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„Homosexualität und Kirche“, in der FEG, Gartenstraße 28, Duisburg-Homberg, am 10.02.1996 von
Vortragsreihe über das Thema „Christ und homosexuell: Biblische Grundlagen und
Inhaltsverzeichnis
1. Definition / Begriffserklärung 1
2. Exegese 2
• Schlußfolgerung 10
Seite 1
1. Die kausalen Faktoren der Homosexualität 12
• Einleitende Gedanken 12
• Schlußfolgerung 19f.
• Einleitende Gedanken 20
3. Anti-Selbstmitleidstherapie 24
• Abschließende Gedanken 31
IV. Anhang 33
1. Definition / Begriffserklärung
Seite 2
Das griechische Wort homo(ios) und das lateinische sex(us) liegen dem Begriff Homosexualität
zugrunde, der eine Neubildung des 19. Jahrhunderts zur Bezeichnung eines abnormen, auf
Menschen gleichen (homo-) Geschlechts (sexus) gerichteten Sexualempfindens ist. Geprägt wurde
der Begriff "Homosexualität" im Jahre 1869 vom österreichischen Schriftsteller Kertbeny (Benkert),
der selbst homosexuell aufgelegt war. 1 Im nichtwissenschaftlichen, populären Sinn gilt Homosexualität
ausschließlich für die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern, während lesbische Liebe auf
Martin Dannecker, Leiter der Abteilung für Sexualwissenschaften im Klinikum der Universität
Frankfurt, der selbst homosexuell empfindet, hat in einem Gespräch mit Helmuth Zenz und Gabriele
Manok die Frage nach der Definition der Homosexualität wie folgt beantwortet: Homosexuell sind
"Leute, die selber von sich sagen, sie seien homosexuell oder bisexuell. Man kann nur über die
Homosexuellen sprechen, bei denen es ein Stück weit Selbstidentifizierung als Homosexuelle gibt.
Zwar kann auch jemand homosexuell sein, der vorbewußt oder unbewußt erotische oder sexuelle
Wünsche nach einem gleichgeschlechtlichen Sexualobjekt hat, diese Wünsche aber bewußt nicht
aushält und deshalb verleugnet. Nur, solche Personen werden von der Wissenschaft nicht erfaßt..."
Dannecker meint, daß, "die, die später ausschließlich homosexuell sind, hatten schon vor der
bestimmten Sexualobjekten ist ja wie ein Zwang, das können wir uns nicht aussuchen". Der
Wissenschaftler verneint aber eine vererbte Homosexualität und führt aus: "Homosexualität ist nach
meiner Auffassung nicht angeboren, sondern eine spezielle Bahnung der sexuellen Ausstattung in der
Lebensgeschichte".2
1
E.H. Haeberle, Die Sexualität des Menschen, Berlin - New York, 1985, S. 242. 490
2
Helmuth Zenz und Gabriele Manok (Hrsg.), Aids-Handbuch für die psychosoziale Praxis, Bern-Stuttgart-
Seite 3
Die Bibel hat keinen eigenen Begriff für die „Homosexualität“. Die alttestamentlichen Texte wie
Levitikus 18,22 und 20,13 umschreiben die homosexuelle Liebe mit dem Satz: et zakar lo tischkab
mischk’be ‘ischschah, d.h. „Nicht sollst du mit einem Menschen männlichen Geschlechts schlafen
wie mit einer Frau“. Die hebräische Kombination „mischkab zakar“ meint den „Beischlaf eines
Mannes mit einem Mann“ (vgl. Numeri 31,17). Die Schreiber des AT befassen sich kaum mit der
Erotik aus wissenschaftlicher Sicht, sie mißbilligen aber jedes Verhalten, das nach ihrem Dafürhalten
die Grenzen der heterosexuellen Liebe überschreitet. Genesis 19,5 umschreibt den homosexuellen
Verkehr euphemistisch mit dem Begriff erkennen: „Bring sie hervor zu uns und wir werden sie
erkennen.“ Es wird in der „Lotserzählung“ berichtet, daß Lots Familie von zwei (himmlischen) Boten
männlichen Geschlechts besucht wurde (19,1-3), denen Lot bereitwillig Gastfreundschaft erwies.
Jedoch waren die Stadtbewohner mit Lots Vorgehen unglücklich, und „Männer der Stadt, Männer von
Sodom,“ umzogen „das Haus, (vom) Knaben gar bis zum Alten,“ und fragten: „Wo sind die Männer,
die zu dir kamen zur Nacht? Bring sie hervor zu uns, und wir werden sie erkennen“ (19,5). Das
Verb „erkennen“ wird, wie wir sehen werden, euphemistisch mit männlichem „Beischlaf“
umschrieben. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich bei Benjaminitern in Gibea vis-a-vis von Jerusalem
(Richter 19,22-24).
Das Neue Testament kennt einzig die paulinische Umschreiben des homosexuellen Verhaltens.
Paulus bezeichnet die homosexuelle Liebe der Frauen wie Männer mit dem Ausdruck „entehrende
Leidenschaften“ (Röm 1,26) und den homosexuellen Verkehr als „widernatürlich“ (1,26f.). Der
homosexuelle Akt wird so dargestellt: „Die Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr
mit dem widernatürlichen,“ und die Männer wurden „von wildem Verlangen zueinander gepackt;
Männer ließen sich in schamlosem Treiben mit anderen Männern ein“ (1,27 nach Genfer).1
1
A.T. Robertson, S. 331; C.K. Barrett, Romans, S. 39; E. Käsemann, S. 47ff; J. Jervell, Imago Dei (Göttingen,
1960), S. 289-314.
W. Hendriksen, Romans, S. 78-80; A.T. Robertson, S. 331; Calvin's NT Commentaries, S. 37; D. Stuart Briscoe,
Romans, S. 48-50; Don Williams, The Bond that Breaks (Ventura, o.J.), S. 116.
Seite 4
Summa summarum: Das homosexuelle Verhalten wird von biblischen Autoren als Beischlaf eines
Mannes mit dem gleichen Geschlecht wie mit einer Frau beschrieben, und Paulus definiert ähnlich
auch die lesbische Liebe: Die Frau vertauscht den natürlichen Geschlechtsverkehr mit einem Mann
auf den „widernatürlichen“ mit einer Frau.1 Die Griechen kannten jedoch mehrere Begriffe für die
„androkoitai“ = Homosexuelle und „paiderastia“ = die Knabenliebe.2 Paulus bedient sich in 1Kor
6,9 des Kompositums aus den Morphemen „arsen“ und „koitai“ = „Männerbeischlaf“. Daß Paulus in
seinem Text „androikoitai“ nicht verwendet, hat wohl damit zu tun, daß „arsenokoitoi“ mehr als alle
andere Begriffe in der griechischen Literatur vorkommt. Die Ausnahme bildet der Begriff
2. Exegese
„Und sie riefen nach Lot und sagte zu ihm: Wo sind die Männer, die diese Nacht zu dir
gekommen Sind? Führe sie zu uns heraus, daß wir sie erkennen“. Es ist sicherlich korrekt, daß der
hebräische Begriff „jadha“ im Kontext von Gen 19,5 nicht als ein Zeitwort „erkennen“, im Sinne von
„kennenlernen“, verwendet wird, er meint expressis verbis den homosexuellen Mißbrauch. Nach
hermeneutischen Gesichtspunkten kann in Gen 19 wie in Ri 19 auch der Verstoß gegen das
hebräische Gastrecht gemeint und implizit verurteilt worden sein, obwohl Lot ja auch das Gastrecht
seiner unmittelbaren Umgebung verletzt haben muß. Nach den Regeln des Gastrechts mußten im
Altertum Fremde vor dem Stadttor ihre Namen, die Zahl der Begleiter sowie die Zahl der Tiere
nennen, damit entschieden werden konnte, ob von den Einreisenden Gefahr wie Überfall oder
Versklavung drohte. Lot scheint diese Regeln ignoriert und die zwei Männer, in Mißachtung des
1
William Barclay, The Letter to the Romans (Edinburgh, o.J.), S. 23f
2
vgl. John Boswell, Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality, Chicago - London, 1980, S. 172
Seite 5
Gastrechts, in sein Haus aufgenommen zu haben.1 Josephus lobt jedoch die Gastfreundschaft Lots
und schreibt, er habe „von Abraham gelernt, was Gastfreundschaft heißt. Die Sodomiter jedoch
verfolgten lüstern die gut aussehenden Männer“.2 Josephus und Philo bezeichneten die „Sünde von
Sodom“ als „unmoralische, unnatürliche Sinnlichkeit“.3 Sexuelle Ausschweifungen - welcher Art auch
immer - werden in der Bibel nicht selten mit Sodom in Zusammenhang gebracht (vgl. Hes 16,46-58;
Amos 4,11; Zeph 2,9). Hesekiel 16,50 meint jedoch, daß das Verhalten der Sodomiten von ihrer
Hochmut abzuleiten ist, und schreibt: „vielmehr wurden sie hochmütig und verübten Greuel vor mir.
Da verstieß ich sie, wie du gesehen hast“ (vgl. Vers 49).4 Der Begriff „Greuel“ enthält in sich u.a. auch
sexuelles Vergehen. Richter 19,22 berichtet von Männern „aus der Stadt, böses Gesindel, „ das „das
Haus“ umringte und verlangte vom Gastgeber: „Bring den Mann heraus, der bei dir ist; wir wollen ihn
erkennen“. Das hebräische Verb neda’enu ist Futurum von jadha und zeigt, daß die Gibeaniter als
„Söhne der Nichtswürdigen oder Heillosen“ (bne’ belija’al) keine harmlosen Absichten hatten. Denn
das Verb jadha erscheint nämlich zur Schilderung des kollektiven Vergewaltigungsaktes wiederum in
Richter 19,25: „Sie erkannten (jedhu) sie und trieben ihren Mutwillen mit ihr die ganze Nacht hindurch
bis an den Morgen. Und sie ließen sie gehen, als die Morgenröte aufging“ (Ri 19,25f.). Der
Zusammenhang des Textes zeigt uns in aller Deutlichkeit, die Männer von Gibea beabsichtigten, den
Der hebräische Text von Lev 18,22 und 20,13 ist allerdings komplex. Der Text von Lev 18,22
lautet: et zakar lo tischkab mischk'be 'ischschah. Die Theologen Carl-Friedrich Keil und Franz
1
vgl. A.F. Ide, The City of Sodom and Homosexuality in Western Religious Thought to 630 C.E., Dallas, 1985,
S. 39
2
Josephus, Die Patriarchen, A I, 200
3
D.S. Bailey, Homosexuality and the Western Christian Tradition, London, 1955, S. 156f.
4
vgl. D. Atkinson, Homosexuals in the Christian Fellowship, Grand Rapids, 1979, S. 80-82
5
J. Dus, „Gibeon - eine Kultstätte des schmsch und die Stadt des benjaminitischen Schicksals“ in: Vetus
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Delitzsch übersetzen den Passus mit dem Hinweis: „Es war verboten, mit dem männlichen Ge-
schlecht zu liegen wie mit dem weiblichen“, und sie folgern: "... d.h. das Verbrechen der Päderastie,
jenes von Sodom (Gen 19,5), zu begehen".1 Es ist nicht ausgeschlossen, daß die beiden Theologen
mit dem Begriff der Homosexualität noch nicht vertraut waren, als sie (im 19. Jh.) ihren Kommentar
erarbeiteten; hermeneutisch wäre ihre Wiedergabe jedenfalls möglich. Wir müssen aber das
hebräische zakar doch unter die Lupe nehmen, um herauszufinden, ob der Begriff mit Knabenliebe in
Beziehung gebracht werden kann. Ludwig Köhler gibt das Wort mit "Mensch männlichen Geschlechts"
wieder.2 Denselben Beiklang enthält der Begriff in Genesis 17,10.12.23. In diesen Versen geht es
zweifellos um Angehörige des männlichen Geschlechts jeden Alters. Abraham sollte nach Gen 17,23
"alles Männliche" beschneiden; da noch niemand in seiner Sippe beschnitten war, nahm er "seinen
Sohn Ismael und alle ... Sklaven, alles Männliche im Hause Abrahams, und beschnitt noch am
gleichen Tage das Fleisch ihrer Vorhaut, wie Gott ihm befohlen hatte". Wie auch andere Bibelstellen
bezeugen, in denen zakar erscheint,3 meint der hebräische Begriff keinesfalls nur Knaben, sondern
In diesem Zusammenhang interessiert uns auch das hebräische Verb schkb, das mit
"beiwohnen" oder "schlafen" übersetzt wird. Laut Ludwig Köhler bezeichnet schakab "sich hinlegen
zum Schlaf". Er meint aber, in Levitikus 18 gehe es nicht um das natürliche Schlafen allein, sondern
im Verb seien perverse sexuelle Absichten impliziert.5 Derweil bezeichnet schakab durchaus auch
das friedliche Sterben von Menschen; die Rede des Propheten Nathan zu König David ist ein
plausibles Beispiel: "Wenn dann deine Tage voll sein werden und du dich zur Ruhe legst bei deinen
1
C.F. Keil und F. Delitzsch, Commentary on the Old Testament in Ten Volumes. The Pentateuch (Grand
2
Ludwig Köhler, Lexicon in Veteris Testamenti Libros (Leiden, 1958), S. 257.
3
Genesis, 34,15.22.24f; Exodus 12,48; Leviticus 6,11.22; 7,6; Numeri 1,2.20.22.
4
Jenni/Westermann, Bd. 1, Sp. 132: "Speziell zur Bezeichnung des Geschlechts" findet sich zakar 'männlich,
Mann': 82 Mal, davon je 18mal in Leviticus und Numeri, 14mal in Genesis und in Esra 8mal. Vgl. ebenda, Bd. 2, Sp.
557.
