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Zum gemeinsamen Weg gehört auch der Gedanke an Trennung.

Keine Integration ohne


Gegenleistung. In Deutschland ist das allerdings ein Tabu.

Wenn Integration partout nicht gelingen will, so muss man sich auch trennen können

Von Reinhard K. Sprenger


Gemeinsame Wege – in Deutschland kann man sie nur beginnen, nie beenden. Heftige Zustimmung
allseits beim Anfang, beim Zusammenkommen. Wer gemeinsame Wege hingegen „zu Ende denkt“,
wer trennen, ja ausschließen will, der hat sich offenbar aus der Solidargemeinschaft der Zivilisierten
verabschiedet. Führung – auch eine politische Führung – muss jedoch gegen den Furor der
Integration die Partituren der Trennung zur Geltung bringen.
Denn was macht eine gesunde Kooperationsbeziehung aus? Positiv gewendet: Es muss der Wunsch
vorhanden sein, den Weg als „gemeinsamen“ Weg zu gehen. Wir müssen wollen, dass er dauern
möge. Negativ gewendet: Es muss das Ende des gemeinsamen Weges gefürchtet werden. Nur dann
wird Verantwortung übernommen. Wenn das Ende des gemeinsamen Weges nicht gefürchtet wird,
ist er nichts wert. So ist das Geheimnis jeder lebendigen Ehe das Bewusstsein ihres Bedrohtseins.

Was aber, wenn der gemeinsame Weg nicht zu beenden ist?


Was aber, wenn der gemeinsame Weg nicht zu beenden ist oder nur zu einem hohen Preis? Dann
gibt es kein Motiv, sich für dessen Erhalt einzusetzen. Dann beginnt mit der Umerziehung, dem
Fördern und Ködern jenes Kurieren an Symptomen, das die Probleme nur vertieft, die es zu
beheben vorgibt. Deshalb pervertieren alle Kooperationsverhältnisse, die nicht zu beenden sind.

Migranten in Deutschland

Foto: Infografik WELT ONLINE Die meisten in Deutschland lebenden Ausländer sind
Türken. Außerdem leben hier besonders viele Italiener, Polen und Griechen. Viele Deutsche
zieht es in die beiden Nachbarländer Schweiz und Österreich sowie nach Spanien
Foto: Infografik WELT ONLINE Obwohl Deutsche zunehmend nach Österreich ziehen, leben
noch immer deutlich mehr Österreicher in Deutschland als umgekehrt.

Foto: Infografik WELT ONLINE Menschen migrieren aus vielen verschiedenen Gründen.
Nach Deutschland kommen besonders viele Zuwanderer wegen der Reisefreiheit innerhalb
des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz
Foto: Infografik WELT ONLINE Niedrig ist die Zahl der Zuwanderer, die dauerhaft nach
Deutschland kommen – sie liegt deutlich unter dem OECD-Durchschnitt.

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Das kann man sich im öffentlichen Dienst ansehen, wo die grundsätzliche Unmöglichkeit der
„Dienst“-Beendigung in weiten Teilen zu resigniertem „Ab-Leben“ führt – trotz bisweilen grotesker
Formen des Leistungsanreizens. Das kann man sich beim Kündigungsschutz ansehen, der Klarheit
und Konsequenz verhindert und hinter dessen immer noch hohen Wällen weniger Menschen
eingestellt werden, als eigentlich möglich (und nötig!) wäre. Das kann man sich bei allen
unlimitierten sozialen Unterstützungssystemen ansehen: Es ist eben nicht notwendig, sich
anzustrengen, wenn man unter Ausnutzung aller Sozialsysteme plus ein wenig Schwarzarbeit ein
Leben finanzieren kann, das für einen Niedrigverdiener kaum erreichbar ist.

