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das principium contradictionis immer aktuell wahr: Ein wahrer Satz kann
nicht in gleicher Hinsicht wahr und falsch sein. Der Ausdruck »in gleicher
Hinsicht« fordert eine kategoriale Mindestreflexion über die Episteme,
welche die Semantik in ihren lebensweltlichen und metaphorischen
Verzweigungen historisch-empirisch strukturiert.
Die Frage nach einer selbst rein formalen Charakterisierung des
Verhältnisses von Wahrheitsprinzip und principium contradictionis
lautet: Handelt es sich um eine Konjunktion, um eine nicht-auschließende
oder auschließende Disjunktion, oder wäre eine materiale oder formale
Implikation ebenso angebracht, schließlich: Ergibt dieses die Grenze von
Metasprache und Objektsprache überwindende, aber nicht hinfällig
machende Gedankenexperiment, Objektsprache (Aussage, Kant: reales
Prädikat) und Metasprache (Wahrheitsbegriff, Kant: logisches Prädikat) in
einer sprachlichen Ebene aufeinander zu beziehen, eine Relation, die gar
als Bikonditional zu denken ist?
Ich behaupte, ohne hier auch alle Gründe anzuführen, daß hier nur eine
der Fragen ohne weitere Interpretationen beantwortet werden kann: Der
Wahrheitsbegriff und das principium contradictionis kann nicht
zusammen als Bikonditional gedacht werden. Der Wahrheitsbegriff, der
wegen seiner Abstraktheit notorisch in Verwechslung mit der
Regelgerechtheit der formalen Logik zu geraten droht, erzeugt in seiner
Verwechselbarkeit eine Tautologie. Das Bikonditional würde eben diese
wechselseitige Substituierbarkeit allgemein ausdrücken, welche die
Tautologie erst garantiert (Paralogismus der reinen Modallogik).
Aus nämlichen Gründen wäre die formale Implikation als Kandidat dieser
nur als Gedankenexperiment durchführbaren Operation abermaliger
logischer Formalisierung der Verhältnisse oberster Axiome einer
abstrakten Theorie von Logik und Semantik (»Wahrheitstheorie«)
auszuschließen. Ich interpretiere:
(i) Wenn »Wahrheitsbegriff«, dann »Satz vom Widerspruch»,
(ii) Wenn »Satz vom Widerspruch«, dann »Wahrheitsbegriff«.
Ad (i) Wenn der Satz vom Widerspruch als eine der
Wahrheitsbedingungen bereits aus dem Wahrheitsbegriff externalisiert
worden ist, dann kann allein aus dem Wahrheitsbegriff nicht der Satz vom
Widerspruch neuerlich gefolgert werden, oder der abstrakte
Wahrheitsbegriff ist für eine abstrakte semantische Theorie nicht
unbestimmt genug.
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Sätze, die in allen möglichen semantischen Welten wahr sind, teilt. Diese
allein stellen keine Welt dar und müssen erst vom (göttlichen) Verstand
interpretiert werden. Die Interpretation des göttlichen Verstandes ist
allerdings keine theologische Auslegung, vielmehr ein unmittelbares
Wissen um die Systematik der obersten Wahrheiten und deren
Konsequenzen; also gleichfalls ein Evidenzproblem »absoluter« logischer
und mathematischer Wahrheiten. Das Gedankenexperiment der
Einsetzung des Wahrheitsbegriffs und des Satzes vom Widerspruch in die
unbestimmt-abstrakte Relation der Aussagenlogik hätte zuvor zwischen
den verschiedenen möglichen semantische Welten eine Wahl treffen, oder
eine Regel der Synthesis der möglichen semantischen Welten (wie
Leibniz) angeben müssen, um selbst wahrheitsfähig zu sein.