5
L. Köhler, S. 968; er zählt als Parallelen Lev 20,13; Ex 22,18; Dtn 27,21 auf: ebenda, S. 968.
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Vätern..." (2Sam 7,12). Kontext und Aussage des Verses verleihen dem Verb die Bedeutung des
Sterbens bzw. des Bestattet-Werdens.1 Nichtsdestoweniger wird das Verb schakab auch für den
Geschlechtsverkehr verwendet, so z.B. in Gen 19,32f: Die ältere Tochter Lots "legte sich zu ihrem
Vater. Dieser merkte es nicht, wie sie sich hinlegte, noch, wie sie aufstand" (Gen 19,33). Der
euphemistische Gebrauch des Begriffs schakab zielt nicht auf eine Verheimlichung des Tatbestandes
des Inzests, wird das Ergebnis des Beischlafs der beiden Töchter mit Lot doch explizite erwähnt: "So
empfingen beide Töchter Lots von ihrem Vater" (Gen 19,36). Der Inzest wird hier vom Autor weder
gutgeheißen noch getadelt, sondern als Resultat einer Grenzsituation präsentiert.2 Das
Heiligkeitsgesetz seinerseits läßt uns kaum daran zweifeln, daß Levitikus 18,22 schakab als
Euphemismus für sexuellen Verkehr verwendet, und zwar unter Männern. Der Autor gibt uns durch
den erklärenden Vergleich einen Hinweis, wie der Koitus unter Repräsentanten des männlichen
Geschlechts zu verstehen ist, nämlich: mischk'be' ischscha, "Beischlaf (wie) mit einer Frau".3 Laut
Benjamin Davidson ist mischk'be' ein Femininsubstantiv,4 das den Geschlechtsverkehr meint. Die
Kombination mischkab zakar begegnet uns in Numeri 31,17 und wird gelesen: "Beischlaf mit einem
Mann".5 Der Passus gibt den Befehl wieder: "Tötet sofort alle männlichen Kinder, ebenso tötet jedes
Weib, das bereits mit einem Mann geschlechtlich verkehrt hat." Auch hier hat das Wort mischkab
1
Jenni/Westermann, Bd. 1, Sp. 11; diese Quelle zitiert entsprechende Artikel von C.F. Whitley in Vetus
Testamentum 2 (1952): 148f; B. Alfrink in Oudtestamentische Studien 2 (1943): 106-108, und 5 (1948): 118-131;
vgl. O. Eißfeldt, "Israelitisch-jüdische Religionsgeschichte und alttestamentliche Theologie", ZAW 44 (1926): 1-12;
Ders., "Werden, Wesen und Wert geschichtlicher Betrachtung der israelitisch-jüdisch-christlichen Religion",
2
L. Köhler, S. 986; vgl. Jenni/Westermann, Bd. 2, Sp. 637, 680; Gerhard v. Rad, Genesis (Philadelphia, 1973),
S. 223-225.
3
L. Köhler, S. 575; vgl. Jenni/Westermann, Bd. 1, Sp. 691.
4
Benjamin Davidson, The Analytical Hebrew and Chaldee Lexicon (Lynn, 1981), S. 521.
5
L. Köhler, S. 575; vgl. S. 257; Jenni/Westermann, Bd. 1, Sp. 691.
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Entsprechend können wir Levitikus 18,22 wie folgt wiedergeben: "Keine sexuelle Verbindung mit
einem Menschen männlichen Geschlechts, als wäre er eine Frau, sollst du eingehen." Diese etwas
umschreibende Wiedergabe stimmt inhaltlich mit dem Urtext überein. Laut Davidson kann lo
tischkab ein Verb in der 2. wie auch in der 3. Person sein.1 Somit kann lo als ein Adverb gesehen
werden, das eine Verneinung ausdrückt. "Nicht sollst du mit einem Menschen männlichen
Geschlechts schlafen wie mit einer Frau."2 Das Futurum des Verbs "schlafen, sich hinlegen" bildet mit
dem Adverb "nicht" einen Imperativsatz: "Nicht sollst du" oder "du darfst nicht". Hiermit wird der
homosexuelle Verkehr unter Männern strikt untersagt. Daß die Israeliten im Singular mit "du"
angesprochen werden, ist durchaus keine Ausnahme; Elmer Martens kommentiert mit Recht: Die
unterhalten wie mit einer Frau, haben beide Schändliches (bzw. Greuel) begangen. Mit dem
Hier ist zu berücksichtigen, meint Samuel Rolles Driver, daß die homosexuelle Praxis als Folge
der kanaanäischen Rechtslage im Umfeld der Israeliten grassierte. Diese Legislation von Lev 20,13
hatte u.a. vorbeugende Funktion, um Gottes Volk vor der Befleckung mit der Verderbtheit der Heiden
zu schützen.5
1
B. Davidson, S. 779.
2
Vgl. L. Köhler, S. 466f.
3
Elmer Martens, God's Design. A Focus on Old Testament Theology (Grand Rapids, 1981), S. 66f. Ebenso
beachtenswert ist das Werk von H.W. Robinson, Corporate Personality in Ancient Israel (Philadelphia, 1964).
4
Vgl. C.F. Keil und F. Delitzsch, The Pentateuch, Bd. 2, S. 482; N.H. Snaith, Leviticus and Numbers (London,
1967), S. 125; dagegen D.S. Bailey, Homosexuality and the Western Christian Tradition (London, 1955), S. 30.
Seite 9
Karl Barth unterbreitet seine grundlegende Wertung der homosexuellen Liebe, sie sei im Licht der
Schöpfungslehre eine Perversion, weil sie versuche, das Individuum souverän zu machen, d.h. den
Menschen in eine Unabhängigkeit von Gott setze, indem sie sich der gottgegebenen sexuellen
Orientation widersetzen und somit gegen die "Ein-Fleisch-Ehe" bzw. die Heterosexualität verstoße.1
Im Rahmen des in diesem Unterkapitel untersuchten "Lasterkataloges" aus 1.Kor 6 müssen wir
uns noch zwei Begriffen zuwenden, die von besonderer Bedeutung sein dürften: malakoi und
arsenokoitoi. Beide sind noch ungenügend erforscht, und ihre Übersetzung bleibt vorläufig umstrit-
ten.
Archibald T. Robertson gibt malakos als männliche Person wieder, die durch hochgradig
entgegengesetzte sexuelle Empfindung charakterisiert wird; laut ihm ist der malakos ein effeminierter
5
S.R. Driver, Deuteronomy (Edinburgh, 1896), S. 264; R.E. Clements, "Leviticus" in The Broadman Biblical
1
Karl Barth, Church Dogmatics, III/4, S. 166; vgl. R.E. Clements, a.a.O., S. 54; Martin Noth, Leviticus
(Philadelphia, 1965), S. 134-136; Armor D. Peisker, The Wesleyan Bible Commentary: Leviticus (Grand Rapids,
o.J.), S. 343.
2
A.T. Robertson, Word Pictures in the New Testament, Bd. 4, S. 119; vgl. C.K. Barrett, A Commentary on the
First Epistle to the Corinthians, der (S. 140) ebenfalls sagt, beide Begriffe implizierten passive und aktive
männliche Homosexualität.
Seite 10
Die griechischen Philosophen verwendeten diesen Begriff eher sparsam. Aristoteles verwendet
malakos für den "Unbeherrschten", der "jeweils dem Genuß des Augenblicks" nachjagt.1 Epiktet (50-
138) dagegen beschreibt damit Personen, die zu "einfältig" wären, philosophische Aussagen zu
betrachten und aufzunehmen.2 John Boswell hat durch die Untersuchung der patristischen Literatur
entdeckt, daß die Kirchväter den Begriff malakos im Sinne von "flüssig; feige; mit schwachem Willen;
Dionysius von Halicarnassus (1. Jh. v.Chr.) charakterisiert den Aristodemus von Cumae so:
„(Er war) ein Mann von nicht unbekannter Herkunft, der von den Bürgern Malakus oder
"Effeminierter" genannt wurde - ein Spottname, der mit der Zeit besser bekannt war als sein
eigener Name; entweder weil er als Knabe weibisch war und sich wie eine Frau traktieren
ließ, wie einige berichten, oder weil er von mildem Wesen und nicht leicht zum Zorn zu reizen
Dio Chrysostomus (1./2. Jh.) kennt den Terminus auch und verwendet ihn etwa in einer Rede so:
"Wenn du dich mit Bildung befaßt, wird man dich einfältig und effeminiert (euethes kai malakos)
nennen..."5 Vettius Valens assoziiert malakos mit allgemeiner Zügellosigkeit,6 während bei Diogenes
1
Aristoteles Nikomachische Ethik (Übers. F. Dirlmeier; Stuttgart, 1983), S. 182f.
2
Epicteti dissertationes ab Arriani digestae (Hrsg. H. Schenkl; Leipzig, 1916/Stuttgart, 1965) 3.9; deutsch:
3
J. Boswell, S. 106; vgl. Vettius Valens Anthologiarum Libri (Hrsg. G. Kroll; Dublin-Zürich, 1973), S. 121.
4
aner ou ton epitychoton heneka genous, hos epekaleito Malakos hypo ton aston kai syn chrono
gnorimoteran tou onomatos esche ten epiklesin, eith'hoti thelydrias egeneto pais on kai ta gynaixin harmottonta
epaschen, hos historousi tines, eith'hoti praos en physei kai malakos eis orgen, hos heteroi graphousin - in The
5
Dio Chrysostom (Übers. H. Lamar Crosby; Cambridge/Mass.-London, 1951) 5, S. 110, 112.
6
Vettius Valens, S. 113: Ares hypo kronou martyroumenos kai meliou, kategoretheis malakos estai: Zeilen
21f.
Seite 11
Laertius (3. Jh.) die Bedeutung etwas vage bleibt; Otto Apelt übersetzt ihn einmal mit "Wollüstling",
ein andermal mit "Weichling".1 Plautus erwähnt in seiner Komödie vom ruhmreichen Soldaten
dasselbe Adjektiv als Fremdwort unmittelbar nach dem Substantiv cinaedus, das ebenfalls aus dem
Griechischen kommt und dort passiv homosexuelle Männer bezeichnete, und zwar für professionelle
Lukan (Marcus Annaeus Lucanus, 39-65 n.Chr.) beschreibt gewisse Priester bzw. deren Blut und
prangert sie just mit dem Begriff malakos der passiven Homosexualität an.3 Der Begriff ist demnach
im 1. Jh. durchaus hierfür belegt. Adolf Deissmann zitiert aus einem Brief des Domophon an
Ptolemäus (geschrieben um 245 v.Chr.): "Sende uns aber auch Zenobios den Weichling (malakon)
mit Trommeln, Becken und Klappern."4 Deissmann kommentiert: "Das Wort steht wohl in der auch
dem Apostel 1.Kor 6,9 bekannten obszönen Bedeutung und deutet das schmutzige Nebengewerbe
Wie oben bereits erwähnt, gab Dionysus von Halicarnassus dem Begriff malakos zwei
Bedeutungen: als Spitzname konnte er "effeminierter Mann" bedeuten, der wie eine Frau behandelt
wurde; ferner gab er einen "milden Charakter" wieder, konnte also auch damit den passiven
1
Diogenes Laertius Leben und Meinungen berühmter Philosophen (Berlin, 1955) 2, S. 89.
2
T. Maccus Plautus Miles Gloriosus (Hrsg. M. Hammond et al.; Cambridge/Mass., 1963), S. 133; vgl. Einleitung
LXII: Anmerkungen der Hrsg. zu Strophen 211, 775, 924; für 665 geben sie "weich, effeminiert" als Übersetzung
von malacus.
3
Lucan (Hrsg. W. Rutz; Darmstadt, 1971) 37; vgl. J. Boswell, S. 338, Anm. 14.
4
A. Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-
5
Ebenda, Anm. 4; vgl. dagegen: The Hibeh Papyri (Hrsg. Bernard P. Grenfell und Arthur S. Hunt; Oxford,
1906) 1 S. 201, Anm. 11: "malakos may be merely a nickname, but probably refers to the style of Zenobius'
dancing. Smyly well compares Plautus, Mil. 668: 'Tum ad sallandum non cinaedus malacus aequest atque ego'."
Dagegen die zitierte Stelle oben, aus The Hibeh Papyri (Hrsg. E.G. Turner), Teil 2, S. 123 für "weiche" Wolle.
Seite 12
Partner in einer homosexuellen Beziehung bezeichnen; mit Hans Lietzmanns Formulierung: "Ein
Der Apostel Paulus konnte im Kontext von 1Kor 6,9 malakos unmöglich für "Genußsüchtige" oder
"Masturbierende" oder "moralisch Schwache" bzw. "Instabile" verwendet haben. Denn: malakos steht
unmittelbar nach moichoi (Ehebrecher) und vor arsenokoitoi (s. unten), zwei Begriffen, die eindeutig
Unzuchtssünden bezeichnen.
Sherwin Bailey meint, daß malakoi ein terminus technicus für Männer ist, die aktiven männlichen
Homosexuellen zur Verfügung stehen.2 Das Wort ist in der klassischen griechischen Literatur zur
Beschreibung solcher Männer belegt, wenn auch nicht sehr häufig. Die Tatsache, daß malakoi vor
arsenokoitoi steht, einem Begriff für aktive Homosexuellen, wie wir sehen werden, impliziert
ebenfalls, daß Paulus damit weder "moralisch schwache" noch "masturbierende" Männer meinte,
sondern die passiven Homosexuellen. Dieses Fazit wird durch die Untersuchung von arsenokoitoi
offensichtlich.3
Der griechische Begriff arsenokoitoi. findet sich nebst 1.Kor 6,9 nur noch in 1Tim 1,10, wo er von
1
Hans Lietzmann, An die Korinther I/II. Handbuch zum NT (Tübingen, 1969), S. 26f; das Zitat: S. 27.
2
S.D. Bailey, Homosexuality and the Western Christian Traditions, S. 38; D. Atkinson, Homosexuals in the
Christian Fellowship, S. 92; vgl. Polybius The Histories (Übers. M. Chambers; New York, 1966), S. 306; Suetonius
The Twelve Caesars (Übers. R. Graves; Harmondsworth, 1957), S. 223; James Graham-Murray, A History of Morals
3
Friedrich Lang, Die Briefe an die Korinther. NTD 7 (Göttingen, 1986), S. 80; M.-J. Klauck, 1. Korintherbrief. Die
Neue Echter Bibel (Würzburg, 1984), S. 46; H. Conzelmann 1981, S. 136; vgl. Reallexikon für Antike und
Christentum, 1924ff, s.v. "Effeminatus" von H. Herter; Real-Encyklopädie der classischen Altertumswissenschaft,
4
Hans Bürki, Der erste Brief des Paulus an Timotheus. WStB (Wuppertal, 1982), S. 60; vgl. Fritz Rienecker,
Sprachlicher Schlüssel zum Neuen Testament nach der Ausgabe von D. Eberhard Nestle (Gießen-Basel, 1970),
Seite 13
Arsenokoitoi ist ein Kompositum der Morpheme arsen (Gen. arsenos) mit der Bedeutung
"männlich" oder "Mann", und koitos, dessen Konnotation einer Untersuchung bedarf.1 Generell
verwendete man koite für "Bett";2 in dieser Bedeutung finden wir den Begriff in Lukas 11,7. Der
Hebräerbrief verwendet das Wort für "Ehebett" (Timos ho ganos es pasiu kai he koite amiantos:
Ehrbar /sei/ die Ehe bei allen und das Ehebett unbefleckt). Die moralische Bedeutung von amiantos
(unbefleckt) verrät die Verwendung von koite in diesem Kontext, nämlich: Das Sexualleben der
Ehepartner muß "unbefleckt" bleiben, m.a.W. die eheliche Treue darf nicht verletzt werden. 3 In Römer
13,13 steht koite euphemistisch für "Unzuchtshandlungen" oder "Wollust". Römer 9,10 meint mit
Das Kompositum aus den Morphemen arsen und koite (pl. koitai) ergibt also "Männerbeischlaf",
euphemistisch "mit Männern (sexuell) verkehrende Männer". 5 Dieser Interpretation stimmen auch
S. 490; zu 1.Kor 6,9 aaO, S. 362. W.E. Vine dagegen verweist unter dem Stichwort "Abuse, abusers" indirekt auf
die (englischen) Übersetzungen; sein ganzer Beitrag ist: "B. Noun. For the noun arsenokoites, see I Cor 6:9, and I
Tim 1:10".
