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Klimawandel | 30.03.

2010

Reporter-Tagebuch: Beim Thema


Energieversorgung allen einen Schritt
voraus.

Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:

Michael Altenhenne hat auf El Hierro ein Idyll gefunden und den Klimawandel
gespürt

Nebelschaden hüllen die Vulkanberge ein, mir scheint als wollten sie die schroffen
Schluchten in Watte einpacken und dahinter ein Geheimnis verbergen. Wir fahren in der
Abenddämmerung vom Flughafen zum Hotel, die Strasse führt durch eine märchenhafte
Landschaft, die vor einer Ewigkeit aus Lava entstanden ist. Skurrile Felsen formen im
Zwielicht - und in meiner Phantasie - Figuren, Gesichter, Tiere. Und wenn jetzt gleich
King Kong aus einem der engen Bergtäler auftauchen würde, wäre es eigentlich keine
Überraschung.
Bildunterschrift: Reporter mit Bio-Banane - Auf El Hierro dominieren alternative
Anbau-Methoden

Naturparadies mit saftiger Tropenvegetation

Allerdings hätte der Monster-Gorilla dann eine Bio-Banane in der Hand. Denn auf der
Kanareninsel El Hierro arbeiten die meisten Bauern mit alternativen Anbau-Methoden,
erzählt mir Javier Morales am nächsten Morgen während der Fahrt über seine
Heimatinsel. Morales ist Wirtschaftsdezernent und kurioserweise dafür zuständig, dass
die Wirtschaft auf El Hierro nicht zu schnell wächst. "Boom" ist ein Unwort für ihn, vor
allem das Wort Bauboom, das die anderen Kanarischen Inseln so lange geprägt, genauer
gesagt entstellt hat: Teneriffa und Gran Canaria wurden von Hotelanlagen und
Ferienhäusern bis zur Unkenntlichkeit verbaut, dagegen kommt mir El Hierro wie ein
Naturparadies vor. Statt Reihenhaus-Siedlungen überzieht eine saftige tropische
Vegetation dieses Fleckchen Erde mitten im Atlantik.

Ich habe das Glück, im Frühling hier zu filmen. Es grünt und blüht überall, und Grün ist
eben auch das Thema meiner Reportage: El Hierro will die grünste Insel der Welt
werden und sich künftig ausschließlich mit alternativen Energiequellen versorgen.

Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der


Bildunterschrift: El Hierro - Biosphären-Reservat, ernannt durch die UNESCO Der
Wirtschaftsdezernent kämpft seit langem für die Idee einer alternativen
Stromversorgung. Er erscheint mir wie jemand, der die Welt retten will und mit seiner
kleinen Insel anfängt. Javier Morales ist besonders stolz darauf, dass El Hierro von der
UNESCO in den Rang eines Biosphären-Reservats erhoben wurde. Die Insel sei schon
immer einen Sonderweg gegangen, sagt er. Und jetzt sei sie beim Thema
Energieversorgung allen einen Schritt voraus.

"La tormenta perfecta", der perfekte Sturm

Dass der Klimawandel auch vor El Hierro nicht halt macht, haben die Inselbewohner in
diesem Winter gespürt und erlitten. Selten haben so viele Stürme so heftig auf den
Kanarischen Inseln gewütet wie in diesem Jahr. Auch meine Dreharbeiten werden nicht
davon verschont. "La tormenta perfecta", den perfekten Sturm kündigt die
Nachrichtensprecherin im spanischen Fernsehen am Abend an. Das Orkantief Xynthia,
das später in Europa mehr als 60 Menschen in den Tod reißen und ganze Landstriche
verwüsten wird, trifft nämlich als erstes auf das kleine Eiland El Hierro.

Der Sturm erreicht die Insel mitten in der Nacht, da schlafe ich tief und fest, kriege von
den Sturmböen nichts mit. Aber auch am nächsten Vormittag gibt es noch keine
Entwarnung, gigantische Wellen schlagen gegen die Küste. Eigentlich wollten wir zu
einem Fischerdorf fahren, um nachhaltigen Fischfang zu filmen, aber die Bergstrasse
dorthin ist gesperrt: es geht neben der Strasse bis zu tausend Meter steil in die Tiefe. Bei
Windgeschwindigkeiten von 150km/h ist das lebensgefährlich. Um die Mittagszeit legt
sich der Sturm. Als wir nachmittags in den Dörfern drehen, sind die Einwohner beim
Aufräumen, sie suchen ihre weggewehten Mülltonnen, reparieren abgeknickte Antennen
auf den Dächern und begutachten ihre zersausten Geranien.

Im spanischen Radio verfolge ich später eine Diskussion zwischen Hörern auf den
Kanarischen Inseln und dem Moderator. Es geht darum, ob die Stürme etwas mit dem
Klimawandel zu tun haben, oder normale Frühlingsphänomene sind. Die
Wissenschaftler haben darauf bereits eine klare Antwort gefunden: Kein Land in Europa
wird von der Erderwärmung so hart getroffen wie Spanien, lautet das Ergebnis einer
umfangreichen Studie. Hitzekatastrophen, Versteppung, Überschwemmungen und
Stürme werden für das Land immer gefährlicher, sagen die Klimaforscher. Zwei Tage
später, kurz vor meinem Rückflug, zieht schon das nächste Sturmtief auf. Ich habe
Glück und fliege wenige Stunden vorher zurück nach Berlin, am nächsten Tag ist der
Flughafen von El Hierro geschlossen.

Autor: Michael Altenhenne

Redaktion: Klaus Esterluß

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