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Die Erbauung der Pyramiden von Giseh

Den Anlass zur Erbauung der beiden großen Pyramiden bildete ein Traum, den der König
Saurid dreihundert Jahre vor der Sintflut hatte. Er träumte, die Erde kehrte sich mit ihren Be-
wohnern von unten nach oben, die Menschen flöhen blindlings, die Sterne stürzten einer nach
dem anderen herab und prallten unter schauerlichem Getöse wider einander. Der Traum
bedrückte ihn sehr, obwohl er ihn keinem erzählte; denn er erkannte, dass sich in der Welt
etwas Entsetzliches ereignen werde. Einige Tage später hatte er wieder einen Traum. Dieses
Mal war es, als ob sich die Fixsterne in Gestalt weißer Vögel auf die Erde niedersenkten, die
Menschen davontrügen und zwischen zwei große Berge würfen, die sie dann zudeckten, und
als ob die leuchtenden Sterne finster und dunkel wären. Voller Angst und Schrecken wachte er
auf. Er ging in den Sonnentempel. Dort warf er sich demütig nieder, wälzte seine Wangen im
Staub und weinte. Am nächsten Morgen rief er die Oberwahrsager — es waren
einhundertdreißig an der Zahl - aus allen Gauen Ägyptens zusammen, und als er mit ihnen
allein war, erzählte er ihnen beide Träume. Diese deuteten sie in der Weise, dass sich in der
Welt etwas Entsetzliches ereignen werde.
Am Schluss erklärte der höchste der Wahrsager namens Filamun: »Die Würde der Könige
schließt aus, dass ihre Träume sinnlos sind. Ich will meinerseits dem König einen Traum
erzählen, den ich vor Jahresfrist geträumt, aber keinem erzählt habe. Mir war, als säße ich mit
dem König auf dem Turm in Amsus. Das Himmelsgewölbe senkte sich hernieder und schwebte
am Ende als eine uns umschließende Kuppel dicht über unseren Häuptern. Der König reckte
beide Hände gegen den Himmel, und die Sterne fielen in mancherlei und verschiedenförmigen
Gestalten zwischen uns. Das Volk floh zum Schlosse des Königs, um seine Hilfe zu erbitten.
Der König hielt seine Hände empor, um zu verhindern, dass das Himmelsgewölbe seinen Kopf
berühre, und er befahl mir, das gleiche zu tun. Namenlose Furcht hatte uns ergriffen. Auf
einmal sahen wir, wie der Himmel sich an einer Stelle öffnete. Strahlendes Licht drang aus ihm
hervor, und, aus ihm heraustretend, ging die Sonne über uns auf. Als wir sie um Hilfe baten,
sagte sie uns, das Himmelsgewölbe werde an seinen früheren Platz zurückkehren. Dann
erwachte ich angsterfüllt. Nachdem ich wieder eingeschlafen war, träumte ich, Amsus würde
samt seinen Bewohnern von unten nach oben gekehrt. Die Götterbilder stürzten auf den Kopf.
Vom Himmel stiegen menschliche Wesen hernieder, in den Händen eiserne Keulen, mit denen
sie auf die Menschen einschlugen. Ich fragte sie: >Warum behandelt ihr die Menschen in
dieser Weise?< Sie antworteten: >Weil sie nicht an ihren Gott glauben.< Ich fragte weiter:
>Gibt es denn keine
Rettung mehr für sie?< und sie sprachen: >Ja, freilich .Wer gerettet werden will, der soll sich
dem Herrn der Arche anschließen^ Dann erwachte ich wieder angsterfüllt.«
Danach befahl der König: »Messet die Höhe der Gestirne und schauet, ob sich etwas ereignen
wird.« Nachdem sie sich bis zum Äußersten bemüht hatten, die Dinge zu erforschen,
berichteten sie, es werde eine Sintflut kommen und nach ihr ein Feuer, das aus dem Sternbild
des Löwen hervorbrechen und die Welt verzehren werde. Da befahl der König: »Schauet, ob
dieses Unheil auch unser Land heimsuchen wird.« - »Ja«, gaben sie zur Antwort, »die Sintflut
wird den größten Teil unseres Landes bedecken, und eine Verwüstung wird es treffen, die viele
Jahre dauern wird.« Weiter befahl er: »So schauet, ob es eines Tages seine Blüte
wiedererlangen wird oder ob es auf ewig von der Flut bedeckt bleibt.« Sie erwiderten: »Nein,
das Land wird wieder werden wie einst und zu neuer Blüte erstehen.« Auf die Frage »Was
dann?« fuhren sie fort: »Ein König wird das Land überfallen, der die Einwohner töten und ihre
Habe rauben wird.« Auf die erneute Frage »Was dann?« erklärten sie: »Vom Oberlauf des
Niles her wird ein häßliches Volk das Land überfallen und den größten Teil einnehmen.« Noch
einmal fragte er:
»Was dann?« und sie schlössen mit der Kunde: »Der Nil wird nicht mehr durch das Land
fließen, und es wird menschenleer werden.«
Da befahl der König, die Pyramiden zu erbauen und Kanäle bei ihnen zu ziehen, durch die
der Nil selber bis zu einem bestimmten Ort gelangen und dann in gewisse Gegenden des
Westens und Oberägyptens fließen sollte. Die Pyramiden füllte er mit Talismanen,
Wunderwerken, Schätzen, Götterbildern und mit den Mumien der ägyptischen Könige, und
nachdem er die Wahrsager damit beauftragt hatte, verzeichneten sie auf den Wänden alles,
was die Weisen gesprochen hatten . . .
Für jede Pyramide bestellte er einen besonderen Schatzhüter. Der Hüter der westlichen
Pyramide war ein Bildwerk aus buntem Granit. Es stand aufrecht und hatte eine Art Speer. Um
sein Haupt war eine Schlange gelegt. Sobald sich ihm jemand näherte, stürzte sie sich auf ihn,
wand sich um seinen Hals, und nachdem
sie ihn gerötet hatte, kehrte sie auf ihren Platz zurück. Zum Hüter der östlichen Pyramide
bestellte er ein Bildwerk aus schwarzem Onyx mit schwarzen und weißen Streifen. Es hatte
weitgeöffnete, blitzende Augen, saß auf einem Thron und war mit einem Speer bewaffnet.
Wenn es einer anschaute, vernahm er von ihm her eine Stimme, die ihn derart erschauern ließ,
dass er auf sein Angesicht fiel und liegenblieb, bis er starb. Zum Hüter der bunten Pyramide
bestellte er ein Bildwerk aus Adlerstein auf einem ebensolchen Sockel. Wer es anschaute, den
zog es an sich, bis er daran haftete, und dann kam er nicht mehr davon los, bis er starb.
Nachdem er hiermit fertig war, machte er die Pyramiden durch Geister unzugänglich. Diesen
brachte er Opfer dar, damit sie jeden von sich fernhielten, der zu ihnen wollte, mit Ausnahme
von denen, die die für den Zugang erforderlichen heiligen Gebräuche übten.

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