1
Arndt/Gingrich, S. 109; vgl. F. Rienecker zu Röm 1,27, aaO S. 318; Josephus The Life and Against Apion
2
Josephus Jewish Antiquities (Übers. H.St.J. Thackeray /1/ bzw. Ders. und R. Marcus (2/; London, 1966) Bd. 1,
3
Arndt/Gingrich, S. 46; vgl. bes. Weish 3,13: hoti makaria steira he amiantos, hetis ouk egno koiten en
paraptomati, hexei karpon en episkope psychon: "selig ist die Unfruchtbare, die sich nicht befleckte, die nicht ein
Ehebett in Sünde kannte. Ihre Fruchtbarkeit wird sich zeigen bei der Heimsuchung der Seelen" (nach Jerusalemer
Bibel).
4
Arndt/Gingrich, S. 440; Rienecker, S. 335. Ernst Käsemann gibt (wie die Revidierte Elberfelder Bibel
/Wuppertal, 1986/, NT S. 198) koite in Röm 9,10 mit "wurde/war schwanger" wieder, was dem Kontext gerechter
wird als "Gravidität" oder "Leibesfrucht". Commentary on Romans, S. 260, 263f. "...koiten echein is a euphemism
for sexual intercourse, perhaps as in Lev 18,20.23; Num 5,20 the seminal discharge": aaO, S. 263.
5
Vgl. Ernst Dietzfelbinger, Das Neue Testament. Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch (Neuhausen,
1986), S. 730, 904; ebenso: Arndt/Gingrich, S. 109; Peter Coleman, S. 97; vgl. dagegen M. Macourt (Hrsg.),
Seite 14
die Homophilen Bailey, John McNeill und Boswell bei.1 Der letztere argumentiert aber, arsenokoitai
könne nicht auf Homosexuelle generell bezogen werden, sondern meine den aktiven männlichen
homosexuellen Prostituierten.2 Boswells Behauptung läßt sich weder verifizieren noch schlüssig
widerlegen. In Anthologia Graeca lesen wir von einer Inschrift am Osttor von Thessalonike, die von
einem anonymen Autor stammt und nachstehend auf deutsch wiedergegeben sei:
Wanderer, jauchze im Herzen! Du siehst ob dem Tor den Präfekten Basileios, den Mann,
der Babylons übergewaltige Macht zerstört hat, die Leuchte des unbestechlichen Rechtes,
kommst zum Orte der besten Regierung mit trefflichstem Sohne, brauchst nicht Barbaren zu
fürchten noch Männer, die Männern sich gatten (ouk arrenas arrenokoitas).3
Aristides von Athen (2.Jh.) war einer der ältesten christlichen Apologeten und richtete seine
Verteidigungsschrift für die Christen an den Kaiser Hadrian, namentlich mit dem
geschichtstheoretischen Argument operierend, die Christen seien nach den "Barbaren, Hellenen und
Juden" das "neue", "vierte Geschlecht", um dessentwegen die Welt noch fortbestehe. 4 U.a. skizziert
Aristides in seiner Apologie auch die Korruption der heidnischen Götter, die er als kriminell klassiert
und denen er die Praxis der arsenokoitai unterstellt.5 Es gibt kaum Zweifel daran, daß Aristides an
Homosexual, S. 52ff; John Boswell, S. 341; vgl. Morton Scott Enslin, The Ethics of Paul (Nashville, 1957), S. 147ff.
2
John Boswell, S. 344; vgl. S. 342 mit: "The Epistle of Polycarp to the Philippians" 2.12 in The Lost Books of the
Bible. Übers./Hrsg. W. Hone, J. Jeremiah und W. Wake ( New York, 1979), S. 194.
3
Hermann Beekby (Hrsg.), Anthologia Graeca. Buch IX-XI. München 1958, Buch IX.686, S. 409 (griech. S.
408); vgl. Alexander Olivieri et al. (Hrsg.), Catalogus codicum astrologorum Graecorum. Brüssel 1898 usw., Buch
VIII. 4, S. 196. Arrenokoite und arsenokoite haben dieselbe Bedeutung, ist doch arren ("Mann") nichts anderes als
arsen im attischen Dialekt. Siehe: Arndt/Gingrich, S. 109; vgl. Robert Browning, Medieval and Modern Greek
4
Johannes Quasten, Patrology (Westminster, 1950-63), Bd. 1, S. 191ff; B. Altaner und A. Stuiber, Patrologie
(Freiburg, 1966), S. 64; R. Wolff, "The Apology of Aristides", The Harvard Theological Review 30 (1937): 233-247;
5
Aristides "Apologie" 9.13 in E.J. Goodspeed (Hrsg.), Die ältesten Apologeten (Göttingen, 1914); vgl. Eusebius
"Demonstrationis evangelicae 1" in J.P.-Migne (Hrsg.), Patrologiae cursus completus (Turnhour, 1975ff) 22.65.
Seite 15
Man sollte jedoch nie übersehen, daß für Männer oder Knaben des homosexuellen Gewerbes das
In der klassischen Epoche scheinen das Verb hetairein und das Begriffswort hetairesis nicht für
Hetäre benutzt worden zu sein, sondern ausschließlich für einen Mann oder Knaben, der in einer
Jedenfalls sind uns einige Begriffe für männliche Prostitution bekannt, nämlich pornos,
hetairekos oder hetairesis. Boswell meint, hetairekos sei für männliche Kurtisane oder Prostituierte
höheren Kalibers verwendet worden, im Gegensatz zu pornos oder peporneumenos für sozial
niedrigere männliche Prostituierte.3 Der Begriff porneia bezeichnet aber in der nachklassischen
Epoche nicht nur Prostitution, sondern jedes sexuelle Verhalten, für das der Sprecher oder Schreiber
verwickelt sind, entsprechend malakoi in der passiven. John Boswells Folgerung, daß Paulus nicht
die Homosexualität an sich verurteile, sondern ausschließlich die homosexuelle Prostitution, ist ein
Elaborat pro domo sua (ein Machwerk zum eigenen Nutzen) und kontextuell überhaupt nicht haltbar.
Damit dürfte plausibel sein, daß Paulus auch in dem Fall, daß arsenokoitai männliche
homosexuelle Prostituierte bezeichnen würde, dennoch die passive wie aktive Homosexualität mit
1
Xenophon Erinnerungen an Sokrates (Übers. P. Jarrisch; München, 1962) I 6.13; Aristophanes 3 "Ploutos"
2
K.J. Dover, Homosexualität in der griechischen Antike, S. 26; vgl. Aischines, I 37-44.51, mit I 19f, 74.119f; J.
3
J. Boswell, S. 344, seine Anm. 23; S. 351f.
Seite 16
jeweils einem Partner keinesfalls guthieße.1 Sherwin D. Bailey schreibt: "...die technischen Termini
malakoi und arsenokoitai bezeichnen Männer, die passiv bzw. aktiv in homosexuelle Praktiken
involviert sind."2
Laut Paulus gehören Christen nun aber dem Reich Gottes an und müssen wissen, daß
praktizierende passiven wie aktiven Homosexuellen gegen die heterosexuelle Ehe verstoßen (vgl.
1Kor 7,1-9) und das Reich Gottes nicht ererben werden genauso wie die Unzüchtigen und
Ehebrecher.
Meine größte Not besteht darin, daß die meisten deutschen Bibelübersetzungen das griechische
Wort „arsenokoitoi“ mit „Knabenschänder“ wiedergeben, das der Grundbedeutung des griechischen
Begriffs auf keiner Weise gerecht wird. Die homophilen Wissenschaftler Derrick Sherwin Bailey, John
McNeill, Norman Pittenger und der kürzlich an Aids verstorbene John Boswell (Geschichtsprofessor
an der Yale University) zweifeln nicht daran, daß mit den Begriffen malakoi und arsenokoitai die
Laut Paulus soll Gott dafür gesorgt haben, daß er der Menschheit nicht ein unergründliches Ge-
heimnis ist, "denn er hat das, was wir von ihm wissen können und sollen, an die helle Öffentlichkeit
gesetzt. Er ist ... unsichtbar. Aber seine Werke machen ihn sichtbar, seit es Menschen gibt",
1
Vgl. J. Boswell, S. 344ff, mit R. Scroggs, Paul for a New Day (Philadelphia, 1977), S. 66ff; L.H. Marshall, The
2
S. Bailey, Homosexuality and the Western Christian Tradition, S. 38; vgl. S. 157. Ferner: C.K. Barrett, A
Commentary on the First Epistle to the Corinthians, S. 140f; F.W. Grosheide, S. 140; H. Conzelmann 1981, S. 136;
3
Vgl. in bezug auf den Begriff „arsenokoitai“ H. Beekby , hg. Anthologia Greeka, München, 1958, Buch IX.
Seite 17
kommentiert Adolf Schlatter.1 Diese wollten autonom und autark sein, in der Einbildung, damit "weise
zu sein" (1,22), daß sie ihre Herzen (auton kardia) zum Mittelpunkt des Erkennens und Wollens
erhoben - eine Emanzipation vom Schöpfer weg, welche eine Sehnsucht nach Ersatzgöttern logisch
nach sich zog2 (1,23). Der Mensch, der sich vom "unvergänglichen Gott" emanzipiert hat, vertauscht
dessen Herrlichkeit mit Abbildern von vergänglichen Menschen,3 Vögeln,4 Vierfüßlern5 und Gewürm.6
"Deswegen hat Gott sie in den Begierden, in Unreinheit ihrer Herzen dahingegeben, daß ihre Körper
darin entehrt wurden" (1,24): die Gründe für dieses Strafgericht sind im schuldhaften religiösen Irrtum
der Betroffenen zu suchen.7 Die Formel "in jemandes Hände übergeben" ist in der jüdischen Traditi-
onsliteratur nicht unbekannt.8 Auch der Apostel Paulus verwendet sie mehrmals, u.a. in 1.Kor 5,5, wo
der Schuldige "dem Satan übergeben (werde) zum Verderben des Fleisches, damit sein Geist gerettet
werde am Tage des Herrn". Nach jüdischem Glauben ist Satan der Vollstrecker göttlicher Gerichte. 9
Diese Übergabe bzw. Preisgabe an den Satan soll das wirksamste Strafwunder einzelner
1
Adolf Schlatter, Der Brief an die Römer (Stuttgart, 1974), S. 23.
2
Otto Etzold, Der Römerbrief der Gemeinde neu erschlossen (Metzingen, 1970), S. 27; M.D. Hooker, "Adam in
3
Vgl. ANET, Supplement 1969, S. 87f (= 523f) mit S. Mowinkel, "Urmensch und 'Königsideologie'", Studia
4
Vgl. O. v. Gerlach, S. 256, mit Weisheit 11,15f; 12,24ff; William Hendriksen, New Testament Commentary
5
Vgl. H. Ringgren, Die Religionen des Alten Orients, S. 21-24 mit: Ps 105,20; Dtn 4,15-19; T.M. Horner, S. 16ff
6
Das griechische Wort erpeton wird korrekter mit "kriechen des Tiers" wiedergegeben (wie es z.B. die
Revidierte Elberfelder tut). Siehe W.F. Arndt und F.W. Gingrich (Hrsg.), A Greek-English Lexicon of the New
Testament and Other Early Christian Literature (fortan: Arndt/Gingrich) (Chicago-London, 1979), S. 310. Die
Anbetung von Reptilien bzw. kriechenden Tieren wird auch heute geübt, so manchenorts in Afrika der
Schlangenkult. Siehe Hans Helfritz, Schwarze Ritter zwischen Niger und Tschad (Berlin, 1958), S. 215-225; vgl.
7
Meine Übersetzung von Vers 24 (H.H.). Vgl. A.T. Robertson, Word Pictures in the New Testament (Nashville,
8
Strack/Billerbeck, Bd. 3, S. 358.
Seite 18
Gottesmänner gewesen sein.1 Die Auslieferung bezweckte den Untergang, die Niederlage, die
Zwangseinlieferung. Auch im Alten Testament treffen wir diese Formel wiederholt an (vgl. Rcht 2,14;
6,13; Jes 65,12; Jer 32,4).2 Die Gerichtsinstanz von Röm 1,23ff sind weder Menschen noch der
Satan, sondern die epithymia, d.h. die Begierde, der sinnliche Trieb, die böse Lust.3 Gott distanziert
sich von den Schuldigen und überläßt sie ihrem eigenen Wollen, d.h. der (von ihm getrennten,
unheiligen) Selbstbestimmung, die zur Selbstzüchtigung, Quälerei führen mußte. 4 Sie zeigt sich u.a. in
unersättlichem Verlangen nach geschlechtlichem Genuß außerhalb der Ehe und beinhaltet gerade
auch perverse sexuelle Neigungen, argumentiert Hans Schönweiß und meint, daß epithymia ihre
Potenz vom Narzißmus ableitet. Er schreibt: Sie entspringt im letzten Grunde der tief eingewurzelten
Neigung des Menschen, den Mittelpunkt seines Lebens in sich selbst zu haben, sich auf sich selbst
Der Verfasser des Römerbriefes zieht eine Parallele zwischen den perversen Gottesvorstellungen
und der inversio, d.h. der Umkehrung des Geschlechtstriebes, und bringt sie in eine
Wechselbeziehung: Die Begierde (epithymia) bedingt den Tausch (griech. allage; Verb: allasso) der
Gottesverehrung und verselbständigt sich zu einer Macht, welche die Trennung von dem einen Gott
vollzieht und den Menschen ganz und gar beherrscht. Gott überläßt ihn dieser "Gerichtsinstanz", weil
9
Ebenda, Bd. 4, S. 521ff.
1
Ebenda, Bd. 2, S. 714.
