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19.

April 2010 - 10:52 - Zauberling

• Handwerkliches
Der Dialog
"Der Dialog ist keine Wiedergabe der realen wörtlichen Rede", sagt Sol Stein in seinem Ratgeber
„Über das Schreiben“.
Das ist es, woran ein Autor stets denken sollte.
Der Dialog ist „eine Kunstform der wörtlichen Rede, eine erfundene Sprache des verbalen
Austauschs, der sich in Tempo oder Inhalt auf einen Höhepunkt zubewegt“ (Sol Stein). Er ist
Bestandteil des szenischen Geschehens. Dabei reden mindestens zwei Personen miteinander. Die
Sprecher wechseln sich beim Dialog ab.
„Bist du wahnsinnig? Wo ist der der Feuerlöscher?“
„Ich habe keinen.“
„Kein Feuerlöscher? Das ist doch ... große Lutzei, steh´ mir bei.“
„Ich bin noch nicht fertig. Die Eichenrinde fehlt noch.“
„Wasser. Schnell!“
„Wozu?“
„Um diese explosive Mischung unschädlich zu machen.“

Der literarische Dialog ist indirekt. Zu lernen, einen Dialog indirekt zu schreiben, ist ein wichtiger
Schritt zur Vervollkommnung der Kunstform „Dialog“.
Die Figuren sprechen nicht direkt das aus, was sie sehen, hören, denken, fühlen. Sie weichen aus,
(versuchen zu) lügen, zögern, machen Witze oder wecken beim Leser mit anderen Mitteln Interesse.
Sie haben „mehr Witz, mehr Charme, Bildung, Beredsamkeit, Klugheit mehr Feuer“ (James N.
Frey), als Personen im realen Leben es haben. Dabei kommt uns der Faktor Zeit zur Hilfe.
Vielleicht braucht man eine Woche oder länger, um einen guten Dialog zu schreiben. Ganz
bestimmt muss man ihn mehrmals überarbeiten. Für den Leser aber sieht es so aus, als sei die Figur
– oder der Autor – ganz spontan darauf gekommen.
Die meisten Dialoge sind spießig und wirken daher aufgesetzt. Damit ein indirekter Dialog entsteht,
muss ein Sprecher dem anderen einen Anlass bieten, indirekt zu reagieren.
„Bist du wahnsinnig?“
„Er hat es verdient.“

Sprecher zwei antwortet nicht auf die Frage, die ihm Sprecher eins stellt.
„Scheiße Marie. Musst du immer so unüberlegt handeln?“
„Wenn wir jetzt gehen, wird niemand was merken.“
„Ach so. Und du meinst, es fällt nicht auf, wenn er morgen nicht auf der Arbeit
erscheint?“
„Der Schlampe von Sekretärin sicher. Soll sie nur kommen. Fingerabdrücke sind von
ihr ausreichend dran.“

Keine der Fragen wird direkt beantwortet. Statt dessen tauchen neue Fragen beim Leser auf.
Was hat Marie getan? Von welchen Fingerabdrücken ist die Rede? Und was hat die Sekretärin damit
zu tun? Es wird also Spannung erzeugt und ein neuer Konflikt eingeleitet. Eine Wendung der
Ereignisse.
Aber das ist noch nicht alles, was ein guter Dialog vermag.
Mit wenigen Worten vermag der Dialog beim Leser Gefühle zu wecken.
„Lass uns endlich verschwinden.“
„Klaro.“
„Warum lachst du?“
„Ich würde zu gerne den Gesichtsausdruck dieser Sekretärinheuchlerin sehen, wenn sie
ihren Liebsten so vorfindet.“
„Du spinnst.“
„Egal. Hauptsache er kriegt keinen mehr hoch.“

Jetzt würde wohl wirklich jeder gern wissen, was Marie dem Mann angetan hat.
Man spürt die Unruhe von Sprecher eins und die Schadenfreude von Sprecher zwei deutlich.
Sol Stein sagt: „Wenn ein Romanautor die Kunst des Dialogs beherrscht, ist er in der Lage,
Charakterzeichnung und Handlung gleichzeitig zu bewältigen.“
Wie bewerkstelligt man das?
Jeder Dialog muss Handlung enthalten. Soweit ist das klar. Darüber hinaus kann man aber durch die
Sprechweise der Figuren und das Reagieren aufeinander, eine Figur charakterisieren.
Es gibt sprachliche Erkennungszeichen. Eloquenz (Sprachgewandtheit) spielt dabei eine wichtige
Rolle. Aber auch beiläufig eingeflochtene Wörter, knappe oder ausschweifende Formulierungen,
Bandwurmsätze, sarkastische oder zynische Bemerkungen, fehlerhafte Grammatik, falsche
Aussprache, Auslassen bestimmter Wörter.
Manchmal genügt ein einziges Wort zur Charakterisierung, aber es muss zur Figur passen.
Ein Beispiel aus einem meiner aktuellen Texte.
Hauptfigur ist ein Reporter.
Kilian ging auf den Mann zu und streckte die Hand aus. „Herr Winterberg! Wie schön,
dass Sie es geschafft haben.“
„Ich freue mich ganz außerordentlich heute hier zu sein. Danke, dass Sie mir die
Möglichkeit geben, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.“ Kleine Wurstfinger
griffen nach Kilians Hand und schwangen seinen Arm wie einen Pumpschlegel. „Das
wird eine ganz spannende Sache.“
„Ganz bestimmt.“ Kilian betrachtete den einen Meter sechzig kleinen Kunststudenten
in seiner abgetragenen Kleidung. Hoffentlich hatte er bald würdigere Fans. Solche mit
Umhängen von LaGocci und Sabbin. „Kommen Sie, Winterberg.“

