lebensweise, Doktrin und Ritus
der Bewegung bekannt ist, lässt sich eine bemerkenswerte Ähnlichkeit des
Sufismus mit älteren nichtislamischen asketischen, mystischen
Bewegungen, wie z. B. dem Nestorianismus, Gnostizismus,
Neoplatonismus, Manichäismus und dem Buddhismus, feststellen. Diese
Traditionen existierten bereits lange bevor die ersten sufistischen Gruppen
in den islamisch geprägten Gebieten erschienen. Der Überlieferung zufolge
standen die traditionellen Muslime dem Auftauchen der Sufis zunächst
feindlich gegenüber. Ihre Anerkennung, die erst im 11. und 12. Jahrhundert
erfolgte, verdankten sie den Bemühungen und Schriften bedeutender
Mitglieder der sunnitischen Gelehrtenschicht, wie z. B. Al Ghazali.
Der Sufismus ist also kein Produkt des Islam, sondern er hat seine Wurzeln
in älteren asketischen Traditionen spiritueller (mystischer) Gruppen. Dann
aber wurde der Sufismus gewissermaßen vom Islam aufgesogen. Damit
verlor der Sufismus langsam aber sicher seine zölibatäre Ausrichtung. Der
Sufismus folgt vier Stufen, die auf die Prägung aus dem indischen Raum
verweisen. Bis heute ist jedoch offen, wie und in welche Richtung diese
Beeinflussung historisch verlief:
1. Auslöschen der sinnlichen Wahrnehmung.
2. Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften.
3. Sterben des Ego.
4. Auflösung in das göttliche Prinzip.
Das oberste Ziel der Sufis ist, Gott so nahe zu kommen wie möglich und
dabei die eigenen Wünsche zurückzulassen, wobei der Suchende danach
strebt, die Wahrheit schon in diesem Leben zu erfahren und nicht erst auf
das Jenseits zu warten. Dies spiegelt sich klar in dem Prinzip "zu sterben
bevor man stirbt" wieder. (Wiedergeburt im jetzigen Leben.) Hierzu
versuchen die Sufis, die Triebe der niederen Seele bzw. des tyrannischen
Ego so zu bekämpfen, dass sie in positive Eigenschaften umgeformt werden.
Auf diese Weise kann man einzelne Stationen durchlaufen, deren höchste
die reine Seele ist. Diese letzte Stufe bleibt jedoch ausschließlich den
Propheten und den vollkommensten Heiligen vorbehalten.
Wie bereits angedeutet wurde, war die Askese eines der zentralen Mittel,
von dem sich die Sufis einen Einblick in das Wesen Gottes erhofften, da
diese Lebensweise sie automatisch von allen weltlichen Belangen und
Problemen loslöste und sie sich somit ganzzeitlich dem Gottesgedenken
widmen konnten.
Eine der Askese ganz ähnliche Funktion hat auch das Zölibat in der
sufistischen Lehre: Obwohl der Prophet Mohammed ursprünglich seine
Anhänger immer dazu angehalten hatte, "Familien zu gründen", herrschte
unter den frühen Asketen eine Vorliebe für das zölibate Leben: Ebenso wie
im weltlichen Wissen und im irdischen Luxus erblickten die Sufis im
Familienleben eine Gefahr, die sie von Gott entfremden könne, da einem
verheirateten Menschen immer ein guter Teil seiner Zeit, nämlich der, den
er mit der Versorgung seiner Familie zubringen muß, an der totalen
Gottergebenheit fehlt und er sich somit nicht absolut der Gläubigkeit
hingeben kann. Außerdem stand das Heiraten und Gründen von Familien
immer in dem Ruf, eine Art "legalisierte Sünde" zu sein; das Familienleben
war so eines der "größten Hindernisse auf dem mystischen Pfad".
Zölibates Leben ist ein Ausdruck der Gläubigkeit, den sowohl männliche als
auch weibliche Sufisten praktizieren konnten; anders sah es jedoch mit der
im Islam, und damit auch im Sufismus, weit verbreiteten Abscheu gegen
alles Weibliche aus, eine Tatsache, die sicher nicht in direktem
Zusammenhang mit der tiefen Religiosität zu sehen ist sondern
wahrscheinlich einen mehr sozial-ideologischen Hintergrund hatte und noch
immer hat: Beispielsweise berichten viele Überlieferungen, wie schrecklich
das Eheleben, oft bedingt durch die reine Anwesenheit der Frau, doch sei
und wie "frech, unerzogen, redselig" und damit unnütz die Frau sei.
Der Islam ist dem Zölibat gegenüber abweisend eingestellt. Er betont die
gottgegebene Güte der Zeugung. Der Sufismus hat aber, vor allen Dingen in
seinen Anfängen, die starke Kontrolle von Körper und Geist durch
asketische Praktiken, einschließlich des Zölibats, betont. Die frühen
Sufiführer betrachteten die Lust als eines der sieben Tore zur Hölle und sie
gingen so weit zu sagen, dass der Sufismus auf dem Zölibat errichtet wurde.
Dennoch stellten wir fest, dass, in der weltbejahenden Sicht der Sufis immer
ein Zug der Mäßigung, des Zögerns, der Vorsicht vorhanden war, ein
Erkennen der potenziellen Gefahren und Fallstricke der Welt. Und sie
bewahrten sich die unerschütterliche Überzeugung, dass Gott oder Allah
immer über die Interessen der Welt gestellt werden muss. Obwohl die frühe
Bekanntschaft mit dem Christentum den Sufismus stark beeinflusste, wie
auch später die Bekanntschaft mit dem Buddhismus in den persischen
Städten, vermochte es keine monastische Tradition, die leidenschaftlichen
heiligen Männer des Islam zu fesseln. Sie waren entschlossen, einen Weg zu
Gott in der Welt zu finden, und ihren eigenen Weg, „nicht von ihr” zu sein.
*Der Begriff Sufismus ist der Name einer alten Lehre, die sich in der
heutigen Zeit hauptsächlich durch den Islam manifestiert. Das Wort
Sufismus kam in einer Zeit auf, in der diese Lehre mit dieser Weltreligion
verbunden war, die essentielle Lehre des Sufismus kann aber durch alle
Religionen und Weltanschauungen über viele Jahrtausende zurückverfolgt
werden.
Eine andere Erklärung bietet auch der Begriff "ahl as-suffa", was „Leute der
Veranda“ bedeutet. Dies bezieht sich auf die Gruppe von Personen, die sich
zu Lebzeiten Mohammeds um den Propheten scharten und wahrscheinlich
in Armut lebten. Es wird außerdem behauptet, dass das Wort Sufismus auf
die Leute der ersten (Gebets-)Reihe (saff-i awwal) hindeuten kann.
Ergänzend zur Wortherkunft sei erwähnt, dass der Begriff Sufismus nicht
von Anhängern dieser Lehre eingeführt wurde. Vielmehr wurde er von
Personen außerhalb dieser mystischen Strömung geprägt. Ein Sufi
bezeichnete sich selbst in der Regel nicht als solcher, vielmehr verwendet er
Bezeichnungen wie „Suchender“, „Schüler“, „Reisender“, etc.
Quelle:
Sufismus 1
Sufismus 2
Sufismus 3
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