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Aperitif vor dem Hauptgericht: Der Vorspann

Christoph Fasel

Er ist der unscheinbare Bruder des Titels, der Juniorpartner des großen Marktschreiers, die Magd
der poetischen Zeile: Der Vorspann – oder auch Motto genannt – hat gerade in der Wissenschafts-
kommunikation eine ausgesprochen schwierige Aufgabe. Er soll den Leser in drei, vier kurzen Sät-
zen in die Tatsache einführen, warum er den nun folgenden Text lesen soll. Und das fällt gerade bei
komplexen Themen der Wissenschaft naturgemäß nicht leicht. Wie man es trotzdem schafft, den
Leser mit dem Vorspann für seine Aussagen zu fangen und zu fesseln, erfahren Sie hier.

Gliederung Seite

1. Die Funktion des Vorspanns 2


2. Vorsicht Vorspann-Fallen! 3
3. Achtung: Nicht zu viel verraten! 6
4. Es darf auch mal gelacht werden 8

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E 1.8 Werkzeugkasten: Welche Instrumente wofür?

Die richtige Sprache sprechen

1. Die Funktion des Vorspanns


Ganz unabhängig davon, in welchem Medium der Vorspann agiert: Er
ist offensichtlich ein Zwitterding an merkwürdiger Textgattung. Wa-
rum das so ist, ist schnell erklärt. Der Vorspann darf nämlich nicht so
auf den Putz hauen wie der Titel. Während dieser nämlich alle Regis-
ter ziehen darf, um Aufmerksamkeit zu erregen, steht der wackere
Vorspann etwas blass da. Der Grund dafür: Er hat eine andere Aufgabe
als die prominentere Titelzeile.

Die ist, auch was Texte der Wissenschaftskommunikation betrifft, je


nach Medium verschieden. Bei Zeitungen ist der Vorspann der meist fett
gedruckte oder durch andere typografische Elemente hervorgehobene
erste Absatz des Lauftextes. Leitet der Vorspann eine Nachricht ein, so
hat er hier vor allem eine Orientierungsfunktion. Der Vorspann einer
solchen journalistischen Textsorte will den Leser rasch und prägnant
informieren, ihm das Wichtigste ohne Umschweife mitteilen. Im Zwei-
felsfall macht der Vorspann sogar die Lektüre des gesamten Lauftextes
entbehrlich. Eine Definition der amerikanischen Nachrichtenagentur
United Press International (UPI) spricht vom Zeitungsvorspann als einer
„story in a nutshell“. Er bietet also in dieser Funktion den sogenannten
Küchenzuruf der Geschichte, die nachfolgend erzählt wird.

Ein wenig anders ist die Funktion im Magazin – von denen viele
nutzwertige Texte bieten. Hier entscheiden – neben der thematischen
Fokussierung – vor allem Pfiff und Originalität darüber, ob ein Artikel
überhaupt gelesen wird. Und das wird der Leser bestimmt nicht tun,
wenn ihm die ganze Geschichte vorneweg im Vorspann erzählt wird.
Der Magazin-Vorspann sagt deshalb auch im
Unterschiede Nutzwertjournalismus dem Leser gerade
des Vorspanns in nicht, was er gleich lesen wird – sondern
Tageszeitung und warum er weiterlesen muss. Er ist, wie Wolf
Magazin Schneider schreibt, „der Aperitif vor dem
Hauptgericht“. Und ein Aperitif muss Appe-
In Zeitungen erzählt der Vorspann der Wissen- tit machen.
schaftskommunikation die ganze Geschichte in
der Nussschale – er will rasch orientieren. Der Vorspann zieht auch für die Wissen-
In Zeitschriften sagt er dem Leser, warum er schaftskommunikation idealerweise alle
diese Geschichte lesen muss – und nicht, was Register des Journalistenhandwerks. Er deu-
er gleich lesen wird – er will den Leser neugie- tet an, verheißt augenzwinkernd Ungewöhn-
rig machen. liches, ironisiert, versetzt den Leser in A-
temnot durch Rausch und Tempo, Bilderfet-
zen, Fragen, persönliche Ansprache oder Wortspiele. Und das alles tut
er nur mit dem einen Ziel: den Leser einzufangen und zum Weiterle-
sen zu verführen.

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Informationen zum Autor:

Prof. Dr. Christoph Fasel lehrt als Dekan und Prorektor an der SRH Hochschule in Calw Medien-
und Kommunikationsmanagement. Als Journalist arbeitete er unter anderem bei BILD, der Abend-
zeitung, dem Bayerischen Rundfunk und der Zeitschrift Eltern. Er war Reporter des STERN, Chef-
redakteur von Reader’s Digest Deutschland und Österreich und Leiter der Henri Nannen Journalis-
tenschule Gruner+Jahr/DIE ZEIT. Er ist Gründungs-Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins
„Faszination Forschung“ der TU München.

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