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Elchschicksal

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Laufen muss er nicht, kein Bein bewegen, beugen, biegen, nicht das vorne links, das daneben nicht,
das hinter dem einen und dem anderen auch nicht, unbewegt von links nach rechts, von rechts nach
links und gleich wieder von vorne, machen kann er dagegen nichts und auch nichts dafür, der Elch,
da geht er. Er röhrt nicht. Wie kommt er denn dahin? Hier ist doch nichts: Kein Baum, keine Blume,
kein Gras, kein Gebüsch, an dem es sich knabbern ließe. Nur Glas und Stein und Staub und
Papierschnipsel und eine leere Dose und dergleichen mehr. Nichts für Elche, für kleine gar, die
mutterseelenallein hin und her bewegt werden und nur stehen können auf ihren Vieren. Es kann ihn
keiner trösten und streicheln und tätscheln, gerade mal ist er zu sehen und nur mit viel Mühe lässt
sich eine Form in der Tiefe erahnen, vielleicht, mit Fingerspitze eins zwei drei ertasten. Na,
wenigstens muss der kleine Elch auch nichts essen, verzichtet aufs Gebüsch, ohne es zu wissen, nur
ein Wissen erschafft ja Bedürfnis und Verlangen, auf die man verzichten könnte oder auf den
verlangten Gegenstand selbst, einen Magen hat er nicht, der knurren könnte, von dem, dem
Knurren, es sich ableiten ließe, das Bedürfnis. Da wird’s schon wieder ganz schön kompliziert.
Wollen und Wünschen, er wünscht sich mal gucken zu können, der Elch, von links nach rechts und
dann nach vorne und auch mal nach hinten, Zum dumm!, die Augen sind starr, da kann er nichts für
und - ich ahne es - nichts wider, keine Wahl bleibt ihm, nur Hoffnung und die erfüllt sich nicht so
einfach ohne Weiteres, denn worauf hofft Elch denn, wenn nicht auf eine führende Hand, die an ihm
pult und auf 3D trimmt, auf dass er ums Eck gucken könne? Na jetzt will der Elch auch schon
Wollen, wünschen ist ein untröstliches Unterfangen, das stille, demütige Warten ist wie Grütze in Öl
und klebt und kleistert und wird nicht schöner mit der Zeit. Ach wie schön das Wollen, wenigstens
erlaubt es eine andere Perspektive, gar die, ein wenig handeln zu können, Hopps!, rein in die
schmutzige Gasse1, die da leuchtet in ihrer Pracht, handeln handeln handeln auch wenn nichts
geschieht, aber das wird schon, wir habens doch in der Hand, auf ewig, wenns sein muss.

Und wo der anbetungswürdige Fjodor Michailowitsch Dostojewski schon einmal hier ist:

Seine Karamasow'schen Brüder:

Iwan: Wollen und Wünschen


Alexej: Wünschen
Dimitri: Wollen

Und das Ende der Geschichte?

Iwan ist erkrankt („Nervenfieber“) und dem Tode nahe, beides, sein Wollen und sein Wünschen
erstreckten sich auf die selben Felder: Liebe und Familie. Überall zu wollen UND zu wünschen in
einem Mix von zusätzlich noch Reue, Wut, Hass, Abscheu, Verzweiflung, Liebeskummer, Angst,
Verbitterung, Ekel, Sehnsucht, Verletzbarkeit, Logik, Würde etc. - da hats ihn einfach zerrissen.
Alexej ist frei und selig.
Dimitri sitzt unschuldig im Gefängnis wg. Vatermordes und schweren Raubes.

Eine Frage an die werten Leser:


Sollten wir besser Wünschen und aufs Schicksal setzen oder eher Wollen und das Schicksal
herausfordern?

1 Bild für die Flucht aus der Normalität. Dostojewski, „Die Brüder Karamasow“, S. 1249/191 (zitiert nach
Dostojewski 1864 „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“)

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