2
TBLNT, 1979, s.v. "paradidomi" von H. Beck; vgl. A. Alt, "Ursprünge des israelitischen Rechts", aaO, Bd. 1,
Seite 19
der Mensch „die Gottesoffenbarung in der Natur ignoriert1 und sich willentlich der Begierde (epithy-
mia) unterstellt hat (Röm 1,20ff), einer Macht, die sich Götter schuf (1,23), um sich in den Kulten in
dem Satz „Gott hat sich dahingegeben“ (paredoken autous ho theos) als Gottes Urteilsspruch der
Dahingabe steht unübersehbar im Raum: Die Frauen haben den natürlichen (heterosexuellen)
Verkehr mit dem widernatürlichen vertauscht. Die weibliche Homosexualität wird in Zusammenhang
mit den Begriffen paredoken („dahingegeben“) und epithymia („Begierde“) als Zwang - als
Folgeerscheinung der Dahingabe Gottes - und nicht als bewußte Entscheidung der Frauen für die
Gemäß Röm 1,26 sind lesbische Beziehungen als von innen ausgehende „Begierde“ (epithymia)
zu verstehen. Dies belegt nicht zuletzt der terminus technicus „vertauschen“ oder „eintauschen“
(metallasso"). Dabei heißt "natürlicher Geschlechtsverkehr" (physiken chresin) für den Schreiber
eindeutig die heterosexuelle Beziehung innerhalb einer Ehe.3 Diese Begierde (epithymia) der Frauen
für die „widernatürliche“ sexuelle Verbindung, folgert Joachim Jeremias, unterliegt nun einer
richterlichen Beurteilung durch Gott selbst, dessen Urteil lautet: Tut, was euch beliebt. 4 Wie sich der
"widernatürliche Verkehr" der Frauen konkret äußerte, wird in Vers 26 nicht gesagt; auch die
römischen Zeitgenossen des Paulus berichten nur spärlich darüber. Man hat jedoch ermittelt, daß
1
Luther hat denn auch gelehrt, die Existenz von Götzendienst sei der Beweis dafür, daß der Mensch im Besitz
intuitiver Erkenntnis über den wahren Gott sei: Luther's Works, Bd. 25, S. 154-157, vgl. Bd. 19, S. 53.
2
Ebenda, Bd. 22, S. 149; vgl. C.K. Barrett, S. 38f; John Calvin, Institutes of the Christian Religion (Grand
3
Vgl. 1.Kor 7,1-9; E. Käsemann, Commentary on Romans (Grand Rapids, 1980), S. 48ff.
4
J. Jeremias, "Zu Rm 1,22-32", ZBW 45 (1954): 119-123, hier: 119f; M.D. Hocker, "Adam in Romans i", aaO,
S. 297-306.
Seite 20
römische Frauen Lesbianismus, Transvestismus und Sodomie praktizierten, schreibt der deutsche
Die männliche Homosexualität wird von Paulus ausführlicher behandelt. Die Männer haben den
natürlichen Geschlechtsverkehr mit der Frau verlassen (aphentes ten physiken chresin tes
theleias)., schreibt der Apostel. Das Verb „verlassen“ (aphiemi) in Röm 1,27 ist ein aktives Mittelwort
der Vergangenheit und wurde laut Rudolf Bultmann häufig im juristischen Sinn verwendet, z.B.
"jemand aus einem rechtlichen Verhältnis entlassen, sei es Amt, Ehe, Haft, Schuld oder Strafe (aber
nie im religiösen Sinn)".2 Die Kombination von arsenes (pl., Männer) und theleias (sg., Frau) meint
jedoch das „Objekt“, nämlich die Frau, mit der sie den Verkehr "verlassen" 3 und der Heterosexualität
Valet gesagt haben.4 Ihre Bevorzugung (Präferenz) ist, "in ihrer Begier zueinander entbrannt" zu sein
(exekauthesan en te orexei auton allelous). Die Männer sind von dem Geschlechtsverkehr mit den
Frauen abgegangen. Daß sie nicht, von sexueller Begierde befreit, als asketische Mönche lebten,
sondern ihrerseits zu widernatürlichem Verkehr übergingen, wird mit aller Deutlichkeit gesagt:
Diese Unschicklichkeit, Häßlichkeit, Schande oder Unzucht (aschemosyne) ist die Vergeltung, der
"Lohn" für ihre Verirrung: Wiederum hat die Umkehrung der Gottesverehrung zur Umkehrung des
Geschlechtstriebes geführt - laut Paulus die Quittung für Gottlosigkeit, folgert Robertson.5
1
E. Käsemann, Romans, S. 48f; Robert Wood, "Sex Life in Ancient Civilizations" in Albert Ellis und Albert
Abarbanel (Hrsg.), The Encyclopeida of Sexual Behavior (New York, 1961), Bd. 1, S. 125-128; Sidney Tarachow,
"St. Paul and Early Christianity: A Psychoanalytic and Historical Study" in W. Muensterberger (Hrsg.),
Psychoanalysis and the Social Science (New York, 1955), S. 232ff; Lucius Apuleius The Golden Ass (Übers. Robert
2
TWNT, 1953, s.v. "aphiemi" von R. Bultmann.
3
B. Friberg und T. Friberg (Hrsg.), Analytical Greek New Testament (Grand Rapids, 1981), S. 472.
4
Ides Behauptung, Paulus verurteile damit die Bisexualität sowie die Widerwilligkeit der Männer, die
homosexuelle Präferenz zu akzeptieren, kollidiert kraß mit dem Prinzip der Berücksichtigung des Kontexts. Siehe:
5
A.T. Robertson, S. 331; C.K. Barrett, Romans, S. 39; E. Käsemann, S. 47ff; J. Jervell, Imago Dei (Göttingen,
1960), S. 289-314.
Seite 21
Röm 1,28 faßt dann die kausalen Faktoren der Homosexualität nochmals zusammen: (1) Sie
haben es nicht für gut befunden, Gott in der Erkenntnis festzuhalten; (2) Gott hat sie darum
preisgegeben, Ungeziemendes in verwerflicher Sinnesweise zu tun. Der Ausdruck "was sich nicht
geziemt" (me kathekonta: Partizip präsens), bringt nochmals zum Ausdruck: Die sexuelle
Abweichung von der Heterosexualität ist unvereinbar mit der Erkenntnis des einen Gottes.
• Schlußfolgerung
Man darf nicht außer acht lassen, daß Jesus Christus die Fragen der homosexuellen Liebe
absolut nicht behandelte. Der Grund mag darin liegen, daß er einzig die heterosexuelle Ehe für richtig
hielt. „Habt ihr nicht gelesen“, fragte Jesus die Pharisäer, „daß der Schöpfer sie von Anbeginn an als
Mann und Weib geschaffen hat. ... Was nun Gott verbunden hat, daß soll der Mensch nicht trennen“
(Mt 19,4.6b). Jesus scheint aber nicht der Meinung zu sein, daß die Natur keine Sprünge macht
(Natura non facit saltus ). Denn er spricht ja selbst von „Verschnittenen“ „vom Mutterleib an“ (Mt
19,12), die ihr Sosein bejahen und Gott loben sollen. Nun haben aber die endokriminologische und
genetische Forschung die Theorie einer konstitutionellen Anlage des homosexuellen Verhaltens noch
nicht belegen können. Jede andere Behauptung entbehrt meines Wissens jeder empirischen
Beweiskraft. Die Annahme, daß fünf Prozent - einige wenige sprechen von 25 Prozent - aller
noch bewiesen werden.1 Die Heilige Schrift der Christen sieht in der homosexuellen Liebe einen
Verstoß gegen die heterosexuellen Institution der Ehe. Jesus begrüßte ausschließlich die
heterosexuelle Ehe, indem er in Form einer Frage dies verdeutlicht: „“Habt ihr nicht gelesen, daß der,
welcher sie schuf, sie von Anfang an (als) Mann und Weib schuf und sprach: Darum wird ein Mensch
Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein, - so
daß sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch?“ (Mt 19,4-6). Aus der Perspektive Jesu und des
1
vgl. W. Masters, V.E. Johnson, R.C. Kolodny, Masters & Johnson on Sex and Human Loving, London, 1986, S.
348ff.
Seite 22
Apostel Paulus ist eine homosexuelle Partnerschaft nicht gottgewollt, wohl aber die Folge des
Sündenfalls.1
beantwortet worden.2 Die Diskussion wird fortgeführt, und ein Konsens unter den
Wissenschaftler auf diese Frage eine Antwort geben kann, muß er die Ursachen des
eindeutig geklärt worden ist, mag nicht zuletzt in den diversen Methoden empirischer
Erhebungen wurzeln.
homosexuellen Verhaltens erreicht und keine der Theorien als bindend nachgewiesen
hat, dürfte sich ein Theologe keiner der wissenschaftlichen Hypothesen ausschließlich
1
Vgl. Hans Böttcher, Integrierte Sexualität, Vellmar-Kassel: Verlag Weißes Kreuz GmbH, 1990, S. 96f.
2
A.J. Cooper, "Aetiology of Homosexuality" in J.A. Loraine (Hrsg.), Understanding Homosexuality: Its
Seite 23
verfolgen, um einem hilfesuchenden Homosexuellen jede mögliche Hilfe bieten zu
können.1
Die heutige Sexualwissenschaft betrachtet die Homosexualität generell als eine der
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß man nur über die Homosexuellen sprechen kann,
Professor Götz Kockott hat sich auch der Forschung der Ursachen des
zusätzlich nach, ob und wie der Patient durch Personen oder Abbildungen von
Personen gleichen Geschlechts sexuell angeregt" wird, und fragt zusätzlich "nach dem
3
Vgl. J. Kleinig, "Reflections on Homosexuality", Australian Journal of Christian Education 59 (Sept. 1977):
32ff.
1
Vgl. Henry J. Schmidt, "The Church's Ministry to Persons with a Homosexual Orientation"
(Vorlesungsdruckschrift, MBB Seminary, Fresno, Nov. 1980), S. 2ff; David Ewert, "The Bible, Homosexuality and
2
Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1974), s.v. "Homosexualität"; vgl. A.C. Kinsey, Das sexuelle Verhalten
3
Die Religion in Geschichte und Gegenwart (fortan: RGG), 1986, s.v. "Homosexualität" von S. Bailey.
4
Helmuth Zenz und Gabriela Manok (Hrsg.), AIDS-Handbuch für die Psychosoziale Praxis (Bern, Stuttgart,
Seite 24
Inhalt von Masturbationsphantasien und sexueller Träume" von Homosexuellen. Kockott
schreibt: "Ich habe den Eindruck, daß es gerade der Inhalt der Masturbationsphantasien
ist, der bei der Eigeneinschätzung der sexuellen Orientierung hilft, wenn ein junger
Professor Walter Bräutigam spricht von sich aus über vier Erscheinungsformen der
Der Sexualwissenschaftler Hans Peter Dreitzel faßt die Angaben der Formen der
in der Regel nur dort eine Rolle, wo ihr sexuelles Verhalten in irgendeiner Weise
sanktioniert wird". Er sieht "ihr Verhalten als ein die ganze Persönlichkeit affizierendes
1
Götz Kockott, Sexuelle Variationen, (Stuttgart, 1988), S. 52f.
2
Götz Kockott, S. 53-54.
3
Hans Peter Dretzel, Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft. Vorstudien zu einer
Seite 25
2. Die kausalen Faktoren der Homosexualität
• Einleitende Gedanken
Wie gesagt, die Entstehung der Homosexualität ist noch nicht endgültig geklärt
worden. Die psychoanalytische Forschung ist zwar - wie in jeder Wissenschaft - ein die
Reich, aber auch die Weigerung, sich immer wieder als Objekt
beantwortet."
winnen. Die Studie mußte aber nach dem Protest homosexueller Gruppen abgesetzt
werden.
Setz verteidigte den Protest mit dem Argument: "Wenn die Ursachen entdeckt sind,
Seite 26
kann das Phänomen beseitigt werden."1 Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß
Setz hat jedoch in dem Recht, daß die genauen Erkenntnisse über die Entstehung
(der Theorie der Entstehung) der Homosexualität. Aber die wissenschaftliche Forschung
amerikanischen Instituts für homosexuelle und lesbische Erziehung, der aus Überzeugung
propagiert, daß Homosexualität Schicksal sei, sezierte trotz Bedenken einiger deutschen
homosexuellen Organisationen Hirne von Leichen und ist damit berühmt geworden. Er
hatte das Zwischenhirn von 19 homosexuellen Patienten seziert, die an AIDS gestorben
waren, und verglich sie mit den Hirnen von 16 Männern und 6 Frauen, die nach
Angaben ihrer Verwandten heterosexuell gewesen waren. Das tiefgefrorene Hirn zerschnitt
er in 50 Mikrometer feine Scheiben, maß auf jedem Schnitt die Größe der einzelnen
1
"Trieb in der Wiege" in: Der Spiegel (Hamburg) Nr. 30 / 47. Jahrgang, (26. Juli 1993), S. 177.
Seite 27
Zellgruppen aus und errechnete so das Volumen der verschiedenen Bereiche in dem Areal,
Er kam zum Ergebnis, daß eine der Zellgruppen im Hypothalamus - d.h. unter dem
Hauptteil liegendem Zwischenhirn (INAH 3) - bei Homosexuellen nur halb so groß war
wie die entsprechende Zellgruppe bei Heterosexuellen - und damit etwa so groß wie bei
den Frauen.1 LeVay meinte, im Geflecht der grauen Zellen unter der Schädeldecke das
weise genetisch - begründet sein müsse, weil das Gehirn von homosexuellen Män-
nern dem von Frauen ähnlich sei.2 LeVays Forschungsabsichten haben zum Ziel, nach-
zuweisen, daß eine Reorientierung der homosexuellen Triebe nicht möglich und auch nicht
notwendig sei.
kritisiert. Erstens, meinen sie, soll er bei den beschriebenen Untersuchungen der einzige
gewesen sein, der die Hirnschnitte ausgewertet hatte; zweitens, gibt die Zeitschrift
d.h. das Auftreten verschiedener gestalteten Formen der Sexualität - reproduzierbar belegt
hätten.3
1
David Gelman, Donna Foote, Todd Barrett und Mary Talbot, „Born or Bred?“ in: Newsweek , Vol. CXIX, No. 8,
2
Ebenda, S. 42
3
"Trieb in der Wiege" in: Der Spiegel (Hamburg) Nr. 30 / 47. Jahrgang, (26. Juli 1993), S. 177ff.
Seite 28
"Byne erwähnt, daß ihm wegen seiner kritischen Haltung antihomosexuelle
Motive und sogar eine politisch rechtsgerichtete Einstellung unterstellt würden. ...
Diese Erfahrungen lassen ihn fürchten, daß genetische Erklärungsmodelle für ein
sie abzubauen."1
Denn bereits im Jahre 1936 formulierte der NS-Erbbiologe Theo Lang, daß "den
liege." Diese Feststellung muß dazu beigetragen haben, daß der dänische Arzt Carl Peter
Auftraggeber schrieb Vaernet: "Die Versuche sollen auf breiter Basis feststellen, ob es
zehn homosexuellen und heterosexuellen Männern und kam zum Resultat, daß der Andro-
Wiege", aaO. S. 168. 173f; "Homosexualität und Gene" in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 214/Mittwoch, 15.
