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2010 Hunger nach Leben - Nachrichten wel…


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DIE WELT KOMPAKT: 06.10.10

Hunger nach Leben


Ernährungsexpertin Maria Sanchez über das emotionale Essen

Von Eva Eusterhus

Jahrelang kreiste sich alles in Maria Sanchez' Leben um die blinkenden Ziffern ihrer Waage. Sie war so was wie eine Wächterin, die ihr
sagte, ob es ein guter oder ein schlechter Tag werden sollte. Sieben Mal am Tag wog sie sich. "Das war natürlich völlig verrückt", sagt
Maria Sanchez und erinnert sich an ihre Leidenszeit. "Selbst wenn ich pappsatt war, war ich irgendwie immer noch hungrig." Heute weiß
die 42-Jährige, dass sie krank war und ihr Hunger nicht mit Schokolade, Chips und Pommes zu stillen war. "Ich aß, um die Leere zu
stopfen, die in meinem Leben herrschte. Das Meiste, was ich tat, tat ich nicht meinetwegen, sondern im Glauben, andere würden das
von mir erwarten."
Daher weiß Maria Sanchez um die inneren Kämpfe und Qualen des emotionalen Essens. Ihre Klienten behandelt die heilkundliche
Psychotherapeutin heute in ihrer eigenen Praxis in Hamburg-Hoheluft. Im Zuge der Auseinandersetzung mit diesem Thema hat sie
einen Weg aus dem Teufelskreis des "immer wieder zu viel Essens" gefunden: das Konzept "Sehnsucht und Hunger", das sie auch in
ihrem neuen Buch mit dem gleichnamigen Titel beschreibt. Mit ihrer Methode hat Maria Sanchez 30 Kilo abgenommen und hält ihr
Gewicht seither ohne reglementierende Maßnahmen. Ihren Ansatz vermittelt sie in ihren Seminaren.
Den Großteil der Teilnehmer machen Frauen aus. Viele von ihnen waren wegen ihrer Essstörung bereits in klinischer Behandlung und
gelten als "austherapiert". Doch geheilt sind sie nicht: Der Gedanke an Essen und Abnehmen diktiert ihren Alltag. Neben mehr oder
weniger übergewichtigen Frauen sind es vor allem auch solche, denen man ihre Essstörung nicht ansieht. Sanchez nennt sie die
"dünnen Dicken": schlanke Frauen, die ein Treffen mit Freunden davon abhängig machen, was die Waage anzeigt, die nichts essen,
von dem sie nicht wissen, wie viele Kalorien es hat, und die beim Essen schon daran denken, wie lange sie joggen müssen, um es
wieder wettzumachen.
"In einem Seminar hatte ich mal einen Fitnesstrainer, der täglich ein Kilo Schokolade aß. Sein perfekter, durchtrainierter Körper war
das Ergebnis eines zwanghaften Sportprogramms", so Sanchez. Laut der Expertin überdeckt emotionales Essen eine Sehnsucht. "Das
Verlangen, ohne Hunger essen zu wollen, bedeutet, dass unsere Seele nach etwas hungert, das durch Reglementierungen jedoch
nicht gelebt wird. Viele der Betroffenen können nicht Nein sagen. Sie leben fremdbestimmt - von Familie, dem Partner, dem
Freundeskreis. Sie leben sich selbst nicht genug." In ihren Seminaren vermittelt die gebürtige Spanierin, zum einen alltagstaugliche
Werkzeuge, mit denen die Betroffenen lernen sollen, zwischen körperlichem und emotionalem Hunger zu unterscheiden. Zum anderen
wird nach der Ursache für die Spannungsgefühle geforscht, um eine dauerhafte Heilung zu erzielen. "Das Verblüffende ist, dass viele
Teilnehmer nicht mehr wissen, wie sich körperlicher Hunger anfühlt. Sie essen, weil ein äußerer Plan ihnen diktiert, wann und wie viel
sie zu essen haben."
"Pegelesserinnen" nennt Maria Sanchez jene, die nicht abwarten, bis sich Hunger bemerkbar macht, die prophylaktisch essen. Jeder
Mensch, so Sanchez, esse zuweilen emotional. Der Unterschied zwischen Normal- und Emotionalessern liege darin, dass für Letztere
die Kontrolle eine übergeordnete Rolle spielt. Sie haben Probleme damit, zu genießen, was in der Folge wiederum zu Essanfällen führt.
Ziel ist, Essen als Genuss wieder zu entdecken. Eine Seminarteilnehmerin brachte das auf den Punkt: "Ich dachte immer: Wenn ich
schlank bin, beginnt das Leben. Aber das stimmt nicht. Erst wenn ich lebe, werde ich schlank."
Und so darf heute in Maria Sanchez' Küche eines nicht fehlen: "Nutella!", sagt sie und lacht. Früher habe sie ganze Gläser ausgelöffelt
und dann jahrelang einen Riesenbogen darum gemacht. "Wenn ich heute Lust drauf habe, esse ich ein Nutella-Brot. Aber wissen Sie
was? Neulich habe ich ein Glas weggeschmissen - es war schlecht geworden."
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