Hier wird recht schnell klar, welche Stellung die beiden zueinander haben. Der Reporter, Kilian,
begrüßt den Studenten mit einer Floskel. Der Student wiederum ist geradezu unterwürfig. Er
schüttelt dem Reporter kräftig die Hand und betont, wie aufregend das werden wird.
Auffällig ist das Wort „ganz.“ Der Student ist überschwänglich. Er freut sich, über die Chance, die
sich ihm bietet. Der Student Bill ist eine Figur, die anfangs geradezu naiv ist. Aber auch
optimistisch.
Der Reporter hingegen betrachtet den Mann von oben herab. Die abgetragene Kleidung und die
Betonung der Körpergröße verstärken diesen Eindruck. Man kann sich denken, wie die
Kommunikation zwischen beiden weitergehen wird. Er greift das Wort „ganz“ auf. Ein Zeichen von
Sarkasmus.
Den fehlenden Respekt zeigt der Reporter im letzten Satz deutlich. Er spricht den Studenten nur mit
seinem Nachnamen an. Ohne Herr. Und er fordert den Studenten auf, ihm zu folgen. Er bittet nicht.
Ein weiteres Beispiel, an späterer Stelle:
Kilian blinzte auf die nächste Zeichnung. „Was machen Sie da, Winterberg. Keiner will
diese Klunker sehen. Malen Sie die Augen. Die roten Ränder darunter.“
„Aber da sind keine ...“
Kilian zischte: „Natürlich sind dort Ränder! Seien Sie kreativ. Denken Sie sich die
Schminke weg.“

Es ist offensichtlich, dass der Reporter Kilian ein Interesse daran hat, Emotionen bei seinen
Lesern/Zuschauern zu wecken. Dafür manipuliert er auch. Und der Student gibt klein bei.
Die direkte Rede ist voll von Füllwörtern wie „Äh“. Diese braucht der Sprecher, um Zeit zu
gewinnen. Weitere Beispiele sind Formulierungen wie „tatsächlich“, „im Grunde“, „vielleicht“, ich
wage zu behaupten“, „ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, „mir scheint“, „weißt du“, „wie
dem auch sei“.
Im Dialog sollten solche Worte vermieden werden, es sei denn es handelt sich um eine typische
Sprachmarotte der Figur.
Der Dialog ist eine straffe Sprache, in der jedes Wort zählt. Es ist etwas Erfundenes und der Autor
ist der Erfinder.
„Nicht das zählt, was gesagt wird, sondern die Wirkung dessen, was gemeint ist.“ (Sol Stein)
Für die Überprüfung längerer Dialoge gibt Sol Stein folgende Fragen zur Hilfe:
• Worauf zielt dieser Wortwechsel? Leitet er eine Auseinandersetzung ein oder verschärft er
einen bestehenden Konflikt?
• Weckt er die Neugier des Lesers?
• Erzeugt der Wortwechsel Spannung?
• Steuert der Dialog auf einen Höhepunkt zu, führt er zu einer Wendung der Ereignisse in der
Geschichte oder zu einer Veränderung in der Beziehung der Sprechenden?
Dann werden die Dialogzeilen der Akteure überprüft, ob sie mit dem Hintergrund des Sprechers
vereinbar sind. Außerdem sind alle Klischees, die nicht zur Figur passen, zu streichen und Echos
auszumerzen.
Ein Beispiel aus „Sol Stein – Über das Schreiben“:
Sie: „Man, wie ich mich freue, dich zu sehen.“
Er: „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“
Ohne Echo wird es ein Dialog:
Sie: „Man, wie ich mich freue, dich zu sehen.“
Er: „Hast du endlich deine Kontaktlinsen eingesetzt?“
Ein weiterer Punkt ist Fachjargon. Er hat im Dialog nichts verloren. Ist es eine Eigenheit einer
Figur, im Fachjargon zu sprechen, so ist er dennoch sehr sparsam einzusetzen, da die
Charakterisierung anderenfalls leicht zur Karikatur wird.
Schwierig ist es auch, Dialekte dar zu stellen. Die meisten Leser haben eine Abneigung dagegen.
Trotzdem gibt es Tricks. Der Satzbau kann verändert werden oder Wörter weg gelassen werden.
Außerdem kann man falsche Verben nutzen, bestimmte oder unbestimmte Artikel auslassen oder
verwechseln, unvollständige Sätze schreiben, unpassende Vokabeln verwenden oder mal ein
ausländisches Wort einflechten.
Und noch ein Schlusssatz von Sol Stein:
„Ein Vorzug des Dialogs, der so simpel ist, dass er häufig übersehen wird, ist der weiße,
unbedruckte Raum, den er auf den Seiten lässt und der dem Leser die Empfindung gibt, dass sich
die Geschichte rasanter voran bewegt, weil sein Auge die Geschichte schneller überfliegt.“

