html
START ABONNEMENT ÜBER UNS REDAKTION BEIRAT RICHTLINIEN IMPRESSUM ARCHIV Suche in sehepunkte
Sie sind hier: Start - Ausgabe 10 (2010), Nr. 7/8 - Rezension von: Kampf um das Deutschtum
Erstaunlich ist vielmehr der Nachweis einer wenn auch durchgängig Konflikt
beladenen, so dennoch intensiven Zusammenarbeit mit den Radikalnationalisten im
Reich und hier besonders dem Alldeutschen Verband. Die gemeinsame Abgrenzung
gegen alles Slawische tat hier das Ihrige, um Gemeinsamkeit beiderseits der Grenze
zu stiften. Bereits die ständigen Schwierigkeiten mit dem Alldeutschen Verband,
der nun wahrlich kaum an nationalistischer Verve zu übertreffen war, deutete die
zweite markante Eigenart des radikalnationalen Vereinsmilieus an: das Verhältnis
zum Staat. Der Schulverein wie auch die anderen Vereine stellten die von ihnen
konstruierte deutsche Nation weit über den Staat. Ein Kennzeichen des
Radikalnationalismus in Österreich und im Reich war es, auf Distanz zur staatlichen,
ja auch zur nationalstaatlichen Ordnung zu gehen. Die Nation blieb nicht nur eine
vor-, sondern letztlich ein überstaatliche Größe. Dieser antistaatliche Nationalismus
konnte sich auf den vorstaatlichen antinapoleonischen Nationalismus berufen, für
den Ernst Moritz Arndts Vaterlandsvision gestanden hatte: "So weit die deutsche
Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt" (309). Den radikalen Deutsch-
Österreichern kamen sogar die emanzipatorischen Gehalte eines
Willensnationalismus entgegen, der auf das subjektive Bekenntnis zur Nation
setzte. Der Hallenser Geograph Alfred Kirchhoff grenzte die der Staatsbürgerschaft
zugewandte Nation vom Begriff des Volkes ab, der eine vage bestimmte
vorstaatliche Größe blieb. Sein ebenfalls kleindeutscher Geographenkollege Ernst
Hasse spitzte weiter zu: "Die Staaten, als Zusammenfassungen von Völkern, kommen
und gehen. Und noch viel vergänglicher sind die Verfassungen der Staaten und die
Zustände der Gesellschaft. Das Volk ist das auch Einzige, was weitere Wandelungen
überdauern wird" (306). Gerade darin sah Hanna Arendt die Ursache für die
Konkurrenz zwischen Nationalsozialismus und Nationalismus, weil Hitler sich
bekanntlich nicht um Staatsgrenzen, Staatsaufbau und Staatlichkeit - auch nicht um
eigene - scherte. [3]
Das alles scheint auf eine Vorgeschichte des ebenfalls staatlich unbehausten
Radikalnationalismus der Zwischenkriegszeit hinzudeuten, zumal Hitler vom
Radikalnationalisten Ritter von Schönerer beeindruckt war. Dennoch stellen sich
Fragen: Wenn dieser Nationalismus des österreichischen Schulvereins sich so
deutlich vom österreichischen Staat und auch theoretisch von Staatlichkeit
absetzte, kann man ihn dann noch Nationalismus nennen? Zumindest scheint es sich
dabei um einen Nationalismus zweiter Ordnung zu handeln, weil er gegen
Nationalstaaten antrat, auch wenn sich dies in erster Linie auf den kleindeutschen
Nationalstaat bezog. Begrifflich den Nationalismus eines Eduard Lasker und des
Deutschen Schulvereins gleich zu behandeln, wirft zumindest Fragen nach der
Stichhaltigkeit der Begriffsbildung auf.
Hier beginnen die Fragen nach dem Verhältnis zwischen dem österreichischen
Radikalnationalismus und dem großdeutschen Nationalismus der 1848er Revolution
und späterer Generationen, wie wir sie noch bei den württembergischen
Demokraten auf der politischen Linken nach 1871 finden. Der großdeutsche
Nationalgedanke hielt sich noch lange nach 1871 und feierte seine scheinbare
Verwirklichung 1938. Hinzu kommen die langen Linien des österreichischen
Deutschnationalismus, denen in dieser Arbeit leider nicht nachgegangen wird. Noch
Hitlers Obsession mit der Rassereinheit verwies auf österreichische
radikalnationalistische Ursprünge. Ritter von Schönerers Slogan, der freilich hier
nur am Rande eine Rolle spielte, war: "Durch Reinheit zur Einheit". Diese
Gesichtspunkte des Vergleichs und der Kontinuität können freilich die Verdienste
dieser Arbeit nicht schmälern, die präzise das deutschnationale Milieu in zwei
Staaten herausarbeitet.
Anmerkungen:
[1] Vgl. James E. Bjork: Neither German nor Pole, Michigan 2008; Pieter M. Judson:
Guardians of the nation. Activists on the language frontiers of imperial Austria,
Cambridge 2006; Jeremy King: Budweisers into Czechs and Germans. A local history
of Bohemian politics, 1848-1948, Princeton 2002; Tara Zahra: Kidnapped souls.
National indifference and the battle for children in the Bohemian Lands, 1900-1948,
Ithaca 2008.
[3] Vgl. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, Frankfurt
a.M. 1958.
Siegfried Weichlein