2
"Trieb in der Wiege", aaO. S.177
3
Androsteron ist ein männliches Keimdrüsenhormon aus der Gruppe der Steroide; es bildet weiße, in Wasser
schwer lösliche Kristallplättchen. Es entsteht durch Veresterung eines in der Leber gebildeten Abbauproduktes
des Testosterons und wird mit dem Harn ausgeschieden. Androsteron ist z.B. für den männlichen Bartwuchs, die
Seite 29
den Heterosexuellen niedriger war.1 Robert C. Kolodny, L.S. Jacobs und andere haben im
mit einer heterosexuellen Kontrollgruppe und einer andern Gruppe von Homosexuellen mit
Blutplasma, die zwischen 1971 und 1977 vorgenommen wurden, hätten keine
der Testosteronspiegel von Woche zu Woche, ja schon von Tag zu Tag starken
1
M.S. Margolese, "Homosexuality: A New Endocrine Correlate", Hormones and Behavior (New York) 1 (1970):
151; vgl. R.B. Evans, "Physical and Biochemical Characteristics of Homosexual Men", Journal of Consulting
2
Testosteron ist das stärkste natürliche männliche Geschlechtshormon. Siehe: W. Pschyrembel, S. 1200.
3
R.C. Kolodny, L.S. Jacobs, W.H. Masters et al., "Plasma Gonadotrophins and Prolactin in Male Homosexuals",
Lancet (London) 7766 (1972): 18; R. Kolodny, W.H. Masters, J. Hendry und G. Torro, "Plasma Testosterone and
Semen Analysis in Male Homosexuals", New England Journal of Medicine (Boston) 285 (1971): 1170.
4
H.F.L. Meyer-Bahlburg, "Sex Hormones and Male Homosexuality in Comparative Perspective", Archives of
Sexual Behavior (New York) 4 (1977): 297ff; R.C. Pillard, R.M. Rose und M. Sherwood, "Plasma Testosterone Levels
5
H.F.L. Meyer-Bahlburg, aaO, S. 311.
6
G.A. Parks, S. Korth-Schütz, R. Penny et al., "Variation in Pituitary-Gonadal Function in Adolescent Male
Homosexuals and Heterosexuals", Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism (Springfield) 39 (1974): 796;
vgl. F.J. Kallman, Heredity in Health and Mental Disorder (New York, 1953), S. 115ff.
Seite 30
Philip Feldman und Malcolm MacCulloch ziehen ihrerseits das Fazit, daß das homose-
xuelle Verhalten sowohl durch hormonale bzw. genetische als auch durch umweltbedingte
keinesfalls eine Therapie verweigern, wenn ihre Lebensfreude beeinträchtigt ist und die
Charles Silverstein dagegen verweigerte einem englischen Geistlichen jede Therapie, als
dieser nach New York kam und um Hilfe nachsuchte, weil er nicht mit seiner Homosexua-
lität leben wollte. Silverstein gab ihm auch keine Hinweise darüber, wo er therapeutischen
Beistand finden könnte. "Ich glaube nicht", meint Silverstein, "ich könnte es verantworten,
einer Person irgendeine Therapie anzubieten, die meinen Prinzipien und Werten
widerspricht."3
Günter Dörner geht davon aus, daß sich in Zukunft die Möglichkeit ergeben könnte,
(männliche) Homosexualität pränatal (vor der Geburt) zu diagnostizieren und beim Fötus
zwischen dem 4. und 7. Monat durch Hormontherapie in utero der unerwünschten Neigung
beizukommen. 4 Laut der kanadischen Molekularbiologin Kary Mullis wird es "in zehn
Jahren höchstens eine Stunde (dauern), die gesamte Erbanlage eines Menschen zu
1
Philip Feldman und Malcolm MacCulloch, Human Sexual Behaviour (Chichester etc., 1980), S. 158, vgl. S. 61
mit: N.E. Miller, "Learning of Visceral and Glandular Responses", Science (New York) 163 (1969): 434.
2
P. Feldman und M. McCulloch, S. 171; vgl. L.J. Pongratz, S. 67.
3
C. Silverstein, "Homosexuality and the Ethics of Behavioural Interventions", Journal of Homosexuality 3
(1977): 206.
4
G. Dörner, W. Rohde et al., "A Neuroendocrine Predisposition for Homosexuality in Men". Archives of Sexual
Behavior (New York) 4 (1975): 1-8; J. Hart und D. Richardson, The Theory and Practice of Homosexuality (London,
1981), S. 78; S. Winokur, "Homosexuality: Is It Created in the Womb?", San Francisco Examiner & Chronicle, 28.
Seite 31
entschlüsseln und seine Zukunft vorauszusagen" - und dann gezielt zu modifizieren. Denn
sind die Gene dechiffriert, dann lassen sich am Embryo auch die Erbinformationen
unterscheiden sich im wesentlichen von den der griechischen Klassiker und weiterer antiker
Autoren kaum. Aristoteles (384-322) sprach z.B. von einer konstitutionell bedingten
Vergnügen unterschied. Er reihte den homosexuellen Verkehr der Männer unter die
Phänomene ein, die bei manchen aus einer Naturanlage an die Oberfläche treten, bei
manchen aber aus Gewöhnung stammten, z.B. bei Männern, die als Knaben bereits zur
Lust mißbraucht wurden. Wenn die Ursache konstitutionell bedingt ist, lehrte er, kann
Naturgemäß bildet sich die Samenflüssigkeit in den Genitalien; nicht so aber bei Männern,
die es genießen, dem Geschlechtsverkehr unterworfen zu werden - bei ihnen werde das
Sperma in kleinen Mengen und nicht unter Druck im Mastdarm abgesondert, und an der
1
Dieter Herold, "Gen-Technologie: Der achte Tag der Schöpfung", Ja. Zeitungsillustrierte (Hamburg) 22
2
The Basic Works of Aristotle (Hrsg. Richard McKean; New York, 1941) "Nicomachean Ethics" 1148b.15-20.
3
K.J. Dover, Homosexualität in der griechischen Antike, S. 150f; vgl. J. Boswell, S. 50; D.M. Robenson und E.J.
Seite 32
Diese Übereinstimmung ist nicht zuletzt damit zu erklären, daß der
zeitgenössische Trend, der den Kampf des Für und Wider der homosexuellen
Der niederländische Psychologe Gerhard J.M. van den Aardweg weist jedoch darauf
hin, daß endokrinologische und genetische Forschungen die Theorie einer Erbanlage
("einer wie auch immer gearteten hormonalen Dysfunktion oder somatischen Krankheit")
nicht belegen konnten, noch wurde Freuds "prädisponierender", d.h. vorher bestimmter,
(physischer oder physiologischer) Faktor nachgewiesen. Darum lasse sich nicht mehr
Gerhard J.M. van den Aardweg nennt als ihre Ursache eine psychologische Tatsache,
die er "für das Verständnis der Homosexualität als zentral" betrachtet: "Das mit der
jeder Neurotiker, leidet der homosexuelle Mensch unter dem Mechanismus eines
automatischen Selbstmitleides, dessen Ursprung in der Kindheit liegt und das einen
1
G.J.M. van den Aardweg, Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen, Neuhausen-Stuttgart: Hänssler,
1985, S. 62
2
Ebenda
Seite 33
Im weiteren führt er aus, daß ein "Autopsychodrama", d.h. die Fixierung auf ein Trauma,
das neurotische Selbstmitleid und dieses die Inversion bewirke.1 Diese Theorie beinhaltet
Eine marginale Notiz: Die Gegner des gleichgeschlechtlichen Lebens wünschen sich
solche Erkenntnisse, die ihnen das Werkzeug in die Hand legen würden, das homosexuelle
jedoch solche Forschungsergebnisse, welche das Coming Out der Homosexuellen auf der
ganzen Linie rechtfertigen.2 Entsprechend umstritten ist deshalb die Einordnung und
Bewertung der Homosexualität. Eine Gruppe von Sexualwissenschaftlern neigt dazu, sie
die Homosexualität als Krankheit im Sinne einer neurotischen Fehlentwicklung, die der
Therapie bedürfe.
(sexuelle Abweichung von der heterosexuellen Norm) angesehen werden. So wie ein
Organ krank ist, wenn es nicht mehr leistet, wozu es von der Organstruktur her bestimmt ist,
1
Ebenda, S. 62ff.
2
Vgl. G. Roth, "Homosexualität: Medizinisch" in K. Hörmann (Hrsg.), Lexikon der christlichen Moral (Innsbruck
3
Vgl. Dieter Faßnacht, "Sexuelle Abweichungen", aaO, S. 178, und z.B. Helmut Kentler, Repressive und
Seite 34
so ist auch eine Funktion krank, wenn sie nicht mehr gemäß der erkennbaren
Zusammenhänge arbeitet. Demnach darf sich der Perverse einer Therapie nicht entziehen.1
Sigmund Freud kam bekannterweise zum Ergebnis: Jeder Mensch mache verschiedene
würden. Wird ein Kind durch Erziehungsfehler auf einer bestimmten Entwicklungsstufe
Als Beispiel läßt sich das Verhältnis eines Kindes zu seinen Eltern anführen, meinte Freud
und erklärte:
Ist ein Knabe zu sehr an seine Mutter gebunden, kann er aus instinktiver Angst
vor dem Weiblichen seine sexuellen Spannungen in Richtung auf das männliche
Angst hat vor dem Vater, identifiziert ihn mit allen Männern und weicht ihnen aus,
und ihre Neigung richtet sich im sexuellen Entwicklungsalter nur auf Frauen.2
Klimmer, S. 63ff; Ch.W. Socarides, The Overt Homosexual, S. 22f, mit A.B. Warren, Identity and Community in the
2
Vgl. B. Harnik, "Gleichgeschlechtliche Liebe und Homosexualität" in Sieber Ernst (Hrsg.), H... S... der
Homosexuelle (Zürich-Frankfurt/M, 1964), S. 55f; vgl. Friedrich Keiter, Verhaltensbiologie des Menschen auf
Seite 35
der allgegenwärtigen Angst vor dem Ausdruck von heterosexuellen Impulsen
resultiert"; wobei die Schuld bei den Eltern zu suchen sei: beim zurückhaltenden,
und darf für seine gleichgeschlechtliche Liebe keinesfalls bestraft werden, sondern sollte in
Der Verhaltensforscher (Behaviorist) Burrhus Frederic Skinner, der durch das Studium
des Verhaltens von Lebewesen deren seelische Merkmale zu erfassen suchte, führte
Vorlage bzw. Vorzeichnung, die wir in der Kindheit erhalten haben. Die
Erwachsenen. 3
einen "Rekonditionalismus", (d.h. menschliches Verhalten läßt sich durch eine Serie von
1
Irving Bieber, Homosexuality: A Psychoanalytical Study (New York, 1962), S. 220.
2
Vgl. Jerry Kirk, The Homosexual Crisis in the Mainline Church (Nashville-New York, 1973), S. 80.
3
Ebenda, S. 81; vgl. B.F. Skinner, Walden Two (New York, 1948); Sigmund Freud, New Introductory Lectures
Seite 36
"Belohnung und Strafe“ -maßnahmen ändern, indem der Betroffene veranlaßt wird, die
belohnte Verhaltensweise zu praktizieren). Auch Charles Young schließt sich Freud und
Skinner an und meint: Homosexualität sei hauptsächlich eine erworbene Kondition und
David Lester wehrt sich einzig dagegen, daß man durch retrospektive Studien
über Homosexuelle deren Eltern für die quasi Fehlentwicklung schuldig spricht, ohne
sie oder andere Drittpersonen, die sicher relevante Informationen über die
Laut Alfred Adler soll die Homosexualität immer aus psychischen Quellen stammen,3
Mit solchen physischen Eigenarten meint man eigentlich den Schein, der die
und sei demnach auch eine Revolte des subjektiven Schwächeempfindens gegen
Forderungen, die sich aus dem gesellschaftlichen Leben ohne Zwang ergäben, und ziele
1
Vgl. Kenneth Gangel, The Gospel and the Gay (Nashville-New York, 1978), S. 126f; Paul Young, Motivation
and Behavior: The Fundamental Determinants of Human and Animal Activity (New York, 1936). Der Wissenschaft-
ler argumentiert, man gewinne Erkenntnisse über die menschliche Behavioristik nicht durch Selbstbeobachtung,
2
David Lester, Unusual Sexual Behavior: The Standard Deviations (Springfield, 1975), S. 71f.
3
Alfred Adler, Das Problem der Homosexualität und sexueller Perversionen, Frankfurt/M.: Fischer TB, Bd.
6337, 1981, S. 55
4
Ebenda, S. 88
Seite 37
2.4. Homosexualität als Alternative zur Heterosexualität
allen Menschen werde die narzißtische (Selbst-)Entwicklung durch den Bruch der
Lücke verursacht Angst, weshalb jeder danach strebt, sie auszufüllen, um "die Schönheit
des Bildes seiner selbst herzustellen".1 Irgendwann in der Kindheit macht der Mensch die
So hat die Überbetonung der Autoerotik eine ausgleichende Funktion zur Füllung der
Lücke, welche die Mutter-Kind-Einheitsstörung darstellt. Es kann aber auch das andere
Geschlecht die Repräsentanz zur Kompensation übernehmen, in welchem Fall sich eine
1
Fritz Morgenthaler, „Homosexualität“ in: V. Sigusch (Hrsg.), Therapie sexueller Störungen, Stuttgart:
2
Ebenda, S. 338f.
Seite 38
Die meisten Menschen sind in ihrer Selbstentwicklung praktisch gestört. Darum
Orgasmus in der großartigen Bestätigung der Kohärenz (der Vereinigung) des eigenen
Selbst.1
Mary Jane Sherfey vertritt die Hypothese, daß der menschliche Fötus ursprünglich
weiblich sei, bis er sich im Laufe der Schwangerschaft durch die Einwirkung von Androgen
männlich entwickle. Psychosexuell besteht laut Sherfey bei der Geburt kein Unterschied
"nachgeburtlich" völlig angelernt. Die Findung der Genus-Identität ist die erste
Identifizierung, die ein menschliches Wesen vollzieht, demnach die dauerhafteste und
weittragendste. Das Geschlecht ist zwar biologisch, der Genus jedoch psychologisch und
damit kulturell bedingt. So determiniert (bestimmt) die Umwelt, welches sexuelle Verhalten
Richtung der einen oder anderen sexuellen Orientierung tritt für den Menschen als
1
Vgl. F. Morgenthaler, "Die Stellung der Perversionen in Metapsychologie und Technik", Psyche 28 (1974):
1077-1098, mit Frances G. Wickes, Analyse der Kinderseele. Die Auswirkung elterlicher Probleme auf das
Unbewußte des Kindes (Olten-Freiburg, 1973), S. 228-241; Peter Martin, "The New Narcissism", Harper's (Okt.
