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TBW GES ALLTAG 2 04.06.2008 11.06.

08 15:55:54

2 ALLTAG Mittwoch, 4. Juni 2008

PERSÖNLICH
STADTPRÄSIDENT ELMAR LEDERGERBER Meine Couch
für Fan Joe
EURO-UNTERMIETER «Tagblatt»-Redaktorin Jessica Fritz nimmt den englischen Vo-
lunteer Joe Westhead bei sich auf. In drei Teilen erzählen sie vom Zusammenleben.

VON JESSICA FRITZ auch gar keine Rolle spielt, wie Joe
aussieht. Meine Freunde mussten
Joe war der Erste, der sich gemeldet trotzdem schmunzeln. Ich bin nur
hat. Dass ich während der Euro ein gespannt. Auf alles. Wie wird sich
bis zwei Personen aufnehmen unser Zusammenleben gestalten?
Haupt- und würde, habe ich auf sleepin.ch aus- Werden wir uns Notizen an den
Nebensachen geschrieben. Das war im Januar. Zü-
rich ist schliesslich nicht nur Fuss-
Kühlschrank kleben, um einander
zu informieren? Oder kommt und
ball-, sondern auch Gastgeber- geht jeder, wie es ihm passt? Ko-
Fussball, so sagt man, sei für viele die Stadt, dachte ich mir. Und Platz misch, stelle ich mir vor, wenn er
schönste Nebensache der Welt. Wer habe ich ja – für einen Anspruchslo- abends vor mir zu Hause ist. Denn
aber dieser Tage – unmittelbar vor Be- sen. Nun hoffe ich, Joe ist es. ich lebe sonst alleine. Habe be-
ginn der Euro 2008 – durch Zürich Schliesslich handelt es sich um ei- stimmt auch meine Macken. Aber
geht, könnte fast den Eindruck be- nen 22-jährigen Studenten ohne mit denen muss Joe zurechtkom-
kommen, Fussball sei eher die von Geld, der während der Euro als Vo- men. Meine Wohnung hat nur zwei-
vielen ungeliebte Hauptsache in der lunteer arbeitet. Ich verlange nichts einhalb Zimmer. All das geht mir
Stadt. Weit gefehlt! Die Wahlen und von ihm, muss dann auch nicht viel beim Warten durch den Kopf. Und
Abstimmungen des letzten Wochen- bieten, so meine Überlegung. plötzlich steht Joe vor mir.
endes werden Zürich tiefer und länger Inzwischen haben wir uns einige
prägen als die zwar spektakulären, Male geschrieben. Er liebe alles, was Und das ist Joe:
aber doch vergänglichen Fussball- mit Fussball und der deutschspra- «Als Fussballfanatiker reise ich,
feste. chigen Kultur zu tun habe. Und er wann immer es geht, durch Europa,
Die prägendste Neuerung für den suche nicht nur ein Bett, sondern um mir Spiele anzusehen. Meist bin
Stadtrat ist natürlich die Wahl eines auch jemanden, mit dem er reden ich mit Freunden unterwegs. An die
neuen Mitglieds. Und hier lassen sich und sein Deutsch verbessern könne. Euro, dachte ich, komme ich al-
durchaus auch Parallelen zum Fuss- Jetzt ist es so weit: Um 21.30 Uhr leine. Man lernt dann mehr Leute
ball finden. Zumindest sprachliche. hole ich ihn am Hauptbahnhof ab. kennen. Ausserdem habe ich zehn
Denn wie im Fussball gewinnen auch Das Sofa steht ausgezogen in der Joe Westhead aus Yorkshire. Semester Deutsch studiert und
in der Politik nicht Einzelspieler, son- Stube bereit, und sogar Bier habe möchte die Sprache verbessern.
dern nur Teams die Pokale. Der Stadt- ich für ihn gekauft. Hand- und Ba- Ich war schon öfters Gast bei
rat hat dies in der vergangenen und in detücher brauche er nicht, schrieb Fremden. Ich bin gespannt auf Jes-
der laufenden Legislatur-Saison be- ich ihm vor seiner Abreise und kam sica und wie sie sich unser Zusam-
herzigt und erfolgreich zusammenge- mir dabei vor wie eine Hotelfach- menleben vorstellt. Ich möchte sie
spielt. Gemeinsam als Team lässt es frau. in ihrem Alltag nicht stören, würde
sich jeweils auch leichter mit unver- Per E-Mail hat mir Joe ein Foto mich aber freuen, wenn wir auch ge-
ständlichen Schiedsrichterentschei- geschickt. Zu meiner Überraschung meinsam etwas unternehmen. Mein
den und mit groben Tacklings der passt er überhaupt nicht in das von letzter Gastgeber in Köln an der
Gegner fertig werden. Der Stadtrat war mir gewohnte Bild eines typischen WM war auch Fussballfan, aber ob
mit Monika Stocker ein starkes Team, Engländers: Er ist weder bleich sich Jessica dafür interessiert?
und er wird es in der Zukunft mit Ruth noch rothaarig, sondern wider Er- Jetzt treffe ich sie gleich. Ich habe
Genner weiterhin sein. warten ziemlich hübsch. Obwohl ihr ein Foto von mir per E-Mail ge-
Auch das Nein zum Kongresshaus man ja meist ein Bild mit seiner Ist Joes Gepäck nicht gar bescheiden für schickt. Wie sie aussieht, weiss ich
wird in Zürich noch lange spürbar Schokoladenseite zeigt. Und es ja drei Wochen? Bilder: JF allerdings nicht.» ᔡ
sein. Was auch immer den Ausschlag
für das Volks-Nein gegeben hat, klar
ist damit, dass in Zürich auf Jahre hi- LUST UND FRUST DER WOCHE
naus die dringend notwendige Infra-
struktur für grössere Kongresse fehlen
wird. Das ist für unsere Stadt ein mar- L L L
kanter Nachteil im Wettbewerb um in- Kongresszentrum I: Stadtrat I: Freudentag Naturverbunden: Sihl-
ternationale Gäste. Die Stadt muss Für die Heimatschüt- für Ruth Genner. Sie wald und Wildpark
jetzt so schnell wie möglich ein neues zer ist das Ende des liess ihre Gegner im Langenberg werden
Projekt entwickeln und dem Volk vor- Projekts ein Triumph. Regen stehen. zum Naturpark.
legen.
Grosse Projekte brauchen viel Zeit, M M M
Geduld und Engagement. Aber sie
sind jede Mühe wert. Denn nur mit ih- Kongresszentrum II: Stadtrat II: Nur 37,6 Direktor der Pädagogi-
nen schaffen wir die Grundlagen für Vor allem für Kathrin Prozent gingen für Mo- schen Hochschule
die Sicherung der Lebensqualität und Martelli ist das Aus ein nika Stockers Nach- liess sich Luxusartikel
des Wohlstands in Zürich. Und das ist Debakel. folge an die Urne. von Schule bezahlen.
die Hauptsache.

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