Actors Studio
Die Entstehung des „Actors Studio“ ist im Buch „Über das Schreiben“ von Sol Stein nachzulesen.
Was diese Methode des Dialogschreibens ausmacht, lässt sich leicht in einem Satz
zusammenfassen.
„Sie müssen Ihren Figuren unterschiedliche Regieanweisungen geben, um in den Szenen Konflikte
zu erzeugen.“ (Sol Stein)
Hier ein Beispiel aus „Über das Schreiben“.
Es werden zwei Akteure benötigt. Es geht um eine Privatschule der gehobenen Gesellschaft. Eine
Figur war die Mutter eines Jungen, dem der Direktor einen Schulverweis erteilt hatte. Das war alles,
was das Publikum wusste.
Der Regisseur nahm dann jeden Akteur einzeln beiseite. Dem, der den Direktor spielte, sagte er,
dass der Junge mehrfach den Unterricht massiv gestört habe und dass er auf keinen Fall wieder
aufgenommen werden könne, egal wie sehr die Mutter versuchen würde, genau das durchzusetzen.
Dann wurde die Mutter beiseite genommen. Sie bekam eine andere Anweisung.
Beide Akteure erfuhren erst nach dem improvisierten Dialog, was der jeweils andere für
Informationen bekommen hatte. Der Regisseur hatte der Mutter gesagt, dass ihr Junge wohlerzogen
und intelligent sei und der Direktor sich gegen diesen erstklassigen Schüler voreingenommen sei,
ihn diskriminierend behandelt habe und dass die Mutter darauf bestehen musste, dass ihr Sohn
wieder an der Schule aufgenommen wurde.
Was folgte, war ein Streit.
Das geschah, weil die Akteure unterschiedliche Regieanweisungen im Kopf hatten.
Gibt man Figuren unterschiedliche Drehbücher in die Hand, entstehen Meinungsverschiedenheiten
und Konflikte. Im wahren Leben sind die unangenehm, in der Literatur äußerst wertvoll.
Quellen:
Sol Stein – Über das Schreiben
James N. Frey – Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
eingekästelte Texte von Yvonne Orrego Cárdenas

Kommentare

23. April 2010 - 19:54 - TrafalgarLaw


Ich find, dass hier sehr interessant.
Darf man eigentlich auch noch eigene Ideen anfügen? Wo kriegt man eigentlich die Bücher dieses
Sol Stein? Gibt es noch andere Autorenlernbücher?
LG Patrick

23. April 2010 - 20:07 - Moira


Hi Trafalgarlaw,
es gibt noch einen Artikel nur über Schreibübungsbücher auf der Startseite oder direkt in der
Handwerksstube.
Liebe Grüße, Moira

23. April 2010 - 20:20 - Junipera


Hallo!
Das Buch "Über das schreiben" von Sol Stein habe ich ohne Probleme bei dem Verlag
Zweitausendeins über das Internet bestellt. Du bekommst das Buch aber auch bei Amazon zum
überteuerten Preis!
Ich finde das Buch "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" von James N. Frey auch
Klasse.
Liebe Grüße Juni

29. April 2010 - 21:07 - Sehnsucht


Ich lese gerade "Writing Fiction step by step" von Novakovich und kann wärmstens "Vier Setien für
ein Halleluja" empfehlen!

4. Juni 2010 - 17:36 - Grubi


Schöner Beitrag, zumal zumindest das Buch vom Stein nur angelesen bei mir im Regal steht. Bis
zum Actors Studie war ich noch nicht vorgedrungen, hört sich aber seeehr brauchbar an!

4. Juni 2010 - 20:28 - Zauberling


Gerade mit der Methode des Actors Studio und den Regieanweisungen lassen sich schöne indirekte
Dialoge schreiben. Und irgendwann geht es in Fleisch und Blut über.

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