1975), 45f.
2
M.J. Sherfey, "The Evolution and Nature of Female Sexuality in Relation to Psychoanalytic Theory", Journal of
the American Psychoanalytic Association 1 (1966): 43f; vgl. John Money, "Psychosexual Differentiation" in Ders.
Seite 39
Geschlechtshormone auf die Entwicklung der Bahnen sexueller Empfindung im
Erich Fromm wehrt sich vehement gegen die These, Homosexualität sei eine
gleichwertige Alternative zur Heterosexualität, und geht von einer Polarität des maskulinen
und des femininen Prinzips im Innern des Menschen aus. Der Mann wie die Frau findet die
Einheit in sich selbst nur in Gestalt der Vereinigung seiner bzw. ihrer weiblichen und
männlichen Polarität. Diese Polarität ist laut Fromm auch die Grundlage jeder Kreativität. Im
Liebesakt zwischen Mann und Frau werden daher beide wiedergeboren. Die
homosexuelle Abweichung von dieser Norm entsteht dadurch, daß die polarisierte Ver-
einigung nicht zustandekommt. Hierdurch leidet der Homosexuelle unter dem Schmerz der
nicht aufgehobenen Getrenntheit, wobei es sich übrigens um ein Unvermögen handelt, das
er mit dem durchschnittlich heterosexuell Veranlagten, der nicht lieben kann, teilt. Erich
2.5. Schlußfolgerung
Damit habe ich einige Pros und Kontras zu den bestehenden Theorien über die
kausalen Faktoren der Homosexualität aufgezeigt. Klar scheint jedenfalls zu sein, daß
bezüglich der Ursachen der Homosexualität noch keine Einstimmigkeit unter den
1
John Money, "Statement on Antidiscrimination Regarding Sexual Orientation", SIECUS Report 6 (Sept. 1977):
3, zitiert von Letha Scanzoni und Virginia Ramey Mollenkott, Is the Homosexual My Neighbor? Another Christian
2
Erich Fromm, Die Kunst des Liebens (Zürich, 1982), S. 44; Alexander Mitscherlich, Auf dem Weg zur
Seite 40
Wissenschaftlern besteht. Grundsätzlich muß ja gelten, daß jede These, für die keine
Rudolf Seiß geht davon aus, daß die Homosexualität einem Hängenbleiben in der
Entwicklung von der Auto- über die Homo- zur Heteroerotik gleichkommt. Er referiert: "Der
Perverse ... bleibt auf dem Wege zu ihr (d.h. zur Heteroerotik) durch Fixierung stecken. Er
wagt nicht dieses Sich-Hingeben."2 Der katholische Moraltheologe Karl Hörmann geht mit
Seiß konform und meint ebenso, die Homosexualität sei Ausdruck des Steckenbleibens im
sexuellen Reifungsprozeß, in dem der Betreffende nicht von der Ich-Einstellung oder
Partner entferne man sich weniger vom eigenen Ego als in der Beziehung zum
andersgeschlechtlichen.3
Die meisten Mediziner basieren ihre Arbeiten nach wie vor darauf, daß Heterosexualität
der biologischen Beschaffenheit des Menschen entspricht und das medizinisch Normale ist.
So weist Gottfried Roth darauf hin, daß die angemessene Funktion der männlichen und
weiblichen Sexualorgane nur in dieser Korrelation gewährleistet ist, tendiert doch der
Sexualtrieb - seinem Sinn folgend - zum heterosexuellen Partner. Die sexuelle Liebe lasse
sich aber nicht ausschließlich vom Somatischen her definieren, sondern sei der Höhepunkt
im Ausdruck personaler Liebe zwischen Mann und Frau. Die Ehebeziehung ist laut Roth
1
Vgl. David Gelman, Donna Foote, Todd Barrett und Mary Talbot, „Born or Bred?“ in: Newsweek , Vol. CXIX,
2
Rudolf Seiß, Sexualerziehung..., S. 119; vgl. W.H. Gillespie, "Symposium on Homosexuality", International
3
Karl Hörmann, "Homosexualität: Moraltheologisch" in: Ders. (Hrsg.), Lexikon der christlichen Moral, S. 820-
Seite 41
nicht nur sublimierte Sexualität, sondern umfasse durchaus auch "integrierte Sexualität als
• Einleitende Gedanken
mitzuwirken, beruht bei meisten Spezialisten auf der bejahenden Akzeptanz des
homosexuellen Verhaltens, wobei diese Akzeptanz auch religiös begründet worden ist.
Die verbreitete Auffassung, daß Jesus die Diskriminierung der Menschen aufgehoben
und jeden in seinem So-sein akzeptiert habe, verknüpft häufig die Folgerung, daß er
bestätigt habe. Das ist aber unzutreffend, wie der ehemalige Landessuperintendent
sah, bedeutete das für ihn eine große Befreiung. Eine Befreiung, die ihn
1
G. Roth, "Homosexualität: Medizinisch", aaO, S. 818; K.H. Wrage, Mann und Frau (Gütersloh, 1960), S. 40ff.
2
H. Hirschler, "Ein Homosexueller als Pfarrer?", Evangelische Zeitung (Hannover), 29. Juli 1979.
Seite 42
Konträr zur Position Jesu ist der Slogan "Homosexualität ist beautiful" (schön), mit
dem ein Sexualwissenschaftler oder Theologe den Homosexuellen auf seinen Weg
fixiert.1
nur eine Methode dar, den jeweiligen homosexuellen Menschen überhaupt nicht
wahrzunehmen. Ist er aber als Person angenommen, gewinnt er erst die eigentliche
Freiheit, sich den für ihn richtigen Weg zu suchen. Die Alternative einer Reorientierung
Absicht, daß die Teilnehmer eine sexuelle Reorientierung erarbeiten sollten. Die
auf der Basis einer Erläuterung der biblischen Sexualprinzipien: Sie soll die
1
K.K. Dion, E. Berscheid und E. Walster, "What Is Beautiful Is Good", Journal of Personality and Social
2
Vgl. Simon Th. Dijkstra, "Ein neuer Weg auch für Homosexuelle", Ethos (Berneck) 7 (1986): 20-23, mit:
Michael W. Ross, The Married Homosexual Man (London etc., 1983), S. 119-1; ebenso oben, A.P. Bell, Anm. 99.
Seite 43
und bleibende Abwendung von der homosexuellen Identität zur Folge.1 Es wurden
wecken und homosexuelle Personen so zur Sublimierung (gemeint ist die Umpolung)
Homosexuellen erbracht, die John Harvey in der katholischen Kirche in den USA
Erarbeiten des Zieles, ein voll integriertes Leben zu finden, unterstützen. Eine Gruppe
kommt wöchentlich für zwei Stunden zusammen. Die erste Stunde ist für Gebet,
Meditation, biblische Reflexion und das Austeilen der Kommunion reserviert, in der
zweiten findet ein intensiver Gruppendialog statt. Ausgangspunkt ist das "Bekenntnis"
der eigenen Homosexualität, die nun aber, als nicht selbstgewählt, akzeptiert wird. Zur
Leben angestrebt wird, wie Harvey formuliert.3 In der Gruppe läßt jeder den andern an
seiner Existenz teilnehmen. Hier darf und soll er sich selbst sein, seinen tiefsten
Emotionen Ausdruck geben, ohne Angst vor Ablehnung haben zu müssen. Der Aus-
weitere relevante Themen haben sich als hilfreich erwiesen. Zudem kann Gottes Wort in
1
E.M. Pattison und M.L. Pattison, "'Ex-Gays', Religiously Mediated Change in Homosexuals", American Journal
2
C. Roback, E. McKee und D. Calhoun, "Group Psychotherapy with Homosexuals. A Review", International
3
J. Harvey, "Pastoral Responses to Gay World Questions" in W.D. Oberholtzer (Hrsg.), Is Gay Good? Ethics,
Seite 44
der Begegnung von Menschen Realität werden.1 Die gelegentliche Anwesenheit
Vorurteile und Antipathien abbauen helfen. So erlebte Annahme kann den "Ex-
nicht nur den Personen, keusch zu bleiben, sie mildern auch die Einsamkeit."3 Die
demzufolge die menschliche sexuelle Aktivität zwischen Mann und Frau, nicht zwischen
Männern bzw. zwischen Frauen geschaffen wurde. Harvey ist überzeugt, "daß Gott
jedem Menschen ein Übermaß an Gnade gibt, sein Gesetz einhalten zu können".4
1
W. Müller, Homosexualität, eine Herausforderung..., S. 109; vgl. J. Ratzinger, "Theologie und Ethos" in K.
2
Vgl. Lawrence J. Crabb, Die Last des andern. Biblische Seelsorge als Aufgabe der Gemeinde (Basel-Gießen,
1984), S. 138f.- A. Ellis geht davon aus, daß die meisten exklusiven Homosexuellen im Grunde psychotisch seien,
was sich als Überängstlichkeit gegenüber heterosexuellen Verbindungen manifestiert. Darum geht Ellis in der
Therapie gegen neurotische Motivationen an, die "hinter der Homosexualität liegen": Ist eine fixierte
Homosexualität erlernt, so kann sie auch verlernt werden, meint er. Siehe: A. Ellis, Reason and Emotion in
Psychotherapy (Secaucus, 1977), S. 241-247. Aufgrund seiner Diagnose spricht sich Ellis gegen Gruppentherapie
aus.
3
Zitiert von W. Müller, Homosexualität, eine Herausforderung..., S. 107; ebenso: J. Harvey, "Group Support in
Helping the Ho-mosexual to Live a Fully Integrated Life" in K. Leopold und T. Orians (Hrsg.), Theological Pastoral
4
W. Müller, Homosexualität, eine Herausforderung..., S. 107; J. Harvey, "Group Support...", aaO, S. 26. S.B.
Hadden meint seinerseits auch: "Ich kann das nicht abkaufen, daß der homosexuelle Lebensstil zufriedenstellend
ist. Da gibt es kurze Beziehungen, dramatische Trennungen und kein Gefühl der Verantwortung." Zitiert von W.
Müller, aaO S. 45. Ebenso: S.B. Hadden, "Interview" in A. Karlen (Hrsg.), Sexuality and Homosexuality (New York,
Seite 45
2. Die positive kirchlich-dogmatische Therapie
Praktiken nach sich. Professor Richard Foster argumentiert: Auch wenn man die
statistischen Befunde der Sexualwissenschaft zur Kenntnis nimmt, nämlich daß rund
fünf Prozent der Männer und rund zweieinhalb Prozent der Frauen einen chronischen
christlichen Kirche dennoch nicht der Versuchung erliegen, (zumindest) die "konstitutio-
nelle" Homosexualität anders denn als Devianz von Gottes Intention einzuordnen.2
Denn auch wenn ein Homosexueller nicht für seine sexuelle Neigung verantwortlich ist,
so ist er doch zweifellos dafür verantwortlich, was er tut. Ferner gibt Foster zu bedenken:
hingewiesen, daß der Entschluß, sich der Lehre der Kirche zu unterstellen und sie voll
1
Masters und Johnson, Homosexualität, Franfurt/M.: Ullstein, 1979, S. 19f.
2
R. Foster, Geld, Sex und Macht, Wuppertal-Kassel: Oncken, 1987, S. 95f. ; vgl. J. Raboch und K. Nedoma,
"Sex Chromatin and Sexual Behavior", Psychosomatic Medicine (New York) 20 (1958): 55-59.
3
R. Foster, S. 96; vgl. F.M. Pattison und M.L. Pattison, "'Ex-Gays'. Religiously Mediated Change in
Seite 46
zu akzeptieren, bei einer beobachteten Gruppe von Männern zu einer Reduzierung der
oder aber jene Personen, die aktiv in einer Kirche integriert wurden, waren
mit ihrer Neigung umzugehen: Sie bewältigen sie entweder durch Änderung oder
durch Kontrolle ihrer homosexuellen Orientierung - oder sie üben diese aus. Zur
dritten Variante merkt Foster an: Die christliche Gemeinde kann solchen, die sich
unfähig fühlen, ihre Inklination zu verändern oder das Zölibat zu wählen, nicht
beibehalten bzw. gewährt werden.2 Doch glaubt Ted D. Evans, man dürfe niemals die
Hoffnung auf "Umpolung" der Homosexuellen aufgeben und müsse alles unternehmen,
1
Ph. Feldman und M. MacCulloch: Human Sexual Behaviour, S. 102; vgl. F. Henriques, Modern Sexuality
2
R. Foster, S. 97; vgl. H. Thielicke, Theological Ethics: Sex, S. 282; vgl. dagegen: Karl Barth, Church
Seite 47
um sie bis zur heterosexuellen Ehe hinzuführen, wobei man die auftretenden
Betracht, so wird man um so weniger ignorieren dürfen, daß in den christlichen Kirchen
eine gewisse Homophobie nicht zu verneinen ist. Richard Lovelace plädiert mit Grund
für mehr Einfühlungsvermögen der Christen in die Lage jener Homosexuellen, die mit
ihrer Neigung im Dauerkonflikt leben, eben weil sie diese zu überwinden suchen. Die
Integration solcher Personen in den kirchlichen Kontext und die Anteilnahme an ihren
Kämpfen würde das Leben homosexuell orientierter Christen erleichtern und ihnen
helfen, die Alltagsprobleme zu bewältigen2 - womit wir bei einem weiteren Aspekt einer
Der Leiter des Quest Learning Center in Pennsylvania, selbst ein Homosexueller,
werden. Jeder müsse sich nämlich seiner Sündhaftigkeit bewußt werden, die sich auch
das Nein zu homosexuellen Handlungen aus, meinen die Mediziner E. Mansell Pattison
1
T.D. Evans, "Homosexuality: Christian Ethics and Psychological Research", Journal of Psychology and
2
R. Lovelace, "The Active Homosexual Lifestyle and the Church", Church and Society (New York) 5 (1977): 24-
39.
3
C. Cook, "Homosexual Healing. Interview with C. Cook", Ministry. A Magazine for Clergy (Hagerstown) 9
(1981): 4-13.