Von der Hysterie des Rettens


Die Folgen des Nicht-zu-Ende-gehen-Könnens: Sie sind auch an der staatlichen Verhinderung von
Pleiten sichtbar. Erst wurden mittlere bis große Unternehmen wie die Maxhütte, Holzmann oder
Quelle gerettet, dann angeblich systemrelevante Banken wie Hypo Real Estate sowie die
Commerzbank, die mit staatlicher Unterstützung zuvor auch noch die Dresdner Bank übernehmen
durfte. Durch die Gründung der Zentralbanken wurde ohnehin der Zusammenhang von Haftung und
Entscheidung für den Banksektor gänzlich außer Kraft gesetzt.

Die Hysterie des Rettens: Sie lädt die Unternehmen ein, an falschen Geschäftsmodellen und
schwachen Produkten festzuhalten sowie skandalöse Risiken einzugehen: Warum innovativ sein,
warum mich beschränken, wenn ich im Fall des Scheiterns mit Staatshilfe rechnen kann? Deshalb
gibt es von allem, was subventioniert wird, hinterher mehr: mehr Milch, mehr Kohle, mehr Armut,
mehr Arbeitslosigkeit, mehr notleidende Unternehmen. Und das Publikum beginnt zu glauben, man
könne ewig leben.
Beispiel EU – austreten: ja, rauswerfen: nein
Denselben Zusammenhang kann man sich in der EU anschauen. Die Euro-Länder haben die
Maastricht-Kriterien aufgestellt; die sind vernünftig. Das Problem ist: Es gibt keine Sanktionen. Es
tut niemandem weh, die Maastricht-Regeln zu verletzen. Aber es ist nicht ein Kriterium, eine Regel,
die die Länder vernünftig handeln lässt, sondern die konsequente Strafe. Genau die fehlt auch im
EU-Vertrag von Lissabon. Dort heißt es: „Jeder Mitgliedsstaat kann im Einklang mit seinen
verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.“
Austreten darf man; Rauswerfen ist nicht erlaubt. Das ist der Ausschluss des Ausschlusses. Aber
wer haftet dann für was? Wer nicht damit rechnen muss, aus der Währungsunion hinausgeworfen zu
werden, lebt nach der Mentalität „beggar my neighbour“ – den Nachbarn ausplündern. Warum soll
sich ein Land den Regeln der Knappheit unterwerfen, wenn auch ein Leben auf Pump möglich ist?

Muslime als Objekte fürsorglicher Belagerung


Der Mensch lebt über seine Verhältnisse, wenn er das Ende tabuisiert. Das kann man schließlich
beobachten beim aktuellen Handgemenge zu Sarrazins Thesen. Sowohl im Buch (!) wie in der
Diskussion erscheinen Muslime vorrangig als Objekte fürsorglicher Belagerung. Da wird integriert,
gefördert und geholfen, dass sich die Sozialkassen biegen; da ruft man „Bildung!“ und „Sprache!“ –
und verkennt die Verhältnisse: Warum soll ich Deutsch lernen, wenn die mich umgebende
Mehrheitsgesellschaft aus Muslimen besteht, die auch kein Deutsch sprechen?
Auf einem Auge blind ist man jedoch vor allem im Grundsätzlichen: Denn zur Einschließung gehört
die Ausschließung wesenhaft dazu, zum gemeinsamen Weg der getrennte. Bringt man ihn jedoch
ins Spiel, befindet man sich mit dem Stigma des Rechtsradikalismus reflexhaft außerhalb der
intellektuellen Sperrzone. Eine vernünftige Diskussion ist so nicht möglich. Noch nicht. Erst wenn
uns schon in wenigen Jahren die Sozialsysteme um die Ohren fliegen, werden wir wie
selbstverständlich die Lebenslehren der Leistung und Gegenleistung einführen, die in
neosozialistischen Ländern wie Dänemark und Schweden schon heute Praxis sind.