Seite 48
und Myrna Loy Pattison vom Department of Psychiatry and Health Behavior des Medical
College of Georgia. Sie haben im Dezember 1980 von elf Männern berichtet, die
Der katholische Theologe J. Harvey und sein protestantischer Kollege D.S. Browning
meinen, daß die Mehrheit der Homosexuellen ihre Orientierung zwar nicht wählen, aber
die Freiheit besitzen, sich homosexueller Akte zu enthalten. Auch wenn diese Freiheit
bei vielen begrenzt ist, sind sie jedenfalls zu intensiven Freundschaften mit anderen
Personen fähig, ohne die Beziehung genital zum Ausdruck zu bringen. Dies nicht zu tun,
stellt nicht etwa einen Verlust an Menschlichkeit dar. Denn in der gegenseitigen
Die theologische Prämisse der Mann-Frau-Beziehung und der Ehe schließt die
Akzeptanz von Menschen mit homosexueller Orientierung durch Christen nicht aus,
1
E. Mansell Pattison und Myrna Loy Pattison: „Exgays’ Religiously Mediated Change in Homosexuals“ in:
2
J.F. Harvey, "Chastity and the Homosexual", The Priest (Huntington) 33 (1977): 10-16; ders., "Homosexuality
and Vocations", American Ecclesiastical Review (Washington) 164 (1972): 42-55; D.S. Browning, "Homosexuality,
Theology, the Social Sciences and the Church", Encounter (London) 40 (1979): 223-243, hier: 240-243.
3
Philip S. Keane, Sexual Morality. A Catholic Perspective (New York, 1977), S. 80ff.
4
B.A. Williams, "Homosexuality and Christianity. A Review Discussion", The Thomist (Baltimore) 46 (1982):
609-625.
Seite 49
S. Cahill1, Charles Curran2, Don Spencer Browning3 und andere. Henry Nouwen geht
zudem davon aus, daß der Homosexuelle zu seinen Gefühlen stehen müsse, denn nur
3. Anti-Selbstmitleidstherapie
Gerard J.M. van den Aardwegs Anti-Selbstmitleidstherapie wurde stark durch Hugh
Missildines Werk „In dir lebt ein Kind“ beeinflußt. Laut Missildine lebt das Kind von einst
Persönlichkeit, als selbständiges Ich. Dieses "innere Kind von früher" ist ein
wucherndes, plärrendes, lärmendes Wesen, das trödelt, mogelt und lügt, "um dem
zu entkommen, was es nicht mag".5 Die sexuellen Erlebnisse des "inneren Kindes von
einst" werden unweigerlich durch die spezifische Haltung der Eltern geprägt. So lebt
dann die Sexualität des Kindes beim "inneren Kind" in der Schale des Erwachsenen - im
1
L.S. Cahill, "Moral Methodology: A Case Study", in R. Nugent (Hrsg.), A Challenge to Love (New York, 1983),
S. 78-92.
2
Ch. Curran, "Homosexuality and Moral Theology, Methodological and Substantive Considerations", The
3
D.S. Browning, aaO S. 239f.
4
H. Nouwen, "The Self-availability of the Homosexual" in W.D. Oberholtzer (Hrsg.), Is Gay Good?, S. 204-212,
hier: S. 211.
5
W. Hugh Missildine, In dir lebt das Kind, das du warst (Stuttgart, 1982), S. 12.
Seite 50
Übertriebene sexuelle Anregung entwickelt sich entweder aus einem elterlichen
Verbot sexueller Interessen und Betätigungen oder aus der unterschwelligen sinnlichen
Versuchung und übermäßigen Reizung der sexuellen Gefühle des Kindes durch die
Eltern.1
Aardweg ergänzt lediglich mit der These des Autopsychodramas, d.h. vom sich
unterworfen ist, denkt und fühlt teilweise wie ein sich bemitleidendes Kind, d.h. wie es
früher einmal wirklich war, insofern diese Züge "zu seinem Drama gehören oder damit
verbunden sind".2
Von Sigmund Freud übernimmt Aardweg die Begriffe "polymorph pervers" und
weil es sich hier nur um eine Entwicklungsstufe handelt, wird diese Ausrichtung mit
Form der Geschlechtlichkeit.4 Im Homosexuellen steckt "das innere Kind von früher",
1
Ebenda: "Sexuelle Anregung", Kap. 18, S. 329-356; Zitat: S. 333; vgl. S. Freud, Vorlesungen zur Einführung
in die Psychoanalyse, S. 289f. Ebenso: G.J.M. van den Aardweg, Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen, S.
103; C.S. Blum, Psychoanalytic Theories of Personality (New York, 1963), S. 73f.
2
Aardweg, Das Drama..., S. 107 u. 63-65.
3
Ebenda, S. 45f; vgl. S. Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 166, 276f.
4
Aardweg, Das Drama..., S. 354.
Seite 51
das "unausgereift" einen versteckten Groll über ungerechtfertigte Erniedrigungen und
ungerechte Behandlung in der Kindheit mit sich trägt. Das "innere Kind" entwikkelt einen
Minderwertigkeitskomplex, wobei sein Drama lautet: Ich bin nicht so männlich (bzw.
weiblich) wie die andern. Zu diesem Drama haben diverse Umweltfaktoren und
eine Phase durchlebte, in der er sich einsam und minderwertig fühlte. Die daraus
erwachsene, sich verselbständigt habende Klage über seine Minderwertigkeit als Mann
hat eine schmerzliche Sehnsucht nach der Liebe und Nähe anderer Männer geweckt.1
geben: Das Erwachsenen-Ich, aus dem die heterosexuellen Gefühle kommen, und das
"klagende Kind", das für die homosexuellen Neigung verantwortlich ist. Doch beherrscht
das "klagende Kind" im bisexuellen Menschen den Bereich der sexuellen Gefühle nicht
Zur Frage des Transvestitismus meint Aardweg, dieser scheine parallel zu einer
Identifikation mit der Passivität des Weiblichen aufzutreten und sei deshalb meistens mit
diesem sowie weiteren Büchern beschreibt Solomon psychologische und emotionale Probleme aufgrund offener
oder verdeckter Ablehnung in der Kindheit, u.a. die Unfähigkeit, Frauen zu vertrauen (aaO, S. 24) oder sich als
Erwachsener zu verhalten (S. 51f); die Depression aus "launischem Koller" (S. 44), die homosexuelle Beziehung
2
Aardweg, Das Drama..., S. 273; vgl. dagegen Charlotte Wolff, Bisexualität (Frankfurt/M., 1979), S. 37, wo die
Autorin sagt: "Die Bisexualität ruft im Menschen und in den Tieren Spannungen hervor, ohne die die Evolution und
der Dynamismus der Lebewesen erlahmen würden. Nichts existiert ohne Polarität."
3
Aardweg, Das Drama..., S. 285; vgl. dagegen: F. Morgenthaler, Homosexualität, Heterosexualität, Perversion,
S. 32-35.
Seite 52
Die Neigung des Pädophilen erklärt Aardweg aus der Sehnsucht nach intimer
nennt sie einen "Aufschrei" nach Zugehörigkeit zu deren Gruppe und Annahme durch
sie. Hinter seiner Zuneigung verbergen sich Minderwertigkeitsgefühle und die unreife
Haltung des Bettelns um Liebe.1 Das Autopsychodrama des Pädophilen verrät, daß ein
Teil seiner Persönlichkeit auf dem infantilen Niveau geblieben ist. Seine
"Einsamkeitsklage" soll die gravierendste sein. Bei ihm kann das Gefühl des
Abgelehntseins leicht Haß, verzweifelte Wut oder Rachsucht hervorrufen, die wiederum
Die lesbische Frau hegt in sich ein "inneres Kind von früher", das sich entsprechend
(mädchenhaft) wie andere" oder: "Ich gehöre nicht in die Welt der Frauen!" Aus dieser
Perspektive soll sie den Körper und/oder die Persönlichkeit anderer Mädchen oder
1
Aardweg, Das Drama..., S. 296f; vgl. Parker Rossman, "The Pederasts" in Erich Goode und Richard Troiden
(Hrsg.), Sexual Deviance and Sexual Deviants (New York, 1974), S. 396-409.
2
Aardweg, Das Drama..., S. 297-299; vgl. dagegen Michel Foucault, Die Sorge um sich (Frankfurt/M., 1986), S.
241-297.
3
Aardweg, Das Drama..., S. 325ff; vgl. aber F.E. Kenyon, "Studies in Female Homosexuality: Psychological
Test Results", Journal of Consulting and Clinical Psychology (Washington) 5 (1968): 510-513.
Seite 53
Individuen; doch nennt er sie in anderem Zusammenhang eine "neurotische
Kondition".1
Der erste Schritt der Anti-Selbstmitleids-Therapie besteht darin, daß der Klient sein
neurotisches Gefühl, das Unbehagen bzw. seine Klagen als Wirklichkeit erlebt. Der
Therapeut führt Beispiele an, "was bei einem verselbständigten Klagezwang abläuft"
und wie das Selbstmitleid sich äußert, nämlich in "somatischen Klagen": "Ach, ich
Armer, ich bin nichts wert!" sowie in übersteigerter Kritik: "Mit ihm ist nichts los!" oder:
"Es ist alles nutzlos" - was wieder Stoff für das Selbstmitleid hergibt: "Und ich Armer
muß darunter leiden..."2 So versucht die Therapie durch psychoanalytische Deutung der
eine Gehirnstruktur das stetige Bedürfnis nach Stimulation anmelden, wobei sie zur
Befriedigung negative Gefühle bzw. Klagegründe braucht, auch wenn der Neurotiker
angenehme Lebensumstände hat: "Es findet ein Suchen nach Dingen statt, über die
Interviews erfolgen. Der Therapeut wird daran interessiert sein, eine Anamnese des
Klienten zu erstellen, welche die Umstände der Kindheit, das Auftreten der ersten
1
Aardweg, Das Drama..., S. 46f, 321f. Man erkennt unschwer, daß Aardweg A. Adlers "Lebensplan" modifiziert
und übernimmt. Vgl. A. Adler, Das Problem der Homosexualität..., S. 29, 42f, 53-74.
2
Ebenda; vgl. Alfred Adler, Studie über Minderwertigkeiten von Organen (Frankfurt/M., 1977), S. 32ff.
3
Aardweg, Das Drama..., S. 383f; vgl. Heinz Dirks, Psychologie. Eine moderne Seelenkunde (Gütersloh-Berlin-
München-Wien, 1972), S. 135f. Dr. Dirks meint (S. 136), die mißglückte Erlebnisverarbeitung führe zu
Seite 54
Tagträume ebenso festzuhalten sucht wie die Personentypen, zu denen er sich
Aardweg räumt ein, die Heilung einer Neurose sei langwierig und dauere
vierzehntägige) Sitzungen von etwa einer Stunde, die darauf zielen, die infantilen
Klagen des Klienten zu zerstören. Sobald das Selbstmitleid neutralisiert ist, wird die
Ein wichtiger Faktor bei dieser Therapie ist, den Klienten zur Selbstbeobachtung zu
motivieren, d.h. er muß seine Gedanken, Gefühle und Verhalten auf Äußerungen
infantiler Klagen hin beobachten. Sie ist eine conditio sine qua non, d.h. eine
kann der Klient erkennen, wie sehr er sich wie ein Kind bedauert, "über sich geweint,
paradoxerweise dann, "wenn die Klagesucht verblaßt ist".3 Der Therapeut leitet den
1
Aardweg, Das Drama..., S. 383; vgl. J. Cremerius, "Gibt es zwei psychoanalytische Techniken?", Psyche 33
(1979): 577-599; S. Freud, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 279-284; M. Muck, "Übertragung und Gegenübertragung"
2
Aardweg, Das Drama..., S. 384f.
3
Ebenda, S. 387; vgl. S. Mentzos, Neurotische Konfliktverarbeitung, S. 287ff.
Seite 55
wobei jeder seine individuellen Anhaltspunkte entdeckt, anhand derer er in Gefühlen
oder Gedanken die Klagesucht "am Werk" sehen kann. Bringt er die eine Art von Klage
Auch Aardweg hebt hervor, daß man einem Homosexuellen nicht zur Umpolung
verhelfen kann, wenn er nicht selbst den Willen dafür aufbringen will: „Der Wille des
Klienten muß es letztlich sein, der zu bestimmten Impulsen 'nein' und zu anderen 'ja'
sagt. Unsere Methoden und Techniken bestimmen lediglich, wie 'nein' oder 'ja' gesagt
wird“.2
Doch kann der Wille gestärkt werden, indem der Therapeut dem Klienten die
Einsicht vermittelt, wie wenig wünschenswert ein spezifischer Zustand ist, und ihm
erklärt, wie sich eine Neurose entwickelt und wie der Klient nach deren Neutralisierung
zur Aussicht auf größere innere Zufriedenheit gelangen kann, und zwar in Verbindung
Effekt, da der unreife Charakter vieler Gefühle und Verhaltensweisen erkannt und
benannt wird. Das eindeutige Zugeben jedoch "beinhaltet ... bereits den bewußten
1
Aardweg, Das Drama..., S. 388-398.
2
Ebenda, S. 409f.
3
Ebenda, S. 408f; vgl. Karen Horney, Die Psychologie der Frau (München, 1977), S. 222-242; K. Horney, "Das
Seite 56
Versuch, sich von ihnen zu distanzieren".1 Der Klient wird motiviert, seine neurotischen
Gefühle nicht nur verbal zu äußern, sondern auch aufzuschreiben. So realisiert er, wie
sehr sein Denken, Fühlen und Verhalten von seiner infantilen Klagesucht mitbestimmt,
wenn nicht gar total dominiert ist. Mit Humortechniken läßt sich das erkannte
Verfahren der Anti-Selbstmitleidstherapie. Der Klient übt, sich über die von ihm
beobachtete und analysierte Klage des "neurotischen Kindes" lustig zu machen. Der
Anlaß für die Klage wird vom "Erwachsenen" vor dem "klagenden Kind" hyperbolisch
wiederholt, wobei diese Hyperdramatisierung an den Sinn für Komik appelliert. Der
Neurotiker, der über seine neurotischen Äußerungen bzw. über seinen Infantilismus
zunächst wie ein unreifes Ich zu lachen beginnt, ist auf dem Weg zur Genesung. In
solchen Momenten erlebt er einen Akt der Befreiung, indem er die Bindungen an seine
Egozentrik überwindet.2 Aardweg erläutert, daß die Nervensysteme, welche die Reize
zum Lachen und Weinen weiterleiten, sich zum Teil überschneiden. Psychologisch ist
sehr nahe beieinanderliegen können, auch wenn eine dieser emotionalen Reaktionen
Tonfall, Mimik und Gestik vor. Das Ausschimpfen und symbolische Verprügeln des
1
Aardweg, Das Drama..., S. 411; vgl. H. Kohut und E. Wolf, "Die Störungen des Selbst und ihre Behandlung" in
Psychologie des 20. Jhdts., Bd. 10 (1980), S. 667-682, mit Raymond A. Moody, Lachen und Leiden. Über die
2
Aardweg, Das Drama..., S. 412-424.
3
Ebenda, S. 425.