Das Gutgemeinte ist das Gegenteil des Guten


Das also wird im Rückblick der Kalauer dieser Zeit sein, was schon Tucholsky wusste: dass das
Gutgemeinte das Gegenteil des Guten ist. Denn der Islam ist eine fremde Religion, die aufgeklärtem
europäischem Denken immer fremd bleiben wird. Das weiß jeder, der die integrationsfeindlichen
Suren und Verse des Korans gelesen hat. Und natürlich kann jeder fremd bleiben wollen, und
niemand muss Deutsch lernen, und jeder kann auch mehr nehmen als geben wollen – außerhalb der
Grenzen.
Kritik an Wulff-Aussagen zum Islam
In Zeiten sozialer Verwerfung brauchen wir Verhaltenslehren, die Eigenes und Fremdes, innen und
außen auseinanderhalten. Konzepte der Unterscheidung – und damit auch der Scheidung. Diese sind
Mangelware in einem Land, wo subventioniert wird, was schon gestorben ist, wo eine falsche
Humanität die Unverantwortlichkeit stützt, wo das Parasitäre auf Kosten anderer künstlich beatmet
wird und Probleme gerne mit noch mehr Steuergeld zugedeckt werden. Und sie sind Mangelware in
einem Land, wo Unterscheidung „Diskriminierung“ ist, der Verweis auf das ganz und gar andere
„fremdenfeindlich“, wo uns Özil und Khedira zeigen, dass wir alle irgendwie gleich sind, und wo
die globalisierte Indifferenz nicht anthropologisch naiv ist, sondern chic.
Wir haben die Kraft verloren, Respekt zu verlangen
Aber Identität bildet sich nicht positiv, sondern negativ – durch Ausschließung. „Nicht so wie …“
ist ihre Gestaltgeste. In Deutschland wird diese Negativität negativiert. Wir haben die Kraft
verloren, Respekt vor den kulturellen Wurzeln zu verlangen, auf der Gegenleistung zu beharren,
zum Nehmenwollen das Gebenwollen zu fordern. Aber ist es zu viel verlangt, den Nutzen der
Einwanderer für die Gesellschaft einzuklagen und Integrationsverweigerung sowie Gewaltneigung
anzuklagen? Offenbar ja, zur anfänglichen Duldung gesellt sich langsame Gewöhnung und
irgendwann rationale Ignoranz. Ermattet und abdankungslüstern ergeben wir uns dem
Toleranzdiktat der Konsequenzinvaliden.

Aber nicht handeln heißt zustimmen. Deshalb muss eine politische Führung, die ihren Namen
verdient, drohen können. Sie muss klar und frühzeitig konfrontieren, Konsequenzen aufzeigen, die
rote Linie deutlich markieren, wann der gemeinsame Weg zu Ende ist.
Natürlich ist Führung auch hier wieder im Dilemma. Wenn sie droht, verhält sie sich in den Augen
vieler Menschen falsch. Wenn sie nicht droht, auch. Aber es gibt einen Unterschied. Im ersten Fall
scheint sie falsch, im zweiten ist sie es.

Manchmal heißt ein Problem lösen, sich vom Problem zu lösen


So erzeugt klares Denken klares Sprechen und klares Handeln: Manchmal heißt ein Problem lösen,
sich vom Problem zu lösen. Wir müssen auch bereit sein, uns zu trennen. Wir müssen aussteigen
können aus Projekten, die bei den Beteiligten mehr Begeisterung erzeugen, als angesichts knapper
Mittel gerechtfertigt ist. Und nur wenn wir bereit sind, einen gemeinsamen Weg zu beenden, wenn
Werte verletzt werden, sind uns diese Werte wichtig. Alles, was nicht auch durch eine Trennung
bezeugt werden kann, ist unwichtig. Konsequente Trennungspolitik ist deshalb ebenso notwendig
wie gute Integrationspolitik.
Deshalb muss Politik vorbeugend Anwesenheitsverhinderungen organisieren – und sie muss
nachsorgend Schlussstriche ziehen. Weil sie weiß: Bei allem Bemühen um Langlebigkeit ist der
Mensch ungeschickt im Hantieren mit der Ewigkeit. Es ist klug, sich das Ende vor Augen zu halten.
Als Voraussetzung für den Anfang.

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