Seite 57
"klagenden Kindes" soll ebenfalls heilsam wirken, indem der Klient beim Auftreten
Krieche doch hin zu diesem Idol, du Baby! Drücke dein glitschiges Gesicht
gegen seines. Aus deinem versabberten Heulmund rinnt der Speichel, während
du mit deiner dicken Zunge blökst und schreist: "Liebe mich! Liebe mich!"1
Festigkeit; parallel dazu wandelt sich die Einstellung gegenüber dem andern
Dominierens etc., das so lange Zeit nicht zum Zuge kam, weil das "innere Kind" es
unterdrückte, schließlich aktiv. Aus dem Gefühl, ein Mann zu sein, erwächst das
Bereichs. Die Veränderung der sexuellen Gefühle tritt mit Sicherheit ein, wenn ein Klient
1
Ebenda, S. 437-442; hier: 440.
2
Ebenda, S. 446-457.
3
Ebenda, S. 462. Die oben skizzierte Therapie gilt für Männer und Frauen gleicherweise.
Seite 58
4. Therapie nach Masters und Johnson
Der Gynäkologe William Howell Masters wirkte seit 1947 an der Washington-
Nach Masters und Johnson hängt die sexuelle Orientierung einzig von der
Geschlechtsrolle ab, die eine Person als Kind erlernt hat. Masters und Johnson betonen:
„Für alle, die in medizinischen und psychologischen Berufen mit den Problemen
der sexuellen Präferenz zu tun haben, ist es unerläßlich, sich darüber klar zu sein,
daß der homosexuelle Mann oder die Frau durch genetische Determination
zunächst ein Mann oder eine Frau ist und erst durch erlernte Präferenz
homosexuell ist. Ein heterosexueller Mann oder eine Frau ist im gleichen
Wesenszug zuerst ein Mann oder eine Frau durch genetische Determination, und
Diese Theorie des "radikalen Behaviorismus", die Masters und Johnson verfechten,
hat ihre Impulse in den Forschungsarbeiten von John Money und Anke A. Ehrhardt.
Sie berichten u.a. von einem Knaben, der bei der Beschneidung durch einen
1
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 238f.
Seite 59
Kunstfehler (eine Verbrennung) seinen Penis einbüßte und darauf operativ in ein
Mädchen "verwandelt" wurde. Man erzog das Kind als Mädchen, und seine Reaktionen
und Einstellungen wurden total feminin, ebenso sein Aussehen. So folgern die Autoren:
Familie und Gesellschaft zwingen dem Kind ihre konditionierten und konditionierenden
Ideen auf und beeinflussen oder verformen die Art und Weise, wie es sein Selbstbild
wahrnimmt.1 Dieselben Forscher haben auch Daten über Hermaphroditen erhoben und
der sie erzogen wurden, und nicht mit ihrem genetischen Geschlecht.2
Allerdings schließen Masters und Johnson nicht aus, daß ein genetischer Einfluß die
potentielle Tendenz eines Mannes oder einer Frau, eher auf homo- als auf
Das Masters-Johnson-Institut in St. Louis nahm 1969 bis 1977 insgesamt 151
homosexuelle Männer und Frauen zur Behandlung auf. Man teilte sie gemäß ihren
Problemen bzw. Störungen in zwei Kategorien ein: einerseits Personen mit Impotenz,
die Termini Konversion (Therapieziel von Personen mit wenig oder keinen heterose-
xuellen Erfahrungen; Kinsey-Skala 5 oder 6) und Reversion (bei Personen mit den
1
Zitiert von Ch. Wolff, Bisexualität (Frankfurt/M., 1979), S. 72, wo sie auch folgert: "Der Mensch ist ein von
seiner Kultur geformtes Artefakt." Vgl. J.Money und A.A. Ehrhardt, Männlich, weiblich: Die Entstehung der
2
J. Money und A.A. Ehrhardt, Man and Woman, Boy and Girl, S. 178f; vgl. J. Money und R.J. Gaskin, "Sex
3
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 239.
Seite 60
Kinsey-Werten 2-4). Die Hilfesuchenden hatten offen oder heimlich als Homosexuelle
gelebt, wobei manche der letzteren verheiratet waren und als heterosexuell gegolten
Patienten mußten "ein hohes Maß an Motivation" für eine Konversion bzw. Reversion
andersgeschlechtlichen Partner mit in die Therapie bringen, "der eine wichtige Hilfe zur
Ärzteteam, negative physische und metabolische Faktoren zu erkennen, die bei Klagen
interviewte die Patienten während der ersten zwei Tage, studierte die Verhaltensweise
und sammelte Hintergrundinformationen. Dann besprach das behandelte Paar, d.h. die
Material aus der Erhebung der "psychosexuellen und sozialen Vorgeschichten" sowie
1
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 211.
2
Ebenda, S. 225 vgl. S. 239.
3
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 226. Laut R.C. Kolodny setzte man vor 1970 zwei Tage für die
Erhebung der Anamnese ein, in den 70er Jahren nur noch einen Tag. R.C. Kolodny, "Evaluating Sex Therapy:
Process and Outcome at the Masters and Johnson Institute", Journal of Sex Research (Philadelphia), 4 (Nov. 1981):
Seite 61
Es folgte eine zweiwöchige Intensivbehandlung mit täglicher Therapie. Ziel war, den
vor dem Partner oder der Partnerin zu verbergen".2 Ruhig, kontrolliert und positiv
konfrontierte ein Therapeut den Patienten mit dessen Ängsten und leitete ihn an, sich
mit Anatomie, Physiologie der Sexualität und den psychosexuellen Bedürfnissen der
Eine ganze Reihe psychosozialer Einflüsse wurden nach und nach neutralisiert.
Schon parallel dazu begann für den Klienten die Auseinandersetzung mit der
sinnlichen Genusses wurde erreicht, indem der Klient seinen Körper zum Vergnügen
erlebte und die Partnerperson dem Klienten erlaubte, zu seinem Vergnügen mit ihrem
Körper umzugehen, wobei die Genitalien zunächst "verbotene Zonen" und vom
1
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 320.
2
Ebenda, S. 321; vgl. Masters und Johnson, Human Sexual Inadequacy, S. 10-13.
3
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 315, vgl. S. 244ff sowie Masters und Johnson, Human Sexual
Inadequacy, S. 189f.
4
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 331f.
Seite 62
beim Klienten im sensate focus (Empfindungszentrum) nur noch angenehme
Empfindungen auf, setzte das Paar das Streicheln fort; die homosexuelle Person konnte
den Ausdruck sexueller Erregung bei der Partnerperson weiter beobachten und gab die
Zuschauerrolle auf, wenn eigene sexuelle Erregung ohne Leistungsdruck erlebt wurde:
Dann näherte der Klient sich der Partnerperson mit der Absicht zum sexuellen Akt.1
Masters und Johnson vermerken, daß jeder therapeutische Erfolg davon abhing, wie
konnte. Wenn z.B. ein bisexueller Mann wahrnahm, was ihm die Beziehung zu seiner
Frau bedeutete, "neutralisierte er seine homosexuelle Neigung von sich aus".2 Darum
hänge die Möglichkeit, heterosexuell zu werden, nicht nur vom Grad der subjektiven
Motivation zur "Konversion" bzw. "Reversion" ab, "sondern von der Aussicht auf
Meine Kritik richtet sich gegen die Annahme von Masters und Johnson, das Glück
einenden und formenden Prinzips der Liebe erleben lasse.4 Sie schreiben: Der Mensch
1
G. Arentewicz und F. Pfäfflin, "Sexuelle Funktionsstörungen aus verhaltenstherapeutischer Sicht" in V.
Sigusch (Hrsg.), Therapie sexueller Störungen, S. 27-53, hier: 50; Masters und Johnson, Homosexualität, S. 315f u.
333.
2
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 313.
3
Ebenda, S. 316.
4
Bereits im 17. Jh. plädierten katholische Theologen für eine Neuorientierung in Fragen der Sexualität. Man
betrachtete z.B. die Ehe immer mehr als Vehikel "zur Vermeidung der Unzucht" und "um der Lust willen". So
entstanden schon damals die Thesen von der Sündlosigkeit der sexuellen Interaktion, wo das Lustempfinden im
Seite 63
besitzt „die Fähigkeit zum Erreichen des Orgasmus. Diese Möglichkeiten bleiben bei
heterosexueller wie bei homosexueller Interaktion in ihren Funktionen gleich. Wenn ein
Mann oder eine Frau einen Orgasmus erreicht, reagiert er oder sie auf sexuelle Stimuli
vaginaler oder rektaler Koitus heißt - und auch unabhängig davon, ob der sexuelle
Partner vom gleichen oder vom anderen Geschlecht ist.“1 Dieser Annahme kann ich
persönlich nicht folgen. Den eine sinnvolle Sexualbeziehung zwischen den Partnern ist
weit mehr als nur der sexuelle Höhepunkt - in ihr wird nämlich die recreatio und regene-
ratio (Erholung und Erneuerung) der leiblichen, seelischen und geistigen Lebenskräfte
im Bund der Liebe ist Spiel und Fest, aber die Quelle der Festesfreude und des Spieles
ist Treue und fruchtbare Liebe."2 Gerade diesen Sinngehalt läßt das Therapieziel von
• Abschließende Gedanken
Daß homosexuelle Personen der "Umpolung", d.h. der Hinführung zur Norm des
Rahmen der Ehe sein Ventil findet. Siehe: W. Molinski, Theologie der Ehe in der Geschichte (Stein a.Rhein, 1976),
S. 176-188.
1
Masters und Johnson, Homosexualität, S. 362.
2
B. Häring, Frei in Christus (Freiburg-Basel-Wien, 1980), Bd. 2, S. 482.
Seite 64
Helmut Schelsky, daß es zur Zerstörung der Gesellschaft kommen kann, wenn jeder
Probleme mit der praktischen Therapie für Homosexuelle bestehen aufgrund des
geben. Die angebotenen Behandlungsmethoden sind jedoch, wie wir sahen, zum Teil
gar nicht so abwegig und zeitigen Erfolge - unter der Bedingung freilich, daß der
heterosexuelle hängt eindeutig vom Willen der hilfesuchenden Person zur „Umpolung“
ab. Ein Therapeut wie ein Seelsorger wird niemals das Ziel der „Umpolung“ erreichen,
wenn der Homosexuelle den Willen zur Änderung seines Verhaltens nicht aufbringt. Die
Therapiemethoden haben dies zur Genüge belegt. Martin Siems hat wohl recht mit
emanzipiert die Betroffenen von Meinung und Urteil anderer Leute und hilft ihnen
entscheiden, ob sie bei der homosexuellen Praxis bleiben wollen. Siems zieht allerdings
homosexueller Selbstbestätigung.2
1
Helmut Schelsky, Soziologie der Sexualität (Reinbek, 1955), S. 51-53; vgl. Abram Kardiner, Sex and Morality
(Indianapolis, 1954), S. 110; A. Karlen, "Homosexuality: The Scene and Its Students" in J.M. Henslin und E. Sagarin
2
M. Siems, Coming Out. Hilfen zur homosexuellen Emanzipation (Reinbek, 1980), S. 26-40; vgl. dagegen, T.J.
D'Zurilla und M.R. Goldfried, "Problem Solving and Behavior Modification", Journal of Abnormal Psychology
(Washington) 78 (1971): 107-126; Ph. Feldman und M. MacCulloch, Human Sexual Behavior, S. 170-176, mit
David Gelman, Lisa Drew et al., "A Perilous Double Love Life", Newsweek 28 (13.7.1987): 40-42; Terence
Seite 65
Die Diskussion über die Gleichstellung der Homosexualität parallel zur Heterosexualität
hat ihren Niederschlag zuerst in der psychologischen Literatur gefunden. Gerhard Vinnai
schrieb 1977:
Fritz Morgenthaler ist auch der Meinung, daß zwischen Homosexualität und
Heterosexualität nicht unterschieden werden darf. "Es gibt im Grunde weder Hetero- noch
Homo- noch Bisexualität," schreibt er. „Es gibt nur Sexualität, die entlang sehr
Ausdrucksform findet."2
Psychoanalytiker fällt es der Theologie immer schwieriger, die homosexuelle Liebe als
argumentiert demnach auch, daß Paulus "bei homosexuellen Beziehungen nicht an Liebe
und Partnerschaft denkt. Tatsächlich ist sie für ihn eine willkürliche Praxis, die man jederzeit
auch aufgeben kann. Wir wissen aber heute, daß das nicht so ist und Homosexualität
1
Gerhard Vinnai, Das Elend der Männlichkeit (Reinbek, 1977), S. 18
2
Fritz Morgenthaler, Homosexualität Heterosexualität Perversion, S. 138f vgl. Wayne A.
Meeks (Hrsg.), The Writings of St. Paul (New York, 1972), S. 39.
Seite 66
ebenso mit Zuneigung und Liebe verbunden sein kann wie Heterosexualität."1 Der
konventionellen Interpretation des paulinischen Textes von Römer 1,26 zufolge, soll Paulus
Handlungen betrachtet haben, die nach Eberhard Nestle und Georg Foot Moore "Gott ein
widernatürlich.3 Helmut Thielicke geht mit Wiedemann auch nicht konform und meint, es
bestünden absolut keine Zweifeln, daß Paulus homosexuelles Verhalten ablehnt und es mit
anderen Lastern gleichstellt. Sonst würde er sich mit dieser Problematik nicht so eingehend
IV. Anhang
1
Hans Georg Wiedemann, Homosexuelle Liebe. Für eine Neuorientierung in der christlichen
Ethik (Stuttgart-Berlin, 1982), S.88 vgl. J.A.T. Robinson, The Difference of Being a Christian
2
Vgl. E. Nestle, "Bdelygma eremoseos", ZAW 4 (1884): 248f; G.F. Moore, Judaism in the
3
Dale Moody, S. 278; vgl. L.H. Marshall, The Challenge of New Testament Ethics, S. 36-52.
4
H. Thielicke, The Ethics of Sex, S. 278; vgl. R. Bultmann, "Das überweltliche Reich
Seite 67
1. Das A.T.
Menschen männlichen
Menschen männlichen
Ungerechte das Reich Gottes für ... Gottlose und Sünder, für
Römer 1,26-27
Seite 68
„Deswegen hat Gott sie dahingegeben in
Seite 69
II. Das homosexuelle Verhalten aus psychoanalytischer Sicht
Seite 70
2. Neigungshomosexualität,
hiermit meint man das sexuelle Interesse,
gerichtet“ ist.
3.
Hemmungshomosexualität, man
4. Pseudohomosexualität,
gemeint ist hiermit die
homosexuell empfindet.“
Seite 71
2.1. Anlagefaktor 2.2. Pathologischer
Faktor
Simon LeVay, Günter Dörner,
Seiß, u.a.
Seite 72
1. Medizinische
2.
Therapie
Gruppentherapie
3. Positive kirchlich-
dogmatische Therapie
- Akzeptanz der
4. Anti-
Selbstmitleidstherap
ie
Johnson
Seite 73
V. Bibliographie
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